Mergler,M. – Indianepalis neu
Mergler,M. – Indianepalis neu
Mergler,M. – Indianepalis neu
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...mit<br />
Bus und Bahn<br />
durch<br />
Desaster-Area<br />
Michael <strong>Mergler</strong><br />
<strong>Indianepalis</strong> von
Text, Layout................... Michael <strong>Mergler</strong><br />
Fotos............................... M.<strong>Mergler</strong> & W.Geppert<br />
Lektorat....................... Winfried Geppert<br />
Druck........................ Xerox<br />
Bindung.................. Xerox<br />
Auflage........... 2./50 Stück<br />
Dieses Buch wurde in Eigeninitiative<br />
hergestellt.<br />
Nachfragen,<br />
Kritiken oder Bestellungen<br />
bitte richten an:<br />
Michael <strong>Mergler</strong><br />
Brettnacher Str.18<br />
14167 Berlin<br />
Tel. 0177 - 293 36 98<br />
(C)1996 Alle Rechte bei Michael <strong>Mergler</strong> - BERLIN
Kapitel-<br />
Verzeichnis<br />
Vorgeschichte 1 - 24<br />
Kathmandu 25 - 70<br />
Varanasi 71 - 114<br />
Gangotri 115 - 162<br />
Jaisalmer 163 - 206<br />
Pushkar/Agra 207 - 234<br />
Letzte Tage... 235 - 260
In Ewiger Erinnerung<br />
an meine malträtierten Füße,<br />
Hunger, Kälte, Durchfall<br />
und eine einsame Flasche Sonnenmilch<br />
irgendwo im Himalaya,<br />
widme ich dieses Buch<br />
dem unbekannten Peanut-Yogi in Gangotri<br />
und all jenen, die uns auf unserem Trek<br />
aus der Not geholfen haben.
Vorgeschichte
1<br />
Übersetzung nächste Seite
Hey Man!<br />
2<br />
Pokhara, 25.12.89<br />
Wenn Du mal irgendwann irgendwie für<br />
länger reisen willst, dann kann ich Dir Nepal<br />
empfehlen. Wahnsinnsessen für wenig Geld,<br />
Wohnen kostet 1.- am Tag, die Leute total nett,<br />
und man kann hier den ganzen Schrott verkaufen,<br />
den man zu Hause nicht mehr braucht<br />
- alte Sachen, kaputte Turnschuhe, zerfledderte<br />
Bücher, "Werbegeschenk"-Uhren, etc etc. Hier<br />
wird mit allem gehandelt, nur um zu handeln;<br />
total abgefahren. Die Landschaft ist voll abgedreht,<br />
hier in Pokhara angenehm warm, und<br />
die Bergspitzen des Himalaya sind nur 30 Km<br />
Luftlinie entfernt.<br />
Allerdings: Um ins Annapurna-Base-Camp zu<br />
kommen, war ich fast eine Woche unterwegs.<br />
Hier kommt man nur zu Fuß vorwärts, über<br />
uralte Steintreppen kilometerlang (!) bergauf<br />
und bergab, wie in einem Fantasy-Film. Ich<br />
melde mich, wenn ich wieder zurück bin.<br />
Rocky
Im Sommer 1990 rief mich Rocky, alias Winfried Geppert,<br />
an, erzählte mir von seiner geplanten zweiten Nepal-/<br />
Indienreise, die er zusammen mit seiner langjährigen<br />
Freundin Dörthe unternehmen wollte, und bot mir während<br />
unseres Gespräches an, bei der von Januar bis März 1991<br />
dauernden Tour mit von der Partie zu sein.<br />
Wer träumte nicht von wilden Abenteuern in fernen, exotischen<br />
Ländereien außerhalb der europäischen Bannmeile ?<br />
Meine Begeisterung jedenfalls kannte keine Grenzen. War<br />
ich doch froh, endlich diesem elenden Alltag eines <strong>neu</strong>rotischen<br />
Großstadtbewohners entfliehen zu können. Seit zehn<br />
Jahren wurde ich durch berufliche Interessen oder finanzielle<br />
Notstände daran gehindert, überhaupt zu verreisen. Mein damaliger<br />
Arbeitgeber, die Firma ESOTRONIC COMPUTER, hatte<br />
glücklicherweise nichts gegen meine ausschweifenden Reisepläne<br />
einzuwenden, und so war die Sache für mich geritzt.<br />
Weil Nepal und Indien in jeder Hinsicht außergewöhnliche<br />
Länder darstellen - speziell was die Hygiene betrifft -, Rocky<br />
und ich in Indien auch trekken gehen wollten, versorgte er<br />
mich erst einmal mit Informationen, welche vorbereitenden<br />
Maßnahmen ich einzuleiten hatte.<br />
Da war zum einen die körperliche Fitness. Unabdingbar für<br />
den geplanten Trekking-Abstecher nach Gaumuk im nordindischen<br />
Himalaya, wo auf dreieinhalbtausend Metern Höhe<br />
eine der heiligen Quellen des Ganges entspringt. Ich wurde<br />
angehalten, Beinmuskeln und Kondition entsprechend zu trainieren.<br />
Dann die medizinische Seite. Es kann sich ja niemand vorstellen,<br />
gegen welche Krankheiten man gewappnet sein muß,<br />
um in diesen Gegenden der Dritten Welt den drängenden<br />
3
Grundbedürfnissen wie Essen oder Trinken nachgeben zu<br />
können, ohne gleich in einem Forschungslabor der westlichen<br />
Welt als hochsensibler Versuchsnährboden für längst als<br />
ausgerottet geltende hyperaktive Bakterienkulturen zu enden.<br />
Besondere Vorsorge war also zu treffen gegen Krankheiten<br />
wie Cholera, Dyphtherie, Hepatitis, Poliomyelitis, Tetanus,<br />
Tuberkulose.<br />
Die Reiseapotheke enthielt entsprechende Mittelchen gegen<br />
weitere Schweinereien wie Augenentzündungen, Zerrungen,<br />
Erkältungen, Hals-, Zahn- und sonstige Schmerzen,<br />
offene Wunden, Malaria und den obligatorischen D u r c hf<br />
a l l sowie einige Einwegspritzen mit Einwegkanülen, Elastische<br />
Binden, Mineral- und Vitamintabletten, Traubenzucker,<br />
Sonnenschutz, Desinfektionsmittel, verschiedene Antibiotika<br />
und Micropur zur Trinkwasseraufbereitung.<br />
Die Ausrüstung bestand aus einem kälteunempfindlichen<br />
Bundeswehrschlafsack für kälteunempfindliche Grenzgänger,<br />
einem selbstgefertigten Leinenschlafsack aus Baumwolle, einem<br />
Traginnengestellbilligrucksack, zwei Zeltplanen, einer mit<br />
tausenden von Taschen übersäten, robusten Armyhose, Jakke,<br />
Bauch-Geldgurt, Moskitonetz, zwei Holzkohle-Taschenwärmern,<br />
Taschenmesser, Badelatschen, Wasserfiltergerät und<br />
Wassersack, alten T-Shirts, Sweaters, Aufschneider-Sonnenbrille,<br />
Weltempfänger, Feuerzeug, einer vietnamgetesteten<br />
Army-Umhängetasche für Kleinkram, einem massiven 1KG-<br />
Sicherheitsvorhängeschloß und einem Paar Springerstiefel für<br />
unter hundert Mark.<br />
Ergänzt wurde das ganze durch eine klitzekleine knuddlige<br />
Kleinbildkamera Olympus XA, die mir mein Bruder Kai billig<br />
überließ, zehn Farbfilme dafür, eine Tube RAI-Waschmittel,<br />
Zahnpflegeset, Handtücher, Seife, wirksames hautverätzendes<br />
4
Mückenschutzmittel, eine Auswahl Paßfotos, eine Handvoll<br />
Visitenkarten zum Angeben sowie einer Tonne Toilettenpapier<br />
- zum Schutz gegen Feuchtigkeit eingeschweißt in<br />
Gefrierbeutel.<br />
Das zur Einreise benötigte Single-Visum für Nepal im Supersonderangebot<br />
für nur <strong>neu</strong>nunddreißig Mark - inklusive Mehrwertsteuer<br />
-, sollte ich mir bereits in Deutschland beim "Königlich<br />
Nepalesischen Generalkonsulat" in München besorgen.<br />
Zwar war dieses auch in Kathmandu direkt auf dem Flughafen<br />
erhältlich und das sogar für die Hälfte, aber nicht auszuschließen,<br />
daß einen ein schlechtgelaunter Zollbeamter dieser<br />
politisch unruhigen `Bananenrepublik´ abblitzen ließ und<br />
unverrichteter Dinge auf die Heimreise schickte.<br />
Sicher war sicher !<br />
Doch zuallererst mußte ein internationaler Reisepaß her,<br />
denn zur Beantragung des begehrten Visums sollte dieser,<br />
zusammen mit zwei Paßfotos <strong>neu</strong>eren Datums, dem ausgefüllten<br />
Antrag, einer Bankbürgschaft über zweihundert Mark<br />
je in Nepal verbrachter Woche, einem Verrechnungsscheck<br />
in Höhe der Bearbeitungsgebühr und frankiertem Rückumschlag<br />
dem in Bayern beheimateten Konsulat zugesandt werden.<br />
Kein Problem für die deutsche Bürokratie: innerhalb von<br />
lächerlichen 8 Wochen war ich stolzer und international anerkannter<br />
Besitzer eines Passes der Europäischen Gemeinschaft<br />
und konnte als solcher weitere Schritte in die Wege<br />
leiten.<br />
Während ich auf meine abgestempelten Reisepapiere wartete,<br />
beschäftigte ich mich ausgiebig mit angebotenen Flügen<br />
und Flugrouten, die mich zum Ziel führen konnten, verwarf<br />
5
dabei die überteuerte deutsche LUFTHANSA und ebenso die<br />
Dumping-Offerte der russischen AEROFLOT(T) - die sogar<br />
schon das Fliegen zu einem wirklichen Abenteuer machte -,<br />
da ich mein Leben nicht in einem fliegenden Schrotthaufen<br />
beenden wollte und entschied mich schließlich für die bengalische<br />
Fluglinie BIMAN-AIRLINES, deren Maschinen vom Typ<br />
DC-70 angeblich die LUFTHANSA wartete.<br />
Der Preis konnte sich sehen lassen: DM 1490.- für den<br />
Hin- und Rückflug von Frankfurt mit Zwischenstop in Dhaka,<br />
der Hauptstadt von Bangladesh. Brauchte ich also noch eine<br />
Bahnkarte, die mit DM 162.- zu Buche schlug. Somit waren<br />
alle wichtigen Vorbereitungen abgeschlossen, und ich konnte<br />
gelassen in die Zukunft sehen.<br />
Rolf, ein ehemaliger Klassenkamerad, langjähriger `Freund´<br />
und Lebenskünstler, hörte von dem geplanten Asientrip und<br />
verspürte ebenso den unbändigen Drang, den entnervenden<br />
städtischen Einflüßen zu entkommen. Rocky und Dörthe hatten<br />
keine Einwände, und so beschäftigte sich auch Rolf in der<br />
Folgezeit mehr oder weniger mit Reisevorbereitungen.<br />
Rocky, der gerade sein Germanistik/Sport-Studium beendet<br />
hatte und noch auf keiner Arbeitsstelle verplant war, reiste<br />
bereits im November alleine nach Kathmandu, der Hauptstadt<br />
des anvisierten asiatischen Königreiches, trainierte im<br />
"Nepal Bayam Mandir" und bei der "Nepal Boxing Association"<br />
im Stadion von Kathmandu, um für seinen Freundschaftskampf<br />
mit Mike Tyson fit zu sein, der später leider aus ungeklärten<br />
Gründen abgesagt wurde, absolvierte verschiedene<br />
Treks in Pokhara und Umgebung und versorgte uns Zuhausegebliebene<br />
per Luftpost mit nötigen Infos, wie: "...sieh´Dir<br />
nochmal den Blade Runner an, damit Du Dir in etwa vorstel-<br />
6
len kannst, was hier auf den Straßen abgeht, wenn´s dunkel<br />
ist ! Absolute Oberhärte, sieht irre aus, aber völlig harmlos.<br />
Überall Händler, Musik, Feuer und Bumm ! fällt auf einmal<br />
der Saft aus, und alles steht im dunkeln, und es wird richtig<br />
gemütlich..." oder etwa "Bereite Dich schon auf die Taxifahrt<br />
vom Flughafen nach Kathmandu vor ! Verbinde Rolf die Augen,<br />
stell´die Musik volle Lautstärke, die Hupe auf Dauerton,<br />
und dann mit 140 Sachen den Ku´Damm rauf und runter -<br />
natürlich nicht auf der Straße, sondern auf dem Bürgersteig !"<br />
Dörthe wollte am 7.Januar hinterherfliegen, und Rolf und<br />
ich buchten unseren Flug zum 14.Januar 1991.<br />
Je näher aber der Termin rückte, desto mehr überschlugen<br />
sich die Ereignisse, und wenn man abergläubisch gewesen<br />
wäre, hätte man glauben können, irgendetwas wollte<br />
einem die Reise vergraulen:<br />
Im Oktober trennte sich meine damalige Freundin Marina<br />
von mir, am 12.11.1991 erhielt ich von der Fa. ESOTRONIC<br />
meine fristlose Kündigung, und im Dezember stellten die Amis<br />
dem irakischen Diktator Sadam Hussein, der mit seinen Truppen<br />
im Reichtum-Scheichtum Kuwait einmarschiert war, um<br />
den dort lebenden Machos in Morgenmänteln etwas Öl zu<br />
klauen und - ganz nebenbei - Israel ein bißchen mit russischen<br />
Scud-Raketen bombadierte, ein ultimatives Ultimatum, das<br />
am 15.Januar auslaufen sollte.<br />
Das Problem dabei: fanatische Muslime der gesamten Welt<br />
schlugen sich dank geschickter Propaganda auf Sadams Seite,<br />
der mit einem "Hatschiii" den `Heiligen Krieg´ ausrief und<br />
allen ihm bekannten Teufeln in Menschengestalt in allen ihm<br />
bekannten Galaxien die Eier abschneiden und gut durchgebraten<br />
zum Frühstück verspeisen wollte.<br />
7
Seine bis zum Äußersten entschlossenen Generäle versprachen<br />
ihm dabei zu helfen.<br />
In Erwartung blutigster Vergeltungsterroranschläge wurde<br />
allen schweinefleischverarbeitenden, schweinefleischverzehrenden<br />
und schweinischen Reisenden, sowie reisenden<br />
Schweinen und insbesondere denen, die Teufel oder ähnlich<br />
hießen, geraten, die bösen, bösen moslemischen Staaten<br />
zu meiden, da gar niemand für unbeschädigte Eier garantieren<br />
konnte.<br />
In den Nachrichten hörte man, daß die selbsternannten Guten,<br />
die `weltverbessernden´ Amerikaner, bereits sämtliche<br />
Flüge ihrer Landsleute über Moskau umleiteten. Internationale<br />
Kampfeinheiten wurden in den Vereinigten Arabischen<br />
Emiraten zusammengezogen. Endzeitstimmung - das konnte<br />
sich zu einem größeren Krieg ausweiten. Und Bangla Desh,<br />
wo wir am 15. Januar einen Tag Aufenthalt hatten, war zu<br />
zwei Dritteln moslemisch.<br />
Ich hatte jedoch bereits eine Menge Geld investiert und<br />
mich schließlich lange genug auf die Reise gefreut, daher gab<br />
es kein Zurück mehr - trotz Einwänden aus dem Freundeskreis.<br />
Da ich nun arbeitslos war und mich eventuell während<br />
meiner Abwesenheit beim Arbeitsamt melden mußte, beauftragte<br />
ich meinen alten Freund Lutz, wenn nötig knallhart<br />
meine Unterschrift zu fälschen, denn das Geld vom Arbeitsamt<br />
benötigte ich auf alle Fälle zur Deckung der in Deutschland<br />
weiterlaufenden Kosten. Anfang Januar nahm ich dann<br />
die letzten Termine beim Arzt und Zahnarzt wahr und fieberte<br />
dem Abflugtermin entgegen...<br />
8
Am Montag, dem 14.Januar schließlich, gegen 22:30 Uhr -<br />
eine halbe Stunde zu spät -, holte mich unser Privat-Chauffeur<br />
Daniel mit meinem Gepäck zuhause ab, und dann düsten<br />
wir von Zehlendorf im gestreßten Sauseschritt zur Wohnung<br />
von Rolf irgendwo in Tiergarten. Dort angekommen stellte<br />
ich mit Widerwillen fest, daß mein Reisegefährte anscheinend<br />
ganz andere Vorstellungen von einer supergeilen Abenteuerreise<br />
in den geheimnisumwitterten Himalaya hatte. Da er<br />
nicht nein sagen konnte, war er einem feuchtfröhlichen Abschiedsumtrunkextremgelage<br />
zum Opfer gefallen. Sturzbesoffen<br />
lallend hing er auf seiner Couch, war kaum in die<br />
Gänge zu bringen und hatte sein Gepäck noch nicht fertig<br />
gepackt.<br />
Es fing ja gut an !<br />
Ich war stinksauer, denn viel Zeit blieb nicht mehr, um<br />
unseren Zug Richtung Frankfurt zu erreichen, und ich mußte<br />
vorher unbedingt noch Geld vom Geldautomaten abheben.<br />
Seine Südtiroler Freundin Monika, die ebenfalls mit uns fuhr,<br />
um von Frankfurt aus weiter in ihr Heimatdorf zu reisen,<br />
packte schnell seine Klamotten zusammen, dann schleppten<br />
wir die halbtote Schnapsleiche ins Auto, und ab ging´s zum<br />
Bahnhof Zoo.<br />
Glücklicherweise trafen wir dort noch rechtzeitig genug<br />
ein, stürmten den Zug und fanden sogar ein Abteil für uns<br />
alleine, wo wir es uns die nächsten zehn Stunden gemütlich<br />
machen konnten. Denn so lange sollte die wenig aufregende<br />
Reise auf dem Schienenwege bis nach Frankfurt dauern, deren<br />
überwiegenden Teil wir im Schlafe dahindämmerten.<br />
Trotzdem wurde uns gewahr, das Rolfoholics des Nachts,<br />
unartikulierte Würglaute von sich gebend, wie etwa "ürgmbh,<br />
ürgmbh, üührll !", hastigst die Toilette frequentierte und diese<br />
9
während seines Besuchs mit säuerlich riechenden und ein<br />
wenig vorverdauten Speiseresten bestrahlte.<br />
Danach fühlte sich Lebemann Rolf schon sichtlich besser<br />
und reagierte wieder auf seine Umgebung. So erfuhr ich auch<br />
endlich, daß er es weder für nötig befunden hatte, eine<br />
Reisekrankenversicherung für mich abzuschließen, wie wir es<br />
laut mündlicher Absprache ausgemacht hatten, noch mich<br />
früh genug davon zu unterrichten, so daß ich nun ziemlich<br />
blöd dastand. Ihm schien das auch vollkommen scheißegal zu<br />
sein, denn auf seinen Namen war bereits eine Versicherung<br />
abgeschlossen.<br />
Dieses gottverdammte Arschloch ! Warum hatte ich mich<br />
bloß auf ihn verlassen ? Ich bereute in diesem Moment wirklich<br />
bitterlich, mich um Medikamente, Visa, Bahn- und Flugtikkets<br />
für uns beide gekümmert zu haben.<br />
Mit <strong>neu</strong>nzig Minuten Verspätung fuhr unser Zug gegen 11:30<br />
Uhr im Frankfurter Hauptbahnhof ein, und so blieb wenigstens<br />
noch etwas Zeit bis zum Abflugtermin um 14:25 Uhr.<br />
Ich bestand weiterhin darauf, daß Rolf seinen Teil der Vorarbeit<br />
leistete und sich um meine Reisekrankenversicherung<br />
kümmerte. Da er mir jedoch unmißverständlich klarmachte,<br />
daß die Angelegenheiten, die er noch erledigen müßte, weit<br />
wichtiger wären und ich mich gefälligst selber darum bemühen<br />
sollte, war endgültig der Scheideweg unserer Freundschaft<br />
erreicht.<br />
So ging nun die Hetze los, von einem Reisebüro ins nächste.<br />
Doch nix zu machen, entweder gab´s keine entsprechenden<br />
Formulare, die Versicherungen waren zu teuer oder<br />
die Anzahl der versicherten Reisetage zu knapp bemessen.<br />
Meine Hormone spielten verrückt - ich kochte bereits.<br />
10
Als alles nichts mehr half, mußte ich mich mit einer 62-<br />
Tage-Versicherung für DM 37.- zufriedengeben, deren Angebot<br />
nicht ganz den gesteckten Zeitplan abdeckte, und voller<br />
Vertrauen in Gott und die Wahrscheinlichkeitsrechnung<br />
knapste ich bei dem anzugebenden Reisezeitraum mutig jeweils<br />
vorn und hinten ein paar Tage ab. Murphy´s Law blieb<br />
außen vor...<br />
Am Flughafen dann Abgabe unseres voluminösen Gepäkkes<br />
und Tränen des Abschieds bei Monika. Verständlich, denn<br />
schließlich würden sich die beiden ca 3 Monate lang nicht<br />
mehr sehen. Doch so schwer die Trennung auch fiel, sie<br />
mußte sich auf den Weg zurück zum Hauptbahnhof machen,<br />
und kurze Zeit später wurde es auch für uns ernst, als der<br />
Aufruf zum Einchecken bei BIMAN durch die Schalterhalle<br />
schallte.<br />
Es folgte die gewohnte Paßkontrolle und Leibesvisitation,<br />
Viertelstunde im Warteraum abhängen, und schon forderte<br />
eine freundliche Dame der LUFTHANSA zum Besteigen der<br />
Maschine auf. Nach einer weiteren halben Stunde schwebten<br />
wir bereits durch die Lüfte unserem 4 Stunden entfernten<br />
Zwischenstop in Athen entgegen, tankten dort kurzfristig auf<br />
und fetzten volle 17 Stunden weiter gen Osten zu einem der<br />
bevölkerungsreichsten Staaten unserer Erde: Bangla Desh.<br />
Der Flug verlief sehr ruhig, doch hatte ich so meine Probleme<br />
mit der extrem trockenen und stickigen Luft. Über<br />
dem Sitz befand sich nämlich kein Gebläse, wie ich es von<br />
Inlandflügen her kannte. Ist alles computergesteuert und voll<br />
auf die Bedürfnisse der Passagiere angepaßt, wie mir die Crew<br />
erklärte. Komisch, auf meine nicht.<br />
11
Den Konstrukteur dieser Maschine hätte ich gerne mal unter<br />
vier Augen `gesprochen´. Da der aber schon lange nicht<br />
mehr lebte, half nur die Flucht in den Schlaf.<br />
Neunzig Minuten vor der Landung wachte ich wieder auf<br />
und fühlte mich schon etwas besser. Bis uns ein anderer<br />
Trekker erzählte, er hätte in Frankfurt erfahren, daß alle Flüge<br />
von Dhaka nach Kathmandu gesperrt wären !<br />
Gerüchteküche ???<br />
Rolf im Aufenthaltsraum des Flughafens von Dhaka<br />
Schwer lastete die feuchtwarme Tropenluft auf dem von<br />
der langen Reise müden Körper, als wir gegen Mittag die von<br />
schwerbewaffnetem Militär eskortierte Maschine in Dhaka<br />
verließen und mit einem Bus zum fünf Meter entfernten Eingang<br />
des Flughafengebäudes kutschiert wurden, vor dem sogar<br />
ein MG-Nest aufgebaut war.<br />
Irgendein wichtiger Herr in Uniform machte uns Reisenden<br />
freundlich klar, daß tatsächlich alle Weiterflüge nach<br />
12
Kathmandu für den heutigen Tag eingestellt waren, daß wir<br />
warten müßten, bis uns ein Bus zu einem Hotel bringen würde.<br />
Vorher aber sollten wir ihm die Reisepässe und Tickets<br />
aushändigen.<br />
Bogdan, ein Pole, Rolf und ich machten es uns auf den<br />
gepolsterten Sitzbänken im Wartesaal der zweiten Etage gemütlich,<br />
während der Rest der Passagiere auf den weniger<br />
bequemen Holzbänken im Erdgeschoß ausharrte, und als Bogdan<br />
zwei Stunden später nach unten ging, um sich nach dem<br />
Verbleib des Busses zu erkundigen, stellte das Personal erschrocken<br />
fest, daß sie uns vollkommen vergessen hatten -<br />
Bus und Mitreisende waren schon lange weg !<br />
Das sollte nicht noch einmal vorkommen, deswegen nagelte<br />
man uns drei diesmal mit einem scherzhaften "Please sit<br />
down there and if you wanna sleep - sleep. But dont´t move."<br />
im unteren Raum fest, und etliche Stunden später, als wirklich<br />
niemand mehr mit dem Verlassen des nicht klimatisierten<br />
und von Fliegenschwärmen heimgesuchten Gebäudes rechnete,<br />
folgten wir einem Mitarbeiter des Flughafenpersonals in<br />
eine große Halle, wo das gesamte Gepäck in einem Metallkäfig<br />
eingeschlossen lagerte. Jeder hatte nun die Aufgabe, seines<br />
zu identifizieren und zu prüfen, ob irgendwas fehlte.<br />
Als das erledigt war, bestiegen wir endlich, zusammen mit<br />
den Passagieren der nächsten Maschine, zwei von einer aufdringlichen<br />
Schar bettelnder Kinder belagerte Busse, die uns<br />
für die Nacht in das von BIMAN angemietete Hotel befördern<br />
sollten.<br />
Aber wieder hieß es warten. Warten auf eine Handvoll<br />
bewaffneter Soldaten, die den mit Europäern besetzten Bussen<br />
sicheres Geleit und heile Eier garantieren mußten.<br />
Erster Eindruck: Waouh !!! Mann, hier ging ja wirklich die<br />
13
Mit dem Bus vom Airport zum Hotel<br />
Post ab. Aber auch Nervosität keimte auf. Schließlich lief ich<br />
hier rum wie ein kampferprobter Ledernacken: kurze Haare,<br />
Muskelpakete, Armeehose, Springerstiefel, Trägershirt (wegen<br />
der Hitze) und Army-Umhängetasche. Ich sah ungewollt<br />
so aus, als hätte ich mich auf der Suche nach meiner Einheit<br />
verflogen.<br />
Peinlich ! Rolf hatte wenigstens Jeans an.<br />
Die Fahrt zum Hotel "Purbani" bescherte uns weitere Eindrücke<br />
dieses an den Unterläufen des Ganges und Brahmaputra<br />
gelegenen Tieflandes, das regelmäßig Schlagzeilen machte<br />
durch verheerende Überschwemmungen, die fast jedes Jahr<br />
Zehntausende das Leben kosteten. Daß dieser Staat außerdem<br />
Probleme mit seiner Überbevölkerung hatte, war deutlich<br />
zu sehen, denn die Straßen quollen fast über vor größ-<br />
14
tenteils ärmlich gekleideten Menschen, die allesamt ein<br />
Hungerdasein fristeten. Überall Rikschas, Fahrräder, Motorräder,<br />
Busse und Menschen, unglaubliche Massen von Menschen.<br />
Das verloren dastehende Hotelhochhaus, trotz verranzter<br />
Ostblockendzeitfassade wohl eines der besseren am Platze,<br />
glänzte mit einem hervorragenden Mittagessen, der bengalischen<br />
Spezialität Chicken Curry. Doch zuvor quartierte man<br />
alle Reisenden, überwiegend Globetrotter wie es schien, in<br />
die klimatisierten Zimmer ein, mit Bad, WC, Fernseher und<br />
klammen Betten. Das Zimmer mit der Nummer 526 gewährte<br />
uns zudem einem prima Ausblick auf den knapp einen<br />
Meter entfernten Betonrohbau des Nachbarhauses.<br />
Nach dem Essen, gegen 17:00 Uhr, waren einige der Reisenden,<br />
so auch Rolf und ich, daran interessiert, einen kleinen<br />
Ausflug in die nahegelegene Innenstadt zu unternehmen,<br />
wozu wir gezwungenermaßen vorübergehenden Frieden<br />
schlossen, um nun die zwei mitgeführten 5-Dollar-Noten auf<br />
den Kopf zu hauen.<br />
Doch kaum hatten wir nichtsahnend einen Fuß vor die Tür<br />
gesetzt, stürmte ein laut durcheinanderschreiender Pulk von<br />
vielleicht zwanzig besessenen Fahrradrikscha-Fahrern samt<br />
Gefährt auf uns ein, von denen jeder den sehnlichen Wunsch<br />
äußerte, für noch weniger Geld als jeder seiner Kollegen wenigstens<br />
einen Teil unserer Körper durch die Straßen fahren<br />
zu dürfen.<br />
Im ersten Moment standen wir vollkommen verdattert da;<br />
umringt von dieser quäkenden fremdländischen Meute berieten<br />
wir, ob wir denn fahren wollten und wenn ja, wohin dann<br />
überhaupt ?<br />
Wir entschieden uns aber dagegen und bewegten uns lang-<br />
15
samen Schrittes Richtung Innenstadt, verfolgt von diesen Halbwahnsinnigen,<br />
die uns die Ohren vollbrüllten, versuchten festzuhalten<br />
und mit ihren Rikschas extrem auf die Pelle rückten.<br />
Das ging etwas zu weit ! Waren die Leute denn von allen<br />
guten Geistern verlassen ?<br />
Energisch, manchmal mit körperlicher Gewalt, setzten wir<br />
uns zur Wehr, bis wir diesem Chaoten-Terror ein Ende bereitet<br />
hatten und die verblüfften Stresser zurückblieben. Nur<br />
ein junger Bengale, der gut Englisch sprach, war uns weiterhin<br />
in Ruhe mit seiner Rikscha gefolgt und bot an, für fünf<br />
Dollar würde er mit uns eine kleine Sightseeing-Tour durch<br />
die Stadt unternehmen. Das schien uns ein faires Angebot,<br />
und so nahmen wir Platz.<br />
Keine zwei Minuten waren vergangen, da steckten wir auch<br />
schon wortwörtlich dick in der Klemme: Irgendein nicht auszumachendes<br />
Hindernis auf einer weit entfernten Kreuzung<br />
verursachte einen totalen Verkehrsstau, legte den gesamten<br />
Verkehr in der Innenstadt lahm.<br />
Nichts ging mehr - weder vor noch zurück<br />
Auf Tuchfühlung dicht gedrängt standen Menschen und Fahrzeuge<br />
kreuz und quer auf den Bürgersteigen und über die<br />
Straße verteilt, hunderte von Metern die Straße rauf und<br />
runter, links und rechts; hupten, klingelten oder qualmten<br />
motorbetrieben vor sich hin, während wildes Durcheinandergeschnatter<br />
in den verschiedensten Tonlagen einen nicht<br />
unerheblichen Teil zu der extremen Lärmkulisse beitrug.<br />
Und wir waren mittendrin !<br />
Im Stehen auf der Sitzbank versuchten wir einen Überblick<br />
zu bekommen, stellten aber fest: sinnlos. Dieser erstarkte<br />
Mensch-Maschinebrei schien sich bis zum Horizont zu erstrecken.<br />
Ein wahrer Leckerbissen für alle Chaos-Forscher.<br />
16
Wie kamen wir da bloß wieder raus ?<br />
Am besten mit der asiatischen Methode ... Geduld.<br />
Und siehe da: ca 30 Minuten später ließ einige Bewegung<br />
um uns herum erkennen, daß das Warten ein Ende hatte,<br />
sich das Knäuel langsam aber sicher auflöste. Es wurde geschoben,<br />
rangiert, geruckelt, gezuckelt, geächzt und gestöhnt,<br />
geschimpft und gelacht, dann waren wir wieder frei und bewegten<br />
uns mit hemmungslos lautem Geklingel durch das<br />
stürmisch wogende Meer dieses wahrlich anarchistischen<br />
Straßentumults, wo wir mit einem hysterischen "Iiiiaaarrrhhh"<br />
übelste und unvermeidliche Zusammenstöße mit den an diesem<br />
Irrsinn Beteiligten erwarteten, die sich aber jedesmal<br />
erst im allerletzten kritischen Moment sozusagen in Wohlgefallen<br />
auflösten und wir mit einem erleichterten "Pfffhht !"<br />
entkrampften.<br />
Während sich der redselige Fahrer, seines Zeichens gemäßigter<br />
und friedliebender Moslem, wie er beteuerte, mit ca.<br />
