FRÜHSTÜCK BEI GIRAFFENS Im Reich der wilden Tiere: Vor 50 Jahren kam „<strong>Hatari</strong>!“ mit John Wayne und Hardy Krüger ins Kino. Ein Welt-Hit. Zum Jubiläum reiste Spurenleserin Annemarie Ballschmiter nun nach Tansania – immer den Drehorten nach I ch habe mich verliebt. Es hat nicht lange gedauert. Es geschah ungefähr eine Stunde nach der Ankunft bei zartvioletter Dämmerung auf dem Kilimanjaro Airport. Wir hatten den Arusha-Nationalpark durchquert, und dann stand sie da. Einfach so. Meine erste Giraffe. Im Morgenlicht gegen den noch wolkenverhangenen afrikanischen Himmel, zu Füßen des Mount Meru. Sie stand bis zum Bauch im grünen Buschwerk, langhalsig, langbeinig, braun-ocker gemustert, und guckte, wie wir guckten. Drehte sich um, zupfte ein paar Blätter. War uninteressiert. Und ich saß im Auto und konnte einfach nur staunen. Auch Hardy Krüger hatte sich verliebt; nicht nur in ein Tier, sondern in ein Land, die Landschaft – bei den Dreharbeiten zu Howard Hawks’ Tierfängerfilm „<strong>Hatari</strong>!“ in den Jahren 1960/61. Deswegen sind wir hier. Weil der Abenteuerfilm vor 50 Jahren 3 Weltuntergangsstimmung im Ngorongoro-Krater. Massai-Kinder, die Kühe hüten. Giraffen vor dem Kilimandscharo, Flamingos, Colobus-Affen
74 3 seine Kinopremiere feierte und weil Krügers Traum vom Buschhotel, das er Ende 1961 mit seinem Partner Jim Mallory eröffnete, inzwischen neu gelebt wird: Seit 2004 betreiben Marlies und Jörg Gabriel auf dem Gelände des ehemaligen Wohnhauses von Mallory die <strong>Hatari</strong> <strong>Lodge</strong> mit neun im „Seventies meet Africa“-Stil eingerichteten Zimmern. Von der Terrasse aus kann man – wenn die Sicht nicht gerade durch grasende Büffel oder Akazienblätter futternde Giraffen verstellt ist – die weißen Rundbungalows der Momella <strong>Lodge</strong> sehen, des einstigen Krüger-Hotels. Das Haupthaus wurde ursprünglich für die Dreharbeiten auf den Ländereien der berühmten deutschen Einwandererfamilie Familie Trappe errichtet, am offenen Kamin trank John Wayne seinen Whisky. In sein Tagebuch schrieb Krüger während des Drehs: „Ich habe den Garten Eden gesehen. […] Hellgrüne Seen, von sanftgrünen Hügeln umrahmt. Dahinter die unendlich scheinende gelbe Massai-Steppe, über die sich in majestätischer Breite die waldbedeckten Flanken des Kilimandscharo erheben. Und über allem der ewige Schnee, das Eis des Kibo.“ Der Kilimandscharo … Meist ist er wolkenverhangen oder verschwindet im Dunst. Frühmorgens, bei Sonnenaufgang, sind die Chancen, seinen schneebedeckten Gipfel zu sehen, am größten. Mit „You can see Mount Kili!“-Rufen werden wir am zweiten Morgen geweckt; müde Menschen in weißen Bademänteln und mit dampfenden Tassen in der Hand schauen andächtig gen Osten, teilen sich die Wiese mit der auf dem <strong>Lodge</strong>-Gelände wohnenden Warzenschweinfamilie. Der 4566 Meter hohe Mount Meru, zweithöchster Berg Tansanias, wird rosa angestrahlt. Als ich später zum Frühstück ins Haupthaus hinüberlaufe, ist das erste Wesen, das ich sehe: eine Giraffe. Als Morgenimbiss nippt sie die feinen Blätter der Akazie mit Zunge und Lippen geschickt zwischen den langen Dornen ab. Klar, es gibt spektakulärere Tiere in Afrika, gefährlichere – wie