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als pdf - Wie das Leben so spielt.

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Manuela Schauerhammer<br />

Wer wir sind und was wir werden:<br />

<strong>Wie</strong> die »Normalität« die Freiheit behindert<br />

Unser binärer Alltag: Die (Re)Produktion von Mädchen und Jungen im Einkaufsladen<br />

»Was wird es denn?«, ist eine der häufigsten<br />

Fragen, die Schwangere in Bezug<br />

auf ihren sich rundenden Bauch zu<br />

hören bekommen. Dass hierbei nicht<br />

vermutet wird, <strong>das</strong> in ihnen wachsende<br />

<strong>Leben</strong> könnte wahlweise ein Hund,<br />

ein Meerschweinchen oder ein Mensch<br />

sein, ist klar. Die Frage zielt vielmehr<br />

auf <strong>das</strong> Geschlecht des zu erwartenden<br />

Menschleins ab. Und mit diesem verknüpft<br />

werden nach wie vor bestimmte<br />

vermutliche Verhaltensweisen, bestimmte<br />

vermutliche Interessen, <strong>so</strong>gar<br />

nach wie vor bestimmte vermutliche<br />

<strong>Leben</strong>sentwürfe – in einer emanzipierten<br />

Welt sicherlich zumeist gedacht mit<br />

dem Zusatz eines freiwilligen »Abers«<br />

für die Wahlfreiheit. Denn in unserer<br />

offenen, durchlässigen Gesellschaft<br />

können doch eigentlich, <strong>als</strong>o hypothetisch,<br />

geschlechtsunabhängig alle alles<br />

machen, werden und sein.<br />

Aber – ist <strong>das</strong> wirklich <strong>so</strong>?


In der westlichen Gesellschaft scheinen<br />

von gesetzgeberischer Seite her für<br />

die Gleichberechtigung der Geschlechter<br />

und für die freie Wahl des <strong>Leben</strong>sentwurfs<br />

bereits viele Weichen gestellt<br />

zu sein. Jedoch – wie frei und unabhängig<br />

von Geschlechterstereotypen sind<br />

wir innerhalb dieses gesetzlich kreierten<br />

»Schutzraumes« wirklich? Welche Chancen,<br />

sich frei und unbeeinflusst von geschlechtsbinären<br />

Vorgaben zu entwickeln,<br />

haben Menschen, die in unsere<br />

Gesellschaft geboren werden, tatsächlich?<br />

Haben Kinder wirklich eine weitestgehend<br />

»freie Wahl« darüber, wie sie<br />

ihr <strong>Leben</strong> gestalten, wie sie sein, was sie<br />

werden möchten? Schließlich entwickeln<br />

sie, egal ob sie »erzogen« oder »unerzogen«<br />

aufwachsen, ihr wachsendes Verständnis<br />

für die Welt, die sie umgibt, aus<br />

dem, was sie täglich erfahren.<br />

Jede Gesellschaft besitzt wirkmächtige<br />

Mechanismen und Grundannahmen,<br />

derer sich die Menschen häufig nicht bewusst<br />

sind, die aber ihrer persönlichen<br />

Freiheit und der Freiheit ihrer Kinder<br />

Grenzen setzen. Je nachdem, was diese<br />

Annahmen implizieren, tragen sie gegebenenfalls<br />

dazu bei, <strong>das</strong>s altbekannte<br />

Machtstrukturen gewollt oder ungewollt<br />

reproduziert werden.<br />

Konformistisches Handeln:<br />

Wir wollen keine Ausnahmen sein<br />

Studien, welche belegen, <strong>das</strong>s Erwachsene<br />

die messbaren Kapazitäten von Kindern<br />

allein aufgrund des Wissens um ihr<br />

Geschlecht nachweislich vielfach f<strong>als</strong>ch<br />

einschätzen, sind bekannt 1 . Kritische Literatur<br />

zum Einfluss von stereotypen Geschlechtsrollenbildern<br />

auf unser Verhalten<br />

und unsere individuelle Entwicklung<br />

gibt es in umfangreichem Maße seit vielen<br />

Jahren. Aktuell sei zum Beispiel <strong>das</strong><br />

lesenswerte Buch Pink Brain, Blue Brain:<br />

How Small Differences Grow Into Trouble<strong>so</strong>me<br />

Gaps – And What We Can Do About<br />

It von der Neurobiologin Lise Eliot 2 emp-<br />

1) vgl. z.B. http://www.livescience.com/14323genderless-baby-gender-anxiety.html<br />