150 Kilo Fahrgastmasse durch die Straßen quälte, unterhielt<br />
er uns mit kurzen Hinweisen und Erklärungen zu der jeweils<br />
durchfahrenen Gegend, oder wir diskutierten eifrig über<br />
Sadams "Krieg der Welten".<br />
Zuerst klapperten wir verschiedene Friedhöfe ab: einen russisch-orthodoxen,<br />
einen englischen und dann einen deutschen<br />
mit angeschlossener Kirche, und auf Wunsch beförderte er<br />
uns zu einer sehr schönen kleinen Moschee, wo wir als einzige<br />
Weißhäuter weit und breit unverzüglich in den Mittelpunkt<br />
des allgemeinen Interesses rückten, da sich die rasch sammelnden<br />
Neugierigen anscheinend dachten, jetzt sind die Amis<br />
hier, die Moschee wird beschlagnahmt !<br />
Auf Anraten unseres Chauffeurs entledigten wir uns der<br />
17
klobigen Stiefel, und über den mit schönen Mosaiken verzierten<br />
Vorplatz, unter den wachsamen Augen der tuschelnden<br />
Versammlung um uns herum, strebten wir in Socken dem<br />
Gebäude mit der runden Kuppel zu.<br />
Gerade als wir ein paar Meter geschafft hatten, erschien<br />
der energische Imam mit einem kleinen, in weite Gewänder<br />
gekleideten Gefolge, um unserem Eindringen Einhalt zu gebieten.<br />
Er verlangte Aufklärung über unser Begehren, wollte<br />
wissen:<br />
"American ?"<br />
"No. German..."<br />
"Aahhh !"<br />
Er schien uns wohlgesonnen, blieb aber mißtrauisch.<br />
"What´s your religion ?", fragte er interessiert.<br />
Rolf war katholisch, da schien die Sache klar. Ich dagegen<br />
mußte mal wieder meine Extrawurst braten.<br />
"I have ... no religion."<br />
"No religion ?"<br />
"No ?!"<br />
"...mmmhhh... no religion ... but - do you believe in god ?"<br />
Das ganze begann mir unheimlich zu werden, zumal mein<br />
Englisch nicht gut genug war um derartig tiefgreifende theologische<br />
Fragen zu diskutieren, aber...<br />
"Yes, I believe that there is something ....ääähh...maybe a<br />
god, that..."<br />
Der Iman und einer seiner ihm nahestehenden Mitbeter<br />
wechselten einige Worte in der landesüblichen Sprache, und<br />
man kam zur alles entscheidenden Frage:<br />
"Ok, ok ! Why you coming here ?"<br />
18
Wir erklärten ihm, wir wollten nur mal schauen, vielleicht<br />
könne er uns sogar ein bißchen was über seine Religion erzählen.<br />
Das schien ihm zu gefallen, und er gab uns ein Zeichen,<br />
ihnen zu folgen. Dann begann er anhand der an die<br />
Wand der Moschee gemalten Bilder die Geschichte des Propheten<br />
Mohammed zu erzählen.<br />
Einer seiner weniger intelligenten Mitarbeiter tanzte dabei<br />
leicht irre, gebückt wie "der Glöckner von Notre Dame",<br />
um uns herum und betrieb verbale Allah-Onanie, indem er<br />
ununterbrochen und ziemlich lautstark was von einem<br />
"Challaaah ... melechaaah ma mechemm ... Challaaah,<br />
Challaaah Challaaah ... jihedda kem meha ... Challaaah..." oder<br />
so ähnlich quasselte, bis es uns und besonders mir extrem<br />
auf den Keks ging und ich den verwirrten Muselmanen den<br />
Wunsch äußerte, diesen Teil der diesjährigen Bildungsreise zu<br />
beenden. Wir bedankten uns für das entgegengebrachte Vertrauen<br />
und schlidderten über den glatten Mosaikfußboden<br />
zurück zu unserem Schuhwerk, wo die Meute interessierter<br />
Glotzer immer noch auf uns wartete und jede unserer Bewegungen<br />
oder Sätze leidenschaftlich analytisch diskutierte.<br />
Bloß weg hier...<br />
Also ratterten wir in der anbrechenden Dämmerung weiter<br />
durch staubige breite Straßen und enge Gassen, speckige<br />
Stadtviertel mit teils verrotteten Häusern und armseligen Hütten,<br />
genehmigten uns an einem der vielen kleinen Ladenbuchten<br />
zur Erfrischung einen Tee, den Dschai, oder eine<br />
Handvoll Orangen von einem fahrenden Obsthändler und<br />
überquerten auch eine Brücke, die so steil war, daß unser<br />
beinarbeitender Mietling nicht allein in der Lage war, uns dort<br />
hinüberzuschaffen. Aber für derartige Fälle standen an der<br />
Auffahrt der Brücke andere wackere Geschäftsleute parat,<br />
19
die der Rikscha für einen kleinen Obolus schiebend oder ziehend<br />
auf die Sprünge halfen.<br />
Geradezu gespenstisch mutete die Kulisse an, als wir schließlich<br />
den lärmenden `Hafen´ erreichten, wo gerade ein tief<br />
im Wasser liegendes hölzernes Fährschiff vom schlammigen<br />
Ufer ablegte. Im Schein von flackernden Petroleumlampen<br />
entschwand das über und über mit Menschentrauben behängte<br />
Schiff in die Dunkelheit, während ehrgeizige Bengalen<br />
immer wieder versuchten, durchs Wasser watend und<br />
schwimmend an Bord zu gelangen, um das Schiff doch noch<br />
zum Kentern zu bringen.<br />
Wir guckten uns das lärmende Spektakel eine ganze Weile<br />
an, und als wir gerade ein paar Meter weitergefahren waren,<br />
entdeckte ich linkerhand einen in einem großen Garten gelegenen<br />
beleuchteten Flachbau, durch dessen Fenster Hanteln<br />
und Turngeräte zu erkennen waren. Ich fragte, ob das vielleicht<br />
ein dhakaistisches "Body Building Center" oder ähnliches<br />
sei ? Weil die Frage mit "Ja" beantwortet wurde, ließen<br />
wir noch einmal halten, um der Sache auf den Grund zu<br />
gehen, und betraten den Laden kurzerhand, denn unser Fahrer<br />
war wie immer der Meinung, wir dürften dies ohne weiteres<br />
tun, es gäbe da "no problem, no problem."<br />
Drinnen sah es alles andere als hip aus, es glich vielmehr<br />
einem zum Abriß freigegebenen vergammelten Kellerraum.<br />
Aber immerhin - zum Trainieren war alles vorhanden. Eine<br />
Handvoll gut durchtrainierter und aufgepumpter Jungmannen<br />
versammelte sich auf der einen Seite des großen Raumes und<br />
betrachtete uns fragend, da anscheinend niemand was mit<br />
uns anzufangen wußte.<br />
Auf die Frage "Does anybody of you speak English ?" tat<br />
sich erst gar nichts - alles starrte uns weiterhin an. Aber<br />
20
Im modernsten Body-Building und Fitness-Studio von Dhaka<br />
21
schließlich löste sich ein gutgekleideter Tennis oder Golf spielender<br />
Lacoste-Oberschichtler aus der Gruppe, von dem wir<br />
mit unserem holprigen Englisch in Erfahrung brachten, das<br />
dies tatsächlich ein Kraft-Studio, der "Naboje Exercise Club"<br />
war. Dann wollte er wissen, wo wir herkommen:<br />
"American ?"<br />
"Yes, from Kuwait."<br />
"..."<br />
"No, no. German..."<br />
"Aaah. Germany ! Do you come from Berlin ?"<br />
Als wir verblüfft bejahten, erzählte er, daß er, Sohel Rana,<br />
dort einen Onkel habe, der irgendwo in Wedding wohnte<br />
und ein indisches Lokal betrieb. Er selber sei der Sohn eines<br />
bengalischen Diplomaten und würde im April nach Berlin fliegen,<br />
um in Deutschland für einige Jahre zur Schule zu gehen.<br />
"Bha !", da waren wir jetzt aber echt platt.<br />
Daß die Welt SO klein und Berlin eine Vorstadt von<br />
Bangladesh ist, hätten wir doch wirklich nicht für möglich<br />
gehalten. Aber damit war das Eis gebrochen, und nun wollte<br />
man wissen, was wir als zivilisierte Weltmänner in unserer<br />
ungewöhnlichen Kluft so vorhatten, ob wir uns für Wasser<br />
und Brot als Rambos in der Armee verdingten oder einfach<br />
nur durchgeknallt waren.<br />
Muskeln wurden bestaunt, ein Ringer, seines Zeichens Landesmeister,<br />
vorgestellt und alle Mann brachten sich in Positur,<br />
damit ich ein paar Fotos schießen konnte, von denen<br />
leider alle, bis auf ein falsch belichtetes, das unscharf ist, nichts<br />
geworden sind.<br />
Zum Schluß fand der übliche Adressenaustausch statt, und<br />
schon zogen wir mit dem biologisch wertvollen Fußtaxi weiter<br />
durch die düstere Stadt, auf zu <strong>neu</strong>en Abenteuern.<br />
22
Das letzte erwähnenswerte Erlebnis, an das ich mich von<br />
diesem Streifzug erinnere, war der aufregende Besuch einer<br />
butzigen verqualmten Teestube, an deren Wänden einige Poster<br />
des Diktatiraki Sadam Hussein prangten und die dort<br />
versammelte Manschaft finsterer Gestalten in ein schallendes<br />
"Sadam, Sadam, Sadam !!!“ ausbrach, als wir den Fuß über die<br />
Schwelle setzten.<br />
Alles halb so schlimm: wie sich herausstellte, waren dies<br />
gute Freunde unseres Rikscha-Fahrers. Den Tee bekamen<br />
wir dort umsonst, und die netten Leute waren interessiert zu<br />
erfahren, ob wir Sadam überhaupt irgendeine Chance gegen<br />
den Rest der Welt einräumten - was wir verneinten.<br />
Gegen 22:00 Uhr trafen wir mit unserem fix und fertigen<br />
Fahrer wieder vorm Hotel ein. Nun ging es ans Bezahlen.<br />
Unser Mann war mittlerweile der Meinung, ihm stehe mehr<br />
als die vereinbarten fünf Dollar zu, was zu einer längeren<br />
Diskussion führte. Doch Rolf, der Eigentümer der heißbegehrten<br />
Dollars, blieb stur und beharrte auf der ursprünglich<br />
ausgemachten Summe. Mir wär´s ehrlich gesagt scheißegal<br />
gewesen, denn schließlich waren wir 4 Stunden lang gut unterhalten<br />
worden. Rolf ließ sich aber nicht erweichen, und so<br />
blieb es bei einem schlappen Fünfer.<br />
Sogar um diese Uhrzeit war die Luft immer noch erdrükkend<br />
schwül, und wir glänzten vor Schweiß, den wir im Hotelzimmer<br />
unter der Dusche abspülten, bevor wir um Mitternacht<br />
dank einem erfülltem Tagewerk in einen tiefen, aber<br />
kurzen Schlaf sanken. Um ca 5 Uhr mußten wir wieder<br />
aufstehen.<br />
23
Nach einer kurzen Nachtruhe klopfte es vorsichtig an die<br />
Tür: „Sir ? ... Hello, Sir ? ... Breakfast ...“<br />
Langsam verschwand der Nebel des Schlafes aus dem Kopf,<br />
und schwerfällig stiegen wir in unsere Klamotten, packten die<br />
Sachen zusammen und suchten den Speisesaal auf, wo wir<br />
die anderen Mitreisenden bereits mit der Vernichtung des<br />
Frühstückes, bestehend aus Spiegelei, Toast und Marmelade,<br />
beschäftigt fanden.<br />
Dann mußten wir warten, denn unser Begleitschutz war<br />
bisher nicht im Hotel eingetrudelt. Erst gegen 6:30 Uhr fuhren<br />
wir mit dem vollbeladenen Bus zum Flughafen. Hier erhielten<br />
wir unsere Reisepässe und Flugtickets zurück, und das<br />
örtliche Militär unterzog unser Handgepäck genau wie am<br />
gestrigen Tage einer intensiven Kontrolle; will sagen, alles aus<br />
den Taschen auspacken, vorzeigen und dann ratz fatz schnell<br />
wieder reingestopft, weil sie bereits den nächsten abfertigten<br />
- nervig !<br />
Sobald das erledigt war, hieß es wieder warten, warten und<br />
nochmals warten, bis wir, Allah sei es gedankt, um 8:45 Uhr<br />
endlich in der Maschine saßen, die um 9:00 Uhr mit Ziel<br />
Kathmandu von der Startbahn abhob...<br />
24
Kathmandu
Eine Stunde später warteten wir bereits wieder auf<br />
unser Gepäck im Flughafengebäude von Kathmandu,<br />
das in seiner Größe ungefähr der Berliner U-Bahn-<br />
Station "Rathaus Spandau" entspricht.<br />
Entsetzt stellte ich kurz darauf fest, daß irgendjemand Gefallen<br />
an einem erklecklichen Teil meiner lebensnotwendigen<br />
Ausrüstungsgegenstände gefunden hatte, denn das obere Packfach<br />
des gutverschnürten Rucksacks stand offen, mein geliebtes<br />
Taschenmesser, das Netzteil für den Weltempfänger und<br />
die sportliche, als Tauschobjekt gedachte zweite Stopuhr fehlten<br />
! Diese Saubande !<br />
Nichtsdestotrotz begrüßten wir nach der Zollkontrolle freudestrahlend<br />
Rocky und Dörthe, die bereits in der Eingangshalle<br />
warteten, und schleppten unseren Krempel zu den vorm<br />
Flughafen lauernden Crash-Cars, die in Nepal als 1A-Taxis zum<br />
Einsatz kommen. Auch hier fielen die abgerissen aussehenden<br />
Fahrer dieser rollenden Särge wie wilde Mongolenhorden<br />
über den ahnungslos Phantasiepreise zahlenden Gringo her,<br />
und kaum hatte man sich versehen, ballerte der furchtlose<br />
`Pilot´ mit Tempo 100 durch die geschlossene Ortschaft,<br />
jagte Fußgänger, Radfahrer und Getier von den Straßen und<br />
setzte seinen benommenen Passagier in einem von ihm gewählten<br />
Etablissement ab - denn diese Burschen vergnügten<br />
sich außerdem als Hotelvermittler auf Provisionsbasis.<br />
Welch ein Glück - Rocky kannte die `ährlischen´ Preise !<br />
Umgerechnet DM 2,50 kostete die rasante Fahrt vom abseits<br />
gelegenen “Tribhuvan International Aiport" bis nach<br />
Thamel, dem legendären Touristenviertel von Kathmandu.<br />
Anders als erwartet hatten sich Rocky und Dörthe im<br />
“Norbulinga Guest House” anstatt im bereits ausgebuchten<br />
“Dreamland” einquartiert. Für uns war ebenfalls ein nettes<br />
25
Doppelzimmer (Nr.105) mit Dusche und kränkelndem WC<br />
für 140 Rupies pro Tag reserviert. Die Zimmer lagen im<br />
ersten Stock und waren durch eine um den Innenhof führende<br />
`Galerie´ zu erreichen.<br />
Direkt unter unseren mit Fliegengittern versehenen Fenstern<br />
führte die tagsüber recht belebte und von Schlaglöchern<br />
gezeichnete Ladenstraße vorbei, in den folgenden frostigen<br />
Nächten überwiegend heimgesucht von herumstreunenden<br />
Rudeln halbverfaulter Straßenkläffer, die auf ihrem<br />
Beutezug durch die Stadt die überall angehäuften stinkenden<br />
Müllhaufen nach Nahrhaftem durchwühlten.<br />
Für die schmutzige Wäsche fauler Zeitgenossen stand eine<br />
preiswerte, hauseigene Laundry zur Verfügung. Wäsche, die<br />
auf eigene Faust in dem angeforderten und kostenlosen Bucket<br />
behandelt wurde, durfte auf dem Dach, aus dem noch immer<br />
die Bewehrungsstähle ragten, getrocknet werden. Hier<br />
standen auch die ‘Warmwasser-Kollektoren´ und der isolierte<br />
Warmwasserspeicher: das Ah und Oh für den Genuß einer<br />
einigermaßen umweltverträglichen warmen Dusche. Auch<br />
ein Sonnenbad in den wärmeren Morgen- und Mittagsstunden<br />
tat hier oben gut, wie wir bald herausfanden.<br />
Zudem verdienten sich direkt vor unserer Residenz ein<br />
paar Kids etwas Geld mit der "Theorie und Praxis über Schuhe,<br />
ihre Bedeutung, Pflege und Haltung", und jeden Morgen, wenn<br />
wir es wagten einen Fuß vor die Tür zu setzen, trat die<br />
gröhlende Werbetrommel dieses recht spaßigen Jugend-<br />
Schuhputzdienstes in Aktion, um uns ein paar Rupies aus den<br />
Rippen zu leiern. Klappte das nicht oder doch - also in jedem<br />
Fall - erschien gleich darauf das unbarmherzige "Take That"-<br />
Tiger-Balm-China-Oil-Rollkommando, das uns solange über<br />
Vorzüge und Anwendungsgebiete jener braunen oder auf<br />
26
Erstes Frühstück im "Scala"<br />
Wunsch farblosen Paste in Kenntnis setzte, bis wir wenigstens<br />
eine Handvoll Dosen dieser asiatischen Heilsalbe erhandelt<br />
hatten, von denen ich noch heute an die fünfzig Stück<br />
besitze.<br />
Doch bevor wir das alles kennenlernten, kippten wir zuerst<br />
mal unsere Sachen auf dem Zimmer ab, enterten kurzerhand<br />
einen Tisch in der Idylle des nachbarlichen Gartenrestaurants<br />
“Scala” und frühstückten ausgiebig mit Kaffee, Tee,<br />
Kakao, Lassi, Brötchen, Kuchen, Müsli und Eier-Omelette,<br />
kurzum, wir mußten auf nichts verzichten. Pappensatt und<br />
zur Akklimatisation wollte Rolf sich danach aufs Ohr hauen,<br />
tat dies und wachte erst am nächsten Tag wieder auf.<br />
Ich jedoch mochte mich nicht hinlegen. Obwohl müde und<br />
matt, war ich geistig total aufgedreht und wollte mir unbedingt<br />
die Gegend ansehen. Am Nachmittag schlenderten Rok-<br />
27
ky, Dörthe und ich<br />
dazu durch die verwinkelten<br />
Gassen des<br />
schaurig-schönen<br />
Kathmandu gen Westen<br />
zum heiligen Fluß<br />
Vishnumati, der zu dieser<br />
Jahreszeit eher einer<br />
Pfütze glich.<br />
Erst im Sommer,<br />
wenn die schmelzenden<br />
Gletscher unterstützt<br />
durch den Monsun<br />
den Fluß speisten,<br />
würde das Gewässer<br />
wieder sein brachliegendes<br />
breites Bett<br />
ausfüllen. Auf einer<br />
der Brücken galt es<br />
das andere Ufer zu er-<br />
365 Stufen ins Nirvana !!!<br />
reichen, wollte man<br />
etwas noch Heiligeres als heilig sehen. Denn das hatten wir<br />
uns vorgenommen.<br />
Nur ein Stückchen die jenseitige steile Straße hinan und<br />
schon standen wir am Fuße eines Hügels, auf dessen mit<br />
Laubbäumen bewaldeten Hängen sich steinerne Götzenskulpturen,<br />
heidnische Händler, furchtlose Schlangenbeschwörer<br />
und eine erkleckliche Anzahl schweinischer Affen tummelten.<br />
Mit Ächz und Stöhn mußte jetzt noch die 365 Stufen<br />
zählende Steintreppe erklommen werden, dann stand man<br />
vor einem riesigen goldenen Donnerkeil, Insignie für die En-<br />
28
Der STUPA von Swayambunath<br />
ergie der Götter, und im Hintergrund erhob sich der von<br />
Tauben in Besitz genommene Stupa von Swayambunath. Im<br />
Uhrzeigersinn um den Stupa herum gehen, schleichen oder<br />
hetzen den ganzen lieben langen Tag die Gläubigen und drehen<br />
dabei ora et labora vorsichhinmurmelnd die einhundertelf<br />
`Gebetsmühlen´, kleine Dynamos, die zusammen mit den<br />
29
an dem Stupa in Boudanath installierten den täglichen Energiebedarf<br />
der Klöster des Kathmandu-Tales decken. Gespeichert<br />
wird die anfallende Energie in dem weißen meilerähnlichen<br />
Korpus des Stupa (STUpid-Power-Akkumulator), einem<br />
riesigen prähistorischen Akkumulator.<br />
Für die private Energieerzeugung gibt es Dynamo-Handies<br />
in den verschiedensten Größen. Hier befindet sich der Akku<br />
in dem hölzernen Handgriff eines jeden Gerätes. Fast überall<br />
in Nepal sieht man die Leute bei der andächtigen Erzeugung<br />
kostengünstiger göttlicher Energie, deren Herstellungsverfahren<br />
in den buddhistischen Ländern der Erde schon seit hunderten<br />
von Jahren bekannt ist.<br />
Unter den eindringlichen Blicken der vier aufgemalten<br />
Augenpaare des Stupa verkaufen Händler in der räucherstäbchengeschwängerten<br />
warmen Luft Schmuck, wollene<br />
Touristenkitschteppiche, Messingschalen für alle Fälle,<br />
kratzfeste Pullover aus fetter Yakwolle, Räucherstäbchen jeglicher<br />
Geruchsrichtung, Wahr- und Unwahrheiten, glückverheißende<br />
Mandalas, unheilverkündende Ultra-Brutalo-Messer,<br />
menschliche Schädel- und tierische Wolldecken, Bücher aus<br />
aller Welt, billigste Postkarten, irre Musikinstrumente und vieles<br />
mehr. Bettler bitten um ´ne Rupie als kleinen Bakshisch, und<br />
heilige Männer, die Yogis, zeigen ihre Künste. Zwischen den<br />
verschiedenen kleinen Stupas und Tempelchen tummeln sich<br />
jede Menge verfressene Hunde und hemmungslos rumvögelnde<br />
Affen, die frech die von den Gläubigen niedergelegten<br />
vegetarischen Opfergaben klauen.<br />
Nicht zu vergessen der Tempel mit der großen goldenen<br />
Buddha-Statue, das tibetische Kloster, der der Göttin Sitala<br />
Devi geweihte Hariti-Tempel und eine buddhistische Bibliothek.<br />
Die ganze Anlage ist an strategisch wichtigen Stellen mit<br />
30
einer hüfthohen Mauer und darauf eingelassenem Metallgeländer<br />
umgeben, damit niemand die steilen Abhänge herunterpurzelt,<br />
wenn er sich beim verträumten Blick über tieferliegendes<br />
Terrain zu sehr gehen läßt und ungewollt versucht,<br />
es den unter ihm im lauen Aufwind schwebenden Greifvögeln<br />
gleichzutun.<br />
Rocky zerrte mich gleich in ein kleines dunkles Loch, das<br />
sich bei genauerer Betrachtung als kurioser Ramschladen für<br />
Silber- und anderen Schmuck herausstellte, und verwies auf<br />
die Auslagen mit diversen klobigen Silberringen, von denen er<br />
beabsichtigte, einige Wagenladungen zollfrei nach Deutschland<br />
zu schaffen.<br />
So hatte ich das erste Mal Gelegenheit zuzusehen, wie das<br />
traditionelle und zeitraubende Feilschen vor sich ging:<br />
Der staubige Händler zeigt frohgestimmt die gewünschte<br />
Ware.<br />
Der Kunde betrachtet das ersehnte Kleinod mißmutig ohne<br />
besonderes Interesse und fragt lächelnd, welcher Preis für<br />
diesen Mist zu berappen sei.<br />
Jener an einem Gehörsturz leidende Händler wiederum verlangt<br />
ohne rot zu werden das zehnfache des üblichen Preises,<br />
erklärt, das wäre eigentlich geschenkt und beginnt das<br />
gute Stück mit Tränen ob der baldigen Trennung in den Augen<br />
zu polieren.<br />
Da sich die Privatwirtschaft in einer Flaute befinde und wegen<br />
des schlechten Einflusses der Kaltwetterfront am kommenden<br />
Dienstag sei es ihm nicht möglich, mehr als ein Fünftel<br />
des verlangten und bestimmt korrekten Preises zu zahlen,<br />
entgegnet König Kunde.<br />
Krampfgeschüttelt wälzt sich der erniedrigte Händler wimmernd<br />
im Staube seines Fußbodens und bittet alle ihm schlecht-<br />
31
gesonnenen Götter herzzerreissend um Erbarmen für soviel<br />
ihm zugedachte Schande.<br />
Der offensichtlich unbeeindruckte Kaufinteressent kniet vor<br />
dem am Boden liegenden, schwer nach Luft Schnappenden<br />
und flüstert ihm leise ins Ohr, er stehe zwar auch in Verhandlungen<br />
mit der indischen Silbermafia, lege aber zur Not noch<br />
ein Paar alte Socken oben drauf, obwohl er damit verflucht<br />
sei, den Rückweg in die weit entfernte Heimat barfuß anzutreten.<br />
Socken könne niemand essen und daher nehme er das<br />
Geschenk gerne an, wenn selbiges mit einigen zusätzlichen<br />
Rupies gefüllt sei, stöhnt der vermeintlich schwer angeschlagene<br />
Ladenbesitzer.<br />
Ok, ok - zwei Fünftel seines Preises und das Paar Fußpelze<br />
als Beigabe sei jetzt aber wirklich das Höchste der Gefühle !<br />
Mit bleichem Gesicht und kraftloser, schwankender Stimme<br />
schlägt der Händler nach einer geschlagenen Stunde harter<br />
Verhandlung notgedrungen in das Geschäft ein, entgegnet,<br />
er müsse den Laden jetzt leider schließen, da er nun<br />
pleite sei, und schließt ihn dann auch wirklich - um eine Woche<br />
lang von dem reichlichen Gewinn Urlaub zu machen...<br />
Keine Lüge.<br />
Passiert einem in Nepal und Indien andauernd !<br />
Ich blickte der ganzen Angelegenheit eher cool ins Auge,<br />
war ich doch immun gegen dergleichen weltlichen Glanz und<br />
Glitter. Wozu braucht der Mensch so unnötigen Tand wie<br />
silberne Ringe, Edelsteine oder güldene Ketten ?<br />
Rockys Euphorie und Kaufrausch waren für mich vollkommen<br />
unverständlich - geradezu abstoßend !<br />
Aber toll sahen die Ringe schon aus...<br />
32
Von Swayambunath zurückgekehrt ging der erste Tag eigentlich<br />
recht schnell zu Ende. Nach dem Abendessen in irgendeiner<br />
indischen Spelunke, wo wir leckere undefinierbare<br />
Speisen in uns hineinschlangen, suchten wir zeitig unsere Schlafgemächer<br />
auf .<br />
Da es in den Zimmern unserer Pension - wie in allen Pensionen<br />
Nepals - keine Heizung gab, begann es zu dieser Jahreszeit<br />
ab dem späten Nachmittag kalt zu werden, denn wir<br />
befanden uns immerhin in einer Höhe von 1300 Metern über<br />
Normalnull.<br />
Dieser Zustand verschlimmerte sich von Stunde zu Stunde,<br />
und abends war es dann meist dermaßen arschkalt, daß man<br />
sich ganz schnell in seinen ebenfalls noch kalten und klammen<br />
Schlafsack verkroch und mit deutlich sichtbaren Atemfahnen<br />
und klappernden Zähnen versuchte, dem Schlaf entgegenzudämmern,<br />
während draußen vor den Fenstern bereits einige<br />
Hunde ihr Unwesen trieben und die ersten Lagerfeuer auf<br />
der Straße entzündet wurden.<br />
Auf unserem Nachttischchen krümelten derweil die <strong>neu</strong>entdeckten<br />
Erdnußkekse zwischen Räucherstäbchen, Bananen,<br />
Maggi-Brühwürfeln und verschmierten Blechtassen vor<br />
sich hin, und gegen ein Uhr morgens schaltete sich endlich<br />
der teuer erworbene, ununterbrochen "Kratz- und Pfeifgeräusche<br />
aus aller Welt" plärrende Weltempfänger automatisch<br />
ab, so daß wir in Ruhe weiterfrieren konnten.<br />
Nur knapp eine Woche wollten wir in Nepal verbringen,<br />
dann war Rockys Visum abgelaufen, und er mußte das gelobte<br />
Land verlassen. Seine Planung sah vor, daß wir diesen<br />
Termin nutzten, um zu unserem gemeinsamen Mega-Trip<br />
nach Indien aufzubrechen.<br />
33
Rolf, der eigentlich vorhatte, sich Ende Februar mit einem<br />
Bekannten zu treffen, der in Deutschland einen florierenden<br />
Handel mit nepalischen Wollprodukten betrieb, war kurzzeitig<br />
auch am Überlegen, ob er mit nach Indien kommen solle.<br />
Da wir aber erst Mitte März zurück sein wollten und er sich<br />
mit Bogdan anfreundete, entschloß er sich erfreulicherweise<br />
doch, die verbleibende Zeit in Nepal zu verbringen, um die<br />
Gegend und einheimische Shit-Sorten abzuchecken. Was mir<br />
auch ganz recht war, wie ich eingestehen muß, denn obwohl<br />
wir uns ein Zimmer teilten, war ich nicht erpicht darauf, mehr<br />
Zeit als notwendig mit ihm zu verbringen.<br />
Es war bereits Freitag, also blieben bis zum kommenden<br />
Dienstag, dem D-Day, nur ein paar Tage, um die Busfahrkarten<br />
für uns drei und speziell das indische Visum für mich zu besorgen,<br />
was beinahe in die Hose ging, denn zuerst verlor ich<br />
schon mal drei Tage dadurch, daß man mich von der Indischen<br />
zur Deutschen Botschaft schickte, wo ich mir das verlangte<br />
Empfehlungsschreiben, den Recommendation-Letter, besorgen<br />
mußte. Den erhielt ich erfreulicherweise auch am<br />
gleichen Tag, doch zurück bei der Indischen Botschaft stand<br />
ich vor verschlossener Tür: Wochenende !<br />
Und so gaben wir uns ganz dem nächsten kulturellen Ereignis<br />
auf unserem engen Terminplan hin: dem Besuch von<br />
Pashupatinath, wo die Hindus am Fluß Bagmati ihre Toten auf<br />
Holzstößen zu Asche verfeuern und Boudanath, der zweiten<br />
und größten Anlage buddhistischer Energieplanung, mit einem<br />
40 Meter hohen Stupa.<br />
Beide Ziele liegen östlich von Kathmandu, und den ansteigenden<br />
holprigen Weg dorthin bewältigten Rocky und ich mit<br />
34
einem zweigetakteten knatternden Tempo - auch Motorrikscha<br />
genannt. Diese asiatischen Kabinen-Dreiräder schütteln<br />
ihre Fahrgäste kräftig durch, und wenn es mal etwas<br />
steiler wird, kann es passieren, daß man gebeten wird auszusteigen,<br />
damit die Kiste überhaupt noch vom Fleck kommt.<br />
Auf alle Fälle lustig !<br />
Heilige Verfallsstätte in Pashupatinath<br />
Ich mochte Pashupatinath ehrlich gesagt nicht viel abgewinnen,<br />
denn Nicht-Hindus ist es verwehrt, sich die komplette<br />
etliche hundert Jahre alte Anlage von innen anzuschauen. Daher<br />
blieb uns nichts weiter übrig, als den Fluß auf einer der<br />
zwei Steinbrücken zu überqueren und am anderen Ufer auf<br />
einer weißgekalkten Treppe eine Anhöhe zu erklimmen.<br />
Tempelanlage, Treppe, wie der dort oben befindliche zerrupfte<br />
Wald sind Lebensraum für eine Vielzahl abgezehrter<br />
scheintoter, aber heiliger Rindviecher, die den ganzen Tag<br />
wiederkäuend vor sich hinstarren und mit ihrem Dung die<br />
35
Gegend vollsauen. Unterstützt werden sie dabei von halbverhungerten<br />
herumstreunenden `Wildhunden´, die einem in<br />
