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Mergler,M. – Indianepalis neu

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...mit<br />

Bus und Bahn<br />

durch<br />

Desaster-Area<br />

Michael <strong>Mergler</strong><br />

<strong>Indianepalis</strong> von


Text, Layout................... Michael <strong>Mergler</strong><br />

Fotos............................... M.<strong>Mergler</strong> & W.Geppert<br />

Lektorat....................... Winfried Geppert<br />

Druck........................ Xerox<br />

Bindung.................. Xerox<br />

Auflage........... 2./50 Stück<br />

Dieses Buch wurde in Eigeninitiative<br />

hergestellt.<br />

Nachfragen,<br />

Kritiken oder Bestellungen<br />

bitte richten an:<br />

Michael <strong>Mergler</strong><br />

Brettnacher Str.18<br />

14167 Berlin<br />

Tel. 0177 - 293 36 98<br />

(C)1996 Alle Rechte bei Michael <strong>Mergler</strong> - BERLIN


Kapitel-<br />

Verzeichnis<br />

Vorgeschichte 1 - 24<br />

Kathmandu 25 - 70<br />

Varanasi 71 - 114<br />

Gangotri 115 - 162<br />

Jaisalmer 163 - 206<br />

Pushkar/Agra 207 - 234<br />

Letzte Tage... 235 - 260


In Ewiger Erinnerung<br />

an meine malträtierten Füße,<br />

Hunger, Kälte, Durchfall<br />

und eine einsame Flasche Sonnenmilch<br />

irgendwo im Himalaya,<br />

widme ich dieses Buch<br />

dem unbekannten Peanut-Yogi in Gangotri<br />

und all jenen, die uns auf unserem Trek<br />

aus der Not geholfen haben.


Vorgeschichte


1<br />

Übersetzung nächste Seite


Hey Man!<br />

2<br />

Pokhara, 25.12.89<br />

Wenn Du mal irgendwann irgendwie für<br />

länger reisen willst, dann kann ich Dir Nepal<br />

empfehlen. Wahnsinnsessen für wenig Geld,<br />

Wohnen kostet 1.- am Tag, die Leute total nett,<br />

und man kann hier den ganzen Schrott verkaufen,<br />

den man zu Hause nicht mehr braucht<br />

- alte Sachen, kaputte Turnschuhe, zerfledderte<br />

Bücher, "Werbegeschenk"-Uhren, etc etc. Hier<br />

wird mit allem gehandelt, nur um zu handeln;<br />

total abgefahren. Die Landschaft ist voll abgedreht,<br />

hier in Pokhara angenehm warm, und<br />

die Bergspitzen des Himalaya sind nur 30 Km<br />

Luftlinie entfernt.<br />

Allerdings: Um ins Annapurna-Base-Camp zu<br />

kommen, war ich fast eine Woche unterwegs.<br />

Hier kommt man nur zu Fuß vorwärts, über<br />

uralte Steintreppen kilometerlang (!) bergauf<br />

und bergab, wie in einem Fantasy-Film. Ich<br />

melde mich, wenn ich wieder zurück bin.<br />

Rocky


Im Sommer 1990 rief mich Rocky, alias Winfried Geppert,<br />

an, erzählte mir von seiner geplanten zweiten Nepal-/<br />

Indienreise, die er zusammen mit seiner langjährigen<br />

Freundin Dörthe unternehmen wollte, und bot mir während<br />

unseres Gespräches an, bei der von Januar bis März 1991<br />

dauernden Tour mit von der Partie zu sein.<br />

Wer träumte nicht von wilden Abenteuern in fernen, exotischen<br />

Ländereien außerhalb der europäischen Bannmeile ?<br />

Meine Begeisterung jedenfalls kannte keine Grenzen. War<br />

ich doch froh, endlich diesem elenden Alltag eines <strong>neu</strong>rotischen<br />

Großstadtbewohners entfliehen zu können. Seit zehn<br />

Jahren wurde ich durch berufliche Interessen oder finanzielle<br />

Notstände daran gehindert, überhaupt zu verreisen. Mein damaliger<br />

Arbeitgeber, die Firma ESOTRONIC COMPUTER, hatte<br />

glücklicherweise nichts gegen meine ausschweifenden Reisepläne<br />

einzuwenden, und so war die Sache für mich geritzt.<br />

Weil Nepal und Indien in jeder Hinsicht außergewöhnliche<br />

Länder darstellen - speziell was die Hygiene betrifft -, Rocky<br />

und ich in Indien auch trekken gehen wollten, versorgte er<br />

mich erst einmal mit Informationen, welche vorbereitenden<br />

Maßnahmen ich einzuleiten hatte.<br />

Da war zum einen die körperliche Fitness. Unabdingbar für<br />

den geplanten Trekking-Abstecher nach Gaumuk im nordindischen<br />

Himalaya, wo auf dreieinhalbtausend Metern Höhe<br />

eine der heiligen Quellen des Ganges entspringt. Ich wurde<br />

angehalten, Beinmuskeln und Kondition entsprechend zu trainieren.<br />

Dann die medizinische Seite. Es kann sich ja niemand vorstellen,<br />

gegen welche Krankheiten man gewappnet sein muß,<br />

um in diesen Gegenden der Dritten Welt den drängenden<br />

3


Grundbedürfnissen wie Essen oder Trinken nachgeben zu<br />

können, ohne gleich in einem Forschungslabor der westlichen<br />

Welt als hochsensibler Versuchsnährboden für längst als<br />

ausgerottet geltende hyperaktive Bakterienkulturen zu enden.<br />

Besondere Vorsorge war also zu treffen gegen Krankheiten<br />

wie Cholera, Dyphtherie, Hepatitis, Poliomyelitis, Tetanus,<br />

Tuberkulose.<br />

Die Reiseapotheke enthielt entsprechende Mittelchen gegen<br />

weitere Schweinereien wie Augenentzündungen, Zerrungen,<br />

Erkältungen, Hals-, Zahn- und sonstige Schmerzen,<br />

offene Wunden, Malaria und den obligatorischen D u r c hf<br />

a l l sowie einige Einwegspritzen mit Einwegkanülen, Elastische<br />

Binden, Mineral- und Vitamintabletten, Traubenzucker,<br />

Sonnenschutz, Desinfektionsmittel, verschiedene Antibiotika<br />

und Micropur zur Trinkwasseraufbereitung.<br />

Die Ausrüstung bestand aus einem kälteunempfindlichen<br />

Bundeswehrschlafsack für kälteunempfindliche Grenzgänger,<br />

einem selbstgefertigten Leinenschlafsack aus Baumwolle, einem<br />

Traginnengestellbilligrucksack, zwei Zeltplanen, einer mit<br />

tausenden von Taschen übersäten, robusten Armyhose, Jakke,<br />

Bauch-Geldgurt, Moskitonetz, zwei Holzkohle-Taschenwärmern,<br />

Taschenmesser, Badelatschen, Wasserfiltergerät und<br />

Wassersack, alten T-Shirts, Sweaters, Aufschneider-Sonnenbrille,<br />

Weltempfänger, Feuerzeug, einer vietnamgetesteten<br />

Army-Umhängetasche für Kleinkram, einem massiven 1KG-<br />

Sicherheitsvorhängeschloß und einem Paar Springerstiefel für<br />

unter hundert Mark.<br />

Ergänzt wurde das ganze durch eine klitzekleine knuddlige<br />

Kleinbildkamera Olympus XA, die mir mein Bruder Kai billig<br />

überließ, zehn Farbfilme dafür, eine Tube RAI-Waschmittel,<br />

Zahnpflegeset, Handtücher, Seife, wirksames hautverätzendes<br />

4


Mückenschutzmittel, eine Auswahl Paßfotos, eine Handvoll<br />

Visitenkarten zum Angeben sowie einer Tonne Toilettenpapier<br />

- zum Schutz gegen Feuchtigkeit eingeschweißt in<br />

Gefrierbeutel.<br />

Das zur Einreise benötigte Single-Visum für Nepal im Supersonderangebot<br />

für nur <strong>neu</strong>nunddreißig Mark - inklusive Mehrwertsteuer<br />

-, sollte ich mir bereits in Deutschland beim "Königlich<br />

Nepalesischen Generalkonsulat" in München besorgen.<br />

Zwar war dieses auch in Kathmandu direkt auf dem Flughafen<br />

erhältlich und das sogar für die Hälfte, aber nicht auszuschließen,<br />

daß einen ein schlechtgelaunter Zollbeamter dieser<br />

politisch unruhigen `Bananenrepublik´ abblitzen ließ und<br />

unverrichteter Dinge auf die Heimreise schickte.<br />

Sicher war sicher !<br />

Doch zuallererst mußte ein internationaler Reisepaß her,<br />

denn zur Beantragung des begehrten Visums sollte dieser,<br />

zusammen mit zwei Paßfotos <strong>neu</strong>eren Datums, dem ausgefüllten<br />

Antrag, einer Bankbürgschaft über zweihundert Mark<br />

je in Nepal verbrachter Woche, einem Verrechnungsscheck<br />

in Höhe der Bearbeitungsgebühr und frankiertem Rückumschlag<br />

dem in Bayern beheimateten Konsulat zugesandt werden.<br />

Kein Problem für die deutsche Bürokratie: innerhalb von<br />

lächerlichen 8 Wochen war ich stolzer und international anerkannter<br />

Besitzer eines Passes der Europäischen Gemeinschaft<br />

und konnte als solcher weitere Schritte in die Wege<br />

leiten.<br />

Während ich auf meine abgestempelten Reisepapiere wartete,<br />

beschäftigte ich mich ausgiebig mit angebotenen Flügen<br />

und Flugrouten, die mich zum Ziel führen konnten, verwarf<br />

5


dabei die überteuerte deutsche LUFTHANSA und ebenso die<br />

Dumping-Offerte der russischen AEROFLOT(T) - die sogar<br />

schon das Fliegen zu einem wirklichen Abenteuer machte -,<br />

da ich mein Leben nicht in einem fliegenden Schrotthaufen<br />

beenden wollte und entschied mich schließlich für die bengalische<br />

Fluglinie BIMAN-AIRLINES, deren Maschinen vom Typ<br />

DC-70 angeblich die LUFTHANSA wartete.<br />

Der Preis konnte sich sehen lassen: DM 1490.- für den<br />

Hin- und Rückflug von Frankfurt mit Zwischenstop in Dhaka,<br />

der Hauptstadt von Bangladesh. Brauchte ich also noch eine<br />

Bahnkarte, die mit DM 162.- zu Buche schlug. Somit waren<br />

alle wichtigen Vorbereitungen abgeschlossen, und ich konnte<br />

gelassen in die Zukunft sehen.<br />

Rolf, ein ehemaliger Klassenkamerad, langjähriger `Freund´<br />

und Lebenskünstler, hörte von dem geplanten Asientrip und<br />

verspürte ebenso den unbändigen Drang, den entnervenden<br />

städtischen Einflüßen zu entkommen. Rocky und Dörthe hatten<br />

keine Einwände, und so beschäftigte sich auch Rolf in der<br />

Folgezeit mehr oder weniger mit Reisevorbereitungen.<br />

Rocky, der gerade sein Germanistik/Sport-Studium beendet<br />

hatte und noch auf keiner Arbeitsstelle verplant war, reiste<br />

bereits im November alleine nach Kathmandu, der Hauptstadt<br />

des anvisierten asiatischen Königreiches, trainierte im<br />

"Nepal Bayam Mandir" und bei der "Nepal Boxing Association"<br />

im Stadion von Kathmandu, um für seinen Freundschaftskampf<br />

mit Mike Tyson fit zu sein, der später leider aus ungeklärten<br />

Gründen abgesagt wurde, absolvierte verschiedene<br />

Treks in Pokhara und Umgebung und versorgte uns Zuhausegebliebene<br />

per Luftpost mit nötigen Infos, wie: "...sieh´Dir<br />

nochmal den Blade Runner an, damit Du Dir in etwa vorstel-<br />

6


len kannst, was hier auf den Straßen abgeht, wenn´s dunkel<br />

ist ! Absolute Oberhärte, sieht irre aus, aber völlig harmlos.<br />

Überall Händler, Musik, Feuer und Bumm ! fällt auf einmal<br />

der Saft aus, und alles steht im dunkeln, und es wird richtig<br />

gemütlich..." oder etwa "Bereite Dich schon auf die Taxifahrt<br />

vom Flughafen nach Kathmandu vor ! Verbinde Rolf die Augen,<br />

stell´die Musik volle Lautstärke, die Hupe auf Dauerton,<br />

und dann mit 140 Sachen den Ku´Damm rauf und runter -<br />

natürlich nicht auf der Straße, sondern auf dem Bürgersteig !"<br />

Dörthe wollte am 7.Januar hinterherfliegen, und Rolf und<br />

ich buchten unseren Flug zum 14.Januar 1991.<br />

Je näher aber der Termin rückte, desto mehr überschlugen<br />

sich die Ereignisse, und wenn man abergläubisch gewesen<br />

wäre, hätte man glauben können, irgendetwas wollte<br />

einem die Reise vergraulen:<br />

Im Oktober trennte sich meine damalige Freundin Marina<br />

von mir, am 12.11.1991 erhielt ich von der Fa. ESOTRONIC<br />

meine fristlose Kündigung, und im Dezember stellten die Amis<br />

dem irakischen Diktator Sadam Hussein, der mit seinen Truppen<br />

im Reichtum-Scheichtum Kuwait einmarschiert war, um<br />

den dort lebenden Machos in Morgenmänteln etwas Öl zu<br />

klauen und - ganz nebenbei - Israel ein bißchen mit russischen<br />

Scud-Raketen bombadierte, ein ultimatives Ultimatum, das<br />

am 15.Januar auslaufen sollte.<br />

Das Problem dabei: fanatische Muslime der gesamten Welt<br />

schlugen sich dank geschickter Propaganda auf Sadams Seite,<br />

der mit einem "Hatschiii" den `Heiligen Krieg´ ausrief und<br />

allen ihm bekannten Teufeln in Menschengestalt in allen ihm<br />

bekannten Galaxien die Eier abschneiden und gut durchgebraten<br />

zum Frühstück verspeisen wollte.<br />

7


Seine bis zum Äußersten entschlossenen Generäle versprachen<br />

ihm dabei zu helfen.<br />

In Erwartung blutigster Vergeltungsterroranschläge wurde<br />

allen schweinefleischverarbeitenden, schweinefleischverzehrenden<br />

und schweinischen Reisenden, sowie reisenden<br />

Schweinen und insbesondere denen, die Teufel oder ähnlich<br />

hießen, geraten, die bösen, bösen moslemischen Staaten<br />

zu meiden, da gar niemand für unbeschädigte Eier garantieren<br />

konnte.<br />

In den Nachrichten hörte man, daß die selbsternannten Guten,<br />

die `weltverbessernden´ Amerikaner, bereits sämtliche<br />

Flüge ihrer Landsleute über Moskau umleiteten. Internationale<br />

Kampfeinheiten wurden in den Vereinigten Arabischen<br />

Emiraten zusammengezogen. Endzeitstimmung - das konnte<br />

sich zu einem größeren Krieg ausweiten. Und Bangla Desh,<br />

wo wir am 15. Januar einen Tag Aufenthalt hatten, war zu<br />

zwei Dritteln moslemisch.<br />

Ich hatte jedoch bereits eine Menge Geld investiert und<br />

mich schließlich lange genug auf die Reise gefreut, daher gab<br />

es kein Zurück mehr - trotz Einwänden aus dem Freundeskreis.<br />

Da ich nun arbeitslos war und mich eventuell während<br />

meiner Abwesenheit beim Arbeitsamt melden mußte, beauftragte<br />

ich meinen alten Freund Lutz, wenn nötig knallhart<br />

meine Unterschrift zu fälschen, denn das Geld vom Arbeitsamt<br />

benötigte ich auf alle Fälle zur Deckung der in Deutschland<br />

weiterlaufenden Kosten. Anfang Januar nahm ich dann<br />

die letzten Termine beim Arzt und Zahnarzt wahr und fieberte<br />

dem Abflugtermin entgegen...<br />

8


Am Montag, dem 14.Januar schließlich, gegen 22:30 Uhr -<br />

eine halbe Stunde zu spät -, holte mich unser Privat-Chauffeur<br />

Daniel mit meinem Gepäck zuhause ab, und dann düsten<br />

wir von Zehlendorf im gestreßten Sauseschritt zur Wohnung<br />

von Rolf irgendwo in Tiergarten. Dort angekommen stellte<br />

ich mit Widerwillen fest, daß mein Reisegefährte anscheinend<br />

ganz andere Vorstellungen von einer supergeilen Abenteuerreise<br />

in den geheimnisumwitterten Himalaya hatte. Da er<br />

nicht nein sagen konnte, war er einem feuchtfröhlichen Abschiedsumtrunkextremgelage<br />

zum Opfer gefallen. Sturzbesoffen<br />

lallend hing er auf seiner Couch, war kaum in die<br />

Gänge zu bringen und hatte sein Gepäck noch nicht fertig<br />

gepackt.<br />

Es fing ja gut an !<br />

Ich war stinksauer, denn viel Zeit blieb nicht mehr, um<br />

unseren Zug Richtung Frankfurt zu erreichen, und ich mußte<br />

vorher unbedingt noch Geld vom Geldautomaten abheben.<br />

Seine Südtiroler Freundin Monika, die ebenfalls mit uns fuhr,<br />

um von Frankfurt aus weiter in ihr Heimatdorf zu reisen,<br />

packte schnell seine Klamotten zusammen, dann schleppten<br />

wir die halbtote Schnapsleiche ins Auto, und ab ging´s zum<br />

Bahnhof Zoo.<br />

Glücklicherweise trafen wir dort noch rechtzeitig genug<br />

ein, stürmten den Zug und fanden sogar ein Abteil für uns<br />

alleine, wo wir es uns die nächsten zehn Stunden gemütlich<br />

machen konnten. Denn so lange sollte die wenig aufregende<br />

Reise auf dem Schienenwege bis nach Frankfurt dauern, deren<br />

überwiegenden Teil wir im Schlafe dahindämmerten.<br />

Trotzdem wurde uns gewahr, das Rolfoholics des Nachts,<br />

unartikulierte Würglaute von sich gebend, wie etwa "ürgmbh,<br />

ürgmbh, üührll !", hastigst die Toilette frequentierte und diese<br />

9


während seines Besuchs mit säuerlich riechenden und ein<br />

wenig vorverdauten Speiseresten bestrahlte.<br />

Danach fühlte sich Lebemann Rolf schon sichtlich besser<br />

und reagierte wieder auf seine Umgebung. So erfuhr ich auch<br />

endlich, daß er es weder für nötig befunden hatte, eine<br />

Reisekrankenversicherung für mich abzuschließen, wie wir es<br />

laut mündlicher Absprache ausgemacht hatten, noch mich<br />

früh genug davon zu unterrichten, so daß ich nun ziemlich<br />

blöd dastand. Ihm schien das auch vollkommen scheißegal zu<br />

sein, denn auf seinen Namen war bereits eine Versicherung<br />

abgeschlossen.<br />

Dieses gottverdammte Arschloch ! Warum hatte ich mich<br />

bloß auf ihn verlassen ? Ich bereute in diesem Moment wirklich<br />

bitterlich, mich um Medikamente, Visa, Bahn- und Flugtikkets<br />

für uns beide gekümmert zu haben.<br />

Mit <strong>neu</strong>nzig Minuten Verspätung fuhr unser Zug gegen 11:30<br />

Uhr im Frankfurter Hauptbahnhof ein, und so blieb wenigstens<br />

noch etwas Zeit bis zum Abflugtermin um 14:25 Uhr.<br />

Ich bestand weiterhin darauf, daß Rolf seinen Teil der Vorarbeit<br />

leistete und sich um meine Reisekrankenversicherung<br />

kümmerte. Da er mir jedoch unmißverständlich klarmachte,<br />

daß die Angelegenheiten, die er noch erledigen müßte, weit<br />

wichtiger wären und ich mich gefälligst selber darum bemühen<br />

sollte, war endgültig der Scheideweg unserer Freundschaft<br />

erreicht.<br />

So ging nun die Hetze los, von einem Reisebüro ins nächste.<br />

Doch nix zu machen, entweder gab´s keine entsprechenden<br />

Formulare, die Versicherungen waren zu teuer oder<br />

die Anzahl der versicherten Reisetage zu knapp bemessen.<br />

Meine Hormone spielten verrückt - ich kochte bereits.<br />

10


Als alles nichts mehr half, mußte ich mich mit einer 62-<br />

Tage-Versicherung für DM 37.- zufriedengeben, deren Angebot<br />

nicht ganz den gesteckten Zeitplan abdeckte, und voller<br />

Vertrauen in Gott und die Wahrscheinlichkeitsrechnung<br />

knapste ich bei dem anzugebenden Reisezeitraum mutig jeweils<br />

vorn und hinten ein paar Tage ab. Murphy´s Law blieb<br />

außen vor...<br />

Am Flughafen dann Abgabe unseres voluminösen Gepäkkes<br />

und Tränen des Abschieds bei Monika. Verständlich, denn<br />

schließlich würden sich die beiden ca 3 Monate lang nicht<br />

mehr sehen. Doch so schwer die Trennung auch fiel, sie<br />

mußte sich auf den Weg zurück zum Hauptbahnhof machen,<br />

und kurze Zeit später wurde es auch für uns ernst, als der<br />

Aufruf zum Einchecken bei BIMAN durch die Schalterhalle<br />

schallte.<br />

Es folgte die gewohnte Paßkontrolle und Leibesvisitation,<br />

Viertelstunde im Warteraum abhängen, und schon forderte<br />

eine freundliche Dame der LUFTHANSA zum Besteigen der<br />

Maschine auf. Nach einer weiteren halben Stunde schwebten<br />

wir bereits durch die Lüfte unserem 4 Stunden entfernten<br />

Zwischenstop in Athen entgegen, tankten dort kurzfristig auf<br />

und fetzten volle 17 Stunden weiter gen Osten zu einem der<br />

bevölkerungsreichsten Staaten unserer Erde: Bangla Desh.<br />

Der Flug verlief sehr ruhig, doch hatte ich so meine Probleme<br />

mit der extrem trockenen und stickigen Luft. Über<br />

dem Sitz befand sich nämlich kein Gebläse, wie ich es von<br />

Inlandflügen her kannte. Ist alles computergesteuert und voll<br />

auf die Bedürfnisse der Passagiere angepaßt, wie mir die Crew<br />

erklärte. Komisch, auf meine nicht.<br />

11


Den Konstrukteur dieser Maschine hätte ich gerne mal unter<br />

vier Augen `gesprochen´. Da der aber schon lange nicht<br />

mehr lebte, half nur die Flucht in den Schlaf.<br />

Neunzig Minuten vor der Landung wachte ich wieder auf<br />

und fühlte mich schon etwas besser. Bis uns ein anderer<br />

Trekker erzählte, er hätte in Frankfurt erfahren, daß alle Flüge<br />

von Dhaka nach Kathmandu gesperrt wären !<br />

Gerüchteküche ???<br />

Rolf im Aufenthaltsraum des Flughafens von Dhaka<br />

Schwer lastete die feuchtwarme Tropenluft auf dem von<br />

der langen Reise müden Körper, als wir gegen Mittag die von<br />

schwerbewaffnetem Militär eskortierte Maschine in Dhaka<br />

verließen und mit einem Bus zum fünf Meter entfernten Eingang<br />

des Flughafengebäudes kutschiert wurden, vor dem sogar<br />

ein MG-Nest aufgebaut war.<br />

Irgendein wichtiger Herr in Uniform machte uns Reisenden<br />

freundlich klar, daß tatsächlich alle Weiterflüge nach<br />

12


Kathmandu für den heutigen Tag eingestellt waren, daß wir<br />

warten müßten, bis uns ein Bus zu einem Hotel bringen würde.<br />

Vorher aber sollten wir ihm die Reisepässe und Tickets<br />

aushändigen.<br />

Bogdan, ein Pole, Rolf und ich machten es uns auf den<br />

gepolsterten Sitzbänken im Wartesaal der zweiten Etage gemütlich,<br />

während der Rest der Passagiere auf den weniger<br />

bequemen Holzbänken im Erdgeschoß ausharrte, und als Bogdan<br />

zwei Stunden später nach unten ging, um sich nach dem<br />

Verbleib des Busses zu erkundigen, stellte das Personal erschrocken<br />

fest, daß sie uns vollkommen vergessen hatten -<br />

Bus und Mitreisende waren schon lange weg !<br />

Das sollte nicht noch einmal vorkommen, deswegen nagelte<br />

man uns drei diesmal mit einem scherzhaften "Please sit<br />

down there and if you wanna sleep - sleep. But dont´t move."<br />

im unteren Raum fest, und etliche Stunden später, als wirklich<br />

niemand mehr mit dem Verlassen des nicht klimatisierten<br />

und von Fliegenschwärmen heimgesuchten Gebäudes rechnete,<br />

folgten wir einem Mitarbeiter des Flughafenpersonals in<br />

eine große Halle, wo das gesamte Gepäck in einem Metallkäfig<br />

eingeschlossen lagerte. Jeder hatte nun die Aufgabe, seines<br />

zu identifizieren und zu prüfen, ob irgendwas fehlte.<br />

Als das erledigt war, bestiegen wir endlich, zusammen mit<br />

den Passagieren der nächsten Maschine, zwei von einer aufdringlichen<br />

Schar bettelnder Kinder belagerte Busse, die uns<br />

für die Nacht in das von BIMAN angemietete Hotel befördern<br />

sollten.<br />

Aber wieder hieß es warten. Warten auf eine Handvoll<br />

bewaffneter Soldaten, die den mit Europäern besetzten Bussen<br />

sicheres Geleit und heile Eier garantieren mußten.<br />

Erster Eindruck: Waouh !!! Mann, hier ging ja wirklich die<br />

13


Mit dem Bus vom Airport zum Hotel<br />

Post ab. Aber auch Nervosität keimte auf. Schließlich lief ich<br />

hier rum wie ein kampferprobter Ledernacken: kurze Haare,<br />

Muskelpakete, Armeehose, Springerstiefel, Trägershirt (wegen<br />

der Hitze) und Army-Umhängetasche. Ich sah ungewollt<br />

so aus, als hätte ich mich auf der Suche nach meiner Einheit<br />

verflogen.<br />

Peinlich ! Rolf hatte wenigstens Jeans an.<br />

Die Fahrt zum Hotel "Purbani" bescherte uns weitere Eindrücke<br />

dieses an den Unterläufen des Ganges und Brahmaputra<br />

gelegenen Tieflandes, das regelmäßig Schlagzeilen machte<br />

durch verheerende Überschwemmungen, die fast jedes Jahr<br />

Zehntausende das Leben kosteten. Daß dieser Staat außerdem<br />

Probleme mit seiner Überbevölkerung hatte, war deutlich<br />

zu sehen, denn die Straßen quollen fast über vor größ-<br />

14


tenteils ärmlich gekleideten Menschen, die allesamt ein<br />

Hungerdasein fristeten. Überall Rikschas, Fahrräder, Motorräder,<br />

Busse und Menschen, unglaubliche Massen von Menschen.<br />

Das verloren dastehende Hotelhochhaus, trotz verranzter<br />

Ostblockendzeitfassade wohl eines der besseren am Platze,<br />

glänzte mit einem hervorragenden Mittagessen, der bengalischen<br />

Spezialität Chicken Curry. Doch zuvor quartierte man<br />

alle Reisenden, überwiegend Globetrotter wie es schien, in<br />

die klimatisierten Zimmer ein, mit Bad, WC, Fernseher und<br />

klammen Betten. Das Zimmer mit der Nummer 526 gewährte<br />

uns zudem einem prima Ausblick auf den knapp einen<br />

Meter entfernten Betonrohbau des Nachbarhauses.<br />

Nach dem Essen, gegen 17:00 Uhr, waren einige der Reisenden,<br />

so auch Rolf und ich, daran interessiert, einen kleinen<br />

Ausflug in die nahegelegene Innenstadt zu unternehmen,<br />

wozu wir gezwungenermaßen vorübergehenden Frieden<br />

schlossen, um nun die zwei mitgeführten 5-Dollar-Noten auf<br />

den Kopf zu hauen.<br />

Doch kaum hatten wir nichtsahnend einen Fuß vor die Tür<br />

gesetzt, stürmte ein laut durcheinanderschreiender Pulk von<br />

vielleicht zwanzig besessenen Fahrradrikscha-Fahrern samt<br />

Gefährt auf uns ein, von denen jeder den sehnlichen Wunsch<br />

äußerte, für noch weniger Geld als jeder seiner Kollegen wenigstens<br />

einen Teil unserer Körper durch die Straßen fahren<br />

zu dürfen.<br />

Im ersten Moment standen wir vollkommen verdattert da;<br />

umringt von dieser quäkenden fremdländischen Meute berieten<br />

wir, ob wir denn fahren wollten und wenn ja, wohin dann<br />

überhaupt ?<br />

Wir entschieden uns aber dagegen und bewegten uns lang-<br />

15


samen Schrittes Richtung Innenstadt, verfolgt von diesen Halbwahnsinnigen,<br />

die uns die Ohren vollbrüllten, versuchten festzuhalten<br />

und mit ihren Rikschas extrem auf die Pelle rückten.<br />

Das ging etwas zu weit ! Waren die Leute denn von allen<br />

guten Geistern verlassen ?<br />

Energisch, manchmal mit körperlicher Gewalt, setzten wir<br />

uns zur Wehr, bis wir diesem Chaoten-Terror ein Ende bereitet<br />

hatten und die verblüfften Stresser zurückblieben. Nur<br />

ein junger Bengale, der gut Englisch sprach, war uns weiterhin<br />

in Ruhe mit seiner Rikscha gefolgt und bot an, für fünf<br />

Dollar würde er mit uns eine kleine Sightseeing-Tour durch<br />

die Stadt unternehmen. Das schien uns ein faires Angebot,<br />

und so nahmen wir Platz.<br />

Keine zwei Minuten waren vergangen, da steckten wir auch<br />

schon wortwörtlich dick in der Klemme: Irgendein nicht auszumachendes<br />

Hindernis auf einer weit entfernten Kreuzung<br />

verursachte einen totalen Verkehrsstau, legte den gesamten<br />

Verkehr in der Innenstadt lahm.<br />

Nichts ging mehr - weder vor noch zurück<br />

Auf Tuchfühlung dicht gedrängt standen Menschen und Fahrzeuge<br />

kreuz und quer auf den Bürgersteigen und über die<br />

Straße verteilt, hunderte von Metern die Straße rauf und<br />

runter, links und rechts; hupten, klingelten oder qualmten<br />

motorbetrieben vor sich hin, während wildes Durcheinandergeschnatter<br />

in den verschiedensten Tonlagen einen nicht<br />

unerheblichen Teil zu der extremen Lärmkulisse beitrug.<br />

Und wir waren mittendrin !<br />

Im Stehen auf der Sitzbank versuchten wir einen Überblick<br />

zu bekommen, stellten aber fest: sinnlos. Dieser erstarkte<br />

Mensch-Maschinebrei schien sich bis zum Horizont zu erstrecken.<br />

Ein wahrer Leckerbissen für alle Chaos-Forscher.<br />

16


Wie kamen wir da bloß wieder raus ?<br />

Am besten mit der asiatischen Methode ... Geduld.<br />

Und siehe da: ca 30 Minuten später ließ einige Bewegung<br />

um uns herum erkennen, daß das Warten ein Ende hatte,<br />

sich das Knäuel langsam aber sicher auflöste. Es wurde geschoben,<br />

rangiert, geruckelt, gezuckelt, geächzt und gestöhnt,<br />

geschimpft und gelacht, dann waren wir wieder frei und bewegten<br />

uns mit hemmungslos lautem Geklingel durch das<br />

stürmisch wogende Meer dieses wahrlich anarchistischen<br />

Straßentumults, wo wir mit einem hysterischen "Iiiiaaarrrhhh"<br />

übelste und unvermeidliche Zusammenstöße mit den an diesem<br />

Irrsinn Beteiligten erwarteten, die sich aber jedesmal<br />

erst im allerletzten kritischen Moment sozusagen in Wohlgefallen<br />

auflösten und wir mit einem erleichterten "Pfffhht !"<br />

entkrampften.<br />

Während sich der redselige Fahrer, seines Zeichens gemäßigter<br />

und friedliebender Moslem, wie er beteuerte, mit ca.<br />

150 Kilo Fahrgastmasse durch die Straßen quälte, unterhielt<br />

er uns mit kurzen Hinweisen und Erklärungen zu der jeweils<br />

durchfahrenen Gegend, oder wir diskutierten eifrig über<br />

Sadams "Krieg der Welten".<br />

Zuerst klapperten wir verschiedene Friedhöfe ab: einen russisch-orthodoxen,<br />

einen englischen und dann einen deutschen<br />

mit angeschlossener Kirche, und auf Wunsch beförderte er<br />

uns zu einer sehr schönen kleinen Moschee, wo wir als einzige<br />

Weißhäuter weit und breit unverzüglich in den Mittelpunkt<br />

des allgemeinen Interesses rückten, da sich die rasch sammelnden<br />

Neugierigen anscheinend dachten, jetzt sind die Amis<br />

hier, die Moschee wird beschlagnahmt !<br />

Auf Anraten unseres Chauffeurs entledigten wir uns der<br />

17


klobigen Stiefel, und über den mit schönen Mosaiken verzierten<br />

Vorplatz, unter den wachsamen Augen der tuschelnden<br />

Versammlung um uns herum, strebten wir in Socken dem<br />

Gebäude mit der runden Kuppel zu.<br />

Gerade als wir ein paar Meter geschafft hatten, erschien<br />

der energische Imam mit einem kleinen, in weite Gewänder<br />

gekleideten Gefolge, um unserem Eindringen Einhalt zu gebieten.<br />

Er verlangte Aufklärung über unser Begehren, wollte<br />

wissen:<br />

"American ?"<br />

"No. German..."<br />

"Aahhh !"<br />

Er schien uns wohlgesonnen, blieb aber mißtrauisch.<br />

"What´s your religion ?", fragte er interessiert.<br />

Rolf war katholisch, da schien die Sache klar. Ich dagegen<br />

mußte mal wieder meine Extrawurst braten.<br />

"I have ... no religion."<br />

"No religion ?"<br />

"No ?!"<br />

"...mmmhhh... no religion ... but - do you believe in god ?"<br />

Das ganze begann mir unheimlich zu werden, zumal mein<br />

Englisch nicht gut genug war um derartig tiefgreifende theologische<br />

Fragen zu diskutieren, aber...<br />

"Yes, I believe that there is something ....ääähh...maybe a<br />

god, that..."<br />

Der Iman und einer seiner ihm nahestehenden Mitbeter<br />

wechselten einige Worte in der landesüblichen Sprache, und<br />

man kam zur alles entscheidenden Frage:<br />

"Ok, ok ! Why you coming here ?"<br />

18


Wir erklärten ihm, wir wollten nur mal schauen, vielleicht<br />

könne er uns sogar ein bißchen was über seine Religion erzählen.<br />

Das schien ihm zu gefallen, und er gab uns ein Zeichen,<br />

ihnen zu folgen. Dann begann er anhand der an die<br />

Wand der Moschee gemalten Bilder die Geschichte des Propheten<br />

Mohammed zu erzählen.<br />

Einer seiner weniger intelligenten Mitarbeiter tanzte dabei<br />

leicht irre, gebückt wie "der Glöckner von Notre Dame",<br />

um uns herum und betrieb verbale Allah-Onanie, indem er<br />

ununterbrochen und ziemlich lautstark was von einem<br />

"Challaaah ... melechaaah ma mechemm ... Challaaah,<br />

Challaaah Challaaah ... jihedda kem meha ... Challaaah..." oder<br />

so ähnlich quasselte, bis es uns und besonders mir extrem<br />

auf den Keks ging und ich den verwirrten Muselmanen den<br />

Wunsch äußerte, diesen Teil der diesjährigen Bildungsreise zu<br />

beenden. Wir bedankten uns für das entgegengebrachte Vertrauen<br />

und schlidderten über den glatten Mosaikfußboden<br />

zurück zu unserem Schuhwerk, wo die Meute interessierter<br />

Glotzer immer noch auf uns wartete und jede unserer Bewegungen<br />

oder Sätze leidenschaftlich analytisch diskutierte.<br />

Bloß weg hier...<br />

Also ratterten wir in der anbrechenden Dämmerung weiter<br />

durch staubige breite Straßen und enge Gassen, speckige<br />

Stadtviertel mit teils verrotteten Häusern und armseligen Hütten,<br />

genehmigten uns an einem der vielen kleinen Ladenbuchten<br />

zur Erfrischung einen Tee, den Dschai, oder eine<br />

Handvoll Orangen von einem fahrenden Obsthändler und<br />

überquerten auch eine Brücke, die so steil war, daß unser<br />

beinarbeitender Mietling nicht allein in der Lage war, uns dort<br />

hinüberzuschaffen. Aber für derartige Fälle standen an der<br />

Auffahrt der Brücke andere wackere Geschäftsleute parat,<br />

19


die der Rikscha für einen kleinen Obolus schiebend oder ziehend<br />

auf die Sprünge halfen.<br />

Geradezu gespenstisch mutete die Kulisse an, als wir schließlich<br />

den lärmenden `Hafen´ erreichten, wo gerade ein tief<br />

im Wasser liegendes hölzernes Fährschiff vom schlammigen<br />

Ufer ablegte. Im Schein von flackernden Petroleumlampen<br />

entschwand das über und über mit Menschentrauben behängte<br />

Schiff in die Dunkelheit, während ehrgeizige Bengalen<br />

immer wieder versuchten, durchs Wasser watend und<br />

schwimmend an Bord zu gelangen, um das Schiff doch noch<br />

zum Kentern zu bringen.<br />

Wir guckten uns das lärmende Spektakel eine ganze Weile<br />

an, und als wir gerade ein paar Meter weitergefahren waren,<br />

entdeckte ich linkerhand einen in einem großen Garten gelegenen<br />

beleuchteten Flachbau, durch dessen Fenster Hanteln<br />

und Turngeräte zu erkennen waren. Ich fragte, ob das vielleicht<br />

ein dhakaistisches "Body Building Center" oder ähnliches<br />

sei ? Weil die Frage mit "Ja" beantwortet wurde, ließen<br />

wir noch einmal halten, um der Sache auf den Grund zu<br />

gehen, und betraten den Laden kurzerhand, denn unser Fahrer<br />

war wie immer der Meinung, wir dürften dies ohne weiteres<br />

tun, es gäbe da "no problem, no problem."<br />

Drinnen sah es alles andere als hip aus, es glich vielmehr<br />

einem zum Abriß freigegebenen vergammelten Kellerraum.<br />

Aber immerhin - zum Trainieren war alles vorhanden. Eine<br />

Handvoll gut durchtrainierter und aufgepumpter Jungmannen<br />

versammelte sich auf der einen Seite des großen Raumes und<br />

betrachtete uns fragend, da anscheinend niemand was mit<br />

uns anzufangen wußte.<br />

Auf die Frage "Does anybody of you speak English ?" tat<br />

sich erst gar nichts - alles starrte uns weiterhin an. Aber<br />

20


Im modernsten Body-Building und Fitness-Studio von Dhaka<br />

21


schließlich löste sich ein gutgekleideter Tennis oder Golf spielender<br />

Lacoste-Oberschichtler aus der Gruppe, von dem wir<br />

mit unserem holprigen Englisch in Erfahrung brachten, das<br />

dies tatsächlich ein Kraft-Studio, der "Naboje Exercise Club"<br />

war. Dann wollte er wissen, wo wir herkommen:<br />

"American ?"<br />

"Yes, from Kuwait."<br />

"..."<br />

"No, no. German..."<br />

"Aaah. Germany ! Do you come from Berlin ?"<br />

Als wir verblüfft bejahten, erzählte er, daß er, Sohel Rana,<br />

dort einen Onkel habe, der irgendwo in Wedding wohnte<br />

und ein indisches Lokal betrieb. Er selber sei der Sohn eines<br />

bengalischen Diplomaten und würde im April nach Berlin fliegen,<br />

um in Deutschland für einige Jahre zur Schule zu gehen.<br />

"Bha !", da waren wir jetzt aber echt platt.<br />

Daß die Welt SO klein und Berlin eine Vorstadt von<br />

Bangladesh ist, hätten wir doch wirklich nicht für möglich<br />

gehalten. Aber damit war das Eis gebrochen, und nun wollte<br />

man wissen, was wir als zivilisierte Weltmänner in unserer<br />

ungewöhnlichen Kluft so vorhatten, ob wir uns für Wasser<br />

und Brot als Rambos in der Armee verdingten oder einfach<br />

nur durchgeknallt waren.<br />

Muskeln wurden bestaunt, ein Ringer, seines Zeichens Landesmeister,<br />

vorgestellt und alle Mann brachten sich in Positur,<br />

damit ich ein paar Fotos schießen konnte, von denen<br />

leider alle, bis auf ein falsch belichtetes, das unscharf ist, nichts<br />

geworden sind.<br />

Zum Schluß fand der übliche Adressenaustausch statt, und<br />

schon zogen wir mit dem biologisch wertvollen Fußtaxi weiter<br />

durch die düstere Stadt, auf zu <strong>neu</strong>en Abenteuern.<br />

22


Das letzte erwähnenswerte Erlebnis, an das ich mich von<br />

diesem Streifzug erinnere, war der aufregende Besuch einer<br />

butzigen verqualmten Teestube, an deren Wänden einige Poster<br />

des Diktatiraki Sadam Hussein prangten und die dort<br />

versammelte Manschaft finsterer Gestalten in ein schallendes<br />

"Sadam, Sadam, Sadam !!!“ ausbrach, als wir den Fuß über die<br />

Schwelle setzten.<br />

Alles halb so schlimm: wie sich herausstellte, waren dies<br />

gute Freunde unseres Rikscha-Fahrers. Den Tee bekamen<br />

wir dort umsonst, und die netten Leute waren interessiert zu<br />

erfahren, ob wir Sadam überhaupt irgendeine Chance gegen<br />

den Rest der Welt einräumten - was wir verneinten.<br />

Gegen 22:00 Uhr trafen wir mit unserem fix und fertigen<br />

Fahrer wieder vorm Hotel ein. Nun ging es ans Bezahlen.<br />

Unser Mann war mittlerweile der Meinung, ihm stehe mehr<br />

als die vereinbarten fünf Dollar zu, was zu einer längeren<br />

Diskussion führte. Doch Rolf, der Eigentümer der heißbegehrten<br />

Dollars, blieb stur und beharrte auf der ursprünglich<br />

ausgemachten Summe. Mir wär´s ehrlich gesagt scheißegal<br />

gewesen, denn schließlich waren wir 4 Stunden lang gut unterhalten<br />

worden. Rolf ließ sich aber nicht erweichen, und so<br />

blieb es bei einem schlappen Fünfer.<br />

Sogar um diese Uhrzeit war die Luft immer noch erdrükkend<br />

schwül, und wir glänzten vor Schweiß, den wir im Hotelzimmer<br />

unter der Dusche abspülten, bevor wir um Mitternacht<br />

dank einem erfülltem Tagewerk in einen tiefen, aber<br />

kurzen Schlaf sanken. Um ca 5 Uhr mußten wir wieder<br />

aufstehen.<br />

23


Nach einer kurzen Nachtruhe klopfte es vorsichtig an die<br />

Tür: „Sir ? ... Hello, Sir ? ... Breakfast ...“<br />

Langsam verschwand der Nebel des Schlafes aus dem Kopf,<br />

und schwerfällig stiegen wir in unsere Klamotten, packten die<br />

Sachen zusammen und suchten den Speisesaal auf, wo wir<br />

die anderen Mitreisenden bereits mit der Vernichtung des<br />

Frühstückes, bestehend aus Spiegelei, Toast und Marmelade,<br />

beschäftigt fanden.<br />

Dann mußten wir warten, denn unser Begleitschutz war<br />

bisher nicht im Hotel eingetrudelt. Erst gegen 6:30 Uhr fuhren<br />

wir mit dem vollbeladenen Bus zum Flughafen. Hier erhielten<br />

wir unsere Reisepässe und Flugtickets zurück, und das<br />

örtliche Militär unterzog unser Handgepäck genau wie am<br />

gestrigen Tage einer intensiven Kontrolle; will sagen, alles aus<br />

den Taschen auspacken, vorzeigen und dann ratz fatz schnell<br />

wieder reingestopft, weil sie bereits den nächsten abfertigten<br />

- nervig !<br />

Sobald das erledigt war, hieß es wieder warten, warten und<br />

nochmals warten, bis wir, Allah sei es gedankt, um 8:45 Uhr<br />

endlich in der Maschine saßen, die um 9:00 Uhr mit Ziel<br />

Kathmandu von der Startbahn abhob...<br />

24


Kathmandu


Eine Stunde später warteten wir bereits wieder auf<br />

unser Gepäck im Flughafengebäude von Kathmandu,<br />

das in seiner Größe ungefähr der Berliner U-Bahn-<br />

Station "Rathaus Spandau" entspricht.<br />

Entsetzt stellte ich kurz darauf fest, daß irgendjemand Gefallen<br />

an einem erklecklichen Teil meiner lebensnotwendigen<br />

Ausrüstungsgegenstände gefunden hatte, denn das obere Packfach<br />

des gutverschnürten Rucksacks stand offen, mein geliebtes<br />

Taschenmesser, das Netzteil für den Weltempfänger und<br />

die sportliche, als Tauschobjekt gedachte zweite Stopuhr fehlten<br />

! Diese Saubande !<br />

Nichtsdestotrotz begrüßten wir nach der Zollkontrolle freudestrahlend<br />

Rocky und Dörthe, die bereits in der Eingangshalle<br />

warteten, und schleppten unseren Krempel zu den vorm<br />

Flughafen lauernden Crash-Cars, die in Nepal als 1A-Taxis zum<br />

Einsatz kommen. Auch hier fielen die abgerissen aussehenden<br />

Fahrer dieser rollenden Särge wie wilde Mongolenhorden<br />

über den ahnungslos Phantasiepreise zahlenden Gringo her,<br />

und kaum hatte man sich versehen, ballerte der furchtlose<br />

`Pilot´ mit Tempo 100 durch die geschlossene Ortschaft,<br />

jagte Fußgänger, Radfahrer und Getier von den Straßen und<br />

setzte seinen benommenen Passagier in einem von ihm gewählten<br />

Etablissement ab - denn diese Burschen vergnügten<br />

sich außerdem als Hotelvermittler auf Provisionsbasis.<br />

Welch ein Glück - Rocky kannte die `ährlischen´ Preise !<br />

Umgerechnet DM 2,50 kostete die rasante Fahrt vom abseits<br />

gelegenen “Tribhuvan International Aiport" bis nach<br />

Thamel, dem legendären Touristenviertel von Kathmandu.<br />

Anders als erwartet hatten sich Rocky und Dörthe im<br />

“Norbulinga Guest House” anstatt im bereits ausgebuchten<br />

“Dreamland” einquartiert. Für uns war ebenfalls ein nettes<br />

25


Doppelzimmer (Nr.105) mit Dusche und kränkelndem WC<br />

für 140 Rupies pro Tag reserviert. Die Zimmer lagen im<br />

ersten Stock und waren durch eine um den Innenhof führende<br />

`Galerie´ zu erreichen.<br />

Direkt unter unseren mit Fliegengittern versehenen Fenstern<br />

führte die tagsüber recht belebte und von Schlaglöchern<br />

gezeichnete Ladenstraße vorbei, in den folgenden frostigen<br />

Nächten überwiegend heimgesucht von herumstreunenden<br />

Rudeln halbverfaulter Straßenkläffer, die auf ihrem<br />

Beutezug durch die Stadt die überall angehäuften stinkenden<br />

Müllhaufen nach Nahrhaftem durchwühlten.<br />

Für die schmutzige Wäsche fauler Zeitgenossen stand eine<br />

preiswerte, hauseigene Laundry zur Verfügung. Wäsche, die<br />

auf eigene Faust in dem angeforderten und kostenlosen Bucket<br />

behandelt wurde, durfte auf dem Dach, aus dem noch immer<br />

die Bewehrungsstähle ragten, getrocknet werden. Hier<br />

standen auch die ‘Warmwasser-Kollektoren´ und der isolierte<br />

Warmwasserspeicher: das Ah und Oh für den Genuß einer<br />

einigermaßen umweltverträglichen warmen Dusche. Auch<br />

ein Sonnenbad in den wärmeren Morgen- und Mittagsstunden<br />

tat hier oben gut, wie wir bald herausfanden.<br />

Zudem verdienten sich direkt vor unserer Residenz ein<br />

paar Kids etwas Geld mit der "Theorie und Praxis über Schuhe,<br />

ihre Bedeutung, Pflege und Haltung", und jeden Morgen, wenn<br />

wir es wagten einen Fuß vor die Tür zu setzen, trat die<br />

gröhlende Werbetrommel dieses recht spaßigen Jugend-<br />

Schuhputzdienstes in Aktion, um uns ein paar Rupies aus den<br />

Rippen zu leiern. Klappte das nicht oder doch - also in jedem<br />

Fall - erschien gleich darauf das unbarmherzige "Take That"-<br />

Tiger-Balm-China-Oil-Rollkommando, das uns solange über<br />

Vorzüge und Anwendungsgebiete jener braunen oder auf<br />

26


Erstes Frühstück im "Scala"<br />

Wunsch farblosen Paste in Kenntnis setzte, bis wir wenigstens<br />

eine Handvoll Dosen dieser asiatischen Heilsalbe erhandelt<br />

hatten, von denen ich noch heute an die fünfzig Stück<br />

besitze.<br />

Doch bevor wir das alles kennenlernten, kippten wir zuerst<br />

mal unsere Sachen auf dem Zimmer ab, enterten kurzerhand<br />

einen Tisch in der Idylle des nachbarlichen Gartenrestaurants<br />

“Scala” und frühstückten ausgiebig mit Kaffee, Tee,<br />

Kakao, Lassi, Brötchen, Kuchen, Müsli und Eier-Omelette,<br />

kurzum, wir mußten auf nichts verzichten. Pappensatt und<br />

zur Akklimatisation wollte Rolf sich danach aufs Ohr hauen,<br />

tat dies und wachte erst am nächsten Tag wieder auf.<br />

Ich jedoch mochte mich nicht hinlegen. Obwohl müde und<br />

matt, war ich geistig total aufgedreht und wollte mir unbedingt<br />

die Gegend ansehen. Am Nachmittag schlenderten Rok-<br />

27


ky, Dörthe und ich<br />

dazu durch die verwinkelten<br />

Gassen des<br />

schaurig-schönen<br />

Kathmandu gen Westen<br />

zum heiligen Fluß<br />

Vishnumati, der zu dieser<br />

Jahreszeit eher einer<br />

Pfütze glich.<br />

Erst im Sommer,<br />

wenn die schmelzenden<br />

Gletscher unterstützt<br />

durch den Monsun<br />

den Fluß speisten,<br />

würde das Gewässer<br />

wieder sein brachliegendes<br />

breites Bett<br />

ausfüllen. Auf einer<br />

der Brücken galt es<br />

das andere Ufer zu er-<br />

365 Stufen ins Nirvana !!!<br />

reichen, wollte man<br />

etwas noch Heiligeres als heilig sehen. Denn das hatten wir<br />

uns vorgenommen.<br />

Nur ein Stückchen die jenseitige steile Straße hinan und<br />

schon standen wir am Fuße eines Hügels, auf dessen mit<br />

Laubbäumen bewaldeten Hängen sich steinerne Götzenskulpturen,<br />

heidnische Händler, furchtlose Schlangenbeschwörer<br />

und eine erkleckliche Anzahl schweinischer Affen tummelten.<br />

Mit Ächz und Stöhn mußte jetzt noch die 365 Stufen<br />

zählende Steintreppe erklommen werden, dann stand man<br />

vor einem riesigen goldenen Donnerkeil, Insignie für die En-<br />

28


Der STUPA von Swayambunath<br />

ergie der Götter, und im Hintergrund erhob sich der von<br />

Tauben in Besitz genommene Stupa von Swayambunath. Im<br />

Uhrzeigersinn um den Stupa herum gehen, schleichen oder<br />

hetzen den ganzen lieben langen Tag die Gläubigen und drehen<br />

dabei ora et labora vorsichhinmurmelnd die einhundertelf<br />

`Gebetsmühlen´, kleine Dynamos, die zusammen mit den<br />

29


an dem Stupa in Boudanath installierten den täglichen Energiebedarf<br />

der Klöster des Kathmandu-Tales decken. Gespeichert<br />

wird die anfallende Energie in dem weißen meilerähnlichen<br />

Korpus des Stupa (STUpid-Power-Akkumulator), einem<br />

riesigen prähistorischen Akkumulator.<br />

Für die private Energieerzeugung gibt es Dynamo-Handies<br />

in den verschiedensten Größen. Hier befindet sich der Akku<br />

in dem hölzernen Handgriff eines jeden Gerätes. Fast überall<br />

in Nepal sieht man die Leute bei der andächtigen Erzeugung<br />

kostengünstiger göttlicher Energie, deren Herstellungsverfahren<br />

in den buddhistischen Ländern der Erde schon seit hunderten<br />

von Jahren bekannt ist.<br />

Unter den eindringlichen Blicken der vier aufgemalten<br />

Augenpaare des Stupa verkaufen Händler in der räucherstäbchengeschwängerten<br />

