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"101 Köpfe und Meer", Hommage an Peter Brasch - Petra Schramm

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„<strong>101</strong> <strong>Köpfe</strong> <strong>und</strong> Meer“<br />

Rede zur Ausstellungseröffnung von <strong>Petra</strong> <strong>Schramm</strong> am 2. September<br />

2002 in der Galerie Forum Amalienpark (Berlin-P<strong>an</strong>kow)<br />

von Andreas L. Hofbauer<br />

Nach den Toden von <strong>Peter</strong> <strong>Brasch</strong> (am 28. Juni 2001) <strong>und</strong> Thomas <strong>Brasch</strong> (am 3.<br />

November 2001) beg<strong>an</strong>n <strong>Petra</strong> <strong>Schramm</strong> ihre malerische Ausein<strong>an</strong>dersetzung mit<br />

diesen Toden <strong>und</strong> diesen Brüdern. Untrennbar beigemischt war dabei ihr Schmerz, ihre<br />

Trauer, ihre Verzweiflung über den Verlust zweier geliebter Menschen, die sich<br />

vielleicht wiederum selbst in ihren Leben gegenseitig nicht ihre Liebe zugestehen<br />

konnten, <strong>und</strong> die d<strong>an</strong>n doch – im Muster ähnlich – auch <strong>an</strong>ein<strong>an</strong>der gestorben waren.<br />

Sie beg<strong>an</strong>n mit zwei großformatigen Bildern, die zum einen ausloten sollten, ob es<br />

möglich sei, verbindende Materialien zu finden, die für die beiden Brüder in ihrem<br />

Gegen-Ein<strong>an</strong>der-Über stehen könnten, <strong>und</strong> zum <strong>an</strong>deren physische – oder besser:<br />

leibhaftige – Abbarbeitungen der Künstlerin mit <strong>und</strong> <strong>an</strong> diesen Bruder-Materialien<br />

waren. Dieses Unternehmen scheiterte; es blieb nur ein kleiner Kopf in weiß, gelb <strong>und</strong><br />

violett, den Sie in dieser Ausstellung sehen können <strong>und</strong> der, wie mir scheint, ein wenig<br />

<strong>an</strong> die Künstlerin selbst erinnert. Diese Ausein<strong>an</strong>dersetzung klärte jedoch, dass es Not<br />

tat einzusehen, „daß die beiden <strong>Brasch</strong>s eine Antwort gegeben haben mit ihrem Tod,<br />

daß ich es akzeptieren muß, daß ich die ,Überlebende’ bin <strong>und</strong> auch das eine Antwort<br />

ist. Ich kam mit den großen Bildern nicht weiter <strong>und</strong> dachte, daß ich beide, ihre eigene<br />

Unverwechselbarkeit, aber auch ihre innere Verb<strong>und</strong>enheit, nur in Fragmenten denken<br />

k<strong>an</strong>n, zuviele innere <strong>und</strong> äußere Verflechtungen gab es, auch im Schreiben nur<br />

fragmentarisch, in einzelnen Annäherungen denkbar.“ (<strong>Petra</strong> <strong>Schramm</strong>).<br />

So entst<strong>an</strong>d die Serie der „<strong>101</strong> <strong>Köpfe</strong> <strong>und</strong> Meer“. Immer wieder <strong>Köpfe</strong>, auf Holz, nicht<br />

mehr ungezähmt <strong>und</strong> unmittelbar gemalt wie zuvor, sondern im prekären Bewusstsein<br />

von Hintergr<strong>und</strong>erinnerungen. Die Besessenheit des Weiter-Malens resultierte dabei<br />

auch daraus, sich gerade nicht in Biografien einzumischen <strong>und</strong> sie im Nachhinein<br />

subjektiv umzufälschen. Die Nüchternheit der Zahl <strong>101</strong> – die Zahl der Lebensjahre der<br />

beiden Brüder (<strong>Peter</strong> 45; Thomas 56), aber auch die Überzähligkeit „eines“<br />

Verlorengeg<strong>an</strong>genen – bezeugt dies <strong>und</strong> gesellte sich zum Versuch, den blinden<br />

Schmerz immer wieder zu kreuzen <strong>und</strong> diese Züge Bild werden zu lassen. Sie aus dem<br />

eigenen Kopf in <strong>an</strong>dere Bild-<strong>Köpfe</strong> übergehen zu lassen.<br />