oder auch<br />

Emely Mösko: Elterliche Geschlechtsstereotype<br />

und deren Einfluss auf <strong>das</strong> mathematische<br />

Selbstkonzept von Grundschulkindern. Online-<br />

Dissertation, Universität Kassel (2010).<br />

2) Titel der deutschen Ausgabe: <strong>Wie</strong> verschieden<br />

sind sie?: Die Gehirnentwicklung bei<br />

Mädchen und Jungen. Berlin Verlag 2010.<br />

www.unerzogen-magazin.de<br />

fohlen, welche feststellt, <strong>das</strong>s sich zwischen<br />

den Gehirnen von neugeborenen<br />

Mädchen und Jungen nur minimale Unterschiede<br />

feststellen lassen und die in<br />

der Pubertät schließlich feststellbaren<br />

Abweichungen erst durch äußere Einflüsse<br />

während der gesamten Kindheitsprägung<br />

entstehen.<br />

Das Bewusstsein, <strong>das</strong>s viele unserer<br />

Annahmen bezüglich »typisch weiblicher«<br />

versus »männlicher« Verhaltensweisen<br />

und Interessen nicht vorbestimmt<br />

und allgemeingültig, <strong>so</strong>ndern mindestens<br />

in großem Maße kulturell und neuerdings<br />

be<strong>so</strong>nders auch werbemedial geprägt<br />

sind, ist vielfach vorhanden. Von<br />

Beginn an Kindern zu vermitteln, je nach<br />

den eigenen Interessen mit Puppen, Autos,<br />

beidem oder nichts davon spielen zu<br />

dürfen, glitzernde Haarspangen, rosafarbene<br />

Röcke und weite Cargojeans tragen<br />

zu können, mal wilder Dinosaurier und<br />

in einem anderen Moment sanftes Häschen<br />

sein zu können, ist sicherlich für<br />

viele Menschen in unserer Gesellschaft<br />

theoretisch selbstverständlich.<br />

Zu erwarten: gesellschaftskonformes<br />

Handeln<br />

Aber: Wenn aufgrund der einen Handlungsweise<br />

ein unübliches Herausstechen<br />

aus der umgebenden Gruppe zu<br />

erwarten ist, die andere Handlungsweise<br />

aber <strong>als</strong> gesellschaftskonform, <strong>als</strong><br />

»normal« gilt, ist es nicht ungewöhnlich,<br />

wenn Kinder diese theoretische Wahlmöglichkeit<br />

praktisch eher nicht nutzen.<br />

Stattdessen ist ein relativ gesellschaftskonformes<br />

Verhalten <strong>so</strong>gar eher zu erwarten.<br />

Und zwar möglicherweise nicht<br />

nur im Sinne einer gefühlt erzwungenen,<br />

dabei bereuten Entscheidung, <strong>so</strong>ndern<br />

durch tatsächliche Veränderung unseres<br />

Denkens 3 : Unser Gehirn ist dem folgend<br />

anscheinend fähig und bereit, be<strong>so</strong>nders<br />

<strong>so</strong>lche Dinge schön und normal zu finden,<br />

die dem gesellschaftlichen Standard<br />

entsprechen.<br />

Dies bedeutet: Auch Entscheidungen,<br />

die wir scheinbar ganz individuell und<br />

frei von gesellschaftlichen Erwartungen<br />

3) Vgl. u.a. http://www.psychologic<strong>als</strong>cience.org/<br />

index.php/news/releases/following-the-crowdbrain-images-offer-clues-to-how-and-why-weconform.html<br />