Löwen, größere – wie Elefanten oder seltenere – wie Wildhunde. Aber diese seltsamen Geschöpfe, die Kühen ähneln, denen man wie mittels eines Bildbearbeitungsprogramms Hals und Beine lang gezogen hat, wie Models in Werbeanzeigen, sind irgendetwas zwischen drollig und absurd – und irgendwie sympathisch, soweit man das von einem Wildtier behaupten kann. Man muss sie nur beobachten, wie sie sich fortbewegen: im einen Moment gelassen schreitend, fast elegant, und im nächsten ungelenk schlingernd. Die Terrasse der <strong>Hatari</strong> <strong>Lodge</strong> eignet sich jedenfalls ganz hervorragend dazu, Giraffen zu beobachten. Man frühstückt sozusagen Aug in Aug mit ihnen. Und ja: Büffel und Affen gibt es auch. An den Momella-Seen färben Hunderte Flamingos die Ufer rosa. Im Regenwald an den Hängen des Mount Meru, im Arusha-Nationalpark, turnen die schwarz-weißen Colobus-Affen durch die Baumwipfel, ihre Haare so lang wie die von den Bäumen hängenden Flechten, die wiederum aussehen wie der zauselige Bart von Dumbledor aus Harry Potter. Enock, unser kundiger Guide, erklärt, dass die Affen früher wegen ihres Felles gejagt wurden, mit dem sich Musiker oft schmückten. Er zeigt uns eine Pflanze namens Tagetes Minuta, deren Blätter, zerreibt man sie, nach Minze und Eukalyptus duften: Das macht die Nase frei bei Erkältungen. Als wir uns am nächsten Tag auf den staubigen Weg Richtung Amboseli-Nationalpark machen, taucht plötzlich, wie aus dem Nichts, ein mit dunkelgrünen Kandelaber-Euphorbien bewachsener, lang gestreckter Hügelrücken in der Savanne auf. Ein fast schon surreales Bild. Die Pflanze sei giftig, werde von den Massai zu medizinischen Zwecken eingesetzt: für Abtreibungen und nach Geburten, sagt Enock. 2010 haben die Gabriels das an einem Hang am Rande des Nationalparks gelegene Shu- ’mata Camp mit fünf luxuriösen Zelten eröffnet. Hemingway meets Massai ist das Motto. Viele der Dekorationsobjekte und auch die Bettwäsche werden in einem der Projekte der Momella Foundation gefertigt, welche die Gabriels vor ein paar Jahren gegründet haben, und die auch das Löwenprojekt „Lion Guardians“ im kenianisch-tansanischen Grenzgebiet unterstützt. Die Betten sind ungewöhnlich hoch, die Schuhe sollen wir unbedingt ausschütteln, bevor wir sie anziehen: Wir sind in der Wildnis. Und in der gibt es nun mal Skorpione und Schlangen. Hier in der Gegend, nahe der Hügelkette Seven Sisters, wurden die „<strong>Hatari</strong>!“-Szenen mit Zebra, Büffel und Giraffe gedreht. Wir sehen wendige Thompson- und Grantgazellen, Gnus, Zebras, Paviane, Fischadler – und Elefanten. Beim Sundowner zwischen zwei Schirmakazien irgendwo im Nirgendwo nippen alle beseelt an ihren Drinks. Egal ob Big Five oder Small Five: Ich bin nicht hier, um Listen abzuarbeiten, Häkchen hinter Tiernamen zu machen. Aber ja: Ich habe in Tansania Elefanten, Büffel und Löwen gesehen. Keine Leoparden, keine Nashörner. Gerade mal 13 Rhinozerosse sollen noch im Ngorongoro-Krater leben. Dort spielt auch die spektakuläre Eröffnungsszene von „<strong>Hatari</strong>!