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Politik<br />
Geborgenheit und Wärme. Die wichtigste<br />
Bezugsperson war ihre Großmutter.<br />
Beate Zschäpe fühlte sich als typisches<br />
„Omakind“.<br />
Höchstwahrscheinlich hat Zschäpe,<br />
wie in der DDR üblich, Kinderkrippe und<br />
Kindergarten besucht. Belege existieren<br />
nicht mehr. Unklar bleibt auch, wo sie als<br />
Sechsjährige eingeschult wurde. Ab der<br />
vierten Klasse lernte sie in der Goetheschule<br />
in Jena-Winzerla. 1991 schloss sie<br />
die 10. Klasse mit dem Prädikat „gut“ ab.<br />
Was Zschäpe unmittelbar danach<br />
machte, konnten die Fahnder bislang<br />
nicht herausfinden. Laut ihrer Mutter<br />
wollte sie eine Lehre als Kindergärtnerin<br />
beginnen, doch das habe nicht geklappt.<br />
Im Juni 1992 vermittelte ihr die Stadtverwaltung<br />
Jena eine Arbeitsbeschaffungs-Maßnahme<br />
(ABM) als Malergehilfin,<br />
1480 D-Mark brutto. Der Job sagte<br />
ihr nicht zu. Mehrmals fehlte sie unentschuldigt,<br />
schließlich schmiss sie hin.<br />
Obwohl es nicht ihr Traumberuf war,<br />
begann Zschäpe im Herbst 1992 eine<br />
dreijährige Ausbildung zur Gärtnerin,<br />
Fachrichtung Gemüsebau. Die Lehre<br />
beendete sie mit der Note „befriedigend“.<br />
<strong>Nach</strong> einem Jahr Arbeitslosigkeit<br />
erhielt sie im September 1996 erneut<br />
eine ABM-Stelle, wieder als Malergehilfin,<br />
in der städtischen Jugendwerkstatt.<br />
Dem damaligen Leiter blieb sie als<br />
„intelligent und engagiert“ in Erinnerung.<br />
Im August 1997 lief die Maßnahme<br />
aus. Zschäpe meldete sich wochenlang<br />
krank und dann arbeitslos.<br />
Zschäpes Mutter: »Irgendwann in<br />
das rechte Milieu abgeglitten«<br />
Zu dieser Zeit verkehrte sie längst mit<br />
zwei stadtbekannten Neonazi-Größen:<br />
Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt. In<br />
Mundlos, den Professorensohn, verliebte<br />
sie sich. Zschäpes Mutter schwärmt<br />
noch heute <strong>von</strong> dem „kommunikativen,<br />
sehr freundlichen und zuvorkommenden“<br />
Mann. Böhnhardt, mit dem ihre<br />
Tochter später liiert war, sei ihr „nicht<br />
so sympathisch“ gewesen. Irgendwann<br />
sei ihre Tochter – wahrscheinlich unter<br />
damit kam<br />
sie überall<br />
durch . . .<br />
Falsche Papiere<br />
Beate Zschäpe lebte<br />
unter neun Alias- und<br />
Decknamen, die sie<br />
wahlweise beim Zahnarzt,<br />
beim Optiker,<br />
in der Bahn und im<br />
Baumarkt benutzte<br />
dem Einfluss der beiden Freunde – „in<br />
das rechte Milieu abgeglitten“.<br />
Dies blieb auch dem Thüringer Verfassungsschutz<br />
nicht verborgen. In den<br />
Akten spielt Zschäpe erstmals im August<br />
1995 eine Rolle: Zusammen mit Mundlos<br />
besuchte sie ein Treffen der Anti-Antifa<br />
Ostthüringen. Danach kreuzte die<br />
junge Frau immer wieder bei rechtsradikalen<br />
Treffen und Konzerten auf. Im<br />
September 1995 bewarfen Zschäpe und<br />
Böhnhardt das Mahnmal der Opfer des<br />
Faschismus in Rudolstadt mit Eiern. Zwei<br />
Monate später wurden Zschäpe, Mundlos<br />
und Böhnhardt festgenommen. In<br />
Böhnhardts Auto fand die Polizei Faustkampfmesser,<br />
Sturmhauben, Schlagstöcke<br />
und Propagandamaterial.<br />
1996 und 1997 machten Jenaer Neonazis<br />
mit Sprengstoff- und Briefbombenattrappen<br />
auf sich aufmerksam. Das<br />
militante Trio zählte schnell zu den Verdächtigen<br />
und blieb unter Beobachtung.<br />
Anfang 1998 entdeckte die Polizei in<br />
einer <strong>von</strong> Zschäpe angemieteten Garage<br />
vier funktionsfähige Rohrbomben und<br />
1,4 Kilogramm Sprengstoff. Zudem stellten<br />
Ermittler eine Diskette sicher, deren<br />
Text sich liest wie eine Ankündigung der<br />
späteren Verbrechen. Wörtlich heißt es:<br />
„ALIDRECKSAU WIR HASSEN DICH“.<br />
Einem „Türkenschwein“ müsse man das<br />
„Gesicht zertreten“.<br />
Die Gewaltdrohung, der Sprengstoff,<br />
das gespenstische Weltbild des Trios –<br />
den Sicherheitsbehörden hätte durchaus<br />
auffallen können, dass man es nicht mit<br />
irgendwelchen Maulhelden zu tun hatte.<br />
Spätestens nach dem ersten Mord<br />