warmen Luft Schmuck, wollene<br />

Touristenkitschteppiche, Messingschalen für alle Fälle,<br />

kratzfeste Pullover aus fetter Yakwolle, Räucherstäbchen jeglicher<br />

Geruchsrichtung, Wahr- und Unwahrheiten, glückverheißende<br />

Mandalas, unheilverkündende Ultra-Brutalo-Messer,<br />

menschliche Schädel- und tierische Wolldecken, Bücher aus<br />

aller Welt, billigste Postkarten, irre Musikinstrumente und vieles<br />

mehr. Bettler bitten um ´ne Rupie als kleinen Bakshisch, und<br />

heilige Männer, die Yogis, zeigen ihre Künste. Zwischen den<br />

verschiedenen kleinen Stupas und Tempelchen tummeln sich<br />

jede Menge verfressene Hunde und hemmungslos rumvögelnde<br />

Affen, die frech die von den Gläubigen niedergelegten<br />

vegetarischen Opfergaben klauen.<br />

Nicht zu vergessen der Tempel mit der großen goldenen<br />

Buddha-Statue, das tibetische Kloster, der der Göttin Sitala<br />

Devi geweihte Hariti-Tempel und eine buddhistische Bibliothek.<br />

Die ganze Anlage ist an strategisch wichtigen Stellen mit<br />

30


einer hüfthohen Mauer und darauf eingelassenem Metallgeländer<br />

umgeben, damit niemand die steilen Abhänge herunterpurzelt,<br />

wenn er sich beim verträumten Blick über tieferliegendes<br />

Terrain zu sehr gehen läßt und ungewollt versucht,<br />

es den unter ihm im lauen Aufwind schwebenden Greifvögeln<br />

gleichzutun.<br />

Rocky zerrte mich gleich in ein kleines dunkles Loch, das<br />

sich bei genauerer Betrachtung als kurioser Ramschladen für<br />

Silber- und anderen Schmuck herausstellte, und verwies auf<br />

die Auslagen mit diversen klobigen Silberringen, von denen er<br />

beabsichtigte, einige Wagenladungen zollfrei nach Deutschland<br />

zu schaffen.<br />

So hatte ich das erste Mal Gelegenheit zuzusehen, wie das<br />

traditionelle und zeitraubende Feilschen vor sich ging:<br />

Der staubige Händler zeigt frohgestimmt die gewünschte<br />

Ware.<br />

Der Kunde betrachtet das ersehnte Kleinod mißmutig ohne<br />

besonderes Interesse und fragt lächelnd, welcher Preis für<br />

diesen Mist zu berappen sei.<br />

Jener an einem Gehörsturz leidende Händler wiederum verlangt<br />

ohne rot zu werden das zehnfache des üblichen Preises,<br />

erklärt, das wäre eigentlich geschenkt und beginnt das<br />

gute Stück mit Tränen ob der baldigen Trennung in den Augen<br />

zu polieren.<br />

Da sich die Privatwirtschaft in einer Flaute befinde und wegen<br />

des schlechten Einflusses der Kaltwetterfront am kommenden<br />

Dienstag sei es ihm nicht möglich, mehr als ein Fünftel<br />

des verlangten und bestimmt korrekten Preises zu zahlen,<br />

entgegnet König Kunde.<br />

Krampfgeschüttelt wälzt sich der erniedrigte Händler wimmernd<br />

im Staube seines Fußbodens und bittet alle ihm schlecht-<br />

31


gesonnenen Götter herzzerreissend um Erbarmen für soviel<br />

ihm zugedachte Schande.<br />

Der offensichtlich unbeeindruckte Kaufinteressent kniet vor<br />

dem am Boden liegenden, schwer nach Luft Schnappenden<br />

und flüstert ihm leise ins Ohr, er stehe zwar auch in Verhandlungen<br />

mit der indischen Silbermafia, lege aber zur Not noch<br />

ein Paar alte Socken oben drauf, obwohl er damit verflucht<br />

sei, den Rückweg in die weit entfernte Heimat barfuß anzutreten.<br />

Socken könne niemand essen und daher nehme er das<br />

Geschenk gerne an, wenn selbiges mit einigen zusätzlichen<br />

Rupies gefüllt sei, stöhnt der vermeintlich schwer angeschlagene<br />

Ladenbesitzer.<br />

Ok, ok - zwei Fünftel seines Preises und das Paar Fußpelze<br />

als Beigabe sei jetzt aber wirklich das Höchste der Gefühle !<br />

Mit bleichem Gesicht und kraftloser, schwankender Stimme<br />

schlägt der Händler nach einer geschlagenen Stunde harter<br />

Verhandlung notgedrungen in das Geschäft ein, entgegnet,<br />

er müsse den Laden jetzt leider schließen, da er nun<br />

pleite sei, und schließt ihn dann auch wirklich - um eine Woche<br />

lang von dem reichlichen Gewinn Urlaub zu machen...<br />

Keine Lüge.<br />

Passiert einem in Nepal und Indien andauernd !<br />

Ich blickte der ganzen Angelegenheit eher cool ins Auge,<br />

war ich doch immun gegen dergleichen weltlichen Glanz und<br />

Glitter. Wozu braucht der Mensch so unnötigen Tand wie<br />

silberne Ringe, Edelsteine oder güldene Ketten ?<br />

Rockys Euphorie und Kaufrausch waren für mich vollkommen<br />

unverständlich - geradezu abstoßend !<br />

Aber toll sahen die Ringe schon aus...<br />

32


Von Swayambunath zurückgekehrt ging der erste Tag eigentlich<br />

recht schnell zu Ende. Nach dem Abendessen in irgendeiner<br />

indischen Spelunke, wo wir leckere undefinierbare<br />

Speisen in uns hineinschlangen, suchten wir zeitig unsere Schlafgemächer<br />

auf .<br />

Da es in den Zimmern unserer Pension - wie in allen Pensionen<br />

Nepals - keine Heizung gab, begann es zu dieser Jahreszeit<br />

ab dem späten Nachmittag kalt zu werden, denn wir<br />

befanden uns immerhin in einer Höhe von 1300 Metern über<br />

Normalnull.<br />

Dieser Zustand verschlimmerte sich von Stunde zu Stunde,<br />

und abends war es dann meist dermaßen arschkalt, daß man<br />

sich ganz schnell in seinen ebenfalls noch kalten und klammen<br />

Schlafsack verkroch und mit deutlich sichtbaren Atemfahnen<br />

und klappernden Zähnen versuchte, dem Schlaf entgegenzudämmern,<br />

während draußen vor den Fenstern bereits einige<br />

Hunde ihr Unwesen trieben und die ersten Lagerfeuer auf<br />

der Straße entzündet wurden.<br />

Auf unserem Nachttischchen krümelten derweil die <strong>neu</strong>entdeckten<br />

Erdnußkekse zwischen Räucherstäbchen, Bananen,<br />

Maggi-Brühwürfeln und verschmierten Blechtassen vor<br />

sich hin, und gegen ein Uhr morgens schaltete sich endlich<br />

der teuer erworbene, ununterbrochen "Kratz- und Pfeifgeräusche<br />

aus aller Welt" plärrende Weltempfänger automatisch<br />

ab, so daß wir in Ruhe weiterfrieren konnten.<br />

Nur knapp eine Woche wollten wir in Nepal verbringen,<br />

dann war Rockys Visum abgelaufen, und er mußte das gelobte<br />

Land verlassen. Seine Planung sah vor, daß wir diesen<br />

Termin nutzten, um zu unserem gemeinsamen Mega-Trip<br />

nach Indien aufzubrechen.<br />

33


Rolf, der eigentlich vorhatte, sich Ende Februar mit einem<br />

Bekannten zu treffen, der in Deutschland einen florierenden<br />

Handel mit nepalischen Wollprodukten betrieb, war kurzzeitig<br />

auch am Überlegen, ob er mit nach Indien kommen solle.<br />

Da wir aber erst Mitte März zurück sein wollten und er sich<br />

mit Bogdan anfreundete, entschloß er sich erfreulicherweise<br />

doch, die verbleibende Zeit in Nepal zu verbringen, um die<br />

Gegend und einheimische Shit-Sorten abzuchecken. Was mir<br />

auch ganz recht war, wie ich eingestehen muß, denn obwohl<br />

wir uns ein Zimmer teilten, war ich nicht erpicht darauf, mehr<br />

Zeit als notwendig mit ihm zu verbringen.<br />

Es war bereits Freitag, also blieben bis zum kommenden<br />

Dienstag, dem D-Day, nur ein paar Tage, um die Busfahrkarten<br />

für uns drei und speziell das indische Visum für mich zu besorgen,<br />

was beinahe in die Hose ging, denn zuerst verlor ich<br />

schon mal drei Tage dadurch, daß man mich von der Indischen<br />

zur Deutschen Botschaft schickte, wo ich mir das verlangte<br />

Empfehlungsschreiben, den Recommendation-Letter, besorgen<br />

mußte. Den erhielt ich erfreulicherweise auch am<br />

gleichen Tag, doch zurück bei der Indischen Botschaft stand<br />

ich vor verschlossener Tür: Wochenende !<br />

Und so gaben wir uns ganz dem nächsten kulturellen Ereignis<br />

auf unserem engen Terminplan hin: dem Besuch von<br />

Pashupatinath, wo die Hindus am Fluß Bagmati ihre Toten auf<br />

Holzstößen zu Asche verfeuern und Boudanath, der zweiten<br />

und größten Anlage buddhistischer Energieplanung, mit einem<br />

40 Meter hohen Stupa.<br />

Beide Ziele liegen östlich von Kathmandu, und den ansteigenden<br />

holprigen Weg dorthin bewältigten Rocky und ich mit<br />

34


einem zweigetakteten knatternden Tempo - auch Motorrikscha<br />

genannt. Diese asiatischen Kabinen-Dreiräder schütteln<br />

ihre Fahrgäste kräftig durch, und wenn es mal etwas<br />

steiler wird, kann es passieren, daß man gebeten wird auszusteigen,<br />

damit die Kiste überhaupt noch vom Fleck kommt.<br />

Auf alle Fälle lustig !<br />

Heilige Verfallsstätte in Pashupatinath<br />

Ich mochte Pashupatinath ehrlich gesagt nicht viel abgewinnen,<br />

denn Nicht-Hindus ist es verwehrt, sich die komplette<br />

etliche hundert Jahre alte Anlage von innen anzuschauen. Daher<br />

blieb uns nichts weiter übrig, als den Fluß auf einer der<br />

zwei Steinbrücken zu überqueren und am anderen Ufer auf<br />

einer weißgekalkten Treppe eine Anhöhe zu erklimmen.<br />

Tempelanlage, Treppe, wie der dort oben befindliche zerrupfte<br />

Wald sind Lebensraum für eine Vielzahl abgezehrter<br />

scheintoter, aber heiliger Rindviecher, die den ganzen Tag<br />

wiederkäuend vor sich hinstarren und mit ihrem Dung die<br />

35


Gegend vollsauen. Unterstützt werden sie dabei von halbverhungerten<br />

herumstreunenden `Wildhunden´, die einem in<br />

ihrem Elend einfach nur leid tun können, und verfressenen<br />

Großfamilien streitsüchtiger Affen, die auch schon mal einem<br />

Touristen in die Tasche greifen, sofern sie etwas Nahrhaftes<br />

darin vermuten. Zwischen den Bäumen stehend kämpfen tagtäglich<br />

uralte hinduistische Tempelanlagen gegen Interesselosigkeit,<br />

Verfall und Vandalismus an, und niemand scheint sich<br />

darum zu kümmern. Ein Bild des Schreckens !<br />

Im Hintergrund ragt die große durchlöcherte Kuppel einer<br />

von einer hohen Mauer umgebenen Moschee zwischen den<br />

Bäumen hervor - ich denke, die muß übriggeblieben sein von<br />

den muselmanischen Eindringlingen, die den `gottlosen´ Hindus<br />

im 14.Jahrhundert zeigen wollten was Sache ist und deren<br />

Tempelanlage dem Erdboden gleichmachten - was man<br />

mit ihnen später auch tat...<br />

Vorsicht vor den menschenfressenden Yeti-Tempelaffen<br />

36


Die Besucher vertreiben sich die Zeit im Wald, auf einer<br />

nahen kleinen Wiese oder sitzen auf einer der hinter einer<br />

steinernen Brüstung stehenden hölzernen Sitzbänke, von denen<br />

aus das bunte Treiben am Fluß und zwischen den Tempelanlagen<br />

am gegenüberliegenden Ufer gemütlich beobachtet<br />

und gefilmt werden kann. Vorsicht ist hier allerdings vor den<br />

soeben genannten diebischen Affen geboten, die über, unter<br />

und neben einem herumwuseln und keine Scheu haben, einem<br />

Nackten in die Tasche zu fassen, wie Rocky entgeistert<br />

feststellten mußte.<br />

Zeitig machten wir uns wieder auf den Weg, um nach<br />

Boudanath zu gelangen, das nur drei Kilometer von<br />

Pashupatinath entfernt liegt. Schon von weitem wird man der<br />

dem Kuppelbau aufgemalten allessehenden Augen Buddhas<br />

gewahr, des Urvaters dieser Anlage, die so riesig ist, daß die<br />

Menschen auf dem weißgetünchten Bauwerk herumlaufen<br />

können. Das nur von tibetischen Buddhisten verehrte Heiligtum<br />

gilt als einer der Welt größten Stupas. Wie in<br />

Swayambunath, so wandert auch hier ein nicht endenwollender<br />

Strom murmelnder Gläubiger um den Stupa herum und dreht<br />

die mit Schriftzeichen versehenen, gebetemahlenden Energiespender.<br />

Von der goldenen Spitze des Stupa sind lange Leinen<br />

bis zum Boden gespannt und mit lustig im Wind flatternden,<br />

bunten Batik-T-Shirts zum Auslüften behängt, die überall<br />

in den Haute Couture-Läden des Kathmandu-Tales für wenig<br />

Geld zu haben sind.<br />

Rings um den Platz verteilt findet der interessierte<br />

Konsumtourorist viele kleine Lädchen und fliegende Händler<br />

(!!!), wo er dies, das, jenes und welches, meist aus tibetischer<br />

Produktion stammende erwerben kann. So richtete Rocky<br />

sein Augenmerk z.B. auf eine übel verformte Schädeldecke,<br />

37


Boudanath-Stupa<br />

die von einem solchen Hochgebirgsbewohner hier am Platze<br />

angeboten wurde. Leider war der verlangte Preis so hoch<br />

und der Mann so handelsunwillig, daß das gute Stück nicht<br />

den Besitzer wechselte.<br />

Schädeldecken sind keine, wie der Unkundige vielleicht vermuten<br />

mag, wärmenden Wolldeckchen, die sich Mama oder<br />

Papa aufs Haupt legen, falls ihnen friert, sondern von in Todesangst<br />

schreienden Menschen - meist ahnungslosen Touristen<br />

- mit stumpfem Werkzeug, bei lebendigem Leibe abgesägte<br />

Kopfoberteile, die in noch warmem Zustand vom Skalp<br />

befreit, mit Silberblech ausgekleidet werden und poliert und<br />

mit Türkisen, Silberblech, Sea-Corral oder eingeschnitzten<br />

Mandalas verziert als skurrile Dessert-Schalen in den Handel<br />

gelangen. Der restliche Körper wird zu Spottpreisen ans `be-<br />

38


freundete´ China verscherbelt, wo das Fleisch in den lokalen<br />

Suppenküchen verschwindet, wohingegen die restlichen Knochen<br />

in den staatlichen Eßstäbchenschnitzereien Verwendung<br />

finden.<br />

Kleiner Scherz - Schädeldecken werden natürlich nicht als<br />

Dessert-, sondern als Trinkschalen verwendet !<br />

91er Schädeldecken-Sommer-Kollektion `Chainsaw-Desaster´<br />

Doch außer Schädeldecken gab es natürlich noch andere<br />

interessante Dinge, die man mit nach Hause bringen konnte.<br />

Da mich Rocky mittlerweile mit seiner ewigen Aufkauferei<br />

kompletter Ladeninventarien angesteckt hatte, versuchte ich<br />

mein Glück bei einem Laden für wollene Handarbeiten und<br />

wurde stolzer Besitzer eines stark kratzenden, aber sehr warmen<br />

Pullovers aus reiner handverarbeiteter Yakwolle, der<br />

mir auf unserem Trek gute Dienste leistete. Und der Preis<br />

war einfach unfaßbar: fünfzehn Mark !<br />

Zwei Läden weiter erstand ich zudem ein Paar dazu passende<br />

Wollhandschuhe für nur eine einzige Mark und<br />

Wollsocken für lächerliche zwei Mark ! Ein kleiner Schmuckladen<br />

erregte ebenfalls meine Aufmerksamkeit: Ich fand,<br />

39


feilschte und erstand dank Rockys Unterstützung für ganze<br />

zehn Mark einen sehr schön geschliffenen, in Silber eingefaßten<br />

golden Topas, wie der Händler versicherte, den ich im<br />

nachhinein aber eher als weniger wertvollen Citrin einschätze.<br />

Der Preis für einen Silberring mit einem dicken fetten Citrin<br />

von drei Zentimeter Kantenlänge überstieg aber dummerweise<br />

meine derzeitige Hemmschwelle, was ich später bereute.<br />

Die anfänglichen Berührungsängste mit dem ewigen Herumgefeilsche<br />

für Alles und Jedes waren damit auf jeden Fall<br />

beseitigt und ich wurde später nur noch mutiger und ... unverschämter.<br />

Was für ein tolles Spiel !<br />

Zurück in Kathmandu opferte ich mich, wie jeden der verbleibenden<br />

Tage bis zur Abreise nach Indien, dem exzessiven<br />

Schreiben von Postkarten und Luftpostbriefen; hatte ich mir<br />

doch fest vorgenommen, diese quälende Aufgabe möglichst<br />

in der ersten Woche zu erledigen, da ich wußte, wie schnell<br />

bei mir die Lust dazu erlahmte. In meinem Repertoire befanden<br />

sich dreißig (30 !) Adressen, und soviel Post wollte erst<br />

einmal geschrieben werden, ohne in das übliche Blabla zu<br />

verfallen.<br />

Die mit Vier-Rupien-Marken (ca. 15 Pfennig !) frankierten<br />

Karten (Luftpostbriefe kosteten 30 Pfennig !), mußten danach<br />

zum GPO, dem Hauptpostamt am Bimsen-Tower gebracht<br />

und dort von einem staatlichen Spezialisten abgestempelt<br />

werden. Dabei war darauf zu achten, daß der entsprechende<br />

Staatsdiener auch wirklich das machte, was er machen<br />

sollte - aufgepaßt, denn es kommt des öfteren vor, daß<br />

die Angestellten die ungestempelten Briefmarken von den<br />

Karten oder Briefen ablösen, die Post wegschmeißen und die<br />

40


Marken aufs <strong>neu</strong>e verkaufen, um ihr bescheidenes Gehalt<br />

aufzubessern. Das ist diesmal kein Witz !<br />

Obwohl wir nur gefiltertes und zusätzlich mit Micropur behandeltes<br />

Wasser zu uns nahmen oder die Zähne damit putzten<br />

und auf unseren Streifzügen im städtischen Bereich ausschließlich<br />

Tee oder Kaffee bevorzugten, war es einem hinterhältigen<br />

Bakterium durch irgendeinen dämlichen Umstand<br />

gelungen, mein körpereigenes Verteidigungsnetz auszutricksen<br />

und in meinen Organismus einzufallen, wo es sich ungezügelt<br />

vermehrte und versuchte, Platz für sich und seine<br />

krankhafte Nachkommenschaft zu schaffen. Das äußerte sich<br />

in gelegentlichem überflüssigen Entleeren des Darmes, der<br />

sich mit ein paar halbherzigen Krämpfen gegen diese Art von<br />

Besiedelungspolitik wehrte, begleitet von leichtem Fieber mit<br />

gelegentlichem Schüttelfrost.<br />

Da es nicht ganz so schlimm war, entschloß ich mich abzuwarten,<br />

ob der Eindringling von selber klein beigab und das<br />

Weite suchte, verzichtete also vorerst darauf, einen pharmazeutischen<br />

Killer auf ihn anzusetzen.<br />

Vielleicht war es auch nur eine Erkältung oder fiebrige Kaufwut,<br />

denn es verschwand viel Geld für Räucherstäbchen,<br />

Täschchen, Silberringe, Messer, Ketten, Reispapier-Heftchen,<br />

Kekse, Schädeldecken, Kuchen, Tiger-Balsam, China-Öl, Versteinerungen,<br />

Bergkristalle, Kästchen, usw., während wir zur<br />

Beruhigung des guten Gewissens nur ab und zu mal eine<br />

Rupie oder weniger an einen der verkrüppelten und zerlumpten<br />

Bettler oder bunt zurechtgemachten Yogis spendeten,<br />

nachdem wir vorher Hunderte für vermeintlich wertbeständigen<br />

Krimskrams zum Fenster rausgehauen hatten.<br />

Wenn man drüber nachdenkt, kann einem halt schlecht<br />

werden. Leider - aber so war´s.<br />

41


In diesem etwas angeschlagenen Zustand ging es in die<br />

letzte Kultur-Runde vor unserem großen Aufbruch nach Indien:<br />

Wir machten einen ganztägigen Besuch in der "Stadt der<br />

Menschen, die Gott in Hingabe dienen": Bhaktapur; neben<br />

Kathmandu und Patan eine der drei ehemals mächtigen Königsstädte<br />

im Kathmandu-Tal. Mit einem Taxi fuhren diesmal Rolf,<br />

Dörthe, Rocky und ich zusammen zu dem 16 Kilometer südöstlich<br />

von Kathmandu gelegenen altertümlichsten der drei<br />

Städtchen, das eine Fülle von gut erhaltenen Tempeln sein<br />

eigen nennt.<br />

Es wäre müßig, in diesem Buch jedes dieser sehenswürdigen<br />

Kleinode nepalesischer Baukunst aufzuführen und zu beschreiben,<br />

denn dafür mag sich der interessierte Leser in die<br />

kaum übersehbare Schwemme unheimlich öder und tödlich<br />

langweiliger Reiseführer am Markte stürzen.<br />

Urgemütlich: Wohnsilos in Bhaktapur<br />

42


Viel interessanter war für uns damals auch die Stadt an<br />

sich, ein lebendes Biotop mit seinen uralten, geradezu ineinander<br />

verwachsenen und windschiefen Gebäuden, die nur<br />

darauf warteten, entdeckt zu werden. Also hielten wir uns<br />

zuerst mehr im Hinterland auf, guckten hier und suchten da,<br />

um dem unerwarteten Ansturm der Otto-Normal-Touristen,<br />

die sich überwiegend im Bereich Durbar Square und Taumadhi<br />

Tole verteilten, zu entfliehen. Angenehmer Nebeneffekt dabei<br />

war, daß wir gleichzeitig den an diesen gutbesuchten Plätzen<br />

touristenauflauernden Bambusflöten-, Kettchen-, Messerund<br />

sonstigen Kram verkaufenden Straßenhändlern entgingen,<br />

die sich für unseren Geschmack etwas zu aufdringlich<br />

benahmen.<br />

An den `weniger attraktiven´ Orten von Bhaktapur, etwa<br />

bei den riesigen Wasch- oder Badeplätzen, die dort überall zu<br />

finden sind, sah man beispielsweise experimentierfreudige junge<br />

Nepalesinnen damit beschäftigt, ihre gerade getrocknete<br />

und garantiert absolut saubere Wäsche in die total verdreckten<br />

und von Wasserlinsen zugewachsenen Wasserbecken, den<br />

sogenannten Pokharis, zu schmeißen, um deren Schwimmund<br />

Saugfähigkeit zu testen, und andernorts vergnügten sich<br />

zu unserem großen Erstaunen äußerst hungrige<br />

Bhaktapurianer mittleren Alters, indem sie auf dem dreckigen<br />

Boden, inmitten der Fußgängerzone, ein auf unbekannte<br />

Art und Weise dahingeschiedenes Rindvieh in seine Einzelteile<br />

zerlegten.<br />

Dazu war der bemitleidenswerte Leichnam vorher von ihnen<br />

unausgenommen, so wie Gott ihn erschaffen hatte, in<br />

ein Feuer geschmissen worden, um das Fell abzufackeln -<br />

und dementsprechend unappetitlich sah der verkokelte Kadaver<br />

nun auch aus.<br />

43


Während die Frauen ihre Wäsche badeten...<br />

Als wir eine halbe Stunde später wieder an der Stelle vorbeikamen,<br />

hatten die eifrigen Schlächter bereits alles, samt<br />

Knochen und Eingeweiden, aufgegessen (???), und nur ein<br />

blutiger Fleck zeugte noch von dieser schnellen und reichlichen<br />

Zwischenmahlzeit.<br />

Getrennt von Rocky und Dörthe, mit denen wir uns später<br />

wieder am Durbar Square treffen wollten, durchstreiften Rolf<br />

und ich zu zweit die ereignisreichen, trotz des Sonnenscheins<br />

von einem kühlen Wind durchwehten Gäßchen. Als sich nach<br />

dem langen Herumlaufen neben dem Frieren auch noch der<br />

44


...widmete sich die Männerwelt mal wieder fleischlichen Genüssen<br />

Hunger knurrend in unseren beiden Mägen bemerkbar machte,<br />

suchten wir ein kleines chinesisches Lokal auf, wo wir uns<br />

als einzige Gäste bei andenähnlicher Flötenmusik und einem<br />

leckeren Nudelgericht ein Quentchen Ruhe gönnten. Danach<br />

begaben wir uns in gemäßigtem Tempo in Richtung unseres<br />

vereinbarten Treffpunktes am Durbar Square.<br />

Irgendwo auf dem Weg dorthin glaubte ich meinen Augen<br />

nicht zu trauen, als ich durch ein leicht geöffnetes Tor blickte<br />

und etwas sah, was nun so gar nicht zu dem mittelalterlichen<br />

Ambiente paßte: Da standen doch tatsächlich sauber aufgereiht<br />

drei blitzblank geputzte Feuerwehrwagen der örtlichen<br />

Feuerwehr, einer davon ein sehr gut gepflegter Oldtimer mit<br />

Holzleiter, Handglocke und -pumpe !<br />

Genial ! Das mußte ich unbedingt fotografieren.<br />

45


Feuer ahoi !!!<br />

Am Durbar Square wieder lustig vereint, stürzten Rocky<br />

und ich uns auch gleich auf das mannigfaltige Angebot jahrhundertealter<br />

Antiquitäten und traditioneller Tourismus-Kleinkunst,<br />

die dort zu Spottpreisen verramscht wurden, wollte<br />

man den Worten der Händler Glauben schenken, die alles<br />

mit "very old" und "very, very cheap cheap" versuchten an<br />

den Fremdling zu bringen. Wirklich kaufen mochten wir jedoch<br />

im Moment nichts mehr, die angeleierten Geschäftsverhandlungen<br />

dienten einzig und allein der näheren Information<br />

und des Feilschtrainings, und es war schon sehr interessant,<br />

wie weit die Händler von sich aus bereit waren, mit den<br />

Preisen herunterzugehen, wenn man nicht unbedingt ein Interesse<br />

zeigte.<br />

Solche anstrengenden Gespräche können sehr hungrig machen,<br />

weshalb es uns auch bald Richtung Taumadhi Tole trieb,<br />

46


wo wir in dem im Pagodenstil erbauten "Restaurant Nyatapola"<br />

Stellung bezogen, das von einem seiner oberen beiden Stockwerke<br />

einen wunderschönen Rundblick über den gesamten<br />

Platz bot. Links neben dem Restaurant reckte sich der fast<br />

300 Jahre alte, fünfgeschossige Nyatapola-Pagodentempel mit<br />

einer Höhe von 30 Metern dem Himmel entgegen, und geradezu<br />

blickten wir auf den mit `nur´drei Dächern ausgerüsteten<br />

Bairabnath-Tempel.<br />

Hochzeit: Im buntgeschmückten Auto sitzt der Bräutigam<br />

Währenddessen schob sich unten auf dem Platz eine große<br />

Hochzeitsgesellschaft durch die sowieso schon reichliche<br />

Menschenmenge, begleitet von einer mit Pauken und Trompeten<br />

ausgerüsteten und in rote Uniformen gekleideten Kapelle,<br />

die laut etwas an `Karneval in Rio´ Erinnerndes zum<br />

Besten gab. Es war die Hölle los !<br />

Sofort Kamera her, runtergehetzt und ein Foto davon gemacht<br />

und danach noch eins von der Touristin, die "No, No,<br />

47


Mit 30m ist der Nyatapola-Tempel der höchste seiner Art im Kathmandu-Tal<br />

48


Nooo !!" schreiend versuchte, Hals über Kopf der Bande von<br />

Straßenhändlern zu entkommen, die ihr u-n-b-e-d-i-n-g-t eine<br />

schmucke Holzkette, ein wirkungsvolles Hackmesser, Armbänder<br />

oder vielleicht eine Gebetsmühle? andrehen wollten<br />

und der ängstlichen Dame dabei extrem auf die Pelle rückten...<br />

Also, man konnte auf keinen Fall behaupten, das dort nix<br />

los wär´, denn allein von dem was so passierte, konnte man<br />

schon ein ganzes Buch füllen. Und noch mehr los war später<br />

im "Norbulinga Guest House", als wir zurückkamen und Dörthe<br />

unbedingt, sofort und ohne Umschweife die 20 Rupies, oder<br />

war´s weniger? zurückhaben wollte, die sie mir irgendwann<br />

am Morgen geborgt hatte. Worauf ich etwas ungehalten reagierte,<br />

denn erstens ging ich ja nicht verloren und zweitens<br />

können nur arme Inder an ´ner fehlenden Mark zugrunde<br />

gehen.<br />

Hatte das nicht Zeit bis ...sagen wir mal... morgen ?<br />

Doch weit gefehlt ! Kurze Zeit später erschien Rocky im<br />

Zimmer, kritisierte mein allgemein ungebührliches Verhalten<br />

und setzte mir auseinander, daß er zwar gerne mit mir zusammen<br />

verreisen wolle, aber eben nur unter gewissen, von<br />

ihm ins Auge gefaßten Umständen, und schließlich warnte er<br />

mich erbost davor, Dörthe und ihn auseinanderbringen zu<br />

wollen ???<br />

Was 20 Rupies so anrichten können - mein Gott !!!<br />

Vor Verwirrung stand mir glatt der Mund offen. Heilige<br />

Scheiße - was sollte man auf so was antworten ?<br />

Irgendwie lief hier wohl der falsche Film ?<br />

Der Zornesausbruch hatte tiefere Gründe: Dörthe vermutete<br />

in mir ein verdeckt arbeitendes Mitglied der internationalen<br />

Anti-Frauenfront und teilte Rocky ihren Verdacht mit;<br />

49


Rocky erahnte nebulöse frauenfeindliche Intrigen zwecks<br />

Ausgrenzung seiner Herzallerliebsten, und ich dachte einfach<br />

nur, die beiden haben komplett den Verstand verloren -<br />

Dörthe wegen ihrer andauernden Pfennigfuchserei und Rokky,<br />

weil er nicht wußte wovon er redete.<br />

War etwa zwei Tage vor Beginn der eigentlichen Reise alles<br />

zuende wegen solchen Schwachsinns ?<br />

Nein und nochmals nein !<br />

Mit knirschenden Zähnen gab ich klein bei...<br />

Am Montag, dem 21.01.1991 um 08:00 Uhr zeigte die Tür<br />

der Indischen Botschaft leider immer noch keine Regung sich<br />

zu öffnen, denn auch für Blinde und geistig Schwache war die<br />

offizielle Öffnungzeit um Punkt 09:00 Uhr und keine Sekunde<br />

früher.<br />

Nach Öffnung der von mir und weiteren tausend Bewerbern<br />

belagerten Eingangspforte schüttelte mich beinahe ein<br />

hysterischer Anfall, als jeder seinen Antrag in die Hand gedrückt<br />

bekam und ich erschüttert feststellte, daß ich tatsächlich<br />

als einziger weder ein Hirn noch den viel wichtigeren<br />

Kugelschreiber dabei hatte, um diesen Fetzen auch den Vorgaben<br />

gemäß auszufüllen. Da aber trat mein ungeahntes<br />

schauspielerisches Talent auf den Plan, und einer der weniger<br />

hartherzigen Fürbittsteller empfand genug Mitleid, um seinen<br />

Faserschreiber an mich abzutreten.<br />

Damit nicht genug, wartete schon der nächste Schicksalsschlag<br />

in Gestalt eines uneinsichtigen Sachbearbeiters, denn<br />

um den Antrag innerhalb eines Tages zu bearbeiten, verlangte<br />

der Verfluchte zynisch das Busticket der imaginären `Reisegruppe´<br />

zu sehen, die ich zur Unterstreichung der Dringlichkeit<br />

meines Falles ins Leben gerufen hatte.<br />

50


G-O-T-T I-M<br />

H-I-M-M-E-L - die<br />

Tickets verwahrte<br />

Rocky !!!<br />

Hetz, Hetz, Hetz,<br />

keuch, hechel, hechel<br />

zurück ins Hotel,<br />

Rocky nicht da ...<br />

ich warten ... und<br />

warten ... und warten<br />

und die Zeit rann<br />

dahin. Da plötzlich<br />

tauchte Rocky auf,<br />

und mit einem wehleidigen<br />

Aufschrei nervlicher<br />

Anspannung entriß<br />

ich ihm die unentbehrlichenBusfahrkarten,<br />

wollte gerade zur Tür hinausstürzen, als Bogdan sich<br />

anbot, mich mit dem Motorrad zurückzubringen.<br />

Schließlich überreichte ich vollkommen entnervt meinen<br />

sauber ausgefüllten Antrag plus einwandfreiem und rechtsgültigem<br />

auf meinen Namen ausgestellten Ticket dem zuständigen<br />

Oberabstempler in der Botschaft und schob einen 500<br />

Rupien-Schein zwecks Bezahlung der geforderten Bearbeitungsgebühr<br />

in Höhe von 380 Rupies hinterher, worauf diesmal<br />

keine irgendwie geartete Gegenwehr erfolgte.<br />

Freudig erregt und mit der Genugtuung es endlich geschafft,<br />

die Bürokratie in die Knie gezwungen zu haben, verspürte ich<br />

den unaufhaltsamen, ja geradezu zwanghaften Drang, diesem<br />

51


Gott der Formulare und Bescheinigungen ein angemessenes<br />

Opfer für soviel Hingabe darzubringen, bat ihn darum<br />

unterwürfigst, das mir gesetzlich zustehende Wechselgeld zu<br />

behalten, was ich lieber nicht hätte tun sollen, oder wenigstens<br />

nicht mit der langen Schlange anderer Antragsteller und<br />

potentieller Mithörer hinter mir. Es kränkte anscheinend die<br />

persönliche Ehre dieses Schwachkopfs, der urplötzlich mit<br />

einem erbosten Redeschwall von schwerverständlichem<br />

Pidgin-English über mich herfiel.<br />

Ich war perplex - was war los ?<br />

Hatte ich irgendwas Falsches gesagt ?<br />

Doch mein Schicksal ließ mich nicht im Stich, und ein Schutzengel<br />

in Gestalt eines hinter mir stehenden deutschsprechenden<br />

Ceylonesen, mit Namen Krishna, sprang in die Bresche,<br />

erklärte mir, der Beamte wolle wegen der versuchten vorsätzlichen<br />

Bestechung meinen Antrag nicht bearbeiten - die<br />

Sache könne ich vergessen !<br />

Ich entschuldigte mich für dieses `Mißverständnis´, und der<br />

gewiefte Krishna erklärte dem Erbosten schließlich in Hindi,<br />

Deutsche wären halt so überaus reich und blöde, daß sie<br />

andauernd Unsummen von Geld an vollkommen wildfremde<br />

Menschen verschenkten. Er wüßte das: er lebe schließlich in<br />

Deutschland.<br />

Der Sachbearbeiter beugte sich aus seiner Kabine, und sein<br />

ungläubiger Blick wanderte zwischen unseren verschworenen<br />

Unschuldsmienen hin und her. Ende vom Lied: Das 45-<br />

Tage-Visum konnte am Nachmittag abeholt werden, und ich<br />

erhielt das `korrekte´ Wechselgeld in Höhe von 115 Rupies<br />

sofort zurück !<br />

52


Der Tag der Abreise war gekommen ! Mit unserem Gepäck<br />

stapften wir um 06:15 Uhr in der feuchtkalten Morgendämmerung<br />

zur nahegelegenen Bushaltestelle am Kanti Path<br />

und warteten, wie wir festellten als einzige Ausländer, auf<br />

den Local-Bus nach Varanasi.<br />

Als der abgewrackte Müllhaufen nach einer halben Stunde<br />

endlich eintraf, das Gepäck auf dem Dach des Busses verstaut<br />

war und die Türen zum Einsteigen geöffnet wurden,<br />

entstand ein tierisches Gedränge, denn jeder wollte zuerst<br />

hinein, um einen Sitzplatz zu ergattern.<br />

Nach einigem Kampf saßen auch wir, es sollte gerade losgehen,<br />

und ich werde es nie vergessen, wie Rocky dann meinte:<br />

"So, nochmal gucken, ob alles da ist...", seine Unterhose<br />

kontrollierte, in die das Bargeld eingenäht war, die Taschen<br />

abklopfte, ganz still und bleich wurde und mit dem Aufschrei<br />

"Jetzt gibt´s Tote !" und auf Dörthes erstaunte Frage "Was ist<br />

denn los ?", "...die Drecksäcke haben mir meine Brieftasche<br />

geklaut !!!" aufgeregt seine seitlich angebrachte Hosenbeintasche<br />

betrachtete, aus der die abgeschnittenen Lederriemen<br />

seiner Superspezialdiebstahlsicherung herausbaumelten.<br />

Der Täter, wahrscheinlich ein indischer Taschendieb, hatte<br />

die Tasche vorsichtig aufgeknöpft, die Sicherheitsnadel, mit<br />

der die Brieftasche innen an der Hose gesichert war, geöffnet,<br />

die an der Brieftasche angenähten Lederriemen mit einer<br />

Rasierklinge fein säuberlich gekappt, und schon waren<br />

Reisepaß, Flugticket, sowie einige AMERICAN-EXPRESS-Reiseschecks<br />

auf Nimmerwiedersehen verschwunden - regelrecht<br />

unheimlich !<br />

Sofort quetschte sich Rocky durch die Menschenleiber nach<br />

draußen, um dort zu suchen, fand nichts und niemanden,<br />

dem er für diese Schandtat eine aufs Maul hauen konnte und<br />

begab sich nach kurzer Aussprache mit Dörthe und mir zum<br />

53


Ticket-Office, um den Kauf der Buskarten zu annullieren. Also<br />

alles wieder aussteigen, die kürzeste Busfahrt der Welt war<br />

beendet, Gepäck runter vom Bus und Arrivederci !<br />

Die Leute im "Norbulinga Guest House" staunten nicht<br />

schlecht, als wir uns eine Stunde nach unserem Aufbruch<br />

wieder in unsere alten Zimmer einquartierten. Ich legte mich<br />

eingerieben mit Tigerbalsam und vollgepumpt mit Aspirin sofort<br />

ins Bett, nutzte die günstige Gelegenheit, die äußerst<br />

unangenehme Erkältung, die mich seit Tagen plagte, auszukurieren,<br />

und Rocky düste nach dem ersten Schreck sofort<br />

los zum Immigration-Office, da mit dem heutigen Tag sein<br />

Visum abgelaufen war, zur Polizei, Deutschen Botschaft, Filiale<br />

von AMERICAN EXPRESS und zum Büro von BIMAN-AIR-<br />

LINES, um den Schaden zu melden.<br />

Dank der gebunkerten Fotokopien hätte es eigentlich keine<br />

großen Wiederbeschaffungsprobleme geben dürfen.<br />

Die gab es aber mit dem, sagen wir mal, pseudo-professionellen<br />

Polizei-Apparat in Nepal, als er eine Anzeige aufgeben<br />

wollte, um seine Traveller-Schecks ersetzt zu bekommen.<br />

Nicht interessiert an einer Anzeige, `empfahl´ man ihm, seine<br />

Sachen "verloren oder verlegt" zu haben.<br />

Daraufhin mietete sich Rocky zum Erstaunen der Beamten<br />

kurzerhand für einige Stunden im Polizeirevier ein, bis die<br />

Staatsgewalt sich fügte. Das, und später bei unserer Rückreise<br />

auftretende Probleme erhärteten den Verdacht, daß Nepals<br />

Polizei anscheinend saumäßig korrupt ist und entgegen<br />

der guten Sitten und dem Bestreben Nepals, ein zivilisiertes<br />

Land zu sein, illegale Geschäfte mit Verbrechern macht.<br />

Das Ersatzticket kostete 25 Dollar und wurde nicht mehr<br />

sofort ausgehändigt, sondern mußte drei Tage vor Abflug im<br />

Büro von BIMAN AIRLINES abgeholt werden. Prima, das war<br />

54


ein Unsicherheitsfaktor weniger. Auch der Reisepaß bereitete<br />

keine großen Schwierigkeiten. Doch sein <strong>neu</strong>es indisches<br />

Visum sollte er erst in drei Tagen erhalten. Das bedeutete, er<br />

benötigte ein <strong>neu</strong>es Nepal-Visum für volle vier Tage zu 150<br />

Rupies, zuzüglich eines Zwangsumtausches von 10 Dollar täglich.<br />

Als Rocky endlich von der Polizei wiederkam, erzählte er,<br />

daß dort bereits einige andere Reisende Schlange standen,<br />

die noch viel verrücktere Geschichten zu Protokoll gaben.<br />

Einem von diesen Leuten hatte der Dieb mit einer Rasierklinge<br />

fein säuberlich von hinten das Hosenbein, dann die Halteriemen<br />

seiner Beingeldtasche aufgeschnitten und das ganze<br />

Ding herausgezogen, ohne daß er was merkte. Einem anderen<br />

war der mit einer Kette umwickelten Rucksack, den er<br />

locker über der Schulter trug, aufgeschlitzt worden und zwar<br />

genau an der Stelle, wo das Heft mit seinen Reiseschecks<br />

lag. Und weil der Täter nur die untersten Schecks herausgezogen<br />

hatte, war dem Opfer die Sache erst etliche Tage<br />

später aufgefallen !<br />

Diese Langfinger schienen ihr Handwerk gut zu verstehen.<br />

Ich mußte mir was einfallen lassen, wenn ich in Zukunft ruhiger<br />

schlafen wolllte. Gleich am nächsten Tag, als es mir wieder<br />

besser ging, suchte ich den tibetischen Taschennähdienst<br />

im Nebenhaus auf und gab eine speziell erdachte Tasche mit<br />

Hals- und Bauchgurt in Auftrag, die seitwärts zwischen Brust<br />

und Arm zu tragen war. Da ging mehr rein, und es schien<br />

mir sicherer als der Kunststoff-Bauchgeldgürtel, den ich bisher<br />

mit mir herumschleppte.<br />

Außerdem erfuhren wir von der Möglichkeit, nicht dringend<br />

benötigte Wertgegenstände für wenig Geld in einem<br />

Schließfach der Deutschen Botschaft abzulegen, die wir nach<br />

55


dieser schlechten Erfahrung natürlich gerne in Anspruch nahmen.<br />

So wanderten unsere Flugtickets, Billets der Reisekrankenversicherungen,<br />

ein Teil des Geldes sowie Fotokopien<br />

der Pässe und Schecks hinter Stahl.<br />

Der größte Teil meines Bargeldes aber war von vornherein<br />

in Plastik verschweißt, eingenäht in den Hosenbund und unter<br />

den Einlegsohlen meiner Stiefel verstaut.<br />

Zur Eindämmung des ständigen alpinen Weltraumkälteeinbruches<br />

in unser geliebtes möbliertes Zimmer beschlossen<br />

Rolf und ich, präventive Gegenmaßnahmen zu treffen. So zogen<br />

wir am Nachmittag entschlossen<br />

los, um Mittel für<br />

eine solche ausfindig zu machen.<br />

Und wir hatten Glück !<br />

In einem dieser archetypischen<br />

Elektro-Schrott-Shops<br />

erstanden wir schließlich einen<br />

tönernen elektrischen<br />

`Heizlichtkocher´, der eher<br />

an ein Stövchen für ein Käsefondue<br />

erinnerte, nach Aussage<br />

des hiesigen Elektro-<br />

fachhandels aber voll und ganz<br />

seinen Zweck erfüllte. Kosten:<br />

drei Mark !<br />

Da das ungeTÜVte Gerät ausschließlich aus einer offen-<br />

Unser geliebter Heim-Hochofen.<br />

liegenden Heizspirale bestand, die mit einem angeknoteten<br />

(!) dünnen Draht und Bakelitstecker direkt an das flatterhafte<br />

220V-Netz der nepalischen Stromindustrie angeschlossen wur-<br />

56


de - was deutschen sicherheitsbewußten Elektrikern schier<br />

die Tränen in die Augen treiben würde -, machten wir uns<br />

mit unserer preiswerten Neuerwerbung etwas ungläubig auf<br />

den Heimweg.<br />

Dieses kleine Ding hatte allerdings ungeahnte Fähigkeiten,<br />

wie sich sehr bald zeigte. Die urgewaltige Heizkraft dieses<br />

kraftstrotzenden Elektro-Meilers reichte nicht nur zur Beheizung<br />

und Beleuchtung unseres Zimmers, dem Trocknen der<br />

selbstgewaschenen Wäsche oder zum Kochen von Kaffee,<br />

Tee und leckeren Eintopfgerichten, sondern auch zur<br />

geruchssinnbelastenden Beseitigung eines Teiles der dem Fußboden<br />

anhaftenden roten Auslegware.<br />

Als wir unserem wirklich netten Hotelboß den angerichteten<br />

Schaden am nächsten Morgen zeigten und uns auf eine<br />

fette Rechnung gefaßt machten, lächelte der zu unserem Erstaunen<br />

bloß albern, schob mit einem „Oh, no problem !“<br />

unseren Kleiderschrank über das schwarze, ausgefranste<br />

Brandloch, und die Sache war für ihn erledigt. Zur Vermeidung<br />

weiträumiger Flächenbrände und peinlicher Schlagzeilen<br />

in allen Tageszeitungen der Welt, wie etwa<br />

„Nepal: Stadtteil Thamel in Kathmandu<br />

vollkommen abgebrannt. Brandstiftung !<br />

Täter: Zwei frierende Deutsche !“<br />

entwendeten wir vom Dach des Hauses ein paar herumliegende<br />

und - wie wir hofften - nicht benötigte Ziegelsteine als<br />

hitzebeständigen Unterbau - und das Problem war für uns<br />

gelöst.<br />

57


Nun fand auch Bogdan Gefallen an unserem Brenner Marke<br />

`Fegefeuer´. Oft tauchte er mit seiner kompakten Reise-<br />

Espresso-Maschine bei uns auf, um seinen aus Polen mitgeschleppten<br />

Kaffee aufzubrühen und redlich mit uns zu teilen.<br />

Umständehalber stand uns nun wieder etwas mehr Zeit<br />

zur Verfügung, um das reizvolle Kathmandu-Tal zu erkunden.<br />

Während Bogdan mit Rolf als Sozius per gemietetem Motorrad<br />

zur chinesischen Grenze düste und Rocky unendliche Stunden<br />

der Warterei und den Formalitäten opferte, um seine<br />

Papiere wieder zusammen zu bekommen, nutzten Dörthe<br />

und ich die Zeit, um mit dem gemieteten Drahtesel dem<br />

zehn Kilometer nördlich von Kathmandu gelegenen Städtchen<br />

Budhanilkantha einen Besuch abzustatten. Fahrräder aus indischer<br />

Produktion gab´s gleich um die Ecke für wenig Geld zu<br />

mieten. Klar, die Dinger sahen auch dementsprechend aus,<br />

aber Hauptsache die Bremsen funktionierten, die Klingel war<br />

laut genug, um Autos, Fußgänger und Viehzeug von der Straße<br />

zu jagen, und das Fahrradschloß ließ sich auch wirklich<br />

abschließen. Dann mußte man sich nur noch auf den hiesigen<br />

Linksverkehr einstellen, und ab ging die Luzie zum Kreisverkehr<br />

am Kanti Path, von da nach links, vorbei am <strong>neu</strong>en,<br />

1847 erbauten Royal Palace seiner Royal Majestry, König<br />

Birendra, und dann immer geradeaus - raus aus der Stadt,<br />

raus aufs Land.<br />

Ach, ... eins habe ich noch vergessen: Vergiß niemals, Dir<br />

irgendein Tuch vor Mund und Nase zu binden gegen die<br />

Abgase und den extrem feinen Sandstaub, der überall in der<br />

Luft herumschwirrt und der nach so einer Fahrradtour sonst<br />

noch jahrelang überall in deinem Körper nachgewiesen wer-<br />

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den kann, oder laß´ ganz einfach das Atmen und denke immer<br />

daran, daß Fußgänger und Fahrradfahrer in Nepal nur<br />

Menschen zweiter Klasse sind und somit Freiwild !<br />

Per Fahrrad auf Entdeckungstour<br />

Die sonnenbeschienene Landschaft, durch die wir mit unseren<br />

`Low Budget´-Maschinen `heizten´, beeindruckte mich<br />

mal wieder total, und auf meinen Wunsch hielten wir des<br />

öfteren an, damit ich schnell ein paar Fotos schießen konnte,<br />

sei es von den auf den Terrassenfeldern arbeitenden Bauern,<br />

den an einem Fluß wäschewaschenden Frauen, der von tropischem<br />

Grün bewachsenen rot- oder gelbbraunen Landschaft<br />

oder den am Weg liegenden Gebäuden, und trotzdem benötigten<br />

wir nur eine Dreiviertelstunde, dann war´s geschafft,<br />

und wir stellten die Fahrräder ab.<br />

Sah alles ziemlich heruntergekommen aus, wo wir uns da<br />

eingefunden hatten: die verstreut stehenden Häuser verranzt,<br />

der Putz fiel von den Wänden, Schmutz lag auf der Straße,<br />

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aber trotzdem urgemütlich - halt typisch Nepal. Durstig geworden<br />

und etwas hungrig kauften wir uns in einem dieser<br />

ebenfalls typischen `Tante Kali´-Läden, die man auch als Kolonialwaren-Kiosk<br />

umschreiben könnte, eine Selter und ein<br />

paar Kekse und ruhten uns ein wenig aus.<br />

"Am Anfang war (nicht nur) das Feuer"<br />

Auf der gegenüberliegenden Straßenseite stand ein mit großen<br />

verdreckten Reklametafeln wie "ICEBERG - Premium<br />

BEER", "PEPSI COLA", dem einheimischen "MARSHAL RUM"<br />

und halb abgerissenen Wahlplakaten bepflastertes `Abrißhaus´,<br />

an deren Seitenfront die ebenfalls feilgebotenen Wollpullover<br />

hingen, und ein Stückchen die Straße runter parkte - man<br />

traute seinen Augen kaum - ein deutscher LKW, Marke Sternkreiszeichen.<br />

Um uns herum lungerten ein paar Hunde und<br />

Hühner, sonst war es ziemlich leer im Ort.<br />

Aber dann sahen wir mal wieder etwas, "was nie ein Mensch<br />

zuvor gesehen hat": Ein schätzungsweise dreijähriger Junge<br />

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tauchte von irgendwoher auf, hockte sich vor uns auf den<br />