Nun sind Gemälde freilich niemals Abbildung seelischer Prozesse, sondern vielmehr ein<br />

Bild-Werden eines Programms der Bewältigung, das keineswegs nur der Künstlerin<br />

(oder den Malern im Allgemeinen) überlassen bleibt. Diesem Walten eignet weder eine<br />

inhärente Interpretation, noch eine von Aussen her<strong>an</strong>getragene; keine Mortifizierungsstrategie<br />

der Interpretation, die sagt, dass etwas so oder so ist oder gewesen sein mag,<br />

dies oder jenes bedeutet. Diese Bilderserie unterliegt einem Programm des Bild-<br />

Werdens, allerdings ohne über eine innere Programmatik zu verfügen. Nicht einem<br />

tragischen Gestus ist sie geschuldet, sondern wohl <strong>und</strong> bloß der Einsicht, die Fr<strong>an</strong>cis<br />

Bacon einmal so formuliert hat: „Wenn m<strong>an</strong> sich außerhalb jedweder Tradition<br />

1


efindet, wie das heute für jeden Künstler gilt, so k<strong>an</strong>n m<strong>an</strong> nur eines <strong>an</strong>streben: Die<br />

eigenen Gefühle im Bezug auf bestimmte Situationen so genau als nur irgend möglich<br />

in Rücksicht auf das eigene Nervensystem aufzuzeichnen.“ 1<br />

„Der Kopf gehört zum Körper, aber nicht das Gesicht.“ 2<br />

Warum <strong>Köpfe</strong> bereden oder sie malen (<strong>und</strong> keine Gesichter)? Keine Gesichter, die sich<br />

verschwommen auf der weißen W<strong>an</strong>d <strong>und</strong> im schwarzen Loch abzuzeichnen beginnen,<br />

wie sich Gilles Deleuze <strong>und</strong> Fèlix Guattari im Kapitel „Das Jahr Null – Die Erschaffung<br />

des Gesichts“ in ihrem Buch Mille Plateaux ausdrücken. Denn: Ein Kopf ist kein<br />

Gesicht.<br />

Ein dimensionsloses schwarzes Loch <strong>und</strong> eine formlose weiße W<strong>an</strong>d. Ein Gesicht als<br />

Perzept, das sich herausbildet aus der Form- <strong>und</strong> Dimensionslosigkeit, die herrscht vor<br />

Bild <strong>und</strong> Blick. Nicht die <strong>Köpfe</strong> haben ihre Körper verloren, sondern im Gesicht wird<br />

der Körper (<strong>und</strong> zwar nicht nur Augen, Nase, M<strong>und</strong>, sondern auch die Extremitäten, die<br />

Bäuche <strong>und</strong> Brüste, die Höhlungen, Lippen, Schwellkörper <strong>und</strong> Häute) unterworfen.<br />

Eine schreckliche <strong>und</strong> großartige Operation, würdig eines Dr. Moreau. Darin liegt das<br />

Unmenschliche, aber auch die nicht vollständig hintergehbare Programmatik des Gesichts.<br />

Es ist keine Anthropomorphisierung, sondern schmerzbringende <strong>und</strong> grausame<br />

Umwälzung, Um- <strong>und</strong> Neu-Koordinierung jeglicher Körper-<strong>Köpfe</strong>. Diese erlittene<br />

Operation <strong>und</strong> ihr leidenmachender Oper<strong>an</strong>d hören auf den großen Vater-Namen<br />

Christus; sie sind Schmerzensmänner. Jedes Gesicht ist seines. 3 Von Anbeginn <strong>an</strong>; von<br />

der St<strong>und</strong>e null <strong>an</strong>.<br />

Wie nun aber sind die von <strong>Petra</strong> <strong>Schramm</strong> gemalten <strong>Köpfe</strong> nicht nur Podukte der<br />

abstrakten Maschine Weiße W<strong>an</strong>d/Schwarzes Loch? Inwieweit wird das Körperhafte<br />

des Volumens <strong>und</strong> der Aushöhlung nicht ausschliesslich zu einem Gesicht gemacht?<br />

Oder genauer, was entgeht <strong>und</strong> -flieht in <strong>und</strong> durch sie diesem unausweichlichen<br />

Prozess eines Herr/Knecht-Ringens um der Anerkennung willen? Inwieweit <strong>und</strong> -fern<br />

erlösen sie (nachträglich) von dieser Anerkennung <strong>und</strong> dem Anerkennungsflehen vor<br />