ihrem Elend einfach nur leid tun können, und verfressenen<br />
Großfamilien streitsüchtiger Affen, die auch schon mal einem<br />
Touristen in die Tasche greifen, sofern sie etwas Nahrhaftes<br />
darin vermuten. Zwischen den Bäumen stehend kämpfen tagtäglich<br />
uralte hinduistische Tempelanlagen gegen Interesselosigkeit,<br />
Verfall und Vandalismus an, und niemand scheint sich<br />
darum zu kümmern. Ein Bild des Schreckens !<br />
Im Hintergrund ragt die große durchlöcherte Kuppel einer<br />
von einer hohen Mauer umgebenen Moschee zwischen den<br />
Bäumen hervor - ich denke, die muß übriggeblieben sein von<br />
den muselmanischen Eindringlingen, die den `gottlosen´ Hindus<br />
im 14.Jahrhundert zeigen wollten was Sache ist und deren<br />
Tempelanlage dem Erdboden gleichmachten - was man<br />
mit ihnen später auch tat...<br />
Vorsicht vor den menschenfressenden Yeti-Tempelaffen<br />
36
Die Besucher vertreiben sich die Zeit im Wald, auf einer<br />
nahen kleinen Wiese oder sitzen auf einer der hinter einer<br />
steinernen Brüstung stehenden hölzernen Sitzbänke, von denen<br />
aus das bunte Treiben am Fluß und zwischen den Tempelanlagen<br />
am gegenüberliegenden Ufer gemütlich beobachtet<br />
und gefilmt werden kann. Vorsicht ist hier allerdings vor den<br />
soeben genannten diebischen Affen geboten, die über, unter<br />
und neben einem herumwuseln und keine Scheu haben, einem<br />
Nackten in die Tasche zu fassen, wie Rocky entgeistert<br />
feststellten mußte.<br />
Zeitig machten wir uns wieder auf den Weg, um nach<br />
Boudanath zu gelangen, das nur drei Kilometer von<br />
Pashupatinath entfernt liegt. Schon von weitem wird man der<br />
dem Kuppelbau aufgemalten allessehenden Augen Buddhas<br />
gewahr, des Urvaters dieser Anlage, die so riesig ist, daß die<br />
Menschen auf dem weißgetünchten Bauwerk herumlaufen<br />
können. Das nur von tibetischen Buddhisten verehrte Heiligtum<br />
gilt als einer der Welt größten Stupas. Wie in<br />
Swayambunath, so wandert auch hier ein nicht endenwollender<br />
Strom murmelnder Gläubiger um den Stupa herum und dreht<br />
die mit Schriftzeichen versehenen, gebetemahlenden Energiespender.<br />
Von der goldenen Spitze des Stupa sind lange Leinen<br />
bis zum Boden gespannt und mit lustig im Wind flatternden,<br />
bunten Batik-T-Shirts zum Auslüften behängt, die überall<br />
in den Haute Couture-Läden des Kathmandu-Tales für wenig<br />
Geld zu haben sind.<br />
Rings um den Platz verteilt findet der interessierte<br />
Konsumtourorist viele kleine Lädchen und fliegende Händler<br />
(!!!), wo er dies, das, jenes und welches, meist aus tibetischer<br />
Produktion stammende erwerben kann. So richtete Rocky<br />
sein Augenmerk z.B. auf eine übel verformte Schädeldecke,<br />
37
Boudanath-Stupa<br />
die von einem solchen Hochgebirgsbewohner hier am Platze<br />
angeboten wurde. Leider war der verlangte Preis so hoch<br />
und der Mann so handelsunwillig, daß das gute Stück nicht<br />
den Besitzer wechselte.<br />
Schädeldecken sind keine, wie der Unkundige vielleicht vermuten<br />
mag, wärmenden Wolldeckchen, die sich Mama oder<br />
Papa aufs Haupt legen, falls ihnen friert, sondern von in Todesangst<br />
schreienden Menschen - meist ahnungslosen Touristen<br />
- mit stumpfem Werkzeug, bei lebendigem Leibe abgesägte<br />
Kopfoberteile, die in noch warmem Zustand vom Skalp<br />
befreit, mit Silberblech ausgekleidet werden und poliert und<br />
mit Türkisen, Silberblech, Sea-Corral oder eingeschnitzten<br />
Mandalas verziert als skurrile Dessert-Schalen in den Handel<br />
gelangen. Der restliche Körper wird zu Spottpreisen ans `be-<br />
38
freundete´ China verscherbelt, wo das Fleisch in den lokalen<br />
Suppenküchen verschwindet, wohingegen die restlichen Knochen<br />
in den staatlichen Eßstäbchenschnitzereien Verwendung<br />
finden.<br />
Kleiner Scherz - Schädeldecken werden natürlich nicht als<br />
Dessert-, sondern als Trinkschalen verwendet !<br />
91er Schädeldecken-Sommer-Kollektion `Chainsaw-Desaster´<br />
Doch außer Schädeldecken gab es natürlich noch andere<br />
interessante Dinge, die man mit nach Hause bringen konnte.<br />
Da mich Rocky mittlerweile mit seiner ewigen Aufkauferei<br />
kompletter Ladeninventarien angesteckt hatte, versuchte ich<br />
mein Glück bei einem Laden für wollene Handarbeiten und<br />
wurde stolzer Besitzer eines stark kratzenden, aber sehr warmen<br />
Pullovers aus reiner handverarbeiteter Yakwolle, der<br />
mir auf unserem Trek gute Dienste leistete. Und der Preis<br />
war einfach unfaßbar: fünfzehn Mark !<br />
Zwei Läden weiter erstand ich zudem ein Paar dazu passende<br />
Wollhandschuhe für nur eine einzige Mark und<br />
Wollsocken für lächerliche zwei Mark ! Ein kleiner Schmuckladen<br />
erregte ebenfalls meine Aufmerksamkeit: Ich fand,<br />
39
feilschte und erstand dank Rockys Unterstützung für ganze<br />
zehn Mark einen sehr schön geschliffenen, in Silber eingefaßten<br />
golden Topas, wie der Händler versicherte, den ich im<br />
nachhinein aber eher als weniger wertvollen Citrin einschätze.<br />
Der Preis für einen Silberring mit einem dicken fetten Citrin<br />
von drei Zentimeter Kantenlänge überstieg aber dummerweise<br />
meine derzeitige Hemmschwelle, was ich später bereute.<br />
Die anfänglichen Berührungsängste mit dem ewigen Herumgefeilsche<br />
für Alles und Jedes waren damit auf jeden Fall<br />
beseitigt und ich wurde später nur noch mutiger und ... unverschämter.<br />
Was für ein tolles Spiel !<br />
Zurück in Kathmandu opferte ich mich, wie jeden der verbleibenden<br />
Tage bis zur Abreise nach Indien, dem exzessiven<br />
Schreiben von Postkarten und Luftpostbriefen; hatte ich mir<br />
doch fest vorgenommen, diese quälende Aufgabe möglichst<br />
in der ersten Woche zu erledigen, da ich wußte, wie schnell<br />
bei mir die Lust dazu erlahmte. In meinem Repertoire befanden<br />
sich dreißig (30 !) Adressen, und soviel Post wollte erst<br />
einmal geschrieben werden, ohne in das übliche Blabla zu<br />
verfallen.<br />
Die mit Vier-Rupien-Marken (ca. 15 Pfennig !) frankierten<br />
Karten (Luftpostbriefe kosteten 30 Pfennig !), mußten danach<br />
zum GPO, dem Hauptpostamt am Bimsen-Tower gebracht<br />
und dort von einem staatlichen Spezialisten abgestempelt<br />
werden. Dabei war darauf zu achten, daß der entsprechende<br />
Staatsdiener auch wirklich das machte, was er machen<br />
sollte - aufgepaßt, denn es kommt des öfteren vor, daß<br />
die Angestellten die ungestempelten Briefmarken von den<br />
Karten oder Briefen ablösen, die Post wegschmeißen und die<br />
40
Marken aufs <strong>neu</strong>e verkaufen, um ihr bescheidenes Gehalt<br />
aufzubessern. Das ist diesmal kein Witz !<br />
Obwohl wir nur gefiltertes und zusätzlich mit Micropur behandeltes<br />
Wasser zu uns nahmen oder die Zähne damit putzten<br />
und auf unseren Streifzügen im städtischen Bereich ausschließlich<br />
Tee oder Kaffee bevorzugten, war es einem hinterhältigen<br />
Bakterium durch irgendeinen dämlichen Umstand<br />
gelungen, mein körpereigenes Verteidigungsnetz auszutricksen<br />
und in meinen Organismus einzufallen, wo es sich ungezügelt<br />
vermehrte und versuchte, Platz für sich und seine<br />
krankhafte Nachkommenschaft zu schaffen. Das äußerte sich<br />
in gelegentlichem überflüssigen Entleeren des Darmes, der<br />
sich mit ein paar halbherzigen Krämpfen gegen diese Art von<br />
Besiedelungspolitik wehrte, begleitet von leichtem Fieber mit<br />
gelegentlichem Schüttelfrost.<br />
Da es nicht ganz so schlimm war, entschloß ich mich abzuwarten,<br />
ob der Eindringling von selber klein beigab und das<br />
Weite suchte, verzichtete also vorerst darauf, einen pharmazeutischen<br />
Killer auf ihn anzusetzen.<br />
Vielleicht war es auch nur eine Erkältung oder fiebrige Kaufwut,<br />
denn es verschwand viel Geld für Räucherstäbchen,<br />
Täschchen, Silberringe, Messer, Ketten, Reispapier-Heftchen,<br />
Kekse, Schädeldecken, Kuchen, Tiger-Balsam, China-Öl, Versteinerungen,<br />
Bergkristalle, Kästchen, usw., während wir zur<br />
Beruhigung des guten Gewissens nur ab und zu mal eine<br />
Rupie oder weniger an einen der verkrüppelten und zerlumpten<br />
Bettler oder bunt zurechtgemachten Yogis spendeten,<br />
nachdem wir vorher Hunderte für vermeintlich wertbeständigen<br />
Krimskrams zum Fenster rausgehauen hatten.<br />
Wenn man drüber nachdenkt, kann einem halt schlecht<br />
werden. Leider - aber so war´s.<br />
41
In diesem etwas angeschlagenen Zustand ging es in die<br />
letzte Kultur-Runde vor unserem großen Aufbruch nach Indien:<br />
Wir machten einen ganztägigen Besuch in der "Stadt der<br />
Menschen, die Gott in Hingabe dienen": Bhaktapur; neben<br />
Kathmandu und Patan eine der drei ehemals mächtigen Königsstädte<br />
im Kathmandu-Tal. Mit einem Taxi fuhren diesmal Rolf,<br />
Dörthe, Rocky und ich zusammen zu dem 16 Kilometer südöstlich<br />
von Kathmandu gelegenen altertümlichsten der drei<br />
Städtchen, das eine Fülle von gut erhaltenen Tempeln sein<br />
eigen nennt.<br />
Es wäre müßig, in diesem Buch jedes dieser sehenswürdigen<br />
Kleinode nepalesischer Baukunst aufzuführen und zu beschreiben,<br />
denn dafür mag sich der interessierte Leser in die<br />
kaum übersehbare Schwemme unheimlich öder und tödlich<br />
langweiliger Reiseführer am Markte stürzen.<br />
Urgemütlich: Wohnsilos in Bhaktapur<br />
42
Viel interessanter war für uns damals auch die Stadt an<br />
sich, ein lebendes Biotop mit seinen uralten, geradezu ineinander<br />
verwachsenen und windschiefen Gebäuden, die nur<br />
darauf warteten, entdeckt zu werden. Also hielten wir uns<br />
zuerst mehr im Hinterland auf, guckten hier und suchten da,<br />
um dem unerwarteten Ansturm der Otto-Normal-Touristen,<br />
die sich überwiegend im Bereich Durbar Square und Taumadhi<br />
Tole verteilten, zu entfliehen. Angenehmer Nebeneffekt dabei<br />
war, daß wir gleichzeitig den an diesen gutbesuchten Plätzen<br />
touristenauflauernden Bambusflöten-, Kettchen-, Messerund<br />
sonstigen Kram verkaufenden Straßenhändlern entgingen,<br />
die sich für unseren Geschmack etwas zu aufdringlich<br />
benahmen.<br />
An den `weniger attraktiven´ Orten von Bhaktapur, etwa<br />
bei den riesigen Wasch- oder Badeplätzen, die dort überall zu<br />
finden sind, sah man beispielsweise experimentierfreudige junge<br />
Nepalesinnen damit beschäftigt, ihre gerade getrocknete<br />
und garantiert absolut saubere Wäsche in die total verdreckten<br />
und von Wasserlinsen zugewachsenen Wasserbecken, den<br />
sogenannten Pokharis, zu schmeißen, um deren Schwimmund<br />
Saugfähigkeit zu testen, und andernorts vergnügten sich<br />
zu unserem großen Erstaunen äußerst hungrige<br />
Bhaktapurianer mittleren Alters, indem sie auf dem dreckigen<br />
Boden, inmitten der Fußgängerzone, ein auf unbekannte<br />
Art und Weise dahingeschiedenes Rindvieh in seine Einzelteile<br />
zerlegten.<br />
Dazu war der bemitleidenswerte Leichnam vorher von ihnen<br />
unausgenommen, so wie Gott ihn erschaffen hatte, in<br />
ein Feuer geschmissen worden, um das Fell abzufackeln -<br />
und dementsprechend unappetitlich sah der verkokelte Kadaver<br />
nun auch aus.<br />
43
Während die Frauen ihre Wäsche badeten...<br />
Als wir eine halbe Stunde später wieder an der Stelle vorbeikamen,<br />
hatten die eifrigen Schlächter bereits alles, samt<br />
Knochen und Eingeweiden, aufgegessen (???), und nur ein<br />
blutiger Fleck zeugte noch von dieser schnellen und reichlichen<br />
Zwischenmahlzeit.<br />
Getrennt von Rocky und Dörthe, mit denen wir uns später<br />
wieder am Durbar Square treffen wollten, durchstreiften Rolf<br />
und ich zu zweit die ereignisreichen, trotz des Sonnenscheins<br />
von einem kühlen Wind durchwehten Gäßchen. Als sich nach<br />
dem langen Herumlaufen neben dem Frieren auch noch der<br />
44
...widmete sich die Männerwelt mal wieder fleischlichen Genüssen<br />
Hunger knurrend in unseren beiden Mägen bemerkbar machte,<br />
suchten wir ein kleines chinesisches Lokal auf, wo wir uns<br />
als einzige Gäste bei andenähnlicher Flötenmusik und einem<br />
leckeren Nudelgericht ein Quentchen Ruhe gönnten. Danach<br />
begaben wir uns in gemäßigtem Tempo in Richtung unseres<br />
vereinbarten Treffpunktes am Durbar Square.<br />
Irgendwo auf dem Weg dorthin glaubte ich meinen Augen<br />
nicht zu trauen, als ich durch ein leicht geöffnetes Tor blickte<br />
und etwas sah, was nun so gar nicht zu dem mittelalterlichen<br />
Ambiente paßte: Da standen doch tatsächlich sauber aufgereiht<br />
drei blitzblank geputzte Feuerwehrwagen der örtlichen<br />
Feuerwehr, einer davon ein sehr gut gepflegter Oldtimer mit<br />
Holzleiter, Handglocke und -pumpe !<br />
Genial ! Das mußte ich unbedingt fotografieren.<br />
45
Feuer ahoi !!!<br />
Am Durbar Square wieder lustig vereint, stürzten Rocky<br />
und ich uns auch gleich auf das mannigfaltige Angebot jahrhundertealter<br />
Antiquitäten und traditioneller Tourismus-Kleinkunst,<br />
die dort zu Spottpreisen verramscht wurden, wollte<br />
man den Worten der Händler Glauben schenken, die alles<br />
mit "very old" und "very, very cheap cheap" versuchten an<br />
den Fremdling zu bringen. Wirklich kaufen mochten wir jedoch<br />
im Moment nichts mehr, die angeleierten Geschäftsverhandlungen<br />
dienten einzig und allein der näheren Information<br />
und des Feilschtrainings, und es war schon sehr interessant,<br />
wie weit die Händler von sich aus bereit waren, mit den<br />
Preisen herunterzugehen, wenn man nicht unbedingt ein Interesse<br />
zeigte.<br />
Solche anstrengenden Gespräche können sehr hungrig machen,<br />
weshalb es uns auch bald Richtung Taumadhi Tole trieb,<br />
46
wo wir in dem im Pagodenstil erbauten "Restaurant Nyatapola"<br />
Stellung bezogen, das von einem seiner oberen beiden Stockwerke<br />
einen wunderschönen Rundblick über den gesamten<br />
Platz bot. Links neben dem Restaurant reckte sich der fast<br />
300 Jahre alte, fünfgeschossige Nyatapola-Pagodentempel mit<br />
einer Höhe von 30 Metern dem Himmel entgegen, und geradezu<br />
blickten wir auf den mit `nur´drei Dächern ausgerüsteten<br />
Bairabnath-Tempel.<br />
Hochzeit: Im buntgeschmückten Auto sitzt der Bräutigam<br />
Währenddessen schob sich unten auf dem Platz eine große<br />
Hochzeitsgesellschaft durch die sowieso schon reichliche<br />
Menschenmenge, begleitet von einer mit Pauken und Trompeten<br />
ausgerüsteten und in rote Uniformen gekleideten Kapelle,<br />
die laut etwas an `Karneval in Rio´ Erinnerndes zum<br />
Besten gab. Es war die Hölle los !<br />
Sofort Kamera her, runtergehetzt und ein Foto davon gemacht<br />
und danach noch eins von der Touristin, die "No, No,<br />
47
Mit 30m ist der Nyatapola-Tempel der höchste seiner Art im Kathmandu-Tal<br />
48
Nooo !!" schreiend versuchte, Hals über Kopf der Bande von<br />
Straßenhändlern zu entkommen, die ihr u-n-b-e-d-i-n-g-t eine<br />
schmucke Holzkette, ein wirkungsvolles Hackmesser, Armbänder<br />
oder vielleicht eine Gebetsmühle? andrehen wollten<br />
und der ängstlichen Dame dabei extrem auf die Pelle rückten...<br />
Also, man konnte auf keinen Fall behaupten, das dort nix<br />
los wär´, denn allein von dem was so passierte, konnte man<br />
schon ein ganzes Buch füllen. Und noch mehr los war später<br />
im "Norbulinga Guest House", als wir zurückkamen und Dörthe<br />
unbedingt, sofort und ohne Umschweife die 20 Rupies, oder<br />
war´s weniger? zurückhaben wollte, die sie mir irgendwann<br />
am Morgen geborgt hatte. Worauf ich etwas ungehalten reagierte,<br />
denn erstens ging ich ja nicht verloren und zweitens<br />
können nur arme Inder an ´ner fehlenden Mark zugrunde<br />
gehen.<br />
Hatte das nicht Zeit bis ...sagen wir mal... morgen ?<br />
Doch weit gefehlt ! Kurze Zeit später erschien Rocky im<br />
Zimmer, kritisierte mein allgemein ungebührliches Verhalten<br />
und setzte mir auseinander, daß er zwar gerne mit mir zusammen<br />
verreisen wolle, aber eben nur unter gewissen, von<br />
ihm ins Auge gefaßten Umständen, und schließlich warnte er<br />
mich erbost davor, Dörthe und ihn auseinanderbringen zu<br />
wollen ???<br />
Was 20 Rupies so anrichten können - mein Gott !!!<br />
Vor Verwirrung stand mir glatt der Mund offen. Heilige<br />
Scheiße - was sollte man auf so was antworten ?<br />
Irgendwie lief hier wohl der falsche Film ?<br />
Der Zornesausbruch hatte tiefere Gründe: Dörthe vermutete<br />
in mir ein verdeckt arbeitendes Mitglied der internationalen<br />
Anti-Frauenfront und teilte Rocky ihren Verdacht mit;<br />
49
Rocky erahnte nebulöse frauenfeindliche Intrigen zwecks<br />
Ausgrenzung seiner Herzallerliebsten, und ich dachte einfach<br />
nur, die beiden haben komplett den Verstand verloren -<br />
Dörthe wegen ihrer andauernden Pfennigfuchserei und Rokky,<br />
weil er nicht wußte wovon er redete.<br />
War etwa zwei Tage vor Beginn der eigentlichen Reise alles<br />
zuende wegen solchen Schwachsinns ?<br />
Nein und nochmals nein !<br />
Mit knirschenden Zähnen gab ich klein bei...<br />
Am Montag, dem 21.01.1991 um 08:00 Uhr zeigte die Tür<br />
der Indischen Botschaft leider immer noch keine Regung sich<br />
zu öffnen, denn auch für Blinde und geistig Schwache war die<br />
offizielle Öffnungzeit um Punkt 09:00 Uhr und keine Sekunde<br />
früher.<br />
Nach Öffnung der von mir und weiteren tausend Bewerbern<br />
belagerten Eingangspforte schüttelte mich beinahe ein<br />
hysterischer Anfall, als jeder seinen Antrag in die Hand gedrückt<br />
bekam und ich erschüttert feststellte, daß ich tatsächlich<br />
als einziger weder ein Hirn noch den viel wichtigeren<br />
Kugelschreiber dabei hatte, um diesen Fetzen auch den Vorgaben<br />
gemäß auszufüllen. Da aber trat mein ungeahntes<br />
schauspielerisches Talent auf den Plan, und einer der weniger<br />
hartherzigen Fürbittsteller empfand genug Mitleid, um seinen<br />
Faserschreiber an mich abzutreten.<br />
Damit nicht genug, wartete schon der nächste Schicksalsschlag<br />
in Gestalt eines uneinsichtigen Sachbearbeiters, denn<br />
um den Antrag innerhalb eines Tages zu bearbeiten, verlangte<br />
der Verfluchte zynisch das Busticket der imaginären `Reisegruppe´<br />
zu sehen, die ich zur Unterstreichung der Dringlichkeit<br />
meines Falles ins Leben gerufen hatte.<br />
50
G-O-T-T I-M<br />
H-I-M-M-E-L - die<br />
Tickets verwahrte<br />
Rocky !!!<br />
Hetz, Hetz, Hetz,<br />
keuch, hechel, hechel<br />
zurück ins Hotel,<br />
Rocky nicht da ...<br />
ich warten ... und<br />
warten ... und warten<br />
und die Zeit rann<br />
dahin. Da plötzlich<br />
tauchte Rocky auf,<br />
und mit einem wehleidigen<br />
Aufschrei nervlicher<br />
Anspannung entriß<br />
ich ihm die unentbehrlichenBusfahrkarten,<br />
wollte gerade zur Tür hinausstürzen, als Bogdan sich<br />
anbot, mich mit dem Motorrad zurückzubringen.<br />
Schließlich überreichte ich vollkommen entnervt meinen<br />
sauber ausgefüllten Antrag plus einwandfreiem und rechtsgültigem<br />
auf meinen Namen ausgestellten Ticket dem zuständigen<br />
Oberabstempler in der Botschaft und schob einen 500<br />
Rupien-Schein zwecks Bezahlung der geforderten Bearbeitungsgebühr<br />
in Höhe von 380 Rupies hinterher, worauf diesmal<br />
keine irgendwie geartete Gegenwehr erfolgte.<br />
Freudig erregt und mit der Genugtuung es endlich geschafft,<br />
die Bürokratie in die Knie gezwungen zu haben, verspürte ich<br />
den unaufhaltsamen, ja geradezu zwanghaften Drang, diesem<br />
51
Gott der Formulare und Bescheinigungen ein angemessenes<br />
Opfer für soviel Hingabe darzubringen, bat ihn darum<br />
unterwürfigst, das mir gesetzlich zustehende Wechselgeld zu<br />
behalten, was ich lieber nicht hätte tun sollen, oder wenigstens<br />
nicht mit der langen Schlange anderer Antragsteller und<br />
potentieller Mithörer hinter mir. Es kränkte anscheinend die<br />
persönliche Ehre dieses Schwachkopfs, der urplötzlich mit<br />
einem erbosten Redeschwall von schwerverständlichem<br />
Pidgin-English über mich herfiel.<br />
Ich war perplex - was war los ?<br />
Hatte ich irgendwas Falsches gesagt ?<br />
Doch mein Schicksal ließ mich nicht im Stich, und ein Schutzengel<br />
in Gestalt eines hinter mir stehenden deutschsprechenden<br />
Ceylonesen, mit Namen Krishna, sprang in die Bresche,<br />
erklärte mir, der Beamte wolle wegen der versuchten vorsätzlichen<br />
Bestechung meinen Antrag nicht bearbeiten - die<br />
Sache könne ich vergessen !<br />
Ich entschuldigte mich für dieses `Mißverständnis´, und der<br />
gewiefte Krishna erklärte dem Erbosten schließlich in Hindi,<br />
Deutsche wären halt so überaus reich und blöde, daß sie<br />
andauernd Unsummen von Geld an vollkommen wildfremde<br />
Menschen verschenkten. Er wüßte das: er lebe schließlich in<br />
Deutschland.<br />
Der Sachbearbeiter beugte sich aus seiner Kabine, und sein<br />
ungläubiger Blick wanderte zwischen unseren verschworenen<br />
Unschuldsmienen hin und her. Ende vom Lied: Das 45-<br />
Tage-Visum konnte am Nachmittag abeholt werden, und ich<br />
erhielt das `korrekte´ Wechselgeld in Höhe von 115 Rupies<br />
sofort zurück !<br />
52
Der Tag der Abreise war gekommen ! Mit unserem Gepäck<br />
stapften wir um 06:15 Uhr in der feuchtkalten Morgendämmerung<br />
zur nahegelegenen Bushaltestelle am Kanti Path<br />
und warteten, wie wir festellten als einzige Ausländer, auf<br />
den Local-Bus nach Varanasi.<br />
Als der abgewrackte Müllhaufen nach einer halben Stunde<br />
endlich eintraf, das Gepäck auf dem Dach des Busses verstaut<br />
war und die Türen zum Einsteigen geöffnet wurden,<br />
entstand ein tierisches Gedränge, denn jeder wollte zuerst<br />
hinein, um einen Sitzplatz zu ergattern.<br />
Nach einigem Kampf saßen auch wir, es sollte gerade losgehen,<br />
und ich werde es nie vergessen, wie Rocky dann meinte:<br />
"So, nochmal gucken, ob alles da ist...", seine Unterhose<br />
kontrollierte, in die das Bargeld eingenäht war, die Taschen<br />
abklopfte, ganz still und bleich wurde und mit dem Aufschrei<br />
"Jetzt gibt´s Tote !" und auf Dörthes erstaunte Frage "Was ist<br />
denn los ?", "...die Drecksäcke haben mir meine Brieftasche<br />
geklaut !!!" aufgeregt seine seitlich angebrachte Hosenbeintasche<br />
betrachtete, aus der die abgeschnittenen Lederriemen<br />
seiner Superspezialdiebstahlsicherung herausbaumelten.<br />
Der Täter, wahrscheinlich ein indischer Taschendieb, hatte<br />
die Tasche vorsichtig aufgeknöpft, die Sicherheitsnadel, mit<br />
der die Brieftasche innen an der Hose gesichert war, geöffnet,<br />
die an der Brieftasche angenähten Lederriemen mit einer<br />
Rasierklinge fein säuberlich gekappt, und schon waren<br />
Reisepaß, Flugticket, sowie einige AMERICAN-EXPRESS-Reiseschecks<br />
auf Nimmerwiedersehen verschwunden - regelrecht<br />
unheimlich !<br />
Sofort quetschte sich Rocky durch die Menschenleiber nach<br />
draußen, um dort zu suchen, fand nichts und niemanden,<br />
dem er für diese Schandtat eine aufs Maul hauen konnte und<br />
begab sich nach kurzer Aussprache mit Dörthe und mir zum<br />
53
Ticket-Office, um den Kauf der Buskarten zu annullieren. Also<br />
alles wieder aussteigen, die kürzeste Busfahrt der Welt war<br />
beendet, Gepäck runter vom Bus und Arrivederci !<br />
Die Leute im "Norbulinga Guest House" staunten nicht<br />
schlecht, als wir uns eine Stunde nach unserem Aufbruch<br />
wieder in unsere alten Zimmer einquartierten. Ich legte mich<br />
eingerieben mit Tigerbalsam und vollgepumpt mit Aspirin sofort<br />
ins Bett, nutzte die günstige Gelegenheit, die äußerst<br />
unangenehme Erkältung, die mich seit Tagen plagte, auszukurieren,<br />
und Rocky düste nach dem ersten Schreck sofort<br />
los zum Immigration-Office, da mit dem heutigen Tag sein<br />
Visum abgelaufen war, zur Polizei, Deutschen Botschaft, Filiale<br />
von AMERICAN EXPRESS und zum Büro von BIMAN-AIR-<br />
LINES, um den Schaden zu melden.<br />
Dank der gebunkerten Fotokopien hätte es eigentlich keine<br />
großen Wiederbeschaffungsprobleme geben dürfen.<br />
Die gab es aber mit dem, sagen wir mal, pseudo-professionellen<br />
Polizei-Apparat in Nepal, als er eine Anzeige aufgeben<br />
wollte, um seine Traveller-Schecks ersetzt zu bekommen.<br />
Nicht interessiert an einer Anzeige, `empfahl´ man ihm, seine<br />
Sachen "verloren oder verlegt" zu haben.<br />
Daraufhin mietete sich Rocky zum Erstaunen der Beamten<br />
kurzerhand für einige Stunden im Polizeirevier ein, bis die<br />
Staatsgewalt sich fügte. Das, und später bei unserer Rückreise<br />
auftretende Probleme erhärteten den Verdacht, daß Nepals<br />
Polizei anscheinend saumäßig korrupt ist und entgegen<br />
der guten Sitten und dem Bestreben Nepals, ein zivilisiertes<br />
Land zu sein, illegale Geschäfte mit Verbrechern macht.<br />
Das Ersatzticket kostete 25 Dollar und wurde nicht mehr<br />
sofort ausgehändigt, sondern mußte drei Tage vor Abflug im<br />
Büro von BIMAN AIRLINES abgeholt werden. Prima, das war<br />
54
ein Unsicherheitsfaktor weniger. Auch der Reisepaß bereitete<br />
keine großen Schwierigkeiten. Doch sein <strong>neu</strong>es indisches<br />
Visum sollte er erst in drei Tagen erhalten. Das bedeutete, er<br />
benötigte ein <strong>neu</strong>es Nepal-Visum für volle vier Tage zu 150<br />
Rupies, zuzüglich eines Zwangsumtausches von 10 Dollar täglich.<br />
Als Rocky endlich von der Polizei wiederkam, erzählte er,<br />
daß dort bereits einige andere Reisende Schlange standen,<br />
die noch viel verrücktere Geschichten zu Protokoll gaben.<br />
Einem von diesen Leuten hatte der Dieb mit einer Rasierklinge<br />
fein säuberlich von hinten das Hosenbein, dann die Halteriemen<br />
seiner Beingeldtasche aufgeschnitten und das ganze<br />
Ding herausgezogen, ohne daß er was merkte. Einem anderen<br />
war der mit einer Kette umwickelten Rucksack, den er<br />
locker über der Schulter trug, aufgeschlitzt worden und zwar<br />
genau an der Stelle, wo das Heft mit seinen Reiseschecks<br />
lag. Und weil der Täter nur die untersten Schecks herausgezogen<br />
hatte, war dem Opfer die Sache erst etliche Tage<br />
später aufgefallen !<br />
Diese Langfinger schienen ihr Handwerk gut zu verstehen.<br />
Ich mußte mir was einfallen lassen, wenn ich in Zukunft ruhiger<br />
schlafen wolllte. Gleich am nächsten Tag, als es mir wieder<br />
besser ging, suchte ich den tibetischen Taschennähdienst<br />
im Nebenhaus auf und gab eine speziell erdachte Tasche mit<br />
Hals- und Bauchgurt in Auftrag, die seitwärts zwischen Brust<br />
und Arm zu tragen war. Da ging mehr rein, und es schien<br />
mir sicherer als der Kunststoff-Bauchgeldgürtel, den ich bisher<br />
mit mir herumschleppte.<br />
Außerdem erfuhren wir von der Möglichkeit, nicht dringend<br />