und http://www.sueddeutsche.de/<br />

wissen/psychologie-konformisten-im-kindergarten-1.1173374<br />

Manuela Schauerhammer<br />

Geb. 1980, hat Französisch<br />

und Politik<br />

studiert. Sie engagiert<br />

sich politisch für<br />

Gleichberechtigung,<br />

Freiheits- und Menschenrechte.<br />

Neben<br />

ihrem Blog manubloggt.de plant sie<br />

aktuell ein neues Projekt: Unter http://<br />

rosablau.org wird Anfang 2012 ein kooperatives<br />

Fotoblog online gehen, <strong>das</strong><br />

Alltagssexismen, denen (nicht nur)<br />

Kinder begegnen, fotografisch festhält<br />

und kritisch sichtbar macht.<br />

treffen, sind durch <strong>das</strong>, was wir täglich<br />

erfahren und was uns <strong>als</strong> »<strong>das</strong> Normale«<br />

erscheint, mit geprägt. Die uns umgebende<br />

gesellschaftliche Normalität bestimmt<br />

in jedem Falle anteilig mit, wie wir die<br />

Welt begreifen und wie wir uns in dieser<br />

verhalten. In einer Gesellschaft, welche<br />

ihre Maßstäbe relativ eng definiert,<br />

sind die individuellen Möglichkeiten, die<br />

<strong>als</strong> »normal« angesehen sind, damit relativ<br />

eingeschränkt im Vergleich zu einer<br />

vielfältigen Gesellschaft, welche eine<br />

möglichst große Bandbreite an »Normalitäten«<br />

unbewertet gleichberechtigt bietet.<br />

Politik versus kommerzielle Realität<br />

Hierzulande scheinen von gesetzgeberischer<br />

Seite für Gleichberechtigung und<br />

freie Wahl des <strong>Leben</strong>sentwurfs die Weichen<br />

ja prinzipiell gestellt zu sein. Dennoch<br />

sind wir innerhalb dieses gesetzlich<br />

kreierten Schutzraumes weniger frei, <strong>als</strong><br />

wir vielleicht annehmen würden – und<br />

dies von Geburt an. So hat zum Beispiel<br />

die Dominanz von rosablauen Farbwelten,<br />

die sich marketingtechnisch sehr offensiv<br />

gezielt an »Jungen« und »Mädchen«<br />

richten, in den letzten Jahren empirisch<br />

nachweisbar nicht ab- <strong>so</strong>ndern zugenommen.<br />

Aller theoretisch geäußerten Offenheit,<br />

gesetzlichen Regelungen und auch<br />

vielfachen Bemühungen in den Familien<br />

entgegenstehend besteht mindestens die<br />

»kommerzielle« Realität von Kindern aus<br />

ständig vorgenommenen, nachweislich<br />

<strong>so</strong>gar mehr und mehr erstarkenden Farb-<br />

und Rollenbildfestlegungen.<br />

Dieser Artikel will diese althergebrachten<br />

oder auch neu belebten Stereo-<br />

4/2011 unerzogen 17


Blaue oder rosa Socken,… Haarbürsten für <strong>das</strong> Mädchen und den Jungen,… selbst Nuckel sind farblich »korrekt« erhältlich.<br />

