Ist der Zug schon abgefahren? - Gesamtkirchengemeinde Schwäbisch Hall
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© pixelio.de<br />
GLAUBE 50 JAHRE IN ZWEITES DER ZEITVATIKANISCHES<br />
KONZIL<br />
Kirche bei den Menschen<br />
Plötzlich und unerwartet stand die Nachricht im Raum. Als Übergangskandidat<br />
gewählt, verblüffte <strong>der</strong> <strong>schon</strong> ältere und kränkliche<br />
Papst Johannes XXIII nicht nur die katholische Kirche, son<strong>der</strong>n auch<br />
die Welt mit seiner Absicht, ein Konzil einzuberufen. Das zeichenhafte<br />
Öffnen <strong>der</strong> Fenster ist in die Geschichte eingegangen: frischer<br />
Wind sollte wie<strong>der</strong> durch die alten Gemäuer <strong>der</strong> Kirche strömen.<br />
Bei <strong>der</strong> römischen Kurie stieß das Vorhaben des Papstes nicht auf<br />
Gegenliebe. Mit dem letzten Konzil, dem Ersten Vatikanischen Konzil<br />
sei alles gesagt, so die dortige Meinung. Die, von <strong>der</strong> Kurie auf<br />
Wunsch des Papstes entworfenen, 73 Beratungsschemata zeugten<br />
daher vom Geist früherer und vergangener Zeiten.<br />
Konziliarer Prozess<br />
Die Bischöfe aus allen Teilen <strong>der</strong> Welt weigerten sich, die Schemata<br />
ab zu nicken. Es war ein folgenreicher Akt <strong>der</strong> bischöflichen Selbstbehauptung.<br />
Sie wollten die anstehenden Fragen selbst erörtern<br />
und stießen so einen wahrhaft konziliaren Prozess an.<br />
Die Zeiten hatten sich gewandelt. Die Kirche musste Stellung beziehen:<br />
zum Schrecken des Zweiten Weltkriegs und dem Versagen<br />
<strong>der</strong> Katholischen Kirche, zur Suche nach Sinn und geistlicher Ortlosigkeit<br />
vieler Menschen, aber auch zum bedrohten Frieden durch<br />
die beginnende Hochrüstung in Ost und West. Die Bischöfe wollten<br />
auf <strong>der</strong> Grundlage des Evangeliums Antworten auf die Fragen <strong>der</strong><br />
Menschen geben. Sie waren <strong>der</strong> Überzeugung, dass die Kirche mitten<br />
in <strong>der</strong> Welt bei den Menschen sein muss. Dabei nahmen sie sich<br />
den, von Papst Johannes XXIII geprägten, Begriff „aggiornamento“<br />
zu eigen. Die Kirche solle sich auf den Stand <strong>der</strong> Zeit bringen. Nicht<br />
indem sie sich dem Zeitgeist anbietet und je<strong>der</strong> Mode nachläuft,<br />
son<strong>der</strong>n sich dem Dialog <strong>der</strong> Mo<strong>der</strong>ne stellt und die aktuellen Herausfor<strong>der</strong>ungen<br />
<strong>der</strong> Menschen aufgreift.<br />
Stunde <strong>der</strong> jungen Theologen<br />
Junge Theologen, wie Josef Ratzinger, Karl Lehmann, Hans Küng,<br />
Karl Rahner, Bernhard Häring, o<strong>der</strong> die beiden Dominikaner Yves<br />
Congar und Edward Schillebeeckx profilierten sich als Berater ihrer<br />
Bischöfe. Es war oft die Stunde dieser Männer, die die Kraft, den<br />
Geist und oft auch den Mut hatten, die fertigen Vorlagen <strong>der</strong> Kurie<br />
infrage zu stellen. In nächtlichen Aktionen und mit primitiven Vervielfältigungsgeräten<br />
schufen die jungen Theologen Gegentexte zu<br />
den kurialen Schemata und entwarfen zeitgemäße Antworten auf<br />
die Anliegen <strong>der</strong> Menschen.<br />
Weltweite Kirche<br />
Ohnehin öffnete das Konzil den Horizont <strong>der</strong> Kirche. Sie sah sich<br />
als pilgerndes Volk Gottes in <strong>der</strong> Welt, als eine Gemeinschaft, in <strong>der</strong><br />