benötigte Wertgegenstände für wenig Geld in einem<br />
Schließfach der Deutschen Botschaft abzulegen, die wir nach<br />
55
dieser schlechten Erfahrung natürlich gerne in Anspruch nahmen.<br />
So wanderten unsere Flugtickets, Billets der Reisekrankenversicherungen,<br />
ein Teil des Geldes sowie Fotokopien<br />
der Pässe und Schecks hinter Stahl.<br />
Der größte Teil meines Bargeldes aber war von vornherein<br />
in Plastik verschweißt, eingenäht in den Hosenbund und unter<br />
den Einlegsohlen meiner Stiefel verstaut.<br />
Zur Eindämmung des ständigen alpinen Weltraumkälteeinbruches<br />
in unser geliebtes möbliertes Zimmer beschlossen<br />
Rolf und ich, präventive Gegenmaßnahmen zu treffen. So zogen<br />
wir am Nachmittag entschlossen<br />
los, um Mittel für<br />
eine solche ausfindig zu machen.<br />
Und wir hatten Glück !<br />
In einem dieser archetypischen<br />
Elektro-Schrott-Shops<br />
erstanden wir schließlich einen<br />
tönernen elektrischen<br />
`Heizlichtkocher´, der eher<br />
an ein Stövchen für ein Käsefondue<br />
erinnerte, nach Aussage<br />
des hiesigen Elektro-<br />
fachhandels aber voll und ganz<br />
seinen Zweck erfüllte. Kosten:<br />
drei Mark !<br />
Da das ungeTÜVte Gerät ausschließlich aus einer offen-<br />
Unser geliebter Heim-Hochofen.<br />
liegenden Heizspirale bestand, die mit einem angeknoteten<br />
(!) dünnen Draht und Bakelitstecker direkt an das flatterhafte<br />
220V-Netz der nepalischen Stromindustrie angeschlossen wur-<br />
56
de - was deutschen sicherheitsbewußten Elektrikern schier<br />
die Tränen in die Augen treiben würde -, machten wir uns<br />
mit unserer preiswerten Neuerwerbung etwas ungläubig auf<br />
den Heimweg.<br />
Dieses kleine Ding hatte allerdings ungeahnte Fähigkeiten,<br />
wie sich sehr bald zeigte. Die urgewaltige Heizkraft dieses<br />
kraftstrotzenden Elektro-Meilers reichte nicht nur zur Beheizung<br />
und Beleuchtung unseres Zimmers, dem Trocknen der<br />
selbstgewaschenen Wäsche oder zum Kochen von Kaffee,<br />
Tee und leckeren Eintopfgerichten, sondern auch zur<br />
geruchssinnbelastenden Beseitigung eines Teiles der dem Fußboden<br />
anhaftenden roten Auslegware.<br />
Als wir unserem wirklich netten Hotelboß den angerichteten<br />
Schaden am nächsten Morgen zeigten und uns auf eine<br />
fette Rechnung gefaßt machten, lächelte der zu unserem Erstaunen<br />
bloß albern, schob mit einem „Oh, no problem !“<br />
unseren Kleiderschrank über das schwarze, ausgefranste<br />
Brandloch, und die Sache war für ihn erledigt. Zur Vermeidung<br />
weiträumiger Flächenbrände und peinlicher Schlagzeilen<br />
in allen Tageszeitungen der Welt, wie etwa<br />
„Nepal: Stadtteil Thamel in Kathmandu<br />
vollkommen abgebrannt. Brandstiftung !<br />
Täter: Zwei frierende Deutsche !“<br />
entwendeten wir vom Dach des Hauses ein paar herumliegende<br />
und - wie wir hofften - nicht benötigte Ziegelsteine als<br />
hitzebeständigen Unterbau - und das Problem war für uns<br />
gelöst.<br />
57
Nun fand auch Bogdan Gefallen an unserem Brenner Marke<br />
`Fegefeuer´. Oft tauchte er mit seiner kompakten Reise-<br />
Espresso-Maschine bei uns auf, um seinen aus Polen mitgeschleppten<br />
Kaffee aufzubrühen und redlich mit uns zu teilen.<br />
Umständehalber stand uns nun wieder etwas mehr Zeit<br />
zur Verfügung, um das reizvolle Kathmandu-Tal zu erkunden.<br />
Während Bogdan mit Rolf als Sozius per gemietetem Motorrad<br />
zur chinesischen Grenze düste und Rocky unendliche Stunden<br />
der Warterei und den Formalitäten opferte, um seine<br />
Papiere wieder zusammen zu bekommen, nutzten Dörthe<br />
und ich die Zeit, um mit dem gemieteten Drahtesel dem<br />
zehn Kilometer nördlich von Kathmandu gelegenen Städtchen<br />
Budhanilkantha einen Besuch abzustatten. Fahrräder aus indischer<br />
Produktion gab´s gleich um die Ecke für wenig Geld zu<br />
mieten. Klar, die Dinger sahen auch dementsprechend aus,<br />
aber Hauptsache die Bremsen funktionierten, die Klingel war<br />
laut genug, um Autos, Fußgänger und Viehzeug von der Straße<br />
zu jagen, und das Fahrradschloß ließ sich auch wirklich<br />
abschließen. Dann mußte man sich nur noch auf den hiesigen<br />
Linksverkehr einstellen, und ab ging die Luzie zum Kreisverkehr<br />
am Kanti Path, von da nach links, vorbei am <strong>neu</strong>en,<br />
1847 erbauten Royal Palace seiner Royal Majestry, König<br />
Birendra, und dann immer geradeaus - raus aus der Stadt,<br />
raus aufs Land.<br />
Ach, ... eins habe ich noch vergessen: Vergiß niemals, Dir<br />
irgendein Tuch vor Mund und Nase zu binden gegen die<br />
Abgase und den extrem feinen Sandstaub, der überall in der<br />
Luft herumschwirrt und der nach so einer Fahrradtour sonst<br />
noch jahrelang überall in deinem Körper nachgewiesen wer-<br />
58
den kann, oder laß´ ganz einfach das Atmen und denke immer<br />
daran, daß Fußgänger und Fahrradfahrer in Nepal nur<br />
Menschen zweiter Klasse sind und somit Freiwild !<br />
Per Fahrrad auf Entdeckungstour<br />
Die sonnenbeschienene Landschaft, durch die wir mit unseren<br />
`Low Budget´-Maschinen `heizten´, beeindruckte mich<br />
mal wieder total, und auf meinen Wunsch hielten wir des<br />
öfteren an, damit ich schnell ein paar Fotos schießen konnte,<br />
sei es von den auf den Terrassenfeldern arbeitenden Bauern,<br />
den an einem Fluß wäschewaschenden Frauen, der von tropischem<br />
Grün bewachsenen rot- oder gelbbraunen Landschaft<br />
oder den am Weg liegenden Gebäuden, und trotzdem benötigten<br />
wir nur eine Dreiviertelstunde, dann war´s geschafft,<br />
und wir stellten die Fahrräder ab.<br />
Sah alles ziemlich heruntergekommen aus, wo wir uns da<br />
eingefunden hatten: die verstreut stehenden Häuser verranzt,<br />
der Putz fiel von den Wänden, Schmutz lag auf der Straße,<br />
59
aber trotzdem urgemütlich - halt typisch Nepal. Durstig geworden<br />
und etwas hungrig kauften wir uns in einem dieser<br />
ebenfalls typischen `Tante Kali´-Läden, die man auch als Kolonialwaren-Kiosk<br />
umschreiben könnte, eine Selter und ein<br />
paar Kekse und ruhten uns ein wenig aus.<br />
"Am Anfang war (nicht nur) das Feuer"<br />
Auf der gegenüberliegenden Straßenseite stand ein mit großen<br />
verdreckten Reklametafeln wie "ICEBERG - Premium<br />
BEER", "PEPSI COLA", dem einheimischen "MARSHAL RUM"<br />
und halb abgerissenen Wahlplakaten bepflastertes `Abrißhaus´,<br />
an deren Seitenfront die ebenfalls feilgebotenen Wollpullover<br />
hingen, und ein Stückchen die Straße runter parkte - man<br />
traute seinen Augen kaum - ein deutscher LKW, Marke Sternkreiszeichen.<br />
Um uns herum lungerten ein paar Hunde und<br />
Hühner, sonst war es ziemlich leer im Ort.<br />
Aber dann sahen wir mal wieder etwas, "was nie ein Mensch<br />
zuvor gesehen hat": Ein schätzungsweise dreijähriger Junge<br />
60
tauchte von irgendwoher auf, hockte sich vor uns auf den<br />
Boden, reckte uns seinen Hintern entgegen und machte in<br />
aller Ruhe sein großes Geschäft, wobei wir ihn ungestört<br />
beobachteten. Neben ihm saß ganz aufgeregt einer dieser<br />
Straßenköter, und nachdem der Kleine seine Wurst herausgedrückt<br />
hatte, stürzte sich Hundi wie wild darauf und vertilgte<br />
den anscheinend leckeren Scheiß.<br />
Wir waren zwar beide etwas baff, aber obwohl mir der<br />
Appetit davon verging, hätte ich diese Trash-Metall-Hyper-<br />
Heavy-Szene doch ganz gerne auf Videoband festgehalten.<br />
Aber leider besaß ich zu der Zeit noch keine Video-Kamera.<br />
Zu Fuß ging´s weiter zur heiligen Stätte hier am Ort, dem<br />
steinernen, in einem Wasserbassin `schlafenden Vishnu´, für<br />
viele Hindus sogar der leibhaftige Vishnu, den der amtierende<br />
König von Nepal niemals zu Gesicht bekommen darf, da er<br />
nach der alten Überlieferung eine Reinkarnation eben dieses<br />
Vishnus ist und somit ein Paradoxon.<br />
Er wäre auf der Stelle mausetot !<br />
Aber Normalsterblichen ist es dort gestattet, die Anlage<br />
des Allerheiligsten zu betreten; jedweder Art von Leder aber<br />
wurde der Zutritt verwehrt - also runter mit der ledernen<br />
Unterwäsche.<br />
Hindus, darunter auch einige Inder, die extra aus Indien<br />
angereist waren, liefen in der kleinen umzäunten Anlage herum<br />
und warfen zur Opferung Blumen auf den im Wasser<br />
liegenden, bemalten und von einer Taubeninvasion geplagten<br />
5-Meter-Koloss. Um den auf einem Bett aus Schlangen dargestellten<br />
`Gott´ in seiner ganzen Pracht auf Film bannen zu<br />
können, mußte ich mich jedoch wieder nach draußen begeben,<br />
und durch den Zaun hindurch fotografiert, gelangen mir<br />
zwei, wie ich glaube, ganz gute Fotos.<br />
61
"Schlafender Vishnu" in Budhanilkanta<br />
Sofort war einer der fanatischen indischen Beter, ein<br />
Mr.Sanjay Lama, mit seiner Frau zur Stelle und bat mich innigst,<br />
ihm doch bitte, bitte einen der Abzüge zuzuschicken.<br />
Ich erklärte ihm, daß das aber ein paar Monate dauern würde.<br />
Das jedoch war vollkommen egal. Ich erhielt die übliche<br />
Visitenkarte, und zurück in Deutschland bekam er seine Abzüge,<br />
wie so viele andere Einheimische auch, die wir auf der<br />
langen Reise trafen und die uns um ein Foto baten.<br />
Weiter die Straße rauf, vorbei an einer jungen Spinnerin<br />
und auf der warmen Straße träumenden Hundebabies, entdeckten<br />
Dörthe und ich rechterhand per Zufall ein kleines<br />
trügerisches Paradies in Form eines wunderschönen Bambushains,<br />
durch den ein kleiner klarer Bergbach, zwischen dikken<br />
Findlingen sich seinen Weg bahnend, talwärts plätscher-<br />
62
te. Trügerisch deshalb, weil man mit diesem Wasser lieber<br />
nicht seine Lippen benetzte, denn kaum waren wir dem Wasserlauf<br />
ein paar Meter aufwärts gefolgt, fanden sich - man<br />
glaubte es kaum - überall am Ufer mit Fliegen übersäte<br />
Fäkalienhaufen - dies war das dörfliche Wasserklosett mit<br />
Dauerspülung.<br />
Tja, so sah die - im wahrsten Sinne des Wortes -<br />
verschissene Realität aus !<br />
Die spinnen, die Nepalis !<br />
Doch unbeirrt kletterten wir weiter auf den Steinen nach<br />
oben und erreichten wieder die Straße und die nahegelegenen<br />
Terrassenfelder, wo Dörthe in Ruhe ihr Tagebuch schreiben<br />
und ich in erwachtem `Bergwahn´ die dahinterliegenden<br />
begrünten Höhen erklimmen wollte. Da mußte ich allerdings<br />
zuerst zusehen, wie ich ohne naß zu werden über den<br />
kleinen Bach rüberkam, der dort nach einem Linksschwenk<br />
vor den `Highlands´ meinen Weg kreuzte. Als das geschafft<br />
63
Deutsches "Kulturgut"<br />
war, erstieg ich auf einem nur zwanzig Zentimeter breiten<br />
Fußpfad schnaufend den steilen Hang.<br />
Eine halbe Stunde dauerte der Aufstieg, und oben angekommen<br />
genoß ich in den warmen Sonnenstrahlen die herrliche<br />
Ruhe und den grandiosen Blick auf die unter mir und auf<br />
den anderen Hügeln rundum liegenden Terassenfelder. Hinter<br />
mir ging es weiter hinauf, und dort oben waren etliche<br />
Behausungen an den mit Bäumen und Sträuchern zugewachsenen<br />
Hang geschmiegt, die fast täglich über diese Pfade mit<br />
dem Nötigsten versorgt wurden.<br />
Das ist der pure Wahnsinn, wenn man bedenkt, daß sich<br />
bei uns in der Stadt die Leute schon beklagen, wenn sie ihren<br />
Kram in den zweiten Stock schleppen müssen. Da muß dann<br />
ein Fahrstuhl her, oder ´ne Rolltreppe oder am besten gleich<br />
´n schicker Rollstuhl. Was sind wir doch für jämmerliche Kreaturen<br />
gegen diese topfiten nepalischen Freiluftfanatiker, die<br />
von frühester Kindheit an bis ins hohe Alter tagtäglich stun-<br />
64
denlange Wanderungen in Kauf nehmen, um z.B. Brennholz<br />
zu holen oder zur Schule zu gehen, ohne sich zu beklagen !<br />
Die Leute leisten mehr und sind nahrungstechnisch viel<br />
schlechter versorgt als wir, was mich auch später in Indien<br />
immer wieder in den Bann gezogen hat.<br />
Doch ehe ich mich hier in weitausschweifenden Weltanschauungen<br />
verzettele ... zurück zur Sonne, dem dämlichen<br />
Hügel, dem folgenden Abstieg aus luftiger Höhe und der anschließenden<br />
Rückfahrt ins geliebte Thamel, die ohne weitere<br />
Probleme - mal abgesehen von der vertrackten Fahrradkette,<br />
die gern und oft vom vorderen Zahnkranz abfiel - vonstatten<br />
ging. Schmerzen bereitete mir die Fahrradtour aber dennoch,<br />
denn diesen Hinweis mit dem Tuch vor Nase und Mund, den<br />
hatte uns niemand gegeben.<br />
Ich weiß zwar nicht mehr, ob Dörthe damals auch solch<br />
einen stechendes Ziehen von der Nase bis ins Hirn verspürte,<br />
aber mich machte der Schmerz am nächsten Tag fast<br />
wahnsinnig und ich bekam unangenehme Kopfschmerzen davon.<br />
Es fühlte sich an, als hätte ich Salzsäure durch die Nase<br />
gesogen und alles verätzt. Auch mit hektischen, erstickungsanfallauslösenden<br />
Wasserspülungen und literweise verabreichten<br />
Nasentropfen war dem nicht gleich beizukommen. Erst<br />
am nächsten Tag zeigte sich eine Besserung, und nach zwei<br />
weiteren Tagen hatte der Schöpfer Erbarmen mit mir.<br />
Schließlich und endlich wagten wir mit dem Fahrrad einen<br />
letzten Abstecher in das südlich von Kathmandu gelegene<br />
Patan oder Lalitpur, die Stadt der Schönheit und ganz nebenbei<br />
Heimathafen der Singenden Eintöpfe, den Singing Bowls,<br />
die mir Rocky unbedingt vorführen wollte. Dann war auch<br />
65
schon der 28ste Januar gekommen, Termin für den zweiten<br />
Versuch, Indien mit dem gesamten Hausrat auf dem entbehrungsreichen<br />
Landwege zu erreichen.<br />
Pünktlich um 6:30 Uhr in der Früh, wie beim ersten Mal,<br />
standen wir in der exotischen Menschenmenge am Busstop<br />
und warteten diesmal gut vorbereitet auf den Bus nach<br />
Varanasi. Angespannt hatten wir uns zu einer abschreckenden<br />
`Dreier-Wagenburg´ formiert. Mit fest umklammertem<br />
Rucksack und wildem Blick wurde jeder um uns herum eingehend<br />
gemustert.<br />
War der ein Dieb, oder der da ... oder etwa der da ?<br />
Vielleicht wurde ja Dörthe diesmal ausgeraubt, oder ich, oder<br />
alle drei und wir kamen nie mehr weg von hier ? Vielleicht<br />
waren wir reinkarnierte Diebesopfer !?<br />
Einander die Flanken sichernd quetschten wir uns mit den<br />
anderen Fahrgästen hinein in die Rostlaube von Bus und hechteten<br />
unbestohlen auf die reservierten Sitzplätze zwei<br />
hintereinanderliegender Zweierbänke auf der linken Seite.<br />
Entgegen der ersten Wahnvorstellungen, zur eigenen Sicherheit<br />
gleich den kompletten Bus zu kaufen und zusätzlich<br />
entlang der Straße speziell ausgebildete Streckenposten aufstellen<br />
zu lassen, hatte ich mich aus Kostengründen für die<br />
billigere Variante entschieden und - koste es, was es wolle -<br />
eine komplette Bank reservieren lassen, denn so blieb der<br />
Rucksack direkt am Mann, wanderte also nicht aufs Dach,<br />
wo er auf einem der Zwischenstops ebenfalls geklaut werden<br />
konnte und - niemand durfte neben mir sitzen !<br />
Hä ... hähä ...hä !!! Mit mir nicht, liebe Brüder und Schwestern<br />
!<br />
Da der Bus nur 48 Sitz- und 62 Stehplätze besaß, wurde<br />
das Gepäck der restlichen 200 Reisenden, zuzüglich deren<br />
66
kompletter Haushaltsauflösungen auf dem Dach verstaut und<br />
mit einer Plastikplane gegen Flugversuche gesichert. Der mitgeführte<br />
Kleintierzoo, bestehend aus Hühnern, Ziegen,<br />
Wasserbüffeln und Trichinen durfte drinnen mitfahren. Alle<br />
Passagiere waren vollzählig, der Fahrer nüchtern, die Musik<br />
voll aufgedreht, die Götter gnädig, nichts geklaut, alles drin,<br />
alles dran - wohlan denn, auf auf zur Grenze, auf nach Sunauli,<br />
das nur läppische zwölf Stunden Dauerstreß entfernte<br />
Grenzstädtchen zwischen Indien und Nepal.<br />
Erst im vierten Gang setzte sich das hupende Ungetüm von<br />
Bus unter Abgabe unheilverkündender Rauchschwaden, die<br />
dem Auspuff entströmten, langsam und scheppernd, schwer<br />
von einer auf die andere Seite schaukelnd in Bewegung, beschleunigte<br />
mehr und mehr und konnte nun aufgrund seiner<br />
bewegten Masse nicht mehr zum Stehen gebracht werden,<br />
bevor der Sprit alle, also das Ziel erreicht war, das Ding<br />
während der Fahrt auseinanderfiel oder einen Abhang herunterstürzte,<br />
was bei dem ignoranten Fahrstil der meisten<br />
Fahrer nichts Ungewöhnliches war. Die Straßen wurden zwar<br />
in den letzten Jahren mit indischer und chinesischer Hilfe leidlich<br />
befestigt, aber an den engen Serpentinen gab es nach wie<br />
vor keine Schutzplanken, so daß sich die Räder bei den teils<br />
haarsträubenden Kurven- und Überholmanövern meist nur<br />
einige Zentimeter vorm Abgrund befanden. Und Abgrund<br />
hieß dort auch wirklich Abgrund, denn es ging bestimmt hundert<br />
Meter bergab !<br />
Als sich am späten Vormittag die Kälte und der dicke undurchdringliche<br />
Nebel verflüchtigten und die Sonne durchbrach,<br />
gewahrten wir weit unten, eingebettet im grünen Tal<br />
einen Fluß und links von uns die steil aufsteigenden, teils mit<br />
Bananenpalmen und tropischen Sträuchern bewachsenen<br />
67
Bergwände, die nur knapp am Fenster vorbeihuschten. Ab<br />
und zu konnte man einzelne Hütten und kleinere Wohnorte<br />
in den Bergen ausmachen oder Arbeiter auf den Straßen und<br />
Feldern, und manchmal passierten wir kleine Wasserfälle, die<br />
zwischen den verwinkelten Felsen ins Tal stürzten.<br />
Zwischendurch nickte ich vor Müdigkeit immer mal wieder<br />
ein, denn es wurde zunehmend wärmer im Inneren des Busses.<br />
Aber die Fenster mußten wir leider zulassen, da die einheimischen<br />
Reisenden das nicht so vertrugen und als Folge<br />
davon die ganze Breitseite des Busses mit ihrem Frühstück<br />
verschönerten. Ich aber saß im Bus mit Jogginghose, Armeehose,<br />
Sweatshirt, Pullover und dicker Jacke !<br />
Wir hatten Glück und kamen ohne Verluste an Körper und<br />
Geist in Sunauli an, marschierten mit Sack und Pack rüber<br />
über die deutlich sichtbare Armutsgrenze zum Zoll auf der<br />
indischen Seite, füllten auf Wunsch einige Dutzend nichtssagender<br />
Formulare aus, und Rocky korumpierte die drei dort<br />
darbenden Beamten mit heißbegehrter Mangelware:<br />
EINEM Plastikwerbegeschenkbilligkugelschreiber.<br />
Das war fast nichts ! Im Jahr davor verlangte die original<br />
gleiche Mannschaft seinen handgegossenen Colani-Kugelschreiber<br />
samt Mine, eine Jahresration MAGGI-Brühwürfel "Golden<br />
Label", eine Sammlung in Indien seltener Multivitamintabletten<br />
und ein Jahresabo der BILD-Zeitung !<br />
Rockys Kommentar: "Ich denke mal, daß meine freiwillige<br />
Spende die Jungs so überrascht hat, daß sie nicht mehr daran<br />
dachten, mich bzw. uns noch mehr auszuplündern. Man könnte<br />
auch so über die Grenze; dann läuft man allerdings Gefahr,<br />
geprüft, gegengeprüft, durchleuchtet, zerlegt und anschließend<br />
falsch wieder zusammengesetzt zu werden."<br />
68
Eine Stunde später traf auch schon der indische Anschlußbus<br />
nach Varanasi ein, der diesmal reichlich leer war, wie wir<br />
verwundert feststellten. Das lag wahrscheinlich an dem ununterbrochenen<br />
Abspielen der grausamsten indischen Pubertätserotikaction-Videos,<br />
die dort untermalt von ebenfalls indischen<br />
Jammer-Lovesongs über den eingebauten Bildschirm flimmerten<br />
und die ihre Botschaft so lautstark in die Fahrgastkabine<br />
schickten, daß niemand mehr das Motorgeräusch wahrnahm.<br />
Irgendwo auf der elf Stunden dauernden Fahrt stieg auch<br />
noch ein ca zwanzigjähriger Deutscher zu, und sein aus<br />
Deutschland mitgeschlepptes Mountain-Bike wanderte aufs<br />
Dach. Wie wir feststellten, sah er ziemlich mitgenommen<br />
aus, zombiemäßig, und er erzählte uns auch, woran das lag:<br />
Er quälte sich seit Tagen mit der übelsten Scheißerei herum<br />
und besaß nicht ein einziges Medikament dagegen. Zwar hatte<br />
ihm unterwegs irgendjemand Tabletten in die Hand gedrückt<br />
- aber die zeigten keinerlei Wirkung. Na, wir schleppten<br />
ja genug davon herum, und so fanden wir uns in der<br />
glücklichen Lage, ihm als Wegzehrung einige Hände voll zuzustecken,<br />
rieten ihm aber, auf jeden Fall einen Arzt aufzusuchen,<br />
falls er am Leben bleiben wollte.<br />
Spät in der Nacht wurde der Bus dann nochmal angehalten,<br />
und indische Zivilfahnder enterten den Bus zur Kontrolle unserer<br />
Papiere. Wir tippten auf Rauschgiftfahndung oder Einwanderungsbehörde.<br />
Jedenfalls schleppten sie einen heftig gestikulierenden<br />
glücklichen Gewinner nach draußen, und er<br />
ward nie mehr gesehen...<br />
69
Varanasi
Stadtplan von Varanasi<br />
71
Ganz früh am Morgen, um 06:30 Uhr, entließ uns<br />
der Bus hungrig und müde in Varanasi, jener hindu<br />
heiligen Stadt an den hochverehrten Ufern des Ganges.<br />
Sie wirkte trist und düster, voller Nebel, und es war<br />
immer noch sehr kühl.<br />
Wir wurden unverzüglich von einigen Rikscha-Fahrern umzingelt,<br />
die, durch den Geruch einer Handvoll `reicher´ Touristen<br />
aus ihrem Schlaf gerissen, uns unbedingt irgendwohin<br />
bugsieren wollten, sich aber nicht an den Gedanken gewöhnen<br />
konnten, daß wir schon wußten, wo wir unsere Zelte<br />
aufzuschlagen gedachten - denn Rocky war schon einmal hier<br />
gewesen und kannte sich ganz gut aus. Wild durcheinanderschnatternd<br />
mochte uns ein jeder der Fahrrad- oder Motorfahrkabinen-Kutscher<br />
nur ganz spezielle, von ihm im Kampf<br />
ums Überleben unterstützte “Cheap! Not far!”-Herbergen zumuten<br />
und war schwer enttäuscht, das wir in einem solchen<br />
`Loch´ abzusteigen gedachten.<br />
Dagegen übertraf es unsere Vorstellungskraft, daß ein Mann<br />
mit der alleinigen Kraft seiner dürren Beine das Gewicht einer<br />
kleinen wohlgenährten europäischen Reisegruppe samt<br />
Gepäck befördern könne, und daher entschieden wir uns<br />
dann für einen der bemotorten Varanasen, der leider sofort<br />
den ganzen Haß seiner Mitbewerber zu spüren bekam, denn<br />
die wollten ihm gleich an die Wäsche, und es gab ein kleines<br />
handfestes Gerangel. Bald jedoch war die Situation geklärt,<br />
und wir machten uns mit dem gewählten Kandidaten auf den<br />
Weg.<br />
Mit drei dicken, aus allen Nähten platzenden Rucksäcken<br />
und vier Personen war es in einem solch´ indischen Töff-<br />
Töff jedoch etwas eng, so daß wir uns, eingeklemmt zwischen<br />
`Karosserie´ und Gepäck, kaum bewegen konnten.<br />
72
Der Fahrer hatte beteuert, er wüßte, wo´s langgeht, doch<br />
sehr schnell fing Rocky an, das zu bezweifeln und bekundete<br />
dies mit der in den Raum geschleuderten Frage<br />
“Wo will der denn hin ?”<br />
“Wieso, fährt er falsch ?”, fragten Dörthe und ich müde.<br />
“Klar vollkommen - aber lassen wir ihn mal fahren. Mal<br />
sehen wo er uns hinbringt...” entgegnete Rocky gelassen sarkastisch.<br />
So quälte unser Fahrer seinen hustenden Zweitakter mit<br />
angestrengt konzentrierter Miene durch die engen und total<br />
verdreckten Gassen, wurde unsicher, hielt ab und zu, wenn<br />
er jemanden sah, der schon schlaftrunken durch den Morgen<br />
schlich, fragte ihn nach dem Weg und fuhr sinn- und ziellos<br />
weiter, als er nur ein Achselzucken erntete.<br />
Aber heissa ! - irgendwann trafen wir einen älteren zerlumpten<br />
Herrn mit Krückstock, der zustimmend nickte und<br />
ihm bekundete, wenn er ihn auch noch mitnehmen würde,<br />
könnte er uns sogar den Weg weisen. Gesagt, getan. Nun<br />
krochen wir zu fünft in einer kränkelnden und laut knatternden<br />
Motorriksha über holpriges Straßenpflaster durch den<br />
anbrechenden Tag, - auf der Suche nach unserer Unterkunft.<br />
Da gemahnte jener zugestiegene Passagier auch schon pathetisch<br />
zu halten, stieg aus, erklärte dem Fahrer, er müsse<br />
noch ein ganzes Ende weiterfahren und verabschiedete sich,<br />
denn er wohnte hier. Angeschissen - Ha, ha, ha !!!<br />
Nach einer nervenaufreibenden Dreiviertelstunde (!!!) nahm<br />
das Gerüttel und Geschüttel in der beklemmenden Enge der<br />
Fahrkabine endlich ein Ende, als wir am Ort unseres Begehrs<br />
73
eintrafen. Dadurch ermutigt, daß er uns endlich aus der Pein<br />
erlöst hatte, verlangte dieser dreiste `Blinde-Kuh´-Fahrer allerdings<br />
eine zusätzliche und nicht geringe Rikscha-Verirr-Gratifikation,<br />
wegen der unverschämt langen Strecke, den während<br />
der Fahrt plötzlich gestiegenen Benzinpreisen auf dem<br />
internationalen Markt und seinen fünf hungernden Frauen -<br />
mal ganz abgesehen von seinen zweiundzwanzig weinenden<br />
Kindern ! Diesen energisch beteuerten Wunsch mußten wir<br />
ihm allerdings schleunigst ausreden, denn schließlich war es<br />
auf seine Dämlichkeit zurückzuführen, wenn er uns durch die<br />
halbe Stadt kutschierte, obwohl die Herberge eigentlich nur<br />
5 Minuten vom Busstop entfernt lag.<br />
Doch damit nicht genug: Am Haltepunkt warteten noch<br />
andere hysterische Fahrer und cholerische Hotelvermittler,<br />
von denen uns nun zwei bethelkauende Nervensägen folgten<br />
und unsere militante Interesselosigkeit ignorierend, lauthals<br />
mit ihren Hotelempfehlungen traktierten, bis es dem mittlerweile<br />
etwas gereizten Rocky schließlich zu bunt wurde, er<br />
sich mit Schaum vorm Mund umdrehte, den einen wütend<br />
beim Kragen packte, vorsichtig an sein Gesicht hob, wobei er<br />
ihm tief in die Augen blickte und ein wenig laut und unfreundlich<br />
anfauchte:<br />
“Verpißt euch endlich !!! Wir wissen schon wo wir hinwollen.<br />
Nix Vermittlung, nix Provision !"<br />
"W-I-R B-R-A-U-C-H-E-N E-U-C-H N-I-C-H-T !<br />
GO AWAY !<br />
No Bakhshish ! No Hotel ! L-a-ß-t u-n-s i-n<br />
Ruuuuuuhhhhheeeeee !!!!!!<br />
A-U-F W-IIIIIIII-E-D-EEEE-R-S-EEEEE-H-EEEEE-N !!!"<br />
74
Verdattert machten sich die beiden, wegen der Kälte in<br />
Decken gehüllten, penetranten Turbanträger vom Acker, und<br />
wir beschleunigten unsere Schritte, falls wir von einer stärkeren<br />
Nachhut jener extrem geschäftstüchtigen Asiaten verfolgt<br />
wurden, denn durch solcherlei Gebaren wurden diese<br />
durchgeknallten Inder meist nicht entmutigt, da sie in Ihrer<br />
Naivität glaubten, daß sie ihrem Gegenüber irgendwie noch<br />
nicht die richtigen Argumente vorgebracht hatten und vielleicht<br />
doch ein bißchen mehr Überzeugungsarbeit leisten mußten.<br />
Also - schnell weg !<br />
Die von Rocky ins Auge gefaßte Pension "Shangrila" war<br />
jedoch leider voll ausgebucht, und so blieb uns nichts weiter<br />
übrig, als etwas anderes ausfindig zu machen.<br />
Aber zuerst schleppten wir uns mit den vollgestopften Gepäckstücken<br />
zu einem steinernen Pavillon bei den Ghats am<br />
Ganges, um uns die frühmorgendlich beginnenden nationalen<br />
