Altes und Neues hervorholen - Katholisch Theologische Fakultät
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<strong>Katholisch</strong>-<strong>Theologische</strong> <strong>Fakultät</strong> • Gerd Häfner<br />
<strong>Altes</strong> <strong>und</strong> <strong>Neues</strong><br />
<strong>hervorholen</strong><br />
Zur Diskussion um<br />
Gleichnishermeneutik <strong>und</strong><br />
-auslegung<br />
Gleichnishermeneutik <strong>und</strong> -auslegung<br />
1. Was ist ein Gleichnis?<br />
• Gleichnisse sind Texte mit »doppeltem Boden« (K. Erlemann). Es ist zu<br />
unterscheiden zwischen dem, was auf der Textoberfläche begegnet <strong>und</strong><br />
dem was damit eigentlich ausgesagt werden soll, zwischen Bild <strong>und</strong><br />
Sache.<br />
• In der Jesus-Tradition gibt es drei Anhaltspunkte für das Vorliegen<br />
solcher symbolischen Tradition:<br />
– Der Erzähler weist ausdrücklich darauf hin, dass seine Erzählung eine<br />
Tiefendimension hat, die entdeckt werden muss (»Mit dem Reich<br />
Gottes verhält es sich wie mit ...«).<br />
– Die Extravaganz des Inhalts stößt die Hörer auf die symbolische<br />
Dimension (z.B. Mt 7,3−5).<br />
– Der Kontext macht deutlich, dass die Aussage bildlich gemeint ist (z.B.<br />
Mk 2,21f).<br />
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Gleichnishermeneutik <strong>und</strong> -auslegung<br />
2. Paradigmen der Gleichnishermeneutik<br />
2.1 Forschungsgeschichtliche Typisierung<br />
Aus der Forschungsgeschichte lassen sich zwei Paradigmen der Annäherung an die<br />
Gleichnisse Jesu erheben:<br />
• Das historische Paradigma<br />
– Die Gleichnisse werden eingeordnet in eine vergangene Situation: die Verkündigung Jesu,<br />
die urchristliche Überlieferung oder das Evangelium, in das der Text eingegangen ist.<br />
– Das Verstehen der Gleichnisse hängt in erster Linie ab von der richtigen Erfassung des<br />
geschichtlichen Rahmens, in den ein Gleichnis gehört. Seine Bedeutung gründet in einem<br />
außersprachlichen Bezug, in der Sache, auf die der Erzähler Jesus, die urchristlichen<br />
Tradenten oder der Evangelist mit dem Gleichnis hinauswollen.<br />
• Das sprachliche Paradigma<br />
– In ihm wird ein außersprachlicher Bezug abgelehnt <strong>und</strong> die Bedeutung der Gleichnisse allein<br />
aus innersprachlichen Komponenten gewonnen: aus der narrativen Struktur der<br />
Erzählungen, ihren Figurenkonstellationen, den erzählten Handlungen, den<br />
wiedergegebenen Reden <strong>und</strong> den Beziehungen, die sich in all dem ausdrücken.<br />
– Die Suche nach einer Ursprungssituation ist im Rahmen dieses Paradigmas sinnlos.<br />
Gleichnisse sind in sich geschlossene poetische Kunstwerke, die ihre Bedeutung in sich<br />
tragen.<br />
Gleichnishermeneutik <strong>und</strong> -auslegung<br />
2.2 Die integrative Gleichnishermeneutik des »Kompendiums der Gleichnisse Jesu«<br />
Das „Kompendium der Gleichnisse Jesu“ (2007) will die verschiedenen Zugangsweisen zu<br />
den Gleichnissen in einer integrativen Hermeneutik verbinden, in der historisch, sprachlich<br />
<strong>und</strong> rezeptionsästhetisch ausgerichtete Auslegungsmethoden zusammenkommen.<br />
• Die historische Dimension<br />
– Man muss möglichst viel wissen über den bildspendenden Bereich, also jenen Teil der<br />
damaligen Lebenswelt, der für die Inszenierung eines Gleichnisses genutzt wird.<br />
– Bildfelder sind zu analysieren, also konventionalisierte Metaphern, um zu erkennen, welche<br />
Assoziationen ein Bild durch häufigen Gebrauch wecken kann.<br />
– Gleichnisse können eine Überlieferungsgeschichte aufweisen, die aber (mit Ausnahme<br />