Boden, reckte uns seinen Hintern entgegen und machte in<br />

aller Ruhe sein großes Geschäft, wobei wir ihn ungestört<br />

beobachteten. Neben ihm saß ganz aufgeregt einer dieser<br />

Straßenköter, und nachdem der Kleine seine Wurst herausgedrückt<br />

hatte, stürzte sich Hundi wie wild darauf und vertilgte<br />

den anscheinend leckeren Scheiß.<br />

Wir waren zwar beide etwas baff, aber obwohl mir der<br />

Appetit davon verging, hätte ich diese Trash-Metall-Hyper-<br />

Heavy-Szene doch ganz gerne auf Videoband festgehalten.<br />

Aber leider besaß ich zu der Zeit noch keine Video-Kamera.<br />

Zu Fuß ging´s weiter zur heiligen Stätte hier am Ort, dem<br />

steinernen, in einem Wasserbassin `schlafenden Vishnu´, für<br />

viele Hindus sogar der leibhaftige Vishnu, den der amtierende<br />

König von Nepal niemals zu Gesicht bekommen darf, da er<br />

nach der alten Überlieferung eine Reinkarnation eben dieses<br />

Vishnus ist und somit ein Paradoxon.<br />

Er wäre auf der Stelle mausetot !<br />

Aber Normalsterblichen ist es dort gestattet, die Anlage<br />

des Allerheiligsten zu betreten; jedweder Art von Leder aber<br />

wurde der Zutritt verwehrt - also runter mit der ledernen<br />

Unterwäsche.<br />

Hindus, darunter auch einige Inder, die extra aus Indien<br />

angereist waren, liefen in der kleinen umzäunten Anlage herum<br />

und warfen zur Opferung Blumen auf den im Wasser<br />

liegenden, bemalten und von einer Taubeninvasion geplagten<br />

5-Meter-Koloss. Um den auf einem Bett aus Schlangen dargestellten<br />

`Gott´ in seiner ganzen Pracht auf Film bannen zu<br />

können, mußte ich mich jedoch wieder nach draußen begeben,<br />

und durch den Zaun hindurch fotografiert, gelangen mir<br />

zwei, wie ich glaube, ganz gute Fotos.<br />

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"Schlafender Vishnu" in Budhanilkanta<br />

Sofort war einer der fanatischen indischen Beter, ein<br />

Mr.Sanjay Lama, mit seiner Frau zur Stelle und bat mich innigst,<br />

ihm doch bitte, bitte einen der Abzüge zuzuschicken.<br />

Ich erklärte ihm, daß das aber ein paar Monate dauern würde.<br />

Das jedoch war vollkommen egal. Ich erhielt die übliche<br />

Visitenkarte, und zurück in Deutschland bekam er seine Abzüge,<br />

wie so viele andere Einheimische auch, die wir auf der<br />

langen Reise trafen und die uns um ein Foto baten.<br />

Weiter die Straße rauf, vorbei an einer jungen Spinnerin<br />

und auf der warmen Straße träumenden Hundebabies, entdeckten<br />

Dörthe und ich rechterhand per Zufall ein kleines<br />

trügerisches Paradies in Form eines wunderschönen Bambushains,<br />

durch den ein kleiner klarer Bergbach, zwischen dikken<br />

Findlingen sich seinen Weg bahnend, talwärts plätscher-<br />

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te. Trügerisch deshalb, weil man mit diesem Wasser lieber<br />

nicht seine Lippen benetzte, denn kaum waren wir dem Wasserlauf<br />

ein paar Meter aufwärts gefolgt, fanden sich - man<br />

glaubte es kaum - überall am Ufer mit Fliegen übersäte<br />

Fäkalienhaufen - dies war das dörfliche Wasserklosett mit<br />

Dauerspülung.<br />

Tja, so sah die - im wahrsten Sinne des Wortes -<br />

verschissene Realität aus !<br />

Die spinnen, die Nepalis !<br />

Doch unbeirrt kletterten wir weiter auf den Steinen nach<br />

oben und erreichten wieder die Straße und die nahegelegenen<br />

Terrassenfelder, wo Dörthe in Ruhe ihr Tagebuch schreiben<br />

und ich in erwachtem `Bergwahn´ die dahinterliegenden<br />

begrünten Höhen erklimmen wollte. Da mußte ich allerdings<br />

zuerst zusehen, wie ich ohne naß zu werden über den<br />

kleinen Bach rüberkam, der dort nach einem Linksschwenk<br />

vor den `Highlands´ meinen Weg kreuzte. Als das geschafft<br />

63


Deutsches "Kulturgut"<br />

war, erstieg ich auf einem nur zwanzig Zentimeter breiten<br />

Fußpfad schnaufend den steilen Hang.<br />

Eine halbe Stunde dauerte der Aufstieg, und oben angekommen<br />

genoß ich in den warmen Sonnenstrahlen die herrliche<br />

Ruhe und den grandiosen Blick auf die unter mir und auf<br />

den anderen Hügeln rundum liegenden Terassenfelder. Hinter<br />

mir ging es weiter hinauf, und dort oben waren etliche<br />

Behausungen an den mit Bäumen und Sträuchern zugewachsenen<br />

Hang geschmiegt, die fast täglich über diese Pfade mit<br />

dem Nötigsten versorgt wurden.<br />

Das ist der pure Wahnsinn, wenn man bedenkt, daß sich<br />

bei uns in der Stadt die Leute schon beklagen, wenn sie ihren<br />

Kram in den zweiten Stock schleppen müssen. Da muß dann<br />

ein Fahrstuhl her, oder ´ne Rolltreppe oder am besten gleich<br />

´n schicker Rollstuhl. Was sind wir doch für jämmerliche Kreaturen<br />

gegen diese topfiten nepalischen Freiluftfanatiker, die<br />

von frühester Kindheit an bis ins hohe Alter tagtäglich stun-<br />

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denlange Wanderungen in Kauf nehmen, um z.B. Brennholz<br />

zu holen oder zur Schule zu gehen, ohne sich zu beklagen !<br />

Die Leute leisten mehr und sind nahrungstechnisch viel<br />

schlechter versorgt als wir, was mich auch später in Indien<br />

immer wieder in den Bann gezogen hat.<br />

Doch ehe ich mich hier in weitausschweifenden Weltanschauungen<br />

verzettele ... zurück zur Sonne, dem dämlichen<br />

Hügel, dem folgenden Abstieg aus luftiger Höhe und der anschließenden<br />

Rückfahrt ins geliebte Thamel, die ohne weitere<br />

Probleme - mal abgesehen von der vertrackten Fahrradkette,<br />

die gern und oft vom vorderen Zahnkranz abfiel - vonstatten<br />

ging. Schmerzen bereitete mir die Fahrradtour aber dennoch,<br />

denn diesen Hinweis mit dem Tuch vor Nase und Mund, den<br />

hatte uns niemand gegeben.<br />

Ich weiß zwar nicht mehr, ob Dörthe damals auch solch<br />

einen stechendes Ziehen von der Nase bis ins Hirn verspürte,<br />

aber mich machte der Schmerz am nächsten Tag fast<br />

wahnsinnig und ich bekam unangenehme Kopfschmerzen davon.<br />

Es fühlte sich an, als hätte ich Salzsäure durch die Nase<br />

gesogen und alles verätzt. Auch mit hektischen, erstickungsanfallauslösenden<br />

Wasserspülungen und literweise verabreichten<br />

Nasentropfen war dem nicht gleich beizukommen. Erst<br />

am nächsten Tag zeigte sich eine Besserung, und nach zwei<br />

weiteren Tagen hatte der Schöpfer Erbarmen mit mir.<br />

Schließlich und endlich wagten wir mit dem Fahrrad einen<br />

letzten Abstecher in das südlich von Kathmandu gelegene<br />

Patan oder Lalitpur, die Stadt der Schönheit und ganz nebenbei<br />

Heimathafen der Singenden Eintöpfe, den Singing Bowls,<br />

die mir Rocky unbedingt vorführen wollte. Dann war auch<br />

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schon der 28ste Januar gekommen, Termin für den zweiten<br />

Versuch, Indien mit dem gesamten Hausrat auf dem entbehrungsreichen<br />

Landwege zu erreichen.<br />

Pünktlich um 6:30 Uhr in der Früh, wie beim ersten Mal,<br />

standen wir in der exotischen Menschenmenge am Busstop<br />

und warteten diesmal gut vorbereitet auf den Bus nach<br />

Varanasi. Angespannt hatten wir uns zu einer abschreckenden<br />

`Dreier-Wagenburg´ formiert. Mit fest umklammertem<br />

Rucksack und wildem Blick wurde jeder um uns herum eingehend<br />

gemustert.<br />

War der ein Dieb, oder der da ... oder etwa der da ?<br />

Vielleicht wurde ja Dörthe diesmal ausgeraubt, oder ich, oder<br />

alle drei und wir kamen nie mehr weg von hier ? Vielleicht<br />

waren wir reinkarnierte Diebesopfer !?<br />

Einander die Flanken sichernd quetschten wir uns mit den<br />

anderen Fahrgästen hinein in die Rostlaube von Bus und hechteten<br />

unbestohlen auf die reservierten Sitzplätze zwei<br />

hintereinanderliegender Zweierbänke auf der linken Seite.<br />

Entgegen der ersten Wahnvorstellungen, zur eigenen Sicherheit<br />

gleich den kompletten Bus zu kaufen und zusätzlich<br />

entlang der Straße speziell ausgebildete Streckenposten aufstellen<br />

zu lassen, hatte ich mich aus Kostengründen für die<br />

billigere Variante entschieden und - koste es, was es wolle -<br />

eine komplette Bank reservieren lassen, denn so blieb der<br />

Rucksack direkt am Mann, wanderte also nicht aufs Dach,<br />

wo er auf einem der Zwischenstops ebenfalls geklaut werden<br />

konnte und - niemand durfte neben mir sitzen !<br />

Hä ... hähä ...hä !!! Mit mir nicht, liebe Brüder und Schwestern<br />

!<br />

Da der Bus nur 48 Sitz- und 62 Stehplätze besaß, wurde<br />

das Gepäck der restlichen 200 Reisenden, zuzüglich deren<br />

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kompletter Haushaltsauflösungen auf dem Dach verstaut und<br />

mit einer Plastikplane gegen Flugversuche gesichert. Der mitgeführte<br />

Kleintierzoo, bestehend aus Hühnern, Ziegen,<br />

Wasserbüffeln und Trichinen durfte drinnen mitfahren. Alle<br />

Passagiere waren vollzählig, der Fahrer nüchtern, die Musik<br />

voll aufgedreht, die Götter gnädig, nichts geklaut, alles drin,<br />

alles dran - wohlan denn, auf auf zur Grenze, auf nach Sunauli,<br />

das nur läppische zwölf Stunden Dauerstreß entfernte<br />

Grenzstädtchen zwischen Indien und Nepal.<br />

Erst im vierten Gang setzte sich das hupende Ungetüm von<br />

Bus unter Abgabe unheilverkündender Rauchschwaden, die<br />

dem Auspuff entströmten, langsam und scheppernd, schwer<br />

von einer auf die andere Seite schaukelnd in Bewegung, beschleunigte<br />

mehr und mehr und konnte nun aufgrund seiner<br />

bewegten Masse nicht mehr zum Stehen gebracht werden,<br />

bevor der Sprit alle, also das Ziel erreicht war, das Ding<br />

während der Fahrt auseinanderfiel oder einen Abhang herunterstürzte,<br />

was bei dem ignoranten Fahrstil der meisten<br />

Fahrer nichts Ungewöhnliches war. Die Straßen wurden zwar<br />

in den letzten Jahren mit indischer und chinesischer Hilfe leidlich<br />

befestigt, aber an den engen Serpentinen gab es nach wie<br />

vor keine Schutzplanken, so daß sich die Räder bei den teils<br />

haarsträubenden Kurven- und Überholmanövern meist nur<br />

einige Zentimeter vorm Abgrund befanden. Und Abgrund<br />

hieß dort auch wirklich Abgrund, denn es ging bestimmt hundert<br />

Meter bergab !<br />

Als sich am späten Vormittag die Kälte und der dicke undurchdringliche<br />

Nebel verflüchtigten und die Sonne durchbrach,<br />

gewahrten wir weit unten, eingebettet im grünen Tal<br />

einen Fluß und links von uns die steil aufsteigenden, teils mit<br />

Bananenpalmen und tropischen Sträuchern bewachsenen<br />

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Bergwände, die nur knapp am Fenster vorbeihuschten. Ab<br />

und zu konnte man einzelne Hütten und kleinere Wohnorte<br />

in den Bergen ausmachen oder Arbeiter auf den Straßen und<br />

Feldern, und manchmal passierten wir kleine Wasserfälle, die<br />

zwischen den verwinkelten Felsen ins Tal stürzten.<br />

Zwischendurch nickte ich vor Müdigkeit immer mal wieder<br />

ein, denn es wurde zunehmend wärmer im Inneren des Busses.<br />

Aber die Fenster mußten wir leider zulassen, da die einheimischen<br />

Reisenden das nicht so vertrugen und als Folge<br />

davon die ganze Breitseite des Busses mit ihrem Frühstück<br />

verschönerten. Ich aber saß im Bus mit Jogginghose, Armeehose,<br />

Sweatshirt, Pullover und dicker Jacke !<br />

Wir hatten Glück und kamen ohne Verluste an Körper und<br />

Geist in Sunauli an, marschierten mit Sack und Pack rüber<br />

über die deutlich sichtbare Armutsgrenze zum Zoll auf der<br />

indischen Seite, füllten auf Wunsch einige Dutzend nichtssagender<br />

Formulare aus, und Rocky korumpierte die drei dort<br />

darbenden Beamten mit heißbegehrter Mangelware:<br />

EINEM Plastikwerbegeschenkbilligkugelschreiber.<br />

Das war fast nichts ! Im Jahr davor verlangte die original<br />

gleiche Mannschaft seinen handgegossenen Colani-Kugelschreiber<br />

samt Mine, eine Jahresration MAGGI-Brühwürfel "Golden<br />

Label", eine Sammlung in Indien seltener Multivitamintabletten<br />

und ein Jahresabo der BILD-Zeitung !<br />

Rockys Kommentar: "Ich denke mal, daß meine freiwillige<br />

Spende die Jungs so überrascht hat, daß sie nicht mehr daran<br />

dachten, mich bzw. uns noch mehr auszuplündern. Man könnte<br />

auch so über die Grenze; dann läuft man allerdings Gefahr,<br />

geprüft, gegengeprüft, durchleuchtet, zerlegt und anschließend<br />

falsch wieder zusammengesetzt zu werden."<br />

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Eine Stunde später traf auch schon der indische Anschlußbus<br />

nach Varanasi ein, der diesmal reichlich leer war, wie wir<br />

verwundert feststellten. Das lag wahrscheinlich an dem ununterbrochenen<br />

Abspielen der grausamsten indischen Pubertätserotikaction-Videos,<br />

die dort untermalt von ebenfalls indischen<br />

Jammer-Lovesongs über den eingebauten Bildschirm flimmerten<br />

und die ihre Botschaft so lautstark in die Fahrgastkabine<br />

schickten, daß niemand mehr das Motorgeräusch wahrnahm.<br />

Irgendwo auf der elf Stunden dauernden Fahrt stieg auch<br />

noch ein ca zwanzigjähriger Deutscher zu, und sein aus<br />

Deutschland mitgeschlepptes Mountain-Bike wanderte aufs<br />

Dach. Wie wir feststellten, sah er ziemlich mitgenommen<br />

aus, zombiemäßig, und er erzählte uns auch, woran das lag:<br />

Er quälte sich seit Tagen mit der übelsten Scheißerei herum<br />

und besaß nicht ein einziges Medikament dagegen. Zwar hatte<br />

ihm unterwegs irgendjemand Tabletten in die Hand gedrückt<br />

- aber die zeigten keinerlei Wirkung. Na, wir schleppten<br />

ja genug davon herum, und so fanden wir uns in der<br />

glücklichen Lage, ihm als Wegzehrung einige Hände voll zuzustecken,<br />

rieten ihm aber, auf jeden Fall einen Arzt aufzusuchen,<br />

falls er am Leben bleiben wollte.<br />

Spät in der Nacht wurde der Bus dann nochmal angehalten,<br />

und indische Zivilfahnder enterten den Bus zur Kontrolle unserer<br />

Papiere. Wir tippten auf Rauschgiftfahndung oder Einwanderungsbehörde.<br />

Jedenfalls schleppten sie einen heftig gestikulierenden<br />

glücklichen Gewinner nach draußen, und er<br />

ward nie mehr gesehen...<br />

69


Varanasi


Stadtplan von Varanasi<br />

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Ganz früh am Morgen, um 06:30 Uhr, entließ uns<br />

der Bus hungrig und müde in Varanasi, jener hindu<br />

heiligen Stadt an den hochverehrten Ufern des Ganges.<br />

Sie wirkte trist und düster, voller Nebel, und es war<br />

immer noch sehr kühl.<br />

Wir wurden unverzüglich von einigen Rikscha-Fahrern umzingelt,<br />

die, durch den Geruch einer Handvoll `reicher´ Touristen<br />

aus ihrem Schlaf gerissen, uns unbedingt irgendwohin<br />

bugsieren wollten, sich aber nicht an den Gedanken gewöhnen<br />

konnten, daß wir schon wußten, wo wir unsere Zelte<br />

aufzuschlagen gedachten - denn Rocky war schon einmal hier<br />

gewesen und kannte sich ganz gut aus. Wild durcheinanderschnatternd<br />

mochte uns ein jeder der Fahrrad- oder Motorfahrkabinen-Kutscher<br />

nur ganz spezielle, von ihm im Kampf<br />

ums Überleben unterstützte “Cheap! Not far!”-Herbergen zumuten<br />

und war schwer enttäuscht, das wir in einem solchen<br />

`Loch´ abzusteigen gedachten.<br />

Dagegen übertraf es unsere Vorstellungskraft, daß ein Mann<br />

mit der alleinigen Kraft seiner dürren Beine das Gewicht einer<br />

kleinen wohlgenährten europäischen Reisegruppe samt<br />

Gepäck befördern könne, und daher entschieden wir uns<br />

dann für einen der bemotorten Varanasen, der leider sofort<br />

den ganzen Haß seiner Mitbewerber zu spüren bekam, denn<br />

die wollten ihm gleich an die Wäsche, und es gab ein kleines<br />

handfestes Gerangel. Bald jedoch war die Situation geklärt,<br />

und wir machten uns mit dem gewählten Kandidaten auf den<br />

Weg.<br />

Mit drei dicken, aus allen Nähten platzenden Rucksäcken<br />

und vier Personen war es in einem solch´ indischen Töff-<br />

Töff jedoch etwas eng, so daß wir uns, eingeklemmt zwischen<br />

`Karosserie´ und Gepäck, kaum bewegen konnten.<br />

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Der Fahrer hatte beteuert, er wüßte, wo´s langgeht, doch<br />

sehr schnell fing Rocky an, das zu bezweifeln und bekundete<br />

dies mit der in den Raum geschleuderten Frage<br />

“Wo will der denn hin ?”<br />

“Wieso, fährt er falsch ?”, fragten Dörthe und ich müde.<br />

“Klar vollkommen - aber lassen wir ihn mal fahren. Mal<br />

sehen wo er uns hinbringt...” entgegnete Rocky gelassen sarkastisch.<br />

So quälte unser Fahrer seinen hustenden Zweitakter mit<br />

angestrengt konzentrierter Miene durch die engen und total<br />

verdreckten Gassen, wurde unsicher, hielt ab und zu, wenn<br />

er jemanden sah, der schon schlaftrunken durch den Morgen<br />

schlich, fragte ihn nach dem Weg und fuhr sinn- und ziellos<br />

weiter, als er nur ein Achselzucken erntete.<br />

Aber heissa ! - irgendwann trafen wir einen älteren zerlumpten<br />

Herrn mit Krückstock, der zustimmend nickte und<br />

ihm bekundete, wenn er ihn auch noch mitnehmen würde,<br />

könnte er uns sogar den Weg weisen. Gesagt, getan. Nun<br />

krochen wir zu fünft in einer kränkelnden und laut knatternden<br />

Motorriksha über holpriges Straßenpflaster durch den<br />

anbrechenden Tag, - auf der Suche nach unserer Unterkunft.<br />

Da gemahnte jener zugestiegene Passagier auch schon pathetisch<br />

zu halten, stieg aus, erklärte dem Fahrer, er müsse<br />

noch ein ganzes Ende weiterfahren und verabschiedete sich,<br />

denn er wohnte hier. Angeschissen - Ha, ha, ha !!!<br />

Nach einer nervenaufreibenden Dreiviertelstunde (!!!) nahm<br />

das Gerüttel und Geschüttel in der beklemmenden Enge der<br />

Fahrkabine endlich ein Ende, als wir am Ort unseres Begehrs<br />

73


eintrafen. Dadurch ermutigt, daß er uns endlich aus der Pein<br />

erlöst hatte, verlangte dieser dreiste `Blinde-Kuh´-Fahrer allerdings<br />

eine zusätzliche und nicht geringe Rikscha-Verirr-Gratifikation,<br />

wegen der unverschämt langen Strecke, den während<br />

der Fahrt plötzlich gestiegenen Benzinpreisen auf dem<br />

internationalen Markt und seinen fünf hungernden Frauen -<br />

mal ganz abgesehen von seinen zweiundzwanzig weinenden<br />

Kindern ! Diesen energisch beteuerten Wunsch mußten wir<br />

ihm allerdings schleunigst ausreden, denn schließlich war es<br />

auf seine Dämlichkeit zurückzuführen, wenn er uns durch die<br />

halbe Stadt kutschierte, obwohl die Herberge eigentlich nur<br />

5 Minuten vom Busstop entfernt lag.<br />

Doch damit nicht genug: Am Haltepunkt warteten noch<br />

andere hysterische Fahrer und cholerische Hotelvermittler,<br />

von denen uns nun zwei bethelkauende Nervensägen folgten<br />

und unsere militante Interesselosigkeit ignorierend, lauthals<br />

mit ihren Hotelempfehlungen traktierten, bis es dem mittlerweile<br />

etwas gereizten Rocky schließlich zu bunt wurde, er<br />

sich mit Schaum vorm Mund umdrehte, den einen wütend<br />

beim Kragen packte, vorsichtig an sein Gesicht hob, wobei er<br />

ihm tief in die Augen blickte und ein wenig laut und unfreundlich<br />

anfauchte:<br />

“Verpißt euch endlich !!! Wir wissen schon wo wir hinwollen.<br />

Nix Vermittlung, nix Provision !"<br />

"W-I-R B-R-A-U-C-H-E-N E-U-C-H N-I-C-H-T !<br />

GO AWAY !<br />

No Bakhshish ! No Hotel ! L-a-ß-t u-n-s i-n<br />

Ruuuuuuhhhhheeeeee !!!!!!<br />

A-U-F W-IIIIIIII-E-D-EEEE-R-S-EEEEE-H-EEEEE-N !!!"<br />

74


Verdattert machten sich die beiden, wegen der Kälte in<br />

Decken gehüllten, penetranten Turbanträger vom Acker, und<br />

wir beschleunigten unsere Schritte, falls wir von einer stärkeren<br />

Nachhut jener extrem geschäftstüchtigen Asiaten verfolgt<br />

wurden, denn durch solcherlei Gebaren wurden diese<br />

durchgeknallten Inder meist nicht entmutigt, da sie in Ihrer<br />

Naivität glaubten, daß sie ihrem Gegenüber irgendwie noch<br />

nicht die richtigen Argumente vorgebracht hatten und vielleicht<br />

doch ein bißchen mehr Überzeugungsarbeit leisten mußten.<br />

Also - schnell weg !<br />

Die von Rocky ins Auge gefaßte Pension "Shangrila" war<br />

jedoch leider voll ausgebucht, und so blieb uns nichts weiter<br />

übrig, als etwas anderes ausfindig zu machen.<br />

Aber zuerst schleppten wir uns mit den vollgestopften Gepäckstücken<br />

zu einem steinernen Pavillon bei den Ghats am<br />

Ganges, um uns die frühmorgendlich beginnenden nationalen<br />

Totenverbrennungen anzusehen. Kamera ist hier verboten !<br />

Sollte einer der heiligen Feuerteufel einen Touristen mit Kamera<br />

im Anschlag erwischen, dann war es unter Umständen<br />

sogar möglich, daß von ihm aufgewiegelter fanatischer Pöbel<br />

zur Selbstjustiz griff und versuchte, uns inquisitionsgerecht anzuzünden,<br />

wie Rocky verlauten ließ, als ich aufgeregt den<br />

Rucksack nach meiner Kamera durchwühlte. So mochte keiner<br />

von uns enden, und daher betrachteten wir stumm die<br />

vorsichhinkokelnden Leichenteile eines Dahingerafften, der<br />

am diesseitigen Flußufer buchstäblich in Rauch aufging. Währenddessen<br />

verflüchtigte sich langsam die feuchte Kälte, und<br />

die Sonne brach durch.<br />

Alsdann begannen wir schlaftrunken mit der Suche nach<br />

einer günstigen Schlafgelegenheit. Dabei trafen wir auf einen<br />

zugedröhnten, mit Geldbündeln um sich werfenden indischen<br />

75


Bekannten von Rocky, der uns den Weg zu einem ehemaligen<br />

englischen Nobelhaus beschrieb, in dem die "Tourist<br />

Shankeri Lodge" residierte. Wie alles in Varanasi, so rottete<br />

auch dieses Gebäude vor sich hin: Die Farbe blätterte von<br />

den schimmelnden Wänden, der Zustand des Brunnens im<br />

Innenhof spottete jeder<br />

Beschreibung,<br />

und die Zimmer im<br />

gegenüberliegenden<br />

Haus der Dienstboten<br />

- jetzt ebenfalls zu<br />

mieten - waren nur<br />

noch über einen hohen<br />

Schuttberg zu erreichen,<br />

der schon jahrelang<br />

dort liegen mußte.<br />

Unsere Zimmer machten jedoch einen ganz passablen Eindruck,<br />

und so mieteten wir uns ein, bestellten Frühstück und<br />

ruhten uns erst einmal aus.<br />

Rocky und Dörthe bewohnten ein tolles Zweibett-<br />

Apartement auf dem Dach des mehrstöckigen Hauses, hatten<br />

ihre eigene Außentoilette und Probleme mit den frechen<br />

und <strong>neu</strong>gierigen Affen, die hier überall frei herumliefen.<br />

Mein Zimmer dagegen, das gleich durch zwei zweiflüglige<br />

Türen erreicht werden konnte, die von einem großen zentralen<br />

Raum auf der Etage abgingen, lag im zweiten Stock,<br />

und ich war gezwungen bis nach unten zur Gemeinschaftstoilette<br />

zu laufen, wenn meine Blase des Nachts drückte.<br />

Das stählerne graue Bettgestell, in dem ich die folgenden<br />

schwülen Nächte unter meinem mitgeführten aufgespannten<br />

Moskitonetz verbrachte, schien noch übriggeblieben aus alten<br />

englischen Militärbeständen der Zeit britischer Kolonial-<br />

76


herrschaft, wie auch die darauf arrangierte fleckige und durchgelegene<br />

Matratze - und das war immerhin schon an die<br />

vierzig Jahre her !<br />

Gegen Mittag, als die Sonne endlich restlos den Grauschleier<br />

aus Varanasi verdrängt hatte und - damit nicht genug - die<br />

Gegend bis auf 40 Grad im Schatten aufheizte, begaben wir<br />

uns aufs Dach des Hauses und flößten uns während des Sonnenbades,<br />

das wir auf unseren ausgebreiteten Bundeswehr-<br />

Zeltplanen genossen, kannenweise Tee - “Sugar separated,<br />

please !” - ein. Hier oben störte es auch niemanden, wenn<br />

wir in Badehosen herumliefen. Ganz im Gegenteil: Die Jugendlichen<br />

aus der Nachbarschaft lagen auf einem der angrenzenden<br />

Dächer gierig auf der Lauer, um diese<br />

weißhäutigen `Halbnackten´ bei ihrem Treiben zu beobachten.<br />

Auf einem etwas tiefergelegenen Dach eines anderen angrenzenden<br />

Hauses trockneten Öko-Kohlen aus mit Stroh<br />

vermengtem Rind- oder Ziegendung in der Sonne, und hinter<br />

unserem Haus schob sich träge der verdreckte Ganges durchs<br />

Bild.<br />

Die Luft flirrte vor Hitze.<br />

Von hier oben sah es aus, ging mir durch den Kopf, als<br />

wäre gerade ein Krieg über die Stadt hinweggezogen. Varanasi<br />

glich einer einzigen verfallenen und verschimmelten Ruine, in<br />

dessen engen und verschlungenen Gassen sich Kot und Tod<br />

vermengten. Trotz unserer Abscheu gegen die Menschen,<br />

die eine Stadt so dermaßen vergammeln ließen, war ein besonderer<br />

Reiz, der von ihr ausging, nicht abzustreiten.<br />

Am späten Nachmittag gelüstete meinem Körper danach,<br />

endlich den Staub der Anreise loswerden, begab sich dazu<br />

77


Auch auf dem Dach einer Ruine in einer der ältesten Städte dieser Welt...<br />

...ist man vor Spannern jüngeren Datums nicht sicher<br />

78


mit Badelatschen und Handtuch bewaffnet in den Waschraum<br />

und genoß ein angenehmes Bad mit der vorher georderten<br />

Schüssel lauwarmen Wassers, das uns unsere zuvorkommenden<br />

höherkastigen Gastgeber extra berechneten. Gebadet<br />

wurde hier im Stehen oder Hocken:<br />

Mit möglichst wenig warmem Wasser wird sich eingeseift<br />

und dann mit dem in der Schüssel verbliebenen Rest abgespült.<br />

Wem das nicht reichte, der mußte mit dem kaltem<br />

Wasser aus einem großen Holzfaß nachspülen, was bei dieser<br />

Hitze sehr angenehm und erfrischend sein kann.<br />

Danach ein erlösender Gang aufs landesübliche Klo: ein<br />

Hockloch am Boden. Die Benutzung desselben wollte gelernt<br />

sein !<br />

Nachdem die richtige Stellung herausgefunden war, bedurfte<br />

es schon einiger Übung, unbekleckert auch bis zum Ende<br />

in dieser zu verharren, ohne Krämpfe in den Beinen zu bekommen.<br />

Hinterher kam das in Massen mitgeschleppte Toilettenpapier<br />

zum Einsatz, weil Inder nämlich sehr umweltbewußt<br />

sind und sich die linke Hand grundsätzlich nur mit Wasser<br />

am Hintern abwischen. Das benutzte Papier durfte aber<br />

nicht etwa in das Loch im Boden geworfen werden, sondern<br />

wanderte in einen eigens dafür vorgesehenen Mülleimer und<br />

später ins Feuer.<br />

Die Stinkefinger der linken Hand gelten logischerweise als<br />

UNREIN, weshalb Linkshänder und Leute mit zwei linken<br />

Händen keine Überlebenschance in diesem Land haben, wo<br />

sich Trichinen und Staphyllokokken "Gute Nacht !" sagen.<br />

Zum Abendessen fanden wir uns auf dem gemütlichversifften<br />

Slum-Hinterhof des mit wertvollem No-Future-Interieur<br />

ausgestatteten India-Trendsetters "Aces New Deal" ein,<br />

bei dessen angrenzendem `Tiergarten´ sich eine Ähnlichkeit<br />

79


mit einem aufgewühlten Schlachtfeld aus dem Ersten Weltkrieg<br />

nicht verleugnen ließ.<br />

In diesem von uns in den nächsten Tagen favorisierten Speiselokal<br />

servierte der Maitre exzellente kontinentale Küche<br />

und Fast-Food-Spezialitäten, die so richtig Lust auf mehr machten.<br />

Als wir danach in der anbrechenden Dunkelheit durch die<br />

Gassen nach Hause schlenderten, lief uns just ein stämmiger,<br />

pausbäckiger Inder mit Namen Bablu Vijay, kurz `Baba´, über<br />

den Weg, der Rocky sofort von seinem letzten Besuch her<br />

zu kennen glaubte und als guten alten Freund identifizierte.<br />

Auch Rocky war freudig überrascht, ihn hier zu sehen, obwohl<br />

er ihn überhaupt nicht kannte, wie sich später herausstellte.<br />

Da Rocky dringend Geld tauschen wollte und `Baba´ eine<br />

gute Quelle zu kennen schien, die nichts mit Ladenschlußzeiten<br />

im Sinn hatte, trabten wir nun in der Dunkelheit von<br />

einer spärlich beleuchteten Gasse durch die nächste.<br />

Die Stadt war wie ausgestorben.<br />

Auch nach einer guten Viertelstunde hatte `Baba´ nichts<br />

anderes im Sinn, als mit uns im Gefolge wieder und wieder in<br />

<strong>neu</strong>e und uns gänzlich unbekannte, menschenleere Gäßchen<br />

einzubiegen, in denen nur ab und zu irgendeine vermummte<br />

Gestalt unseren Weg kreuzte und so plötzlich, wie sie erschien,<br />

wieder unseren Blicken entschwand. Menschliche<br />

Stimmen und Hundegebell hallten von irgendwoher durch<br />

die schwüle Nacht, und vor uns war das eintönige KLAPP<br />

KLAPP der auf den Steinfußboden aufklatschenden Sohlen<br />

von `Babas´ zerlaufenen Ledersandalen zu hören. Schnell<br />

hatten wir drei in Varanasis umfangreichem Gassenlabyrinth<br />

vollkommen die Orientierung verloren, und die ganze Situati-<br />

80


Schaurig-schön: Das Feinschmeckerlokal "Aces-New-Deal"<br />

81


on erschien uns zunehmend unheimlich, zumal unser `Leittier´<br />

ein ziemlich rasantes Tempo vorlegte. Würden wir ihn<br />

dort irgendwo verloren haben, wäre es recht schwierig gewesen,<br />

auf Anhieb zurückzufinden. Immer wieder fragten wir<br />

nach, wann wir denn nun endlich da wären.<br />

"Oh, no problem. It´s not far from here !", war jedesmal<br />

die für uns unbefriedigend knappe Antwort.<br />

Langsam, aber sicher machte sich ein mulmiges Gefühl in<br />

unseren Köpfen breit. Was bedeutete dieses nicht endenwollende<br />

Herumgehechle ? Versuchte man uns `wohlhabende´<br />

Europäer etwa in die Irre zu führen, zu überfallen, auszurauben<br />

und danach vielleicht sogar ... zu entsorgen ? Verstärkt<br />

durch die trostlose Abfallkulisse dieser Stadt, gingen<br />

uns urplötzlich all diese schlechten Mord- und Totschlaggeschichten<br />

durch den Kopf, während wir weiter unserem<br />

imaginären Ableben entgegenstrebten.<br />

"Ich mach´ sie alle platt. Laß´ sie nur kommen", war Rockys<br />

beruhigende Antwort auf solcherlei jämmerliches Gedankengut,<br />

während er der nervösen Dörthe einen kleinen Stichel<br />

zur Selbstverteidigung zusteckte und mir der Angstschweiß<br />

bereits literweise aus den Stiefeln schwappte.<br />

"Oh, Gooooootttttt, have mercy !!!"<br />

Mit einemmal war diese nächtliche Rumrennerei zu Ende.<br />

Wir befanden uns in einer etwas breiteren dunklen Gasse,<br />

umringt von einem tuschelnden Pulk finsterer Gestalten, die<br />

bereits auf uns gewartet hatten und von denen einige losliefen,<br />

um noch mehr tuschelnde finstere Gestalten herbeizurufen,<br />

die nicht auf uns gewartet hatten.<br />

82


"Gut, scheiß´ auf´s Geld, ich habe keine Lust mehr. Es ist<br />

schon spät, ich bin müde. Laßt uns umkehren und Tee trinken",<br />

zischelte ich Rocky und Dörthe durch die Zähne zu.<br />

Doch schon wurden wir bedrängt, uns unserer Schuhe zu<br />

entledigen, durch ein großes Fenster ins Innere eines Hauses<br />

zu treten und auf der den pinkfarbenen Raum ausfüllenden,<br />

weiß bezogenen Matratze Platz zu nehmen. Es seien Boten<br />

im ganzen Lande ausgeschickt, um den Herrn des Hauses<br />

von der Kunde unseres Eintreffens in Kenntnis zu setzen. Zu<br />

siebt hockten wir dann auf dem Boden und harrten der Dinge,<br />

die da gleich kommen würden.<br />

"We have to wait a little bit. Do you want some tea ?"<br />

"Ääääh. Nö, ...ääh ... thank you - Ach, why not !"<br />

"Die haben bestimmt irgendein Mittelchen in das Zeug gemischt",<br />

lächelte Rocky uns hintersinnig an.<br />

"OK, ich trinke dann halt doch nichts."<br />

"Du kannst jetzt nich´ unhöflich sein. Wenn einer von euch<br />

beiden umkippt, misch´ ich sie auf."<br />

"Scheiße, ich will nich´ umkippen. Kipp Du doch um."<br />

"Danke, aber Du weißt ja: Ich trinke weder Kaffee noch<br />

Tee."<br />

"Arschloch !"<br />

Als der Tee serviert wurde, ruhten unsere Blicke erwartungsvoll<br />

auf den Tassen unserer Gastgeber, und erst nachdem<br />

sie genußvoll an ihrem Tee schlürften, tranken auch wir.<br />

Keiner wußte so recht, was er sagen sollte, und glücklicherweise<br />

erschien nach kurzer Zeit auch schon der Erwartete in<br />

der Türschwelle, begrüßte uns und nahm Platz. Ob wir hungrig<br />

wären, wurden wir gefragt. Nein, danke - wir hatten schon<br />

gegessen. OK !<br />

83


Auf ein Zeichen verließ einer der Männer den Raum und<br />

erschien wieder mit einem Packen von bunten Stoffen, die er<br />

vor uns auf dem Boden ausbreitete. Seide !<br />

"Very good quality", meinte der Hausvorsteher und "...for<br />

you special Prices !" fügte er hinzu.<br />

Tja, wahrscheinlich spezial teuer !<br />

Aber ich mußte zugeben, daß dies wirklich sehr schöne<br />

Stoffe waren. Bloß ... was sollte das Ganze ?<br />

"Ich schätze mal der is´ Seidenhändler und will uns was<br />

verkaufen", war Rockys Anwort auf meine fragenden Blicke.<br />

Klar doch ! Varanasi war ja berühmt für seine Seidenprodukte<br />

- jedenfalls in Indien. Aber wir hatten doch überhaupt<br />

nicht vor, irgendwas zu kaufen ?! - geschweige denn<br />

mitten in der Nacht.<br />

Da ich jedoch schon angefangen hatte, mit Ausrufen, wie<br />

"Aah", "Ooh" und "Very nice" die Stoffe durchzusehen, gab es<br />

kein Zurück mehr. Ich wurde aufgefordert - natürlich ohne<br />

jegliche Kaufverpflichtung, versteht sich - die mir gefallenden<br />

Tücher auf die linke und die weniger guten auf die rechte<br />

Seite zu häufen.<br />

Naja, damit die liebe Seele Ruhe hatte...<br />

Als ich damit fertig war, entfernte einer der Herren den<br />

rechten Stapel, und das merkwürdige Spielchen begann von<br />

<strong>neu</strong>em mit den verbliebenen Teilen. Anderthalb Stunden später<br />

waren zwei verschiedene Stoffe übriggeblieben und das<br />

Spiel zu Ende. Aber wer hatte gewonnen ?<br />

"Ok, you want this ? The price is 180 Rupees per meter.<br />

This one is cheaper, only 150 Rupees."<br />

"Wenn das tatsächlich richtige Seide ist, dann ist das echt<br />

billig !" gab Rocky erstaunt von sich.<br />

Aber ich will doch gar nichts kaufen, ging mir wieder durch<br />

84


den Kopf - wozu denn ? Unsere Reise hatte gerade erst<br />

begonnen, und was sollte ich denn mit Seide ?<br />

"T-Shirts !", sinnierte Rocky. Stimmt ! So teuer war das<br />

Zeug auch gar nicht und außerdem "unheimlich leicht, bequem<br />

und strapazierfähig", ergänzten Rocky und Dörthe, die<br />

nun ihrerseits in den Stoffen wühlten und Überlegungen zum<br />

Kauf einiger Kilometer ausgewählter Stoffbahnen anstellten.<br />

"Hmmh ?! I mean ... it´s real silk ? I don´t wanna buy - but<br />

... may be I would, ... what´s the price, if you make a T-Shirt<br />

of this blue one ?", ruschte mir blöderweise die Frage raus,<br />

und schon hatte ich eine Bestellung über zwei weite Kimono-<br />

Seidenhemden aus Rohseide nach eigenem Schnittmuster, zwei<br />

normale billigere Hemden aus einem Seide/Baumwollgemisch<br />

und eine Rechnung von knapp achtzig Mark am Hals.<br />

"Aaaaaaaaaahhhhhhh !"<br />

Rocky bestellte ebenfalls einige Baumwollhemden mit Monogramm<br />

"Rocky" für drei Mark das Stück. Alles weitere sollte<br />

dann morgen um 12:00 Uhr beim Schneider besprochen<br />

werden, denn es war spät und wir sehr, sehr müde geworden.<br />

Zum Schluß wechselte Rocky noch sein Geld zu einem<br />

sehr guten Kurs (Eine Mark ca 13 Rupien), wir verabschiedeten<br />

uns und wurden von Strahlemann `Baba´ in einer er<strong>neu</strong>ten<br />

Wallfahrt durch nun noch dunklere und düsterer wirkende<br />

Gassen zurück in unsere Unterkunft geleitet, wo wir müde<br />

in unsere Betten fielen.<br />

Auch der nächste Tag versprach sehr interessant zu werden.<br />

Kurz nach dem Frühstück, das wir beim Sonnenbad auf<br />

dem Dach einnahmen, materialisierte `Baba´ freudig lächelnd<br />

85


an der Tür unseres Asyls und begehrte Einlaß zwecks Geleit<br />

von Rocky und mir zum Schneider, wo Maß für die Hemden<br />

genommen werden sollte, mußte aber draußen warten, denn<br />

der jederzeit präsente Herbergsvater mochte keine Händler<br />

auf seinem Grund und Boden - jedenfalls nicht, so lange er<br />

keine Provision erhielt !<br />

Es folgte wieder endloses `Gassensurfen´ - doch diesmal<br />

bei Tageslicht und weniger bedrohlich. Wir landeten schließlich<br />

bei der gleichen Adresse, wie vom Vortag, was hieß,<br />

Stiefel aus, rauf auf die Matte, die pinkfarbenen Wände auf<br />

sich wirken lassen, abwarten und Tee trinken.<br />

Ca. 10 Minuten später traf der Schneider ein: Ein kleines<br />

schmächtiges Kerlchen mit Oberlippenbärtchen und Brille. Er<br />

schritt sofort zur Tat, nahm die Maße auf, und ich erklärte<br />

ihm, wie ich mir den Schnitt meiner <strong>neu</strong>en Herrenseidenoberbekleidung<br />

vorstellte. Daraufhin überreichte er mir ein<br />

Stück Papier und einen Stift. Er verlangte genauere Kenntnis<br />

über meine Modevorstellungen. Vage schwebte mir ein Schnitt<br />

im Kimono-Stil vor, mit weiten Ärmeln und so, aber ihm<br />

schienen die wüsten Kritzeleien auf dem Papier mehr dem<br />

Geist eines Irren zu entspringen, weshalb er dem lachhaften<br />

`künstlerischen´ Treiben entnervt Einhalt gebot und härteres<br />

Kaliber auffuhr: Ein zu seinem Laden entsandter Kurier<br />

erhielt Order, zwei dicke Bände japanischer Modemagazine<br />

zu holen, aus denen ich wählen sollte.<br />

Das bedeutete ... warten ... und ... Tee trinken...<br />

In diesem `Standardwerk´ japanischer Streetwear hatte ich<br />

bald gefunden, was ich suchte. Mit Händen und Füßen debattierten<br />

wir noch einige kleine Änderungen des gewählten Modells,<br />

wobei uns `Baba´ tatkräftig unterstützte, und wurden<br />

endlich einig. Der Schneider veranschlagte zuerst erschrek-<br />

86


Straßenszene in Varanasi-City<br />

87


kende drei Meter Stoff für diese Arbeit, ließ sich aber überzeugen,<br />

daß Zirkuszelte auch aus weniger Material hergestellt<br />

werden können, und schließlich ergab sich folgende Rechnung:<br />

2,25 m Seide zu 180 Rupies/Meter = 405 Rupies<br />

Arbeitslohn Schneider = 15 Rupies<br />

Ich zahlte eine Summe von 250 Rupies an, was in Rockys<br />

Notizbuch quittiert wurde, und die Arbeit für das erste Hemd<br />

konnte beginnen. Am Abend um 18:00 Uhr sollte ich zur<br />

ersten Anprobe wieder erscheinen.<br />

Jetzt benötigte ich aber dringend wieder Geld. Wir düsten<br />

also zur Bank. Auf Anraten von Rocky löste ich gleich zwei<br />

Zweihundert-Mark-Schecks ein und erhielt nach erstaunlich<br />

kurzer Wartezeit 2410 Rupies als Gegenwert, was ungefähr<br />

zwei durchschnittlichen indischen Ingenieurs-Monatsgehältern<br />

entsprach.<br />

Es folgte das Sichten, denn bei Geldscheinen mußte stets<br />

darauf geachtet werden, daß sie nicht beschädigt, sprich eingerissen<br />

waren, da man sonst auf Gedeih und Verderb darauf<br />

sitzen blieb - niemand außer der Bank würde einem diese<br />

Dinger wieder abnehmen, es sei denn, sie waren mit Tesafilm<br />

geklebt oder wie die meisten `nur´ vollkommen zersiebt,<br />

weil die Inder Stecknadeln zum Bündeln des Geldes verwenden.<br />

War aber alles ok und wir konnten den Besuch des hiesigen<br />

Basars starten. Wollten doch mal sehen, was es hier so<br />

alles zu ergattern gab. Rocky schwärmte die ganze Zeit von<br />

irgendwelchen dubiosen Blechbooten, die sich, mittels eines<br />

88


kleinen Stückchens glühender Holzkohle angetrieben, mit leisem<br />

Geknatter auf dem Wasser fortbewegten und die man<br />

als erwachsener eingeschworener Kindskopf u n b e d i n g t<br />

haben mußte. Auch mein Herz war gleich Feuer und Flamme<br />

beim Anblick dieser bunten scharfkantigen und nutzlosen<br />

Metallfahrzeuge, und das `Glücksgefühl´ war erst perfekt, als<br />

ich gierig zehn dieser Dinger zum Stückpreis von nur 39 Pfennig<br />

an mich gerafft hatte, von denen ich noch heute vier<br />

unbenutzte Exemplare besitze, die in einem Regal auf meinem<br />

Flur vollstauben. Auch Rocky ließ sich einige Hundert in<br />

eine Plastiktüte stopfen, bevor wir unseren Beutezug fortsetzen<br />

konnten.<br />

Es war schon interessant, wie schnell westlicher Verstand<br />

beim Anblick des mannigfaltigen Angebots in den Auslagen<br />

eines orientalischen Basars aussetzte und man genötigt wurde,<br />

Dinge zu erwerben, die weder Sinn hatten, noch einen<br />

Zweck erfüllten, die man aber im Verlauf der weiteren Reise<br />

im Schweiße seines Angesichts mit sich herumschleppen mußte.<br />

Vielleicht wurden wir Abendländer berauscht durch das<br />

laute Stimmengewirr der dichtgedrängten Menschenmassen,<br />

den starken exotischen Gerüchen oder waren einfach nur<br />

blöd. Wer weiß das ?<br />

Plötzlich erstarrte Rocky und sein glasiger Blick fraß sich an<br />

der Auslage eines Standes für Glasblaskleinkunstgewerbe fest.<br />

"Gla-Gla-Glas ... Gla-Glastiere", flüsterte er vor sich hin und<br />

zückte unverzüglich und entschlossen sein Portemonnaie zum<br />

Kauf zweier Kartons mit einer zerbrechlichen Auswahl von<br />

jeweils vierundzwanzig zoologischen Kostbarkeiten wie Giraffen,<br />

Elefanten, Löwen, usw., die er - man höre und staune<br />

- im Rucksack heile zurück mit nach Deutschland brachte,<br />

wo sie bis auf den heutigen Tag in seinem Bücherregal im<br />

89


Wohnzimmer das gleiche Schicksal ereilt hat wie meine Blechboote.<br />

Welch ein Jammer !<br />

Glücklicherweise konnten wir uns nach dem Kauf einiger<br />

billiger Holzkreisel und einer erklecklichen Anzahl possierlicher<br />

Wackeltierchen in schlecht imitierten, aufklappbaren<br />

Walnußschalen von dem irritierenden Zauber indischer<br />

Kinderspielzeugproduktionen losreißen, und nachdem ich mir<br />

einen Satz Räucherstäbchen undefinierbarer Geruchsrichtung<br />

zugelegt hatte, um damit dem fliegenden Ungeziefer in meinem<br />

Zimmer zu Leibe zu rücken, machten wir uns auf die<br />

Suche nach einer annehmbaren Verköstigungsstätte, wo wir<br />

den erwachten Hunger stillen konnten. Das Lokal unserer<br />

Wahl servierte ein hervorragendes Essen, beherbergte aber<br />

leider auch große fette Spinnen, von denen eine direkt neben<br />

mir an der Wand nach ihren Appetithappen Ausschau hielt,<br />

und der Inhaber des Etablissements lächelte nur tierlieb, als<br />

ich ihn darauf aufmerksam machte. Diese Inder konnten einen<br />

wahrlich krank machen...<br />

Das Essen hatte gut gemundet, und dem furchtlosen Rokky<br />

gelüstete es gleich darauf nach einer zünftigen Rasur beim<br />

hiesigen Barbier.<br />

Da aber weißhäutige Menschen in Indien nunmal recht rar<br />

sind, löste dieses Ansinnen einen kleinen Menschenauflauf aus,<br />

was den dunkelhäutigen Schaumschläger und Messer-wetzer<br />

etwas nervös und seine Hand ein wenig zittrig machte. Leider<br />

war Rocky der Leidtragende, denn immer wieder gab<br />

der Barbier ein "Auh" oder "Uuh" von sich, wenn er seinen<br />

deutschen Kunden mit dem scharfen Messer verletzte. Der<br />

jedoch ließ die ganze Prozedur ohne mit der Wimper zu<br />

zucken über sich ergehen und amüsierte sich am Ende auch<br />

noch köstlich über die ganze blutige Geschichte.<br />

90


Zusammen liefen wir<br />

danach noch etwas in<br />

der von Menschen brodelnden<br />

City herum,<br />

auf der Suche nach was<br />

weiß ich und trafen dabei<br />

mal wieder auf jemanden,<br />

der glaubte, in<br />

Rocky einen guten alten<br />

`Freund´ wiederzuerkennen<br />

- was sich im<br />

Laufe unserer Reise erfahrungsgemäß<br />

als `guter<br />

kaufwilliger Kunde´<br />

übersetzen ließ, denn in<br />

Indien wollte einem jeder<br />

penetranterweise<br />

irgendeinen Scheiß verkaufen,<br />

und jeder be- Rocky zur Rasur beim Zahnarztfriseur<br />

kam für alles und jedes<br />

irgendeine Provision. Dieser Jemand entpuppte sich als vielleicht<br />

20-jähriger indischer Händler, den Rocky bereits in<br />

Kathmandu getroffen hatte und der ihm nun zu seinen heißbegehrten<br />

Schachbrettern verhelfen wollte. Doch zuerst wurden<br />

wir, trotz Beteuerung, daß wir es s e h r eilig hätten, zu<br />

ihm nach Hause eingeladen, trabten deshalb zu seiner `Junggesellen-Wohnung´.<br />