Totenverbrennungen anzusehen. Kamera ist hier verboten !<br />
Sollte einer der heiligen Feuerteufel einen Touristen mit Kamera<br />
im Anschlag erwischen, dann war es unter Umständen<br />
sogar möglich, daß von ihm aufgewiegelter fanatischer Pöbel<br />
zur Selbstjustiz griff und versuchte, uns inquisitionsgerecht anzuzünden,<br />
wie Rocky verlauten ließ, als ich aufgeregt den<br />
Rucksack nach meiner Kamera durchwühlte. So mochte keiner<br />
von uns enden, und daher betrachteten wir stumm die<br />
vorsichhinkokelnden Leichenteile eines Dahingerafften, der<br />
am diesseitigen Flußufer buchstäblich in Rauch aufging. Währenddessen<br />
verflüchtigte sich langsam die feuchte Kälte, und<br />
die Sonne brach durch.<br />
Alsdann begannen wir schlaftrunken mit der Suche nach<br />
einer günstigen Schlafgelegenheit. Dabei trafen wir auf einen<br />
zugedröhnten, mit Geldbündeln um sich werfenden indischen<br />
75
Bekannten von Rocky, der uns den Weg zu einem ehemaligen<br />
englischen Nobelhaus beschrieb, in dem die "Tourist<br />
Shankeri Lodge" residierte. Wie alles in Varanasi, so rottete<br />
auch dieses Gebäude vor sich hin: Die Farbe blätterte von<br />
den schimmelnden Wänden, der Zustand des Brunnens im<br />
Innenhof spottete jeder<br />
Beschreibung,<br />
und die Zimmer im<br />
gegenüberliegenden<br />
Haus der Dienstboten<br />
- jetzt ebenfalls zu<br />
mieten - waren nur<br />
noch über einen hohen<br />
Schuttberg zu erreichen,<br />
der schon jahrelang<br />
dort liegen mußte.<br />
Unsere Zimmer machten jedoch einen ganz passablen Eindruck,<br />
und so mieteten wir uns ein, bestellten Frühstück und<br />
ruhten uns erst einmal aus.<br />
Rocky und Dörthe bewohnten ein tolles Zweibett-<br />
Apartement auf dem Dach des mehrstöckigen Hauses, hatten<br />
ihre eigene Außentoilette und Probleme mit den frechen<br />
und <strong>neu</strong>gierigen Affen, die hier überall frei herumliefen.<br />
Mein Zimmer dagegen, das gleich durch zwei zweiflüglige<br />
Türen erreicht werden konnte, die von einem großen zentralen<br />
Raum auf der Etage abgingen, lag im zweiten Stock,<br />
und ich war gezwungen bis nach unten zur Gemeinschaftstoilette<br />
zu laufen, wenn meine Blase des Nachts drückte.<br />
Das stählerne graue Bettgestell, in dem ich die folgenden<br />
schwülen Nächte unter meinem mitgeführten aufgespannten<br />
Moskitonetz verbrachte, schien noch übriggeblieben aus alten<br />
englischen Militärbeständen der Zeit britischer Kolonial-<br />
76
herrschaft, wie auch die darauf arrangierte fleckige und durchgelegene<br />
Matratze - und das war immerhin schon an die<br />
vierzig Jahre her !<br />
Gegen Mittag, als die Sonne endlich restlos den Grauschleier<br />
aus Varanasi verdrängt hatte und - damit nicht genug - die<br />
Gegend bis auf 40 Grad im Schatten aufheizte, begaben wir<br />
uns aufs Dach des Hauses und flößten uns während des Sonnenbades,<br />
das wir auf unseren ausgebreiteten Bundeswehr-<br />
Zeltplanen genossen, kannenweise Tee - “Sugar separated,<br />
please !” - ein. Hier oben störte es auch niemanden, wenn<br />
wir in Badehosen herumliefen. Ganz im Gegenteil: Die Jugendlichen<br />
aus der Nachbarschaft lagen auf einem der angrenzenden<br />
Dächer gierig auf der Lauer, um diese<br />
weißhäutigen `Halbnackten´ bei ihrem Treiben zu beobachten.<br />
Auf einem etwas tiefergelegenen Dach eines anderen angrenzenden<br />
Hauses trockneten Öko-Kohlen aus mit Stroh<br />
vermengtem Rind- oder Ziegendung in der Sonne, und hinter<br />
unserem Haus schob sich träge der verdreckte Ganges durchs<br />
Bild.<br />
Die Luft flirrte vor Hitze.<br />
Von hier oben sah es aus, ging mir durch den Kopf, als<br />
wäre gerade ein Krieg über die Stadt hinweggezogen. Varanasi<br />
glich einer einzigen verfallenen und verschimmelten Ruine, in<br />
dessen engen und verschlungenen Gassen sich Kot und Tod<br />
vermengten. Trotz unserer Abscheu gegen die Menschen,<br />
die eine Stadt so dermaßen vergammeln ließen, war ein besonderer<br />
Reiz, der von ihr ausging, nicht abzustreiten.<br />
Am späten Nachmittag gelüstete meinem Körper danach,<br />
endlich den Staub der Anreise loswerden, begab sich dazu<br />
77
Auch auf dem Dach einer Ruine in einer der ältesten Städte dieser Welt...<br />
...ist man vor Spannern jüngeren Datums nicht sicher<br />
78
mit Badelatschen und Handtuch bewaffnet in den Waschraum<br />
und genoß ein angenehmes Bad mit der vorher georderten<br />
Schüssel lauwarmen Wassers, das uns unsere zuvorkommenden<br />
höherkastigen Gastgeber extra berechneten. Gebadet<br />
wurde hier im Stehen oder Hocken:<br />
Mit möglichst wenig warmem Wasser wird sich eingeseift<br />
und dann mit dem in der Schüssel verbliebenen Rest abgespült.<br />
Wem das nicht reichte, der mußte mit dem kaltem<br />
Wasser aus einem großen Holzfaß nachspülen, was bei dieser<br />
Hitze sehr angenehm und erfrischend sein kann.<br />
Danach ein erlösender Gang aufs landesübliche Klo: ein<br />
Hockloch am Boden. Die Benutzung desselben wollte gelernt<br />
sein !<br />
Nachdem die richtige Stellung herausgefunden war, bedurfte<br />
es schon einiger Übung, unbekleckert auch bis zum Ende<br />
in dieser zu verharren, ohne Krämpfe in den Beinen zu bekommen.<br />
Hinterher kam das in Massen mitgeschleppte Toilettenpapier<br />
zum Einsatz, weil Inder nämlich sehr umweltbewußt<br />
sind und sich die linke Hand grundsätzlich nur mit Wasser<br />
am Hintern abwischen. Das benutzte Papier durfte aber<br />
nicht etwa in das Loch im Boden geworfen werden, sondern<br />
wanderte in einen eigens dafür vorgesehenen Mülleimer und<br />
später ins Feuer.<br />
Die Stinkefinger der linken Hand gelten logischerweise als<br />
UNREIN, weshalb Linkshänder und Leute mit zwei linken<br />
Händen keine Überlebenschance in diesem Land haben, wo<br />
sich Trichinen und Staphyllokokken "Gute Nacht !" sagen.<br />
Zum Abendessen fanden wir uns auf dem gemütlichversifften<br />
Slum-Hinterhof des mit wertvollem No-Future-Interieur<br />
ausgestatteten India-Trendsetters "Aces New Deal" ein,<br />
bei dessen angrenzendem `Tiergarten´ sich eine Ähnlichkeit<br />
79
mit einem aufgewühlten Schlachtfeld aus dem Ersten Weltkrieg<br />
nicht verleugnen ließ.<br />
In diesem von uns in den nächsten Tagen favorisierten Speiselokal<br />
servierte der Maitre exzellente kontinentale Küche<br />
und Fast-Food-Spezialitäten, die so richtig Lust auf mehr machten.<br />
Als wir danach in der anbrechenden Dunkelheit durch die<br />
Gassen nach Hause schlenderten, lief uns just ein stämmiger,<br />
pausbäckiger Inder mit Namen Bablu Vijay, kurz `Baba´, über<br />
den Weg, der Rocky sofort von seinem letzten Besuch her<br />
zu kennen glaubte und als guten alten Freund identifizierte.<br />
Auch Rocky war freudig überrascht, ihn hier zu sehen, obwohl<br />
er ihn überhaupt nicht kannte, wie sich später herausstellte.<br />
Da Rocky dringend Geld tauschen wollte und `Baba´ eine<br />
gute Quelle zu kennen schien, die nichts mit Ladenschlußzeiten<br />
im Sinn hatte, trabten wir nun in der Dunkelheit von<br />
einer spärlich beleuchteten Gasse durch die nächste.<br />
Die Stadt war wie ausgestorben.<br />
Auch nach einer guten Viertelstunde hatte `Baba´ nichts<br />
anderes im Sinn, als mit uns im Gefolge wieder und wieder in<br />
<strong>neu</strong>e und uns gänzlich unbekannte, menschenleere Gäßchen<br />
einzubiegen, in denen nur ab und zu irgendeine vermummte<br />
Gestalt unseren Weg kreuzte und so plötzlich, wie sie erschien,<br />
wieder unseren Blicken entschwand. Menschliche<br />
Stimmen und Hundegebell hallten von irgendwoher durch<br />
die schwüle Nacht, und vor uns war das eintönige KLAPP<br />
KLAPP der auf den Steinfußboden aufklatschenden Sohlen<br />
von `Babas´ zerlaufenen Ledersandalen zu hören. Schnell<br />
hatten wir drei in Varanasis umfangreichem Gassenlabyrinth<br />
vollkommen die Orientierung verloren, und die ganze Situati-<br />
80
Schaurig-schön: Das Feinschmeckerlokal "Aces-New-Deal"<br />
81
on erschien uns zunehmend unheimlich, zumal unser `Leittier´<br />
ein ziemlich rasantes Tempo vorlegte. Würden wir ihn<br />
dort irgendwo verloren haben, wäre es recht schwierig gewesen,<br />
auf Anhieb zurückzufinden. Immer wieder fragten wir<br />
nach, wann wir denn nun endlich da wären.<br />
"Oh, no problem. It´s not far from here !", war jedesmal<br />
die für uns unbefriedigend knappe Antwort.<br />
Langsam, aber sicher machte sich ein mulmiges Gefühl in<br />
unseren Köpfen breit. Was bedeutete dieses nicht endenwollende<br />
Herumgehechle ? Versuchte man uns `wohlhabende´<br />
Europäer etwa in die Irre zu führen, zu überfallen, auszurauben<br />
und danach vielleicht sogar ... zu entsorgen ? Verstärkt<br />
durch die trostlose Abfallkulisse dieser Stadt, gingen<br />
uns urplötzlich all diese schlechten Mord- und Totschlaggeschichten<br />
durch den Kopf, während wir weiter unserem<br />
imaginären Ableben entgegenstrebten.<br />
"Ich mach´ sie alle platt. Laß´ sie nur kommen", war Rockys<br />
beruhigende Antwort auf solcherlei jämmerliches Gedankengut,<br />
während er der nervösen Dörthe einen kleinen Stichel<br />
zur Selbstverteidigung zusteckte und mir der Angstschweiß<br />
bereits literweise aus den Stiefeln schwappte.<br />
"Oh, Gooooootttttt, have mercy !!!"<br />
Mit einemmal war diese nächtliche Rumrennerei zu Ende.<br />
Wir befanden uns in einer etwas breiteren dunklen Gasse,<br />
umringt von einem tuschelnden Pulk finsterer Gestalten, die<br />
bereits auf uns gewartet hatten und von denen einige losliefen,<br />
um noch mehr tuschelnde finstere Gestalten herbeizurufen,<br />
die nicht auf uns gewartet hatten.<br />
82
"Gut, scheiß´ auf´s Geld, ich habe keine Lust mehr. Es ist<br />
schon spät, ich bin müde. Laßt uns umkehren und Tee trinken",<br />
zischelte ich Rocky und Dörthe durch die Zähne zu.<br />
Doch schon wurden wir bedrängt, uns unserer Schuhe zu<br />
entledigen, durch ein großes Fenster ins Innere eines Hauses<br />
zu treten und auf der den pinkfarbenen Raum ausfüllenden,<br />
weiß bezogenen Matratze Platz zu nehmen. Es seien Boten<br />
im ganzen Lande ausgeschickt, um den Herrn des Hauses<br />
von der Kunde unseres Eintreffens in Kenntnis zu setzen. Zu<br />
siebt hockten wir dann auf dem Boden und harrten der Dinge,<br />
die da gleich kommen würden.<br />
"We have to wait a little bit. Do you want some tea ?"<br />
"Ääääh. Nö, ...ääh ... thank you - Ach, why not !"<br />
"Die haben bestimmt irgendein Mittelchen in das Zeug gemischt",<br />
lächelte Rocky uns hintersinnig an.<br />
"OK, ich trinke dann halt doch nichts."<br />
"Du kannst jetzt nich´ unhöflich sein. Wenn einer von euch<br />
beiden umkippt, misch´ ich sie auf."<br />
"Scheiße, ich will nich´ umkippen. Kipp Du doch um."<br />
"Danke, aber Du weißt ja: Ich trinke weder Kaffee noch<br />
Tee."<br />
"Arschloch !"<br />
Als der Tee serviert wurde, ruhten unsere Blicke erwartungsvoll<br />
auf den Tassen unserer Gastgeber, und erst nachdem<br />
sie genußvoll an ihrem Tee schlürften, tranken auch wir.<br />
Keiner wußte so recht, was er sagen sollte, und glücklicherweise<br />
erschien nach kurzer Zeit auch schon der Erwartete in<br />
der Türschwelle, begrüßte uns und nahm Platz. Ob wir hungrig<br />
wären, wurden wir gefragt. Nein, danke - wir hatten schon<br />
gegessen. OK !<br />
83
Auf ein Zeichen verließ einer der Männer den Raum und<br />
erschien wieder mit einem Packen von bunten Stoffen, die er<br />
vor uns auf dem Boden ausbreitete. Seide !<br />
"Very good quality", meinte der Hausvorsteher und "...for<br />
you special Prices !" fügte er hinzu.<br />
Tja, wahrscheinlich spezial teuer !<br />
Aber ich mußte zugeben, daß dies wirklich sehr schöne<br />
Stoffe waren. Bloß ... was sollte das Ganze ?<br />
"Ich schätze mal der is´ Seidenhändler und will uns was<br />
verkaufen", war Rockys Anwort auf meine fragenden Blicke.<br />
Klar doch ! Varanasi war ja berühmt für seine Seidenprodukte<br />
- jedenfalls in Indien. Aber wir hatten doch überhaupt<br />
nicht vor, irgendwas zu kaufen ?! - geschweige denn<br />
mitten in der Nacht.<br />
Da ich jedoch schon angefangen hatte, mit Ausrufen, wie<br />
"Aah", "Ooh" und "Very nice" die Stoffe durchzusehen, gab es<br />
kein Zurück mehr. Ich wurde aufgefordert - natürlich ohne<br />
jegliche Kaufverpflichtung, versteht sich - die mir gefallenden<br />
Tücher auf die linke und die weniger guten auf die rechte<br />
Seite zu häufen.<br />
Naja, damit die liebe Seele Ruhe hatte...<br />
Als ich damit fertig war, entfernte einer der Herren den<br />
rechten Stapel, und das merkwürdige Spielchen begann von<br />
<strong>neu</strong>em mit den verbliebenen Teilen. Anderthalb Stunden später<br />
waren zwei verschiedene Stoffe übriggeblieben und das<br />
Spiel zu Ende. Aber wer hatte gewonnen ?<br />
"Ok, you want this ? The price is 180 Rupees per meter.<br />
This one is cheaper, only 150 Rupees."<br />
"Wenn das tatsächlich richtige Seide ist, dann ist das echt<br />
billig !" gab Rocky erstaunt von sich.<br />
Aber ich will doch gar nichts kaufen, ging mir wieder durch<br />
84
den Kopf - wozu denn ? Unsere Reise hatte gerade erst<br />
begonnen, und was sollte ich denn mit Seide ?<br />
"T-Shirts !", sinnierte Rocky. Stimmt ! So teuer war das<br />
Zeug auch gar nicht und außerdem "unheimlich leicht, bequem<br />
und strapazierfähig", ergänzten Rocky und Dörthe, die<br />
nun ihrerseits in den Stoffen wühlten und Überlegungen zum<br />
Kauf einiger Kilometer ausgewählter Stoffbahnen anstellten.<br />
"Hmmh ?! I mean ... it´s real silk ? I don´t wanna buy - but<br />
... may be I would, ... what´s the price, if you make a T-Shirt<br />
of this blue one ?", ruschte mir blöderweise die Frage raus,<br />
und schon hatte ich eine Bestellung über zwei weite Kimono-<br />
Seidenhemden aus Rohseide nach eigenem Schnittmuster, zwei<br />
normale billigere Hemden aus einem Seide/Baumwollgemisch<br />
und eine Rechnung von knapp achtzig Mark am Hals.<br />
"Aaaaaaaaaahhhhhhh !"<br />
Rocky bestellte ebenfalls einige Baumwollhemden mit Monogramm<br />
"Rocky" für drei Mark das Stück. Alles weitere sollte<br />
dann morgen um 12:00 Uhr beim Schneider besprochen<br />
werden, denn es war spät und wir sehr, sehr müde geworden.<br />
Zum Schluß wechselte Rocky noch sein Geld zu einem<br />
sehr guten Kurs (Eine Mark ca 13 Rupien), wir verabschiedeten<br />
uns und wurden von Strahlemann `Baba´ in einer er<strong>neu</strong>ten<br />
Wallfahrt durch nun noch dunklere und düsterer wirkende<br />
Gassen zurück in unsere Unterkunft geleitet, wo wir müde<br />
in unsere Betten fielen.<br />
Auch der nächste Tag versprach sehr interessant zu werden.<br />
Kurz nach dem Frühstück, das wir beim Sonnenbad auf<br />
dem Dach einnahmen, materialisierte `Baba´ freudig lächelnd<br />
85
an der Tür unseres Asyls und begehrte Einlaß zwecks Geleit<br />
von Rocky und mir zum Schneider, wo Maß für die Hemden<br />
genommen werden sollte, mußte aber draußen warten, denn<br />
der jederzeit präsente Herbergsvater mochte keine Händler<br />
auf seinem Grund und Boden - jedenfalls nicht, so lange er<br />
keine Provision erhielt !<br />
Es folgte wieder endloses `Gassensurfen´ - doch diesmal<br />
bei Tageslicht und weniger bedrohlich. Wir landeten schließlich<br />
bei der gleichen Adresse, wie vom Vortag, was hieß,<br />
Stiefel aus, rauf auf die Matte, die pinkfarbenen Wände auf<br />
sich wirken lassen, abwarten und Tee trinken.<br />
Ca. 10 Minuten später traf der Schneider ein: Ein kleines<br />
schmächtiges Kerlchen mit Oberlippenbärtchen und Brille. Er<br />
schritt sofort zur Tat, nahm die Maße auf, und ich erklärte<br />
ihm, wie ich mir den Schnitt meiner <strong>neu</strong>en Herrenseidenoberbekleidung<br />
vorstellte. Daraufhin überreichte er mir ein<br />
Stück Papier und einen Stift. Er verlangte genauere Kenntnis<br />
über meine Modevorstellungen. Vage schwebte mir ein Schnitt<br />
im Kimono-Stil vor, mit weiten Ärmeln und so, aber ihm<br />
schienen die wüsten Kritzeleien auf dem Papier mehr dem<br />
Geist eines Irren zu entspringen, weshalb er dem lachhaften<br />
`künstlerischen´ Treiben entnervt Einhalt gebot und härteres<br />
Kaliber auffuhr: Ein zu seinem Laden entsandter Kurier<br />
erhielt Order, zwei dicke Bände japanischer Modemagazine<br />
zu holen, aus denen ich wählen sollte.<br />
Das bedeutete ... warten ... und ... Tee trinken...<br />
In diesem `Standardwerk´ japanischer Streetwear hatte ich<br />
bald gefunden, was ich suchte. Mit Händen und Füßen debattierten<br />
wir noch einige kleine Änderungen des gewählten Modells,<br />
wobei uns `Baba´ tatkräftig unterstützte, und wurden<br />
endlich einig. Der Schneider veranschlagte zuerst erschrek-<br />
86
Straßenszene in Varanasi-City<br />
87
kende drei Meter Stoff für diese Arbeit, ließ sich aber überzeugen,<br />
daß Zirkuszelte auch aus weniger Material hergestellt<br />
werden können, und schließlich ergab sich folgende Rechnung:<br />
2,25 m Seide zu 180 Rupies/Meter = 405 Rupies<br />
Arbeitslohn Schneider = 15 Rupies<br />
Ich zahlte eine Summe von 250 Rupies an, was in Rockys<br />
Notizbuch quittiert wurde, und die Arbeit für das erste Hemd<br />
konnte beginnen. Am Abend um 18:00 Uhr sollte ich zur<br />
ersten Anprobe wieder erscheinen.<br />
Jetzt benötigte ich aber dringend wieder Geld. Wir düsten<br />
also zur Bank. Auf Anraten von Rocky löste ich gleich zwei<br />
Zweihundert-Mark-Schecks ein und erhielt nach erstaunlich<br />
kurzer Wartezeit 2410 Rupies als Gegenwert, was ungefähr<br />
zwei durchschnittlichen indischen Ingenieurs-Monatsgehältern<br />
entsprach.<br />
Es folgte das Sichten, denn bei Geldscheinen mußte stets<br />
darauf geachtet werden, daß sie nicht beschädigt, sprich eingerissen<br />
waren, da man sonst auf Gedeih und Verderb darauf<br />
sitzen blieb - niemand außer der Bank würde einem diese<br />
Dinger wieder abnehmen, es sei denn, sie waren mit Tesafilm<br />
geklebt oder wie die meisten `nur´ vollkommen zersiebt,<br />
weil die Inder Stecknadeln zum Bündeln des Geldes verwenden.<br />
War aber alles ok und wir konnten den Besuch des hiesigen<br />
Basars starten. Wollten doch mal sehen, was es hier so<br />
alles zu ergattern gab. Rocky schwärmte die ganze Zeit von<br />
irgendwelchen dubiosen Blechbooten, die sich, mittels eines<br />
88
kleinen Stückchens glühender Holzkohle angetrieben, mit leisem<br />
Geknatter auf dem Wasser fortbewegten und die man<br />
als erwachsener eingeschworener Kindskopf u n b e d i n g t<br />
haben mußte. Auch mein Herz war gleich Feuer und Flamme<br />
beim Anblick dieser bunten scharfkantigen und nutzlosen<br />
Metallfahrzeuge, und das `Glücksgefühl´ war erst perfekt, als<br />
ich gierig zehn dieser Dinger zum Stückpreis von nur 39 Pfennig<br />
an mich gerafft hatte, von denen ich noch heute vier<br />
unbenutzte Exemplare besitze, die in einem Regal auf meinem<br />
Flur vollstauben. Auch Rocky ließ sich einige Hundert in<br />
eine Plastiktüte stopfen, bevor wir unseren Beutezug fortsetzen<br />
konnten.<br />
Es war schon interessant, wie schnell westlicher Verstand<br />
beim Anblick des mannigfaltigen Angebots in den Auslagen<br />
eines orientalischen Basars aussetzte und man genötigt wurde,<br />
Dinge zu erwerben, die weder Sinn hatten, noch einen<br />
Zweck erfüllten, die man aber im Verlauf der weiteren Reise<br />
im Schweiße seines Angesichts mit sich herumschleppen mußte.<br />
Vielleicht wurden wir Abendländer berauscht durch das<br />
laute Stimmengewirr der dichtgedrängten Menschenmassen,<br />
den starken exotischen Gerüchen oder waren einfach nur<br />
blöd. Wer weiß das ?<br />
Plötzlich erstarrte Rocky und sein glasiger Blick fraß sich an<br />
der Auslage eines Standes für Glasblaskleinkunstgewerbe fest.<br />
"Gla-Gla-Glas ... Gla-Glastiere", flüsterte er vor sich hin und<br />
zückte unverzüglich und entschlossen sein Portemonnaie zum<br />
Kauf zweier Kartons mit einer zerbrechlichen Auswahl von<br />
jeweils vierundzwanzig zoologischen Kostbarkeiten wie Giraffen,<br />
Elefanten, Löwen, usw., die er - man höre und staune<br />
- im Rucksack heile zurück mit nach Deutschland brachte,<br />
wo sie bis auf den heutigen Tag in seinem Bücherregal im<br />
89
Wohnzimmer das gleiche Schicksal ereilt hat wie meine Blechboote.<br />
Welch ein Jammer !<br />
Glücklicherweise konnten wir uns nach dem Kauf einiger<br />
billiger Holzkreisel und einer erklecklichen Anzahl possierlicher<br />
Wackeltierchen in schlecht imitierten, aufklappbaren<br />
Walnußschalen von dem irritierenden Zauber indischer<br />
Kinderspielzeugproduktionen losreißen, und nachdem ich mir<br />
einen Satz Räucherstäbchen undefinierbarer Geruchsrichtung<br />
zugelegt hatte, um damit dem fliegenden Ungeziefer in meinem<br />
Zimmer zu Leibe zu rücken, machten wir uns auf die<br />
Suche nach einer annehmbaren Verköstigungsstätte, wo wir<br />
den erwachten Hunger stillen konnten. Das Lokal unserer<br />
Wahl servierte ein hervorragendes Essen, beherbergte aber<br />
leider auch große fette Spinnen, von denen eine direkt neben<br />
mir an der Wand nach ihren Appetithappen Ausschau hielt,<br />
und der Inhaber des Etablissements lächelte nur tierlieb, als<br />
ich ihn darauf aufmerksam machte. Diese Inder konnten einen<br />
wahrlich krank machen...<br />
Das Essen hatte gut gemundet, und dem furchtlosen Rokky<br />
gelüstete es gleich darauf nach einer zünftigen Rasur beim<br />
hiesigen Barbier.<br />
Da aber weißhäutige Menschen in Indien nunmal recht rar<br />
sind, löste dieses Ansinnen einen kleinen Menschenauflauf aus,<br />
was den dunkelhäutigen Schaumschläger und Messer-wetzer<br />
etwas nervös und seine Hand ein wenig zittrig machte. Leider<br />
war Rocky der Leidtragende, denn immer wieder gab<br />
der Barbier ein "Auh" oder "Uuh" von sich, wenn er seinen<br />
deutschen Kunden mit dem scharfen Messer verletzte. Der<br />
jedoch ließ die ganze Prozedur ohne mit der Wimper zu<br />
zucken über sich ergehen und amüsierte sich am Ende auch<br />
noch köstlich über die ganze blutige Geschichte.<br />
90
Zusammen liefen wir<br />
danach noch etwas in<br />
der von Menschen brodelnden<br />
City herum,<br />
auf der Suche nach was<br />
weiß ich und trafen dabei<br />
mal wieder auf jemanden,<br />
der glaubte, in<br />
Rocky einen guten alten<br />
`Freund´ wiederzuerkennen<br />
- was sich im<br />
Laufe unserer Reise erfahrungsgemäß<br />
als `guter<br />
kaufwilliger Kunde´<br />
übersetzen ließ, denn in<br />
Indien wollte einem jeder<br />
penetranterweise<br />
irgendeinen Scheiß verkaufen,<br />
und jeder be- Rocky zur Rasur beim Zahnarztfriseur<br />
kam für alles und jedes<br />
irgendeine Provision. Dieser Jemand entpuppte sich als vielleicht<br />
20-jähriger indischer Händler, den Rocky bereits in<br />
Kathmandu getroffen hatte und der ihm nun zu seinen heißbegehrten<br />
Schachbrettern verhelfen wollte. Doch zuerst wurden<br />
wir, trotz Beteuerung, daß wir es s e h r eilig hätten, zu<br />
ihm nach Hause eingeladen, trabten deshalb zu seiner `Junggesellen-Wohnung´.<br />
Er wohnte hier in Varanasi bei seinem verheirateten Bruder<br />
zur Untermiete, in einem als Loch getarnten Appartment,<br />
dessen Einrichtung sich auf eine speckige Matratze und einen<br />
Walkman mit kleinen krächzenden Lautsprechern beschränkte.<br />
Ablenkung von diesem Elendsquartier verschaffte ihm an-<br />
91
scheinend das Betrachten der an den Wänden hängenden,<br />
überbunten hinduistischen Götzenbilder, bei gleichzeitiger<br />
Abfackelung alle Sinne betäubenden Räucherwerks. Und diesem<br />
Mann mußte es finanziell vergleichsweise gutgehen.<br />
Wie konnte der so leben, fragten wir uns kopfschüttelnd ?<br />
Den ganzen lieben Tag zugedröhnt, oder was ?<br />
Nach Genuß des hier üblichen Tees, der aus einem Teil<br />
Tee plus fünfzig Teilen Zucker bestand und ein bißchen<br />
Smalltalk bedeutete er uns, ihm zu seinem Geschäftsfreund,<br />
der mit diesen Spielbrettern handelte, zu folgen.<br />
Dort wieder großer Raum, weißbezogene Matte auf dem<br />
Boden, Schuhe ausziehen, hinsetzen, Tee schlürfen und andächtige<br />
Vorführung aller, aber auch wirklich a-l-l-e-r verfügbaren<br />
Modelle in allen Formen, Farben, Materialien und Gewichtsklassen.<br />
Unheimlich zeitintensiv diese Inder !<br />
Rocky und ich scherzten, daß das wohl der Grund für die<br />
horrende Armut der indischen Bevölkerung sein mußte. Jedenfalls<br />
zog sich die Angelegenheit dermaßen hin, daß wir<br />
uns den geplanten Zoobesuch aus dem Kopf schlagen durften,<br />
denn es war bereits 16:00 Uhr vorbei. Um 18:00 Uhr<br />
würde uns `Baba´ beim "Aces New Deal" abholen, wo wir<br />
vorher mit Dörthe essen gehen wollten. Dörthe mußten wir<br />
aber auch erst im "Shankeri Guest House" abholen, und Rocky<br />
war gerade dabei, einen weiteren Termin dazwischenzuschieben,<br />
denn wie sich herausstellte, besaß unser Gegenüber<br />
außer den zwei großen augenblicklich nur ein einziges<br />
kleines Schachspiel, wollte aber ein weiteres plus verlangtem<br />
Schachfigurenextraersatzsatz besorgen, und jener Freund des<br />
Schachspielverkäufers mit einem als Loch getarnten Apartment<br />
erklärte sich bereit, um 17:30 Uhr unsere zeitlich kurz<br />
92
emessene Nahrungsaufnahme zu stören, um die bestellte<br />
Ware dort abzuliefern - und der ganze Tag war dahin...<br />
Schachbrett und Figuren wurden auch pünktlich geliefert,<br />
aber schließlich versagte das Termingeflecht des schwerbeschäftigten<br />
`Baba´. Erst eine geschlagene Stunde später,<br />
also um 19:00 Uhr<br />
erschien er an der<br />
Pforte des Speisepalastes<br />
"Aces New<br />
Deal", und in der<br />
Dämmerung reisten<br />
wir per pedes<br />
zum pinkfarbenden<br />
Zimmer mit der<br />
Matte, wo wir wieder<br />
einmal in einer<br />
Teeorgie versunken<br />
die Zeit totschlugen,<br />
denn<br />
Meister Nadelöhr<br />
beliebte eine halbe<br />
Stunde auf sich<br />
warten zu lassen.<br />
Das von ihm gelieferteKleidungs-<br />
stück war allerdings<br />
exzellente Arbeit,<br />
Anprobe des <strong>neu</strong>en Campingzeltes<br />
schien für meine Begriffe aber etwas zu weit, doch der begeisterte<br />
Rocky überzeugte mich, daß das hervorragend verarbeitete<br />
Stück Seidentuch ja notfalls als superrobuster Leinenschlafsack,<br />
Abdeckplane oder Notsegel verwendet werden<br />
93
könnte, und so bezahlte ich voller Stolz den Rest des veranschlagten<br />
Preises für dies einzigartige Multifunktionsgewebe,<br />
was wiederum mit ernster Miene im Notitzbuch von Rocky<br />
quittiert wurde. Das zweite in Auftrag gegebene Kimono-<br />
Shirt, ein dunkelblaues, würde diesmal einen farblich abgesetzten<br />
Kragen, eine verdeckte Knopfleiste und einen Gürtel<br />