Babys werden erkennbar weiblich,…<br />

oder, beim Autoverkauf, erkennbar männlich…<br />

dargestellt – wie die rosa Blume für <strong>das</strong> Mädchen.<br />

type im kommerziellen Erlebnisfeld von<br />

Kinderprodukten anhand einer Fotorecherche<br />

im Einkaufszentrum nebenan<br />

verdeutlichen.<br />

Die rosa-blaue Erstausstattung<br />

Wenden sich werdende Eltern an den Babymarkt<br />

ihres Vertrauens, um dort die<br />

Erstausstattung für ihr Baby zu kaufen,<br />

werden sie überflutet von einer Masse<br />

an Produkten, deren Sinn und Notwendigkeit<br />

<strong>so</strong>wie<strong>so</strong> in Frage gestellt werden<br />

könnte. Wenn sie sich entscheiden, wasauch-immer<br />

für <strong>das</strong> noch un- oder gerade<br />

neugeborene Menschenkind zu kaufen,<br />

ist der Großteil dieser Artikel in<br />

doppelter Ausführung vorhanden, in geschlechtsspezifisch<br />

unterschiedlichen<br />

Designs, in der Regel eingefärbt in die<br />

seit den 1930er Jahren geschlechtsstereotypen<br />

Farben hellblau für Jungen und<br />

rosa für Mädchen. Vorher übrigens war<br />

die Farbzuschreibung andersherum, galt<br />

doch hellblau <strong>als</strong> zarte, ruhige, dezente<br />

Farbe und rosa, insbe<strong>so</strong>ndere in stärkerem<br />

Ton, <strong>als</strong> kräftiger, lebhafter und jungengeeigneter.<br />

Heutzutage jedoch sind Produkte in<br />

der <strong>so</strong> genannten »Mädchenfarbe« rosa<br />

zumeist mit Blümchen, niedlichen Tieren<br />

oder Prinzessinnen bedruckt, während<br />

auf blauer »Jungen«-Kleidung und<br />

Pflegeartikeln meistenteils Autos, Roboter,<br />

Raumschiffe oder ähnliche Vehikel<br />

aufgebracht sind.<br />

Da finden sich Kinderwagenketten<br />

in rosa mit Pferdchen und Blümchen, in<br />

blau mit Piraten und Schiffen; Schlafsäcke<br />

mit Traktoren in blau und Bienchen<br />

und Schmetterlingen in rosa; Krabbelteppiche<br />

mit angehängten Püppchen in rosa<br />

und Teddybären in blau. Viele Firmen bieten<br />

<strong>das</strong> identische Produkt in zwei ver-<br />

schiedenen Ausführungen an, nach Farbe<br />

<strong>so</strong>rtiert. Aufdrucke auf Babyfläschchen<br />

reproduzieren Rosa-Blau-Klischees eben<strong>so</strong><br />

wie <strong>so</strong>lche auf Nuckeln: Autos und<br />

Flugzeuge auf blau gestalteten Produkten,<br />

Blümchen, niedliche Krabbeltierchen und<br />

Feen auf rosa- oder lilafarbigen.<br />

Schon Babys werden <strong>als</strong> »männlich«<br />

oder »weiblich« erkennbar fotografiert<br />

Die Kinder, welche Kinderprodukte bewerben<br />

und hierfür auf entsprechenden<br />

Verpackungen abgebildet sind, sind im<br />

Großteil der Fälle nach gesellschaftlichen<br />

Konventionen eindeutig geschlechtsbezogen<br />

kategorisiert, angefangen bei den<br />

Säuglingen und Kleinstkindern: Fotos<br />

von mit Poloshirts möglichst »männlich«<br />

bekleideten Babys versus mit Haarspangen<br />

und Kleidchen »weiblich« gekleideten<br />

Babys zieren bereits Babyspielzeug<br />

und -pflegeartikel.<br />

Kinder sind Frauensache, mindestens<br />

in der Werbung<br />

Väter spielen beim Kauf und der Nutzung<br />

all dieser Produkte eine Hintergrundrolle,<br />

genau genommen sind sie<br />

nicht existent: Auf keiner der untersuchten<br />

Kinderpflege-Produktpackungen war<br />

ein Mann abgebildet, auf nur einem einzigen<br />

Babyspielzeug fand sich in einer<br />

Variante ein Vater; nach wie vor sind – jedenfalls<br />

den Verpackungen zufolge, die<br />

damit aber eben auch <strong>das</strong> öffentlich-kommerziell<br />

wahrnehmbare Bild bestimmter<br />

Produktgruppen repräsentieren – fast<br />

ausschließlich weibliche erwachsene Per<strong>so</strong>nen<br />

abgebildet.<br />

Diese Asymmetrie findet sich <strong>so</strong>gar<br />

textlich ganz offensichtlich in der Bewer-<br />

18 unerzogen 4/2011 www.unerzogen-magazin.de


Kinder sind Frauensache, bei Zubehör… oder bei Babynahrung. Jungs spielen mit LKWs oder…<br />