von Q-Gleichnissen) nicht auf Vorstufen des tradierten Textes untersucht werden soll,<br />
da sie als nicht zuverlässig rekonstruierbar gelten. Es bleibt die Nachgeschichte eines<br />
Textes (Paralleltraditionen, Wirkungsgeschichte).<br />
• Die sprachliche Dimension<br />
– Gleichnisse werden nicht als autonome Kunstwerke betrachtet, sondern in ihrem<br />
Eingeb<strong>und</strong>ensein in den Kontext der Evangelien.<br />
– Herauszuarbeiten sind die narrative Struktur <strong>und</strong> die Elemente, die dem Text seinen<br />
bildhaften Charakter geben.<br />
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Gleichnishermeneutik <strong>und</strong> -auslegung<br />
• Die rezeptionsästhetische Dimension<br />
– Die Adressatenorientierung zielt auf heutige Lektürevorgänge. Die Auslegung muss Raum<br />
lassen für die Begegnung mit dem Text.<br />
– Zwar geben historische <strong>und</strong> sprachliche Aspekte Grenzen des Verstehens vor, innerhalb<br />
dieser Grenzen aber ist die Auslegung offen zu halten für unterschiedliche Deutungsweisen.<br />
Ziel ist nicht, »fertige Auslegungen zu bieten, die nur noch hinzunehmen wären« (R.<br />
Zimmermann).<br />
2.3 Zur Diskussion der Gleichnishermeneutik des »Kompendiums«<br />
• Das Projekt einer integrativen Gleichnishermeneutik ist als wesentlicher Fortschritt zu<br />
begrüßen. Historische <strong>und</strong> sprachliche Ansätze miteinander zu verbinden <strong>und</strong> nicht als<br />
zwei getrennte Paradigmen zu behandeln kann als echter Gewinn für die Gleichnisauslegung<br />
gelten – bestätigt im geglückten Aufbau der einzelnen Auslegungsschritte im »Kompendium«.<br />
• Zu kritisieren sind aber die Grenzen, die sich dieser integrative Ansatz auferlegt. Dies lässt<br />
sich in zwei Richtungen entfalten.<br />
(1) Keine Rekonstruktion von Vorstufen eines überlieferten Gleichnisses, so auch keine<br />
Rückführung von Gleichnissen in die Verkündigung Jesu: nur die Erinnerung an Jesus<br />
sei zugänglich.<br />
Gleichnishermeneutik <strong>und</strong> -auslegung<br />
� Hinter der Favorisierung der Kategorie der Erinnerung steht eine konstruktivistische<br />
Geschichtstheorie, nach der Geschichtsdarstellungen keinen Zugang zu vergangener<br />
Wirklichkeit eröffnen können. Alle Wirklichkeit sei sprachlich konstituiert, weshalb uns<br />
vergangenes Geschehen verschlossen bleiben müsse. Erreichbar seien nur<br />
Interpretationen, die aber nicht von den zugr<strong>und</strong>eliegenden Fakten aus kritisiert<br />
werden könnten.<br />
� Unklar bleibt in solch radikaler Sicht geschichtlicher Erkenntnis, wie Geschichtserzählungen<br />
mit Fakten verb<strong>und</strong>en sein können. Die historische Referenz, der Bezug<br />
auf vergangenes Geschehen, kann nur behauptet, aber nicht begründet werden.<br />
� Weder sind solche Geschichtstheorien in der Geschichtswissenschaft etabliert noch<br />
kann man innerhalb der Jesusforschung von einem »Paradigmenwechsel« sprechen,<br />
der sich bereits vollzogen hätte – hin zum Konzept des »erinnerten Jesus«. Das<br />
benannte Gr<strong>und</strong>problem, wie sich historische Referenz methodisch kontrolliert<br />
begründen lässt, gilt auch für den »erinnerten Jesus«.<br />
(2) Forderung nach prinzipieller Deutungsoffenheit: Ist sie notwendig, um dem Appellcharakter<br />
der Gleichnisse gerecht zu werden?<br />
� Aufgabe der Exegese ist es auch, Grenzen des Textverständnisses aufzuzeigen.<br />
Exegese arbeitet nicht mit präskriptiven Ansprüchen (Auslegungen, »die nur noch<br />
hinzunehmen wären«: R. Zimmermann), sondern zielt im Austausch der Argumente<br />