<strong>und</strong> durch den abgestorbenen <strong>und</strong> vorverstorbenen Vater-Schatten?<br />

„Bunker-Gesicht. Wenn der Mensch eine Bestimmung hätte, so bestünde sie wohl darin,<br />

dem Gesicht zu entkommen, das Gesicht <strong>und</strong> die Erschaffungsweisen des Gesichts<br />

aufzulösen, nicht wahrnehmbar zu werden, kl<strong>an</strong>destin zu werden, <strong>und</strong> zwar weder<br />

durch eine Rückkehr zur Animalität, noch durch eine Rückkehr zum Kopf, sondern<br />

durch g<strong>an</strong>z spirituelle <strong>und</strong> spezielle Arten des Tier-Werdens, durch wahrlich<br />

merkwürdige Arten <strong>und</strong> Weisen des Werdens, die die W<strong>an</strong>d durchbrechen <strong>und</strong> aus den<br />

schwarzen Löchern herauskommen, die dafür sorgen, daß sogar die Gesichtszüge sich<br />

endlich der Org<strong>an</strong>isation des Gesichts entziehen, <strong>und</strong> sich dem Gesicht nicht mehr<br />

unterordnen lassen, Sommersprossen, die zum Horizont ziehen, vom Wind verwehte<br />

1 Vgl. David Sylvester, Interviews with Fr<strong>an</strong>cis Bacon, London 1993, S. 43. Übers. vom Verf.<br />

2 Gilles Deleuze / Fèlix Guattari, Tausend Plateaus, Berlin 1991, S. 234.<br />

3 „Das Gesicht ist Christus.“ Ebd., S. 242.<br />

2


Haare, Augen, durch die m<strong>an</strong> hindurchgeht, <strong>an</strong>statt sich in ihnen zu spiegeln oder sie in<br />

trübseligem von Angesicht zu Angesicht signifik<strong>an</strong>ter Subjektivitäten zu betrachten.“ 4<br />

In diesem Ausflug, in diesem Abzug <strong>und</strong> dieser Verwehung integriert sich nichts. Nicht<br />

Spiegel-Blick oder Spiegel-Bild versammelt zu einem memento mori im Namen von<br />

diesem oder jenem. Keine nahrhafte Trauer-Weide für die zurückgebliebenen Besserwisser,<br />

sondern den <strong>Köpfe</strong>n wird die Würde der Geschwindigkeit <strong>und</strong> der Eintönigkeit<br />

verliehen, die – zuweilen l<strong>an</strong>gsam, zuweilen rasend – sich von ihrer Funktion als<br />

Partialobjekt <strong>und</strong> wiedererkennbarem Gesicht verabschieden <strong>und</strong> dadurch die<br />

Attraktivität von differentiellen Geschwindigkeiten zurückerhalten. Diese <strong>Köpfe</strong> sind<br />

keine org<strong>an</strong>ischen; sie sind nicht korporal eingeb<strong>und</strong>enen. Nicht den nachmaligen <strong>und</strong><br />

reellen <strong>Köpfe</strong>n ist etwas entsprungen, ist etwas der Signifik<strong>an</strong>z/Subjektivierung<br />

entg<strong>an</strong>gen, die das Gesicht ausmacht; sondern ausgerechnet dieser Serie von konkreten<br />

<strong>Köpfe</strong>n, die jetzt immer mehr aufhören einem Namen zu gehorchen <strong>und</strong> sich von<br />

diesem zweifelhaften Verleih <strong>an</strong>rufen zu lassen.<br />

Ver<strong>an</strong>schlagte Platon bereits, dass alles Wissen Wieder-Erinnerung sei, da es nichts<br />

Neues unter der Sonne gäbe (wie vor ihm schon Salomon behauptete), so folgt daraus<br />

freilich auch, dass alle Neuheit nichts <strong>an</strong>deres ist als Vergessen. 5 Der Abschied betont<br />

deshalb immer wenigst einen Verschied. Was geg<strong>an</strong>gen ist, kommt niemals heim. Keine<br />

Elogen für <strong>und</strong> Lügen von Helden, sondern Überg<strong>an</strong>g im Wegg<strong>an</strong>g.<br />