alle zunächst einmal in ihrer Würde als Christen gleich sind und die<br />
Ämter nur als ein Dienst innerhalb dieser Gleichheit zu verstehen<br />
sind. Aus Häretikern und Schismatiker wurden „getrennte Brü<strong>der</strong>“<br />
im Glauben. Und die Bischöfe entdeckten die Kollegialität ihrer<br />
Gemeinschaft. Kirche ist wie ein Netz von bischöflich verfassten<br />
Ortskirchen, die untereinan<strong>der</strong> in enger Gemeinschaft (Communio)<br />
stehen. Der weltweite Aspekt wurde auch beim Einzug in die Peterskirche<br />
deutlich, denn Bischöfe verschiedener Hautfarben und<br />
Nationalitäten prägten das Bild.<br />
Kirche <strong>der</strong> Armen<br />
Dass das Konzil auch ganz konkret Antworten auf soziale Fragen<br />
<strong>der</strong> Menschen geben muss, lag auf <strong>der</strong> Hand. Zu Beginn des Konzils<br />
sprach Johannes XXIII von <strong>der</strong> Kirche <strong>der</strong> Armen. Er wollte darauf<br />
aufmerksam machen, dass die Armen die Kirche überhaupt repräsentierten.<br />
„Sie sind die Mehrheit des Volkes Gottes in <strong>der</strong> heutigen<br />
Welt.“ 40 Bischöfe griffen das Motto im sogenannten Katakombenpakt<br />
auf und versprachen sich gegenseitig, ein einfaches Leben zu<br />
führen und den Machtinsignien zu entsagen, sowie einen Pakt mit<br />
den Armen zu schließen.<br />
<strong>Ist</strong> <strong>der</strong> <strong>Zug</strong> <strong>abgefahren</strong>?<br />
Wenn man Zeitgenossen des Konzils nach ihren Eindrücken fragt, so<br />
ist oft die Begeisterung zu spüren, die sie erfüllte. Sie sprechen vom<br />
Geist des Aufbruchs, <strong>der</strong> die Kirche erfasst habe und reden von <strong>der</strong><br />
Öffnung <strong>der</strong> Kirche zur Welt, die viele <strong>der</strong> verkrusteten Institution<br />
gar nicht zugetraut hätten.<br />
Nicht wenige von damals sind frustriert. Ihre Hoffnungen und Visionen<br />
wurden nicht erfüllt. Sie sehen das offene Fenster von damals<br />
als längst geschlossen, wenn nicht sogar zugenagelt an. Sie<br />
bemängeln, dass die Fragen, die vor 50 Jahren gestellt wurden, bis<br />
heute noch nicht beantwortet seien. Sie sind entmutigt und trauen<br />
<strong>der</strong> Kirche keine Verän<strong>der</strong>ungskraft mehr zu. Viele haben resigniert.<br />
50 Jahre Konzil. Alois Glück vom Zentralkomitee <strong>der</strong> deutschen Katholiken<br />
hat Recht, wenn er sagt, dass sich die Kirche nicht in die<br />
Sakristei zurückziehen dürfe. Kirche bei und unter den Menschen<br />
war das große Ergebnis des Zweiten Vatikanischen Konzils. Dieses<br />
Erbe gilt es zu bewahren, aber auch immer wie<strong>der</strong> neu zu beleben<br />
und in die Gegenwart zu übersetzen. Der Dialogprozess ist ein erster<br />
und wichtiger Schritt dazu. Weitere müssen folgen, damit das<br />
Konzil nicht nur Geschichte bleibt. Dann ist <strong>der</strong> <strong>Zug</strong> auch nicht<br />
<strong>abgefahren</strong>, son<strong>der</strong>n er steht bereit, um mit den Menschen zum<br />
neuen Aufbruch zu fahren. Wolfram Rösch<br />
Information:<br />
Von Januar bis März findet in St. Markus eine Bildungsreihe<br />
zum Zweiten Vatikanischen Konzil statt. Im Mittelpunkt<br />
stehen die Vorgeschichte, die Texte, die Erinnerung <strong>der</strong> Zeitzeugen<br />
und die Bedeutung des Konzils für die heutige Kirche.<br />
Nähere Informationen gibt es auf <strong>der</strong> Homepage, im KEB Bildungsprogramm,<br />
und im nächsten FORUM.<br />
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