erhalten - alles curryfarben - und aus einem Batiktuch, das die<br />
Göttin Kali zeigte, sollte der Schneider ein T-Shirt herstellen.<br />
Nach den Formalitäten zauberte Schneiderman plötzlich ein<br />
helles indisches Seiden-Jacket und eine sehr schöne Seidenbrokatweste<br />
aus dem Nichts, und die versammelte Gesellschaft<br />
seidendealender Varanasen nötigte den vermeintlich<br />
sehr finanzkräftigen Autor selbige anzuprobieren, um auf plumpe<br />
Art und Weise seine Kauflust anzuheizen. Paßte auch alles<br />
prima - wie für mich gemacht !? Aber ich lehnte freundlich ab,<br />
und wir verabschiedeten uns, nicht ohne einen Termin für<br />
den kommenden Tag klargemacht zu haben.<br />
Im Hotel nochmals einige Hektoliter Tee inhalieren und<br />
abschnarchen, denn morgen wollten wir zum Bahnhof, um<br />
Fahrkarten nach Rishikesh zu kaufen.<br />
Frühstück mit Rührei, Toast, Tee-Exzess und anschließender<br />
Dusche hatten wir bereits hinter uns, als `Baba´, der<br />
kleine Dicke, in der schwülen Hitze des Tages er<strong>neu</strong>t vor<br />
der Tür unserer Unterkunft aufschlug und seine Dienste als<br />
Fremdenführer anbot, die wir mittlerweile zu schätzen gelernt<br />
hatten.<br />
Im schweinefarbenen, bematteten Zimmer des Seidenhändlers<br />
angekommen - warten. Natürlich ! Was sonst ?<br />
Das weiträumige Seidenzelt war ok, aber der alles entscheidende<br />
Gürtel fehlte und der Schnitt des Batik-T-Shirts<br />
94
glich mehr einem zu groß geratenen Windbeutel. Es mußte<br />
trotz Widerstand des sonst fähigen Stichlings, der seine mißratene<br />
Création mit Vehemenz verteidigte, geändert werden.<br />
Daher brachen wir er<strong>neu</strong>t zu einer mehrtägigen Gassen-<br />
Expedition auf, vorbei an herrlich verfaulen- und verwesendem<br />
Unrat, wunderschönen von Rotz, roten Bethelaulen und<br />
sonstigem Dreck verschmierten Häuserwänden, halbverhungerten,<br />
meist übel verstümmelten Bettlern und den bisher<br />
noch mit keiner Silbe erwähnten heiligen Kühen, die, teils<br />
abgemagert bis auf die Knochen, überall in den Straßen der<br />
Stadt darauf warteten, daß sie mal ins Gras beißen durften,<br />
anstatt dauernd nur den überall herumliegenden krankmachenden<br />
Müll in sich hineinzustopfen. Ungeniert entleerten<br />
die angebeteten Tiere pladdernd ihren fragwürdigen Darmund<br />
Blaseninhalt auf die Straße, und man mußte aufpassen,<br />
nicht eine ordentliche Ladung davon abzubekommen. Plagte<br />
einen der vielen Menschen die Blase, so hockte er sich im<br />
Getümmel ebenfalls einfach an den Gassenrand und pinkelte<br />
auf den Weg.<br />
Insofern empfanden wir es trotz der Hitze als äußerst angenehm,<br />
in Stiefeln durch die Gegend zu wandern und nicht<br />
in Sandalen oder gar barfuß wie viele Einheimische, denn ich<br />
möchte nicht wissen, wieviele der hier bekannten Krankheiten<br />
allein auf Haut-Bodenkontakt zurückzuführen waren.<br />
An einer kleinen butzigen Höhle, die durch eine ebenso<br />
kleine Türöffnung erreicht werden konnte, machten wir wieder<br />
Halt. Dies war die Wirkungsstätte des meine Hemden<br />
schneidernden Modepapstes, der gerade mit dem Einpassen<br />
eines anderen Kunden in ein Hemd beschäftigt war.<br />
In diesem Mikrokosmos, der durch eine von der Decke<br />
95
Das fleißige `tapfere Schneiderlein´ bei der Arbeit<br />
baumelnden Glühbirne beleuchtet wurde, befanden sich zwei<br />
Arbeitsplätze, jeweils bestückt mit einer von Großmutters<br />
SINGER-Tretnähmaschinen, und ein Angestellter war gerade<br />
dabei, eines der beiden Relikte mit Leben zu erfüllen. Der<br />
hintere Teil des Raumes war durch einen Vorhang abgetrennt<br />
und diente als Rumpelkammer. Genau dort hing auch die<br />
Brokat-Weste vom gestrigen Tag.<br />
Und je länger wir warteten und ich dort hinstarrte, desto<br />
mehr reizte mich das Ding, denn es sah wirklich einen Hammer<br />
aus - ich mußte gestern blind gewesen sein ! Die er<strong>neu</strong>te<br />
Anprobe des handgeschneiderten Kunstwerkes, dessen<br />
Knöpfe sogar mit Brokat überzogen waren, schaltete endgültig<br />
jegliche Art von Vernunft und Bedenken aus, machte mich<br />
96
frei im Sinne von "Kaufe was Dir gefällt, egal was es kostet"<br />
und zum Sklaven der Weste. Nun gab es kein Zurück mehr,<br />
mein Entschluß stand fest: Die oder keine !<br />
Der Preis betrug saftige sechshundertfünfzig Rupies, also<br />
fünfzig Mark. Für Indien viel Geld, aber für unsere Verhältnisse<br />
so gut wie geschenkt. Da konnte man eigentlich gar nichts<br />
falsch machen. Als ich aber meinen Entschluß zum Kauf äußerte<br />
und freudig lächelnde Gesichter wegen der wieder einmal<br />
bestätigten Dämlichkeit von Touristen erwartete, gab es<br />
ein "Äh" und "Oh" im Laden, und man versuchte mir verlegen<br />
Kleines Erinnerungsfoto: Schneider,<br />
Ich, `Baba´ und der Tuchhändler<br />
97
klarzumachen, daß das nicht möglich sei. Ich sollte doch lieber<br />
das schleunigst herbeigeschaffte Seiden-Jacket kaufen. Diese<br />
Weste gehörte ihnen gar nicht, wäre ausschließlich Dekoration<br />
und nicht zu verkaufen. Man könne mir eine <strong>neu</strong>e<br />
machen, aber leider nicht in dem gleichen Muster, da dieser<br />
Stoff zur Zeit nicht am Markte sei.<br />
Nein, nein, nein - die oder keine.<br />
Tuschel, tuschel und Vorschlag zum Besuch des rechtmäßigen<br />
Eigentümers, ebenfalls Seidenhändler, der die schwerwiegende<br />
Entscheidung treffen sollte.<br />
Schuhe aus, Matratze, warten ... "you like some tea ?"<br />
Dieses Schlitzohr trieb den Preis gleich auf siebenhundertfünfzig<br />
Rupies nach oben, da bereits eine Bestellung vorlag,<br />
und man müsse verstehen....Bla, bla, bla ... könnte auch jede<br />
Menge andere Westen haben, ... usw., usw. Aber ich hatte<br />
bereits dazugelernt.<br />
Nein danke, die Sache hätte sich erledigt entgegnete ich,<br />
zwinkerte Rocky zu und wir machten gaaaaaannnz laaangsaaamm<br />
Anstalten, das Schuhwerk überzustreifen und uns zu<br />
verabschieden, während die in dieses verlorene Geschäft verwickelten<br />
Inder nervös miteinander berieten. Geschlagen und<br />
schweren Herzens pfiff man uns zurück.<br />
Sechhundertfünfzig und keine einzige Rupie mehr bezahlte<br />
ich, es wurde ein Erinnerungsfoto des Westen-Mafiosi mit<br />
Tatwerkzeug gemacht, und schon düsten wir wieder zum<br />
Schneider, holten die geänderten Klamotten ab, bezahlten<br />
und trugen uns in das Gäste-und Referenzbuch des Schneiders<br />
ein. Beim Tuchhändler noch schnell ein zweites<br />
Erinnerungsfoto gemacht und dann konnten wir uns endlich<br />
Wichtigerem zuwenden, denn wir wollten ja eigentlich Bahnkarten<br />
kaufen.<br />
98
Von diesem Herrn kaufte ich meine erste und einzige Brokat-Weste<br />
99
Beim überfüllten Bahnhof angekommen, in dessen Eingangshalle<br />
sich die Reisenden mit ihrem gesamten Hausrat breitmachten,<br />
suchten wir zuerst das vielversprechende Tourist<br />
Office im ersten Stock auf. Dort würde einem meist geholfen<br />
werden, traute man den optimistischen Beschreibungen im<br />
verklärten Reiseführer. Aber alle verfügbaren Karten der 1.<br />
Klasse waren auf vier Wochen im voraus ausverkauft. Da<br />
war nichts zu machen. Also wieder runter zum menschlichen<br />
Ameisenhaufen in der Eingangshalle und am Schalter für die<br />
Tickets der 2. Klasse angestellt, wo eine deprimierend lange<br />
Warteschlange darauf erpicht war, von den unfreundlichen<br />
und sturen Schalterbeamten abgearbeitet oder auch einfach<br />
nur verarscht zu werden.<br />
Während ich mich in die Reihe der Wartenden eingliederte,<br />
kommunizierte Rocky bereits mit einem Engländer oder Australier<br />
über die ungewöhnlichen Gepflogenheiten beim Kauf<br />
einer Bahnkarte in Indien. Demnach erhielt jeder zuerst einen<br />
ellenlangen Antrag zum Kauf einer Fahrkarte und das<br />
auch nur am Tag der Abreise. Vorbestellungen gab es nicht !<br />
Also beschlossen wir, die Karten erst direkt am Tage der<br />
Abreise zu kaufen, verließen unverrichteter Dinge den Bahnhof<br />
und fuhren zurück in die Stadt.<br />
Abends beim tea-dinner in unserer Pension fragten wir versuchsweise<br />
den Hausherrn, ob er vielleicht eine bessere Möglichkeit<br />
sähe, ohne lästiges Anstehen irgendwie an Fahrkarten<br />
heranzukommen und siehe da, er bot an, das Gewünschte<br />
zu besorgen, und wir hatten den Kopf frei für andere Dinge,<br />
wie zum Beispiel für den verstärkt auftretenden wässrigen<br />
Durchfall, der, so rätselten wir, entweder mit dem übermäßigen<br />
Konsum von Tee und der wegen der enormen Hitze<br />
stark gedrosselten Nahrungsaufnahme zusammenhing oder<br />
100
aber - grübel, grübel, übel, übel - mit der Einnistung eines<br />
ganz und gar unerwünschten, ekelhaften Bakteriums ?<br />
Erstmal abwarten und IMMODIUM kauen, sagten wir uns,<br />
und die verlorengegangenen Liter an lebensnotwendiger<br />
Körperflüssigkeit ausgleichen durch Trinken von Tee und Brühe.<br />
Wird schon wieder ok, kann gar nichts pa ... oh mann,<br />
schon wieder ... urrhh ...<br />
Der folgende Tag gebot es, wieder zeitig aufzustehen, denn<br />
wir wollten um 5:00 Uhr in der Frühe die Ghats aufsuchen,<br />
um den in der ganzen Welt bekannten und sagenumwobenen<br />
Sonnenaufgang mitzuerleben, von dem ich bisher allerdings<br />
nie etwas gehört hatte.<br />
Bei Erreichen des Flußufers waberten uns dicke und dichte<br />
rauchige Nebelschwaden über das Wasser entgegen. Das gelbliche<br />
Licht einiger zerschundener Laternen hatte seine Mühe<br />
damit. Trotzdem erkannten wir, wie dreckig die steinernen,<br />
ins Wasser führenden Treppen waren, auf denen sich bald<br />
hunderttausende von Millionen gläubiger Hindus tummeln würden,<br />
um in den heiligen Abwasserfluten des Ganges ihr morgendliches<br />
Bad zu nehmen.<br />
Wir warteten gespannt auf die Sonne, die heute morgen<br />
anscheinend keine rechte Lust hatte aufzugehen und sich in<br />
dem wattigen Dunst dann doch endlich als kleiner verschwommener<br />
orangener Punkt bemerkbar machte, der wuchs und<br />
wuchs und mit zunehmender Größe mehr und mehr Einfluß<br />
auf den Nebel nahm. Langsam aber sicher verflüchtigte sich<br />
der feuchte Schleier, der während der Nacht Ufer und Fluß<br />
verbarg, und gab den Blick frei auf das nun rege Treiben um<br />
uns herum. Dicht an dicht standen die Gläubigen dort und<br />
tauchten freudig ein in das dreckige graugüne Naß, auf dem<br />
101
Die Sonne löst den dichten Nebel auf, der morgens über dem Ganges hängt<br />
Blumenblüten, Abfall, verschimmelter Kot und manchmal vergammelte<br />
Tierkadaver trieben. Tauchten ein mit dem Kopf,<br />
falteten ihre Hände zu einer Schöpfkelle und tranken in kleinen<br />
Schlucken vom Strom des Lebens und des baldigen Todes.<br />
Uns wurde ganz schlecht, als wir das sahen, und daher<br />
zogen wir uns nach einiger Zeit zurück, zum Genuß unseres<br />
Frühstücks mit einem Sugar-Separated-Big-Pot-Of-Milk-Tea, und<br />
ich zelebrierte anschließend das morgendliche Bräunungsritual<br />
auf dem Dach.<br />
Gegen zehn Uhr trafen wir wieder bei den Ghats ein, denn<br />
uns zog es zu einer steinernen Feste am jenseitigen Ufer:<br />
Fort Ramnagar. Dazu benötigten wir eines der vielen hier<br />
vertäuten und zu mietenden Ruderboote, die zusammen mit<br />
ihren menschlichen Motoren in der Sonne brieten.<br />
Gerade als wir uns anschickten, mit dem Aushandeln eines<br />
102
solchen hölzernen Gefährtes zu beginnen, hörten wir plötzlich<br />
freudige Rufe, die uns galten. Renate, René und Sher, ein<br />
Nepali, begrüßten uns - Bekannte von Rocky, die er in Nepal<br />
kennengelernt hatte. Wir unterhielten uns eine Weile, teilten<br />
uns mit, wo wir untergekommen waren, verabredeten uns<br />
für später zur gemeinsamen Besichtigungstour im Fort und<br />
waren gleich darauf wieder in einen heftigen Handelsstreit<br />
mit einem jungen Inder verstrickt, der uns die Vorzüge seiner<br />
Dienstleistung schmackhaft machte.<br />
Belagerung europäischer Bleichgesichter<br />
durch indische STASI (Stare Sect of India)<br />
Wir handelten einen annehmbaren Preis von 30 Rupies für<br />
eine Tour aus, doch als wir in das Boot einstiegen, guckten<br />
wir mal wieder dumm aus der Wäsche, denn unser<br />
Gespächspartner war keinesfalls der Fahrer dieses Bootes.<br />
Das war nämlich ein knochiger und weißhaariger alter Mann,<br />
der nicht unbedingt so aussah, als würde er mit diesem wack-<br />
103
Heitere Kloakenidylle am Ufer des Ganges<br />
ligen Ding einige Kilometer flußaufwärts gegen die Strömung<br />
anrudern können - geschweige denn mit uns als zusätzlichem<br />
Ballast.<br />
Der alte Mann aber, von dem eine tiefe innere Ruhe ausging,<br />
beruhigte uns und strebte mit gekonnten Ruderschlägen<br />
dem Ziel entgegen. Zuerst fuhren wir noch in der Nähe der<br />
steinernen Uferbefestigung, auf der die Frauen jetzt ihre Wäsche<br />
wuschen und in der Sonne trockneten, bald aber strebte<br />
der Kahn mehr und mehr der Mitte zu und genehmigte<br />
einen Blick auf eine öde Sandwüste auf der anderen Flußseite,<br />
wo die Geier in kleinen Gruppen hockten und auf Nahrung<br />
lauerten, sofern sie nicht hoch über uns ihre Kreise in<br />
der Luft zogen. Ab und zu kamen wir an grünen Flecken<br />
vorbei, wo kreischende Kinder in der Gesellschaft von Wasserbüffeln<br />
im Wasser plantschten und so den Tag herumbrachten,<br />
und einmal trieb zu Dörthes Entsetzen backbords<br />
eine angekohlte Kinderleiche an unserem Gefährt vorbei.<br />
104
Die Sonne knallte immer schlimmer auf unsere Köpfe, und<br />
bei mir machten sich nach kurzer Zeit erste Anzeichen eines<br />
Sonnenstichs bemerkbar, denn ich war bereits extradry durch<br />
das morgentliche Sonnenanbeten und besaß dummerweise<br />
keinerlei Kopfbedekkung<br />
zum Schutze<br />
meines gequälten<br />
Denkorgans. Da blieb<br />
mir nichts weiter übrig<br />
als den Ekel zu<br />
überwinden, Rocky<br />
um sein Halstuch und<br />
die Genehmigung zu<br />
bitten, es mit den mit<br />
Abfällen menschlichen<br />
wie tierischen<br />
Ursprungs versetzten<br />
Abwässern des Ganges<br />
zu tränken und<br />
dieses dann um meinen<br />
Kopf zu wickeln,<br />
was mir tatsächlich<br />
erhebliche Erleichte-<br />
Flußpiraten !!!<br />
rung verschaffte.<br />
Ca zwei Stunden glitten wir in aller Stille über das Wasser,<br />
bis wir aus der Ferne ein nicht endenwollendes TSCHAA-<br />
TONG-TONG, TSCHAA-TONG-TONG vernahmen und uns<br />
erst nicht erklären konnten, was die Ursache dieses Geräusches<br />
war, bis nach einiger Zeit am Horizont eine quer über<br />
den Ganges führende Linie sichtbar wurde, die sich beim Näherkommen<br />
als riesige, den Fluß überspannende Ponton-<br />
105
Fort Ramnagar liegt in der Nähe einer Ponton-Brücke<br />
Das Forttor von vorne<br />
106
Brücke herausstellte, auf der reger Verkehr herrschte. Und<br />
genau dort in der Nähe der Brücke hob sich auch der Umriß<br />
des gewaltigen Fort Ramnagar ab, das wir besuchen wollten.<br />
Der von uns unterschätzte weißhaarige Alte steuerte das<br />
Boot nun auch flink Richtung Ufer und suchte sich eine Anlegestelle<br />
an dem mit Booten gesäumten Sandstrand. Wir bezahlten<br />
ihm die Überfahrt und fragten ihn, ob er warten würde,<br />
bis wir wieder zurückkämen, und er nickte zustimmend,<br />
als wir ihm versprachen, nicht länger als ca. zwei Stunden<br />
unterwegs zu sein.<br />
Dann trieb es uns erst einmal zu einem der überall in Indien<br />
zu findenden kleinen Straßen-Imbisse, denn wir hatten einen<br />
mordsmäßigen Hunger und noch viel größeren Durst. Nach<br />
der Verköstigung versorgten wir uns noch schnell mit einer<br />
Handvoll Apfelsinen vom Markt und betraten das eindrucksvolle<br />
Fort durch das große rote Portal.<br />
Die Gebäude innerhalb der weiträumigen zerfallenen<br />
Befestigungsanlage beherbergten eine stattliche Anzahl an Relikten<br />
aus der längst vergangenen Zeit der Maharadschas, die<br />
in überschwenglichem Reichtum und Pomp gelebt hatten,<br />
während die immense Bevölkerung Indiens in Armut und<br />
Elend dahinvegetierte - was sie übrigens heute im Zeitalter<br />
der Atombombe auch noch tut.<br />
Zu sehen waren mit Gold und Edelsteinen besetzte Sänften<br />
und Kutschen, reich ausgestattete Limousinen, edle Schmuckund<br />
Kleidungsstücke, Möbel und jede Menge brutalste Waffen.<br />
Fotografieren war verboten. Der ganze verblichene und<br />
wenig gepflegte Reichtum wurde beschützt durch eine kleine<br />
Abteilung der indischen Armee. Von Sonne und Geschmeide<br />
geblendet und sichtlich beeindruckt, mußten wir bald unsere<br />
Besichtigungstour beenden, um rechtzeitig unseren Kontakt-<br />
107
mann am Fluß zu treffen. Von Renate, André und Sher sahen<br />
wir keine Spur. Später erfuhren wir, daß sie gerade angekommen<br />
waren, als wir den Rückzug antraten.<br />
Pünktlich zur vereinbarten Zeit langten wir an der Brücke<br />
an, aber von dem alten Herrn war nichts zu sehen, so daß<br />
wir zuerst dachten, er hätte uns im Stich gelassen und wäre<br />
schon wieder auf dem Heimweg.<br />
Es lag nämlich eine erkleckliche Anzahl von Wasserfahrzeugen<br />
am Strand, und wir konnten uns partout nicht mehr<br />
darin erinnern, wie dieses verdammte Boot genau aussah.<br />
Also klapperten wir den gesamten Strand ab, bis wir ihn plötzlich<br />
mit geschlossenen Augen andächtig versunken in seinem<br />
Kahn knieen sahen. Wir störten ihn nicht, sondern ließen ihn<br />
gewähren, um zu beobachten, was da vor sich ging.<br />
Er verbeugte sich tief bis auf die Holzplanken und murmelte<br />
anscheinend irgend ein Gebet, dann kramte er ein kleines<br />
Päckchen aus der Seitenverkleidung des Bootes, wickelte es<br />
ruhig und bedächtig aus. Zum Vorschein kam ein stark beanspruchtes<br />
Shillum, etwas Tabak, Marihuana, ein paar Kandis-<br />
Zuckerstücke, Streichhölzer: Aha, ein Kiffer schoß es mir<br />
durch den Kopf. Tatsächlich fing er auch schon an, die Pfeife<br />
mit diesem indischen Bier zu stopfen.<br />
Alkohol war in allen verheiligten Hochburgen des Hinduismus<br />
bei Strafe verboten - nur milde Drogen, wie Gras oder<br />
Haschisch, in einigen Orten erlaubt oder geduldet.<br />
Sobald die Pfeife qualmte, bot er sie uns ebenfalls an und da<br />
wir, des Rauchens nicht mächtig, dankend ablehnten, offerierte<br />
er seine paar kümmerlichen Kandisstückchen. Es konnte<br />
einem schon anders werden, wenn man bedachte, daß wir<br />
mit einem kleinen Teil unserer Reisemittel 5 Tonnen Kandis-<br />
108
zucker hätten kaufen können. Zum Dank bot ich ihm eine<br />
meiner gekauften Apfelsinnen an, die er gleich darauf einem<br />
anderen Landsmann, der plötzlich bei unserem Boot auftauchte,<br />
in die Hand drückte.<br />
So war das aber nicht gedacht !<br />
Als wir uns schließlich auf dem Wasser befanden und er sich<br />
- durch die Droge benebelt - untätig an den Bug hockte und<br />
daß Boot treiben ließ, startete ich mit einer weiteren Orange<br />
einen zweiten Versuch. Da er sich jedoch mit Händen und<br />
Füßen gegen meine aufdringlichen Versuche, ihm den Genuß<br />
einer saftigen Citrusfrucht schmackhaft zu machen, wehrte,<br />
unterstrich ich mein Angebot mit den Worten:<br />
"Please keep it. It´s good for your health. There are<br />
Vitamines inside and a lot of minerals. It makes you strong."<br />
"Das ist ungefähr so, als würde ein Außerirdischer auf die<br />
Erde kommen, Dir irgendwas vor die Nase halten und sagen:<br />
Da ist Ukkabukka drin. Mußt Du essen. Ist gut für Dich.<br />
Mmmmh.", ließ Rocky verlauten, worauf wir uns mit erheblichen<br />
epileptischen Lachkrämpfen an der Bootswand festkrampften.<br />
"Hoffentlich hat er nicht vor, sich die ganze Strecke zurücktreiben<br />
zu lassen", fragte sich Rocky nach einer Weile, denn<br />
wir mußten pünktlich zurück bei den Ghats sein, wegen einer<br />
Verabredung zum Essen mit André und Renate. Nichtsahnend<br />
über unsere weitausschweifenden Pläne für den heutigen<br />
Tag, genoß unser <strong>neu</strong>gewonnener Freund lächelnd das<br />
ruhige und faule Dahintreiben in die beginnende schwüle<br />
Abenddämmerung auf dem in der untergehenden Sonne golden<br />
glitzernden Wasser.<br />
109
Ganz versessen darauf zu erfahren, wie sich dieser große<br />
Kahn wohl von mir bewegen ließe, schnappte ich mir, nach<br />
Genehmigung des Alten, die derben Ruder und versuchte<br />
mein Glück. Ich muß sagen, keine leichte Angelegenheit - und<br />
ich ruderte immerhin mit der Strömung ! Zum einen waren<br />
die etwas krumm geratenen Bambusstangen der Paddel<br />
schwer zu koordinieren, und zum anderen trieb die starke<br />
Strömung ihr Spiel mit dem Gefährt. Trotzdem ging es recht<br />
gut voran. Der Alte setzte sich zur Erleichterung mit einem<br />
Ersatzruder ans Heck und steuerte den Kahn.<br />
Kleiner `Kraftakt´ auf heiligen Gewässern<br />
Auch Rocky verspürte irgendwann den wilden Drang, überflüssige<br />
Energien loszuwerden, und so erreichten wir mit vereinten<br />
Kräften doch noch zu einer angemessenen Zeit unseren<br />
Ausgangspunkt, wurden von den am Ufer stehenden obligatorischen<br />
Glotzern bestaunt, zahlten unsere Rechnung für<br />
110
die `Do-It-Youself´-Rückfahrt und trabten durch die Straßen<br />
zum vereinbarten Treffpunkt. Nach dem Essen dann flugs<br />
zum "Shankeri Guest House", zehn bis zwölf Tassen Tee den<br />
Garaus machen und dann ab in die Heia, denn wir mußten<br />
morgen früh raus.<br />
Am anderen Morgen highspeed-frühstücken, die überall verteilten<br />
Klamotten zusammenräumen und packen. Wir wollten<br />
uns mit André, Renate und Sher, die uns ab nun für einen<br />
Teil der Reise begleiteten, vor deren Hotel treffen, um von<br />
dort gemeinsam zum Bahnhof zu fahren. Der Zug nach<br />
Rishikesh sollte um 10:05 Uhr abfahren.<br />
Die Drei wären jedoch nicht in ihrem Hotel aufzufinden,<br />
wie uns der Portier versicherte. Panik und Verärgerung machten<br />
sich breit, denn schließlich waren wir verabredet und<br />
wollten eine Stunde vor Abfahrt am Bahnhof sein. Man konnte<br />
ja nie wissen, ob die angegebenen Abfahrtzeiten auch wirklich<br />
stimmten.<br />
Doch der Hotelwächter hatte uns dreisterweise mit Fehlinformationen<br />
versorgt: Die Gesuchten saßen auf ihrem Zimmer<br />
und warteten ihrerseits. Diese Inder !!!<br />
Es folgte hektisches Sammeln auf der Straße und Verhandeln<br />
mit den Haifischen der indischen Städte, den Rikscha-<br />
Fahrern, die bereits Fährte aufgenommen hatten und uns<br />
umlagerten.<br />
Mit zwei Rikschas zu je zehn Rupies ging´s schließlich ab<br />
zum Bahnhof. Dort angekommen, begann die wirre Suche<br />
nach dem richtigen Bahnsteig, denn jeder der befragten (Vara)<br />
Nasen erzählte einem eine andere Geschichte über den Verbleib<br />
der gesuchten Örtlichkeit. Am besten gar nicht mehr<br />
fragen.<br />
111
Endlich standen wir richtig und mußten jetzt nur noch Geduld<br />
haben. Wieviel, stellten wir bald fest. In der Zwischenzeit<br />
vergnügten Rocky und ich mich damit, die gesamten<br />
Schokoladenbestände der auf dem Bahnsteig werbenden<br />
Händler aufzukaufen: acht Tafeln! Das dürfte für die mehrstündige<br />
Reise gerademal so reichen. Wir waren voll entschlossen,<br />
unsere Körper mit den nötigen Kalorien zu versorgen.<br />
Auch wenn alles um uns herum an Unterernährung,<br />
Scheißerei und Blödheit zugrunde ging - wir nicht !<br />
Wir warten ... und warten ... und warten ...<br />
Dann wieder warten. Es war 10:00 Uhr und ein <strong>neu</strong>er Zug<br />
fuhr ein. Hurra, unser Zug. Juchheh. Welche Freude - überpünktlich.<br />
Gucken, fragen "unser Zug !?"<br />
Nein, wurde uns erwidert, der hier führe woanders hin.<br />
Unserer käme aus der anderen Richtung. Wir waren echt<br />
aufgeregt, weil wir auf gar keinen Fall den Zug verpassen<br />
112
wollten, denn wer wußte, wann der nächste fuhr. Ein Zug<br />
aus der Gegenrichtung schob sich heran.<br />
Nein, schade ... nicht unserer... vielleicht später ...<br />
Oh, Elend. Es war bereits 10:30 Uhr !<br />
Als wir verunsichert am Schalter nachfragten, kriegten wir<br />
zu hören, der Zug hätte eine Stunde Verspätung. Na gut -<br />
eine Stunde.<br />
Wir warteten und warteten und ... 11:00 Uhr ... warteten.<br />
11:45 Uhr und wir warten.<br />
"Wer fragt gewinnt !" - Rocky ging fragen.<br />
Erschütterung legte sich aufs deutsche Gemüt, als die ganze<br />
Wahrheit ans sonnige Tageslicht kam. Wie konnte das passieren:<br />
Unser geliebter Zug sollte erst um 13:00 Uhr einfahren.<br />
Wurde der vielleicht aus Kostengründen von Kühen gezogen<br />
?<br />
W - A - R - T - E - N !!!<br />
Die Schokolade war bereits alle, als der große Zeiger der<br />
Bahnhofsuhr das Ereignis des Jahrtausends mit einer kurzen<br />
Bewegung auf die Zwölf ankündigte: Es war ohne Wenn und<br />
Aber 13:00 Uhr !<br />
Verdammt ! Und kein Zug !<br />
Fragen ohne klare Antworten.<br />
Um 14:30 Uhr schließlich, mit viereinhalb Stunden Verspätung,<br />
fuhr der vor Menschen berstende und mit dick vergitterten<br />
Fenstern versehene Zug auf dem Gleis ein. Jetzt hieß<br />
es zusammenbleiben und sich elegant hineinquetschen. Die<br />
Wagen hatten innen auf der rechten Seite geschlossene Abteile<br />
und auf der linken Seite des Ganges einfache Holzbänke.<br />
Leute ohne Sitzplatzkarte standen oder lagen in den Gängen,<br />
und es war schwer, mit dem Gepäck beladen an ihnen vorbeizukommen<br />
oder über sie hinwegzusteigen. Doch wir er-<br />
113
eichten unser Abteil, das wir mit einer Familie - Vater, Mutter,<br />
Frau und einem Söhnchen - teilten, die einen wohlhabenden<br />
Eindruck machte und sehr nett war.<br />
Wir bekamen immer wieder was von ihrem mitgebrachten<br />
Essen ab. War alles sehr lecker. Den englischsprechenden<br />
Mann interessierte vor allem mein Weltempfänger, der mal<br />
wieder keine richtige Lust verspürte, zu zeigen, was in ihm<br />
steckte. Kein Empfang.<br />
Drinnen war es mehr als nur warm, aber die toll aussehenden<br />
Deckenventilatoren waren partout nicht dazu zu bewegen,<br />
die Luft etwas umzuwälzen: Kein Strom !<br />
Unterwegs mit dem `India-Railway-Express`<br />
114
Gangotri
In Rishikesh, dem Meditationsmekka der Beatles in den<br />
Sechzigern, kamen wir in den frühen Morgenstunden<br />
ziemlich geschlaucht an und marschierten in der einsetzenden<br />
Hitze des Tages vollbepackt vom Busbahnhof durch<br />
die Stadt, zu einer etwas auswärts gelegenen Unterkunft,<br />
deren Name mir zwar entfallen ist, die aber laut Dörthes<br />
Reiseführer "Mit einer einzigen Mark quer durch Indien" das<br />
Nonplusultra für Rucksackfetischisten darstellen sollte.<br />
Sah auch alles ganz nett aus: ruhige Lage, Kieswege mit<br />