Thomas Pynchon hat ein bemerkenswertes Vorwort zu einem vielleicht weniger<br />

bemerkenswerten Rom<strong>an</strong> geschrieben. Nämlich zu Jim Dodge’ modernem Bildungsrom<strong>an</strong><br />

Die Kunst des Verschwindens. 6 Es ist meines Wissens das bisl<strong>an</strong>g einzige<br />

Vorwort des Autors Pynchon. Er beschwört darin eine <strong>an</strong>aloge Magie als die einzig<br />

wahre, die sich gegen die Anmaßungen des Digitalen stellt. Verteidigt wird ein<br />

Netzwerk von Körpern, Körperauslagerungen <strong>und</strong> den Fertigkeiten, mit diesen<br />

umzugehen oder sich zwischen ihnen zu bewegen. Warten, Spiele spielen,<br />

Alarm<strong>an</strong>lagen überwinden, Angeln, Trinken, Drogenkonsum <strong>und</strong> -herstellung, die<br />

Kunst der Verkleidung, in Einsamkeit leben oder mit <strong>an</strong>deren zusammen, die Kunst des<br />

Beischlafes, <strong>und</strong> schließlich, sozusagen als Königsweg, die Kunst des Verschwindens.<br />

Diese metaphysische Glückssuche (Pynchon) operiert <strong>an</strong>alog <strong>und</strong> gibt nichtdigitale<br />

Antworten. Ein auf den fröhlichen Materialismus beharrender Zug hin zum äussersten<br />

Überg<strong>an</strong>gsritus, der auch eine passage à l’act ist. Den vorbereiteten Eintritt in ein nicht<br />

endendes Schweigen. Was m<strong>an</strong> so gemeinhin Tod oder Totsein nennen könnte,<br />

finalisiert sich allerdings nicht durch diese Passage. Denn schliesslich ist es auch nur die<br />

Gunst der St<strong>und</strong>e (heure), die zwischen bonheure <strong>und</strong> malheure entscheidet; <strong>und</strong> keiner<br />

ist je allein oder zu zweit, sondern immer wenigst zu dritt. Und dies ist keineswegs<br />

immer gleich schon religiös-politisch oder gemein-sinnig zu verstehen.<br />

Dieser Analogvorg<strong>an</strong>g gleicht auch dem, was <strong>Peter</strong> <strong>Brasch</strong> in seiner Essayistik <strong>und</strong><br />

seiner Literatur betrieb <strong>und</strong> was sich – unvollendet – in seinem Aus dem<br />

4 Ebd., S. 234.<br />

5 Worauf zuerst Fr<strong>an</strong>cis Bacon (nicht der Maler, sondern der Philosoph!) hinwies.<br />

6 Das Original erschien unter dem Titel Stone Junction 1990.<br />

3


Computertagebuch betitelten Versuchen abzeichnet. 7 Weit aus mehr aber nähert sich<br />

dem <strong>Peter</strong> <strong>Brasch</strong> in seiner eigenen Text-Unternehmung Die Erfindung des<br />

Verschwindens (Erstpublikation: 2000) <strong>an</strong>. 8<br />

„Denn niem<strong>an</strong>d merkt, daß sich hinter dem menschlichen Körper des Pêssego [was<br />

dar<strong>an</strong> erinnert, dass Pêssego Pfirsich heißt, Pessoa Person <strong>und</strong> ein Passaporta der<br />

herausgeschälte Kern einer Person ist; ALH.] ein Vogel verbirgt, ein Vogel, der sich als<br />

Mensch verkleidet hat. [...] Überleben [...] im ständigen Ein- <strong>und</strong> Ausw<strong>an</strong>deln, Ein- <strong>und</strong><br />

Ausw<strong>an</strong>dern in eine oder mehrere <strong>an</strong>dere Personen. Deshalb sind Pessoas <strong>an</strong>dere Ichs<br />

keine Pseudonyme, sondern Heteronamen mit genauer Biografie <strong>und</strong> Herkunft.“ 9 Und<br />

Heteronomie <strong>und</strong> Heteroname heißt hier gerade Aufgabe des Paradoxons, was ein<br />

ständiger W<strong>an</strong>del, aber auch eine erinnerndes Vergessen sein könnte.<br />

Überleben als ein beständiges Ein- <strong>und</strong> Ausw<strong>an</strong>deln also. Fluchten <strong>und</strong><br />

Fluchtvereitelungen über <strong>und</strong> durch diverse (imaginäre <strong>und</strong> reale) Mauern. Unmögliche<br />