auf eine dem Text möglichst adäquate Auslegung.<br />
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Gleichnishermeneutik <strong>und</strong> -auslegung<br />
� Betont man die Appellstruktur der Gleichnisse sehr stark, setzt man die Rezipienten<br />
unter Druck, existenzielle Erfahrungen mit dem Gleichnis zu machen. Man kann sich<br />
auch die Freiheit nehmen, sich von einem Gleichnis nicht in Anspruch genommen zu<br />
fühlen – <strong>und</strong> es dennoch zu verstehen suchen.<br />
Gleichnishermeneutik <strong>und</strong> -auslegung<br />
3. Die zwei Pfeiler der Gleichnisauslegung<br />
3.1 Die Suche nach der Pointe<br />
• Adolf Jülicher hat das Gleichnis als erweiterten Vergleich verstanden <strong>und</strong> damit die Sicht<br />
begründet, dass Gleichnisse auf einen Zielgedanken hin entworfen sind, das sog. tertium<br />
comparationis, auch als »Vergleichspunkt« bezeichnet. Einzelne Erzählzüge dienen der<br />
Herausarbeitung dieses Gedankens <strong>und</strong> bedeuten darüber hinaus nichts.<br />
• Statt von »Vergleichspunkt« spricht man heute lieber von Pointe, weil man damit rechnet,<br />
dass es mehrere Verbindungen zwischen Bild <strong>und</strong> Sache geben kann (s.u. 3.2).<br />
• Die Pointe ist zunächst vom Bild her zu formulieren <strong>und</strong> dann auf die Sache zu übertragen.<br />
3.2 Die Suche nach metaphorischen Elementen<br />
• Jülichers Beschränkung auf nur einen Vergleichspunkt lässt sich mit Rückgriff auf die Theorie<br />
vom Bildfeld zurückweisen.<br />
� Eine einzelne Metapher steht nicht für sich, sie ist in ein ganzes Feld von Bezügen eingespannt:<br />
der überindividuelle Metaphernbestand einer Sprach- <strong>und</strong> Kulturgemeinschaft.<br />
• Als biblisches Beispiel kann die Rede vom Bräutigam Mk 2,19 dienen, die in das atl geprägte<br />
Bildfeld von der Hochzeit gehört:<br />
– Beschreibung des Verhältnisses Jahwes zu Israel (z.B. Jes 54,5; Jer 2,2; Hos 2,4; 3,1)<br />
– auch im Blick auf die künftige Heilszeit (Jes 62,5).<br />
– Der Jubel der Brautleute illustriert das künftige Heil (Jer 33,11),<br />
– das Ausbleiben dieses Jubels ist Bild für das Gericht (Jer 7,34; 16,9).<br />
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Gleichnishermeneutik <strong>und</strong> -auslegung<br />
� Als Bild für den Messias lässt sich „Bräutigam“ vorchristlich nicht nachweisen. Diese<br />
Stelle im Bildfeld wurde erst urchristlich gefüllt.<br />
• Die Aktivierung solcher Metaphorik hängt auch ab von individuellen Voraussetzungen der<br />
Rezipienten.<br />
� Wenn das metaphorische Verständnis nicht notwendig ist, um dem Text Sinn<br />
abzugewinnen, kann eine doppelte Auslegung erfolgen: Was besagt das Gleichnis, wenn<br />
sein metaphorisches Potential aktiviert wird, welcher Sinn ergibt sich im gegenteiligen<br />
Fall?<br />
• Hörer von Gleichnissen können auch dadurch auf solchen tieferliegenden Sinn verwiesen<br />
werden, dass die erzählerische Plausibilität gesprengt wird (z.B. der Adler in Ez 17).<br />
� Auch einzelne Bildelemente können dann auf das eigentlich Gemeinte hin übersetzt<br />
werden (s. die Auflösung in Ez 17,12–21).<br />
� In den ursprünglichen Jesus-Gleichnissen finden wir solche metaphorischen (oder<br />
allegorischen) Elemente gewöhnlich nicht. Ihr Erscheinen in den Evangelien muss aber<br />
nicht kritisch betrachtet, sondern kann positiv als Ausdruck des kreativen Potentials<br />
bildhafter Rede gewertet werden.<br />
Gleichnishermeneutik <strong>und</strong> -auslegung<br />
4. Das Gleichnis vom großen Gastmahl Lk 14,16–25 par Mt 22,1–14<br />
4.1 Analyse<br />