kleinen Blumenrabatten und rundum alles voll tropischer Vegetation;<br />
Gemeinschaftstoiletten und -duschen waren in einem<br />
extra Bau untergebracht.<br />
Wir entschieden uns zu bleiben. Es folgte die in Indien immer<br />
wiederkehrende, teils recht nervige Eincheckprozedur:<br />
Reisepaß rauskramen, drei Formulare pro Person ausfüllen,<br />
und erst dann durften die Zimmer gestürmt werden. Einzelzimmer<br />
gab es nicht und schon gar keine mit heilen Fenstern,<br />
also mußten Sher und ich uns eins teilen, bei dem wenigstens<br />
nur eine Scheibe aus dem Fensterrahmen rausgefetzt war -<br />
Indien wie es leibt und lebt !<br />
Nach Aussage des `Hotelmanagements´ war die gesamte<br />
Anlage zwar ausgebucht, doch obwohl wir suchten und suchten,<br />
wir sahen nicht einen einzigen anderen Menschen weit<br />
und breit. Auch beim anschließenden nicht sehr befriedigenden<br />
Frühstück in dem riesigen, halbdunklen und recht kühlen<br />
Speisesaal ließ sich niemand blicken. Wahrscheinlich meinte<br />
man, alle Gäste hätten sich ausgebucht, wie wir das am nächsten<br />
Tag auch taten, denn hier wollten wir nun doch nicht<br />
länger als nötig verweilen.<br />
Beabsichtigt war, daß Dörthe, Renate, André und Sher am<br />
nächsten Tag rüber über den Fluß in einen der dort gelege-<br />
115
Frühstück bei strahlendem Sonnenschein<br />
nen Ashrams zogen. Rocky und ich würden morgen früh bereits<br />
auf dem Weg nach Uttarkashi sein - dem Ausgangspunkt<br />
unseres geplanten Treks.<br />
Während sich die anderen gegen Mittag am Flußufer umsahen,<br />
um einen Platz in einem Ashram zu bekommen, zog<br />
ich zusammen mit dem Nepali Sher los, die malerische Gegend<br />
erkunden. Stundenlang wanderten wir in der dichtbewaldeten<br />
Hügellandschaft der Siwaliks herum, die von jeder<br />
Menge ziemlich großer, weißgrauer Affen, den Hulmans,<br />
bewohnt ist, und trafen irgendwann auf zwei mit sehr gefährlich<br />
aussehenden Erste-Weltkrieg-Karabinern ausgerüstete jugendliche<br />
Jäger, die unbedingt wissen wollten, was denn so<br />
ein Fotoapparat koste, den ich da mit mir herumschleppte.<br />
Sher erzählte ihnen irgendein Märchen, damit sie nicht auf<br />
dumme Gedanken kamen, und ich bannte die beiden wunschgemäß<br />
auf Zelluloid. Etwas hungrig und durstig geworden fragten<br />
wir an, ob irgendwie die Möglichkeit bestünde, an was zu<br />
116
In den Siwaliks<br />
Die netten Nachbarn von nebenan<br />
117
essen oder zu trinken heranzukommen, wobei sich herausstellte,<br />
daß einer der Freizeitjäger gleichzeitig Bauer war und<br />
mit seiner Familie einen Hof ganz in der Nähe bewohnte. Die<br />
übermittelte Einladung zu Tee und Kuchen nahmen wir selbstredend<br />
dankbar an.<br />
Auf dem Rückweg verliefen wir uns dann aber leider etwas,<br />
ich bekam erste Blasen an den Füßen, und meine `unverwüstlichen´<br />
Lederstiefel gaben den Geist auf, als die nagel<strong>neu</strong>e<br />
Sohle des linken in der Mitte durchbrach. Das hatte<br />
natürlich gerade noch gefehlt - wollten wir doch morgen ins<br />
Gebirge !!! Bedingt durch diesen Schicksalsschlag blieb uns<br />
keine andere Wahl, als den Rückzug anzutreten, und zum<br />
Schluß unserer Wandertour gelangten wir über eine Steintreppe<br />
direkt an das felsige Westufer des Ganges, wo sein<br />
noch klares blaugrünes Wildwasser nach einem leichten Gefälle<br />
in einer großen breiten Kurve die Südrichtung einschlägt.<br />
Etwas träger geworden fließen die kühlen Wassermassen<br />
vorbei an kleinen Kiesstränden auf der gegenüberliegenden<br />
Uferseite, wo die Menschen zum Sonnenbad liegen, den<br />
Ashrams und farbenprächtigen Tempeln und unter der<br />
"Laksham Jhula" hindurch, einer 1939 erbauten stabilen Hängebrücke<br />
mit einer Spannweite von 140 Metern, auf der die<br />
Fußgänger manchmal stehenbleiben und die Schwärme der<br />
recht großen Fische füttern, die, wie so vieles in Indien, heilig<br />
sind und nicht gefangen werden dürfen.<br />
In der Stadt versuchten wir dann einen Schuster oder wenigstens<br />
jemanden aufzutreiben, der sich in der Lage sah, die<br />
vermachte Sohle zu reparieren, was aber fehlschlug. Lederstiefel<br />
sind halt etwas Außergewöhnliches in einem Land, wo<br />
der größte Teil der Bevölkerung barfuß herumläuft, und daher<br />
war weder eine Ersatzsohle noch ein entsprechender<br />
118
Gummiflicken aufzutreiben, mit dem der Riß überbrückt werden<br />
konnte. Keine Chance !<br />
An einem Sonnabend, dem 02.02.1991, fuhren Rocky und<br />
ich frühmorgens um sechs Uhr mit der Rikscha zum Busbahnhof,<br />
kauften unsere Tickets, und mit dem vollbesetzten<br />
Lokal-Bus reisten wir mit angespannten Nerven wegen des<br />
tolldreisten Fahrstils des lebensmüden Fahrers 200 km über<br />
übelste Gebirgsstraßen dem in einer erdbebengefährdeten<br />
Zone liegenden Zehntausend-Seelen-Städtchen Uttarkashi entgegen,<br />
wo knapp ein Jahr später ein starkes Erdbeben hunderte<br />
von Menschenleben forderte.<br />
Dort in 1158 Meter über dem Meeresspiegel angekommen,<br />
gab´s nach dem Einchecken in einem Superbillighotel<br />
von der Stange erstmal 222 tolle asiatische Nudelgerichte<br />
vom Wok für ´ne Mark in einem ganz kleinen 4qm-Ranzladen,<br />
und als wir zum Erstaunen des Kochs endlich satt waren,<br />
wurde es langsam Zeit, uns in das Getümmel auf den Straßen<br />
zu stürzen, denn meine ramponierten Lederstiefel hatte ich<br />
in Rishikesh gelassen. Unbekümmert, todesmutig oder lebensmüde<br />
hatte ich beschlossen, in meinen Turnschuhen zu<br />
laufen, und wollte mir sicherheitshalber ein Ersatzpaar zulegen.<br />
Das war aber gar nicht so einfach.<br />
Ich dachte, ich bekäme schon irgendwie ein paar anständige<br />
Schuhe, doch leider war in den zwei Schuhläden vor Ort<br />
nichts derartiges zu finden, was meinen Ansprüchen an Verarbeitung<br />
und Stabilität auch nur annähernd gerecht wurde,<br />
und so mußte ich mich wohl oder übel mit einem Paar primitivster<br />
indischer Negativ-Turnschuhe für den unglaublichen<br />
Wucherpreis von achtzehn Mark zufriedengeben.<br />
119
Vorm Schlafengehen wollte ich noch schnell die angepriesene<br />
heiße Dusche unseres `Hotels´ in Anspruch nehmen, aus<br />
deren fünf nicht verstopften Düsen aber nur Eiswasser in alle<br />
Himmelsrichtungen davonstob. Muß man wohl länger laufen<br />
lassen, dachte ich mir, nachdem ich eine erhebliche Anzahl<br />
der verstopften Düsen mit einer Nadel gesäubert hatte. Als<br />
die Wassertemperatur nach einer guten halben Stunde aber<br />
immer noch keine Lust hatte sich zu ändern, beschloß ich,<br />
den Vermieter zur Rede zu stellen. Der versprach, mir einen<br />
Eimer mit heißem Wasser zuzubereiten und versagte dabei<br />
kläglich: Das Wasser blieb auch um 23:00 Uhr nur lauwarm.<br />
Alles hatte sich gegen mich verschworen - aber ich würde<br />
den Göttern trotzen ! Verbissen schrubbte ich mich unter der<br />
kalten Dusche ab und verkroch mich bibbernd in den mit<br />
Taschenwärmern vorgewärmten Schafsack.<br />
Nächster Tag. Um fünf Uhr früh knatterten wir mit dem<br />
üblicherweise vollbesetzen Stockbus Richtung Gangotri.<br />
Es war bereits kalt - bitterkalt. Was darauf hindeutete, daß<br />
wir uns mehr und mehr in gebirgige Höhen schraubten.<br />
Bereits am Fahrkartenschalter oder vielmehr dem Verschlag,<br />
wo man ein Stückchen bedrucktes Papier erhielt, das zur<br />
Fahrt mit dem Bus berechtigte, hatte man uns darauf hingewiesen,<br />
daß der Bus oder was wir dafür hielten, aller Voraussicht<br />
nach nicht bis zu unserem eigentlichen Ziel Gangotri<br />
fuhr, sondern nur bis Gangnani, je nachdem, wie die Straße,<br />
die stellenweise durch Erdrutsche verschüttet sein sollte, aussah.<br />
Und wirklich, je näher wir Gangotri kamen, desto leerer<br />
wurde der Bus, bis schließlich nur wir beide übriggeblieben<br />
waren, als der Busfahrer an einer uralten, wie von Ratten<br />
120
zerfressenen Eisenbrücke stoppte. Die vier baufälligen Bretterbuden<br />
und halbfertiggebauten Steinhütten, die dort in der<br />
Nähe standen, mußten wohl der Ort Gangnani sein. Einwohner:<br />
einer, soweit wir sehen konnten. Entfernung bis Gangotri:<br />
60 Km Luftlinie !<br />
Es war eine triste Einöde, arrrschkalt, alles grau-braun, erdfarben<br />
und menschenleer, sah man einmal von dem Herrn<br />
ab, der den im Moment nicht sehr gut gehenden Teestubenbushaltestellenschnellimbißkiosk<br />
betrieb. Mitleidig blickend verabschiedete<br />
sich der Busfahrer von uns, machte kehrt und<br />
sah schleunigst zu, daß er verschwand, um die beiden Vollirren<br />
ihrem wohlverdienten Schicksal zu überlassen. Wir hatten<br />
es ja so gewollt. Hatten wir. Hätten wir´s gewußt - hätten<br />
wir ?<br />
Wandern in Schrottland<br />
121
Zuerst schien noch alles so lustig - die Welt war in Ordnung.<br />
Wir schossen ein paar Fotos von der Brücke und wie<br />
ich sie überquerte, und dann kam Rocky auf die glorreiche<br />
Idee, den vor uns liegenden Pflichtparcour der sowieso schon<br />
beschwerlichen Expedition etwas abzuändern, das heißt den<br />
Weg abzukürzen, der in einer leicht ansteigenden Kurve nach<br />
oben führte. Er äußerte den zwanghaften Wunsch zu klettern,<br />
um das Stückchen Kurve zu umgehen !<br />
Ich dachte, ich hörte nicht recht. Eh Mann, ich wollte nicht<br />
gleich am Anfang unter der Last meines viel zu schweren<br />
Sturmgepäcks sterben. Aber auch längere Diskussionen über<br />
Sinnfindung und Wertschätzung einer gottgewollten Scheißkurve<br />
hielten diesen bereits himalayaerprobten Steinbrech nicht<br />
von seinem Vorhaben ab, und schon begann für mich die<br />
elendste Quälerei seit den Hexenverbrennungen des Mittelalters.<br />
Schleimige Schweißspuren zurücklassend zwang ich meine<br />
bereits quietschenden Knochen und schmerzenden Beinmuskeln<br />
mit den Worten "Ich habe trainiert, ich habe trainiert,<br />
ich habe trainiert, ich habe ... auh ... ouh ... Urrgh !" den<br />
Hang hinauf. Ich mußte wahnsinnig sein. Auf was für ein Abenteuer<br />
hatte ich mich da eingelassen ?<br />
Hey Bus, komm zurück !<br />
Unterwegs ohne anständige Schuhe und den Rucksack und<br />
die große Army-Umhängetasche, deren scheuernder Trageriemen<br />
mich fast um den Verstand brachte, voll mit sämtlichen<br />
Einkäufen der bisherigen Reise. Ich hatte tatsächlich<br />
Metallboote, Holzkreisel und Seidenhemden im Gepäck. Vollkommen<br />
krank, aber Dörthe, Renate und André waren nicht<br />
unbedingt erpicht darauf gewesen, die Sachen im Ashram aufzubewahren,<br />
um dann von mir hingeschlachtet zu werden,<br />
122
weil irgendein Unbekannter Gefallen an Diesem oder Jenem<br />
fand und unberechtigterweise seinem Besitzstand einverleibte.<br />
Also schleppen...<br />
Nachdem wir die ersten paar hundert Meter auf der ansteigenden<br />
Straße zurückgelegt hatten und ich mir schon überlegte,<br />
wie ich diese teuflisch drückenden Schulterriemen des<br />
Rucksacks für eine Woche ertragen sollte, kam der nächste<br />
Hammer in Form tierischer Darmkrämpfe, die mich laut fluchend<br />
veranlaßten, panikartig hinter einen Findling am Wegesrand<br />
zu hechten, mich wimmernd von diesem vertrackten<br />
Gepäck zu befreien und die Hose runterzureißen. Dann kam<br />
die Jogginghose - wegen der Kälte - und die war verknotet !<br />
Oh Mann, oh Mann, und das in solch einem Augenblick des<br />
Schreckens. Wenn ich mir jetzt in die Hosen machte, wär<br />
das das Ende der Welt oder die Hölle auf Erden. Der Bus<br />
kam erst in einer Woche wieder und mit vollgeschissenen<br />
Hosen auf einer Trekkingtour im Himalaya verschollen, das<br />
mochte ich mir gar nicht erst vorstellen. Fuchsteufelswild riß<br />
ich mir endlich diese verdammte Hose herunter, und kaum<br />
hatte ich mich hingehockt, da schoß es auch schon in einem<br />
schönen fetten Strahl heraus.<br />
Rocky dokumentierte die Schweinerei als solche fairerweise<br />
mit einem netten Foto - frei nach dem Motto "was Du nicht<br />
willst, das man Dir tut, das füge einem anderen zu." - was an<br />
sich schon eine Schweinerei war. Wie er mir später versicherte,<br />
hat er dieses (im wahrsten Sinne des Wortes) Negativ<br />
später leider vor einem vereidigten Notar aufgegessen.<br />
Schade - hätte gern ein Poster davon !<br />
Im Moment war mir das aber alles vollkommen gleichgültig,<br />
denn diese Krämpfe machten einen glatt fertig. Man konnte<br />
sich nicht dagegen wehren. Der Körper pumpte auch noch<br />
123
das letzte bißchen an Nahrung aus dem Darm. Bestimmt an<br />
die zwanzig Minuten hockte ich mit heruntergelassener Hose<br />
in der Kälte und wartete auf das Ende der Darmverrenkungen<br />
und die unvermeidlich einsetzenden Beinkrämpfe.<br />
So konnte und durfte das nicht weitergehen ! Also schmiß<br />
ich gleich nach der Aktion zwei IMMODIUM ein und hoffte<br />
auf baldige Besserung. Fürs erste schien die Sache aber überstanden.<br />
On the road<br />
Es war zwar kalt, aber mir wurde im Laufe des Tages<br />
immer wärmer, denn das ungewohnte Schleppen des Gepäcks<br />
und das anfangs stetige Bergauf hielten den Kreislauf<br />
unglaublich in Trab.<br />
Die Jacke wanderte zuerst in den Rucksack, und später<br />
folgte der dicke Pullover aus Yakwolle, unter dem das<br />
klitschnaßgeschwitzte Sweatshirt zum Vorschein kam. Schwitzen<br />
tat man ja immer noch, aber der unermüdliche Wind<br />
hielt die Klamotten einigermaßen trocken, und der Rucksack<br />
spannte jetzt nicht mehr so.<br />
124
Trotzdem: es war eine unglaubliche Qual. Die Beine<br />
schmerzten, die Schultern schmerzten, das Gedärm, die Füße<br />
und, wie wir zu unserer großen Freude sehr bald feststellten,<br />
waren alle Lodges geschlossen: keine Saison !<br />
Welch ein Glück, da hatte sich der Expeditionsleiter verplant.<br />
Keine Unterkunft, kein Essen, keine Freude, keine Kraft.<br />
Genau die richtige Teststrecke für zwei ausgehungerte europäische<br />
Survival-Spezies auf Entdeckungsreise. Ein kleiner Wermutstropfen<br />
aber war, daß wir aus Eigennutz vorgesorgt und<br />
uns reichlich mit nahrhaften MAGGI-Brühwürfeln eingedeckt<br />
hatten, denn da konnte einfach kein richtiger Hunger aufkommen,<br />
wies mich der von diesen Unbilden unbeeindruckte<br />
Teamleiter unwirsch zurecht, als ich auf kleine Unstimmigkeiten<br />
zwischen seiner geschönten Theorie und der eindeutigen<br />
und unwiderlegbaren Praxis hinwies.<br />
Rebellion am Oberlauf des Ganges !<br />
Irgendwie brachte ich wohl noch nicht das richtige Verständnis<br />
für echtes Abenteuer auf. Das sah in Filmen immer<br />
viel einfacher aus.<br />
Ca 2-3 Stunden in der mondähnlichen Landschaft waren<br />
vergangen, als wir zu unserem Erstaunen auf Menschen trafen.<br />
Vor einem weißgekalkten steinernen kleinen Dreckloch von<br />
Hütte mit den Abmaßen einer Abstellkammer lauerten zwei<br />
volltrunkene Brandy-Hindu-Himalayasoldiers der heroischen indischen<br />
Gebirgsarmee. Welch eine Abwechslung für sie: Weiße<br />
und zwar vollkommen nüchterne !<br />
Dem Delirium Tremens nahe, versuchte der eine torkelnde<br />
Saufbruder uns in unverständlich sabberndem Englischgelalle<br />
beizubringen, wir hätten sozusagen den Sonderauftrag dort zu<br />
bleiben und ihnen Gesellschaft zu leisten. Die Strecke, die wir<br />
vor uns hätten, wäre ihrer Meinung nach sowieso so schlecht,<br />
125
das Wetter und die Menschen auch und sie wären soooo alleine<br />
hier draußen. Er müsse nur mal schnell zurückwanken und in<br />
einem nahegelegenen Dorf den leergesoffenen Plastikkanister<br />
mit Dröhnfusel ‘Spiritus Sancti’ auffüllen, dann könnten wir alle<br />
unheimlich abfahren, fuchtelte er eindringlich mit seinem alten<br />
Karabiner vor unserer Nase herum. Oh, Mann. Das hatte uns zu<br />
unserem Glück gerade noch gefehlt. Wir waren richtig glücklich,<br />
daß uns diese Ehre zuteil wurde.<br />
Da die ‘Spezialeinheit’ partout kein Interesse zeigte uns gehen<br />
zu lassen, versicherten wir, wir würden nur mal schnell gucken,<br />
ob hinter der nächsten Wegbiegung tatsächlich das Ende der<br />
Welt zu finden sei, wie man uns erzählte, und wir wären gleich<br />
wieder da. Ja, er könne schon mal für Nachschub sorgen.<br />
Wir sollten aber bloß vorsichtig sein !<br />
Damit machten wir uns aus dem Staub und waren nicht mehr<br />
gesehen. Die feuchtfröhliche Episode kostete uns allerdings<br />
eineinhalb Stunden unserer kostbaren Zeit. Schließlich mußten<br />
wir zusehen, die Strecke hin und zurück in fünf Tagen zu<br />
schaffen, damit wir den Bus nicht verpaßten. Da hieß es Tempo<br />
zulegen, denn auf jeden Fall wollten wir eine Unterkunft für die<br />
Nacht finden.<br />
Weiter und stetig bergauf marschierten wir auf der Straße<br />
durch eine bisher noch recht eintönige Landschaft gen Norden,<br />
unserem schneebedeckten Ziel entgegen. Die Berghänge um<br />
uns herum waren in dieser Höhe dicht mit Nadelhölzern bestanden,<br />
links von der Straße, tief unter uns, floß träge das<br />
blaugrüne Wasser des Ganges in Richtung Süden. Ab und zu<br />
standen kleine Tempelchen am Wegesrand, wo die alljährlich<br />
nach Gangotri pilgernden Gläubigen ihre Opfergaben hinterlegten<br />
oder Gebetsfahnen aufhingen. Menschen sahen wir keine,<br />
nicht mal Dörfer an den Hängen.<br />
126
Bald wurde mir die Schlepperei einfach zu bunt. Gewissensbisse<br />
quälten mich, mein Hab und Gut so im Stich zu lassen, aber<br />
ich mußte mich leider, leider von einigen Sachen trennen - da<br />
half nichts. Wir stoppten, und ich begann den Rucksack zu<br />
durchwühlen. Es mußte was möglichst Schweres sein. Ich<br />
suchte und suchte ... nein, nein, dies nich’ und das auch nich’ ...<br />
nein ... und jenes hier ganz bestimmt nicht.<br />
Aber, Mann, diese wahnsinnig große Familienflasche Sonnenmilch,<br />
die konnte ich bei der Kälte ganz gewiß nicht gebrauchen,<br />
und sie war verhältnismäßig schwer: immerhin 370g !<br />
Sorgsam versteckten wir den ausgewählten Kandidaten hinter<br />
einem Felsen vor den Blicken herumlungernder Sonnenmilchdiebe,<br />
um ihn auf dem Rückweg wieder einzusammeln,<br />
und dann setzten wir wieder einen Fuß vor den anderen...<br />
Da wir, wie gesagt, nichts weiter zu essen dabei hatten,<br />
mußten die verfeuerten Mineralien, Vitamine und Kohlenhydrate<br />
ja irgendwie anders wieder aufgefrischt werden. Wir<br />
ernährten uns natürlich nicht Rüdiger-Nehberg-like von Kakerlaken,<br />
Regenwürmern, Spinnen und dergleichen, sondern vertrauten<br />
voll und ganz auf die zehn Röhrchen energiespendender<br />
ALDI-Multivitamintabletten, die wir nebst einer Packung<br />
MINALKA-Mineraltabletten im Gepäck mitführten.<br />
Immer wenn irgendwo Wasser in Reichweite war und die<br />
Wasserflasche leer, trat der Wasserfilter in Aktion. Eine Ladung<br />
Tabletten in der Wasserflasche aufgelöst und weiter. Das half<br />
ganz gut, konnte aber den aufkeimenden nagenden Hunger<br />
nicht vertreiben.<br />
Stundenlang hatten wir uns nun schon durch das Gebirge<br />
gearbeitet, trafen auf den ersten Schnee, und als es dunkler und<br />
dunkler wurde und immer noch keine menschliche Ansiedlung<br />
127
gefunden war, setzte zu allem Übel Schneefall ein, und es<br />
dauerte gar nicht lange, da verwandelte sich das Ganze in einen<br />
äußerst heftigen Schneesturm, der einem alles abverlangte. Wir<br />
wateten bald bis zu den Knien im Schnee und konnten in dem<br />
wilden Schneegestöber kaum mehr die Hand vor Augen sehen.<br />
So ging es wieder stundenlang weiter, und irgendwann mochte<br />
ich nicht mehr, war vollkommen ausgezehrt - fix und alle. Meine<br />
Beine spielten verrückt, und ich bat Winfried in alter Indianermanier<br />
„laß mich hier sterben. Kein Schritt mehr. Begrab mich<br />
an der Biegung des Flusses“.<br />
Zur Erholung und um eine Besserung des extrem miesen<br />
Wetters abzuwarten legten wir eine kleine Pause ein, stellten<br />
aber fest: Es wurde immer schlimmer. Außerdem kroch einem<br />
die Kälte bis in Knochen, blieb man nicht in Bewegung, denn<br />
unsere Klamotten waren total durchgeweicht, und ich hatte<br />
zusätzlich das Problem, daß auch meine Strümpfe und Turnschuhe<br />
klitschnaß geworden waren, was zu weiterer Blasenbildung<br />
unter den Fußsohlen führte.<br />
Es war die Hölle. Hieronymus Bosch, die Todgeweihten<br />
grüßen dich !<br />
Voller Verzweiflung - ich, weil ich einfach nur verzweifelt war<br />
und Rocky aus Angst, mich eventuell tragen zu müssen; denn<br />
dann hätte er seine Sonnenmilch ja auch noch irgendwo in der<br />
Landschaft verstecken müssen - kramten wir die derben Bundeswehr-Zeltplanen<br />
raus, die wir uns zum Schutz gegen den<br />
Schnee überhingen. So präpariert stapften wir in der Finsternis<br />
als der Welt einzigartiges fluchendes Zeltplanduo durch die<br />
Gegend, bis wir gegen 22:00 Uhr plötzlich aggressives Hundegebell<br />
vernahmen !<br />
Hunde bedeuteten bösartige Bißwunden oder aber menschliche<br />
Ansiedlungen UND bösartige Bißwunden, denn die in den<br />
128
Dörfern des Himalaya als Wachhunde eingesetzten großen<br />
tibetischen Berghunde reagieren meist sehr ungehalten auf<br />
unangemeldete Besucher. Langsam arbeiteten wir uns vor in<br />
Richtung des Unruhestifters, denn lieber gebissen als erfroren<br />
oder verhungert. Links von uns<br />
stand plötzlich ein mannshoher<br />
Maschendrahtzaun, und<br />
schemenhaft konnten wir einen<br />
Menschen in dem Schneetreiben<br />
erkennen, der sich mit<br />
einem Hund an seiner Seite<br />
auf uns zubewegte.<br />
Wir müßten noch EINEN Kilometer<br />
weiter, dort wäre ein<br />
Dorf und wir könnten übernachten,<br />
erzählte er uns. EI-<br />
NEN Kilometer ! Wußte der<br />
Mensch, was er da sagte. Ich<br />
mochte nicht mal mehr einen<br />
Meter gehen. Aber es schien<br />
keine andere Möglichkeit zu `Rocky Horror Picture Show´<br />
geben.<br />
Weiter kämpften wir uns durch die naßkalte weiße Wüste,<br />
und plötzlich war da ein Licht in der Finsternis, das wir ziemlich<br />
erschöpft anpeilten. Als wir eine Weile darauf zugegangen<br />
waren, konnten wir eine einstöckige halbverfallene Hütte erkennen.<br />
Aus einem Spalt in der unteren Etage drangen Stimmen<br />
und das wundersame Licht.<br />
Rocky klopfte an, öffnete die knarrende kleine Holztür, und<br />
wir beide erstarrten buchstäblich mit den Worten „Ooooh<br />
Gott“: Sechs äußerst verwegen aussehende bewaffnete Bandi-<br />
129
ten hockten in dem kleinen Raum am Boden um ein knisterndes<br />
Feuer und blickten mißtrauisch auf die beiden im Eingang stehenden<br />
sprechenden Schneemänner.<br />
Totenstille.<br />
Nach dem ersten Schreck auf beiden Seiten versuchten wir<br />
uns miteinander zu verständigen. Schwerstes Hindienglisch - ich<br />
verstand kein Wort, doch Rockys Ohren waren da schon besser<br />
geschult, und so führte er die Verhandlungen. Auch diese<br />
Gauner rieten uns, weiterzugehen bis zum nächsten Dorf, hier<br />
wäre kein Platz mehr wie wir ja sehen konnten, und es wäre<br />
auch nicht mehr sehr weit.<br />
Da ich aber bereits das Essen erspäht hatte, das auf dem Feuer<br />
brutzelte, hätten mich dort keine zehn Pferde mehr weggebracht.<br />
Ich starrte nur gierig auf den großen Topf und drängte<br />
meinen Schicksalsgefährten, den Brüdern klarzumachen, daß<br />
ich mich notfalls am Gebälk festsaugen würde, wenn irgendwer<br />
versuchen sollte, mich von hier wegzuschaffen. Und dem Himmel<br />
sei Dank - wir durften dableiben !<br />
Also krochen wir nach sage und schreibe zwölf Stunden<br />
anstrengendstem Fußtraining in die kleine wohligwarme Butze<br />
und stellten unsere Schuhe zum Trocknen vor den kleinen<br />
Lehmofen, auf dem immer noch das Essen köchelte. Wir<br />
brauchten gar nichts zu sagen - man sah uns wohl an, daß wir<br />
den ganzen Tag nichts gegessen hatten und notfalls die gesamte<br />
Belegschaft verspeisen würden.<br />
Während wir den interessierten Gestalten erzählten, was<br />
wir zur falschen Jahreszeit, bei solchem Wetter und ohne<br />
geeignete Kleidung am Ende des Universums zu suchen hatten,<br />
häufte man uns einen Berg nahrhafter Standardspeise auf<br />
einen Blechteller: Dhal Bhat - Reis mit Linsenbrei und etwas<br />
Gemüse.<br />
130
Rocky hatte sich bereits hungrig den Mund vollgestopft, als<br />
ich meinen Teller sehnsüchtig in Empfang nahm, und raunte<br />
mir mit blutunterlaufenden Augen heiser mampfend zu "Oh<br />
Mann, Mike, iß lieber nichts davon ! ", denn das Zeug war so<br />
dermaßen scharf gewürzt, es krempelte einem regelrecht<br />
den leeren Magen um.<br />
Aber ich hatte tierischen Hunger und versuchte mein Glück<br />
mit der heißesten Feuerspeise aller Zeiten, mußte jedoch<br />
kurze Zeit später aufhören: Schweiß troff in Strömen, die<br />
Nase lief, die Zunge war taub, Mund und Magen brannten<br />
höllisch - ich mußte fast kotzen. Rocky wollte entweder angeben,<br />
oder bei ihm überwog der Hunger, denn er schaufelte<br />
die Gastgeber dämlich angrinsend unaufhörlich Löffel um<br />
Löffel in sich hinein.<br />
Wie konnte der bloß sowas essen, fragte ich mich ?<br />
Überwältigt von der schlechten Qualität eines europäischen<br />
Mittelklasse-Magens kam man meinem geröchelten Wunsch<br />
nach ungewürztem Essen nach, und ich erhielt einen <strong>neu</strong>en<br />
Teller voller Reis mit Zucker, den ich nun ohne etwas zu<br />
schmecken hinunterschlingen mußte.<br />
Nach dem Essen saßen wir noch eine ganze Weile am<br />
warmen Ofen, bis sich die versammelte Gesellschaft gegen<br />
Mitternacht langsam anschickte, die `Schlafgemächer´ im oberen<br />
Stockwerk der Baracke aufzusuchen.<br />
Man bot uns ebenfalls an, zusammen mit den anderen in<br />
einem Raum zu schlafen, wohl weil es dann wärmer war,<br />
aber wir lehnten dankbar ab und zogen uns sicherheitshalber<br />
in eine eigene kleine Kammer von ca. 3 x 3 Meter mit Lehmfußboden<br />
und klappriger Zweiflügeltür zurück.<br />
Vielleicht würde man ja in der Nacht über uns herfallen, um<br />
an Geld und Ausrüstungsgegenstände heranzukommen, die<br />
131
etwas Geld brachten ? Man konnte in diesen abgelegenen<br />
Gegenden nie wissen was passierte. Etwas mißtrauisch `verbarrikadierten´<br />
wir daher die Tür mit einer Stahlkette und<br />
stellten die Rucksäcke als Hindernis davor.<br />
Eine leere Eintopfblechbüchse und ein Schlüsselbund dienten<br />
als Alarmglocke, falls diese Kerle des Nachts versuchen<br />
würden, uns hinterhältig zu meucheln.<br />
Die Kälte in dem Raum war unglaublich, und der Wind pfiff<br />
durch jede Ritze. Uns schlotterten die Knochen, als wir uns<br />
zum Schlafen umzogen, und ich dachte laut darüber nach, wie<br />
man mich wohl morgen vom Boden lösen würde, an dem ich<br />