bung mancher Produkte, beispielsweise<br />

von Wickeltaschen, wieder: »speziell<br />

für die Bedürfnisse von Mutter und Kind<br />

konzipiert«. Die Fokussierung auf Frauen<br />

setzt sich auch in einschlägigen Werbekatalogen<br />

fort: Bis auf einige wenige<br />

Alibi-Bilder bleiben männliche Bezugsper<strong>so</strong>nen<br />

bei der Bewerbung von Kinderpflegeartikeln<br />

außen vor.<br />

Kinderwelt imitiert Erwachsenenwelt<br />

Der Produktbebilderung auf Spielzeugverpackungen<br />

zufolge ist <strong>das</strong> Thema Kinderpflege<br />

dann auch nach wie vor analog<br />

zur Erwachsenenbilderwelt für kleine<br />

Jungs praktisch nicht von Belang, für kleine<br />

Mädchen-«Puppenmuttis« dafür aber<br />

an den immer größer werdenden rosafarbigen<br />

Spielzeugladenwänden um<strong>so</strong> mehr.<br />

Auf keiner Puppenpackung in einer großen<br />

Filiale einer deutschen Spielwarenladenkette<br />

war ein stereotyp <strong>als</strong> »Junge« interpretierbares<br />

Kind abgebildet.<br />

Sämtliche Verpackungen zeigten entweder<br />

stereotype »Mädchen«, waren in<br />

hohem Maße rosa eingefärbt – oder beides.<br />

Ähnliches lässt sich in der häufig in<br />

unmittelbarer Nähe zur »Puppenabteilung«<br />

befindlichen Spielzeug-Haushaltswarenabteilung<br />

nachweisen – auf den<br />

meisten Kinderküchen und nachgebildeten<br />

Haushaltsprodukten werden stereotype<br />

Mädchen abgebildet, der Trend<br />

geht zudem massiv in Richtung »Rosifizierung«<br />

der Verpackungen, wenngleich<br />

einige wenige Unternehmen hier anders<br />

agieren. Selbst nachgebildete Einkaufsprodukte<br />

oder Bastelspiele werden jedoch<br />

in der Überzahl der Fälle rosa und<br />

mit Mädchen bebildert – im Gegensatz<br />

zu Verpackungen von Spielzeug wie<br />

Schiebeautos, Eisenbahnen, Spielzeugtraktoren,<br />

Kinderwerkzeug oder Baustei-<br />

www.unerzogen-magazin.de<br />

nen. Auf <strong>so</strong>lchen Packungen finden sich<br />

fast ausschließlich <strong>als</strong> Jungen typisierte<br />

Kinder, bei den für die Produktgestaltung<br />

genutzten Farben dominiert Blau,<br />

teilweise in Kombination mit leuchtenden,<br />

lebendigen wie Feuerrot oder knalligem<br />

Sonnengelb. Rosa kommt – bis auf<br />

den Fall eines Unternehmens, bei welchem<br />

ein Pink-Ton zur Unternehmensidentität<br />

gehört und daher auf allen Verpackungen<br />

aufgebracht ist – nicht vor.<br />

Aus der in Spielzeugläden vielfach<br />

üblichen Produktanordnung nach Spielzeug<strong>so</strong>rten<br />

ergeben sich damit massiv<br />

rosa versus blau gefärbte Ecken, in welchen<br />

je nach Farbe Fotos von »Mädchen«<br />

beziehungsweise »Jungen« extrem dominieren.<br />

Teilweise wird diese Trennung<br />

unternehmensseitig noch verstärkt, zum<br />

Beispiel durch ladeneigene Beschilderungen<br />

mit stilisierten Mädchen- oder<br />

Jungen-Abbildungen oder großformatige<br />

Foto-Werbungen, die entsprechend angepasst<br />

aufgehängt werden.<br />

Kommerzialisierte Farbschemata:<br />

Farbeinfluss auf <strong>das</strong> Kaufverhalten<br />

Die Farbe eines Kinderprodukts, <strong>so</strong>wohl<br />

bei Kleidung wie auch bei Pflege- und<br />

Spielzeugartikeln, wird einer anlässlich<br />

dieses Artikels vor zwei Berliner Spielzeugläden<br />

nicht-repräsentativ durchgeführten<br />

Umfrage zufolge in vielen Fällen<br />

bei der Kaufentscheidung einbezogen.<br />

Ein Großteil der Befragten gab an, die<br />

Produktfärbung und -gestaltung berücksichtigt<br />

und sich vielfach, teilweise gefühlt<br />

unfreiwillig, an geschlechtsstereotype<br />

Vorgaben auf der Verpackung gehalten<br />

zu haben. Auch die Kinder selbst bewegen<br />

sich, je mehr sie hiermit in Berührung<br />

kommen, schnell innerhalb dieser kommerzialisierten<br />

Farb- und Bildschemata.<br />

fahren mit dem Traktor »aufs Feld«.<br />

Mädchen <strong>so</strong>llen sich um Küche,…<br />

Wäsche und Haushalt kümmern.<br />

4/2011 unerzogen 19


Für den Jungen: <strong>das</strong> Auto in blau,…<br />

für <strong>das</strong> Mädchen: <strong>das</strong> »weibliche« Auto in rosa.<br />