Er wohnte hier in Varanasi bei seinem verheirateten Bruder<br />

zur Untermiete, in einem als Loch getarnten Appartment,<br />

dessen Einrichtung sich auf eine speckige Matratze und einen<br />

Walkman mit kleinen krächzenden Lautsprechern beschränkte.<br />

Ablenkung von diesem Elendsquartier verschaffte ihm an-<br />

91


scheinend das Betrachten der an den Wänden hängenden,<br />

überbunten hinduistischen Götzenbilder, bei gleichzeitiger<br />

Abfackelung alle Sinne betäubenden Räucherwerks. Und diesem<br />

Mann mußte es finanziell vergleichsweise gutgehen.<br />

Wie konnte der so leben, fragten wir uns kopfschüttelnd ?<br />

Den ganzen lieben Tag zugedröhnt, oder was ?<br />

Nach Genuß des hier üblichen Tees, der aus einem Teil<br />

Tee plus fünfzig Teilen Zucker bestand und ein bißchen<br />

Smalltalk bedeutete er uns, ihm zu seinem Geschäftsfreund,<br />

der mit diesen Spielbrettern handelte, zu folgen.<br />

Dort wieder großer Raum, weißbezogene Matte auf dem<br />

Boden, Schuhe ausziehen, hinsetzen, Tee schlürfen und andächtige<br />

Vorführung aller, aber auch wirklich a-l-l-e-r verfügbaren<br />

Modelle in allen Formen, Farben, Materialien und Gewichtsklassen.<br />

Unheimlich zeitintensiv diese Inder !<br />

Rocky und ich scherzten, daß das wohl der Grund für die<br />

horrende Armut der indischen Bevölkerung sein mußte. Jedenfalls<br />

zog sich die Angelegenheit dermaßen hin, daß wir<br />

uns den geplanten Zoobesuch aus dem Kopf schlagen durften,<br />

denn es war bereits 16:00 Uhr vorbei. Um 18:00 Uhr<br />

würde uns `Baba´ beim "Aces New Deal" abholen, wo wir<br />

vorher mit Dörthe essen gehen wollten. Dörthe mußten wir<br />

aber auch erst im "Shankeri Guest House" abholen, und Rocky<br />

war gerade dabei, einen weiteren Termin dazwischenzuschieben,<br />

denn wie sich herausstellte, besaß unser Gegenüber<br />

außer den zwei großen augenblicklich nur ein einziges<br />

kleines Schachspiel, wollte aber ein weiteres plus verlangtem<br />

Schachfigurenextraersatzsatz besorgen, und jener Freund des<br />

Schachspielverkäufers mit einem als Loch getarnten Apartment<br />

erklärte sich bereit, um 17:30 Uhr unsere zeitlich kurz<br />

92


emessene Nahrungsaufnahme zu stören, um die bestellte<br />

Ware dort abzuliefern - und der ganze Tag war dahin...<br />

Schachbrett und Figuren wurden auch pünktlich geliefert,<br />

aber schließlich versagte das Termingeflecht des schwerbeschäftigten<br />

`Baba´. Erst eine geschlagene Stunde später,<br />

also um 19:00 Uhr<br />

erschien er an der<br />

Pforte des Speisepalastes<br />

"Aces New<br />

Deal", und in der<br />

Dämmerung reisten<br />

wir per pedes<br />

zum pinkfarbenden<br />

Zimmer mit der<br />

Matte, wo wir wieder<br />

einmal in einer<br />

Teeorgie versunken<br />

die Zeit totschlugen,<br />

denn<br />

Meister Nadelöhr<br />

beliebte eine halbe<br />

Stunde auf sich<br />

warten zu lassen.<br />

Das von ihm gelieferteKleidungs-<br />

stück war allerdings<br />

exzellente Arbeit,<br />

Anprobe des <strong>neu</strong>en Campingzeltes<br />

schien für meine Begriffe aber etwas zu weit, doch der begeisterte<br />

Rocky überzeugte mich, daß das hervorragend verarbeitete<br />

Stück Seidentuch ja notfalls als superrobuster Leinenschlafsack,<br />

Abdeckplane oder Notsegel verwendet werden<br />

93


könnte, und so bezahlte ich voller Stolz den Rest des veranschlagten<br />

Preises für dies einzigartige Multifunktionsgewebe,<br />

was wiederum mit ernster Miene im Notitzbuch von Rocky<br />

quittiert wurde. Das zweite in Auftrag gegebene Kimono-<br />

Shirt, ein dunkelblaues, würde diesmal einen farblich abgesetzten<br />

Kragen, eine verdeckte Knopfleiste und einen Gürtel<br />

erhalten - alles curryfarben - und aus einem Batiktuch, das die<br />

Göttin Kali zeigte, sollte der Schneider ein T-Shirt herstellen.<br />

Nach den Formalitäten zauberte Schneiderman plötzlich ein<br />

helles indisches Seiden-Jacket und eine sehr schöne Seidenbrokatweste<br />

aus dem Nichts, und die versammelte Gesellschaft<br />

seidendealender Varanasen nötigte den vermeintlich<br />

sehr finanzkräftigen Autor selbige anzuprobieren, um auf plumpe<br />

Art und Weise seine Kauflust anzuheizen. Paßte auch alles<br />

prima - wie für mich gemacht !? Aber ich lehnte freundlich ab,<br />

und wir verabschiedeten uns, nicht ohne einen Termin für<br />

den kommenden Tag klargemacht zu haben.<br />

Im Hotel nochmals einige Hektoliter Tee inhalieren und<br />

abschnarchen, denn morgen wollten wir zum Bahnhof, um<br />

Fahrkarten nach Rishikesh zu kaufen.<br />

Frühstück mit Rührei, Toast, Tee-Exzess und anschließender<br />

Dusche hatten wir bereits hinter uns, als `Baba´, der<br />

kleine Dicke, in der schwülen Hitze des Tages er<strong>neu</strong>t vor<br />

der Tür unserer Unterkunft aufschlug und seine Dienste als<br />

Fremdenführer anbot, die wir mittlerweile zu schätzen gelernt<br />

hatten.<br />

Im schweinefarbenen, bematteten Zimmer des Seidenhändlers<br />

angekommen - warten. Natürlich ! Was sonst ?<br />

Das weiträumige Seidenzelt war ok, aber der alles entscheidende<br />

Gürtel fehlte und der Schnitt des Batik-T-Shirts<br />

94


glich mehr einem zu groß geratenen Windbeutel. Es mußte<br />

trotz Widerstand des sonst fähigen Stichlings, der seine mißratene<br />

Création mit Vehemenz verteidigte, geändert werden.<br />

Daher brachen wir er<strong>neu</strong>t zu einer mehrtägigen Gassen-<br />

Expedition auf, vorbei an herrlich verfaulen- und verwesendem<br />

Unrat, wunderschönen von Rotz, roten Bethelaulen und<br />

sonstigem Dreck verschmierten Häuserwänden, halbverhungerten,<br />

meist übel verstümmelten Bettlern und den bisher<br />

noch mit keiner Silbe erwähnten heiligen Kühen, die, teils<br />

abgemagert bis auf die Knochen, überall in den Straßen der<br />

Stadt darauf warteten, daß sie mal ins Gras beißen durften,<br />

anstatt dauernd nur den überall herumliegenden krankmachenden<br />

Müll in sich hineinzustopfen. Ungeniert entleerten<br />

die angebeteten Tiere pladdernd ihren fragwürdigen Darmund<br />

Blaseninhalt auf die Straße, und man mußte aufpassen,<br />

nicht eine ordentliche Ladung davon abzubekommen. Plagte<br />

einen der vielen Menschen die Blase, so hockte er sich im<br />

Getümmel ebenfalls einfach an den Gassenrand und pinkelte<br />

auf den Weg.<br />

Insofern empfanden wir es trotz der Hitze als äußerst angenehm,<br />

in Stiefeln durch die Gegend zu wandern und nicht<br />

in Sandalen oder gar barfuß wie viele Einheimische, denn ich<br />

möchte nicht wissen, wieviele der hier bekannten Krankheiten<br />

allein auf Haut-Bodenkontakt zurückzuführen waren.<br />

An einer kleinen butzigen Höhle, die durch eine ebenso<br />

kleine Türöffnung erreicht werden konnte, machten wir wieder<br />

Halt. Dies war die Wirkungsstätte des meine Hemden<br />

schneidernden Modepapstes, der gerade mit dem Einpassen<br />

eines anderen Kunden in ein Hemd beschäftigt war.<br />

In diesem Mikrokosmos, der durch eine von der Decke<br />

95


Das fleißige `tapfere Schneiderlein´ bei der Arbeit<br />

baumelnden Glühbirne beleuchtet wurde, befanden sich zwei<br />

Arbeitsplätze, jeweils bestückt mit einer von Großmutters<br />

SINGER-Tretnähmaschinen, und ein Angestellter war gerade<br />

dabei, eines der beiden Relikte mit Leben zu erfüllen. Der<br />

hintere Teil des Raumes war durch einen Vorhang abgetrennt<br />

und diente als Rumpelkammer. Genau dort hing auch die<br />

Brokat-Weste vom gestrigen Tag.<br />

Und je länger wir warteten und ich dort hinstarrte, desto<br />

mehr reizte mich das Ding, denn es sah wirklich einen Hammer<br />

aus - ich mußte gestern blind gewesen sein ! Die er<strong>neu</strong>te<br />

Anprobe des handgeschneiderten Kunstwerkes, dessen<br />

Knöpfe sogar mit Brokat überzogen waren, schaltete endgültig<br />

jegliche Art von Vernunft und Bedenken aus, machte mich<br />

96


frei im Sinne von "Kaufe was Dir gefällt, egal was es kostet"<br />

und zum Sklaven der Weste. Nun gab es kein Zurück mehr,<br />

mein Entschluß stand fest: Die oder keine !<br />

Der Preis betrug saftige sechshundertfünfzig Rupies, also<br />

fünfzig Mark. Für Indien viel Geld, aber für unsere Verhältnisse<br />

so gut wie geschenkt. Da konnte man eigentlich gar nichts<br />

falsch machen. Als ich aber meinen Entschluß zum Kauf äußerte<br />

und freudig lächelnde Gesichter wegen der wieder einmal<br />

bestätigten Dämlichkeit von Touristen erwartete, gab es<br />

ein "Äh" und "Oh" im Laden, und man versuchte mir verlegen<br />

Kleines Erinnerungsfoto: Schneider,<br />

Ich, `Baba´ und der Tuchhändler<br />

97


klarzumachen, daß das nicht möglich sei. Ich sollte doch lieber<br />

das schleunigst herbeigeschaffte Seiden-Jacket kaufen. Diese<br />

Weste gehörte ihnen gar nicht, wäre ausschließlich Dekoration<br />

und nicht zu verkaufen. Man könne mir eine <strong>neu</strong>e<br />

machen, aber leider nicht in dem gleichen Muster, da dieser<br />

Stoff zur Zeit nicht am Markte sei.<br />

Nein, nein, nein - die oder keine.<br />

Tuschel, tuschel und Vorschlag zum Besuch des rechtmäßigen<br />

Eigentümers, ebenfalls Seidenhändler, der die schwerwiegende<br />

Entscheidung treffen sollte.<br />

Schuhe aus, Matratze, warten ... "you like some tea ?"<br />

Dieses Schlitzohr trieb den Preis gleich auf siebenhundertfünfzig<br />

Rupies nach oben, da bereits eine Bestellung vorlag,<br />

und man müsse verstehen....Bla, bla, bla ... könnte auch jede<br />

Menge andere Westen haben, ... usw., usw. Aber ich hatte<br />

bereits dazugelernt.<br />

Nein danke, die Sache hätte sich erledigt entgegnete ich,<br />

zwinkerte Rocky zu und wir machten gaaaaaannnz laaangsaaamm<br />

Anstalten, das Schuhwerk überzustreifen und uns zu<br />

verabschieden, während die in dieses verlorene Geschäft verwickelten<br />

Inder nervös miteinander berieten. Geschlagen und<br />

schweren Herzens pfiff man uns zurück.<br />

Sechhundertfünfzig und keine einzige Rupie mehr bezahlte<br />

ich, es wurde ein Erinnerungsfoto des Westen-Mafiosi mit<br />

Tatwerkzeug gemacht, und schon düsten wir wieder zum<br />

Schneider, holten die geänderten Klamotten ab, bezahlten<br />

und trugen uns in das Gäste-und Referenzbuch des Schneiders<br />

ein. Beim Tuchhändler noch schnell ein zweites<br />

Erinnerungsfoto gemacht und dann konnten wir uns endlich<br />

Wichtigerem zuwenden, denn wir wollten ja eigentlich Bahnkarten<br />

kaufen.<br />

98


Von diesem Herrn kaufte ich meine erste und einzige Brokat-Weste<br />

99


Beim überfüllten Bahnhof angekommen, in dessen Eingangshalle<br />

sich die Reisenden mit ihrem gesamten Hausrat breitmachten,<br />

suchten wir zuerst das vielversprechende Tourist<br />

Office im ersten Stock auf. Dort würde einem meist geholfen<br />

werden, traute man den optimistischen Beschreibungen im<br />

verklärten Reiseführer. Aber alle verfügbaren Karten der 1.<br />

Klasse waren auf vier Wochen im voraus ausverkauft. Da<br />

war nichts zu machen. Also wieder runter zum menschlichen<br />

Ameisenhaufen in der Eingangshalle und am Schalter für die<br />

Tickets der 2. Klasse angestellt, wo eine deprimierend lange<br />

Warteschlange darauf erpicht war, von den unfreundlichen<br />

und sturen Schalterbeamten abgearbeitet oder auch einfach<br />

nur verarscht zu werden.<br />

Während ich mich in die Reihe der Wartenden eingliederte,<br />

kommunizierte Rocky bereits mit einem Engländer oder Australier<br />

über die ungewöhnlichen Gepflogenheiten beim Kauf<br />

einer Bahnkarte in Indien. Demnach erhielt jeder zuerst einen<br />

ellenlangen Antrag zum Kauf einer Fahrkarte und das<br />

auch nur am Tag der Abreise. Vorbestellungen gab es nicht !<br />

Also beschlossen wir, die Karten erst direkt am Tage der<br />

Abreise zu kaufen, verließen unverrichteter Dinge den Bahnhof<br />

und fuhren zurück in die Stadt.<br />

Abends beim tea-dinner in unserer Pension fragten wir versuchsweise<br />

den Hausherrn, ob er vielleicht eine bessere Möglichkeit<br />

sähe, ohne lästiges Anstehen irgendwie an Fahrkarten<br />

heranzukommen und siehe da, er bot an, das Gewünschte<br />

zu besorgen, und wir hatten den Kopf frei für andere Dinge,<br />

wie zum Beispiel für den verstärkt auftretenden wässrigen<br />

Durchfall, der, so rätselten wir, entweder mit dem übermäßigen<br />

Konsum von Tee und der wegen der enormen Hitze<br />

stark gedrosselten Nahrungsaufnahme zusammenhing oder<br />

100


aber - grübel, grübel, übel, übel - mit der Einnistung eines<br />

ganz und gar unerwünschten, ekelhaften Bakteriums ?<br />

Erstmal abwarten und IMMODIUM kauen, sagten wir uns,<br />

und die verlorengegangenen Liter an lebensnotwendiger<br />

Körperflüssigkeit ausgleichen durch Trinken von Tee und Brühe.<br />

Wird schon wieder ok, kann gar nichts pa ... oh mann,<br />

schon wieder ... urrhh ...<br />

Der folgende Tag gebot es, wieder zeitig aufzustehen, denn<br />

wir wollten um 5:00 Uhr in der Frühe die Ghats aufsuchen,<br />

um den in der ganzen Welt bekannten und sagenumwobenen<br />

Sonnenaufgang mitzuerleben, von dem ich bisher allerdings<br />

nie etwas gehört hatte.<br />

Bei Erreichen des Flußufers waberten uns dicke und dichte<br />

rauchige Nebelschwaden über das Wasser entgegen. Das gelbliche<br />

Licht einiger zerschundener Laternen hatte seine Mühe<br />

damit. Trotzdem erkannten wir, wie dreckig die steinernen,<br />

ins Wasser führenden Treppen waren, auf denen sich bald<br />

hunderttausende von Millionen gläubiger Hindus tummeln würden,<br />

um in den heiligen Abwasserfluten des Ganges ihr morgendliches<br />

Bad zu nehmen.<br />

Wir warteten gespannt auf die Sonne, die heute morgen<br />

anscheinend keine rechte Lust hatte aufzugehen und sich in<br />

dem wattigen Dunst dann doch endlich als kleiner verschwommener<br />

orangener Punkt bemerkbar machte, der wuchs und<br />

wuchs und mit zunehmender Größe mehr und mehr Einfluß<br />

auf den Nebel nahm. Langsam aber sicher verflüchtigte sich<br />

der feuchte Schleier, der während der Nacht Ufer und Fluß<br />

verbarg, und gab den Blick frei auf das nun rege Treiben um<br />

uns herum. Dicht an dicht standen die Gläubigen dort und<br />

tauchten freudig ein in das dreckige graugüne Naß, auf dem<br />

101


Die Sonne löst den dichten Nebel auf, der morgens über dem Ganges hängt<br />

Blumenblüten, Abfall, verschimmelter Kot und manchmal vergammelte<br />

Tierkadaver trieben. Tauchten ein mit dem Kopf,<br />

falteten ihre Hände zu einer Schöpfkelle und tranken in kleinen<br />

Schlucken vom Strom des Lebens und des baldigen Todes.<br />

Uns wurde ganz schlecht, als wir das sahen, und daher<br />

zogen wir uns nach einiger Zeit zurück, zum Genuß unseres<br />

Frühstücks mit einem Sugar-Separated-Big-Pot-Of-Milk-Tea, und<br />

ich zelebrierte anschließend das morgendliche Bräunungsritual<br />

auf dem Dach.<br />

Gegen zehn Uhr trafen wir wieder bei den Ghats ein, denn<br />

uns zog es zu einer steinernen Feste am jenseitigen Ufer:<br />

Fort Ramnagar. Dazu benötigten wir eines der vielen hier<br />

vertäuten und zu mietenden Ruderboote, die zusammen mit<br />

ihren menschlichen Motoren in der Sonne brieten.<br />

Gerade als wir uns anschickten, mit dem Aushandeln eines<br />

102


solchen hölzernen Gefährtes zu beginnen, hörten wir plötzlich<br />

freudige Rufe, die uns galten. Renate, René und Sher, ein<br />

Nepali, begrüßten uns - Bekannte von Rocky, die er in Nepal<br />

kennengelernt hatte. Wir unterhielten uns eine Weile, teilten<br />

uns mit, wo wir untergekommen waren, verabredeten uns<br />

für später zur gemeinsamen Besichtigungstour im Fort und<br />

waren gleich darauf wieder in einen heftigen Handelsstreit<br />

mit einem jungen Inder verstrickt, der uns die Vorzüge seiner<br />

Dienstleistung schmackhaft machte.<br />

Belagerung europäischer Bleichgesichter<br />

durch indische STASI (Stare Sect of India)<br />

Wir handelten einen annehmbaren Preis von 30 Rupies für<br />

eine Tour aus, doch als wir in das Boot einstiegen, guckten<br />

wir mal wieder dumm aus der Wäsche, denn unser<br />

Gespächspartner war keinesfalls der Fahrer dieses Bootes.<br />

Das war nämlich ein knochiger und weißhaariger alter Mann,<br />

der nicht unbedingt so aussah, als würde er mit diesem wack-<br />

103


Heitere Kloakenidylle am Ufer des Ganges<br />

ligen Ding einige Kilometer flußaufwärts gegen die Strömung<br />

anrudern können - geschweige denn mit uns als zusätzlichem<br />

Ballast.<br />

Der alte Mann aber, von dem eine tiefe innere Ruhe ausging,<br />

beruhigte uns und strebte mit gekonnten Ruderschlägen<br />

dem Ziel entgegen. Zuerst fuhren wir noch in der Nähe der<br />

steinernen Uferbefestigung, auf der die Frauen jetzt ihre Wäsche<br />

wuschen und in der Sonne trockneten, bald aber strebte<br />

der Kahn mehr und mehr der Mitte zu und genehmigte<br />

einen Blick auf eine öde Sandwüste auf der anderen Flußseite,<br />

wo die Geier in kleinen Gruppen hockten und auf Nahrung<br />

lauerten, sofern sie nicht hoch über uns ihre Kreise in<br />

der Luft zogen. Ab und zu kamen wir an grünen Flecken<br />

vorbei, wo kreischende Kinder in der Gesellschaft von Wasserbüffeln<br />

im Wasser plantschten und so den Tag herumbrachten,<br />

und einmal trieb zu Dörthes Entsetzen backbords<br />

eine angekohlte Kinderleiche an unserem Gefährt vorbei.<br />

104


Die Sonne knallte immer schlimmer auf unsere Köpfe, und<br />

bei mir machten sich nach kurzer Zeit erste Anzeichen eines<br />

Sonnenstichs bemerkbar, denn ich war bereits extradry durch<br />

das morgentliche Sonnenanbeten und besaß dummerweise<br />

keinerlei Kopfbedekkung<br />

zum Schutze<br />

meines gequälten<br />

Denkorgans. Da blieb<br />

mir nichts weiter übrig<br />

als den Ekel zu<br />

überwinden, Rocky<br />

um sein Halstuch und<br />

die Genehmigung zu<br />

bitten, es mit den mit<br />

Abfällen menschlichen<br />

wie tierischen<br />

Ursprungs versetzten<br />

Abwässern des Ganges<br />

zu tränken und<br />

dieses dann um meinen<br />

Kopf zu wickeln,<br />

was mir tatsächlich<br />

erhebliche Erleichte-<br />

Flußpiraten !!!<br />

rung verschaffte.<br />

Ca zwei Stunden glitten wir in aller Stille über das Wasser,<br />

bis wir aus der Ferne ein nicht endenwollendes TSCHAA-<br />

TONG-TONG, TSCHAA-TONG-TONG vernahmen und uns<br />

erst nicht erklären konnten, was die Ursache dieses Geräusches<br />

war, bis nach einiger Zeit am Horizont eine quer über<br />

den Ganges führende Linie sichtbar wurde, die sich beim Näherkommen<br />

als riesige, den Fluß überspannende Ponton-<br />

105


Fort Ramnagar liegt in der Nähe einer Ponton-Brücke<br />

Das Forttor von vorne<br />

106


Brücke herausstellte, auf der reger Verkehr herrschte. Und<br />

genau dort in der Nähe der Brücke hob sich auch der Umriß<br />

des gewaltigen Fort Ramnagar ab, das wir besuchen wollten.<br />

Der von uns unterschätzte weißhaarige Alte steuerte das<br />

Boot nun auch flink Richtung Ufer und suchte sich eine Anlegestelle<br />

an dem mit Booten gesäumten Sandstrand. Wir bezahlten<br />

ihm die Überfahrt und fragten ihn, ob er warten würde,<br />

bis wir wieder zurückkämen, und er nickte zustimmend,<br />

als wir ihm versprachen, nicht länger als ca. zwei Stunden<br />

unterwegs zu sein.<br />

Dann trieb es uns erst einmal zu einem der überall in Indien<br />

zu findenden kleinen Straßen-Imbisse, denn wir hatten einen<br />

mordsmäßigen Hunger und noch viel größeren Durst. Nach<br />

der Verköstigung versorgten wir uns noch schnell mit einer<br />

Handvoll Apfelsinen vom Markt und betraten das eindrucksvolle<br />

Fort durch das große rote Portal.<br />

Die Gebäude innerhalb der weiträumigen zerfallenen<br />

Befestigungsanlage beherbergten eine stattliche Anzahl an Relikten<br />

aus der längst vergangenen Zeit der Maharadschas, die<br />

in überschwenglichem Reichtum und Pomp gelebt hatten,<br />

während die immense Bevölkerung Indiens in Armut und<br />

Elend dahinvegetierte - was sie übrigens heute im Zeitalter<br />

der Atombombe auch noch tut.<br />

Zu sehen waren mit Gold und Edelsteinen besetzte Sänften<br />

und Kutschen, reich ausgestattete Limousinen, edle Schmuckund<br />

Kleidungsstücke, Möbel und jede Menge brutalste Waffen.<br />

Fotografieren war verboten. Der ganze verblichene und<br />

wenig gepflegte Reichtum wurde beschützt durch eine kleine<br />

Abteilung der indischen Armee. Von Sonne und Geschmeide<br />

geblendet und sichtlich beeindruckt, mußten wir bald unsere<br />

Besichtigungstour beenden, um rechtzeitig unseren Kontakt-<br />

107


mann am Fluß zu treffen. Von Renate, André und Sher sahen<br />

wir keine Spur. Später erfuhren wir, daß sie gerade angekommen<br />

waren, als wir den Rückzug antraten.<br />

Pünktlich zur vereinbarten Zeit langten wir an der Brücke<br />

an, aber von dem alten Herrn war nichts zu sehen, so daß<br />

wir zuerst dachten, er hätte uns im Stich gelassen und wäre<br />

schon wieder auf dem Heimweg.<br />

Es lag nämlich eine erkleckliche Anzahl von Wasserfahrzeugen<br />

am Strand, und wir konnten uns partout nicht mehr<br />

darin erinnern, wie dieses verdammte Boot genau aussah.<br />

Also klapperten wir den gesamten Strand ab, bis wir ihn plötzlich<br />

mit geschlossenen Augen andächtig versunken in seinem<br />

Kahn knieen sahen. Wir störten ihn nicht, sondern ließen ihn<br />

gewähren, um zu beobachten, was da vor sich ging.<br />

Er verbeugte sich tief bis auf die Holzplanken und murmelte<br />

anscheinend irgend ein Gebet, dann kramte er ein kleines<br />

Päckchen aus der Seitenverkleidung des Bootes, wickelte es<br />

ruhig und bedächtig aus. Zum Vorschein kam ein stark beanspruchtes<br />

Shillum, etwas Tabak, Marihuana, ein paar Kandis-<br />

Zuckerstücke, Streichhölzer: Aha, ein Kiffer schoß es mir<br />

durch den Kopf. Tatsächlich fing er auch schon an, die Pfeife<br />

mit diesem indischen Bier zu stopfen.<br />

Alkohol war in allen verheiligten Hochburgen des Hinduismus<br />

bei Strafe verboten - nur milde Drogen, wie Gras oder<br />

Haschisch, in einigen Orten erlaubt oder geduldet.<br />

Sobald die Pfeife qualmte, bot er sie uns ebenfalls an und da<br />

wir, des Rauchens nicht mächtig, dankend ablehnten, offerierte<br />

er seine paar kümmerlichen Kandisstückchen. Es konnte<br />

einem schon anders werden, wenn man bedachte, daß wir<br />

mit einem kleinen Teil unserer Reisemittel 5 Tonnen Kandis-<br />

108


zucker hätten kaufen können. Zum Dank bot ich ihm eine<br />

meiner gekauften Apfelsinnen an, die er gleich darauf einem<br />

anderen Landsmann, der plötzlich bei unserem Boot auftauchte,<br />

in die Hand drückte.<br />

So war das aber nicht gedacht !<br />

Als wir uns schließlich auf dem Wasser befanden und er sich<br />

- durch die Droge benebelt - untätig an den Bug hockte und<br />

daß Boot treiben ließ, startete ich mit einer weiteren Orange<br />

einen zweiten Versuch. Da er sich jedoch mit Händen und<br />

Füßen gegen meine aufdringlichen Versuche, ihm den Genuß<br />

einer saftigen Citrusfrucht schmackhaft zu machen, wehrte,<br />

unterstrich ich mein Angebot mit den Worten:<br />

"Please keep it. It´s good for your health. There are<br />

Vitamines inside and a lot of minerals. It makes you strong."<br />

"Das ist ungefähr so, als würde ein Außerirdischer auf die<br />

Erde kommen, Dir irgendwas vor die Nase halten und sagen:<br />

Da ist Ukkabukka drin. Mußt Du essen. Ist gut für Dich.<br />

Mmmmh.", ließ Rocky verlauten, worauf wir uns mit erheblichen<br />

epileptischen Lachkrämpfen an der Bootswand festkrampften.<br />

"Hoffentlich hat er nicht vor, sich die ganze Strecke zurücktreiben<br />

zu lassen", fragte sich Rocky nach einer Weile, denn<br />

wir mußten pünktlich zurück bei den Ghats sein, wegen einer<br />

Verabredung zum Essen mit André und Renate. Nichtsahnend<br />

über unsere weitausschweifenden Pläne für den heutigen<br />

Tag, genoß unser <strong>neu</strong>gewonnener Freund lächelnd das<br />

ruhige und faule Dahintreiben in die beginnende schwüle<br />

Abenddämmerung auf dem in der untergehenden Sonne golden<br />

glitzernden Wasser.<br />

109


Ganz versessen darauf zu erfahren, wie sich dieser große<br />

Kahn wohl von mir bewegen ließe, schnappte ich mir, nach<br />

Genehmigung des Alten, die derben Ruder und versuchte<br />

mein Glück. Ich muß sagen, keine leichte Angelegenheit - und<br />

ich ruderte immerhin mit der Strömung ! Zum einen waren<br />

die etwas krumm geratenen Bambusstangen der Paddel<br />

schwer zu koordinieren, und zum anderen trieb die starke<br />

Strömung ihr Spiel mit dem Gefährt. Trotzdem ging es recht<br />

gut voran. Der Alte setzte sich zur Erleichterung mit einem<br />

Ersatzruder ans Heck und steuerte den Kahn.<br />

Kleiner `Kraftakt´ auf heiligen Gewässern<br />

Auch Rocky verspürte irgendwann den wilden Drang, überflüssige<br />

Energien loszuwerden, und so erreichten wir mit vereinten<br />

Kräften doch noch zu einer angemessenen Zeit unseren<br />

Ausgangspunkt, wurden von den am Ufer stehenden obligatorischen<br />

Glotzern bestaunt, zahlten unsere Rechnung für<br />

110


die `Do-It-Youself´-Rückfahrt und trabten durch die Straßen<br />

zum vereinbarten Treffpunkt. Nach dem Essen dann flugs<br />

zum "Shankeri Guest House", zehn bis zwölf Tassen Tee den<br />

Garaus machen und dann ab in die Heia, denn wir mußten<br />

morgen früh raus.<br />

Am anderen Morgen highspeed-frühstücken, die überall verteilten<br />

Klamotten zusammenräumen und packen. Wir wollten<br />

uns mit André, Renate und Sher, die uns ab nun für einen<br />

Teil der Reise begleiteten, vor deren Hotel treffen, um von<br />

dort gemeinsam zum Bahnhof zu fahren. Der Zug nach<br />

Rishikesh sollte um 10:05 Uhr abfahren.<br />

Die Drei wären jedoch nicht in ihrem Hotel aufzufinden,<br />

wie uns der Portier versicherte. Panik und Verärgerung machten<br />

sich breit, denn schließlich waren wir verabredet und<br />

wollten eine Stunde vor Abfahrt am Bahnhof sein. Man konnte<br />

ja nie wissen, ob die angegebenen Abfahrtzeiten auch wirklich<br />

stimmten.<br />

Doch der Hotelwächter hatte uns dreisterweise mit Fehlinformationen<br />

versorgt: Die Gesuchten saßen auf ihrem Zimmer<br />

und warteten ihrerseits. Diese Inder !!!<br />

Es folgte hektisches Sammeln auf der Straße und Verhandeln<br />

mit den Haifischen der indischen Städte, den Rikscha-<br />

Fahrern, die bereits Fährte aufgenommen hatten und uns<br />

umlagerten.<br />

Mit zwei Rikschas zu je zehn Rupies ging´s schließlich ab<br />

zum Bahnhof. Dort angekommen, begann die wirre Suche<br />

nach dem richtigen Bahnsteig, denn jeder der befragten (Vara)<br />

Nasen erzählte einem eine andere Geschichte über den Verbleib<br />

der gesuchten Örtlichkeit. Am besten gar nicht mehr<br />

fragen.<br />

111


Endlich standen wir richtig und mußten jetzt nur noch Geduld<br />

haben. Wieviel, stellten wir bald fest. In der Zwischenzeit<br />

vergnügten Rocky und ich mich damit, die gesamten<br />

Schokoladenbestände der auf dem Bahnsteig werbenden<br />

Händler aufzukaufen: acht Tafeln! Das dürfte für die mehrstündige<br />

Reise gerademal so reichen. Wir waren voll entschlossen,<br />

unsere Körper mit den nötigen Kalorien zu versorgen.<br />

Auch wenn alles um uns herum an Unterernährung,<br />

Scheißerei und Blödheit zugrunde ging - wir nicht !<br />

Wir warten ... und warten ... und warten ...<br />

Dann wieder warten. Es war 10:00 Uhr und ein <strong>neu</strong>er Zug<br />

fuhr ein. Hurra, unser Zug. Juchheh. Welche Freude - überpünktlich.<br />

Gucken, fragen "unser Zug !?"<br />

Nein, wurde uns erwidert, der hier führe woanders hin.<br />

Unserer käme aus der anderen Richtung. Wir waren echt<br />

aufgeregt, weil wir auf gar keinen Fall den Zug verpassen<br />

112


wollten, denn wer wußte, wann der nächste fuhr. Ein Zug<br />

aus der Gegenrichtung schob sich heran.<br />

Nein, schade ... nicht unserer... vielleicht später ...<br />

Oh, Elend. Es war bereits 10:30 Uhr !<br />

Als wir verunsichert am Schalter nachfragten, kriegten wir<br />

zu hören, der Zug hätte eine Stunde Verspätung. Na gut -<br />

eine Stunde.<br />

Wir warteten und warteten und ... 11:00 Uhr ... warteten.<br />

11:45 Uhr und wir warten.<br />

"Wer fragt gewinnt !" - Rocky ging fragen.<br />

Erschütterung legte sich aufs deutsche Gemüt, als die ganze<br />

Wahrheit ans sonnige Tageslicht kam. Wie konnte das passieren:<br />

Unser geliebter Zug sollte erst um 13:00 Uhr einfahren.<br />

Wurde der vielleicht aus Kostengründen von Kühen gezogen<br />

?<br />

W - A - R - T - E - N !!!<br />

Die Schokolade war bereits alle, als der große Zeiger der<br />

Bahnhofsuhr das Ereignis des Jahrtausends mit einer kurzen<br />

Bewegung auf die Zwölf ankündigte: Es war ohne Wenn und<br />

Aber 13:00 Uhr !<br />

Verdammt ! Und kein Zug !<br />

Fragen ohne klare Antworten.<br />

Um 14:30 Uhr schließlich, mit viereinhalb Stunden Verspätung,<br />

fuhr der vor Menschen berstende und mit dick vergitterten<br />

Fenstern versehene Zug auf dem Gleis ein. Jetzt hieß<br />

es zusammenbleiben und sich elegant hineinquetschen. Die<br />

Wagen hatten innen auf der rechten Seite geschlossene Abteile<br />

und auf der linken Seite des Ganges einfache Holzbänke.<br />

Leute ohne Sitzplatzkarte standen oder lagen in den Gängen,<br />

und es war schwer, mit dem Gepäck beladen an ihnen vorbeizukommen<br />

oder über sie hinwegzusteigen. Doch wir er-<br />

113


eichten unser Abteil, das wir mit einer Familie - Vater, Mutter,<br />

Frau und einem Söhnchen - teilten, die einen wohlhabenden<br />

Eindruck machte und sehr nett war.<br />

Wir bekamen immer wieder was von ihrem mitgebrachten<br />

Essen ab. War alles sehr lecker. Den englischsprechenden<br />

Mann interessierte vor allem mein Weltempfänger, der mal<br />

wieder keine richtige Lust verspürte, zu zeigen, was in ihm<br />

steckte. Kein Empfang.<br />

Drinnen war es mehr als nur warm, aber die toll aussehenden<br />

Deckenventilatoren waren partout nicht dazu zu bewegen,<br />

die Luft etwas umzuwälzen: Kein Strom !<br />

Unterwegs mit dem `India-Railway-Express`<br />

114


Gangotri


In Rishikesh, dem Meditationsmekka der Beatles in den<br />

Sechzigern, kamen wir in den frühen Morgenstunden<br />

ziemlich geschlaucht an und marschierten in der einsetzenden<br />

Hitze des Tages vollbepackt vom Busbahnhof durch<br />

die Stadt, zu einer etwas auswärts gelegenen Unterkunft,<br />

deren Name mir zwar entfallen ist, die aber laut Dörthes<br />

Reiseführer "Mit einer einzigen Mark quer durch Indien" das<br />

Nonplusultra für Rucksackfetischisten darstellen sollte.<br />

Sah auch alles ganz nett aus: ruhige Lage, Kieswege mit<br />

kleinen Blumenrabatten und rundum alles voll tropischer Vegetation;<br />

Gemeinschaftstoiletten und -duschen waren in einem<br />

extra Bau untergebracht.<br />

Wir entschieden uns zu bleiben. Es folgte die in Indien immer<br />

wiederkehrende, teils recht nervige Eincheckprozedur:<br />

Reisepaß rauskramen, drei Formulare pro Person ausfüllen,<br />

und erst dann durften die Zimmer gestürmt werden. Einzelzimmer<br />

gab es nicht und schon gar keine mit heilen Fenstern,<br />

also mußten Sher und ich uns eins teilen, bei dem wenigstens<br />

nur eine Scheibe aus dem Fensterrahmen rausgefetzt war -<br />

Indien wie es leibt und lebt !<br />

Nach Aussage des `Hotelmanagements´ war die gesamte<br />

Anlage zwar ausgebucht, doch obwohl wir suchten und suchten,<br />

wir sahen nicht einen einzigen anderen Menschen weit<br />

und breit. Auch beim anschließenden nicht sehr befriedigenden<br />

Frühstück in dem riesigen, halbdunklen und recht kühlen<br />

Speisesaal ließ sich niemand blicken. Wahrscheinlich meinte<br />

man, alle Gäste hätten sich ausgebucht, wie wir das am nächsten<br />

Tag auch taten, denn hier wollten wir nun doch nicht<br />

länger als nötig verweilen.<br />

Beabsichtigt war, daß Dörthe, Renate, André und Sher am<br />

nächsten Tag rüber über den Fluß in einen der dort gelege-<br />

115


Frühstück bei strahlendem Sonnenschein<br />

nen Ashrams zogen. Rocky und ich würden morgen früh bereits<br />

auf dem Weg nach Uttarkashi sein - dem Ausgangspunkt<br />

unseres geplanten Treks.<br />

Während sich die anderen gegen Mittag am Flußufer umsahen,<br />

um einen Platz in einem Ashram zu bekommen, zog<br />

ich zusammen mit dem Nepali Sher los, die malerische Gegend<br />

erkunden. Stundenlang wanderten wir in der dichtbewaldeten<br />

Hügellandschaft der Siwaliks herum, die von jeder<br />

Menge ziemlich großer, weißgrauer Affen, den Hulmans,<br />

bewohnt ist, und trafen irgendwann auf zwei mit sehr gefährlich<br />

aussehenden Erste-Weltkrieg-Karabinern ausgerüstete jugendliche<br />

Jäger, die unbedingt wissen wollten, was denn so<br />

ein Fotoapparat koste, den ich da mit mir herumschleppte.<br />

Sher erzählte ihnen irgendein Märchen, damit sie nicht auf<br />

dumme Gedanken kamen, und ich bannte die beiden wunschgemäß<br />

auf Zelluloid. Etwas hungrig und durstig geworden fragten<br />

wir an, ob irgendwie die Möglichkeit bestünde, an was zu<br />

116


In den Siwaliks<br />

Die netten Nachbarn von nebenan<br />

117


essen oder zu trinken heranzukommen, wobei sich herausstellte,<br />

daß einer der Freizeitjäger gleichzeitig Bauer war und<br />

mit seiner Familie einen Hof ganz in der Nähe bewohnte. Die<br />

übermittelte Einladung zu Tee und Kuchen nahmen wir selbstredend<br />

dankbar an.<br />

Auf dem Rückweg verliefen wir uns dann aber leider etwas,<br />

ich bekam erste Blasen an den Füßen, und meine `unverwüstlichen´<br />

Lederstiefel gaben den Geist auf, als die nagel<strong>neu</strong>e<br />

Sohle des linken in der Mitte durchbrach. Das hatte<br />

natürlich gerade noch gefehlt - wollten wir doch morgen ins<br />

Gebirge !!! Bedingt durch diesen Schicksalsschlag blieb uns<br />

keine andere Wahl, als den Rückzug anzutreten, und zum<br />

Schluß unserer Wandertour gelangten wir über eine Steintreppe<br />

direkt an das felsige Westufer des Ganges, wo sein<br />

noch klares blaugrünes Wildwasser nach einem leichten Gefälle<br />

in einer großen breiten Kurve die Südrichtung einschlägt.<br />

Etwas träger geworden fließen die kühlen Wassermassen<br />

vorbei an kleinen Kiesstränden auf der gegenüberliegenden<br />

Uferseite, wo die Menschen zum Sonnenbad liegen, den<br />

Ashrams und farbenprächtigen Tempeln und unter der<br />

"Laksham Jhula" hindurch, einer 1939 erbauten stabilen Hängebrücke<br />

mit einer Spannweite von 140 Metern, auf der die<br />

Fußgänger manchmal stehenbleiben und die Schwärme der<br />

recht großen Fische füttern, die, wie so vieles in Indien, heilig<br />

sind und nicht gefangen werden dürfen.<br />

In der Stadt versuchten wir dann einen Schuster oder wenigstens<br />

jemanden aufzutreiben, der sich in der Lage sah, die<br />

vermachte Sohle zu reparieren, was aber fehlschlug. Lederstiefel<br />

sind halt etwas Außergewöhnliches in einem Land, wo<br />

der größte Teil der Bevölkerung barfuß herumläuft, und daher<br />

war weder eine Ersatzsohle noch ein entsprechender<br />

118


Gummiflicken aufzutreiben, mit dem der Riß überbrückt werden<br />

konnte. Keine Chance !<br />

An einem Sonnabend, dem 02.02.1991, fuhren Rocky und<br />

ich frühmorgens um sechs Uhr mit der Rikscha zum Busbahnhof,<br />

kauften unsere Tickets, und mit dem vollbesetzten<br />

Lokal-Bus reisten wir mit angespannten Nerven wegen des<br />

tolldreisten Fahrstils des lebensmüden Fahrers 200 km über<br />

übelste Gebirgsstraßen dem in einer erdbebengefährdeten<br />

Zone liegenden Zehntausend-Seelen-Städtchen Uttarkashi entgegen,<br />

wo knapp ein Jahr später ein starkes Erdbeben hunderte<br />

von Menschenleben forderte.<br />

Dort in 1158 Meter über dem Meeresspiegel angekommen,<br />

gab´s nach dem Einchecken in einem Superbillighotel<br />

von der Stange erstmal 222 tolle asiatische Nudelgerichte<br />

vom Wok für ´ne Mark in einem ganz kleinen 4qm-Ranzladen,<br />

und als wir zum Erstaunen des Kochs endlich satt waren,<br />

wurde es langsam Zeit, uns in das Getümmel auf den Straßen<br />

zu stürzen, denn meine ramponierten Lederstiefel hatte ich<br />

in Rishikesh gelassen. Unbekümmert, todesmutig oder lebensmüde<br />

hatte ich beschlossen, in meinen Turnschuhen zu<br />

laufen, und wollte mir sicherheitshalber ein Ersatzpaar zulegen.<br />

Das war aber gar nicht so einfach.<br />

Ich dachte, ich bekäme schon irgendwie ein paar anständige<br />

Schuhe, doch leider war in den zwei Schuhläden vor Ort<br />

nichts derartiges zu finden, was meinen Ansprüchen an Verarbeitung<br />

und Stabilität auch nur annähernd gerecht wurde,<br />

und so mußte ich mich wohl oder übel mit einem Paar primitivster<br />

indischer Negativ-Turnschuhe für den unglaublichen<br />

Wucherpreis von achtzehn Mark zufriedengeben.<br />

119


Vorm Schlafengehen wollte ich noch schnell die angepriesene<br />

heiße Dusche unseres `Hotels´ in Anspruch nehmen, aus<br />

deren fünf nicht verstopften Düsen aber nur Eiswasser in alle<br />

Himmelsrichtungen davonstob. Muß man wohl länger laufen<br />

lassen, dachte ich mir, nachdem ich eine erhebliche Anzahl<br />

der verstopften Düsen mit einer Nadel gesäubert hatte. Als<br />

die Wassertemperatur nach einer guten halben Stunde aber<br />

immer noch keine Lust hatte sich zu ändern, beschloß ich,<br />

den Vermieter zur Rede zu stellen. Der versprach, mir einen<br />

Eimer mit heißem Wasser zuzubereiten und versagte dabei<br />

kläglich: Das Wasser blieb auch um 23:00 Uhr nur lauwarm.<br />

Alles hatte sich gegen mich verschworen - aber ich würde<br />

den Göttern trotzen ! Verbissen schrubbte ich mich unter der<br />

kalten Dusche ab und verkroch mich bibbernd in den mit<br />

Taschenwärmern vorgewärmten Schafsack.<br />

Nächster Tag. Um fünf Uhr früh knatterten wir mit dem<br />

üblicherweise vollbesetzen Stockbus Richtung Gangotri.<br />

Es war bereits kalt - bitterkalt. Was darauf hindeutete, daß<br />

wir uns mehr und mehr in gebirgige Höhen schraubten.<br />

Bereits am Fahrkartenschalter oder vielmehr dem Verschlag,<br />

wo man ein Stückchen bedrucktes Papier erhielt, das zur<br />

Fahrt mit dem Bus berechtigte, hatte man uns darauf hingewiesen,<br />

daß der Bus oder was wir dafür hielten, aller Voraussicht<br />

nach nicht bis zu unserem eigentlichen Ziel Gangotri<br />

fuhr, sondern nur bis Gangnani, je nachdem, wie die Straße,<br />

die stellenweise durch Erdrutsche verschüttet sein sollte, aussah.<br />

Und wirklich, je näher wir Gangotri kamen, desto leerer<br />

wurde der Bus, bis schließlich nur wir beide übriggeblieben<br />

waren, als der Busfahrer an einer uralten, wie von Ratten<br />

120


zerfressenen Eisenbrücke stoppte. Die vier baufälligen Bretterbuden<br />

und halbfertiggebauten Steinhütten, die dort in der<br />

Nähe standen, mußten wohl der Ort Gangnani sein. Einwohner:<br />

einer, soweit wir sehen konnten. Entfernung bis Gangotri:<br />

60 Km Luftlinie !<br />

Es war eine triste Einöde, arrrschkalt, alles grau-braun, erdfarben<br />

und menschenleer, sah man einmal von dem Herrn<br />

ab, der den im Moment nicht sehr gut gehenden Teestubenbushaltestellenschnellimbißkiosk<br />