<strong>und</strong> zugleich ph<strong>an</strong>tastisch wirksame Visionen einer ungebändigten Freiheit, einer<br />

multitudo auch des sogen<strong>an</strong>nten Selbst. Der Pass hingegen als der Tot-Name einer<br />

Identität, ein wahnwitzger Kern der Frucht <strong>und</strong> Furcht, die immer da(r) im Zw<strong>an</strong>g des<br />

Sprosses, des Samens, der Weiterzeugung steht. Der digital vermessbare Erkennungszw<strong>an</strong>g,<br />

der „Erkennen“ nicht vom Akt herleitet, sondern von der machinalen Festlegung<br />

<strong>und</strong> Bei-Setzung. Werden widerstrebt dem. Ständig <strong>und</strong> zugleich beweglich weicht es<br />

aus, doch nur allzuoft vermag der konkrete Körper nicht zu folgen; verharrt in der<br />

scheinparadoxen Lage, dies ginge nicht mehr <strong>und</strong> jenes noch nicht, im unschuldigen<br />

Verhängnis der Unfähigkeit, dem str<strong>an</strong>ge attractor zu folgen, der uns da zuflüstert, dass<br />

es nicht gilt die weiße W<strong>an</strong>d zur Wahrheit oder Wahrhaftigkeit zu durchbrechen,<br />

sondern dem Vergehen, dem Schiefgehen, dem bloß Materiellen die Treue zu halten.<br />

Dieses Widerstreben, diese Bockigkeit, evoziert bewusst den Bilder Zyklus <strong>Petra</strong><br />

<strong>Schramm</strong>s, der sich <strong>an</strong> einen <strong>an</strong>deren Bilderzyklus <strong>an</strong>leht, nämlich <strong>an</strong> die Schwarzen<br />

Bilder Goyas, die dieser zwischen 1820 <strong>und</strong> 1823 <strong>an</strong> die Wände seiner Quinta del<br />

Sordo gemalt hat. In diesem Zyklus gibt es ein Bild, das m<strong>an</strong> Hexensabbat n<strong>an</strong>nte <strong>und</strong><br />

das sich hier wieder so (um jeweils eine Zahl versehen) nennt. Dort haben sich um den<br />

schattenhaften Großen Bock Frauen im Zwielicht versammelt. ER ist vom Betrachter<br />

abgew<strong>an</strong>dt. Eine Form des Unendlichen zeichnet sich in der Gesamthaltung des Bildes<br />

ab. 10 Es scheint keinen Ausweg aus diesem Besessenheitszusammenh<strong>an</strong>g zu geben; eine<br />

falsche Unendlichkeit. Die Böcke <strong>Petra</strong> <strong>Schramm</strong>s betrachten in halb-tierischer<br />

Gelassenheit die Tänze <strong>und</strong> Narreteien der Menschen, sie sind dem Leben (<strong>und</strong> dem<br />

Betrachter) zugew<strong>an</strong>dt <strong>und</strong> folglich luziferischer, also lichtbringerischer, als die<br />

morbiden Gestalten der vernünftigen Aufklärung. Sie lieben <strong>und</strong> bejahen das<br />

Vergängliche in seiner Würde. Monstren <strong>und</strong> Narrenhüte als Signaturen eines Lebens,<br />

das kein Traum, sondern Traum des Lebens ist.<br />

„[...] die Fähigkeit des Kopf-Körper-Systems zum Werden, ihre Fähigkeit, Seelen<br />

aufnehmen zu können, sie als Fre<strong>und</strong>e aufzunehmen <strong>und</strong> die Seelen von Feinden<br />

7 Vgl. <strong>Peter</strong> <strong>Brasch</strong>, Status Quo, Berlin 2002, S. 150-158.<br />

8 Vgl. ebd., S. 40-64.<br />

9 Vgl. ebd., S. 41f.<br />

10 Vgl. Wilhelm Salber, Undinge. Goyas Schwarze Bilder, Köln 1994, S. 48-52.<br />

4


abzuweisen. Die ,Primitiven’ mögen die menschlichsten, schönsten <strong>und</strong> vergeistigsten<br />

<strong>Köpfe</strong> haben, sie haben kein Gesicht <strong>und</strong> brauchen auch keins.“ 11<br />

Dieses Werden, dass m<strong>an</strong> in den verschlierten Portraits von Fr<strong>an</strong>cis Bacon (der im<br />