Heute noch TinkerBell, morgen schon Modemagazine.<br />

Vom Superheldfan zum Dinojäger mit Waffen.<br />

Als für alle Kinder gleichermaßen geeigneter<br />

»Standard« wird, wenn überhaupt,<br />

üblicherweise <strong>das</strong> nicht rosafarbene<br />

Produkt angesehen. Rosafarbene<br />

»Mädchenprodukte« sind damit die Ausnahme<br />

von der Regel und werden üblicherweise<br />

Jungen nicht angeboten. Es<br />

gibt <strong>so</strong>gar »Rosa«-Produkte, welche auch<br />

sprachlich explizit nur an Mädchen gerichtet<br />

sind: So finden sich zum Beispiel<br />

bei Produkten der Filly-Pferdchen-Serie<br />

Textbeschreibungen, welche sich auf mädchen-klischeehaft<br />

gestalteter Verpackung<br />

an »Deine Freundinnen und Dich« richten.<br />

Kinder – Konsumenten von<br />

heute, morgen und übermorgen<br />

Schon die frühe Kindheit ist ein Markt,<br />

welcher sich im bestfunktionierenden<br />

Falle selbst nährt, aber auch auf die zukünftige<br />

möglichst gut steuerbare Einbindung<br />

in ebendiesen vorbereitet – später<br />

in der Kindheit, in der Jugend und<br />

schließlich im Erwachsenenleben:<br />

Aus den Blümchen, Feen, Prinzessinnen<br />

und Pferdchen der rosa Babyphase werden<br />

in großem Stil rosa Spielzeugangebote<br />

wie Kämmpferde, Babypuppen, taillierte<br />

Anziehpuppen und rosa Zeitschriften<br />

mit Nagellackpröbchen bereits für die Altersgruppe<br />

3 bis 5, die sich dann in den alter<strong>so</strong>rientierten<br />

Angeboten für die 6- bis<br />

8- und dann 8- bis 13-jährigen weiterentwickeln<br />

in auf die Themen Mode, Schönheit<br />

und Modeln orientierte Produkte. Hieran<br />

schließen sich dann praktisch nahtlos mit<br />

Diäten, Make-Up und Mode befasste Angebote<br />

für junge Frauen an.<br />

Eine plastische Verdeutlichung hierzu<br />

sind die mannigfaltigen Ausgaben<br />

rosafarbig dominierter »Mädchen«-Zeitschriften<br />

und deren Inhalte: Ihr möglichst<br />

früh gewecktes Interesse für die<br />

richtige Art, einen Tisch zu dekorieren,<br />

sich »schön zu machen« und zu kokettieren<br />

macht die Lillifee-Leserin von heute<br />

mit erhöhter Wahrscheinlichkeit zur<br />

Mädchen- oder Girl!-Leserin ihrer Jugend<br />

und zur Frauenzeitschriftenkonsumentin<br />

ihrer erwachsenen Zukunft.<br />

Entsprechend funktionieren auch die<br />

»Jungen«-Spiel- und Themenwelten: Aus<br />

den Autos, niedlichen Superheldenaufdrucken<br />

und Minimonstern der »Jungs«-<br />

Kleinkindproduktreihen werden vielfach<br />

diese Motive in schon wilderer Form aufgreifende<br />

Produkte für die »Jungs«-Al-<br />

tersgruppe 3 bis 5: schnellere, kantig designte<br />

Autos, wildere Superhelden und<br />

gruseligere Monster, die sich spätestens<br />

noch eine Altersgruppe höher in sich<br />

gegenseitig bekämpfende Monster und<br />

Superhelden verwandeln, Waffen und<br />

technisches Zubehör <strong>als</strong> Acces<strong>so</strong>ires mitbringen<br />

und zu actionreichem, körperliche<br />

Auseinandersetzung und physische<br />

Betätigung forderndem Spiel einladen.<br />

Oder, um bei dem Zeitschriftenbild<br />

zu bleiben: Der an schnellen Gefährten,<br />

technischer Ausrüstung und ähnlichem<br />

frühzeitig kommerziell interessierte Junge<br />

wird bei fortgesetzter werbetechnischer<br />

Förderung auch zukünftig und<br />

bis ins Jugend- und Erwachsenenalter<br />

hinein ein produkttechnisch potentiell<br />

gut beeinflussbarer, männlicher Konsument<br />

mit möglichst vorhersagbaren Produktinteressen<br />

sein.<br />

Wichtig daher: Dies thematisieren<br />

Wir leben in einer kommerzialisierten Gesellschaft,<br />

und wir <strong>so</strong>llten uns bewusst<br />

sein, <strong>das</strong>s die <strong>Leben</strong>srealität von uns allen<br />