betrieb. Mitleidig blickend verabschiedete<br />

sich der Busfahrer von uns, machte kehrt und<br />

sah schleunigst zu, daß er verschwand, um die beiden Vollirren<br />

ihrem wohlverdienten Schicksal zu überlassen. Wir hatten<br />

es ja so gewollt. Hatten wir. Hätten wir´s gewußt - hätten<br />

wir ?<br />

Wandern in Schrottland<br />

121


Zuerst schien noch alles so lustig - die Welt war in Ordnung.<br />

Wir schossen ein paar Fotos von der Brücke und wie<br />

ich sie überquerte, und dann kam Rocky auf die glorreiche<br />

Idee, den vor uns liegenden Pflichtparcour der sowieso schon<br />

beschwerlichen Expedition etwas abzuändern, das heißt den<br />

Weg abzukürzen, der in einer leicht ansteigenden Kurve nach<br />

oben führte. Er äußerte den zwanghaften Wunsch zu klettern,<br />

um das Stückchen Kurve zu umgehen !<br />

Ich dachte, ich hörte nicht recht. Eh Mann, ich wollte nicht<br />

gleich am Anfang unter der Last meines viel zu schweren<br />

Sturmgepäcks sterben. Aber auch längere Diskussionen über<br />

Sinnfindung und Wertschätzung einer gottgewollten Scheißkurve<br />

hielten diesen bereits himalayaerprobten Steinbrech nicht<br />

von seinem Vorhaben ab, und schon begann für mich die<br />

elendste Quälerei seit den Hexenverbrennungen des Mittelalters.<br />

Schleimige Schweißspuren zurücklassend zwang ich meine<br />

bereits quietschenden Knochen und schmerzenden Beinmuskeln<br />

mit den Worten "Ich habe trainiert, ich habe trainiert,<br />

ich habe trainiert, ich habe ... auh ... ouh ... Urrgh !" den<br />

Hang hinauf. Ich mußte wahnsinnig sein. Auf was für ein Abenteuer<br />

hatte ich mich da eingelassen ?<br />

Hey Bus, komm zurück !<br />

Unterwegs ohne anständige Schuhe und den Rucksack und<br />

die große Army-Umhängetasche, deren scheuernder Trageriemen<br />

mich fast um den Verstand brachte, voll mit sämtlichen<br />

Einkäufen der bisherigen Reise. Ich hatte tatsächlich<br />

Metallboote, Holzkreisel und Seidenhemden im Gepäck. Vollkommen<br />

krank, aber Dörthe, Renate und André waren nicht<br />

unbedingt erpicht darauf gewesen, die Sachen im Ashram aufzubewahren,<br />

um dann von mir hingeschlachtet zu werden,<br />

122


weil irgendein Unbekannter Gefallen an Diesem oder Jenem<br />

fand und unberechtigterweise seinem Besitzstand einverleibte.<br />

Also schleppen...<br />

Nachdem wir die ersten paar hundert Meter auf der ansteigenden<br />

Straße zurückgelegt hatten und ich mir schon überlegte,<br />

wie ich diese teuflisch drückenden Schulterriemen des<br />

Rucksacks für eine Woche ertragen sollte, kam der nächste<br />

Hammer in Form tierischer Darmkrämpfe, die mich laut fluchend<br />

veranlaßten, panikartig hinter einen Findling am Wegesrand<br />

zu hechten, mich wimmernd von diesem vertrackten<br />

Gepäck zu befreien und die Hose runterzureißen. Dann kam<br />

die Jogginghose - wegen der Kälte - und die war verknotet !<br />

Oh Mann, oh Mann, und das in solch einem Augenblick des<br />

Schreckens. Wenn ich mir jetzt in die Hosen machte, wär<br />

das das Ende der Welt oder die Hölle auf Erden. Der Bus<br />

kam erst in einer Woche wieder und mit vollgeschissenen<br />

Hosen auf einer Trekkingtour im Himalaya verschollen, das<br />

mochte ich mir gar nicht erst vorstellen. Fuchsteufelswild riß<br />

ich mir endlich diese verdammte Hose herunter, und kaum<br />

hatte ich mich hingehockt, da schoß es auch schon in einem<br />

schönen fetten Strahl heraus.<br />

Rocky dokumentierte die Schweinerei als solche fairerweise<br />

mit einem netten Foto - frei nach dem Motto "was Du nicht<br />

willst, das man Dir tut, das füge einem anderen zu." - was an<br />

sich schon eine Schweinerei war. Wie er mir später versicherte,<br />

hat er dieses (im wahrsten Sinne des Wortes) Negativ<br />

später leider vor einem vereidigten Notar aufgegessen.<br />

Schade - hätte gern ein Poster davon !<br />

Im Moment war mir das aber alles vollkommen gleichgültig,<br />

denn diese Krämpfe machten einen glatt fertig. Man konnte<br />

sich nicht dagegen wehren. Der Körper pumpte auch noch<br />

123


das letzte bißchen an Nahrung aus dem Darm. Bestimmt an<br />

die zwanzig Minuten hockte ich mit heruntergelassener Hose<br />

in der Kälte und wartete auf das Ende der Darmverrenkungen<br />

und die unvermeidlich einsetzenden Beinkrämpfe.<br />

So konnte und durfte das nicht weitergehen ! Also schmiß<br />

ich gleich nach der Aktion zwei IMMODIUM ein und hoffte<br />

auf baldige Besserung. Fürs erste schien die Sache aber überstanden.<br />

On the road<br />

Es war zwar kalt, aber mir wurde im Laufe des Tages<br />

immer wärmer, denn das ungewohnte Schleppen des Gepäcks<br />

und das anfangs stetige Bergauf hielten den Kreislauf<br />

unglaublich in Trab.<br />

Die Jacke wanderte zuerst in den Rucksack, und später<br />

folgte der dicke Pullover aus Yakwolle, unter dem das<br />

klitschnaßgeschwitzte Sweatshirt zum Vorschein kam. Schwitzen<br />

tat man ja immer noch, aber der unermüdliche Wind<br />

hielt die Klamotten einigermaßen trocken, und der Rucksack<br />

spannte jetzt nicht mehr so.<br />

124


Trotzdem: es war eine unglaubliche Qual. Die Beine<br />

schmerzten, die Schultern schmerzten, das Gedärm, die Füße<br />

und, wie wir zu unserer großen Freude sehr bald feststellten,<br />

waren alle Lodges geschlossen: keine Saison !<br />

Welch ein Glück, da hatte sich der Expeditionsleiter verplant.<br />

Keine Unterkunft, kein Essen, keine Freude, keine Kraft.<br />

Genau die richtige Teststrecke für zwei ausgehungerte europäische<br />

Survival-Spezies auf Entdeckungsreise. Ein kleiner Wermutstropfen<br />

aber war, daß wir aus Eigennutz vorgesorgt und<br />

uns reichlich mit nahrhaften MAGGI-Brühwürfeln eingedeckt<br />

hatten, denn da konnte einfach kein richtiger Hunger aufkommen,<br />

wies mich der von diesen Unbilden unbeeindruckte<br />

Teamleiter unwirsch zurecht, als ich auf kleine Unstimmigkeiten<br />

zwischen seiner geschönten Theorie und der eindeutigen<br />

und unwiderlegbaren Praxis hinwies.<br />

Rebellion am Oberlauf des Ganges !<br />

Irgendwie brachte ich wohl noch nicht das richtige Verständnis<br />

für echtes Abenteuer auf. Das sah in Filmen immer<br />

viel einfacher aus.<br />

Ca 2-3 Stunden in der mondähnlichen Landschaft waren<br />

vergangen, als wir zu unserem Erstaunen auf Menschen trafen.<br />

Vor einem weißgekalkten steinernen kleinen Dreckloch von<br />

Hütte mit den Abmaßen einer Abstellkammer lauerten zwei<br />

volltrunkene Brandy-Hindu-Himalayasoldiers der heroischen indischen<br />

Gebirgsarmee. Welch eine Abwechslung für sie: Weiße<br />

und zwar vollkommen nüchterne !<br />

Dem Delirium Tremens nahe, versuchte der eine torkelnde<br />

Saufbruder uns in unverständlich sabberndem Englischgelalle<br />

beizubringen, wir hätten sozusagen den Sonderauftrag dort zu<br />

bleiben und ihnen Gesellschaft zu leisten. Die Strecke, die wir<br />

vor uns hätten, wäre ihrer Meinung nach sowieso so schlecht,<br />

125


das Wetter und die Menschen auch und sie wären soooo alleine<br />

hier draußen. Er müsse nur mal schnell zurückwanken und in<br />

einem nahegelegenen Dorf den leergesoffenen Plastikkanister<br />

mit Dröhnfusel ‘Spiritus Sancti’ auffüllen, dann könnten wir alle<br />

unheimlich abfahren, fuchtelte er eindringlich mit seinem alten<br />

Karabiner vor unserer Nase herum. Oh, Mann. Das hatte uns zu<br />

unserem Glück gerade noch gefehlt. Wir waren richtig glücklich,<br />

daß uns diese Ehre zuteil wurde.<br />

Da die ‘Spezialeinheit’ partout kein Interesse zeigte uns gehen<br />

zu lassen, versicherten wir, wir würden nur mal schnell gucken,<br />

ob hinter der nächsten Wegbiegung tatsächlich das Ende der<br />

Welt zu finden sei, wie man uns erzählte, und wir wären gleich<br />

wieder da. Ja, er könne schon mal für Nachschub sorgen.<br />

Wir sollten aber bloß vorsichtig sein !<br />

Damit machten wir uns aus dem Staub und waren nicht mehr<br />

gesehen. Die feuchtfröhliche Episode kostete uns allerdings<br />

eineinhalb Stunden unserer kostbaren Zeit. Schließlich mußten<br />

wir zusehen, die Strecke hin und zurück in fünf Tagen zu<br />

schaffen, damit wir den Bus nicht verpaßten. Da hieß es Tempo<br />

zulegen, denn auf jeden Fall wollten wir eine Unterkunft für die<br />

Nacht finden.<br />

Weiter und stetig bergauf marschierten wir auf der Straße<br />

durch eine bisher noch recht eintönige Landschaft gen Norden,<br />

unserem schneebedeckten Ziel entgegen. Die Berghänge um<br />

uns herum waren in dieser Höhe dicht mit Nadelhölzern bestanden,<br />

links von der Straße, tief unter uns, floß träge das<br />

blaugrüne Wasser des Ganges in Richtung Süden. Ab und zu<br />

standen kleine Tempelchen am Wegesrand, wo die alljährlich<br />

nach Gangotri pilgernden Gläubigen ihre Opfergaben hinterlegten<br />

oder Gebetsfahnen aufhingen. Menschen sahen wir keine,<br />

nicht mal Dörfer an den Hängen.<br />

126


Bald wurde mir die Schlepperei einfach zu bunt. Gewissensbisse<br />

quälten mich, mein Hab und Gut so im Stich zu lassen, aber<br />

ich mußte mich leider, leider von einigen Sachen trennen - da<br />

half nichts. Wir stoppten, und ich begann den Rucksack zu<br />

durchwühlen. Es mußte was möglichst Schweres sein. Ich<br />

suchte und suchte ... nein, nein, dies nich’ und das auch nich’ ...<br />

nein ... und jenes hier ganz bestimmt nicht.<br />

Aber, Mann, diese wahnsinnig große Familienflasche Sonnenmilch,<br />

die konnte ich bei der Kälte ganz gewiß nicht gebrauchen,<br />

und sie war verhältnismäßig schwer: immerhin 370g !<br />

Sorgsam versteckten wir den ausgewählten Kandidaten hinter<br />

einem Felsen vor den Blicken herumlungernder Sonnenmilchdiebe,<br />

um ihn auf dem Rückweg wieder einzusammeln,<br />

und dann setzten wir wieder einen Fuß vor den anderen...<br />

Da wir, wie gesagt, nichts weiter zu essen dabei hatten,<br />

mußten die verfeuerten Mineralien, Vitamine und Kohlenhydrate<br />

ja irgendwie anders wieder aufgefrischt werden. Wir<br />

ernährten uns natürlich nicht Rüdiger-Nehberg-like von Kakerlaken,<br />

Regenwürmern, Spinnen und dergleichen, sondern vertrauten<br />

voll und ganz auf die zehn Röhrchen energiespendender<br />

ALDI-Multivitamintabletten, die wir nebst einer Packung<br />

MINALKA-Mineraltabletten im Gepäck mitführten.<br />

Immer wenn irgendwo Wasser in Reichweite war und die<br />

Wasserflasche leer, trat der Wasserfilter in Aktion. Eine Ladung<br />

Tabletten in der Wasserflasche aufgelöst und weiter. Das half<br />

ganz gut, konnte aber den aufkeimenden nagenden Hunger<br />

nicht vertreiben.<br />

Stundenlang hatten wir uns nun schon durch das Gebirge<br />

gearbeitet, trafen auf den ersten Schnee, und als es dunkler und<br />

dunkler wurde und immer noch keine menschliche Ansiedlung<br />

127


gefunden war, setzte zu allem Übel Schneefall ein, und es<br />

dauerte gar nicht lange, da verwandelte sich das Ganze in einen<br />

äußerst heftigen Schneesturm, der einem alles abverlangte. Wir<br />

wateten bald bis zu den Knien im Schnee und konnten in dem<br />

wilden Schneegestöber kaum mehr die Hand vor Augen sehen.<br />

So ging es wieder stundenlang weiter, und irgendwann mochte<br />

ich nicht mehr, war vollkommen ausgezehrt - fix und alle. Meine<br />

Beine spielten verrückt, und ich bat Winfried in alter Indianermanier<br />

„laß mich hier sterben. Kein Schritt mehr. Begrab mich<br />

an der Biegung des Flusses“.<br />

Zur Erholung und um eine Besserung des extrem miesen<br />

Wetters abzuwarten legten wir eine kleine Pause ein, stellten<br />

aber fest: Es wurde immer schlimmer. Außerdem kroch einem<br />

die Kälte bis in Knochen, blieb man nicht in Bewegung, denn<br />

unsere Klamotten waren total durchgeweicht, und ich hatte<br />

zusätzlich das Problem, daß auch meine Strümpfe und Turnschuhe<br />

klitschnaß geworden waren, was zu weiterer Blasenbildung<br />

unter den Fußsohlen führte.<br />

Es war die Hölle. Hieronymus Bosch, die Todgeweihten<br />

grüßen dich !<br />

Voller Verzweiflung - ich, weil ich einfach nur verzweifelt war<br />

und Rocky aus Angst, mich eventuell tragen zu müssen; denn<br />

dann hätte er seine Sonnenmilch ja auch noch irgendwo in der<br />

Landschaft verstecken müssen - kramten wir die derben Bundeswehr-Zeltplanen<br />

raus, die wir uns zum Schutz gegen den<br />

Schnee überhingen. So präpariert stapften wir in der Finsternis<br />

als der Welt einzigartiges fluchendes Zeltplanduo durch die<br />

Gegend, bis wir gegen 22:00 Uhr plötzlich aggressives Hundegebell<br />

vernahmen !<br />

Hunde bedeuteten bösartige Bißwunden oder aber menschliche<br />

Ansiedlungen UND bösartige Bißwunden, denn die in den<br />

128


Dörfern des Himalaya als Wachhunde eingesetzten großen<br />

tibetischen Berghunde reagieren meist sehr ungehalten auf<br />

unangemeldete Besucher. Langsam arbeiteten wir uns vor in<br />

Richtung des Unruhestifters, denn lieber gebissen als erfroren<br />

oder verhungert. Links von uns<br />

stand plötzlich ein mannshoher<br />

Maschendrahtzaun, und<br />

schemenhaft konnten wir einen<br />

Menschen in dem Schneetreiben<br />

erkennen, der sich mit<br />

einem Hund an seiner Seite<br />

auf uns zubewegte.<br />

Wir müßten noch EINEN Kilometer<br />

weiter, dort wäre ein<br />

Dorf und wir könnten übernachten,<br />

erzählte er uns. EI-<br />

NEN Kilometer ! Wußte der<br />

Mensch, was er da sagte. Ich<br />

mochte nicht mal mehr einen<br />

Meter gehen. Aber es schien<br />

keine andere Möglichkeit zu `Rocky Horror Picture Show´<br />

geben.<br />

Weiter kämpften wir uns durch die naßkalte weiße Wüste,<br />

und plötzlich war da ein Licht in der Finsternis, das wir ziemlich<br />

erschöpft anpeilten. Als wir eine Weile darauf zugegangen<br />

waren, konnten wir eine einstöckige halbverfallene Hütte erkennen.<br />

Aus einem Spalt in der unteren Etage drangen Stimmen<br />

und das wundersame Licht.<br />

Rocky klopfte an, öffnete die knarrende kleine Holztür, und<br />

wir beide erstarrten buchstäblich mit den Worten „Ooooh<br />

Gott“: Sechs äußerst verwegen aussehende bewaffnete Bandi-<br />

129


ten hockten in dem kleinen Raum am Boden um ein knisterndes<br />

Feuer und blickten mißtrauisch auf die beiden im Eingang stehenden<br />

sprechenden Schneemänner.<br />

Totenstille.<br />

Nach dem ersten Schreck auf beiden Seiten versuchten wir<br />

uns miteinander zu verständigen. Schwerstes Hindienglisch - ich<br />

verstand kein Wort, doch Rockys Ohren waren da schon besser<br />

geschult, und so führte er die Verhandlungen. Auch diese<br />

Gauner rieten uns, weiterzugehen bis zum nächsten Dorf, hier<br />

wäre kein Platz mehr wie wir ja sehen konnten, und es wäre<br />

auch nicht mehr sehr weit.<br />

Da ich aber bereits das Essen erspäht hatte, das auf dem Feuer<br />

brutzelte, hätten mich dort keine zehn Pferde mehr weggebracht.<br />

Ich starrte nur gierig auf den großen Topf und drängte<br />

meinen Schicksalsgefährten, den Brüdern klarzumachen, daß<br />

ich mich notfalls am Gebälk festsaugen würde, wenn irgendwer<br />

versuchen sollte, mich von hier wegzuschaffen. Und dem Himmel<br />

sei Dank - wir durften dableiben !<br />

Also krochen wir nach sage und schreibe zwölf Stunden<br />

anstrengendstem Fußtraining in die kleine wohligwarme Butze<br />

und stellten unsere Schuhe zum Trocknen vor den kleinen<br />

Lehmofen, auf dem immer noch das Essen köchelte. Wir<br />

brauchten gar nichts zu sagen - man sah uns wohl an, daß wir<br />

den ganzen Tag nichts gegessen hatten und notfalls die gesamte<br />

Belegschaft verspeisen würden.<br />

Während wir den interessierten Gestalten erzählten, was<br />

wir zur falschen Jahreszeit, bei solchem Wetter und ohne<br />

geeignete Kleidung am Ende des Universums zu suchen hatten,<br />

häufte man uns einen Berg nahrhafter Standardspeise auf<br />

einen Blechteller: Dhal Bhat - Reis mit Linsenbrei und etwas<br />

Gemüse.<br />

130


Rocky hatte sich bereits hungrig den Mund vollgestopft, als<br />

ich meinen Teller sehnsüchtig in Empfang nahm, und raunte<br />

mir mit blutunterlaufenden Augen heiser mampfend zu "Oh<br />

Mann, Mike, iß lieber nichts davon ! ", denn das Zeug war so<br />

dermaßen scharf gewürzt, es krempelte einem regelrecht<br />

den leeren Magen um.<br />

Aber ich hatte tierischen Hunger und versuchte mein Glück<br />

mit der heißesten Feuerspeise aller Zeiten, mußte jedoch<br />

kurze Zeit später aufhören: Schweiß troff in Strömen, die<br />

Nase lief, die Zunge war taub, Mund und Magen brannten<br />

höllisch - ich mußte fast kotzen. Rocky wollte entweder angeben,<br />

oder bei ihm überwog der Hunger, denn er schaufelte<br />

die Gastgeber dämlich angrinsend unaufhörlich Löffel um<br />

Löffel in sich hinein.<br />

Wie konnte der bloß sowas essen, fragte ich mich ?<br />

Überwältigt von der schlechten Qualität eines europäischen<br />

Mittelklasse-Magens kam man meinem geröchelten Wunsch<br />

nach ungewürztem Essen nach, und ich erhielt einen <strong>neu</strong>en<br />

Teller voller Reis mit Zucker, den ich nun ohne etwas zu<br />

schmecken hinunterschlingen mußte.<br />

Nach dem Essen saßen wir noch eine ganze Weile am<br />

warmen Ofen, bis sich die versammelte Gesellschaft gegen<br />

Mitternacht langsam anschickte, die `Schlafgemächer´ im oberen<br />

Stockwerk der Baracke aufzusuchen.<br />

Man bot uns ebenfalls an, zusammen mit den anderen in<br />

einem Raum zu schlafen, wohl weil es dann wärmer war,<br />

aber wir lehnten dankbar ab und zogen uns sicherheitshalber<br />

in eine eigene kleine Kammer von ca. 3 x 3 Meter mit Lehmfußboden<br />

und klappriger Zweiflügeltür zurück.<br />

Vielleicht würde man ja in der Nacht über uns herfallen, um<br />

an Geld und Ausrüstungsgegenstände heranzukommen, die<br />

131


etwas Geld brachten ? Man konnte in diesen abgelegenen<br />

Gegenden nie wissen was passierte. Etwas mißtrauisch `verbarrikadierten´<br />

wir daher die Tür mit einer Stahlkette und<br />

stellten die Rucksäcke als Hindernis davor.<br />

Eine leere Eintopfblechbüchse und ein Schlüsselbund dienten<br />

als Alarmglocke, falls diese Kerle des Nachts versuchen<br />

würden, uns hinterhältig zu meucheln.<br />

Die Kälte in dem Raum war unglaublich, und der Wind pfiff<br />

durch jede Ritze. Uns schlotterten die Knochen, als wir uns<br />

zum Schlafen umzogen, und ich dachte laut darüber nach, wie<br />

man mich wohl morgen vom Boden lösen würde, an dem ich<br />

während des Schlafes festgefroren war, denn wir mußten mit<br />

den nicht sehr guten Schlafsäcken auf dem nackten Untergrund<br />

liegen - Schaumstoffmatten hatten wir keine. Wegen<br />

der extremen Kälte und um meine verkrampften Beine für<br />

morgen fit zu haben, rieb ich sie mit durchblutungsfördernder<br />

ABC-Salbe ein.<br />

Welch eine gute Idee - meine während des Tages malträtierten<br />

Gehwerkzeuge fingen an zu glühen !<br />

Geistesgegenwärtig kramten wir schließlich die Taschenwärmer<br />

heraus und legten uns zur wohlverdienten Ruhe. Den<br />

dicken Wollpullover hatte ich mir als Unterlage in den Schlafsack<br />

gepackt, aber ich brachte trotzdem die ganze Nacht<br />

kein Auge zu. Es war mehr ein bibberndes Dahindösen, denn<br />

die beiden Taschenwärmer, die ich mir an die Hals- und zwischen<br />

die Beine an die Beinschlagader geklemmt hatte, gingen<br />

andauernd aus, und durch den eindringenden Nachtfrost wachte<br />

man sofort wieder auf. Dann hieß es Taschenlampe an und<br />

versuchen, die Dinger schlotternd wieder in Gang zu bringen<br />

und das möglichst schnell.<br />

Um deren Effektivität zu steigern, hatte Rocky bei seinen<br />

132


Taschenwärmern sogar die Stoffummantelung abgerissen,<br />

brannte sich dadurch aber des Nachts prompt ein Loch in<br />

den Schlafsack.<br />

Gegen 06:00 Uhr wachten wir klitschnaßgeschwitzt auf -<br />

so sehr hatten wir gefroren - und die Nacht war überstanden.<br />

Trotzdem machte keiner von uns irgendwelche Anstalten<br />

sofort aufzustehen, denn außerhalb der nichtsnutzigen<br />

Schlafsackhülle war es ja noch ungemütlicher. Erst gegen 08:00<br />

Uhr blieb uns keine andere Wahl, als sich draußen Stimmen<br />

und Schritte bemerkbar machten.<br />

"Hello !" klopfte es an der Tür. "Hello ! .... Breakfeast ?",<br />

tönte es er<strong>neu</strong>t und jemand rüttelte nun an ihr, um sie zu<br />

öffnen, und nach einem verdutzten "Uh !" setzte wieherndes<br />

Lachen ein, als die Leute belustigt feststellen, daß wir das<br />

Ding aus Sicherheitsaspekten verbarrikadiert hatten.<br />

Schließlich stellten wir betreten fest: Wir waren in ein Militärlager<br />

geraten, und die unrasierten Rauhbeine waren sehr<br />

gastfreundliche Soldaten der indischen Armee, die uns zum<br />

Frühstück mit einem marmeladegefülltem Eierkuchen und<br />

reichlich Tee versorgten.<br />

Das war zwar peinlich, aber wie sagte schon der sonst<br />

nicht sehr bekannte Harry Strelitz aus Lech am Inn: "Lieber<br />

zweimal peinlich als einmal tot !"<br />

Schnell hatten wir uns angezogen - es war immer noch<br />

arschkalt -, das warme Frühstück wurde gierigst hinuntergeschlungen,<br />

und danach ging es im knirschenden Schnee auf<br />

die Freilufttoilette zum Eiswürfelkacken. Es herrschte strahlender<br />

Sonnenschein, und die schneebedeckte Landschaft glitzerte<br />

und funkelte trügerisch in der klirrenden Eiseskälte.<br />

Rocky schoß noch ein, zwei Fotos von unseren Helfern vor<br />

133


Unsere indischen Retter, die nächtlichen `Gangster´<br />

134


der Unterkunft, und dann trabten wir wieder frierend und<br />

schwerbepackt, unter freudigen Abschiedsgrüßen durch<br />

Schnee und Eis. Mann, was waren wir Männer - wir trotzten<br />

Tod und Teufel.<br />

Das Schicksal kannte kein Erbarmen mit zwei mitteleuropäischen,<br />

suicid-gefährdeten Extrem-Masochisten der besonderen<br />

Art und so mußten wir uns gleich zu Beginn des <strong>neu</strong>en<br />

Tages über eine ziemlich abartige Wegstrecke bergauf kämpfen<br />

- Quäl, quäl !<br />

Und das mir.<br />

Nur gut, daß ich meine Beine am Morgen nochmals mit der<br />

berühmt-berüchtigten ABC-Salbe behandelt hatte. Das half wenigstens<br />

die zittrigen Muskeln aufzulockern, und die Beine<br />

schmerzten nicht mehr so enorm wie am Vortag.<br />

Allerdings wurden meine Füße kaum mehr trocken, denn<br />

beim ewigen Stapfen durch den Schnee saugten sich weiterhin<br />

Wollsocken, Schuhe und nun auch noch die Hose mit<br />

Wasser voll. Um diesem Dilemma entgegenzuwirken, hingen<br />

das unbenutzte Paar Schuhe und die Ersatzsocken hinten am<br />

Rucksack, damit die Sonne während des Tages ihren Dienst<br />

tun konnte. Doch das half wenig; sämtliche Körperflüssigkeiten<br />

schienen unheimlichen Spaß daran zu haben, sich in den blasigen<br />

Ausstülpungen meiner Füße anzusammeln.<br />

Wie am Vortag, so wanderten wir auch heute wieder stundenlang,<br />

ohne auch nur eine einzige Menschenseele zu treffen,<br />

durch eine absolut karge und spacige Gebirgslandschaft.<br />

Unsere zwischendurch oral verabreichte Nährstofflösung hielt<br />

uns mehr oder weniger am Leben, während wir versuchten<br />

den Berggipfeln auf den Leib zu rücken. Immer noch nichts<br />

richtiges zu essen.<br />

Wie sollte das bloß weitergehen ?<br />

135


Es mußte hier doch irgendwo ein Dorf auf unserem Weg<br />

liegen, wo wir was zu mampfen abstauben konnten. Doch<br />

wir fanden nichts dergleichen.<br />

Erst als wir uns am Nachmittag im Schweiße unseres Angesichts<br />

einen Berg hochgearbeitet hatten, lag plötzlich ein weites<br />

karges, aber sonnenbeschienenes Tal zu unseren Füßen,<br />

in dessen Mitte die heiligen Wasser des Ganges glitzerten, und<br />

am gegenüberliegenden Berghang klebten dichtgedrängt die<br />

Holzhütten eines Dorfes. Auch direkt unter uns waren ein<br />

paar Hütten in Sicht. Das erschien uns als Lichtblick. Auf stark<br />

vereisten Pfaden mühten wir uns den steilen schneebedeckten<br />

Hang hinunter, um den Weg abzukürzen, und legten uns<br />

dabei wegen der enormen Glätte etliche Male auf die Nase.<br />

Nachdem wir die Hälfte der Strecke bewältigt hatten, kam<br />

uns ein kleiner einheimischer Junge entgegen, der uns freundlich<br />

lächelnd den sicheren Weg nach unten zeigte.<br />

Das Dörfchen, wo wir eintrafen, war jedoch absolut tot,<br />

sah aus wie in einem Western von Sergio Leone. Aber immerhin<br />

gab es dort die Möglichkeit, in einer als Tee-Shop<br />

getarnten Bretterbude einige warme Milchtees in uns hineinzuschütten,<br />

denn wie jeder weiß: "...etwas Warmes braucht<br />

der Mensch." Zu essen gab es jedoch absolut nichts, und daher<br />

setzten wir uns bald wieder in Bewegung.<br />

Es wurde schließlich dunkler und dunkler, so daß wir beschlossen,<br />

noch maximal eine Stunde zu laufen, denn dann<br />

wäre die Zeit gekommen, uns eine Unterkunft für die Nacht<br />

zu suchen. Zu unserer großen Freude fanden wir unterwegs<br />

eine im Dreck liegende alte versiffte Eintopfdose, die wir mitnahmen.<br />

Zu Tieren verwahrloste Hungerleider wie wir konnten<br />

ja nie wissen, wozu man die noch brauchte ! Vielleicht<br />

136


Nachdem wir über verschneite Wege ins Tal hinabgestiegen waren...<br />

...herrschte eitler Sonnenschein !<br />

137


ließe sich aus den darin angetrockneten Essensresten eine<br />

tolle Suppe kochen ?<br />

Nachdem wir einen Berg umrundet hatten, sahen wir, daß<br />

uns unser Weg über eine Brücke führen würde, die über eine<br />

tiefe und steile Schlucht gespannt war, in deren Tiefe die<br />

tosenden Wasser des Ganges rauschten. Dahinter stand im<br />

Schutz von Nadelbäumen eine kleine weißgekalkte Hütte.<br />

Wir führten wahre Freudentänze auf, bis wir beim Näherkommen<br />

feststellten, daß der Teufel seine Hand im Spiel hatte,<br />

denn die Tür war leider mit einer dicken Kette versperrt.<br />

Ausgezehrt und vollkommen wirr im Kopf stellten wir Überlegungen<br />

an, dort einzubrechen, aber dann siegte die Vernunft,<br />

denn neben der Hütte befand sich ein aus Felssteinen<br />

gebauter, offener kleiner Verschlag: die Kochstelle.<br />

Nach gewissenhafter Inspektion des Inneren zogen wir dort<br />

ein, polsterten den Boden mit Tannenzweigen gegen den<br />

nächtlichen Bodenfrost, entrollten die Schlafsäcke, und vor<br />

den Eingang kam eine der robusten Zeltplanen, um den Wind,<br />

wilde Killer-Bestien, Yetis und einer Anstalt entflohene wahnsinnige<br />

Massenmörder abzuhalten.<br />

Dann ging die langwierige Suche nach gutem Brennmaterial<br />

los, denn das herumliegende Holz war durch den Schnee<br />

nicht gerade als trocken zu bezeichnen.<br />

Die bereits erwähnte Büchse wurde mit Seife ausgewaschen,<br />

und nach einer guten halben Stunde war der Survival-Feuerstein<br />

Marke "Gemeiner Feuerteufel" gefunden, den irgendwer<br />

irgendwo verkramt hatte. Natürlich hatten wir auch ein<br />

Feuerzeug im Gepäck, aber lieber wären wir gestorben, als<br />

etwas derartig Lachhaftes zum Einsatz zu bringen.<br />

138


139<br />

Das `Weiße Haus´: Für Normalbürger leider kein Zutritt, also...


...zogen wir ins Obdachlosenasyl...<br />

...zu den Ratten, Würmern und Kakerlaken !<br />

140


Dann war schwarze Nacht um uns, und ein `köstliches´<br />

Abendessen brutzelte über dem entfachten Lagerfeuer:<br />

Wassersuppe mit dem feinwürzigen Aroma von MAGGI-Brühwürfeln.<br />

Das Herz erfreute sich an der frischen Luft und<br />

kühlen Witterung.<br />

Frage an Rocky: "Meinst Du hier lebt noch jemand ?"<br />

Eine Antwort erübrigte sich, denn ganz plötzlich trat aus<br />

dem schwarzen Nichts ein zerlumpter, als Pilger getarnter<br />

Außendienstmitarbeiter der indischen Philosophischen Fakultät<br />

in den flackernden Schein unseres Feuers und konterte<br />

mit der Frage:<br />

"Woher kommt ihr und wo geht ihr hin ?"<br />

Urgh ! Wir zermarterten uns natürlich das Hirn, wo der so<br />

plötzlich herkam und was er wollte. Vorsicht war angesagt !<br />

Rocky: "Keine Panik. Ich bin schon mit ganz anderen Leuten<br />

fertigge...."<br />

Ein Pfiff in der Nacht und Stimmengewirr.<br />

Im Nu hatten wir acht bis <strong>neu</strong>n vermummte Gestalten, Typ<br />

`unrasierter fanatischer pakistanischer Freiheitskämpfer´ am<br />

Lagerfeuer sitzen, die den ersten Herrn anscheinend kannten.<br />

Oha - unsere Alarmglocken schrillten und Rocky bekam<br />

sogleich eine kleine Anwandlung von Größenwahn, indem er<br />

seine vorige Aussage revidierte:<br />

"Keine Panik. Ich und mein Rasiermesser sind schon mit viel<br />

mehr Leuten fertiggeworden !"<br />

Der herbe Haufen verlangte zu wissen, was zwei geistlose<br />

europäische Narren um diese Jahreszeit in ihrem vereisten<br />

Stammesgebiet zu suchen hatten und warum wir nicht einfach<br />

ein Stückchen weitergingen in ihr Dorf, wo wir gemüt-<br />

141


lich im Warmen übernachten konnten. Wir bedankten uns<br />

herzlichst für soviel Aufmerksamkeit, gaben aber zu bedenken,<br />

daß nordische Bleichgesichter Kälte, Hunger und das<br />

Abenteuer liebten und wir eigentlich schon schliefen, was sie<br />

bloß noch nicht bemerkt hätten. Das beruhigte unsere <strong>neu</strong>en<br />

Freunde, und kopfschüttelnd verabschiedeten sie sich bald<br />

wieder. Natürlich war uns danach etwas mulmig in der Haut.<br />

Aber was sollte man machen ? Wir waren müde und mußten<br />

jetzt dort schlafen, komme was wolle.<br />

Die eisige Nacht war ohne Zwischenfälle von uns gegangen<br />

und nachdem wir alles gepackt und zum Frühstück ausgiebig<br />

gehungert hatten, verließen wir gegen acht Uhr wehmütig<br />

unsere kleine heimelige Hütte und kämpften uns durch den<br />

festen Schnee immer weiter bergauf.<br />

Ächz, Stöhn !<br />

Die unglaubliche Landschaft entschädigte für vieles, aber mein<br />

Gepäck vermittelte mir mehr und mehr das erdrückende Gefühl<br />

eines riesigen nervtötenden Parasiten, der auf meinen<br />

Schultern hockte und den ich bis zur Rückkehr nach Gangnani<br />

nicht mehr loswerden würde. Rocky nahm mir daher den<br />

mitgeschleppten Wasserfilter ab, was immerhin 600g ausmachte,<br />

die ich nun nicht mehr schleppen mußte !<br />

Irgendwann gegen Mittag erreichten wir endlich ein Dörfchen,<br />

in dem ein Häuflein schmutziger Menschen in abgetragenen<br />

schmutzigen Klamotten geschäftig zwischen ein paar<br />

ebenfalls schmutzigen und halbherzig zusammengenagelten<br />

Hütten herumwuselte. Dort konnten wir wieder mal Tee<br />

trinken und sogar Nudelsuppe essen ! In einem kleinen<br />

Kolonialwarenholzverschlag, der bis zur Decke mit verstaub-<br />

142


"These Boots are made for walkin´. This is what they are for..."<br />

143


tem Krimskrams vollgestopft war, fanden sich unter anderem<br />

auch ein paar Päckchen Kekse und etwas Schokolade,<br />

die wir sofort beschlagnahmten.<br />

Und weiter im Takt.<br />

Ewig lange balancierten wir durch tief in den Schnee eingegrabene<br />

vereiste Reifenspuren, was unsere ganze Aufmerksamkeit<br />

in Anspruch nahm, um nicht auf die Nase zu fallen.<br />

Die konnten nur von einem Militärfahrzeug stammen - zu<br />

sehen war allerdings nichts.<br />

Nichts außer Kühen - diese Dörfer schienen alle wie ausgestorben !<br />

144


Nach Stunden der Einöde arbeiteten wir uns einen steilen<br />

bewaldeten Hang nach oben, um den Weg abzukürzen, und<br />

plötzlich befanden wir uns in einem verlassen wirkenden Militärlager<br />

der indischen Armee. Aber wir hörten Stimmen und<br />

als wir suchten, fanden wir zwei erbärmlich frierende Einzelkämpfer<br />

in einem Schuppen am Feuer hockend. Sehr erfreut<br />

hier andere Menschen zu sehen, wurden wir zum Teetrinken<br />

eingeladen und man löcherte uns mit Fragen. Die beiden<br />

erzählten, daß sie auf diesem Außenposten schon seit einigen<br />

Monaten alleine ausharrten. Grauenvoll !<br />

Wir wärmten also etwas unsere müden Knochen, kippten<br />

einige Tassen Tee und wollten uns gerade verabschieden, als<br />

die Einsamen den Wunsch<br />

äußerten, von uns abgelichtet<br />

zu werden. Dazu mußte<br />

natürlich erst einmal die<br />

Sonntagsgalaausgehuniform<br />

angelegt werden, was einige<br />

Zeit in Anspruch nahm.<br />

Dann wurde sich zum<br />

Fototermin draußen in Positur<br />

gestellt, die Adressen<br />

aufgeschrieben, an die wir<br />

die Fotos schicken konnten<br />

und weiter gings den<br />

bewaldeten Hang hinan.<br />

Eine kleine Gruppe indischer<br />

Soldaten mit voluminösen<br />

Rucksäcken kam<br />

uns schnaufend entgegen<br />

und musterte uns mißtrau-<br />

Sogenannte `Plaudertaschen´<br />

isch: eine Grenzpatrouille<br />

145


auf dem Weg zurück zur Einheit. Am oberen Ende des Hanges<br />

angekommen befanden wir uns wieder auf der Straße,<br />

die nun immer steiler wurde, je mehr wir uns Gangotri näherten.<br />

Kurz vor Gangotri trafen wir zu unserem Erstaunen eine<br />

Gruppe ausgezehrter Yogis, die Feuerholz gesammelt hatten<br />

und nun auf der Straße hockten und Pause machten. Außer<br />

einem Latz zwischen den Beinen und einem dünnen um die<br />

Schultern geschlungenen Umhang trugen diese Gesellen keine<br />

weitere Kleidung bei der Kälte und großartig zu frieren<br />

schienen sie auch nicht dabei. Respekt, Respekt !<br />

Erste Frage von Ihnen: "Do you have rice ?"<br />

Daraufhin bekam ich fast epileptische Anfälle.<br />

"Waaaas ?! Die haben auch nichts zu essen ??? Ich kotze<br />

gleich !!! Hunger !!!"<br />

Trotzdem boten wir ihnen unverständlicherweise an, zusätzlich<br />

zu unserem Gepäck die Kleinigkeit an ganzen Baumstämmen,<br />

die sie auf der Straße abgelegt hatten, auf unseren<br />

Schultern nach Gangotri zu schleppen. Wahrscheinlich waren<br />

wir durch den akuten Nahrungsmangel bereits so dermaßen<br />

geistig verwirrt, daß uns sowieso alles egal war.<br />

In Gangotri angekommen verließen uns nach und nach die<br />

Yogis, um ihre Unterkünfte aufzusuchen, bis auf den, dessen<br />

Jahresvorrat an Holz wir mit uns herumschleppten.<br />

"Das gibt´s doch nich´ !" fluchten wir immer wieder leise<br />

vor uns hin. Hatten wir uns zu allem Übel also auch noch den<br />

richtigen ausgesucht. Durchs ganze Dorf mußten wir mit dem<br />

Zeug, da der freundliche alte Herr wirklich das letzte Apartment<br />

vor der Autobahn bewohnte !<br />

Aber dann konnten wir uns mal so richtig satt essen. In<br />

146


Holzauktion<br />

seiner ungeheizten (!) Hütte angekommen, die zum Ashram<br />

"Sivananda" gehörte und die er mit einer nahrhaften Proteinbombe<br />

- einem kleinen schwanzamputierten Affen - teilte,<br />

bat er uns Platz zu nehmen, kramte einen stark beanspruchten<br />

Kerosinkocher und verschiedene Zutaten aus den bis zur<br />

Decke gestapelten großen NESTLE-Milchpulverdosen und<br />

Holzkisten im hinteren Teil des Raumes hervor und fing an,<br />

in einer kleinen Pfanne eine Handvoll Erdnüsse zu rösten, die<br />

er in aller Ruhe zwischen uns aufteilte. Dazu gab´s süßen<br />

Milchtee. Aaaah, die Vorspeise !<br />

Plötzlich erzählte er uns, daß er sein Nirvana dadurch zu<br />

erreichen gedachte, daß er sich ausschließlich von Erdnüssen<br />

und Milchtee ernährte.<br />

Pruuuust !!! Wie bitte ???<br />

"Sorry, but I have a question. We get something to eat ?<br />

You have Rice ? Knuuurrrrr ! Hungry ! You understand ?"<br />

147


Er beruhigte uns und sagte, das wäre tatsächlich nur die<br />

Vorspeise - sozusagen ein Appetizer. Nachher gäb´s was Deftiges,<br />

bloß die Zubereitung dauere halt etwas länger. Mann,<br />

da waren wir aber schwerstens beruhigt und schraubten die<br />

entstandene körpereigene Produktion von nervösem Angstschweiß<br />

und kannibalistischem Gelüsten sofort zurück.<br />

Mit ruhigem Gewissen konnten wir uns nun die verschneite<br />

Gegend angucken. Es war total abgefahren. Gangotri, das auf<br />

einer Höhe von 3200m liegt, besteht aus lauter kleinen Hütten,<br />

die auf und zwischen großen Findlingen gebaut sind. Überall<br />

führten Brücken über die vielen kleinen Sturzbäche und<br />

vereisten Wasserfälle, die sich, je weiter sie dem Tale<br />

entgegenflossen, zum mächtigen und im ganzen Lande verehrten<br />

heiligen Ganges vereinten.<br />

Es rauschte und brauste nur so. Im Sommer mußte es dort<br />

wirklich toll aussehen, denn dann war es warm, und viele<br />

asiatische Pilger und internationale Globetrotter machten in<br />

den Ashrams Station ! Jetzt aber war es saumäßig kalt, ungemütlich<br />

und wie ausgestorben - sieht man einmal ab von unserem<br />

Vollmilch-Nuss-Überlebenskünstler sowie dem Verwalter<br />

der hiesigen Unterkünfte und einigen selbstkasteienden<br />

High-End-Edel-Yogis, die sich bei dieser streßenden Kälte in<br />

versteckten Eremitenhöhlen warmmeditierten.<br />

Es fing auch bereits wieder an zu schneien, und der Himmel<br />

bedeckte sich zusehends.<br />

Das Wetter versprach also nichts Gutes, doch Rockys<br />

Leistungsdrang schien seine Sinne benebelt zu haben, und ich<br />

verstand die Welt nicht mehr. Er wollte unbedingt weiter<br />

nach dem gletscherbewehrten Gaumuk.<br />

Warum ? Gab´s da etwa noch mehr zu essen ?<br />

Spaß bei Seite. Ich konnte das ja verstehen - denn schließlich<br />

148


149<br />

Das im Schnee versunkene Gangotri


Auch wenn man die Kälte nicht wirklich fühlt,...<br />

...läuft es einem beim Anblick dieser Bilder doch eiskalt den Rücken runter<br />