an einem türkischen Einwanderer im<br />
Herbst 2000 lag nahe, die Bande aus<br />
Jena in den Kreis der potenziellen Täter<br />
aufzunehmen. Zumal der Verfassungsschutz<br />
laut Aktenlage wusste, dass sich<br />
Zschäpe und Konsorten mit Waffen eingedeckt<br />
hatten. Doch selbst nach dem<br />
neunten Mord 2006 hatte niemand die<br />
radikalen Thüringer auf der Rechnung.<br />
<strong>Nach</strong> der Flucht aus Jena gaben sich<br />
Zschäpe & Co. größte Mühe, für die<br />
Strafverfolger unsichtbar zu bleiben.<br />
Zwischen 1998 und 2011 lebten sie in<br />
Jurist mit schwerem Stand<br />
Wolfgang Stahl aus Koblenz verteidigt<br />
Beate Zschäpe zusammen mit seinem<br />
Kölner Kollegen Wolfgang Heer.<br />
Derzeit raten sie ihrer Mandantin<br />
dringend, die Aussage zu verweigern<br />
mindestens fünf konspirativen Wohnungen<br />
in Chemnitz und Zwickau. Sie zogen<br />
Schallschutzdecken ein, ließen spezielle<br />
Türen einbauen und klemmten Minikameras<br />
in die Blumenkästen, um unliebsame<br />
Besucher rechtzeitig zu erkennen.<br />
Von Szene-Freunden erhielten sie<br />
Mobiltelefone, Ausweise und Geld. Die<br />
Miete beglichen sie per Bareinzahlung,<br />
zum Arzt gingen sie nur, wenn es unbedingt<br />
sein musste – selbstverständlich<br />
mit falschen Papieren. Am 2. Mai 2006<br />
ließ sich Beate Zschäpe bei einer Zahnärztin<br />
in Halle (Saale) behandeln. Am<br />
Schalter zeigte sie eine auf „Silvia Rossberg“<br />
ausgestellte AOK-Karte vor.<br />
So beschwerlich und risikoreich diese<br />
Art zu leben war, mit der Zeit gewöhnte<br />
sich Zschäpe daran. Sie ging zum Friseur<br />
24 Focus 4/2012<br />
Focus 4/2012 25<br />
Foto: T. Wegner/FOCUS-Magazin<br />
und kaufte in Klamottenläden ein, etwa<br />
in den Zwickau Arcaden. In einer Videothek<br />
war sie ab 2007 Stammkunde (sie<br />
lieh 280 Filme und sechs Computerspiele<br />
aus), den <strong>Nach</strong>barn spendierte sie Familienpizza<br />
und Schaumwein, ihre Katzen<br />
brachte sie regelmäßig zur Tierärztin.<br />
Vermutlich wäre alles so weitergelaufen,<br />
so unnormal normal, wäre nicht ein<br />
aufmerksamer Zeuge zur richtigen Zeit<br />
am richtigen Ort gewesen. Er beobachtete<br />
am 4. November 2011 in Eisenach<br />
zwei Männer, die ihre Fahrräder in ein<br />
Wohnmobil schmissen und da<strong>von</strong>rasten.<br />
Es waren Mundlos und Böhnhardt, die<br />
bei einem Bankraub gerade 75 000 Euro<br />
erbeutet hatten. Polizisten konnten den<br />
Caravan kurz darauf ausfindig machen,<br />
die beiden Insassen brachten sich um.<br />
Für die Dritte im Bunde ging es nunmehr<br />
um alles oder nichts.<br />
Bevor sich Zschäpe in Jena stellte,<br />
wollte sie zu ihrer Großmutter<br />
Um Beweise zu vernichten, schüttete<br />
Beate Zschäpe in der Zwickauer Wohnung<br />
des Trios Benzin aus. Sie legte Feuer,<br />
dann rannte sie aus dem Haus. In den<br />
nächsten fünf Tagen fuhr die meistgesuchte<br />
Frau Deutschlands mit der Bahn<br />
kreuz und quer durch die Republik<br />
(siehe S. 27). Vermutlich wollte sie Zeit<br />
gewinnen, um eine Entscheidung über<br />
ihre Zukunft zu treffen. Sie hatte drei<br />
Möglichkeiten: im Untergrund bleiben,<br />
sich das Leben nehmen – oder aufgeben.<br />
<strong>Nach</strong>dem sie 1996 erstmals in Polizeigewahrsam<br />
gekommen war, sagte Beate<br />
Zschäpe zu ihrer Mutter, sie werde sich<br />
„nie wieder“ festnehmen lassen. Jetzt<br />
hatte sie nur noch einen Wunsch: dass<br />
alles vorbei sein möge, endlich.<br />
Sie war müde und schmutzig, ihre Kleider<br />
stanken. Die Zigaretten der Marke<br />
Power Gold waren fast aufgebraucht. Sie<br />
wusste, dass die Zeit der Flucht abgelaufen<br />
war und eine neue beginnen würde<br />
– im Gefängnis. Zuvor wollte sie noch<br />
einmal ihre Familie sehen.<br />
Am Morgen des 8. November streifte<br />
Zschäpe, braune Jacke, schwarze Hose,<br />
rote Freizeitschuhe, durch den Jenaer<br />
Stadtteil Löbstedt. Hier teilen sich ihre<br />
Mutter und ihre geliebte Großmutter<br />
eine Wohnung in der ersten Etage eines<br />
Plattenbaus. Doch Zschäpe kam nicht<br />
durch. Überall standen Polizisten. Bis