• Die beiden Fassungen weisen bei starken Differenzen im Wortlaut dasselbe Gr<strong>und</strong>gerüst auf:<br />
die Einladung zu einem Gastmahl wird abgelehnt, daraufhin werden andere, ursprünglich nicht<br />
angezielte Gäste eingeladen.<br />
• Die Fassung des LkEv steht der ursprünglichen Form des Gleichnisses näher als die des Mt.<br />
Meist wird die doppelte Einladung von Ersatzgästen (Lk 14,22f – ohne Entsprechung bei Mt)<br />
<strong>und</strong> der Abschluss-Satz in Lk 14,24 dem dritten Evangelisten zugeschrieben.<br />
• Als ursprüngliche Fassung lässt sich in etwa folgender Wortlaut rekonstruieren (A. Vögtle):<br />
Ein Mensch machte ein (großes) Gastmahl <strong>und</strong> lud viele ein. Und er sandte seinen<br />
Knecht (zur St<strong>und</strong>e des Gastmahls), um den Geladenen zu sagen: „Kommt, denn schon<br />
ist es bereit.“ Und es begannen auf einmal alle, sich zu entschuldigen. Der erste sagte<br />
ihm: „Ich habe einen Acker gekauft <strong>und</strong> muss hinausgehen, ihn zu sehen. Ich bitte dich,<br />
halte mich für entschuldigt.“ Und ein anderer sagte: „Ich habe fünf Ochsen-gespanne<br />
gekauft <strong>und</strong> gehe, sie zu prüfen. Ich bitte dich, halte mich für entschuldigt.“ Und ein<br />
anderer sagte: „Ich habe eine Frau geheiratet, <strong>und</strong> deshalb kann ich nicht kommen.“<br />
Der Diener kehrte zurück <strong>und</strong> berichtete das seinem Herrn. Da wurde der Hausherr<br />
zornig <strong>und</strong> sagte seinem Knecht: „Geh (schnell) hinaus auf die Straßen (der Stadt) <strong>und</strong><br />
soviele du findest, bringe sie hierher.“ Und der Knecht ging hinaus auf die Straßen <strong>und</strong><br />
brachte alle, die er fand. Und das Haus wurde voll von Gästen.<br />
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• Die Geschichte hat einen klaren Aufbau in vier Szenen: Einladung / Ablehnung der<br />
Einladung / Rückkehr des Knechtes <strong>und</strong> neue Entscheidung / Herbeiholen der<br />
Ersatzgäste.<br />
4.2 Die Pointe des Jesus-Gleichnisses<br />
• Auf der Bildebene ist im Blick auf das ursprüngliche Jesus-Gleichnis kaum ein Zweifel an<br />
der Zuspitzung der Erzählung möglich. Das Gleichnis läuft auf einen klaren Gedanken zu:<br />
� Da alle ursprünglich geladenen Gäste nicht zum Fest kommen wollen, werden andere<br />
eingeladen, die das Haus füllen.<br />
• Da die an zweiter Stelle Eingeladenen Ersatzgäste sind, geht es am wahrscheinlichsten<br />
um den Gegensatz Israel – Heiden. Sollte sich Israel der Gottesreich-Botschaft Jesu<br />
versagen, kommt die Gottesherrschaft dennoch zum Ziel – mit den Heiden. Es handelt<br />
sich um eine Mahnung, die den Ernst der Entscheidung vor Augen führen will.<br />
• Im Blick auf metaphorische Elemente kann man verweisen auf die Tradition vom<br />
endzeitlichen Festmahl. Die Parabel kann deshalb unmittelbar als endzeitliches Bild <strong>und</strong><br />
der Gastgeber als Chiffre für Gott verständlich gewesen sein. Eine neue Sinndimension<br />
kommt bei Aktivierung dieser Metaphorik aber nicht ins Spiel.<br />
4.3 Das Gleichnis bei Mt<br />
Gleichnishermeneutik <strong>und</strong> -auslegung<br />
• Mt ändert Personeninventar <strong>und</strong> Mahlanlass: Ein König lädt zur Hochzeitsfeier seines<br />
Sohnes.<br />
(2) Verglichen wurde die Herrschaft der Himmel mit einem König, der ein Hochzeitsmahl<br />
für seinen Sohn ausrichtete. (3) Und er sandte seine Knechte, um diejenigen zu rufen, die<br />
zum Hochzeitsmahl eingeladen waren.<br />
� Dies eröffnet eine metaphorische Dimension auf Gott <strong>und</strong> Jesus hin.<br />