150


wollte ich ja selbst dorthin. Doch wegen meiner mit Blasen<br />

übersäten Füße lief ich nur noch wie auf kochend heißem<br />

Himbeergelee - ohne Zucker !<br />

Nach seinem genialen und wohldurchdachten Plan sollte ich<br />

halt in Gangotri warten, bis er seinen todesverachtenden Mut<br />

bewiesen hatte und eventuell als Held der Arbeit wieder zurückkam.<br />

Das konnte doch wohl nur ein alberner Scherz<br />

sein - Ha ha ha !<br />

Bis jetzt war eigentlich alles entgegen seinen Vorstellungen<br />

verlaufen, und daher zweifelte ich in diesem Moment tatsächlich<br />

an seinem Verstand. Ich war auch gar nicht gewillt<br />

alleine hierzubleiben, in dieser Kälte, mit kaputten Füßen und<br />

ständigem Durchfall - ich wollte zurück !<br />

Also versuchte ich ihn darüber in Kenntnis zu setzen, daß<br />

wir ein Club-Trek-Adventure-Survival-Spezial für zwei Personen<br />

buchten und er sollte mal auf sein Ticket gucken, denn<br />

da stand ganz eindeutig DUO-DESASTER und nicht SUICIDE-<br />

EGO. Teamgeist war in dieser Situation gefragt, sonst würden<br />

wir katastrophale Kurseinbrüche hinnehmen müssen.<br />

Als die Eingeborenen von seinem Plan hörten, rollten sie<br />

unheilvoll mit den Augen und rieten ganz energisch davon ab,<br />

da Schneestürme und Erdrütsche den Weg dorthin lebensgefährlich<br />

machten. Rocky hielt sie für arme ungebildete Irre,<br />

die einfach nur viel zuviel Angst hatten, und wollte den nächsten<br />

Tag abwarten...<br />

Am späten Nachmittag dann die Freßorgie: Ein zerbeulter<br />

Edelstahlteller mit einem halben Meter Durchmesser war gefüllt<br />

mit einem gigantischen feinkörnigen Reis-Himalaya, durch<br />

den sich ein krätiger grüner Dal-Strom gen Tellerrand wälzte<br />

und dicke Gemüsefindlinge, die überall herumlagen, wurden<br />

warm davon umspült.<br />

151


Bo äeehj ! Ham wa alles weggeputzt, denn wer wußte schon,<br />

wann´s wieder was gab !<br />

Dann schlafen. Wenigstens drang kein Wind, der einen die<br />

ganze Nacht über piesackte, in das Innere der Holzbaracke,<br />

in die wir einquartiert wurden, aber es war trotz der zusätzlichen<br />

Wolldecke, die wir bekamen, eine ziemlich eklige Nacht,<br />

während der sich das Wetter extrem verschlechterte.<br />

Der Himmel sah düster aus, und Unmengen Schnee fielen<br />

vom Himmel.<br />

Der "Is cool man"-Yogi-Man<br />

Rocky hatte ein Einsehen - wir gingen zusammen zurück.<br />

Als Wegzehrung bekamen wir auf Wunsch einige Dschapatis,<br />

dünne ungesäuerte Fladenbrote, in die Hand gedrückt und<br />

einen Brief, den wir in einem Nachbardorf abgeben sollten.<br />

Würden wir erledigen ! Zum Abschied schenkten wir den<br />

152


Leuten dort 150 Rupies und der Yogi bekam meine Stopuhr,<br />

die ihm so gefallen hatte. Unser Yogi mit den glänzenden<br />

Augen und seinem frechen Affen - ich würde ihn nicht vergessen.<br />

Glaube, Liebe, Hoffnung. Wir glaubten an uns, liebten das<br />

Leben und hofften den Rückweg in zwei Tagen zu machen.<br />

Bergab ging es bekanntlich immer schneller. Mit Blasen an<br />

den Füßen, die bereits die Fünfmarkstückgröße überschritten<br />

hatten und tierisch schmerzten, war ich mir da aber nicht<br />

mehr so sicher. Viel Zeit holten wir jedoch dadurch heraus,<br />

daß wir nicht immer den Serpentinen folgten, sondern direkt<br />

die Hänge hinunterkraxelten, was wegen der Steilheit und<br />

nassen Felsen oft nicht ganz ungefährlich war.<br />

Bei Durchquerung eines menschenleeren Dorfes heftete<br />

sich zu allem Ärger ein wegelagernder, kalbgroßer tibetischer<br />

Berghund, der die Dschapatis gerochen hatte, an Rockys Fersen<br />

und zwickte ihn andauernd mit seinen Zähnen ins Bein,<br />

um die seiner Meinung nach berechtigte Forderung nach einem<br />

Zollfreßchen zu unterstreichen.<br />

Und da ich mich als `Hüter der Teigwaren´ weigerte, auch<br />

nur eine Krume des jüngst erworbenen Nahrungsvorrates<br />

aufzugeben, nötigte mich Rocky wütend, seinen Teil der Lebensmittel<br />

an dieses Mistvieh zu verfüttern, um es loszuwerden,<br />

was mit zusätzlichem Steinwurf auch klappte.<br />

Das Vieh war echt bösartig !<br />

War das Dorf deswegen leer ?<br />

Dann kam der Heimatort des Briefempfängers in Sicht, und<br />

schon baute sich der ätzende Schneeberg, den wir auf dem<br />

Hinweg hinuntermußten, vor uns auf. Jetzt hieß es eine volle<br />

Stunde lang im Zickzack dieses Ungetüm zu erklimmen.<br />

Vorher aber präparierte Rocky noch einmal seine vollkom-<br />

153


men klammen Lederstiefel in Ermanglung anderer Hilfmittel<br />

mit dem Babypo-Pflegeprogramm aus dem Hause NIVEA. Das<br />

frischte den Teint etwas auf und imprägnierte gleichzeitig.<br />

Meinereiner machte in der Zwischenzeit verschiedene Atemund<br />

Augenrollübungen und intonierte immer wieder das geistreinigende<br />

Hyper-Power-Mantra "Ich willlll !...jaaa...ich willll,<br />

ja, ja, ja,...ich will, will ???...nein,...nein, ich muß...", um mich<br />

mental auf die große Herausforderung vorzubereiten<br />

Ich rutschte diesmal jedoch trotzdem öfter aus als beim<br />

Abstieg, was mich ziemlich schnell zum heulend-keifenden<br />

HB-Männchen mutieren ließ. Ich fluchte und jammerte wie<br />

blöde, was wiederum Rocky in Rage brachte. War mir aber<br />

scheiß-, scheiß-, scheiß- und nochmals scheiß- ... egal !!!<br />

"Ich will auch immer lieb und artig sein, aber bitte bitte<br />

lieber Gott, Allah, Shiva, Buddha, Thor oder wie auch immer<br />

Du heißen magst, mach, daß dieser Streß vorbei ist und ich<br />

meine Füße und überhaupt meinen ganzen gemarterten<br />

Metabolismus ausruhen kann..."<br />

Weiter, weiter, weiter... vorbei an der Hütte, über die Brükke<br />

und weiter...durch dichten Wald... - immer gen Süden,<br />

Stunde um Stunde.<br />

Unterwegs Mittagessen bei dem einer Irrenanstalt entflohenen<br />

Kommandeur der indischen Gebirgstruppen - draußen<br />

in der Kälte, im einsetzenden Schnee unterm Sonnenschirm.<br />

Wollte wohl zeigen was Inder für Schwachköpfe sind !<br />

Wir wurden von seinen gequält wirkenden Adjudanten bedient<br />

wie die Könige, und während ich zitternd vor Kälte und<br />

völlig ausgehungert das leckere Essen in mich hineinschaufelte,<br />

betätigte sich mein Weggefährte als Alleinunterhalter.<br />

Rocky und Mister A.K.Narain spekulierten z.B. über moderne<br />

Kriegsführung im Zeitalter der Atombombe, entwik-<br />

154


Einladung zur indischen Militärspeisesendung "Der Preis is´ Eis"<br />

kelten Strategien über einen modernen Himalayagrenzkrieg<br />

zwischen Indien und China und bewerteten den Zustand der<br />

indischen Armee durch Inspektion der Rucksäcke, mit denen<br />

seine Soldaten durchs Gelände stapften. Die sahen zwar<br />

hammermäßig schwer aus, waren aber in Wirklichkeit leicht<br />

wie MILKY WAY - die schwammen sogar in Milch !<br />

155


Das alles endete damit, daß sein Essen nicht nur eiskalt und<br />

bretthart, sondern auch noch auf dem Teller festgefroren<br />

war, als er einen Bissen zu sich nehmen wollte. Mühsam<br />

mußte er es daher mit der biegsamen India-Qualitäts-Alugabel<br />

"Shiva´s trident strikes back" herunterkratzen.<br />

Nach eineinhalb Stunden verabschiedeten wir uns und machten<br />

uns wieder auf den Weg, denn es gab noch viel zu tun. In<br />

der Dunkelheit erreichten wir endlich ein Militärlager der Tibetan<br />

Mountain Militaries, wo uns die sehr hilfsbereiten Soldaten<br />

mit einem prima Abendessen versorgten und erlaubten, in<br />

ihrer Barracke am warmen Ofen zu übernachten. Wahnsinnig<br />

surreal und urgemütlich.<br />

Aufstehen mußten wir aber schon wieder mitten in der<br />

Nacht um fünf Uhr und nach der Morgentoilette spätestens<br />

um sechs Uhr weiter, denn erstens durften die Vorgesetzten<br />

unserer tibetischen Helfer keinen Wind davon kriegen, und<br />

dann hatten wir auch noch viel vor.<br />

Heute sollte und mußte der letzte Tag sein. Am Nachmittag<br />

kam bereits der Bus, der uns zurück in die Zivilisation brachte.<br />

Den durften wir auf keinen Fall verpassen - trotz nassen<br />

und defekten Schuhwerks, das mittlerweile aussah wie die<br />

Landschaft, kalten und demolierten Füßen, Regenwetter und<br />

den beiden Posten vom ersten Tag, die sich so dermaßen<br />

betrunken hatten. Um unseren Reisezeitplan nicht zu gefährden,<br />

schlichen wir heimlich, still und leise an deren Hütte<br />

vorbei.<br />

Die letzten Stunden eierte ich nur noch wie in Trance auf<br />

meinen wehen Füßen vorneweg, mit starrem Blick geradeaus.<br />

Gehen, gehen, gehen, bloß nicht stoppen und auf gar<br />

keinen Fall an die Schmerzen denken. Nichts anderes exi-<br />

156


Wie war das ? Sich Regen bringt Segen...?<br />

157


stierte mehr für mich: Schmerzen in den Schultern und<br />

Schmerzen in den Füßen und vor mir lag das Nirvana - der<br />

Busstop. Dort mußte und wollte ich hin; so schnell als möglich<br />

und dann nur dasitzen und nicht mehr laufen müssen.<br />

Während des Schlußschlurfspurts entwickelte sich noch folgender<br />

Dialog, der einen guten Einblick in die feinfühlige Seele<br />

eines körperlich Geschundenen gibt:<br />

"Hey Mike, halt mal an ! Ich mach mal ´n nettes Erinnerungsfoto."<br />

Latsch, latsch, latsch...<br />

"Eh, dreh´ dich doch mal um !"<br />

Latsch, latsch, latsch...<br />

"Maaahhheeiiike, lach mal !"<br />

Latsch...<br />

"Wenn ich..."<br />

Latsch, latsch...<br />

"...jetzt anhalte,..."<br />

Latsch, latsch...<br />

"...dann werde ich..."<br />

Latsch, latsch...<br />

"...nie wieder weitergehen können."<br />

Latsch, latsch, latsch...<br />

Als in der Ferne plötzlich ein ganz offensichtlich fahrtaugliches<br />

Schrottauto mit einigen fröhlich aufgedreht kreischenden<br />

Indern auftauchte und wenige Zeit später an uns<br />

vorbeibretternd in den unendlichen Weiten dieses irdischen<br />

Weltenraumes verschwand, hatten wir es fast geschafft. Aber<br />

mal ehrlich: hätten die nicht vorher kommen und uns mitnehmen<br />

können ?<br />

Am Busstop angekommen, stürmten wir gleich die kleine<br />

158


Teestube, wo wir im Warmen auf den Bus warten konnten.<br />

Es war herrlich, wir hatten´s geschafft ! Endlich waren wir<br />

wieder zurück. Jetzt freuten wir uns nur noch auf Sonnenschein<br />

und Wärme in Rishikesh. Sehnsüchtig beäugten wir<br />

immer wieder die scharfe Straßenkurve, hinter der der Bus<br />

auftauchen müßte. Und soweit ich mich nach sechs Jahren<br />

daran erinnere, dauerte es ganze zwei Stunden, dann röhrte<br />

qualmend der Bus heran, entlud seine menschliche Ladung<br />

und nahm uns mit zurück nach Uttarkashi.<br />

Die Verbindung mit der Außenwelt naht...<br />

Der Fahrer des Busses war ein ruhiger Geselle - nicht so<br />

ein hirnloser Raser wie auf der Herfahrt. Mit Bedacht lenkte<br />

er die Karre durch alle Hindernisse und Baustellen, die durch<br />

die Erdrutsche entstanden waren. Trotzdem sollte man an<br />

manchen Stellen nicht aus dem Fenster blicken, vor allem<br />

dann nicht, wenn der Meister der Serpentinen die Lust verspürte<br />

einen anderen - für seine Begriffe - `Schleicher´ zu<br />

159


überholen, oder wenn an einer scharfen Kurve Gegenverkehr<br />

kam. Dann brodelte es schon mal in der Unterhose,<br />

und die Sitzbank wurde mit einem Feuchtfilm versehen.<br />

Auch Rocky hatte so ein Aha-Erlebnis.<br />

Als wir uns einer Kurve näherten und der Fahrer überhaupt<br />

keine Lust zeigte, das Lenkrad herumzureißen, um rechts<br />

abzubiegen, zuckte Rocky plötzlich angespannt nach vorne,<br />

weil er dachte der Typ pennt und kriegt die Kurve nich´.<br />

Doch es passierte nichts, denn unser Mann war tief religiös<br />

und glaubte nicht an Abgründe, sondern steuerte intuitiv. Das<br />

funktionierte immer - jedenfalls diesmal.<br />

Darum nannte man diese Busse ja auch `Fahrende Särge´<br />

und versuchte wenn möglich auf dem Dach mitzufahren, denn<br />

es kommt immer mal wieder vor, daß einer in den Abgrund<br />

stürzte, und vom Dach hatte man dann einfach eine bessere<br />

Sicht.<br />

Unterwegs gab´s noch eine kleine Unterbrechung: einen<br />

Verkehrsstau, aber gegen Abend rollte der Bus in Uttarkashi<br />

ein. Zur Feier des Tages suhlten wir uns genußvoll im Essen,<br />

und ich ging schlafen. Rocky verspürte Lust auf indische Kino-<br />

Highlights und sah den, wie er sagt, `netten´ Film "Malkbar".<br />

Der Film handelte seiner Aussage nach von einer Katastrophe<br />

auf zwei Beinen: "Der Hauptdarsteller wurde erschossen,<br />

hatte aber noch einen Zwillingsbruder, der ebenfalls gemeuchelt<br />

wurde; das war aber nur ein Traum. In Wirklichkeit<br />

starb er aber auch und dann kam der Drilling ! Beim Vierling<br />

verlor ich die Übersicht..."<br />

Der komplette Text des überbunten Filmspektakels wurde<br />

natürlich gesungen, und die rührigen Sterbe- und vor allem<br />

die schüchternen Liebesszenen ergossen sich in wahren Tanzorgien<br />

über den mitfühlenden Zuschauer.<br />

160


Die Inder stehen auf sowas. Jeder Film und jede Filmmusik<br />

ist ein Hit ! Die indische Filmindustrie ist die größte der gesamten<br />

uns bekannten Galaxis, und das ist wirklich wahr !!!<br />

Zurück in Rishikesh<br />

Na, jedenfalls fuhren wir am nächsten Tag weiter mit dem<br />

Bus nach Rishikesh, wo wir am Mittag unter freudiger Begrüßung<br />

unserer Freunde im Ashram "Shivananda Das Gangotri"<br />

einkehrten. Da gab´s natürlich viel zu erzählen und die Leute<br />

staunten, daß wir eigentlich nur übers Essen redeten und<br />

ständig den Wunsch nach was Eßbarem äußerten.<br />

Aber das gab sich im Laufe der knappen Woche, die wir<br />

dort verweilten. Denn schon hatten wir den Kopf voll mit<br />

Aktionen wie lustloses Abhängen im Garten, Wäsche waschen,<br />

unsere Zeltplanen und andere unbenötigte Ausrüstungsgegenstände<br />

einzutauschen, für wenig Geld Ringe, Blechbüch-<br />

161


sen, Räucherstäbchen, bunte Götzenposter, Glasperlen und<br />

Unmengen an handgedrechselten Sandelholzketten einzukaufen,<br />

die gut rochen, und Eier in den Ashram zu schmuggeln,<br />

denn alle viehischen Produkte waren dort verboten. Wir ließen<br />

es uns also richtig gut gehen und waren daher schon<br />

etwas traurig, als wir Rishikesh am 14.März verließen und mit<br />

der Eisenbahn über Haridwar, Delhi und Jodhpur nach Jaiselmer<br />

im Staate Rajasthan ratterten...<br />

PS: Da fällt mir übrigens noch was ein: Die Flasche<br />

Sonnenmilch, die wir hinter einem Felsen versteckten,<br />

haben wir natürlich vollkommen vergessen.<br />

Vielleicht findet sie mal einer der Leser oder kennt<br />

jemanden, der sie dort gefunden hat.<br />

Geschenkt ! Derjenige, der sie gefunden hat darf sie<br />

auch behalten - ich hab´ mir ´ne <strong>neu</strong>e gekauft !<br />

162


Jaisalmer


Um 18:00 Uhr trafen wir in Haridwar ein. Von dort<br />

sollte es um 22:45 Uhr weitergehen. Nachdem<br />

wir in einer Spelunke in der Nähe des Bahnhofs<br />

etwas gegessen hatten, kämpfte ich mich um 21:00 Uhr alleine,<br />

in der Dunkelheit und in einer mir fremden Stadt durch<br />

den düster beleuchteten Basar, der um diese Zeit immer<br />

noch voll im Gange war, denn Wörter wie "Schlaf" und "Ladenschlußzeiten"<br />

waren indischen Geschäftsleuten vollkommen<br />

unbekannt.<br />

Ich befand mich im Moment auf der Suche nach den sagenhaften<br />

Sandelholzölquellen, die dort irgendwo entspringen<br />

mußten, denn ein hilfsbereiter Händler in Rishikesh hatte mir<br />

im Vertrauen erzählt, dieser kostbare Duftstoff aus dem Holz<br />

des Sandelbaumes werde aus Haridwar importiert; man bekäme<br />

dort auf jeden Fall welches. Die Leute dort schwämmen<br />

regelrecht in dem Zeug. Den Namen eines verläßlichen Ansprechpartners<br />

hatte ich in der Tasche.<br />

Wegen Zuhilfenahme von Hinweisen aus der debilen ortsunkundigen<br />

Bevölkerung fand ich nach über einer Stunde wildester<br />

Herumirrerei in dichtem Menschengedränge endlich<br />

den Adressaten. Doch ich war etwas verwirrt, denn das einzige,<br />

was mir der Typ anzubieten hatte, war ein kleines verschmutztes<br />

Fläschchen von der Größe eines Fingerhutes, aus<br />

der auch noch die Hälfte fehlte.<br />

U-n-g-l-a-u-b-l-i-c-h !<br />

Der Händler in Rishikesh hatte Kenntnis von dieser winzigen<br />

Flasche ?<br />

Ich taumelte wie im Traum zurück durch die Gassen und<br />

fragte dabei wahllos in verschiedenen Läden, die mit Duftstoffen<br />

handelten, nach Sandelholzöl, um doch noch irgendwie<br />

an dieses Zeug heranzukommen, bevor unser Zug abfuhr.<br />

Aber keiner dieser Würmlinge aus dem Paradies der<br />

163


Sandelholzmagnaten wußte, wovon ich redete, und aus Wut<br />

darüber kaufte ich mir eine Tüte Erdnüsse und fünf handgefertigte<br />

Holzkreisel zu fünf Rupies das Stück. Dann war es<br />

auch schon an der Zeit, den Bahnhof aufzusuchen.<br />

Der Zug kam pünktlich und nachdem wir unsere Plätze<br />

von Menschen freigeschaufelt hatten, die üblicherweise zu<br />

Hunderttausenden kreuz und quer in den Gängen und Abteilen<br />

auf dem Fußboden, in den Gepäcknetzen und auf den<br />

Fensterbrettern lagen, standen oder saßen, sausten wir auf<br />

dem Schienenwege schlafend durch die unerträglich schwüle<br />

Nacht gen Süden...<br />

... und schlafen ... und schlafen ... und schlafen ...<br />

164


Morgens um 08:00 Uhr trafen wir im menschendurchfluteten<br />

sonnig-warmen Delhi ein. Unglaublich, was dort auf<br />

den Straßen los war ! Das erinnerte mich wieder an Dhaka:<br />

Zweiundsechzigkommafünf Menschen pro Kubikzentimeter;<br />

diese Unmenge lebenshungriger wabernder Materie, der unglaubliche<br />

Dreck und das ganze Elend !<br />

In meinem Tagebuch habe ich dazu vermerkt:<br />

"Delhi ist Chaos - Menschenchaos !"<br />

Und natürlich waren wir auch gleich wieder von einem<br />

Pulk dieser aufdringlichen Rikscha-Kutscher umschwirrt, für<br />

die der Anblick eines Weißen anscheinend jedesmal sowas<br />

wie ein prima Jackpot war, den es zu knacken galt und mit<br />

dem sie im glücklichsten Fall aller Fälle ihrem elenden Leben<br />

eine Wende gaben und sich einen "Platz an der Sonne" sicherten.<br />

Zumindest schienen sie dran zu glauben...<br />

Da wir mit den Fahrern aber keinen vernünftigen Preis<br />

aushandeln konnten, beschlossen wir <strong>neu</strong>e Erfahrungen zu<br />

sammeln und mit dem vollbesetzten Linienbus in den Stadtteil<br />

New Delhi zu fahren, wo wir uns eine günstige Absteige<br />

suchen wollten.<br />

Ausgepowert wie wir waren, kehrten wir dort erstmal im<br />

superguten Globetrotter-"Preiswert & Gut"-Treff "Metropol"<br />

ein. Hier gab es Essen vom Feinsten; z.B. kulinarische Köstlichkeiten<br />

wie Scampi auf Toast für DM 2.-, und während wir<br />

anderen aßen, gingen Rocky und Renate schon mal los und<br />

suchten auf die Schnelle eine Unterkunft für uns.<br />

Das Hotel "Anoop", in das wir dann kurzerhand einzogen,<br />

befand sich sozusagen in der Steinzeit, denn es wurde im<br />

Moment gerade umgebaut und innen in allen Stockwerken<br />

mit polierten Steinplatten verblendet; daher hing überall feinster<br />

Steinstaub in der Luft, und es hämmerte allerorten. Hin-<br />

165


zu kam die drückende schwüle Hitze - es war äußerst ungemütlich.<br />

Doch für heute mußte es einfach reichen.<br />

Mein Zimmer kostete 60 Rupies. Es besaß kein Bad, kein<br />

WC und keine Fenster nach draußen, sondern nur welche,<br />

die in die Vorhalle des Etablissements führten - also keine<br />

frische Luft. Diese waren zudem - genau wie die Tür - nicht<br />

verschließbar, und das war absolut indiskutabel !<br />

Der Besitzer versprach jedoch hoch und heilig, bis zum<br />

Abend alles in Ordnung gebracht zu haben. Auch wollte er<br />

die beiden frisch bezogenen Betten reinigen lassen, da sie mit<br />

feinstem Steinglimmer überzogen waren. So schlug ich in den<br />

Handel ein, und mein Gepäck wanderte solange in den Raum<br />

von Renate und André.<br />

Nachdem das alles geklärt war, düste ich mit Sher zur Sightseeing-Tour<br />

in die Umgebung.<br />

Ein Erlebnis, was sich mir von damals besonders stark einprägte,<br />

war ein alter Mann, der mitsamt seiner Habe in einem<br />

Bett direkt neben der total belebten Straße lag. Das war<br />

eine Szene wie nicht von dieser Welt, und ich fand das irgendwie<br />

schlimmer als all die Habenichtse, die gar nichts besaßen<br />

und einfach irgendwo im Dreck auf den Straßen herumlagen<br />

um zu schlafen. In Indien war das aber vollkommen<br />

normal; niemand machte sich etwas daraus.<br />

Ein anderes war die Begegnung mit einem ziemlich heruntergekommen<br />

aussehenden jungen Inder, der mich am Nachmittag<br />

direkt vorm Hotel in perfektem Deutsch anquatschte<br />

und sich in kumpelhafter Weise Geld von mir pumpen wollte<br />

(!), da er ja auf dem Goethe-Institut Deutsch gelernt hatte, er<br />

die Deutschen liebte und all so´n Gefasel. Der wiederum<br />

erinnerte mich irgendwie an die verschlagenen beiden Katzen<br />

aus "Pinocchio".<br />

166


Und genau diese Dinge machten für einen Europäer wie<br />

mich den ganzen Reiz dieses Landes aus - es war wie eine<br />

Reise zurück in der Zeit, wie in einer dieser Kuriositätenschauen<br />

aus dem vorigen Jahrhundert...<br />

Als wir zurück waren und ich an mein Gepäck wollte, gab´s<br />

Streit mit Renate: Sie verlangte plötzlich, ich sollte mein Gepäck<br />

aus ihrem Raum entfernen und - kaum zu glauben, aber<br />

wahr - : Sie warf mir doch tatsächlich vor, daß der ganze<br />

Streit (von dem ich bisher absolut und rein gar nichts wußte),<br />

den sie in der letzten Zeit mit ihrem Freund André hatte, nur<br />

auf mich zurückzuführen sei ?!<br />

Kam mir langsam vor wie´n Problem-Katalysator. Vielleicht<br />

sollte sie mal´n Hormonwechsel machen lassen oder ihre<br />

Handtasche vollheulen. Meiner Meinung nach schien ihr nur<br />

nicht zu passen, daß ich andauernd mit ihrem `Haussklaven´<br />

Sher durch die Gegend zog, denn schließlich war er ihr Liebling<br />

und "wir bezahlen schließlich für ihn !" gab sie von sich.<br />

War das nicht traurig ?<br />

Na jedenfalls war die Frau bei mir unten durch. André entschuldigte<br />

sich zwar sofort für ihr Verhalten und sie selber<br />

später auch, aber ihr wahres Gesicht, was sie mir damit zeigte,<br />

war und blieb für mich das A-L-L-E-R-L-E-T-Z-T-E !<br />

Renate for NEVER !<br />

Damit aber nicht genug: Abends, als ich mich - wie jeder<br />

normale Mensch - zur Ruhe betten wollte, stellte ich zu meinem<br />

Erstaunen fest, daß dieser Hirsel von einem Hotelbesitzer<br />

natürlich nicht im Traum daran gedacht hatte, auch nur<br />

einen einzigen seiner Finger zu krümmen, um das Versprochene<br />

in die Tat umzusetzen, und so mußte ich nochmals<br />

eine Klageschrift bei ihm einreichen.<br />

167


Erst um zehn Uhr des nachts war wenigstens ein Schloß in<br />

der Tür und eines der Betten sauber.<br />

Aber was machte das schon ? Schlafen konnte man davon<br />

auch nicht, denn die versklavten Arbeiter befanden sich im<br />

orgiastischen Workaholic-Rausch und beabsichtigten anscheinend<br />

nicht mit ihrer Arbeit aufzuhören. Bis spät in die Nacht<br />

wurde gehämmert, geschleppt, geschwitzt und geschrien, und<br />

erst um zwei Uhr morgens war der Spuk endlich vorbei,<br />

nachdem ich dem Hotelbesitzer damit gedroht hatte, ihn gegebenenfalls<br />

ans Fensterkreuz zu tackern.<br />

Flucht ! Am nächsten Morgen zog ich sofort aus diesem<br />

idiotischen Katastrophenhotel aus und gewährte Maítre<br />

`Flintstone´ nach längerem Feilschen einen fünfzig prozentigen<br />

Preisnachlaß für die letzte Nacht.<br />

Die nächste Bleibe, das Hotel "Vishal", daß Rocky und Dörthe<br />

über Rockys alten Bekannten Nindi aufgetan hatten, war da<br />

schon wesentlich besser: Außenfenster, abschließbare Wandschränke,<br />

saubere Betten, und trotz Geschäftsstraße vor der<br />

Tür herrschte fast absolute Ruhe.<br />

Der fröhliche und etwas dickliche mit Jeans, luftigem bunten<br />

Sommerhemd, Turnschuhen, Bauchtäschchen aber Turban<br />

für seine Volksgruppe etwas ungewöhnlich ausgestattete<br />

Sikh Nindi stammte nicht nur für indische Verhältnisse aus<br />

sehr wohlhabendem Hause: Sein Vater war Architekt und<br />

lebte mit seiner Ehefrau und Nindi in einem dreistöckigen<br />

Wohnhaus in Agra. Sie besaßen ein eigenes Auto und Nindi<br />

sogar ein Motorrad. Rocky hatte ihm einmal bei einem Streit<br />

mit zwei uneinsichtigen australischen Drugheads geholfen, die<br />

sich in seiner Pension eingenistet hatten und die Polizei wegen<br />

"Zuviel Rauch um Nichts !" auf den Plan riefen.<br />

168


Im Moment befand sich Nindi mit seiner australischen Ehefrau<br />

auf Reisen quer durch Nordindien, und Rocky hatte die<br />

Beiden durch Zufall auf der Straße getroffen. Indien - so groß<br />

und doch so klein ! Die beiden waren sehr nett, und wir<br />

verabredeten uns in Pushkar.<br />

Doch zurück zu unserer <strong>neu</strong>en Umgebung:<br />

Trat man aus dem Hotel, so befand sich gleich linkerhand<br />

ein großer Parfüm-Laden "S.K.Chabra", und wenn man Lust<br />

hatte, dann konnte man etliche Stunden damit zubringen,<br />

jene tausende von verschiedenen orientalischen Parfümölen<br />

durchzutesten, die dort für wenig Geld zu kaufen waren.<br />

Und welch ein Glück: Die hatten sogar Sandelholzöl !<br />

Außerdem hab´ ich mir in diesem Laden in einem Anflug<br />

von Habgier 36 täuschend echte und funktionsfähige<br />

Miniaturklapptaschenmesserchen (Länge 2cm) gekauft; das<br />

Stück für 4 Rupien und bei dem Schuhmacher gegenüber -<br />

der Besitzer war Moslem - ließ ich endlich die Sohle meiner<br />

`unsinkbaren und unzerstörbaren´ Stiefel reparieren.<br />

169


Solch eine qualitativ hochwertige Sohle gab es zwar in ganz<br />

Indien nicht, aber zur Not tat´s ja auch der Teil eines Autoreifens.<br />

Hat für den Rest der Reise top gehalten; Kompliment<br />

an den Schuhflicker ! Aus Dankbarkeit kaufte ich mir dort<br />

auch noch ein paar Paar orientalischer Leisetreter, wie seinerzeit<br />

Aladin sie zu tragen pflegte.<br />

Junkfood: Vegetableburger und Reiswopper von MacGanesh<br />

Fliegende Teppiche und sonstiges zauberhaftes Interíeur<br />

waren jedoch nur als Sonderanfertigungen in den Governmentshops<br />

am Connaught Place zu kriegen. Dort war unter staatlicher<br />

Kontrolle jede kulturelle Region Indiens mit einem eigenen<br />

Laden vertreten, und die Preise sollten dementsprechend<br />

korrekt sein, wies der Reiseführer aus, denn alle Preise waren<br />

Festpreise; Feilschen war dort nicht möglich.<br />

Ich habe es noch wie damals vor Augen und schon tausendmal<br />

im Freundeskreis erzählt: In einem dieser Shops stand<br />

170


eine hervorragend gearbeitete Eßtafel, d.h. ein langer Tisch<br />

mit zehn Stühlen, und alles war mit schönsten farbigen<br />

gemäldeartigen Holzeinlegearbeiten versehen, wie ich es nur<br />

von Möbeln aus alten Schlössern kannte, und das Unfaßbare<br />

war, daß der ganze Spaß nur umgerechnet ca DM 5000.- bis<br />

DM 6000.- kostete !<br />

Dafür gibt´s bei uns ja gerade mal ´n Rudelranvik-Einheits-<br />

Nachttischchen von IKEA...<br />

In der Dämmerung, auf dem Rückweg ins Hotel, schlenderten<br />

Rocky, Dörthe und ich noch etwas in der Gegend<br />

herum, und ganz nebenbei klebten wir mit unseren plattgedrückten<br />

Nasen an dem Schaufenster eines wahrlich winzigen<br />

Schmucklädchens, in dessen Auslage teils sehr hübsche<br />

Handarbeiten zu sehen waren; zeigten mit einem Ausruf des<br />

Entzückens immer mal wieder staunend auf Dieses oder Jenes.<br />

Dort stand unter anderem ein kleiner Buddha-Kopf aus grünem<br />

Malachit, der mir sehr gut gefiel. Ans Kaufen dachte<br />

dabei eigentlich keiner von uns.<br />

Da hatten wir, oder vielmehr ich aber die Rechnung ohne<br />

den Freund eines Freundes vom Bruder des Neffen des Ladeninhabers<br />

gemacht, der als freiberuflicher professioneller<br />

Kundenwerber sein potentielles Opfer gleich erspähte, aus<br />

dem Laden stürzte und uns unterwürfigst bat, in das Innere<br />

dieser Goldgrube vorzustoßen, um die dargebotenen Kleinode<br />

menschlicher Kunstfertigkeit näher unter die Lupe zu<br />

nehmen.<br />

Na gut, sich das Ding gucken konnte man ja mal - aber<br />

Geldausgeben - njet !<br />

Der Kopf wurde aus der Vitrine geangelt und mir mit einem<br />

auffordernden "Look, look !" in die Hand gedrückt. War<br />

171


tatsächlich wirklich sehr schön das Teil und handgekratzt. Es<br />

sollte stolze 600 Rupien kosten. Ungefähr DM 45.- !<br />

"Very nice, indeed. Thank you very much, goodbye !"<br />

"You don´t wanna buy ????"<br />

"No, I told you before."<br />

"But...mister...first business...please sit down...look !"<br />

"But, I..."<br />

"Not expensive for you, Sir !"<br />

"Verdammt nochmal, ich will heute nichts mehr kaufen !<br />

I bought enough today and I think it´s too expensive,<br />

goodbye."<br />

"What you give, Sir !"<br />

Aaah, ein Chance das ganze abzubrechen tat sich auf. Man<br />

mußte nur einen Preis nennen, der so beschämend gering<br />

war, daß sie mich verärgert aus dem Laden schmissen !<br />

"Two hundred Rupies."<br />

"Ok, Sir. Take it."<br />

"Was is´ los ?! Das war ein Trick, ein ganz gemeiner hinterhältiger<br />

Trick..."<br />

Damit bewies sich mal wieder, daß man am besten gar<br />

nicht erst den Mund aufmachte und schleunigst und ohne<br />

Rücksicht auf weinerliches "My first Business"-Gewimmere<br />

den Laden verließ oder - noch besser - erst gar nicht betrat.<br />

Diese Brüder waren einem einfach über und wenn sie einem<br />

was verkaufen wollten, dann taten sie das auch !<br />

Freitag, den 17.02.1991, verbrachten wir größtenteils in<br />

Old-Delhi auf dem allseits gepriesenen Silbermarkt am Chandni<br />

Chowk. Unsere Erwartungen, was die steuerfreie Beschaffung<br />

größerer Kontingente an Silbervorräten betraf, wurden<br />

aber nicht so erfüllt, wie wir uns das erträumt hatten.<br />

172


Tolle Sachen gab es dort eigentlich nicht. Ein paar Standard-<br />

Silberhalsketten zu einem einigermaßen anständigen Grammpreis<br />

sowie gebrauchte Ohrenschmalzkratzer, kombinierte<br />

Zahn- und Fußnagelbettstocher und anderer nützlicher Silberkleinkram,<br />

den man sich aus Silber-Schlußverkauf-<br />

Grabbelkisten heraussuchen mußte, waren das einzige, was<br />

für uns abfiel.<br />

Als wir wieder beim Hotel eintrafen, kaufte ich mir noch<br />

die wunderschöne Lapislazulikette, die ein auf mich seriös<br />

wirkender Händler, der direkt neben dem Hoteleingang Posten<br />

bezogen hatte, anbot. Dann war es an der Zeit, die<br />

Koffer zu packen, denn um 20:30 Uhr fuhr unser Zug weiter<br />

nach Jaisalmer.<br />

Und dann passierte es !<br />

In Delhi organisierte ich mir als Reiseproviant ein paar von<br />

diesen leckeren Beton-Knabberkeksen aus gepreßten Erdnüssen<br />

und Honig.<br />

Die Dinger waren lecker, süß und nahrhaft, aber auch sehr,<br />

sehr hart und in dem Moment, als ich während der Zugfahrt<br />

in einen hineinbiß, machte es plötzlich laut und deutlich<br />

KNACK! und ich merkte, mit der güldenen Dreier-Zahnbrücke<br />

rechts unten war irgendwas nicht mehr in Ordnung.<br />

Wenn ich mit der Zunge dagegen drückte, bewegte sie sich.<br />

Zahnschmerzen, die in den tiefsten Tiefen des Nervengewebes<br />

lauerten, krochen langsam und pochend an die Enden<br />

der verkronten Zahnstümpfe und machten mir beim Essen<br />

das Leben zur Hölle. Tage unsäglicher Qual lagen noch<br />

vor mir, die ich dadurch zu lindern suchte, daß ich alle drei<br />

Stunden eine Ladung Aspirin schluckte oder Nelkenöl auf die<br />

Stelle rieb, was einer lokalen Betäubung gleichkam. Die<br />

Schmerzen waren zeitweise so dermaßen schlimm, daß ich<br />

173


Coole Drinks in der Lassi-Bar in Jodhpur<br />

schon Überlegungen anstellte, wie ich im Notfall am schnellsten<br />

zurück nach Kathmandu zum Zahnarzt der deutschen<br />

Botschaft kam. Doch diese Frage erübrigte sich recht bald,<br />

da nach einer Woche die Nerven abgestorben waren und die<br />

Schmerzen verstummten.<br />

Später in Deutschland stellte sich heraus, daß zwei Wurzeln<br />

der Länge nach gerissen waren und gezogen werden mußten.<br />

Damit verlor ich - bitter, bitter - zwei Zähne !!<br />

Mit Zahnschmerzen erreichte ich also Jodphur, wo wir<br />

morgens um zehn Uhr eintrafen. Dort mußten wir auf den<br />

nächsten Zug bis zum Abend warten und während der<br />

Backofenhitze des Tages, die zwischen dreißig und vierzig<br />

174


Grad pulsierte, vergnügten wir uns mit dem Aufschlürfen großer<br />

Mengen der besten Lassi aller Zeiten, zumindest aber<br />

ganz Asiens, in einer speziellen Lassi-Bar, deren Namen mir<br />

leider entfallen ist. Als wir am Abend dann zum Bahnhof tigerten,<br />

fiel es einem im Suff durch die Straßen torkelnden<br />

Sikh ein, Dörthe sexuell zu belästigen, indem er ihr Hinterteil<br />

im Vorbeigehen begrapschte. Das hätte er lieber nicht tun<br />

sollen. Aber die Zeit, um darüber nachzudenken gab ihm<br />

Rocky leider nicht mehr, als er ihm mit einem gekonnten<br />

JiuJitsu-Griff sein feuchtfröhliches Grinsen und Handgelenk ruinierte.<br />

Der Zug ratterte durch die Nacht, und am nächsten Morgen<br />

hatte sich die Landschaft um uns herum schon ganz schön<br />

verändert. Wir merkten, daß wir uns in die Wüste bohrten.<br />

Die Vegetation wurde spärlicher und die Sonne brannte noch<br />

unbarmherziger vom Himmel.<br />

Gegen Mittag stoppte der Zug unerwarteterweise in einem<br />

kleinen Kaff mitten in der Wüste, und niemand hatte eine<br />

Ahnung warum. Die Passagiere vertraten sich im Freien die<br />

Füße, und wir drei wurden von dem Lehrer Surendre Kuma<br />

Mishra und seiner Grundschulklasse umringt, die unbedingt<br />

fotografiert werden wollte.<br />

Dann machte sich unter den Passagieren das Gerücht breit,<br />

der vorige Zug wäre entgleist und die Streckenarbeiter wären<br />

dabei, die Schienen wieder in Ordnung zu bringen. Was<br />

zuerst abenteuerlich klang, stellte sich bei der Weiterfahrt<br />

etliche Stunden später als absolut richtig heraus.<br />

Der Zug tastete sich im Schritttempo vor, und bald hatten<br />

wir die Unglücksstelle erreicht, wo jede Menge total zerfetzter<br />

Waggons neben den Gleisen lagen.<br />

175


176<br />

´ne klasse wüste Wüstenklasse...


...und eine holländische Wohnwagen-Kolonie: Die Wüste lebt !<br />

177


Wie war denn das passiert ?<br />

Irgend´n Anschlag vonna arschgrapschenden Sikh-Guerilla-<br />

Band oder etwa ´ne verirrte Scud-Rakete aus´m Irak, die in<br />

den Waggons ungläubige Eier vermutete oder wie ?<br />

Wir konnten uns jedenfalls nicht vorstellen, daß die auf der<br />

geraden Strecke einfach so von der Gleise gekippt waren.<br />

Da hatte doch einer nachgeholfen !<br />

In journalistischem Eifer durchwühlte ich in Windeseile mein<br />

Gepäck nach der Kamera und hechtete mit einem kühnen<br />

Satz auf die Sitzbank unseres Abteils, um sensationelle Momentaufnahmen<br />

von immenser geschichtlicher Tragweite auf<br />

lichtempfindliches Material zu bannen - zertrümmerte dabei<br />

aber leider meine einzige Sonnenbrille, die dort lag.<br />

Das Bild auf der vorherigen Seite ist nur eins von den fünf<br />

bewegenden Schnappschüssen, die auf dem Schrebergartenfest<br />

in Moers mit internationalen Preisen (Freßkorb mit ungarischer<br />

Salami, italienischem Wein, Schweizer Käse, Wiener<br />

Gebäckspezialitäten und echtem russischen Wodka) ausgezeichnet<br />

wurden. Es erhielt besondere Beachtung wegen<br />

der "...realistischen darstellerischen Leistung der Komparsen<br />

und der bildhaften vorindustriellen Wildheit seiner Kulisse."<br />

In dem Zwanzigtausend-Seelen-Städtchen Jaisalmer angekommen,<br />

mieteten wir uns zuerst einmal im Hotel "Fortview"<br />

ein, mit - wie der Name schon vermuten läßt - Blick auf das<br />

im 12.Jahrhundert aus gelbem Sandstein erbaute gigantische<br />

Fort, das majestätisch auf einer Anhöhe über der Stadt thront.<br />

Die Zimmer waren sauber und spartanisch und absolut ausreichend<br />

für den müden Wanderer. Aus meinem Toilettenfenster<br />

hatte ich sogar eine wunderbare Aussicht über die<br />

von einem strahlend blauen und wolkenlosen Himmel überspannte<br />

Stadt.<br />

178


Hinweistafel am Eingang zum mächtigen Fort in Jaisalmer<br />

179


Blick aus dem Klofenster im Hotel "Fortview"<br />

Fast alle Gebäude in dieser abgelegenen Wüstenstadt bestanden<br />

- mangels anderer Ressourcen - vollkommen aus<br />

gelbem Sandstein. Selbst die filigranen Schnörkel der vielen<br />

verzierten Häuserfronten und Balkone waren aus diesem bevorzugten<br />

Material herausgearbeitet. Es war absolut faszinierend<br />

- eine verzauberte Stadt aus "Tausend und einer Nacht".<br />

Der Nachteil unseres wunderbaren Hotels stellte sich jedoch<br />

nach der ersten Übernachtung heraus: Da die Besitzer<br />

reich geworden waren, noch reicher werden wollten oder<br />

einfach nur Spaß am Bauen hatten, wurde das Hotel in den<br />

letzten Monaten radikal aufgestockt und auf dem Dach des<br />

Hauses ein Restaurant mit Open End installiert. Das führte<br />

leider Gottes dazu, daß bis spät in die Nacht nicht daran zu<br />

denken war, auch nur ein Auge zuzukriegen.<br />

So zog es uns nach zwei mehr oder minder schlaflosen<br />

Aufenthalten in das direkt im Fort gelegene "Hotel Paradise",<br />

180


welches seinem Namen alle Ehre machte. Besonders genial<br />

an diesem Hause war das als riesige Sonnenterasse genutzte<br />

Dach des Forts mit Panoramablick über die tieferliegende<br />

Stadt und die endlos scheinende Wüste.<br />

Unter dem fast windstillen azurblauen Himmel machte es<br />

immer wieder Spaß, einfach nur dröge in der Sonne zu brutzeln<br />

und dabei die an den Festungsmauern entlanggleitenden<br />

Greifvögel zu beobachten, die hier ihre Kreise auf der Suche<br />

nach etwas Lebendem zum Töten zogen.<br />

Panorama vom Dach des Hotel "Paradise"<br />

Viel ging also nicht ab in dieser wunderbaren Oase Rajasthans<br />

- will man den Reiseführern glauben, einem der ärmsten Ländereien<br />

Indiens.<br />

Vielleicht waren die Leute hier arm an Geld, ging mir durch<br />

den Kopf, doch blieb ihnen an diesem abgeschiedenen Ort<br />

das Schicksal der übervölkerten Großstädte Indiens erspart:<br />

181


Hatte diese Ziege Drogen zu sich genommen oder einen Sonnenstich ?<br />

Tristesse, Elend, Schmutz, Krankheit, Verfall, Tod. Soweit<br />

wir das abschätzen konnten, hatten alle Menschen Arbeit,<br />

genug zu essen und lebten gelassen und fröhlich in den Tag<br />

hinein. Bettler haben wir dort jedenfalls keine getroffen. Und<br />

bedingt durch die trockene heiße Luft, hatten die Gebäude<br />

eine geringere Chance zu verrotten, wie das in den schwüleren<br />

Gegenden des Indischen Subkontinentes der Fall ist.<br />

Dafür war es in Jaisalmer auch vergleichsweise ruhig, und<br />

es gab nicht allzuviel Attraktionen, bis auf das Fort selbst, den<br />

großen, als Wassertank dienenden See, die verschiedenen<br />

angebotenen Safaris in die Wüste und, als ganz besonderen<br />

Clou, ein Flower-Power-Kiffer-und-Junkie-Lokal, in dem jedes<br />

Essen und jedes Getränk als nicht standesgemäß galt,<br />

wenn es nicht vor Haschisch triefte oder wenigstens so roch,<br />

was Dörthe dazu verführte, unbedingt ein paar von den an-<br />

182


gebotenen herben `Dröhn-Keksen´ zu sich zu nehmen. Die<br />

von ihr erwartete, wie auch immer geartete Wirkung stellte<br />

sich jedoch nicht bei ihr ein.<br />

André allerdings gab sich mit solchen Kindereien nicht zufrieden<br />

und schüttete sich vorsichtshalber mit köstlicher<br />

Nightmare-Lassi die Birne zu. Die Wirkung war eindeutig:<br />

Kreislaufbeschwerden, Sprach- und Orientierungslosigkeit, gefolgt<br />

von peinlicher Magenentleerung in aller Öffentlichkeit.<br />

Renate mußte ihn daraufhin in die Unterkunft geleiten, wo er<br />

den Rest des Tages vor sich hinsabbernd im Bett verbrachte.<br />

In der einen Woche, die wir in Jaisalmer verbrachten, gingen<br />

wir immer mal wieder auf Beutezug, um in den wenigen<br />

kleinen Lädchen etwas Interessantes zu finden, was unsere<br />

Herzen höher schlagen ließ und das Gewicht unserer Geldbörsen<br />

erleichterte. Auf diese Weise kam ich dann auch zu<br />

meinem <strong>neu</strong>en Outfit. Mit der erstandenen, mit kleinen runden<br />