Übrigen auch die meisten dieser Portraits mit Heads betitelte) sehen k<strong>an</strong>n. Kopf-Serien<br />

<strong>und</strong> ihre Durchbrechung! Eine Abarbeitung nach Unten, doch nicht nach den Wurzeln<br />

einer Herkunft, die Heimkehr verspricht. Doch dieser Fortriss ins Gesichtslose <strong>und</strong> A-<br />

Signifik<strong>an</strong>te droht mit dem Wahnsinn dem, der sich derlei Unterf<strong>an</strong>gen <strong>an</strong>vertraut. Wie<br />

<strong>und</strong> warum also überhaupt den Versuch wagen, derlei Bilder zu machen? Nicht ob der<br />

eigenen Rettung, denn wo’s gefährlich wird, wartet mitnichten immer das Rettende<br />

auch, sondern um Willen der Rettung des <strong>an</strong>deren.<br />

Am Fuß der Serie, oder Unten oder am Ende steht keine Finalität einer unlesbar gewordenen<br />

Schrift, verschwemmt ins Brackwasser des Schwarz oder Weiß, sondern die<br />

Erinnerung des Atl<strong>an</strong>tischen Oze<strong>an</strong>s.<br />

<strong>Petra</strong> <strong>Schramm</strong> wird mit den Kopf-Bildern zur Fluchthelferin 12 eben dieser Ein- <strong>und</strong><br />

Ausw<strong>an</strong>dlung, von der weiter oben die Rede war. Sie ist dies, in einer auf gewisse<br />

Weise unmöglichen Trauer behutsam (wenngleich auch das Schreckliche <strong>und</strong><br />

Abstossende in vielen <strong>Köpfe</strong>n übergenau zu Tage tritt), weil sie weiß, dass<br />

Verschwinden nicht wehtun darf. „Es gibt Leute, die reden sich um Kopf <strong>und</strong> Kragen,<br />

bis sie nicht mehr da sind, weil keiner ihnen mehr zuhört“, schreibt <strong>Peter</strong> <strong>Brasch</strong>. D<strong>an</strong>n<br />

ist der Kopf weg; „<strong>und</strong> damit der Gr<strong>und</strong> unseres hiesigen Daseins, unseres diesigen<br />

Hierseins.“ Das macht Pessoa weinen. Denn er wiederum weiß sich keinen Ausweg<br />

zwischen der Saudade, dieses irgendwie bläulichen, sich ins Violette neigenden<br />

Fernwehs, das zugleich Heimweh ist, – <strong>und</strong> dem Nichts. Etwas Portugiesisches, so weit<br />

im Westen; wo aber trotzdem gewiss zu bleiben scheint, dass die Sonne je immer schon<br />

im Osten aufgeht. Einer Sehnsucht, die ebenso am Tejo-Delta vom Oze<strong>an</strong> träumt, wie<br />

sie trunken in der Kneipe davon träumt, das große Christusmonument <strong>an</strong> eben dieser<br />

Tejo-Brücke, möge aufhören, herüber – <strong>an</strong>s L<strong>an</strong>d – zu starren <strong>und</strong> endlich seine<br />

ungebetenen, verzeihenden <strong>und</strong> väterlich umschließenden Arme „fallen“ zu lassen <strong>und</strong><br />

auch in Richtung Oze<strong>an</strong> sich wenden, um „ratlos“ zu werden. „Wenn sich aber am Ende<br />

alles in Nichts auflöst, was bleibt d<strong>an</strong>n am Ende <strong>an</strong> Spuren von Nichtswerden? Nichts.<br />

Es soll die Spur von unseren Werdetagen schön in Ionen untergehen. [...] Pessoa stellt<br />

sich vor den Fernseher, drückte einen Knopf der Fernbedienung <strong>und</strong> wurde eines mit<br />

dem Fernsehbild“, schreibt <strong>Peter</strong> <strong>Brasch</strong>.<br />

Diese <strong>Köpfe</strong> sind <strong>und</strong> denken den nicht-digitalen Ausweg. <strong>Petra</strong> <strong>Schramm</strong> erweist im<br />

Fragmentarischen der <strong>101</strong> <strong>Köpfe</strong>, das auch um das Gesetz der Serie <strong>und</strong> ihrer tödlichen<br />