• Die Einladung wird ohne Gründe schroff abgewiesen, was zu einem zweiten Versuch des<br />
Königs führt (VV.3c–4).<br />
Sie aber wollten nicht kommen. (4) Wiederum sandte er andere Knechte <strong>und</strong> sagte:<br />
»Sprecht zu den Geladenen: Siehe, mein Mahl habe ich bereitet; meine Ochsen <strong>und</strong> die<br />
Masttiere sind geschlachtet <strong>und</strong> alles ist bereit. Auf, zum Hochzeitsmahl.«<br />
• Die Reaktion auf diesen zweiten Versuch ist erstaunlicherweise gewaltsam: die<br />
einladenden Knechte werden getötet (VV.5f).<br />
(5) Sie aber kümmerten sich nicht darum <strong>und</strong> gingen weg; der eine auf seinen eigenen<br />
Acker, der andere zu seinem Geschäft. (6) Die Übrigen aber ergriffen seine Knechte,<br />
misshandelten <strong>und</strong> töteten sie.<br />
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� Im Rahmen der Parabel ist dieser Zug nicht plausibel. Er erklärt sich von der Sache<br />
her; die Knechte sind Boten Gottes (=des Königs). Am wahrscheinlichsten ist hier an<br />
urchristliche Boten zu denken – nach dem Bezug auf Johannes den Täufer (21,28–32)<br />
<strong>und</strong> auf das Geschick Jesu (21,33–46).<br />
• Die Reaktion des Königs auf die Tötung seiner Knechte ist ebenfalls gewaltsam (V.7) ...<br />
(7) Der König aber wurde zornig, schickte sein Heer, vernichtete jene Mörder <strong>und</strong><br />
verbrannte ihre Stadt.<br />
� Diese Reaktion verdankt sich ebenfalls der Sachebene (V.7). Erzählerisch ist sie völlig<br />
unangemessen. Der Feldzug passt schlecht in den Zusammenhang eines bereit<br />
stehenden Mahles, zu dem nach dem Ende des Kriegs eingeladen werden kann, als<br />
ob der Krieg eine Sache von wenigen Minuten gewesen wäre.<br />
Die Zerstörung der Stadt der Mörder bezieht sich auf den Fall Jerusalems im Jahr 70,<br />
gedeutet als göttliches Strafgericht.<br />
• ... <strong>und</strong> führt zur Einladung von Ersatzgästen (VV.8–10):<br />
(8) Dann sagt er seinen Knechten: »Die Hochzeitsfeier ist zwar bereit, die Geladenen aber<br />
waren nicht würdig. (9) Geht nun an die Kreuzungen der Straßen, <strong>und</strong> wen immer ihr<br />
findet, ladet ein zur Hochzeitsfeier.« (10) Und jene Knechte gingen hinaus auf die Straßen<br />
<strong>und</strong> führten alle zusammen, die sie fanden, Böse <strong>und</strong> Gute. Und der Hochzeitssaal füllte<br />
sich mit Gästen.<br />
Gleichnishermeneutik <strong>und</strong> -auslegung<br />
� Die Einladung von Ersatzgästen weist im Zusammenhang des MtEv ganz deutlich auf<br />
Heiden. Dass »Böse <strong>und</strong> Gute« in den Hochzeitssaal kommen, baut eine Spannung<br />
auf den Schluss hin auf.<br />
• Nur im MtEv ist die Szene mit dem Mann ohne hochzeitliches Gewand zu lesen (VV.11–<br />
14):<br />
(11) Als aber der König hineinging, um die Gäste zu betrachten, sah er dort einen<br />
Menschen, der kein hochzeitliches Gewand trug. (12) Und er sagt ihm: »Fre<strong>und</strong>, wie bist<br />
du hier hereingekommen, obwohl du kein hochzeitliches Gewand hast?« Der aber<br />
verstummte. (13) Da sprach der König zu seinen Dienern: »Bindet seine Füße <strong>und</strong> Hände<br />
<strong>und</strong> werft ihn in die äußerste Finsternis. Dort wird Heulen <strong>und</strong> Zähneknirschen sein. (14)<br />
Viele nämlich sind geladen, wenige aber auserwählt.«<br />
� Dieses Gleichnis ist erzählerisch wiederum nicht besonders geglückt: Einem von der<br />
Straße weg eingeladenen Gast kann man nicht vorwerfen, ohne Festgewand<br />
erschienen zu sein. Das Gewand steht also offensichtlich metaphorisch für etwas<br />
anderes.<br />