Spiegeln besetzten,<br />

Patchwork-Weste<br />

und dem dazugehörigen<br />

Kappi, das ich<br />

183


nun fortwährend trug, den Armee-Hosen und meinem ansehnlichen<br />

Rauschebart, sah ich fast aus wie ein durchgeknallter<br />

moslemischer Vollblut-Mudhjahedin und fühlte mich außerordentlich<br />

wohl dabei. Ich wurde langsam lockerer. Das machte<br />

diese ganze verdammte Kulisse um einen herum. "Mike of<br />

Arabia" - aber ohne Kamel.<br />

Also mußte so ein wiederkäuendes Wüsten-Höckertier her<br />

- und so beschlossen Dörthe und ich, eine Sechs-Stunden-<br />

Abenteuer-Kamelsafari in die uns umgebende Wüste Tharr zu<br />

unternehmen. Als unser Vermieter von unserem Ansinnen<br />

erfuhr, wurde uns sofort ein engster Freund der Familie empfohlen,<br />

der sowieso die besten Kamel-Safaris in ganz Jaisalmer<br />

... ach was sag´ ich... in ganz Indien... nein, der ganzen Welt<br />

organisiert.<br />

Flinke Füße eilten durch die verwinkelten sonnenbeschienenen<br />

Gassen des Forts, um den besagten Mann zu uns<br />

zu führen, nachdem wir einiges Interesse bekundet hatten.<br />

Bei unserem Zusammentreffen mit dem sympathischen, fast<br />

schwarz-häutigen, dürren jungen Mann in seinem schneeweißen<br />

Gewand vereinbarten wir den Termin unseres Aufbruchs<br />

ins Technicolor-Breitwand-Abenteuer um pünktlich 08:00 Uhr<br />

morgens am nächsten Tag.<br />

Er erklärte uns, was wir alles einpacken müßten: Wasserflasche<br />

und eine Kopfbedeckung zum Schutz gegen die Sonne;<br />

kassierte die erste Hälfte seines Lohnes zum Einkauf von<br />

Nahrungsmitteln für den Wüstenlunch und machte sich wieder<br />

von dannen, um mit den Vorbereitungen für das unsagbar<br />

Unsagbare zu beginnen, und wir aalten uns weiterhin in<br />

den sengenden Strahlen dieses weißglühenden Feuerballs, genannt<br />

Sonne.<br />

184


Jaisalmers Gassen ähneln denen einer südfranzösischen Kleinstadt<br />

185


Am nächsten Tag, um 07:30 Uhr in der Früh saßen Dörthe<br />

und ich zu allem bereit draußen an einem der Frühstückstische<br />

im ersten Stock vom "Paradise" und blickten müde und<br />

erwartungsvoll mit hungrigen Mägen in den Innenhof Richtung<br />

Küche, wo wir den Hauskoch mit der Zubereitung unseres<br />

Frühstückes beschäftigt hofften.<br />

Als nach einer viertel Stunde immer noch kein Mensch mit<br />

Nahrhaftem an unserem Tisch erschien, fragten wir uns ungläubigen<br />

Blickes, was da wohl los sei.<br />

Ich begab mich also nach unten, um nachzuhaken, wie es<br />

denn um unser Frühstück stünde. "Oh, No Problem !", wurde<br />

mir aus der dunklen Küche verschlafen zugerufen und ein<br />

beruhigendes "Coming soon !", als ich freundlich darauf hinwies,<br />

daß unsere Safari eigentlich um 08:00 Uhr starten sollte<br />

und wir nicht unbedingt gewillt waren, unser Menü in aller<br />

Hast hinunterzuschlingen. Totenstille schrie mir entgegen. Also<br />

begab ich mich wieder in die Gesellschaft von Dörthe, und<br />

wir übten uns in Geduld. Schließlich waren wir hier in Indien !<br />

Die Zeit tickerte so dahin und kein Frühstück, geschweige<br />

denn unser Freund, der Kamelführer, schickten sich an, in<br />

Kontakt mit uns zu treten. Mittlerweile war es 08:30 Uhr<br />

vorbei, und immer wieder riefen wir jetzt von oben gelangweilt<br />

fragend herunter, ob unser Koch wohl schon wach sei,<br />

ob das Frühstück geklaut wurde oder gar von Kamelen gefressen<br />

? Doch niemand ließ sich von uns und unserem `unverschämten´<br />

Drängeln aus der Ruhe bringen.<br />

Kurz nach <strong>neu</strong>n Uhr wurden wir endlich von einem müde<br />

dreinblickenden Hausherrn bewirtet, von dem wir in Erfahrung<br />

brachten, daß die Reise erst um 10:00 Uhr beginnen<br />

werde. Ahaaa, das war des Rätsels Lösung.<br />

Aber warum wußten wir nichts davon ?<br />

Ach - egal.<br />

186


Auf´m Parkplatz für Kamele<br />

So genossen wir also reichlich verspätet unser Frühstück<br />

und unseren Dschai, während die frechen und allzeit bereiten<br />

Spatzen versuchten, einen Anteil des Essens in ihren Besitz<br />

zu bringen.<br />

Kurz nach zehn erschien dann auch tatsächlich "The Master<br />

Of The Camels", um uns zum Kamel-Parkplatz außerhalb<br />

des Forts zu geleiten, von wo die Reise starten sollte.<br />

Vier Tiere lagen dort öde im Sand und harrten kommender<br />

Dinge: Vater, Onkel, Mutter und ihr paar Wochen altes Flaschenkind.<br />

Dörthe durfte auf dem stattlichen und ruhigen, mit Kamel-<br />

Tatoos verzierten Vati platznehmen und Mutti zeigte laut<br />

rumgröhlend ihre Empörung darüber, daß ich ihr zugeteilt<br />

wurde. Sie mochte keine bärtigen Bleichgesichter und mich<br />

187


ganz besonders nicht. Herr im Himmel ! Das Tier flippte fast<br />

aus, als ich ihm zu nahe kam, um auf den breiten, mit einigen<br />

Decken gepolsterten Holzsattel zu gelangen.<br />

Wie wild drehte sich bei jedem Versuch der gelenkige Hals<br />

dieser blutrünstigen Bestie nach hinten, und tief aus dem großen<br />

sabbernden Maul dröhnte es unheilverkündend in mein<br />

Gesicht:<br />

"NJIERROOOOHHHH ! NJIERRROOOOOOHHHH !"<br />

"Aaaaarrrhhh ! Da geh´ ich nich´rauf. Niiiieeeemals ! Das<br />

Vieh muß wahnsinnig sein, es will mich töten !", keuchte ich<br />

entsetzt.<br />

"Ich werde laufen", machte ich dem verwirrten Boss der<br />

örtlichen Kamel-Leasingfirma klar, der immer wieder beteuerte,<br />

es könne überhaupt nichts passieren, das Tier wäre<br />

vollkommen in Ordnung, gerade überholt. Muttertiere mit<br />

Kleinkindern benähmen sich halt so, wenn man ihnen und<br />

ihrem Schatzi zu nahe komme - das wäre normal, manche<br />

beißen sogar.<br />

Das hatten wir auch schon gehört, denn im Hotel kursierte<br />

die Geschichte, daß vor einigen Tagen ein Tourist bösartigst<br />

in den Oberschenkel gebissen wurde. Diese Spezies gehörte<br />

zwar zu den friedlichen Pflanzenfressern und hatte demzufolge<br />

keine scharfen Zähne, aber die Bisse erzeugten schmerzhafte<br />

Quetschungen.<br />

Das wollte ich mir natürlich ersparen, und obwohl sich alles<br />

in mir energisch dagegen sträubte, wurde ein letzter verzweifelter<br />

Versuch unternommen, den Rücken dieses Miststückes<br />

zu erklimmen. Mit vereinten Kräften machten wir<br />

dem störrischen Biest klar, wer hier sein Herr und Meister<br />

188


war, und dann fand ich mich plötzlich fest im Sattel sitzend<br />

wieder, während Madame sich mit einigem Gemurre ob dieser<br />

Schmach langsam - erst hinten, dann vorne - auf ihre vier<br />

Beine erhob, wobei man darauf achten mußte, nicht wieder<br />

kopfüber herunterzufallen. Und dann stand sie, grummelte<br />

noch ein bißchen vor sich hin und ergab sich schließlich in ihr<br />

Schicksal, als ich ihr Freundschaft heuchelnd den Rücken kraulte<br />

und tätschelte.<br />

Camel-Tours<br />

Langsam setzte sich unsere kleine Karawane in schwankende<br />

Bewegung, immer der Nase nach - mit dem Wüstenschiff<br />

auf in das Sandmeer. Vorneweg schaukelte der stolze<br />

Vati, gefolgt von der treusorgenden Mutti mit mir auf dem<br />

Buckel und ihrem Kleinen im Schlepptau, und das Schlußlicht<br />

machte das liebe Onkelchen. Unsere drei menschlichen Begleiter<br />

marschierten mehr oder weniger barfuß nebenher,<br />

189


und nur ab und zu, wenn einem die Lauferei zu bunt wurde,<br />

schwang er sich für einige Zeit auf den unbeanspruchten Rükken<br />

des Kamel-Oheims.<br />

Die Sonne donnerte nur so auf die Landschaft, und ziemlich<br />

bald konnte ich mir einen Begriff davon machen, was es<br />

bedeutete, ohne Wasser durch solch eine Ödnis zu pilgern, -<br />

zumal die Sonne erst gegen zwölf Uhr ihren höchsten Stand<br />

erreicht und ihre volle Kraft entwickelt haben würde. Dann<br />

erst begann es langsam kühler zu werden, wenn bei Temperaturen<br />

von über vierzig Grad eine Rede davon sein kann,<br />

und erst in der Nacht kühlte es mächtig ab - bis zum Gefrierpunkt,<br />

denn es gab hier nichts, was vor der aus dem Weltraum<br />

eindringenden Hitze und Kälte schützen konnte.<br />

Dörthe trug zum Schutz gegen die belastende Sonnenstrahlung<br />

einen Strohhut mit breiter Krempe, ich jedoch hatte<br />

nur mein enganliegendes Kappi auf dem Schädel und bekam<br />

bald erhebliche Probleme mit der Hitze. Es war ein<br />

Gefühl, als würde die ganze Zeit über ein dämlicher Clown<br />

mit einem gehässigen Grinsen im Gesicht hinter einem sitzen<br />

und die Sonnenstrahlen mit einer Lupe gebündelt auf den<br />

Hinterkopf lenken. Ätzend ! Ich bereute schon fast, das Angebot<br />

ausgeschlagen zu haben, mir für viele Rupies einen<br />

Fetzen Stoff als Turban um den Kopf zu schlingen, das mir<br />

beim Start unseres Ausflugs gemacht wurde.<br />

Dazu gesellte sich bald ein anderes unangenehmes Gefühl:<br />

das Cowboy-Feeling. Cowboys, die wochenlang im Sattel sitzen,<br />

sollen ja bekanntlich ziemlich breitbeinig gehen. Als<br />

Camelboy ging´s einem nicht besser. Auf dem breiten Rücken<br />

eines Kamels sitzt man fast im Spagat, was sehr unangenehm<br />

schmerzen kann, da die untrainierten Beinsehnen übermäßig<br />

gedehnt werden und die Holzunterkonstruktion des Sattels<br />

bei jedem Schritt des Tieres ständig gegen die Innenseiten<br />

190


der Oberschenkel schabt. Das machte mich zunehmend wahnsinnig,<br />

und daher probierte ich verschiedene Sitzmöglichkeiten<br />

aus, wobei mir das Sitzen mit um den vorderen Sattelknauf<br />

gekreuzten Beinen am angenehmsten erschien. Fast wie im<br />

Schneidersitz. Eine weitere Möglichkeit war das Seitwärtssitzen,<br />

das sich ebenfalls als äußerst wohltuend herausstellte.<br />

Während ich also verschwitzt, dem Sonnenstich nahe, wie<br />

blöde auf dem Kamel herumturnte und verbissen versuchte,<br />

mit meiner verspiegelten Sonnenbrille wenigstens den Umständen<br />

entsprechend cool auszusehen, zeichneten sich am<br />

Horizont die ersten Umrisse irgendwelcher Gebäude ab, wurden<br />

größer und größer, als wir uns daraufzubewegten, und<br />

dann war ich auch schon - für kurze Zeit wenigstens - von<br />

den Qualen des Kamelrittes erlöst, als unser Anführer den<br />

gesamten Troß inmitten einer riesigen Ansammlung von verschnörkelten<br />

Steinbauten verschiedenster Größe aus besagtem<br />

gelbem Sandstein halten ließ.<br />

Irgendwo in der Wüste reihten sich Tempel über Tempel dicht an dicht<br />

191


Jetzt hieß es absteigen vom Killer-Kamel. Dummerweise<br />

verfing ich mich dabei, benommen von den zu ertragenden<br />

Temperaturen, in dem handgefertigten hölzernen Steigbügel<br />

und legte mich buchstäblich auf die Schnauze. Sehr zur Freude<br />

jenes geifernden Ungeheuers, das natürlich diese einmalige,<br />

nie wiederkehrende Chance nutzte und mit blitzenden<br />

Augen nach mir schnappte, während ich hastigst und um Hilfe<br />

schreiend versuchte meinen Fuß zu befreien, um dem<br />

Einflußbereich seines langen, schlängelnden Halses zu entkommen.<br />

Darauf hatte mein mordlustiges Reittier nur gewartet...<br />

"S - C - H - E - I - S - S - E, verdammt nochmal !!! Wann<br />

wurde das Tier eigentlich das letzte Mal gefüttert ?", oder<br />

Ähnliches entfuhr mir, als der Besitzer des Tieres endlich in<br />

die Zügel griff, um dem Treiben der wildgewordenen<br />

Vierbeinerin Einhalt zu gebieten und mir somit die Flucht<br />

ermöglichte. Der Vorfall führte dazu, daß alles vor Lachen<br />

192


am Boden lag und sich kaum mehr einkriegte. Alsdann wurden<br />

die Kamele an einen schattigen Platz geführt, durften sich<br />

ausruhen und wir ohne Hast die Gegend erkunden.<br />

Die verzierten Ruinen kündeten von längst vergangenen Zeiten.<br />

Um uns herum reihte sich über ein Areal von mehreren<br />

tausend Quadratmetern ein Tempel an den anderen. Es mußten<br />

an die Hundert sein, die hier seit ewigen Zeiten fast völlig<br />

unversehrt überdauert hatten. Alle besaßen ungefähr den gleichen<br />

Aufbau: Eckiger Steinsockel, an jeder Ecke ein Säule,<br />

die durch einen Bogen mit der nächsten verbunden war und<br />

als Dach eine runde oder eckige Kuppel, die von einer Spitze<br />

gekrönt wurde. Fasziniert kletterten Dörthe und ich durch<br />

die mehr als mannshohen Bögen und bewunderten den überschwenglich<br />

verzierten Sandstein, der von hervorragenden<br />

Steinmetzen zeugte, die ihre Kunst bis in die heutige Zeit<br />

weitergegeben hatten, wie man sich in Jaisalmer überzeugen<br />

193


konnte. Ich wüßte gerne, wo wir uns da eingefunden hatten,<br />

kann mich aber beim besten Willen an keine Bezeichnung<br />

dieser Stätte erinnern.<br />

Ein kleines Andenken von dort befindet sich aber noch immer<br />

in meinem Besitz, denn ein einheimischer Junge bot mir<br />

damals drei kleine versteinerte Muscheln zum Kauf an, die<br />

ich ihm wegen des geringen Preises auch abnahm. Er hatte<br />

sie dort in der Wüste ausgebuddelt. Man stelle sich vor: Diese<br />

ganze Gegend war vor Jahrmillionen Meeresboden !<br />

Bald drängten unsere Begleiter auch schon wieder zum<br />

Aufbruch, da bis zum Mittag unser Rastplatz in der Nähe<br />

eines ehemaligen Ashrams erreicht werden mußte. Also aufsitzen<br />

! Aber, oh Mann - zur allgemeinen Belustigung gab es<br />

er<strong>neu</strong>t ein Heidentheater, als ich versuchte, den Buckel dieses<br />

undankbaren Säugers zu erklettern. Am liebsten hätte ich<br />

dem Vieh in den Hintern getreten. Doch gemeinsam waren<br />

wir stark und hatten alsbald zu dritt die Unruhestifterin mit<br />

List und Tücke überrumpelt.<br />

Dann trottete unsere Karawane weiter durch den heißen<br />

Wüstensand, aus dem hier und da nur einige Kakteenarten<br />

oder kakteenartige Sträucher genug Wasser ziehen konnten,<br />

um zu überleben und zu stattlicher Größe heranzuwachsen,<br />

während sonst nichts weiter das Auge erfreute außer Sand<br />

und Steinen.<br />

Aus lauter Langeweile verschwendete ich meine Zeit damit,<br />

ein paar Meter Film mit Eindrücken vom Rücken eines<br />

eigensinnigen Kamels zu belichten. Manchmal trafen wir unterwegs<br />

andere Meuten in wüste Wüstenklamotten gehüllter<br />

abenteuerlustiger Touristen, die ebenfalls ihre Träume von<br />

der Freiheit und dem Abenteuer, eventuell zu verdursten<br />

oder zu vertrocknen, auslebten. Aber meistens war es ein-<br />

194


fach nur heiß und öde, und um die Mittagszeit, als wir endlich<br />

unser Ziel erreicht hatten, war die Hitze kaum mehr zu ertragen.<br />

Eine mit wenigen Palmen geschmückte, verlassene kleine<br />

Oase, bestehend aus einer Handvoll zerfallener kleiner Hütten,<br />

einem Trinkwasser-Brunnen und einem etwas abseits<br />

gelegenen, wunderschönen und dennoch ausgestorbenen Zentrum<br />

spiritueller Reinigung, einem Ashram, sollte die Kulisse<br />

für unser Mittagsmahl bilden - dachten wir. Da jedoch auch<br />

andere nationale Kamel-Speditionen ihre internationalen Reisegesellschaften<br />

an dieser Karawanserei entluden, hatte sich<br />

u n s e r e Reiseleitung etwas ganz Besonderes, Ursprüngliches<br />

ausgedacht.<br />

Nachdem sich die lieben, der Gruppe der Trampeltiere zugehörigen<br />

Reittiere ihren Wanst mit köstlichen Naß vollgesogen<br />

hatten und man mir - dem Himmel sei Dank ! -<br />

einen verwegen aussehenden Leih-Turban verpaßt hatte, führte<br />

man uns hinaus in die Wildnis der Wüste zu einer Ansammlung<br />

dichter Sträucher und Kakteen, wo bereits zwei<br />

Helfer mit dem Herrichten unseres Lagers beschäftigt waren.<br />

Ausgestreckt auf einer Decke, die im Schattenbereich<br />

eines üppigen, hinter uns befindlichen, äußerst stachligen<br />

Dornengewächses lag, konnten wir nun unserem Gastgeber<br />

bei der Zubereitung des Mittagessens zusehen, dessen drei<br />

Gänge einzig und allein auf einem verranzten Kerosin-Kocher<br />

entstanden. Das Menü, zu dem man einen starken Wüstentee<br />

mit Zitrone kredenzte, setzte sich aus folgenden Kompositionen<br />

zusammen:<br />

Honey-Crépe<br />

Pomme de terre et Vegetabile<br />

Fruit de Désert<br />

195


Ein herrlich angelegter Ashram mitten in der Wüste...<br />

...dessen Bewohner anscheinend vor der<br />

mörderischen Hitze geflüchtet waren<br />

196


Es gab reichlich. Daher zog ich nach dem Essen zu einem<br />

Verdauungsspaziergang los, um ein paar Fotos in diesem<br />

Buddelkasten für Riesen zu machen. Und dabei lernte ich mal<br />

wieder was dazu:<br />

"Unterschätze niemals eine Wüste - egal welcher Größe !"<br />

Tief versunken in die Einmaligkeit dieser Landschaft und<br />

vollbeschäftigt mit der Suche nach Motiven für meine Kamera<br />

wanderte ich munter drauflos.<br />

Obwohl ich meinte, genau zu wissen, aus welcher Richtung<br />

ich gekommen war, fehlte mir aber ob der Eintönigkeit des<br />

hügligen Geländes bald der Überblick. Ich war immerhin so<br />

weit gelaufen, daß weder die Oase, noch unser Rastplatz mit<br />

den Kamelen zu sehen war.<br />

"Und du hast nicht einmal Wasser dabei !", drängte sich mir<br />

ins Bewußtsein.<br />

In diesem Moment glich meine Köpertemperatur dem Tag/<br />

Nachtwechsel der Wüste in schneller Folge: Mir wurde heiß<br />

und kalt.<br />

"Ruhig bleiben", meldete sich die Vernunft, und so fing ich<br />

an, mir ins Gedächtnis zu rufen, von wo ich gekommen war,<br />

denn unser kleines Camp konnte eigentlich nicht weit entfernt<br />

sein. Glücklicherweise fand ich dann auch nach einigem<br />

Sondieren des Terrains zurück zum Lagerplatz, wo ich mich<br />

erst einmal von diesem verdammten Schreck erholte - aber<br />

das sollte mir eine Lehre sein !<br />

Dörthe hatte in der Zwischenzeit ihr Tagebuch vervollständigt<br />

und döste noch in der Sonne vor sich hin, während unsere<br />

agilen Helfershelfer bereits am Zusammenpacken waren,<br />

denn wir mußten langsam weiterziehen. So hieß es wieder<br />

aufsitzen, was dieses Mal unglaublich ruhig vonstatten ging.<br />

197


Irgendwas konnte da doch nicht stimmen ? Mein Reittier<br />

brütete ganz bestimmt an einer hinterhältigen Gemeinheit -<br />

oder was !?<br />

Ungefähr eine Stunde strapazierten wir die Rücken der<br />

Kamele in der unbarmherzigen, durch kein Lüftchen gemilderten<br />

Hitze, die einem das Hirn rausbrannte, dann erreichten<br />

wir unser nächstes und letztes Ausflugsziel: den recht<br />

verwilderten, aber dennoch hübsch bunten Garten einer ehemaligen<br />

Maharadscha-Residenz, deren großzügig angelegte Gebäude<br />

auf einer weiten Ebene als stumme Zeugen vergangener<br />

Reichtümer verlassen und verfallen vor sich hindümpelten.<br />

Wie viele Menschen hatten sich zu Tode geschuftet, um<br />

solche Anlagen zu erschaffen ? Und wie sinnlos wurde ihr<br />

Opfer, weil sich niemand mehr um die Pflege solcher Kulturdenkmale<br />

kümmerte ?<br />

Das fragte man sich in Indien immer wieder.<br />

Während ich beim Durchstreifen der Gartenanlage solch<br />

schwermütigen Gedanken nachhing, wurden die Kamele noch<br />

ein letztes Mal aufgetankt, bevor wir uns auf den beschwerlichen<br />

Rückweg nach Jaisalmer begaben, der uns über eine<br />

steinige Hochebene führte, die vielleicht zwei Kilometer vor<br />

Jaisalmer abrupt endete und einen wunderbaren Blick auf die<br />

Stadt und das alles beherrschende Fort gestattete.<br />

Da von der Anhöhe nur ein schmaler und steiler Trampelpfad<br />

in die Ebene hinunterführte, mußten wir zur Vermeidung<br />

von Stürzen von den Tieren absteigen und zu Fuß den<br />

staubigen Abstieg bewältigen. Als wir unten angekommen der<br />

ersehnten Stadt entgegenritten, war es bereits Nachmittag,<br />

und erst gegen fünf Uhr, als die Schatten der im Westen<br />

untergehenden Sonne wieder länger wurden, trafen wir auf<br />

dem Platz vor der Stadt ein, wo wir uns, befriedigt durch das<br />

198


199<br />

Dörthe von Arabien mit ihrem Knappen hoch über der Ebene von Jaisalmer


große Abenteuer einer Wüstendurchquerung, von Mensch<br />

und Tier verabschiedeten.<br />

Wie bereits erwähnt, fand man uns an den sonstigen Tagen<br />

oft, wenn wir nichts weiter vorhatten, auf der großzügig<br />

dimensionierten Sonnenterrasse des Hotels "Paradise", wo wir<br />

bewegungslos auf unseren Handtüchern in den prallen Strahlen<br />

der Sonne liegend unsere Garzeit austesteten; glänzend<br />

von dem hier im Ort erhältlichem hausgemachten Kokosnußöl,<br />

in dem wir vor jeder selbst auferlegten Wüsten-Wärmetherapie<br />

ausgiebig badeten. Eine besonders drastische UV-<br />

Behandlung legte ich mir aber erst auf, als ich, zum Erstaunen<br />

meiner gut durchgebackenen Reisegefährten, erschrocken<br />

feststellte:<br />

"Mann, jetzt sind wir schon zwei Monate unterwegs und ich<br />

seh´ immer noch aus, als wär ich überhaupt nich´ im Urlaub<br />

gewesen."<br />

Sagte es und stand erst wieder auf, als meine krebsrote<br />

Haut wäßrige Blasen warf und sich in Fetzen von den Knochen<br />

löste. Toll - so sah das schon richtig gut aus !<br />

Aber nicht nur fürs Äußere eignete sich diese solare Intensivbestrahlung<br />

- auch unsere in der letzten Zeit durch die in der<br />

indischen Nahrung enthaltenen biologischen Kampfstoffe stark<br />

strapazierten Gedärme atmeten erleichtert auf. Der positive<br />

Einfluß war unleugbar, wurde deutlich in der optimierten Konsistenz<br />

und kontrollierten Abgabe menschlicher Ausscheidungen.<br />

Kurzum, das allgemeine Wohlbefinden befand sich auf<br />

dem Wege der Besserung.<br />

200


Da machte es auch wieder mehr Spaß, Streifzüge durch die<br />

bereiste Gegend zu unternehmen, wie der Besuch des<br />

jaisalmerischen "Folklore Museum", das in der Nähe des<br />

Trinkwasserreservoirs der Stadt lag. Trotz der geringen Größe<br />

des spärlich besuchten Museums beeindruckten die dargebotenen<br />

Exponate durch die Willkür ihrer Auswahl. Zu<br />

sehen gab es Handarbeiten, landwirtschaftliche Gerätschaften,<br />

Waffen, Möbel, Kleidung, Bilder usw. Erstaunlicherweise<br />

war dieses kleine Museum wirklich gut gepflegt, was man<br />

von größeren und wertvolleren Sammlungen im Lande oft<br />

nicht behaupten konnte.<br />

Auf dem Bildungsweg ins Museum<br />

Nach unserem Besuch verweilten wir an den Ufern des<br />

Sees, aus dem die Bewohner ihren täglichen Trinkwasserbedarf<br />

deckten, und lauschten den schrabenden Klängen jener<br />

viersaitigen Wüstengeigen, deren Besitzer mehr schlecht<br />

als recht versuchten, ein sehr bekanntes europäisches Volkslied<br />

zusammenzuspielen, da sie hofften, auf diese plumpe Art<br />

und Weise leichter einen dieser mit Geld um sich werfenden<br />

201


An den Ufern des malerischen Wasserreservoirs...<br />

...tönen Wüstengeigen "Bruder Jacob, Bruder Jacob, hörst Du mich ?"...<br />

202


...und Touristen fläzen sich auf den zum Wasser führenden Stufen<br />

203


Touristen zum Kauf ihrer aus Kokosnußschalen, Bambusrohr<br />

und alten Blechbüchsen handgefertigten Musikinstrumente zu<br />

animieren. Aber...<br />

"Thank you. No. I don´t wanna buy. "<br />

Sie schrabten und schrabten und schrabten...<br />

"Oh, no. Don´t wanna ... how much is it ? Sixhundred !? My<br />

God..."<br />

...und schrabten...<br />

"It´s too expensive and - remember - I don´t wanna buy. I<br />

can´t play..."<br />

...schrabten, schrabten, schrabten...<br />

"Mann, Mike die gibt´s in Nepal für 100 Rupies. Zwar nich´<br />

so schöne, aber...", warf Rocky ein.<br />

...schrab, schrab, schrabberdischrab...<br />

"Ok, please, I don´t wanna buy this ... very nice, indeed ...<br />

the Coconut sounds good. But..."<br />

...und schrab, schrab, schrab, schrab...<br />

"I lost my money. I only have hundredfifty in my pocket.<br />

You see I can´t buy !"<br />

...<br />

"Mann, den sind wir los. Was sollte ich auch mit dem Riesending.<br />

Das Teil würde ja nicht mal in meinen Rucksack passen.<br />

Aber schön war es schon und gut gearbeitet."<br />

...schrab..........schrab, schrab...<br />

"What ? You will sell it for hundredfifty !? Oh, noooo ...god<br />

damned!"<br />

204


"Another Tourist would give you more ! Why me ?"<br />

"Du hättest keinen Preis nennen dürfen, Mike. Jetzt mußt<br />

Du´s nehmen, hahaha !"<br />

...und wenn sie nicht gestorben sind, dann schraben sie<br />

noch heute und schraben und schraben...<br />

Mike der `Wüsten-Paganini´<br />

So kam ich zu meiner Wüstengeige, die ich eigentlich überhaupt<br />

nicht haben wollte - inklusive mit wüsten Glöckchen<br />

behängtem wüstem Geigenbogen. Den geringen Preis hatte<br />

ich wirklich nur genannt, um den anhänglichen Verkäufer für<br />

biologisch abbaubare folkloristische Musizierwerkzeuge loszuwerden.<br />

Und dann das.<br />

Da mußte ich mir erstmal einfallen lassen, wie ich dies unhandliche,<br />

bestimmt einen Meter lange Teil transportieren<br />

könnte. Dick mit Zeitungspapier umwickelt, das als Polsterung<br />

diente, befestigte ich es schließlich mit Riemen außen<br />

205


am Rucksack und hoffte, daß es so keinen Schaden nahm auf<br />

der weiteren Reise. Aber zuerst saß ich damit natürlich im<br />

Innenhof unserer Herberge und versuchte mich zum Schrekken<br />

der anderen Mitbewohner in der Kunst des Schrabens.<br />

Vielleicht hätte ich Schrab-Unterricht bei einem der<br />

ortsansäßigen Schrabfidel-Verkäufer nehmen sollen ?<br />

Doch blieb keine Zeit mehr, denn unsere faulen Tage in<br />

Jaisalmer - dem westlichst gelegenen Punkt unserer Indien-<br />

Odyssee - waren gezählt, unsere Bahnfahrt bereits gebucht.<br />

Die nächsten Wochen bewegten wir uns auf dem Schienenweg<br />

in östlicher Richtung über Pushkar und Agra zurück nach<br />

Nepal, wo wir die letzten Tage in Pokhara und Kathmandu<br />

verbringen wollten.<br />

206


Pushkar/Agra


Mit dem indischen Überlandbus schmetterten wir<br />

am 24.Februar auf staubigen Landstraßen, über<br />

denen die heiße Luft nur so flimmerte, zurück<br />

nach Osten. Über Zwischenstation in Ajmer, sprich "im Eimer",<br />

erreichten wir schließlich das nördlich davon gelegene<br />

kleine Kaff Pushkar; ein Selbstfindungseinkaufsparadies.<br />

Pushkar ist rings von Bergen umgeben und liegt an Indiens<br />

heiligstem See, der wiederum von etlichen kleinen und großen<br />

Ashrams umgeben ist, die wiederum von lauter durchgeknallten<br />

New-Age-Aposteln mit lauter tiefsinnigen weltfremdem<br />

Lebenseinsichten umgeben sind.<br />

Das einzige, was in Pushkar wirklich zählt, ist das Geschäft.<br />

Und das wird das ganze Jahr über kräftig betrieben. Sei es<br />

durch verblendete Pilger, die ihre Rupien in den zahlreichen<br />

unheimlich heiligen Ashrams verschwinden sehen, oder durch<br />

zahlungskräftige Touristen aus dem In- und Ausland, die sich<br />

geneigt zeigen, all die angebotenen fantastischen Handarbeiten<br />

für wenig Geld in ihren Besitzstand zu integrieren. Man<br />

bekommt dort haufenweise Schmuck, Malereien, Teppiche,<br />

Klamotten, Heilslehren, Lebenshilfen, viel Sonne, gutes Essen<br />

und natürlich auch touristischen Murks.<br />

Nach kurzer Suche auf der am See gelegenen staubigen<br />

Geschäftsstraße hatten wir unsere Bleibe gefunden: Ein in<br />

einer bunten Blumenpracht versunkenes Dornröschen-Hotel<br />

mit dem äußerst treffenden Namen "Oriental". Dort waren<br />

wir mit Nindi und seiner Angetrauten verabredet. Wir kippten<br />

unsere Sachen ab und relaxten erstmal ausgiebig im Garten.<br />

Nachmittags starteten wir eine erste Expedition, um unseren<br />

<strong>neu</strong>en Lebensraum mitsamt seinem Nahrungs- und Warenangebot<br />

für uns zu erschließen.<br />

207


Pushkar ist direkt rund um den heiligen See entstanden...<br />

...und somit ist kein Quentchen heiliger Boden mehr frei<br />

208


Unglücklicherweise erhielt Nindi, den wir eigentlich sehr<br />

schätzten, am folgenden Tag Kenntnis von zwei wichtigen<br />

Dingen, die wir besser für uns behalten hätten:<br />

1. Ich hatte Rum im Gepäck<br />

2. Wir waren Kamelsafari-Junkies<br />

Zu 1. muß man wissen, daß fast alle indischen Orte die ich<br />

bis dahin kennengelernt hatte oder vielleicht noch genauer:<br />

die Böden auf dem diese Orte wucherten, irgendwie `heilig´<br />

waren - was auch immer das hieß.<br />

Auf jeden Fall hieß es aber immer: Kein Allohol !<br />

Die Einheimischen qualmten sich dafür lieber mit Dope oder<br />

Marihuana den Verstand weg.<br />

In weiser Voraussicht verschaffte ich mir daher über Kanäle,<br />

welche hier ohne Belang sind, zwei winzige Fläschchen,<br />

deren berauschender Inhalt für den Rest der Indien-Reise der<br />

Versorgung meines sündigen Körpers mit Gute-Nacht-Cocktails<br />

dienen sollte.<br />

Doch Freund Nindi hatte nun andere Pläne, mit denen er<br />

mich vertraut machte. Ein Freund hier am Orte besäße ein<br />

kleines Lokal, in dem Tee, Kaffee und andere Erfrischungsgetränke<br />

ausgeschenkt würden. Unter anderem sei sein Freund<br />

aber auch Fusel-Tester und so böte es sich an, ihn aufzusuchen,<br />

um die Qualität meines gehorteten Vorrates zu bestimmen.<br />

"Einen kleinen Drink in Ehren kann niemand verwehren",<br />

und so machten wir uns auf den Weg.<br />

Mit verschworener Miene wurde der Laden geschlossen,<br />

und um Fehler bei der Bestimmung zu vermeiden, teilte sein<br />

turbotestender Freund sofort die komplette Flasche unter<br />

uns auf. Fünf Sekunden nachdem wir den Laden betreten<br />

hatten war die Flasche somit leer!, leer! und nochmals leer !<br />

209


Aus reinem verbitterten Egoismus verweigerte ich den beiden<br />

Schnapsnasen deshalb meine Zustimmung, die zweite<br />

bereits angebrochene Flasche ebenfalls zu testen.<br />

Das war auch ganz gut so, denn Nindis Ehefrau war überhaupt<br />

nicht von dem geheimwissenschaftlichen Forschungsdrang<br />

ihres vergnüglichen Gatten angetan. Sie war sogar ziemlich<br />

entnervt, da sie vor kurzem entdeckt hatte, das Nindi<br />

hinter ihrem Rücken einen Langzeitvertrag als Rauschmitteltester<br />

abgeschlossen hatte.<br />

Und dann wurde Mr.Nindi zu allem Übel auch noch von<br />

der Idee beseelt, seinen innig geliebten europäischen Freunden<br />

für wahnsinnig günstig eine tolle Kamelsafari zu organisieren.<br />

Er kannte angeblich den Besitzer eines Trampeltier-Versandes<br />

vor Ort.<br />

Wir drei und auch unsere beiden liebgewonnenen Mitbewohner,<br />

ein gewisser `Ralf´ aus `Köln´, Kopf einer weltweit<br />

operierenden Lügen- und Schmuckbastlerbande, und seine<br />

holländische Komplizin Denise waren Feuer und Flamme für<br />

einen kleinen Saunagang in die sandigen Weiten indischer Wüste.<br />

Wir erteilten Nindi die Verfügungsgewalt und bezahlten<br />

alles im voraus...<br />

Während der organisatorische Gedanke am Wirbeln war,<br />

widmeten Dörthe und ich uns dem Sonnenbade und anderen<br />

faulen Trägheiten.<br />

Rocky spielte sich indes mit Schach die Finger wund und<br />

verwies sämtliche pushkarianischen Schachmajestäten auf die<br />

hinteren Ränge. Manchmal vertraten wir uns auch gemeinsam<br />

die Füße und hielten Ausschau nach orientalischen Mysterien<br />

hier am Markte, kauften viel Schmuck und ich mir<br />

sogar zwei tönerne Shillums.<br />

210


Bei einem dieser Streifzüge gerieten Rocky und ich zufällig<br />

an einen ganz außergewöhnlichen Laden, den dort bestimmt<br />

niemand erwartet hätte:<br />

In einem kleinen Holzverschlag von den Abmessungen eines<br />

kleinen hölzernen Verschlages hockte der etwa vierzigjährige<br />

Sohn von Rick und behütete kameratechnische Kostbarkeiten<br />

wie alte Leicas, Hasselblad und voluminöse Plattenkameras<br />

von Kennstenich. Zudem lag viel anderes an kostbaren<br />

Raritäten in den verstaubten Regalen, wie etwa alte Schiffskompasse,<br />

Schreibmaschinen, Ferngläser, usw. Die Preise<br />

waren durchaus auf westlichem Niveau, und zu seinem Publikum<br />

zählte viel sammelnde ausländische Kundschaft aus<br />

Amerikanien und Japanada, ließ er stolz vernehmen.<br />

Als wir beim zweiten Mal dort aufkeuzten, um unsere Einladung<br />

zum Tee wahrzunehmen und Rockys Interesse an<br />

einem Schiffskompass zu befriedigen, schob sich vor unseren<br />

Augen gerade eine fette lautstarke Demonstration der Hindus<br />

gegen die Sikhs durch die Straßen, und die durch Sprechchöre<br />

mit Megaphonunterstützung angeheizte aggressive Stimmung<br />

der Versammelten übertrug sich mysteriöserweise auch<br />

gleich auf das Wetter oder die erzürnten indischen Götter,<br />

211


denn Minuten, nachdem der Zug am Laden vorbeigebrüllt<br />

kam, hagelte es eigroße Hagelkörner vom Himmel. Und während<br />

die Wellblechdächer der Häuser durch den Aufprall erschepperten,<br />

schüttelte Rickys Sohn verständnislos sein intelligentes<br />

Haupt über die reaktionäre "Make-War-Not-Love"-Bewegung<br />

seiner Landsleute und Glaubensbrüder.<br />

Das Wetter blieb den ganzen Tag über regnerisch...<br />

`Ralf´ aus `Köln´, Mike of Arabia und Rocky beim Tee-Exzess<br />

Dann kam der Tag X ... und wir bestiegen lässig und guter<br />

Laune die für die Kamelsafari bereitgestellten friedfertigen Dromedare.<br />

Soweit hatte alles ganz gut geklappt.<br />

Bis auf das Timing - denn wir waren reichlich spät dran !<br />

Naja, und dann ritten wir fröhlich, ob der Dinge die da<br />

kommen würden, eine halbe Stunde durch eine wenig wüste,<br />

geschweige denn interessante Gegend, bis der Kamel-<br />

212


Animateur und Teamleiter plötzlich und zu unserer aller Erstaunen<br />

schon wieder stoppen ließ.<br />

An einem im Schatten von ein paar Bäumen stehenden<br />

Gebäude sollte das mitgeführte Essen vernichtet werden; ganz<br />

in der Nähe von ein paar Feldern - also nix Wüste ?!<br />

Verdutzt stiegen wir von den kaum beanspruchten Tieren<br />

und fragten uns, was das nun zu bedeuten hätte. Wollte man<br />

uns verarschen ?<br />

Nindi aber war voll und ganz zufrieden mit der Situation,<br />

denn nach seiner ausgeklügelten Planung würden wir jetzt<br />

und hier ´ne geile Äthanol-Party feiern und mit dem Testen<br />

meines restlichen Rumverschnittes fortfahren.<br />

Moment mal ! Das war auch mir <strong>neu</strong>. Bei der Hitze Rum ?<br />

Nindi mußte bereits unter der Sonne leiden oder war vom<br />

wilden Weingeist besessen !<br />

Während Rocky vor Wut der Geifer über soviel Dreistigkeit<br />

am Kinn heruntertropfte und er bereits Kampftechniken<br />

zur Ausrottung minderwertigen Lebens einstudierte, berieten<br />

wir über die Lage und machten Nindi klar, das Safari zwar<br />

wie das deutsche Wort "Sauferei" klänge, aber eigentlich überhaupt<br />

und rein gar nichts damit zu tun hatte.<br />

Dann fügten wir uns in die Situation, packten uns in die<br />

kaum zu ertragende drückende Schwüle des Schattens und<br />

warteten aufs spärliche Essen, welches uns die wenig guten<br />

Köche vorsetzten, statteten den nahen Feldern, auf denen<br />

einige Frauen arbeiteten, einen Besuch ab und machten ein<br />

paar Fotos von der Gegend.<br />

Soviel ich auch grüble und grüble, ich kann mich ehrlich<br />

gesagt nicht mehr an viel von dieser Kurz-Saufari erinnern,<br />

und das sagt einiges über die Wertigkeit dieses Unternehmens<br />

aus. Ich glaube, der Veranstalter erklärte uns noch, daß<br />

213


Heia Safari !<br />

Nindi mit Ehefrau<br />

214


Zwei Hitzköpfe beim Abkühlen<br />

Rocky beim Versuch, schneller zu sein als der Blitz !<br />

215


dort mit Wüste und Sehenswürdigkeiten sowieso nicht viel<br />

los sei und es sich nicht lohnen würde noch lange in der<br />

Gegend herumzureiten, es also besser wäre, den ersten Gedanken<br />

wieder aufzugreifen und nach dem Essen zurückzureiten;<br />

was wir dann wohl auch taten.<br />

Die ganze Geschichte war auf jeden Fall ein riesengroßer<br />

Flop und hatte im Endeffekt genausoviel gekostet wie unsere<br />

erste Wüstentour. Das nahmen wir Nindi sehr übel.<br />

Nach diesem schändlichen Reinfall widmeten wir uns wieder<br />

mehr der interessanteren kaufmännischen Tätigkeit. Wirklich<br />

nennenswert war in diesem Zusammenhang zum Beispiel<br />

der Laden<br />

Dort gab es die gleichen Patchwork-Stoffe wie in Jaiselmer<br />

zu kaufen; meist verarbeitet als Decke oder Wandteppich.<br />

Als alter Jäger und Sammler konnte ich leider nicht widerstehen;<br />

hatte bereits einen dieser mit goldenen und silbernen<br />

Mustern durchwirkten Teppiche in mein Herz geschlossen.<br />

Und weil es solche Schmuckstücke nur in dieser Gegend<br />

gab und ich nicht erwarten durfte, auf einer der nächsten<br />

216


Reiseetappen weitere Angebote zu bekommen, ließ ich ihn<br />

mir für satte sechzig Mark einpacken. Dörthe tat´s mir nach<br />

und zahlte ´n schlappen Hunni für das nächstgrößere Modell.<br />

Für fünfzehn Mark gönnte ich mir noch eine in rot gehaltene<br />

`Sergeant-Pepper-Lonely-Hearts´-Jacke aus dem gleichen<br />

Material, und dann kam mir der geniale Geistesblitz, eine<br />

Jeans aus dem Zeug nähen zu lassen. Der im Umgang mit<br />

Phantasten, einfachen Blöden und verkorksten Touristen geschulte<br />

Händler erklärte sich zu diesem in der Welt bisher<br />

einzigartigen Experiment bereit und verlangte 30 Mark für<br />

seine Arbeit. Dann wurde ich komplett vermessen und zum<br />

Warten und Hoffen nach Hause geschickt. In zwei Tagen<br />

war sie fertig und wir staunten alle nicht schlecht über das<br />

Ergebnis - aber ehrlich gesagt habe ich sie bis heute niemals<br />

getragen !<br />

Nun vollkommen auf Klamottenkauf versessen, gab ich in<br />

einem anderen Laden eine `kleine´ Bestellung über fünfzehn<br />

maßgeschneiderte bunte Sommerhemden in Auftrag; kaufte<br />

im nächsten drei aus Sackleinen produzierte Wüstenhemden<br />

mit eingearbeiteter Seitentasche sowie eine helle windbeutelartige<br />

Wüstenleinenhose, die ich in diesem Klima gerne gegen<br />

meine dicke dunkle Armeehose eintauschte, und ließ mir<br />

im übernächsten nochmals etwas Extravagantes aus Wandteppichen<br />

schneidern: eine barocke Designer-Weste.<br />

Als Vorlage diente dabei Rockys Kutte, da mir der Schnitt<br />

ganz gut gefiel. Allerdings gab es diesmal Streß mit dem aufmüpfigen<br />

Ladeninhaber, weil er das Kleidungsstück erstens<br />

nicht wie vereinbart fertigstellte und zweitens auch noch recht<br />

frech viel mehr Geld als vereinbart verlangte, denn sonst wollte<br />

er seine Arbeit nicht fortführen.<br />

217


Das brachte mein wegen der Sonne bereits siedendes Blut<br />

in kochende Wallung und diesmal ergriff ich die Gelegenheit<br />

und ihn beim Kragen, um endlich einmal meinen Unmut über<br />

die im allgemeinen unerhörten Geschäftspraktiken indischer<br />

Geschäftsleute herauszuschreien. Er aber lächelte mich nur<br />

an und wiederholte seine Forderung. Sollte ich ihn verprügeln<br />

oder einen Teil seiner Ware hinunterschlingen lassen ?<br />

Ich wußte es nicht.<br />

Zusammen mit Rocky als unparteiischem Schiedsmann suchten<br />

ich er<strong>neu</strong>t den Laden auf. Rocky fielen allerdings gleich<br />

die Augen raus, als er die bisher fertiggestellte Arbeit sah, und<br />

er riet mir begeistert, unbedingt auf den Handel einzugehen.<br />

Das tat ich dann auch. Trotzdem fühlte ich mich von dem<br />

Händler vorgeführt...<br />

Wie man sieht, gibt es viele Esel in Indien !<br />

218


Zwischen unseren Streifzügen gingen wir ab und zu auch<br />

mal Essen - man glaubt es kaum !<br />

Wir nutzten z.B. die durch unseren Nachbarn `Ralf´ vorgeschlagene<br />

Möglichkeit, in einem Zeltrestaurant zu essen: Man<br />

zahlte glaube ich dreißig Rupien und konnte von dem großen<br />

und vielfältigen Angebot des aufgebauten Buffet dann soviel<br />

essen wie man wollte, bis man platzte oder die Scheißerei<br />

bekam oder die Scheißerei bekam, von der man dann platzte.<br />

Daher war es aus taktischen Erwägungen angeraten, möglichst<br />

früh dort zu erscheinen, weil dann die Speisen noch<br />

nicht allzu lange in der bakterienbegünstigenden Hitze gestanden<br />

und die immer auf der Lauer liegenden Fliegenschwärme<br />

noch keinen Wind davon bekommen hatten. Das<br />

Essen an sich war jedoch hervorragend.<br />

In einem anderen von uns favorisierten Eßlokal erlebten<br />

wir eines Tages zur allgemeinen Erbauung einen handfesten<br />

Streit zwischen einem deutschen Ehepaar, dem Restaurant-<br />

Besitzer - nennen wir ihn der Einfachheit halber `Heini´ -<br />

und einer Gruppe geschniegelter Geschäftsleute, dem folgende<br />

Geschichte zugrunde lag:<br />

Indieninteressiertes junges Alternativ-Ehepaar bereiste vor<br />

etwas mehr als einem Jahr unter anderem die Gegend um<br />

Pushkar, lernte `Heini´ kennen, und sie freundeten sich an.<br />

Kurz vor ihrer Rückreise in die Heimat fiel ihnen noch ein:<br />

"Brauchen wir Teppich ! Geschenk für Eltern !"<br />

`Heini´ sagte: "Kann ich euch helfen. Kenn´ ich Händler für<br />

Teppich. Gutes Bekannter. Nooo propplem."<br />

Aus dem Freundschaftssortiment wurde ein genehmer Teppich<br />

in einer bestimmten Machart, mit einem bestimmten<br />

Muster und in einer bestimmten Qualität ausgesucht, das Pär-<br />

219


chen bezahlte bar und machte sich zufrieden auf die Heimreise,<br />

denn um die Zusendung des wertvollen Webgutes bräuchten<br />

sie sich keine Sorgen zu machen; man hatte bereits Erfahrung<br />

mit Ausländern - das ginge wie von selbst: Ja, aber<br />

meistens schief !!!<br />

Denn bedenke: Indien ist nicht nur das Land der Lebenden<br />

Toten, sondern auch der Gaukler und Scharlatane.<br />

Zurück in Deutschland ... warten. Nach Monaten erschien<br />

endlich der indische Paketzustellungsdienst an der Wohnungstüre<br />

und lieferte die Reste des auf der langen Reise von Asien<br />

übriggebliebenen Teppichs ab. In der Mitte des guten Stückes<br />

klaffte nämlich ein schönes großes ausgefranstes Loch.<br />

Kann ja mal vorkommen - so ein Loch.<br />

Verständnisvoll schickten sie ihn zurück ins Herkunftsland<br />

mit der höflichen Bitte um Ersatz. Da es aber ein verzauberter<br />

Bumerang-Loch-Teppich war, erhielten sie ihn zwei Monate<br />

später unverändert zurück. Also schrieben sie in ihrer<br />

Verzweiflung einen Bannbrief dazu und schickten das stoffliche<br />

Loch noch einmal auf die lange Reise ins Yogi-Land.<br />

Daraufhin kam eine <strong>neu</strong>e Bodentapete, aber mit einem vollkommen<br />