Verfugung weiß, einer Sehnsucht Referenz, die nicht W/weg sein will, sondern<br />

schwindend <strong>und</strong> taumelnd über-leben. Ungenau nur eingeschätzt hat <strong>Peter</strong> <strong>Brasch</strong> selbst<br />

die Flucht, wenn er zum Beschluss seiner Erfindung des Verschwindens schreibt: „So<br />

verflüchtigen wir uns nicht in der Flucht, sondern Verschwinden in sichtbarer<br />

Teilnahmslosigkeit [...] nur wahrnehmbar für einen, der uns sehen will, aber nicht<br />

muß.“ Ungenau deshalb, weil sich hier im Schrieb etwas unterschlägt, was sehr wohl<br />

11 Gilles Deleuze / Fèlix Guattari, a. a. O., S. 242.<br />

12 Zum Thema der Flucht im Verhältnis zu seiner Malerei liefert Fr<strong>an</strong>cis Bacon Bemerkenswertes. Vgl.<br />

op. cit., S. 200.<br />

5


gefühlt sein k<strong>an</strong>n: Eskapismus heißt zuletzt Lieben, wie dies schon Herm<strong>an</strong>n Broch<br />

erk<strong>an</strong>nt hat. Und Lieben heißt, in die Welt des <strong>an</strong>deren zu flüchten, flüchten ins Exil<br />

dessen, was uns erkennen will. Die, die das wollen, wollen sich nicht zw<strong>an</strong>gsläufig<br />

erinnern <strong>an</strong> Etwas, das sie kennen, zu kennen vermeinen oder das sie zu kennen<br />

vielleicht einen Augenblick l<strong>an</strong>g wünschen. Doch auch nicht leicht ist es, immer selbst<br />

schon gesehen zu haben, wer oder was Exil bietet. Dort bleibt jedes Verschwinden ein<br />

Vorläufiges, das sich immer auf’s Neue in eine futures Präsens w<strong>an</strong>delt, womit <strong>Brasch</strong><br />

selbst seine „Erfindung“ beendet. Die Materialität dieser <strong>Köpfe</strong>, das Hölzerne <strong>und</strong> die<br />

Asche, das Kaffeepulver <strong>und</strong> die Eier, knalliger Lippenstift <strong>und</strong> Gips, Latex <strong>und</strong> Lack<br />

erlauben das Verschwinden da hinein. Eine <strong>an</strong>aloge, beinahe primitive Annäherung.<br />

Doch gerade in dieser entgeht etwas, weicht aus, flieht weiter, was weder „primitiver“<br />

Kopf, Christus-Gesicht oder digitalisierter Zielsuchkopf ist. Es ergibt sich was, was all<br />

den Fragen <strong>und</strong> Befragungen entgeht, die für die Diesseitigen noch wichtig sind.<br />

K<strong>an</strong>n m<strong>an</strong> überhaupt lieben, was in steter Verw<strong>an</strong>dlung/Veränderung unbegriffen<br />

geblieben sein wird? Was in seiner Sterblichkeit unwiederbringlich weggeg<strong>an</strong>gen sein<br />

wird? <strong>Petra</strong> <strong>Schramm</strong> hat diese Frage mit ihren „<strong>101</strong> <strong>Köpfe</strong>n <strong>und</strong> Meer“ bejahend<br />

be<strong>an</strong>twortet. Sie hat eine Krypta in die Mühle des Vergessens gebaut, ohne die<br />

Lebendigkeit, Notwendigkeit <strong>und</strong> Glücksverheißung eben dieses Vergessens zu<br />

denunzieren. Und sie hat in einem unveröffentlichten Gedicht geschrieben:<br />

Nun sind sie beendet<br />

Die Todesfeiern<br />

Eure müden Herzen gebettet<br />

In Asche In Erde In Sprache<br />

Die nicht enden will<br />

Blätter von losem Leben<br />

Alles ist gesagt immer wieder<br />

Alles ist offen geblieben<br />

Dies steht wie mir scheint <strong>an</strong> der Seite einer wohl mehr als mehrdeutigen Gedichtzeile<br />

von Thomas <strong>Brasch</strong>:<br />

Die unten waren sind aufgestiegen<br />

Wer unterliegen will muß siegen 13<br />

Ich verstehe beides als Ausdruck einer – bisweilen grimmigen – Fröhlichkeit.<br />

13 Thomas <strong>Brasch</strong>, Der schöne 27. September, Ffm. 1980.<br />

6

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