Vom Abschluss her wird klar, dass es um das endzeitliche Gericht geht. Auch die<br />
Ersatzgäste sind von ihm betroffen. Die Leser des MtEv können ohne Weiteres auf das<br />
Tun als Maßstab des Gerichts kommen.<br />
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4.4 Das Gleichnis im Rahmen der Gleichnis-Trilogie 21,28–22,14<br />
• Im Rahmen des MtEv gewinnt das Gastmahl-Gleichnis dadurch besondere Bedeutung, dass<br />
es in eine Gleichnis-Trilogie eingebettet ist. Im Folgenden soll nur die Verbindung mit der<br />
Parabel von den bösen Winzern betrachtet werden (21,33−46).<br />
• In beiden Gleichnissen geht es um die erfolglose Sendung von Boten an Israel, um deren<br />
Ablehnung <strong>und</strong> Tötung <strong>und</strong> die Konsequenzen aus diesem Verhalten. In beiden Fällen ergibt<br />
sich aus der Weigerung der ursprünglich Angesprochenen ein neuer Adressatenkreis (21,43;<br />
22,8f).<br />
� Frage: Ist also die Ablehnung Jesu (bzw. seiner Boten) durch Israel für Mt der entscheidende<br />
Gr<strong>und</strong> dafür, dass sich Jesu Sendung schließlich auf die Heiden hin öffnet?<br />
� Gegenfrage: Erzählt das MtEv wirklich von einer Ablehnung Jesu durch das Volk<br />
Israel?<br />
– Abgelehnt wird Jesus von den Hohepriestern, Ältesten <strong>und</strong> Schriftgelehrten.<br />
– Vor allem Jerusalem wird als Ort der Ablehnung gekennzeichnet (2,3; 15,1; 16,21;<br />
20,17f; 23,37).<br />
� Diese Konzentration der Ablehnung Jesu auf Jerusalem wird nicht aufgehoben<br />
durch die Verurteilungsszene, in der »das ganze Volk« ( /pas ho laos)<br />
die Verantwortung für den Tod Jesu übernimmt: »Sein Blut komme über uns <strong>und</strong><br />
unsere Kinder« (27,25).<br />
Gleichnishermeneutik <strong>und</strong> -auslegung<br />
Die Wendung »das ganze Volk« zielt auf die zuvor genannten Volksscharen<br />
(27,20: /ochloi), die am besten auf die Einwohner Jerusalems zu beziehen<br />
sind. Weil die Folgen der Ablehnung Jesu, die Zerstörung Jerusalems, ganz Israel<br />
betreffen, wechselt Mt zum heilsgeschichtlich gefüllten -Begriff.<br />
– Man kann die im Gastmahl-Gleichnis erzählte Zurückweisung nicht als<br />
Zurückweisung Jesu auf das »Volk Israel« beziehen <strong>und</strong> darin die Öffnung zu den<br />
Heiden begründet sein lassen, weil erhebliche Unstimmigkeiten blieben:<br />
→ Im Zusammenhang der Gleichnis-Trilogie reagiert der König nicht auf die<br />
Ablehnung des Sohnes (s. Winzergleichnis), sondern auf die Misshandlung<br />
<strong>und</strong> Ermordung seiner Knechte (also der urchristlichen Boten).<br />
→ Der Zeitpunkt des Wechsels zu den Ersatzgästen (also zu »allen Völkern«)<br />
stimmt nicht überein mit der unmittelbar nachösterlichen Ansetzung in<br />
28,16−20.<br />
� Frage: Worin ist dann der Gr<strong>und</strong> für die universale Völkermission zu suchen?<br />
→ Am besten in der universalen Christologie des Mt (M. Konradt, K. Backhaus): In<br />
Tod <strong>und</strong> Auferstehung wird Jesus als Sohn Gottes in universale Macht eingesetzt<br />
<strong>und</strong> dieser Machtstellung entspricht die Sendung zu »allen Völkern« (28,18f).<br />
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→ Mt blickt mit dem Gastmahl-Gleichnis auch aus auf die Heidenmission <strong>und</strong> bringt<br />
sie, anknüpfend an das Bildmaterial, in Verbindung mit der Geschichte des<br />
Ungehorsams. Wenn er aber in dieser Geschichte den wirklichen Gr<strong>und</strong> für die<br />
Öffnung zu den Heiden gesehen hätte, müsste dies in seiner Erzählung deutlicher<br />
durchschlagen.<br />
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