falschen Muster, falscher Größe und schlechter Qualität.<br />

Jetzt fing das Ehepaar an Teppiche zu hassen...<br />

Da auch nach weiteren heiteren Versandaktionen nichts<br />

gefruchtet hatte, blieb ihnen gar keine andere Wahl, als ihre<br />

Koffer zu packen, nach Delhi zu fliegen und von dort mit der<br />

Bahn nach Pushkar aufzubrechen, um das unredliche Teppichsyndikat<br />

zu zerschlagen.<br />

Nun saßen alle Beteiligten mit finsterer Miene unter einer<br />

lachenden Sonne im Restaurantgarten, und während am heutigen<br />

heiligen Tag `Holi´ die fröhlichen Leute auf den Straßen<br />

220


Am Feiertag `Holi´ toben wilde Farbpulverschlachten auf der Straße<br />

ausgelassen mit buntem Farbpulver um sich warfen und Wasser<br />

verspritzten, wurde gestritten, daß die Fetzen flogen.<br />

Unser `Heini´ war einem Herzinfarkt nahe, denn er fühlte<br />

seine Ehre und seinen guten Ruf geschädigt; bekam eine<br />

dermaßene Stinkwut auf die teppichknüpfenden Kameraden,<br />

daß er sich fast besinnungslos brüllte, zumindest aber die Gegend<br />

durch seinen Speichel bewässerte. Erst durch einen bösen<br />

Brief aus Deutschland hatte er angeblich von dem Teppich-Desaster<br />

erfahren. Hätte er sich im Falle einer Freundschaft<br />

vielleicht doch mehr drum kümmern sollen, denn wie<br />

sagt schon ein altes Sprichwort: "Wer sich auf andere verläßt<br />

ist verlassen !"<br />

Die Händler rechneten wahrscheinlich gar nicht damit, daß<br />

ihre geprellten Kunden noch einmal zurückkämen. Sie machten<br />

überhaupt einen sehr uneinsichtigen Eindruck, denn was<br />

sollte ihnen schon passieren ? Deutsche Gesetze, Moral- und<br />

221


Ethikvorstellungen galten in Indien sowieso einen Dreck, und<br />

wenn unsere Landsleute ohne eine Portion Glück angereist<br />

waren, konnte es durchaus passieren, daß sie auch noch im<br />

Knast landeten, denn die indische Polizei gilt als sehr korrupt.<br />

Für einen Plastikkugelschreiber tun die fast alles !<br />

Wie die ganze Geschichte ausging, kann ich leider nicht sagen,<br />

da wir uns irgendwann verabschiedeten. Aber die Polizei<br />

trudelte am Schluß auch noch ein...<br />

Die meiste Zeit war es in Pushkar aber sehr angenehm,<br />

und kurz vor unserer Abreise fiel es dem Sohn des wohlhabenden<br />

Hauses "Oriental" auch noch ein, sein tristes Junggesellenleben<br />

aufzugeben und endlich eine von der Familie nach<br />

wirtschaftlichen Gesichtspunkten `Auserwählte´ zu heiraten.<br />

Das würde ein Fest geben ! Früh am Morgen begannen die<br />

Der Bräutigam wartet im Kreise seiner Angehörigen auf die Braut,...<br />

222


ersten Vorbereitungen: Im Vorgarten wurde ein großes Zelt<br />

aufgebaut, und das gesamte Anwesen verschwand unter Tonnen<br />

von bunten Kitsch-Lichterketten, wie wir sie von Weihnachten<br />

her kennen. Allein der Energieverbrauch dieser<br />

Lampenplage mußte<br />

schon ein Vermögen<br />

kosten !<br />

Dann trafen die auf<br />

keinem indischen Fest<br />

fehlenden Trommler<br />

und andere Musiker<br />

ein, die für die Party<br />

am Abend schon mal<br />

den Rhythm of the day<br />

einübten und die bereits<br />

eintrudelnden Gäste<br />

zum Tanzen animierten,<br />

bis das Mittagbuffet<br />

für sie aufgestellt<br />

war. Die Musiker dürfen,<br />

wie ich mittlerweile<br />

weiß, nicht mit den<br />

anderen zusammen<br />

essen, geschweige<br />

denn vom gleichen Geschirr,<br />

da sie zur nied-<br />

...die im Kreise Ihrer Sippe herannaht.<br />

rigsten Kaste in Indien gehören. Sie sind sozusagen ein notwendiges<br />

Übel.<br />

Nachmittags schließlich wurde die in einen kostbaren golddurchwirkten<br />

Sari gekleidete Braut von ihrer Familie durch<br />

die Gassen von Pushkar zu ihrem im Wüstenzelt wartenden<br />

zukünftigen Herren geführt.<br />

223


In diesem Falle hätte es sich sicher gelohnt, deutsche Sitten<br />

einzuführen und die Braut oder am besten gleich alle Frauen<br />

zu entführen, denn die Klamotten der weiblichen Gäste mußten<br />

ein Vermögen wert sein ! Ich hätte ja gerne gewußt, in<br />

welcher Höhe sich die familiärfinanziellen Transaktionen dieser<br />

Hochzeit bewegten. Doch das blieb ein Geheimnis für<br />

uns, und so genossen wir das Fest bis spät in die Nacht, zu<br />

dem wir natürlich alle herzlich eingeladen waren...<br />

Der Tag des Abschiednehmens war mal wieder gekommen,<br />

und bevor wir mit dem Jeep nach Ajmer rollten, beging<br />

ich noch den größten Fehler meines Lebens:<br />

Ich gab dem Vertrauen erweckenden `Ralf´ aus `Köln´<br />

meinen vor kurzem erworbenen handgearbeiteten supergeilen<br />

Spazierstockdegen zur Aufbewahrung, weil ich Angst<br />

hatte, der deutsche Zoll würde mir dieses echt `scharfe´<br />

Spielzeug bei der Einreise kurzerhand wieder abnehmen.<br />

`Ralf´ erzählte uns nämlich, er flöge nicht direkt nach Hause,<br />

sondern zuerst nach Griechenland, und von dort würde<br />

er mit der Bahn weiter nach Deutschland fahren, weil´s bei<br />

Einreisen aus dem europäischen Ausland angeblich keine Probleme<br />

mit unserem Zoll gäbe. Hörte sich ausgezeichnet an<br />

und daher gab ich das seltene Stück in seine Obhut, wir tauschten<br />

unsere Adressen, und dann sah ich meinen Besitz niemals<br />

mehr wieder...<br />

Wie sich später in Deutschland herausstellte, gab es gar<br />

keinen `Ralf´ aus `Köln´, jedenfalls nicht unter der angegebenen<br />

Adresse und Telefonnummer. Dieses dumme Schwein<br />

hatte mich echt verarscht !<br />

Mir wollte es gar nicht in den Schädel, wie jemand, mit dem<br />

wir soviel zusammen unternommen hatten, so verlogen sein<br />

224


konnte. Dabei ging es bestimmt nicht nur um diesen dämlichen<br />

Degen, denn der kostete nur ein paar Mark.<br />

Was also hatte das alles zu bedeuten ?<br />

Tja, das würden wir wohl auch nie erfahren...<br />

Mit dem Zug fuhren wir von Ajmer weiter nach Agra, wo<br />

wir mitten in der Nacht ankamen. Ich glaube es war drei Uhr<br />

morgens oder so.<br />

Wir hatten uns zwar mit Nindi verabredet, der uns am<br />

Busbahnhof abholen wollte. Doch leider erst um acht Uhr.<br />

Also suchten wir uns in der Nähe des Bahnhofes ein Plätzchen<br />

zum Schlafen und schlugen unser morgendliches Lager<br />

in Ermangelung weiterer<br />

Alternativen auf einer vor<br />

Pisse stinkenden Mauer<br />

am Busstop auf.<br />

Es war außerdem ziemlich<br />

kalt, weswegen wir unsere<br />

Schlafsäcke entrollten<br />

und versuchten, trotz des<br />

widerlichen Gestankes ein<br />

Auge zuzukriegen.<br />

Nindi hielt glücklicherweise<br />

Wort und kam<br />

pünktlich um acht Uhr mit<br />

einer Royal Enfield vorgefahren.<br />

Rocky fuhr als Beifahrer<br />

mit; Dörthe und ich<br />

mitsamt dem Gepäck ka-<br />

perten ein Taxi, das Nindi<br />

zum Haus seiner Eltern<br />

Nindi, seine Royal Enfield und Rocky am<br />

Busbahnhof, morgens um acht Uhr<br />

225


folgte. Dort konnten wir uns erstmal frisch machen und erfuhren<br />

dann, daß sich Nindis Ehefrau wenigstens zeitweise<br />

von ihm getrennt hatte und auf dem Weg zurück nach Australien<br />

war. Armer Nindi !<br />

Na jedenfalls ließen wir<br />

unser Gepäck zurück und<br />

statteten zuerst dem im<br />

17.Jahrhundert von den damals<br />

herrschenden moslemischen<br />

Moghuln erbauten<br />

riesenhaften Red Fort einen<br />

Besuch ab, das zu einer der<br />

weltgrößten Festungsanlagen<br />

zählt.<br />

Das Fort ist von einer 2,4<br />

Km langen und 21Meter<br />

hohen Mauer aus rotem<br />

Sandstein umgeben, und im<br />

Abgefahren, oder ?<br />

Innern der Befestigungsanlage<br />

befindet sich nicht nur<br />

eine stattliche Anzahl von Palästen verschiedener Zeitalter<br />

und Erbauer, sondern auch die größte marmorne Moschee<br />

der Welt, genannt Moti Masjid. Alles liegt eingebettet in einer<br />

phantastischen und gut gepflegten Gartenanlage, und von der<br />

zum Ganges gelegenen Umfassungsmauer konnte man direkt<br />

auf das auf der anderen Flußseite gelegene Tadj Mahal<br />

gucken. Beeindruckend !<br />

Ein paar Stunden ruhten wir uns dort auf einer der Liegewiesen<br />

aus. Dann mieteten wir uns zur Feier des Tages eines<br />

der originellen Pferdegespanne und ließen uns zum weltbe-<br />

226


Blick vom Red Fort auf das Tadj Mahal<br />

Ein Teil der Gartenanlage im Innern des Red Fort<br />

227


Das Tadj Mahal im Jahre 1991<br />

rühmten 74 Meter hohen Mausoleum Tadj Mahal kutschieren,<br />

das Shah Jahan ebenfalls im 17.Jahrhundert für seine verstorbene<br />

Lieblingsmaus Arjumand Banu Begum erbauen ließ,<br />

wozu er seine liebevoll geknechteten Untertanen Baumaterial<br />

aus ganz Indien, dem fernen Iran und Afghanistan heranschleppen<br />

ließ. Das gesamte Gebäude ist mit weißem Marmor<br />

verkleidet und aufwendig mit Ornamenten verziert.<br />

Durch ein großes steinernes Tor aus rotem Sandstein gelangt<br />

man auf den von Sträuchern und Blumen flankierten<br />

Weg. Rechts und links stehen in Abständen ebenfalls riesige<br />

rote Bauten, deren näherer Sinn mir jedoch nicht bekannt ist.<br />

Der ebenfalls mit weißem Marmor verkleidete Fußboden vor<br />

dem Tadj Mahal durfte nicht mit den eigenen Schuhen betreten<br />

werden. Dafür gab es bereitgestellte Filzpantoffeln oder<br />

man ging auf Socken.<br />

228


Der Vorplatz mit dem Hauptgebäude des Tadj Mahal<br />

229


Fotografieren im Innern des Gebäudes war auch nur erlaubt,<br />

wenn man vorher eine entsprechende Gebühr bezahlt<br />

hatte. Hatte ich nicht, und daher existieren leider keine Fotos<br />

aus der dunklen Krypta.<br />

Es war ´ne ganze Menge los an diesem Tag - viele indische<br />

Touristen. Aber das war auch zu erwarten, denn das Tadj<br />

Mahal ist das Touristendenkmal Numero Uno in Indien.<br />

Kleine Erinnerung von Nindi...<br />

Haben danach etwas in einem exquisit aussehenden Lokal<br />

gegessen. Doch obwohl die Kellner in Livré bedienten, war<br />

das verfütterte Essen nicht den Spitzenpreisen angepaßt. Vielleicht<br />

hatten die Köche auch speziell was gegen mich, denn<br />

nur meine Pizza war und blieb kalt. Wie oft ich sie aus diesem<br />

Grunde auch zurückgehen ließ, die Temperatur änderte<br />

sich nicht um einen Deut.<br />

Auf Anraten meiner mitfühlenden Reisegefährten gab ich<br />

mich dann kurzerhand geschlagen und freute mich dafür um<br />

so mehr auf den Nachtisch: einen leckeren Eisbecher; dem<br />

teuersten auf der Karte. Aber zu früh gefreut, denn auch das<br />

Eis war reiner Mist ! Jeder Straßenverkäufer verkaufte besseres<br />

Material als das, was einem in diesem Restaurant angeboten<br />

wurde.<br />

Es war äußerst bunt und schmeckte wie Zuckerwasser !<br />

230


Abends auf dem Bahnhof von Agra<br />

Bleichgesichtanstarren ist Volkssport in Indien<br />

231


Abends holten wir unsere Klamotten und Fahrkarten ab,<br />

die Nindi besorgte hatte, und fuhren zum Bahnhof. Dort zogen<br />

wir unbeabsichtigterweise gleich eine Gruppe indischer<br />

Meditationsstarrer in unseren Bann, die uns aus einem Abstand<br />

von einem halben Meter so lange bewegungslos anstarrten,<br />

bis ich gehässig meine Kamera gezückt und sie mit<br />

dem Blitz aus ihrem hypnotischen Tiefschlaf geweckt hatte.<br />

Geblendet verschwanden sie vollkommen verwirrt, und wir<br />

ratterten kurz darauf mit dem Zug zur Übernachtung nach<br />

Lucknow...<br />

Am nächsten Tag kaufte ich mir dort auf dem Bahnhof eine<br />

gerade <strong>neu</strong> erschienene Illustrierte, die einen buntbebilderten<br />

Sonderbericht über den Golfkrieg enthielt. Ein anderer Bericht<br />

in dieser Zeitung befaßte sich mit einem Bombenanschlag<br />

der Sikhs hier auf dem Bahnhof, wobei es zwei Hindus<br />

total zerfetzt hatte. Dieses nicht sehr beruhigende Ereignis<br />

fand erst vor zwei Tagen statt !<br />

Als dann endlich unser Zug einfuhr und wir unsere Plätze<br />

suchten, mußten wir zu unserem Ärger feststellen, das diese<br />

Saubratzen von indischen Fahrkartenverkäufern ganz schön<br />

link waren oder einfach nur total beschränkt: Das Abteil, in<br />

dem sich unsere reservierten Plätze befanden, war vollbesetzt,<br />

und die Leute hatten ebenfalls gültige Platzkarten !<br />

Zum Glück gab es aber auch in Indien noch ein paar anständige<br />

Leute, die Ausländern in Not vollkommen selbstlos halfen.<br />

Auf dem Bahnsteig traf ich solch einen Menschen; einen<br />

jungen indischen Bahnangestellten vom Weltinteressenverband<br />

der Muscle-Monster, der aufgrund meiner nicht verhüllten Bizeps<br />

sofort Kontakt aufnahm. Nachdem ich ihm das Geheimnis<br />

meines Erfolges mitgeteilt hatte, kümmerte er sich sofort<br />

232


um unser Problem, und innerhalb kurzer Zeit hatten wir ein<br />

ganzes Abteil für uns alleine !<br />

Während der langen Fahrt lernten wir dann einen jungen<br />

freakigen Holländer kennen, der irgendwo an der afrikanischen<br />

Westküste aufgewachsen war, was man ihm auch anmerkte,<br />

wenn er sich über die Eingeborenen ausließ. Sag<br />

noch mal einer, Deutsche wären Rassisten !<br />

Irgendwo auf der Strecke, bei einem Zwischenstop, wechselten<br />

wir zusammen mit ihm von der zweiten in die erste<br />

Klasse; da der Zug immer voller wurde und uns einfach zuviele<br />

Leute auf die Pelle rückten. Das löste auch gleich wieder<br />

einen kleinen Volksauflauf aus, als der Schaffner draußen<br />

auf dem Bahnsteig unsere <strong>neu</strong>en Tickets präparierte und das<br />

Geld kassierte, denn es war etwas ungewöhnlich, daß ein<br />

paar abgerissen aussehende Gestalten wie wir locker die fünfzehn<br />

Mark pro Person hinblättern konnten, um sich diese<br />

Extravaganz zu leisten. Doch außer einem mehrfachen Preis,<br />

fast nur leeren Abteilen und tatsächlich funktionierenden<br />

Deckenventilatoren gab es eigentlich keinen großen Unterschied<br />

zur zweiten Klasse.<br />

In Gorakhpur verließen wir endgültig den Zug und stiegen<br />

nun um auf den Bus, mit dem wir nach Sonauli fuhren. Dort<br />

verbrachten wir die Nacht in einer Pension mit Mehrbettzimmer.<br />

233


Dann weiter Richtung Pokhara. Durch verschiedene negative<br />

Umstände am Grenzübergang mußte unser Busfahrer<br />

leider kapitulieren und stoppte spät nachts in einem kleinen<br />

nepalischen Dorf, wo wir vollkommen übermüdet bei Kerzenschein<br />

eine Bleibe für uns suchten und schließlich in einem<br />

windigen und noch dazu dreckigen Holzschuppen bei den<br />

Spinnen und Asseln übernachten mußten, bevor wir am Tag<br />

darauf die letzte Etappe mit dem Bus beendeten...<br />

234


Letzte Tage...


Rockys Notizen zufolge trafen wir am 8.3.1991 ziemlich<br />

durchfallgequält in Pokhara ein - nach über einem<br />

Monat akuten Bakterienbefalles waren wir der<br />

Verdauungshölle Indien entronnen und zurück in Nepal ! Wir<br />

hatten uns die Ruhe und Faulheit, zu der das subtropische<br />

Pokhara einlud, wahrlich verdient.<br />

Das westlich von Kathmandu in einem Tal gelegene Städtchen<br />

befindet sich in einer Höhe von <strong>neu</strong>nhundert Metern<br />

über Normalnull am fünf Kilometer langen Pheewa-See.<br />

Die überwiegend von Fußgängern und Radfahrern belebte<br />

Straße, die am See entlangführt, mit den vielen, vielen kleinen<br />

Wellblechshops und Restaurants, die Anfang der Siebziger Jahre<br />

ihre Arbeit aufnahmen und sich im Laufe der Zeit immer<br />

mehr auf die Bedürfnisse der MultiKulti-Konsumenten eingestellt<br />

haben, ist das Haupttouristengebiet Pokharas. Das Leben<br />

dort ist aber vollkommen anders als in Kathmandu -<br />

nicht so hektisch. Trekker und Bergsteiger nutzten seit eh und<br />

je die ruhige Atmosphäre, um sich von den selbstauferlegten<br />

Anstrengungen ihrer Unternehmungen zu erholen und den<br />

Bauch mit all den schmackhaften Gerichten vollzuschlagen.<br />

Dörthe und Rocky mieteten sich bei Bharat ein - einem<br />

der vielen Millionen `alter Bekannter´ von Rocky. Er besaß<br />

eine kleine Pension in der Nähe des Sees; recht hübsch gelegen,<br />

mit schönem umweltgerechtem tropischem Garten,<br />

Bananenstauden, etc., und die Leute waren echt nett.<br />

Die Zimmer hatten Lehmwände und -fußböden und waren<br />

recht einfach gehalten. Da ich aber damals der alleinigen Auffassung<br />

war, einer strapaziösen Diarrhöe-Forschungsreise müsse<br />

unbedingt und auf jeden Fall etwas mehr Komfort folgen,<br />

suchte ich mir ganz in der Nähe ein Doppelzimmer mit richtigem<br />

Teppichboden, Doppelbett, Schrank, viel Platz, Zimmer-<br />

235


Bharats Bananenstauden-Paradies<br />

Rechts meine bescheidene Hütte und geradezu die Küche<br />

236


service und Ungestörtheit. Ich hatte allerdings die Rechnung<br />

ohne den Wirt oder vielmehr den Verwalter der hiesigen<br />

Anlage gemacht, der mir in den nächsten Tagen ununterbrochen<br />

mit seinem unerbittlichen Wunsch in den Ohren lag,<br />

ihm doch bitte! bitte! einen Flug nach Deutschland, ins Land<br />

wo Milch und Honig fließen, zu spendieren oder mich zumindest<br />

um eine Aufenthaltsgenehmigung dort zu kümmern, da<br />

der `Arbeitsplatz Nepal´ in einer<br />

dicken Krise stecke, und so weiter<br />

und so fort.<br />

Nun könnte jemand meinen,<br />

heurio !, eine einmalige Gelegenheit<br />

eine Menge quälenden Mammons<br />

auf einen Schlag loszuwerden.<br />

Aber nein, ganz im Gegenteil<br />

ging mir der aufdringliche Typ mit<br />

der Zeit echt auf die Nerven !<br />

Ich war im Moment selber ohne<br />

geldbringende Beschäftigung - da<br />

hatte ich zuhause bestimmt ande-<br />

re Sorgen, als mich um die Probleme, zwar netter, aber<br />

doch vollkommen wildfremder Menschen zu kümmern.<br />

Diesen Zwiespalt versuchte ich diesem Uneinsichtigen auch<br />

zu vermitteln, doch halfen meine vorgebrachten Argumente<br />

von den endlosen Kolonnen vor den Arbeitsämtern wenig,<br />

denn es gab andere Leute unseres Landes, die ohne weiteres<br />

eine solche Bürgschaft übernahmen und die `guten Freunde´<br />

ins gelobte Land brachten. Alles Lüge !<br />

Was machten diese hilfreichen bürgenden Mitbürger eigentlich,<br />

wenn die Fremden - erstmal im Schlaraffenland - einfach<br />

abtauchten? Als Bürge verpflichtete ich mich doch, für den<br />

Lebensunterhalt des Schützlings und die Folgen seines Wir-<br />

237<br />

Suche Arbeit !


kens aufzukommen. Auch wenn ich mir den Flug hierher<br />

geleistet hatte und daher in Nepal schon als zu den Oberen<br />

Zehntausend zählte - soviel Verantwortung wollte ich nicht<br />

nicht übernehmen: ohne mich !<br />

Nichtsdestotrotz hatten wir viel Spaß in Pokhara. Wir mieteten<br />

uns entweder ein Boot und ließen uns in der Sonne<br />

aalend auf dem See herumtreiben, sonnten uns bei Bharat im<br />

Garten oder statteten einem anderen `Alten Bekannten´ mit<br />

Namen Deepak einen Besuch ab, der einen kleinen Getränke-Schuppen<br />

besaß und tierisch auf lange Haare, Bier und vor<br />

allem Hardrock abfuhr.<br />

Oder wir hingen in einem der vielen Cafes und Restaurants<br />

am See lustlos ab und genossen dort in Massen das köstliche<br />

Essen, wobei wir eines schönen Tages unter anderem einen<br />

jungen Russen kennenlernten, der nach dem Umbruch in der<br />

einstigen Sowjetunion mit nur zweihundert Dollar Taschengeld<br />

zu dem Abenteuer aufgebrochen war, den Himalaya für<br />

sich zu erobern. Die ganze Odyssee bis nach Nepal klang<br />

ziemlich spektakulär und verrückt.<br />

Zusammen mit einem Amerikaner enterte ich anderentags<br />

mit einem Boot das jenseitige Ufer des Phewa-Sees, um das<br />

dortige `wilde´ Land zu erkunden. Wegen einiger dampfender<br />

Kothaufen von vermeintlichen Bären im Gestrüpp des<br />

dichten `Urwaldes´ wurde mein Kollege aber sehr schnell<br />

unruhig. Daher brachen wir die Erforschung der unbändigen<br />

Natur frühzeitig ab und kehrten wieder zurück.<br />

238


Der Phewa-See in Pokhara...<br />

...lud ein zum Bootsausflug.<br />

239


In der Hauptsache aber nutzen wir die Zeit zur Beseitigung<br />

unserer immer noch unerträglichen Geldvorräte, die bei diesen<br />

Dumping-Preisen für Unterkunft und Verpflegung einfach<br />

nicht schrumpfen wollten.<br />

Daher beschlossen wir den radikalen Ausbau unserer Andenken-Warenlager<br />

und starteten eine erkleckliche Anzahl<br />

konjunkturfördernder Raff-Raubzüge in die Schattenwelt der<br />

trickreichen pokhrischen Souvenirdealer.<br />

Wir kauften z.B. händeweise der von Indianern in aller Welt<br />

geliebten blaugrünen Türkise, von denen Rocky, unsicher geworden,<br />

einige mit Hilfe eines Flammwerfers und Hammers<br />

in ihre Bestandteile zerlegte, da ihm jemand erzählte, die<br />

Dinger wären sowieso alle unecht - hergestellt aus gefärbtem<br />

Beton. Zu seiner bitteren Enttäuschung waren sie aber alle<br />

echt !<br />

Schädeldecken gemeuchelter Trekker und verzierte, satanisch<br />

blickende Affenschädel standen auf der Wunschliste, Ketten<br />

jeglicher Machart, Ringe, Gürtel, günstige grell gellende<br />

Cymbals und Bukschas - tibetische Musikinstrumente, alte vermottete<br />

Sherpa-Mützen, schnitzwerkverzierte Holz-kistchen<br />

mit Geheimverschluß, glitzernde Bergkristalle, rituelle Messer,<br />

Mandalas aus Messing und Yak-Knochen, mysteriös-ritueller<br />

Tand, usw.<br />

Zu guter Letzt ließ ich mir in einem Klamotten-Shop noch<br />

ein Paar exquisite China-Hemden aus robuster Baumwolle<br />

anfertigen; mit schräglaufender Knopfleiste und vielen Taschen.<br />

Leider war der Schneider kein Meister seines Faches und<br />

nicht in der Lage, zwei exakt gleiche Exemplare von seiner<br />

Schnittvorlage zu reproduzieren oder gar etwas von seinem<br />

`Tütenstil´ abzugehen, was mein Nervenkostüm ins Wanken<br />

brachte und ihn zusätzliche Arbeit kostete, um die Ware<br />

dem Bestellten anzupassen.<br />

240


Die Einkaufsmeile am Phewa-See mit dem Machapuchare im Hintergrund<br />

Wir bezahlten nicht immer mit Geld, sondern versuchten<br />

zusätzlich weitere Ausrüstungsgegenstände unter die Leute<br />

zu bringen, wie z.B. unsere Schlafsäcke, die ihren Zweck<br />

erfüllt hatten und nur noch unnötiges Gewicht darstellten.<br />

Ich hatte ziemliches Schwein und bekam schon beim dritten<br />

Versuch eine Handvoll schöner walnußgroßer Türkise<br />

dafür. Gekauft hatte ich ihn gebraucht für dreißig Mark - ein<br />

gutes Geschäft !<br />

Rocky wollte nun auch sein Glück damit versuchen und<br />

klapperte Tausende von Läden ab. Doch seine aufwendigen<br />

Schlafsackpräsentationen schlugen irgendwie nicht an, so daß<br />

er total entnervt bereits mit dem Gedanken spielte, sich ein<br />

Boot zu mieten, um in einer gigantischen Showeinlage sein<br />

Modell vor den Augen aller Händler im See zu versenken.<br />

Als die Schlafsack-Fachwelt davon hörte, kauften sie ihm<br />

das Teil doch lieber ab.<br />

Dann gibt´s da noch die Geschichte von den wirklich echten<br />

ich-schwöre-bei-meiner-Mutter-und-allem-was-mir-heilig-ist-<br />

241


Ausgefuchste Touristenjägerin im Anmarsch !<br />

Sea-Stones - deren echte Vertreter normalerweise einige hundert<br />

bis tausende von Dollar kosten - für n u r hundertfünfzig<br />

Rupies das Stück, die uns eine fliegende tibetische Händlern<br />

beim morgendlichen Frühstück andrehte, obwohl wir<br />

ganz eindeutig erkannten, daß die angebotene Ware zwar<br />

hübsch war, aber nur aus bemalter Keramik bestand.<br />

Dank unseres Sachverstandes und unserer bereits erprobten,<br />

äußerst geschickten Verhandlungstaktik bezahlten wir nur<br />

hammerharte hundertzwanzig Rupies pro Stück.<br />

Doch dann wurden wir blaß: woanders bekamen wir die<br />

schwarzen, weißverzierten `Steine´ schon für <strong>neu</strong>nzig Rupies,<br />

dann für sechzig, kurz darauf für dreißig und fünfzehn und<br />

schließlich schoß Rocky mit drei Rupies pro Stück den Vogel<br />

ab ! Für die langen Winterabende hatten die Händler, die<br />

noch nicht an ihren Lachkrämpfen erstickt waren, also wieder<br />

eine nette kleine Geschichte über zwei total bekloppte<br />

242


Individualtouristen zu erzählen, die sich wirklich jeden Mist zu<br />

jedem Wucherpreis andrehen ließen.<br />

D-I-E-S-E A-R-S-C-H-G-E-I-G-E-N !!!<br />

Gott, die Welt war ungerecht und schlecht...<br />

Beim nächsten Supersonderangebot eines erbsengroßen<br />

`superbrillianten Spezial-Brillianten´, mit dem man alle Gläser<br />

zerkratzen und mit Hilfe eines Steines Dellen in jede nur<br />

denkbare Münze schlagen konnte, wie der indische Freilufthändler<br />

demonstrierte, winkten die gebrannten Kinder äußerst<br />

vorsichtig geworden ab. So billig konnten einfach keine<br />

Edelsteine dieser Größe sein !<br />

Als Abschluß des vergnüglichen Pokhara-Aufenthaltes erkletterten<br />

wir in einem Tagesausflug stundenlang schwitzend<br />

einen Berg, auf dem der kleine Ort Sarankot thront.<br />

Auf dem Gipfel befand sich eine winzige Sendeanlage des<br />

Nepalischen Rundfunks und etwas tiefer gelegen drei, vier<br />

einfache Lodges und zwei `Restaurants´ - das war´s.<br />

Wir hatten vor, dort oben die Nacht zu verbringen und uns<br />

den Sonnenaufgang am nächsten Morgen anzugucken, daher<br />

mieteten wir uns in einer Lodge ein, aßen etwas zu Mittag,<br />

und dann startete ich einen Solotrip über die dicht bewaldeten<br />

Hügelketten.<br />

Dazu mußte ich aber erst einmal einen Hang hinunter, wobei<br />

mich ein Rudel touristengeiler Bluthunde, das in einem<br />

kleinen Dorf weiter unten seinen Dienst als Bewegungsmelder<br />

und Krachmacher verrichtete, aufmerksam taxierte und äußerst<br />

aufgeregt verbellte. Je tiefer ich kam, desto mehr näherten<br />

sich mir diese mit gefletschten Zähnen keifenden Beißer.<br />

Da blieb nur eins: Augen zu und durch !<br />

Ich hetzte den Rest hinunter und gleich auf der anderen<br />

243


Auf dem Weg nach Sarankot<br />

Oben auf dem Gipfel: Sarankot<br />

244


Das Phewa-Tal und links oben im Bild Pokhara<br />

Auf der anderen Seite von Sarankot der dunstverhangene Machapuchare<br />

245


In Sarankot hatten wir einen sogenannten Lichtblick !<br />

246


Seite wieder nach oben, und dann war ich vor den<br />

menschenfleischgeilen Viechern in Sicherheit.<br />

Es machte richtig Freude, auf den Hügelkämmen herumzulaufen,<br />

denn man hatte ein Superpanorama auf das Tal und<br />

über die angrenzenden Berge hinweg auf den gewaltigen<br />

Machapuchare, dessen Gipfel in der Ferne weiß leuchtete.<br />

Da die Sonne hemmungslos strahlte, suchte mir ein geeignetes<br />

Plätzchen und verbrachte den Rest des Tages mit dem<br />

alten Ritual des Sonnenanbetens, bis gegen Abend das Wetter<br />

schlechter wurde und mir ein Eingeborener, der des Weges<br />

kam, riet zurückzugehen.<br />

Nach dem Abendessen begannen dann der Lodgebesitzer,<br />

ein etwas japanisch sprechender Nepali, ein ausschließlich japanisch<br />

sprechender Japaner und ein englischstammelnder<br />

Deutscher, nämlich ich, sämtliche Biervorräte, die wir in die<br />

Finger kriegen konnten ihrer Bestimmung zuzuführen, während<br />

wir angeheitert, über alle Sprachbarrieren hinweg, verschiedene<br />

Themen der Weltpolitik erörterten.<br />

Meiner Sinne kaum noch mächtig fiel ich auf meiner Holzpritsche<br />

sehr spät ins Koma, aus dem ich um fünf Uhr morgens<br />

schon wieder erwachte: Wir wollten ja den Sonnenaufgang<br />

sehen !<br />

Haben wir dann auch. War schön.<br />

Dann frühstückten wir noch einmal und stiegen wieder hinunter<br />

ins Tal, wobei ich versuchte, es den Nepalis gleichzutun,<br />

die, über jede Angst umzuknicken erhaben, in einer affenartigen<br />

Geschwindigkeit die Berge hinunterrannten und -<br />

sprangen, was mit einiger Übung auch sehr gut klappte und<br />

unglaublichen Spaß machte.<br />

247


Nachdem wir uns über eine Woche lang in Pokhara breitgemacht<br />

hatten, fuhren wir mit dem Bus zurück nach<br />

Kathmandu.<br />

Die Straße Pokhara/Kathmandu galt als sehr gefährlich, denn<br />

immer wieder verwechselten sich manche Fahrer mit Rennprofis,<br />

ihre betagten Gefährte mit spurlagensicheren HiTec-<br />

Autos und die oft arg zerlöcherte Straße mit dem Nürburgring.<br />

Um nicht einem nachtblinden Intuitionsfahrer ausgeliefert<br />

zu sein, nahmen wir zwar extra den Frühbus, aber aus<br />

uns unbekannten Gründen gerieten wir trotzdem in die Dunkelheit,<br />

und erst spät nachts kamen wir in der Hauptstadt an.<br />

Viel Zeit blieb jetzt nicht mehr. Am Montag, den 25.3.1991<br />

flog unsere Maschine zurück nach Deutschland. War irgendwie<br />

ein komisches Gefühl nach etwas mehr als zwei Monaten<br />

in der Fremde, denn trotz allem waren Indien und Nepal<br />

eine zweite Heimat geworden.<br />

Rolf war auch schon wieder in Kathmandu und erzählte<br />

ausgelassen, daß er in der Zwischenzeit zusammen mit seinem<br />

Kumpel in Dharamsala und zum Zelten am Everest-Base-<br />

Camp gewesen wäre.<br />

Kathmandu war voller geworden, denn es hatte die Saison<br />

begonnen und viel mehr Touristen als im Januar drängten<br />

sich zu der Zeit in den mittelalterlichen Gassen.<br />

Unsere letzten Tage gingen so dahin, und jeder kümmerte<br />

sich mehr oder weniger um seinen Kram. Ich z.B koordinierte<br />

das Besticken meiner beiden China-Hemden; ließ meinen<br />

innig geliebten Kali-Silberring, der auf der langen Reise Schaden<br />

genommen hatte, reparieren und kaufte zusammen mit<br />

Rocky Singing Bowls in Patan. Rocky ließ sich einen Silberring<br />

schmieden, kaufte zusammen mit Dörthe und Rolf abgefahrene<br />

Sternkreiszeichen-T-Shirts und wäre beinahe im hiesi-<br />

248


gen Knast gelandet, denn: "zurück in Kathmandu drängte sich<br />

ein Problem auf: noch eine Woche bis zum Abflug, aber das<br />

Visum lief ab. Wir stokelten also zum Immigration Office, und<br />

da ich noch bank receipts hatte, die belegten, daß ich reichlich<br />

Geld auf legalem Wege getauscht hatte, war ich der Meinung,<br />

auf eben diese receipts auch ein Visum zu bekommen. Weit<br />

gefehlt!<br />

Der Kasper in der Office-Bude erkannte, daß ich besagte<br />

Summen vor der Indienreise getauscht hatte und erklärte die<br />

receipts für ungültig. Das brachte mich ziemlich in Rage. Ich<br />

verlangte den Boß zu sprechen, wir wurden ins Hauptquartier<br />

geführt, er hörte sich meine Beschwerde an und erklärte<br />

dann ebenfalls meine Zettel für null und nichtig.<br />

Die aufgeblasene Art des Quakfroschs machte mich noch<br />

stinkiger, ich redete mich immer mehr in `Gleich kracht's!´-<br />

Laune, ohne zu bemerken, daß der dritte Nachschreiber des<br />

ersten Vorschreibers bereits sämtliche verfügbaren Polizeiund<br />

Militärstreitkräfte des Landes zusammengerufen hatte,<br />

um dem augenscheinlich durchgedrehten Europäer mal ordentlich<br />

Dampf zu machen. Draußen auf der Straße bezog<br />

der erste Trupp Stellung, der zweite schlich sich in den Flur<br />

und verteilte sich im Gang. Ich hatte gerade mal mit der Faust<br />

auf den vor mir stehenden Schreibtisch gedonnert, da brüllte<br />

Quakfrosch los, die Schreiber gingen in Deckung, und innerhalb<br />

von Zehntelsekunden war die Bude voll mit Uniformierten,<br />

die voller Interesse ausprobierten, mit wieviel Leuten sie<br />

sich auf mich draufschmeißen konnten, bevor ich zusammenbrach.<br />

Da ich zu Beginn der Reise bereits den Knast von Kathmandu<br />

in Augenschein genommen hatte und zu der Erkenntnis gelangt<br />

war, daß eine Flucht von dort - trotz in die Hose genähter<br />

Sägebänder, Rasierklingen und ähnlicher kleiner Nützlich-<br />

249


keiten - aufgrund der regen, hochgradig bewaffneten und<br />

zeigefingernervösen Wachpostentätigkeit unter Umständen<br />

mit einigen Löchern in der Kleidung enden könnte, beschloß<br />

ich, irgendwelche Mißverständnisse gar nicht erst aufkommen<br />

zu lassen und den King Kong auf später zu verschieben.<br />

Erst mal raus und dann weitersehen.<br />

Mit holterdipolter ging es auf den Flur, und mit holterdipolter<br />

ging es wieder zurück: Ich hatte nämlich voller Entsetzen<br />

bemerkt, daß mein Reisepaß noch stempelbereit im Zimmer<br />

lag. Ohne Paß viel schlecht. Den brauchte ich. Also zurück<br />

durch den überraschten Haufen gewühlt, den Paß geschnappt<br />

und dann ohne anzuhalten bis zur Deutschen Botschaft, wo<br />

man mir sagte, daß ich ja wohl lange genug unterwegs sei,<br />

um zu wissen, daß ich hier mit `Es geht ums Prinzip!´ keinen<br />

Blumentopf gewinnen könne..."<br />

250


Motoradfahren in Nepal: Gebetsfahnen säumten ihren Weg und trotzdem...<br />

Vier Tage vor unserem Abflug beschlossen Rocky und<br />

Dörthe schließlich noch ein Motorrad zu mieten, um die Gegend<br />

damit unsicher zu machen. Doch die war bereits alles<br />

andere als sicher !<br />

Spät am Abend des gleichen Tages, gegen 22:00 Uhr rief<br />

mich der Herbergsvater des "Norbulinga Guest House" hinunter<br />

in die Rezeption und sagte, es wäre ein Anruf für mich.<br />

Rocky war am Apparat und erzählte was von einem Motorrad-Unfall,<br />

und er riefe aus dem Krankenhaus an. Ich sollte<br />

sofort vorbeikommen und ein paar Sachen mitbringen, da<br />

Dörthe ziemlich übel verletzt sei.<br />

Zuerst glaubte ich an einen bösen Scherz, aber ziemlich<br />

schnell war klar, daß das kein Spaß war. Ich erzählte den<br />

Leuten vom "Scala" was Sache war, und der Sohn des Chefs<br />

bot mir sofort an, mich mit dem Motorrad zu fahren. Auf<br />

251


düsteren Schleichwegen pesten wir durch eine von Lagerfeuern,<br />

Müll und Dreck bestimmte Endzeitkulisse zum heruntergekommen<br />

Bir-Hospital am Kanthi-Path.<br />

Die Fensterscheiben des großen und bestimmt einmal stattlichen<br />

Gebäudes waren entweder total schmierig oder zersplittert,<br />

und nicht nur draußen lag überall Müll herum. Es<br />

machte einen wirklich schlimmen Eindruck auf mich, und das<br />

Innere wirkte wie ein Feldlazarett aus dem Ersten Weltkrieg.<br />

Rocky wartete bereits auf mich, und zusammen gingen wir<br />

zu Dörthe, die unbeweglich auf einem fahrbaren Krankenbett<br />

lag. Sie konnte sich nicht bewegen, denn ihr 6. Halswirbel<br />

war glatt durchtrennt - ein klassischer Genickbruch - und<br />

der 7. Halswirbel war durch den Unfall herausgedrückt worden,<br />

hatte sich gedreht und verhakte sich in einer für Dörthe<br />

mißlichen Position zwischen seinen Kameraden, den Halswirbeln<br />

5 und 6.<br />

Mit ihrem Motorrad waren die beiden unvorhergesehenerweise<br />

in einen Trecker gerast. Rocky hatte bei dem Zusammenprall<br />

nur ein paar Kratzer abbekommen und Dörthe war<br />

zwar soweit auch ok gewesen, konnte sich aber vom Hals<br />

abwärts nicht mehr bewegen.<br />

Aus Angst vor der Polizei und bösen Geistern verschwand<br />

der Fahrer sofort von der Bildfläche und ließ sie allein auf<br />

weiter Flur. Dann erschien glücklicherweise ein Taxi, Rocky<br />

lud Dörthe ein, und über Stock und Stein ging es ab ins Krankenhaus.<br />

Dabei hatte sie wahrhaftig "mehr Glück als Verstand" gehabt,<br />

denn normalerweise durfte sie gar nicht bewegt werden !<br />

Wäre durch das Gerüttel das Rückenmark beschädigt oder<br />

gar durchtrennt worden, wäre sie für immer querschnittsgelähmt<br />

und im schlimmsten Falle sogar tot gewesen.<br />

252


Jetzt lag sie also dort und wartete voller Hoffnung auf eine<br />

skurrile metallene Kopfklammer, die ihr am nächsten Morgen<br />

um zehn Uhr eingesetzt werden sollte. Zum besseren<br />

Halt der Klammer waren ihr bereits zwei Löcher links und<br />

rechts in den Schädel gebohrt worden. Und so makaber das<br />

klingt, es gab leider nur eine einzige wundersame Klammer<br />

dieser speziellen Euro-Kopfgröße im gesamten asiatischen<br />

Raum, und an der hing zu diesem Zeitpunkt noch der vorgebohrte<br />

Schädel eines anderen Patienten mit ähnlichen Problemen.<br />

Also abwarten und Tee trinken. Rocky hielt Nachtwache<br />

und ich düste zurück ins Hotel.<br />

Als ich am nächsten Tag wieder im Krankenhaus erschien,<br />

lag Dörthe im versifften Großraumkrankenzimmer mit mindestens<br />

zwanzig anderen Kranken, und die mondsichelähnliche<br />

Klammer, die mit spitzen Enden, einer Zange gleich, in die<br />

Bohrlöcher griff, war bereits eingebaut.<br />

An der Klammer selbst war mit einer Schnur, die über eine<br />

Rolle am Kopfende des Bettes lief, ein Sandsack befestigt, der<br />

den Schädel parallel zum ausgestreckten Körper nach hinten<br />

zog. Dörthes restlicher Körper war mit Riemen am Bett fixiert<br />

- also etwa sowas wie - hallo Mittelalter! - eine Art<br />

Streckbank.<br />

Die Ärzte hofften, daß durch diese simple Methode der aus<br />

der Reihe getanzte Wirbel total eingeschüchert zurück in seine<br />

ursprüngliche Position sprang. Was er aber leider nicht<br />

vorhatte, wie wir erst einen Tag später erfuhren.<br />

Weil Dörthe auch Schmerzen am Unterleib hatte, beschlossen<br />

die Ärzte, sie in der Zwischenzeit etwas zu röntgen.<br />

253


Wie das Kranke(n)haus selber, so stammte aber leider auch<br />

das fahrbare Röntgengerät noch aus den Wirren des Ersten,<br />

zumindest aber des Zweiten Weltkrieges, wo es wohl als<br />

geheime Strahlenwaffe seinen Dienst getan haben mag:<br />

Um die durch den Körper gejagten X-Strahlen, die das Innere<br />

nach Außen kehren, wieder einzufangen, bevor sie die<br />

unter der Patientin befindliche Bettwäsche zu Asche verbrannten,<br />

mußte eine Filmplatte unter ihrem Becken positioniert<br />

werden, und dazu mußten vier Freiwillige Dörthe vorsichtig<br />

anheben, während der bereitstehende Arzt seine Aufgabe als<br />

`Diskjockey´ vorzüglich erledigte.<br />

Nachdem jener "Koloss von Röntgen" über dem geschundenen<br />

Körper ausgerichtet war, legte der zuständige Hausfotograf<br />

die verwitterte schwere und strahlenundurchlässige Bleischürze<br />

an und brachte sich schleppenden Schrittes mit der<br />

Kabelfernbedienung in fünfhundert Metern Entfernung in Sicherheit.<br />

Die ihm zugeteilten dreitausend Komparsen jeglichen<br />

Geschlechts tatens ihm gleich, hechteten hinter den<br />

schürzentragenden Strahlenbunker auf zwei Beinen und warteten<br />

sich totstellend, stocksteif in einer langen Reihe, bis das<br />

elektrische Brummen, der helle Lichtblitz und die Erschütterungen<br />

abgeebbt waren.<br />

Das Foto ergab: nichts gebrochen, aber ein Rückenmuskel<br />

gerissen - sonst nur Quetschungen und Strahlenschäden !<br />

Während all dieser Vorgänge hatten andere mundartlich<br />

verwandte Mitmenschen, die in Kathmandu lebten oder arbeiteten,<br />

von dem Unfall erfahren und kamen nun zuhauf,<br />

um ihre Hilfe anzubieten oder, wie im Falle einer Architektengattin,<br />

regelmäßig Essen zu liefern.<br />

Rocky, Rolf und ich hielten nun abwechselnd Wache am<br />

Bett von Dörthe, damit Rocky all die Dinge erledigen konnte,<br />

254


die nun getan werden mußten und nichts Unvorhergesehenes<br />

eintrat, wie z.B. unfreiwillige Lobotomie. Denn Dörthes<br />

Lieblingsarzt wurde kurzerhand vom mächtigeren Oberarzt<br />

ausgeschaltet. Dieser <strong>neu</strong>e Onkel Doktor äußerte auch sofort<br />

den zwanghaften Wunsch zu einem operativen Eingriff.<br />

Das wiederum ließ Rocky den ganzen Wahnsinn der <strong>neu</strong>en<br />

Situation erst erkennen, und die Panik kam hoch.<br />

Dörthe operieren ? Hier ? In dem Dreck ?<br />

Niiiiiiieeeeeemmmmmmaaaaaalllllllssssssss !!!!<br />

Zur Botschaft, Anruf in Deutschland, Eltern sind entsetzt,<br />

Keine Operation ! Die Mühlen begannen zu mahlen und<br />

Dörthes Eltern standen bald in Verhandlung mit dem<br />

nepalischen Arzt Dr.Rana, der in Deutschland praktizierte.<br />

Demnach blieb erstmal nichts weiter zu tun, als zu abzuwarten...<br />

Die letzte Rechnung vom "Norbulinga Guest House"<br />

255


Inzwischen war der dritte Tag gegangen und der Zeitpunkt<br />

meines Rückfluges gekommen. Ein letztes Mal suchte ich Rokky<br />

und Dörthe im Krankenhaus auf, um ihnen die restlichen<br />

Medikamente, Vitamin- und Mineraltabletten und sonst Nützliches<br />

dortzulassen.<br />

Was weiter passierte erzählte mir Rocky später:<br />

"Dr.Rana stand nach mehreren Telefonaten in Verbindung<br />

mit Dörthes Eltern und erklärte Ihnen, sie sollten ihm die<br />

Röntgenbilder zukommen lassen, er wolle dann seinen Kollegen<br />

in Kathmandu erklären, wie sie zu operieren haben. er<br />

bekam diese Bilder einige Tage später über Lufthansa.<br />

In der Zwischenzeit ging es Dörthe immer schlechter, es<br />

kam zu Lähmungserscheinungen; sie konnte das rechte Bein<br />

nicht mehr bewegen, dann den linken Arm.<br />

Als Dr.Rana die Bilder in Augenschein genommen hatte,,<br />

erkannte er, daß die Kathmandu-Ärzte mit diesen Komplikationen<br />

nicht fertig werden würden; er telefonierte mit Christine,<br />

kündigte sein umgehendes Kommen an, setzte sich<br />

Karfreitag in den Flieger, kam Samstag an und operierte<br />

Samstagabend. Vier Tage später konnte Dörthe das erste<br />

Mal wieder aufstehen.<br />

Eins ist klar: Nach diesen 2 Wochen war nichts mehr wie<br />

vorher. Ich habe noch nie so viele Leute in so kurzer Zeit<br />

sterben sehen - die haben sich teilweise totgeschrien. ich bin<br />

nachts aufgewacht, weil jemand aufgehört hatte zu schreien,<br />

so sehr hatte ich mich an den Lärmpegel gewöhnt.<br />

Ich habe mal gezählt: es waren zwischen 50 und 60 Schwerverletzte,<br />

je nachdem, wieviele im Laufe der Zeit so wegstarben,<br />

denn regulär entlassen worden ist in den 2 Wochen,<br />

die wir dort lagen, keiner. Dazu kamen dann die Angehörigen,<br />

die Ihre Kranken versorgten, denn Krankenschwestern<br />

o.ä.waren nahezu Fehlanzeige. Ohne Christine Hoffmann, die<br />

256


Nach der Operation<br />

deutsche Krankenschwester, die dort schon seit Jahren arbeitete<br />

und den Betrieb bestens kannte, wären wir sehr schnell<br />

am Ende gewesen. Sie hat übrigens auch die Klammer für<br />

Dörthe besorgt."<br />

Mein Flug zurück nach Deutschland dauerte ewig lange.<br />

Zuerst flog die Maschine wie gehabt nach Dhaka in Bangladesh,<br />

das wir einige Stunden später wieder verließen. Aber nicht<br />

etwa Richtung Athen, wie üblich, sondern erstmal nach Dubai<br />

in die Vereinigten Arabischen Emirate, wo ein großer Teil<br />

der Bomberstaffeln der Alliierten Streitkräfte in der Wüste<br />

257


aufgereiht stand. Der Krieg gegen Sadams Streitkräfte war<br />

noch nicht zu Ende !<br />

Dort in Dubai wieder zwei, drei Stunden Aufenthalt. Dann<br />

weiter nach London, zwei Stunden Aufenthalt. Von da nach<br />

Hamburg und schließlich landeten wir nach 24 Stunden Flug<br />

in Frankfurt. Ich war wirklich fix und alle ! Da muteten die<br />

noch vor mir liegenden zehn Stunden Bahnfahrt geradezu<br />

lächerlich an.<br />

Am Mittwoch, den 27.3.1991 kam ich zuhause an. Zwar<br />

fünf Kilo leichter, mit miesem Durchfall, Kreislaufproblemen<br />

und zermalmten Zähnen - aber ich war zuhause.<br />

Ich fühlte mich so mies, daß ich erstmal in mein Bett fiel<br />

und zwei Tage kräftigst ausschlief.<br />

Dann mußte ich mich schon wieder bei meinem Bekannten<br />

Jochen melden, der mir vor dem Abflug eine Anstellung<br />

in seinem Computerladen zugesichert hatte. Das Arbeitsamt<br />

wollte mich sehen, und ich hatte versprochen, die Eltern von<br />

Dörthe anzurufen, um einen kurzen Abriß über die Situation<br />

in Nepal zu geben. Das tat ich dann auch ein oder zwei Tage<br />

später. Doch war in der Zwischenzeit alles am Laufen, wie<br />

ich hörte.<br />

Zum Zahnarzt wollte ich in der nächsten Woche, doch<br />

bereits am Wochenende zerplatzte mir fast der Schädel, als<br />

ich beim Essen zu stark zubiss. Auch die extra-starken<br />

Schmerzblocker, von denen ich mir in der Nacht zum Sonntag<br />

eine ganze Packung zuführte, halfen nichts, und so mußte<br />

ich zum Notdienst, der versuchte den Zahn zu retten. Doch<br />

die Schmerzen ließen und ließen nicht nach, und in der kommenden<br />

Woche machte mir mein Hauszahnarzt die traurige<br />

Mitteilung: "Zwei Zähne müssen gehen..."<br />

258


Da sich den Würzelchen nicht auf die Schnelle beikommen<br />

ließ und sich zu meinem immer noch angeschlagenen Zustand<br />

der Geschmack des aus der Wunde `hervorsprudelnden´<br />

Blutes gesellte, fiel ich zum allgemeinen Entsetzen auch<br />

noch in Ohnmacht und mußte mit Frischluft wiederbelebt<br />

werden. Ich sollte mich erstmal erholen und wurde mit dem<br />

letzten im Kiefer verbliebenen Wurzelrest nach Hause geschickt.<br />

Wegen des Durchfallproblems war ich nicht sofort zum<br />

Arzt gegangen, und deswegen bekam ich noch andere Probleme:<br />

Auf dem Weg in den Computerladen verlor ich eines<br />

Tages im Bus die Besinnung, rutschte vom Sitz und schlug<br />

sehr zum Schrecken der Fahrgäste laut scheppernd mit dem<br />

Gesicht auf dem Boden auf. Der Einlieferung ins Krankenhaus<br />

durch den Busfahrer konnte ich gerade noch entgehen.<br />

Aber einem Besuch beim Arzt war ich nun nicht mehr abgeneigt,<br />

denn ich hatte echt Angst um mein Leben.<br />

Dauernd grummelte und piekste es in meinem Gedärm<br />

und mir schwindelte. In langwieriger Medikamenten-Behandlung<br />

wurde schließlich meine durcheinandergewirbelte Darmflora<br />

wieder auf Vordermann gebracht, und ich schwor mir,<br />

beim nächsten Mal sofort zum Arzt zu gehen.<br />

Nach der erfolgreichen Operation kamen Dörthe und Rokky<br />

im April zusammen per LUFTHANSA-Maschine zurück<br />

nach Deutschland.<br />

Sie waren gezwungen die Fluggesellschaft zu wechseln, weil<br />

BIMAN-Airlines keine Möglichkeit bot, Sitzreihen umzubauen,<br />

damit die Patientin liegend transportiert werden konnte.<br />

Was wiederum unerwartete Probleme mit der Fluggesellschaft<br />

BIMAN aufwarf, da die sich dummerweise weigerte,<br />

259


den nicht in Anspruch genommenen<br />

Rückflug zu erstatten.<br />

Dörthe kam ins Rehabilitationszentrum<br />

nach Stuttgart, wo<br />

sie wieder laufen lernte und<br />

sich darüber Gedanken machte,<br />

welchen Beruf sie in Zukunft<br />

ausüben wollte, denn<br />

ihre Karriere als Sportlehrerin<br />

konnte sie an den Nagel hängen.<br />

Der Hochzeit mit Rocky<br />

stand jedoch nichts im Wege<br />

und am 18.07.1991 gaben sie<br />

sich in Betzendorf das JA-<br />

Wort. Das Ereignis wurde mit<br />

allen Freunden überschweng- Der rettende Schnitt...<br />

lich gefeiert und Bharat, Dr.<br />

Rana, der deutsche Botschaftssekretär aus Kathmandu Horst,<br />

die Krankenschwester Christine, Renate und André und andere<br />

Persönlichkeiten gratulierten dem glücklichen Paar und<br />

wenn sie nicht gestorben sind...<br />

Das war in kurzen und knappen Zügen die folgenreiche<br />

Geschichte einer turbulenten Asien-Reise anno 1991...<br />

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