“, wo es zu einer gefährlichen Kollision zwi- JÖRG GABRIEL schen Nashorn, Auto und Mensch kommt. Als wir auf dem 600 Meter hohen Rand des Kraters stehen, der im Durchmesser 20 Kilometer misst, ist das, als blickten wir aus dem Weltall auf die Erde. Wieder so ein Moment der Demut. Mir kommt ein Satz aus Hardy Krügers Afrika-Erinnerungen in den Sinn: „Vor diese Wunder der Natur gestellt, fühlte ich, wie klein ich war als Mensch, als Eindringling, und wie groß, weil mir das Eindringen nicht verwehrt wurde.“ Der Himmel ist so dunkelgrau wie das Fell der Gnus am Horizont. Weltuntergangsstimmung. Sturm treibt die Gewitterwolken über die Ebene. Der Wind zaust am Gefieder der Strauße, zerrt an den Mähnen der Zebras. Nach einem Regenguss trotten sechs Löwen vor unserem Auto über die Piste. Nass, wie sie sind, sehen sie nicht besonders majestätisch aus. Im Schlepptau Hyänen und Schakale, die hoffen, etwas von den Resten der noch zu erjagenden Beute zu ergattern. Zwischen den Bäumen am Rand des Katerbodens steht ein riesiger alter Elefantenbulle, dessen Stoßzähne fast bis zum Boden reichen. Ein seltener Anblick, auch für abgebrühte Safaritouristen. Während die Szenerie auf die einen gesprächsanregend wirkt, hat sie auf mich den umgekehrten Effekt: Ich will einfach nur still Eindrücke aufsaugen. Sitting and starring. Eigentlich wollten wir vor Sonnenuntergang das nächste Camp, Alex Walkers mobiles Zeltcamp in der Südserengeti, erreichen, aber der Regen hat aus einem normalerweise leicht zu durchquerenden Bach einen reißenden Strom gemacht. Zwangspause, bis das Wasser zurückgeht. Für den Sundowner am Ufer organisiert ein Mitreisender eine Runde Bier aus dem Auto eines ebenfalls gestrandeten Einheimischen. Die tansanischen Biermarken heißen passenderweise „Safari“, „Kilimanjaro“ und „Serengeti“. Nachts wird es hier, auch wenn tagsüber die Sonne vom knallblauen Himmel sticht, etwas klamm. Welche Freude, als später in meinem Bett eine Wärmflasche unter der Decke auf mich wartet. Lala salaama … Gute Nacht. Am nächsten Tag begeben wir uns auf die Pirsch nach Wildhunden. Hardy Krüger begegnete ihnen völlig selbstverständlich auf dem Heimweg von den Dreharbeiten auf Momella nach Arusha; heute sind sie fast ausgestorben. In der Serengeti gibt es sie noch. Selbst Menschen, denen Giraffen und Zebras nur ein leichtes Gähnen entlocken, bekommen beim Thema „Wildhunde“ glänzende Augen. Wir haben Glück und sehen am späten Nachmittag rund 20 der gefleckten Tiere mit den runden Ohren, die sich schutzsuchend unter einem Strauch aneinanderkauern. Unseren letzten Sonnenuntergang über der Serengeti genießen wir auf riesigen roten Granitfelsen, Kopje genannt. Ein Hadzabe-Buschmann entfacht ein Lagerfeuer. Wieder so ein Moment für das innere Album. Schweigen. Als wir uns am nächsten Morgen verabschieden, passieren wir auf dem Weg zum Airstrip saftig grüne Wiesen mit gelben und weißen Tupfen. Dank der Hadzabe wissen wir: Die Wurzeln der weißen Blumen kann man essen. Und diese wilden Kartoffeln schmecken nach Kohlrabi. Safari njema! Gute Reise! Mit ihrem Unternehmen The African Embassy (theafricanembassy.com) stellen Marlies und Jörg Gabriel, die Besitzer von <strong>Hatari</strong> <strong>Lodge</strong> und Shu’mata Camp, individuelle Safaris zusammen, auch gern für Familien. Condor fliegt einmal wöchentlich von Frankfurt direkt nach Arusha/Kilimanjaro Airport