hierdurch in mannigfaltiger Weise beeinflusst<br />

wird. Diese Beeinflussung betrifft<br />

auch die ganz jungen Menschen, die sich<br />

ihr Verständnis von der sie umgebenden<br />

Welt gerade erst zu schaffen beginnen.<br />

Selbst, wenn sich die älteren Menschen<br />

im Umfeld von Kindern nicht nach traditionellen<br />

Rollenbildern verhalten und<br />

sich für alternative <strong>Leben</strong>s- und Umgangsformen<br />

entschieden haben: Die rosa<br />

Prinzessinnen-Puppen-Haarspangen-<br />

Schönheitswelten versus blaue Piraten-<br />

Ritter-Autos-Wildsei-Superhelden-Welten<br />

dominieren mindestens im herkömmlichen<br />

Spielzeug- und Kinderkleidungshandel,<br />

im Supermarkt bei auf Kinder abzielenden<br />

Süßigkeiten-Verpackungen, in der<br />

Drogerie bei Kinder-Kosmetikprodukten,<br />

im Zeitschriftenladen bei den Kinderzeitschriften,<br />

im Schreibwarenladen bei den<br />

Hefte-Etiketten und <strong>so</strong> weiter. Es ist damit<br />

fast unmöglich, diese zu vermeiden –<br />

und daher um<strong>so</strong> wichtiger, im gemeinsamen,<br />

gleichberechtigten Gespräch die<br />

Auswüchse dieser Konsum»kultur« immer<br />

wieder zu diskutieren und offenzulegen.<br />

Und natürlich: Genau<strong>so</strong> uns selbst<br />

und unser Handeln (nicht nur) bei unseren<br />

Exkursen in diese Konsumwelt immer<br />

wieder kritisch zu hinterfragen.<br />

�<br />

20 unerzogen 4/2011 www.unerzogen-magazin.de


Impressum<br />

Herausgeber: Sören Kirchner<br />

Chefredakteurin: Sabine Reichelt (sr) (V.i.S.d.P.)<br />

Redaktion: Johanna Gundermann (jgm)<br />

Layout: Sören Kirchner<br />

Anschrift Redaktion und Verlag:<br />

Redaktion »unerzogen«<br />

tologo verlag<br />

Garskestr. 31<br />

04205 Leipzig<br />

Tel: 0341/2562069 Fax: 0341/2562075<br />

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Geschäftsführer: Sören Kirchner<br />

Anzeigen:<br />

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von 2,50 Euro pro Heft an.<br />

Alle Anfragen zum Abonnement bitte an:<br />

Abo-Service »unerzogen«<br />

Garskestr. 31<br />

04205 Leipzig<br />

abo@unerzogen-magazin.de<br />

ISSN: 1865-0872<br />

Redaktionsschluss: 28.02.2012<br />

Übersetzungen aus dem Englischen:<br />

Lena Rohrbach, Andreas Pittrich, Manuela Schauerhammer<br />

und Susanne Schmidt-Wus<strong>so</strong>w (Seite 25-31)<br />

Bilder in diesem Heft:<br />

kallejipp – photocase.com (Seite 6)<br />

kallejipp – photocase.com (Seite 13)<br />

designritter – photocase.com (Seite 14)<br />

benicce – photocase.com (Seite 16)<br />

Andreas Praefcke – wikipedia.org (Seite 23)<br />

clautsch – photocase.com (Seite 32)<br />

cherry-merry – fotolia.com (Seite 46)<br />

leicagirl – photocase.com (Seite 52)<br />

manun – photocase.com (Seite 59)<br />

Alle anderen Bilder sind Eigentum der Redaktion oder<br />

des jeweiligen Autors bzw. Interviewpartners.<br />

Richten Sie Leserbriefe an:<br />

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Für unverlangt eingesandte Manuskripte und Fotos wird<br />

nicht gehaftet; Rücksendung nur gegen Rückporto. Nachdruck<br />

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der Vertriebsfirma oder infolge höherer Gewalt<br />

bestehen keine Ansprüche gegen den Verlag.<br />

Namentlich gekennzeichnete Beiträge werden von den<br />

Autoren selbst verantwortet und geben nicht in jedem<br />

Fall die Meinung der Redaktion wieder.<br />

Nächstes Heft 1/12:<br />

März 2012<br />

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