während des Schlafes festgefroren war, denn wir mußten mit<br />
den nicht sehr guten Schlafsäcken auf dem nackten Untergrund<br />
liegen - Schaumstoffmatten hatten wir keine. Wegen<br />
der extremen Kälte und um meine verkrampften Beine für<br />
morgen fit zu haben, rieb ich sie mit durchblutungsfördernder<br />
ABC-Salbe ein.<br />
Welch eine gute Idee - meine während des Tages malträtierten<br />
Gehwerkzeuge fingen an zu glühen !<br />
Geistesgegenwärtig kramten wir schließlich die Taschenwärmer<br />
heraus und legten uns zur wohlverdienten Ruhe. Den<br />
dicken Wollpullover hatte ich mir als Unterlage in den Schlafsack<br />
gepackt, aber ich brachte trotzdem die ganze Nacht<br />
kein Auge zu. Es war mehr ein bibberndes Dahindösen, denn<br />
die beiden Taschenwärmer, die ich mir an die Hals- und zwischen<br />
die Beine an die Beinschlagader geklemmt hatte, gingen<br />
andauernd aus, und durch den eindringenden Nachtfrost wachte<br />
man sofort wieder auf. Dann hieß es Taschenlampe an und<br />
versuchen, die Dinger schlotternd wieder in Gang zu bringen<br />
und das möglichst schnell.<br />
Um deren Effektivität zu steigern, hatte Rocky bei seinen<br />
132
Taschenwärmern sogar die Stoffummantelung abgerissen,<br />
brannte sich dadurch aber des Nachts prompt ein Loch in<br />
den Schlafsack.<br />
Gegen 06:00 Uhr wachten wir klitschnaßgeschwitzt auf -<br />
so sehr hatten wir gefroren - und die Nacht war überstanden.<br />
Trotzdem machte keiner von uns irgendwelche Anstalten<br />
sofort aufzustehen, denn außerhalb der nichtsnutzigen<br />
Schlafsackhülle war es ja noch ungemütlicher. Erst gegen 08:00<br />
Uhr blieb uns keine andere Wahl, als sich draußen Stimmen<br />
und Schritte bemerkbar machten.<br />
"Hello !" klopfte es an der Tür. "Hello ! .... Breakfeast ?",<br />
tönte es er<strong>neu</strong>t und jemand rüttelte nun an ihr, um sie zu<br />
öffnen, und nach einem verdutzten "Uh !" setzte wieherndes<br />
Lachen ein, als die Leute belustigt feststellen, daß wir das<br />
Ding aus Sicherheitsaspekten verbarrikadiert hatten.<br />
Schließlich stellten wir betreten fest: Wir waren in ein Militärlager<br />
geraten, und die unrasierten Rauhbeine waren sehr<br />
gastfreundliche Soldaten der indischen Armee, die uns zum<br />
Frühstück mit einem marmeladegefülltem Eierkuchen und<br />
reichlich Tee versorgten.<br />
Das war zwar peinlich, aber wie sagte schon der sonst<br />
nicht sehr bekannte Harry Strelitz aus Lech am Inn: "Lieber<br />
zweimal peinlich als einmal tot !"<br />
Schnell hatten wir uns angezogen - es war immer noch<br />
arschkalt -, das warme Frühstück wurde gierigst hinuntergeschlungen,<br />
und danach ging es im knirschenden Schnee auf<br />
die Freilufttoilette zum Eiswürfelkacken. Es herrschte strahlender<br />
Sonnenschein, und die schneebedeckte Landschaft glitzerte<br />
und funkelte trügerisch in der klirrenden Eiseskälte.<br />
Rocky schoß noch ein, zwei Fotos von unseren Helfern vor<br />
133
Unsere indischen Retter, die nächtlichen `Gangster´<br />
134
der Unterkunft, und dann trabten wir wieder frierend und<br />
schwerbepackt, unter freudigen Abschiedsgrüßen durch<br />
Schnee und Eis. Mann, was waren wir Männer - wir trotzten<br />
Tod und Teufel.<br />
Das Schicksal kannte kein Erbarmen mit zwei mitteleuropäischen,<br />
suicid-gefährdeten Extrem-Masochisten der besonderen<br />
Art und so mußten wir uns gleich zu Beginn des <strong>neu</strong>en<br />
Tages über eine ziemlich abartige Wegstrecke bergauf kämpfen<br />
- Quäl, quäl !<br />
Und das mir.<br />
Nur gut, daß ich meine Beine am Morgen nochmals mit der<br />
berühmt-berüchtigten ABC-Salbe behandelt hatte. Das half wenigstens<br />
die zittrigen Muskeln aufzulockern, und die Beine<br />
schmerzten nicht mehr so enorm wie am Vortag.<br />
Allerdings wurden meine Füße kaum mehr trocken, denn<br />
beim ewigen Stapfen durch den Schnee saugten sich weiterhin<br />
Wollsocken, Schuhe und nun auch noch die Hose mit<br />
Wasser voll. Um diesem Dilemma entgegenzuwirken, hingen<br />
das unbenutzte Paar Schuhe und die Ersatzsocken hinten am<br />
Rucksack, damit die Sonne während des Tages ihren Dienst<br />
tun konnte. Doch das half wenig; sämtliche Körperflüssigkeiten<br />
schienen unheimlichen Spaß daran zu haben, sich in den blasigen<br />
Ausstülpungen meiner Füße anzusammeln.<br />
Wie am Vortag, so wanderten wir auch heute wieder stundenlang,<br />
ohne auch nur eine einzige Menschenseele zu treffen,<br />
durch eine absolut karge und spacige Gebirgslandschaft.<br />
Unsere zwischendurch oral verabreichte Nährstofflösung hielt<br />
uns mehr oder weniger am Leben, während wir versuchten<br />
den Berggipfeln auf den Leib zu rücken. Immer noch nichts<br />
richtiges zu essen.<br />
Wie sollte das bloß weitergehen ?<br />
135
Es mußte hier doch irgendwo ein Dorf auf unserem Weg<br />
liegen, wo wir was zu mampfen abstauben konnten. Doch<br />
wir fanden nichts dergleichen.<br />
Erst als wir uns am Nachmittag im Schweiße unseres Angesichts<br />
einen Berg hochgearbeitet hatten, lag plötzlich ein weites<br />
karges, aber sonnenbeschienenes Tal zu unseren Füßen,<br />
in dessen Mitte die heiligen Wasser des Ganges glitzerten, und<br />
am gegenüberliegenden Berghang klebten dichtgedrängt die<br />
Holzhütten eines Dorfes. Auch direkt unter uns waren ein<br />
paar Hütten in Sicht. Das erschien uns als Lichtblick. Auf stark<br />
vereisten Pfaden mühten wir uns den steilen schneebedeckten<br />
Hang hinunter, um den Weg abzukürzen, und legten uns<br />
dabei wegen der enormen Glätte etliche Male auf die Nase.<br />
Nachdem wir die Hälfte der Strecke bewältigt hatten, kam<br />
uns ein kleiner einheimischer Junge entgegen, der uns freundlich<br />
lächelnd den sicheren Weg nach unten zeigte.<br />
Das Dörfchen, wo wir eintrafen, war jedoch absolut tot,<br />
sah aus wie in einem Western von Sergio Leone. Aber immerhin<br />
gab es dort die Möglichkeit, in einer als Tee-Shop<br />
getarnten Bretterbude einige warme Milchtees in uns hineinzuschütten,<br />
denn wie jeder weiß: "...etwas Warmes braucht<br />
der Mensch." Zu essen gab es jedoch absolut nichts, und daher<br />
setzten wir uns bald wieder in Bewegung.<br />
Es wurde schließlich dunkler und dunkler, so daß wir beschlossen,<br />
noch maximal eine Stunde zu laufen, denn dann<br />
wäre die Zeit gekommen, uns eine Unterkunft für die Nacht<br />
zu suchen. Zu unserer großen Freude fanden wir unterwegs<br />
eine im Dreck liegende alte versiffte Eintopfdose, die wir mitnahmen.<br />
Zu Tieren verwahrloste Hungerleider wie wir konnten<br />
ja nie wissen, wozu man die noch brauchte ! Vielleicht<br />
136
Nachdem wir über verschneite Wege ins Tal hinabgestiegen waren...<br />
...herrschte eitler Sonnenschein !<br />
137
ließe sich aus den darin angetrockneten Essensresten eine<br />
tolle Suppe kochen ?<br />
Nachdem wir einen Berg umrundet hatten, sahen wir, daß<br />
uns unser Weg über eine Brücke führen würde, die über eine<br />
tiefe und steile Schlucht gespannt war, in deren Tiefe die<br />
tosenden Wasser des Ganges rauschten. Dahinter stand im<br />
Schutz von Nadelbäumen eine kleine weißgekalkte Hütte.<br />
Wir führten wahre Freudentänze auf, bis wir beim Näherkommen<br />
feststellten, daß der Teufel seine Hand im Spiel hatte,<br />
denn die Tür war leider mit einer dicken Kette versperrt.<br />
Ausgezehrt und vollkommen wirr im Kopf stellten wir Überlegungen<br />
an, dort einzubrechen, aber dann siegte die Vernunft,<br />
denn neben der Hütte befand sich ein aus Felssteinen<br />
gebauter, offener kleiner Verschlag: die Kochstelle.<br />
Nach gewissenhafter Inspektion des Inneren zogen wir dort<br />
ein, polsterten den Boden mit Tannenzweigen gegen den<br />
nächtlichen Bodenfrost, entrollten die Schlafsäcke, und vor<br />
den Eingang kam eine der robusten Zeltplanen, um den Wind,<br />
wilde Killer-Bestien, Yetis und einer Anstalt entflohene wahnsinnige<br />
Massenmörder abzuhalten.<br />
Dann ging die langwierige Suche nach gutem Brennmaterial<br />
los, denn das herumliegende Holz war durch den Schnee<br />
nicht gerade als trocken zu bezeichnen.<br />
Die bereits erwähnte Büchse wurde mit Seife ausgewaschen,<br />
und nach einer guten halben Stunde war der Survival-Feuerstein<br />
Marke "Gemeiner Feuerteufel" gefunden, den irgendwer<br />
irgendwo verkramt hatte. Natürlich hatten wir auch ein<br />
Feuerzeug im Gepäck, aber lieber wären wir gestorben, als<br />
etwas derartig Lachhaftes zum Einsatz zu bringen.<br />
138
139<br />
Das `Weiße Haus´: Für Normalbürger leider kein Zutritt, also...
...zogen wir ins Obdachlosenasyl...<br />
...zu den Ratten, Würmern und Kakerlaken !<br />
140
Dann war schwarze Nacht um uns, und ein `köstliches´<br />
Abendessen brutzelte über dem entfachten Lagerfeuer:<br />
Wassersuppe mit dem feinwürzigen Aroma von MAGGI-Brühwürfeln.<br />
Das Herz erfreute sich an der frischen Luft und<br />
kühlen Witterung.<br />
Frage an Rocky: "Meinst Du hier lebt noch jemand ?"<br />
Eine Antwort erübrigte sich, denn ganz plötzlich trat aus<br />
dem schwarzen Nichts ein zerlumpter, als Pilger getarnter<br />
Außendienstmitarbeiter der indischen Philosophischen Fakultät<br />
in den flackernden Schein unseres Feuers und konterte<br />
mit der Frage:<br />
"Woher kommt ihr und wo geht ihr hin ?"<br />
Urgh ! Wir zermarterten uns natürlich das Hirn, wo der so<br />
plötzlich herkam und was er wollte. Vorsicht war angesagt !<br />
Rocky: "Keine Panik. Ich bin schon mit ganz anderen Leuten<br />
fertigge...."<br />
Ein Pfiff in der Nacht und Stimmengewirr.<br />
Im Nu hatten wir acht bis <strong>neu</strong>n vermummte Gestalten, Typ<br />
`unrasierter fanatischer pakistanischer Freiheitskämpfer´ am<br />
Lagerfeuer sitzen, die den ersten Herrn anscheinend kannten.<br />
Oha - unsere Alarmglocken schrillten und Rocky bekam<br />
sogleich eine kleine Anwandlung von Größenwahn, indem er<br />
seine vorige Aussage revidierte:<br />
"Keine Panik. Ich und mein Rasiermesser sind schon mit viel<br />
mehr Leuten fertiggeworden !"<br />
Der herbe Haufen verlangte zu wissen, was zwei geistlose<br />
europäische Narren um diese Jahreszeit in ihrem vereisten<br />
Stammesgebiet zu suchen hatten und warum wir nicht einfach<br />
ein Stückchen weitergingen in ihr Dorf, wo wir gemüt-<br />
141
lich im Warmen übernachten konnten. Wir bedankten uns<br />
herzlichst für soviel Aufmerksamkeit, gaben aber zu bedenken,<br />
daß nordische Bleichgesichter Kälte, Hunger und das<br />
Abenteuer liebten und wir eigentlich schon schliefen, was sie<br />
bloß noch nicht bemerkt hätten. Das beruhigte unsere <strong>neu</strong>en<br />
Freunde, und kopfschüttelnd verabschiedeten sie sich bald<br />
wieder. Natürlich war uns danach etwas mulmig in der Haut.<br />
Aber was sollte man machen ? Wir waren müde und mußten<br />
jetzt dort schlafen, komme was wolle.<br />
Die eisige Nacht war ohne Zwischenfälle von uns gegangen<br />
und nachdem wir alles gepackt und zum Frühstück ausgiebig<br />
gehungert hatten, verließen wir gegen acht Uhr wehmütig<br />
unsere kleine heimelige Hütte und kämpften uns durch den<br />
festen Schnee immer weiter bergauf.<br />
Ächz, Stöhn !<br />
Die unglaubliche Landschaft entschädigte für vieles, aber mein<br />
Gepäck vermittelte mir mehr und mehr das erdrückende Gefühl<br />
eines riesigen nervtötenden Parasiten, der auf meinen<br />
Schultern hockte und den ich bis zur Rückkehr nach Gangnani<br />
nicht mehr loswerden würde. Rocky nahm mir daher den<br />
mitgeschleppten Wasserfilter ab, was immerhin 600g ausmachte,<br />
die ich nun nicht mehr schleppen mußte !<br />
Irgendwann gegen Mittag erreichten wir endlich ein Dörfchen,<br />
in dem ein Häuflein schmutziger Menschen in abgetragenen<br />
schmutzigen Klamotten geschäftig zwischen ein paar<br />
ebenfalls schmutzigen und halbherzig zusammengenagelten<br />
Hütten herumwuselte. Dort konnten wir wieder mal Tee<br />
trinken und sogar Nudelsuppe essen ! In einem kleinen<br />
Kolonialwarenholzverschlag, der bis zur Decke mit verstaub-<br />
142
"These Boots are made for walkin´. This is what they are for..."<br />
143
tem Krimskrams vollgestopft war, fanden sich unter anderem<br />
auch ein paar Päckchen Kekse und etwas Schokolade,<br />
die wir sofort beschlagnahmten.<br />
Und weiter im Takt.<br />
Ewig lange balancierten wir durch tief in den Schnee eingegrabene<br />
vereiste Reifenspuren, was unsere ganze Aufmerksamkeit<br />
in Anspruch nahm, um nicht auf die Nase zu fallen.<br />
Die konnten nur von einem Militärfahrzeug stammen - zu<br />
sehen war allerdings nichts.<br />
Nichts außer Kühen - diese Dörfer schienen alle wie ausgestorben !<br />
144
Nach Stunden der Einöde arbeiteten wir uns einen steilen<br />
bewaldeten Hang nach oben, um den Weg abzukürzen, und<br />
plötzlich befanden wir uns in einem verlassen wirkenden Militärlager<br />
der indischen Armee. Aber wir hörten Stimmen und<br />
als wir suchten, fanden wir zwei erbärmlich frierende Einzelkämpfer<br />
in einem Schuppen am Feuer hockend. Sehr erfreut<br />
hier andere Menschen zu sehen, wurden wir zum Teetrinken<br />
eingeladen und man löcherte uns mit Fragen. Die beiden<br />
erzählten, daß sie auf diesem Außenposten schon seit einigen<br />
Monaten alleine ausharrten. Grauenvoll !<br />
Wir wärmten also etwas unsere müden Knochen, kippten<br />
einige Tassen Tee und wollten uns gerade verabschieden, als<br />
die Einsamen den Wunsch<br />
äußerten, von uns abgelichtet<br />
zu werden. Dazu mußte<br />
natürlich erst einmal die<br />
Sonntagsgalaausgehuniform<br />
angelegt werden, was einige<br />
Zeit in Anspruch nahm.<br />
Dann wurde sich zum<br />
Fototermin draußen in Positur<br />
gestellt, die Adressen<br />
aufgeschrieben, an die wir<br />
die Fotos schicken konnten<br />
und weiter gings den<br />
bewaldeten Hang hinan.<br />
Eine kleine Gruppe indischer<br />
Soldaten mit voluminösen<br />
Rucksäcken kam<br />
uns schnaufend entgegen<br />
und musterte uns mißtrau-<br />
Sogenannte `Plaudertaschen´<br />
isch: eine Grenzpatrouille<br />
145
auf dem Weg zurück zur Einheit. Am oberen Ende des Hanges<br />
angekommen befanden wir uns wieder auf der Straße,<br />
die nun immer steiler wurde, je mehr wir uns Gangotri näherten.<br />
Kurz vor Gangotri trafen wir zu unserem Erstaunen eine<br />
Gruppe ausgezehrter Yogis, die Feuerholz gesammelt hatten<br />
und nun auf der Straße hockten und Pause machten. Außer<br />
einem Latz zwischen den Beinen und einem dünnen um die<br />
Schultern geschlungenen Umhang trugen diese Gesellen keine<br />
weitere Kleidung bei der Kälte und großartig zu frieren<br />
schienen sie auch nicht dabei. Respekt, Respekt !<br />
Erste Frage von Ihnen: "Do you have rice ?"<br />
Daraufhin bekam ich fast epileptische Anfälle.<br />
"Waaaas ?! Die haben auch nichts zu essen ??? Ich kotze<br />
gleich !!! Hunger !!!"<br />
Trotzdem boten wir ihnen unverständlicherweise an, zusätzlich<br />
zu unserem Gepäck die Kleinigkeit an ganzen Baumstämmen,<br />
die sie auf der Straße abgelegt hatten, auf unseren<br />
Schultern nach Gangotri zu schleppen. Wahrscheinlich waren<br />
wir durch den akuten Nahrungsmangel bereits so dermaßen<br />
geistig verwirrt, daß uns sowieso alles egal war.<br />
In Gangotri angekommen verließen uns nach und nach die<br />
Yogis, um ihre Unterkünfte aufzusuchen, bis auf den, dessen<br />
Jahresvorrat an Holz wir mit uns herumschleppten.<br />
"Das gibt´s doch nich´ !" fluchten wir immer wieder leise<br />
vor uns hin. Hatten wir uns zu allem Übel also auch noch den<br />
richtigen ausgesucht. Durchs ganze Dorf mußten wir mit dem<br />
Zeug, da der freundliche alte Herr wirklich das letzte Apartment<br />
vor der Autobahn bewohnte !<br />
Aber dann konnten wir uns mal so richtig satt essen. In<br />
146
Holzauktion<br />
seiner ungeheizten (!) Hütte angekommen, die zum Ashram<br />
"Sivananda" gehörte und die er mit einer nahrhaften Proteinbombe<br />
- einem kleinen schwanzamputierten Affen - teilte,<br />
bat er uns Platz zu nehmen, kramte einen stark beanspruchten<br />
Kerosinkocher und verschiedene Zutaten aus den bis zur<br />
Decke gestapelten großen NESTLE-Milchpulverdosen und<br />
Holzkisten im hinteren Teil des Raumes hervor und fing an,<br />
in einer kleinen Pfanne eine Handvoll Erdnüsse zu rösten, die<br />
er in aller Ruhe zwischen uns aufteilte. Dazu gab´s süßen<br />
Milchtee. Aaaah, die Vorspeise !<br />
Plötzlich erzählte er uns, daß er sein Nirvana dadurch zu<br />
erreichen gedachte, daß er sich ausschließlich von Erdnüssen<br />
und Milchtee ernährte.<br />
Pruuuust !!! Wie bitte ???<br />
"Sorry, but I have a question. We get something to eat ?<br />
You have Rice ? Knuuurrrrr ! Hungry ! You understand ?"<br />
147
Er beruhigte uns und sagte, das wäre tatsächlich nur die<br />
Vorspeise - sozusagen ein Appetizer. Nachher gäb´s was Deftiges,<br />
bloß die Zubereitung dauere halt etwas länger. Mann,<br />
da waren wir aber schwerstens beruhigt und schraubten die<br />
entstandene körpereigene Produktion von nervösem Angstschweiß<br />
und kannibalistischem Gelüsten sofort zurück.<br />
Mit ruhigem Gewissen konnten wir uns nun die verschneite<br />
Gegend angucken. Es war total abgefahren. Gangotri, das auf<br />
einer Höhe von 3200m liegt, besteht aus lauter kleinen Hütten,<br />
die auf und zwischen großen Findlingen gebaut sind. Überall<br />
führten Brücken über die vielen kleinen Sturzbäche und<br />
vereisten Wasserfälle, die sich, je weiter sie dem Tale<br />
entgegenflossen, zum mächtigen und im ganzen Lande verehrten<br />
heiligen Ganges vereinten.<br />
Es rauschte und brauste nur so. Im Sommer mußte es dort<br />
wirklich toll aussehen, denn dann war es warm, und viele<br />
asiatische Pilger und internationale Globetrotter machten in<br />
den Ashrams Station ! Jetzt aber war es saumäßig kalt, ungemütlich<br />
und wie ausgestorben - sieht man einmal ab von unserem<br />
Vollmilch-Nuss-Überlebenskünstler sowie dem Verwalter<br />
der hiesigen Unterkünfte und einigen selbstkasteienden<br />
High-End-Edel-Yogis, die sich bei dieser streßenden Kälte in<br />
versteckten Eremitenhöhlen warmmeditierten.<br />
Es fing auch bereits wieder an zu schneien, und der Himmel<br />
bedeckte sich zusehends.<br />
Das Wetter versprach also nichts Gutes, doch Rockys<br />
Leistungsdrang schien seine Sinne benebelt zu haben, und ich<br />
verstand die Welt nicht mehr. Er wollte unbedingt weiter<br />
nach dem gletscherbewehrten Gaumuk.<br />
Warum ? Gab´s da etwa noch mehr zu essen ?<br />
Spaß bei Seite. Ich konnte das ja verstehen - denn schließlich<br />
148
149<br />
Das im Schnee versunkene Gangotri
Auch wenn man die Kälte nicht wirklich fühlt,...<br />
...läuft es einem beim Anblick dieser Bilder doch eiskalt den Rücken runter<br />
150
wollte ich ja selbst dorthin. Doch wegen meiner mit Blasen<br />
übersäten Füße lief ich nur noch wie auf kochend heißem<br />
Himbeergelee - ohne Zucker !<br />
Nach seinem genialen und wohldurchdachten Plan sollte ich<br />
halt in Gangotri warten, bis er seinen todesverachtenden Mut<br />
bewiesen hatte und eventuell als Held der Arbeit wieder zurückkam.<br />
Das konnte doch wohl nur ein alberner Scherz<br />
sein - Ha ha ha !<br />
Bis jetzt war eigentlich alles entgegen seinen Vorstellungen<br />
verlaufen, und daher zweifelte ich in diesem Moment tatsächlich<br />
an seinem Verstand. Ich war auch gar nicht gewillt<br />
alleine hierzubleiben, in dieser Kälte, mit kaputten Füßen und<br />
ständigem Durchfall - ich wollte zurück !<br />
Also versuchte ich ihn darüber in Kenntnis zu setzen, daß<br />
wir ein Club-Trek-Adventure-Survival-Spezial für zwei Personen<br />
buchten und er sollte mal auf sein Ticket gucken, denn<br />
da stand ganz eindeutig DUO-DESASTER und nicht SUICIDE-<br />
EGO. Teamgeist war in dieser Situation gefragt, sonst würden<br />
wir katastrophale Kurseinbrüche hinnehmen müssen.<br />
Als die Eingeborenen von seinem Plan hörten, rollten sie<br />
unheilvoll mit den Augen und rieten ganz energisch davon ab,<br />
da Schneestürme und Erdrütsche den Weg dorthin lebensgefährlich<br />
machten. Rocky hielt sie für arme ungebildete Irre,<br />
die einfach nur viel zuviel Angst hatten, und wollte den nächsten<br />
Tag abwarten...<br />
Am späten Nachmittag dann die Freßorgie: Ein zerbeulter<br />
Edelstahlteller mit einem halben Meter Durchmesser war gefüllt<br />
mit einem gigantischen feinkörnigen Reis-Himalaya, durch<br />
den sich ein krätiger grüner Dal-Strom gen Tellerrand wälzte<br />
und dicke Gemüsefindlinge, die überall herumlagen, wurden<br />
warm davon umspült.<br />
151
Bo äeehj ! Ham wa alles weggeputzt, denn wer wußte schon,<br />
wann´s wieder was gab !<br />
Dann schlafen. Wenigstens drang kein Wind, der einen die<br />
ganze Nacht über piesackte, in das Innere der Holzbaracke,<br />
in die wir einquartiert wurden, aber es war trotz der zusätzlichen<br />
Wolldecke, die wir bekamen, eine ziemlich eklige Nacht,<br />
während der sich das Wetter extrem verschlechterte.<br />
Der Himmel sah düster aus, und Unmengen Schnee fielen<br />
vom Himmel.<br />
Der "Is cool man"-Yogi-Man<br />
Rocky hatte ein Einsehen - wir gingen zusammen zurück.<br />
Als Wegzehrung bekamen wir auf Wunsch einige Dschapatis,<br />
dünne ungesäuerte Fladenbrote, in die Hand gedrückt und<br />
einen Brief, den wir in einem Nachbardorf abgeben sollten.<br />
Würden wir erledigen ! Zum Abschied schenkten wir den<br />
152
Leuten dort 150 Rupies und der Yogi bekam meine Stopuhr,<br />
die ihm so gefallen hatte. Unser Yogi mit den glänzenden<br />
Augen und seinem frechen Affen - ich würde ihn nicht vergessen.<br />
Glaube, Liebe, Hoffnung. Wir glaubten an uns, liebten das<br />
Leben und hofften den Rückweg in zwei Tagen zu machen.<br />
Bergab ging es bekanntlich immer schneller. Mit Blasen an<br />
den Füßen, die bereits die Fünfmarkstückgröße überschritten<br />
hatten und tierisch schmerzten, war ich mir da aber nicht<br />
mehr so sicher. Viel Zeit holten wir jedoch dadurch heraus,<br />
daß wir nicht immer den Serpentinen folgten, sondern direkt<br />
die Hänge hinunterkraxelten, was wegen der Steilheit und<br />
nassen Felsen oft nicht ganz ungefährlich war.<br />
Bei Durchquerung eines menschenleeren Dorfes heftete<br />
sich zu allem Ärger ein wegelagernder, kalbgroßer tibetischer<br />
Berghund, der die Dschapatis gerochen hatte, an Rockys Fersen<br />
und zwickte ihn andauernd mit seinen Zähnen ins Bein,<br />
um die seiner Meinung nach berechtigte Forderung nach einem<br />
Zollfreßchen zu unterstreichen.<br />
Und da ich mich als `Hüter der Teigwaren´ weigerte, auch<br />
nur eine Krume des jüngst erworbenen Nahrungsvorrates<br />
aufzugeben, nötigte mich Rocky wütend, seinen Teil der Lebensmittel<br />
an dieses Mistvieh zu verfüttern, um es loszuwerden,<br />
was mit zusätzlichem Steinwurf auch klappte.<br />
Das Vieh war echt bösartig !<br />
War das Dorf deswegen leer ?<br />
Dann kam der Heimatort des Briefempfängers in Sicht, und<br />
schon baute sich der ätzende Schneeberg, den wir auf dem<br />
Hinweg hinuntermußten, vor uns auf. Jetzt hieß es eine volle<br />
Stunde lang im Zickzack dieses Ungetüm zu erklimmen.<br />
Vorher aber präparierte Rocky noch einmal seine vollkom-<br />
153
men klammen Lederstiefel in Ermanglung anderer Hilfmittel<br />
mit dem Babypo-Pflegeprogramm aus dem Hause NIVEA. Das<br />
frischte den Teint etwas auf und imprägnierte gleichzeitig.<br />
Meinereiner machte in der Zwischenzeit verschiedene Atemund<br />
Augenrollübungen und intonierte immer wieder das geistreinigende<br />
Hyper-Power-Mantra "Ich willlll !...jaaa...ich willll,<br />
ja, ja, ja,...ich will, will ???...nein,...nein, ich muß...", um mich<br />
mental auf die große Herausforderung vorzubereiten<br />
Ich rutschte diesmal jedoch trotzdem öfter aus als beim<br />
Abstieg, was mich ziemlich schnell zum heulend-keifenden<br />
HB-Männchen mutieren ließ. Ich fluchte und jammerte wie<br />
blöde, was wiederum Rocky in Rage brachte. War mir aber<br />
scheiß-, scheiß-, scheiß- und nochmals scheiß- ... egal !!!<br />
"Ich will auch immer lieb und artig sein, aber bitte bitte<br />
lieber Gott, Allah, Shiva, Buddha, Thor oder wie auch immer<br />
Du heißen magst, mach, daß dieser Streß vorbei ist und ich<br />
meine Füße und überhaupt meinen ganzen gemarterten<br />
Metabolismus ausruhen kann..."<br />
Weiter, weiter, weiter... vorbei an der Hütte, über die Brükke<br />
und weiter...durch dichten Wald... - immer gen Süden,<br />
Stunde um Stunde.<br />
Unterwegs Mittagessen bei dem einer Irrenanstalt entflohenen<br />
Kommandeur der indischen Gebirgstruppen - draußen<br />
in der Kälte, im einsetzenden Schnee unterm Sonnenschirm.<br />
Wollte wohl zeigen was Inder für Schwachköpfe sind !<br />
Wir wurden von seinen gequält wirkenden Adjudanten bedient<br />
wie die Könige, und während ich zitternd vor Kälte und<br />
völlig ausgehungert das leckere Essen in mich hineinschaufelte,<br />
betätigte sich mein Weggefährte als Alleinunterhalter.<br />
Rocky und Mister A.K.Narain spekulierten z.B. über moderne<br />
Kriegsführung im Zeitalter der Atombombe, entwik-<br />
154
Einladung zur indischen Militärspeisesendung "Der Preis is´ Eis"<br />
kelten Strategien über einen modernen Himalayagrenzkrieg<br />
zwischen Indien und China und bewerteten den Zustand der<br />
indischen Armee durch Inspektion der Rucksäcke, mit denen<br />
seine Soldaten durchs Gelände stapften. Die sahen zwar<br />
hammermäßig schwer aus, waren aber in Wirklichkeit leicht<br />
wie MILKY WAY - die schwammen sogar in Milch !<br />
155
Das alles endete damit, daß sein Essen nicht nur eiskalt und<br />
bretthart, sondern auch noch auf dem Teller festgefroren<br />
war, als er einen Bissen zu sich nehmen wollte. Mühsam<br />
mußte er es daher mit der biegsamen India-Qualitäts-Alugabel<br />
"Shiva´s trident strikes back" herunterkratzen.<br />
Nach eineinhalb Stunden verabschiedeten wir uns und machten<br />
uns wieder auf den Weg, denn es gab noch viel zu tun. In<br />
der Dunkelheit erreichten wir endlich ein Militärlager der Tibetan<br />
Mountain Militaries, wo uns die sehr hilfsbereiten Soldaten<br />
mit einem prima Abendessen versorgten und erlaubten, in<br />
ihrer Barracke am warmen Ofen zu übernachten. Wahnsinnig<br />
surreal und urgemütlich.<br />
Aufstehen mußten wir aber schon wieder mitten in der<br />
Nacht um fünf Uhr und nach der Morgentoilette spätestens<br />
um sechs Uhr weiter, denn erstens durften die Vorgesetzten<br />
unserer tibetischen Helfer keinen Wind davon kriegen, und<br />
dann hatten wir auch noch viel vor.<br />
Heute sollte und mußte der letzte Tag sein. Am Nachmittag<br />
kam bereits der Bus, der uns zurück in die Zivilisation brachte.<br />
Den durften wir auf keinen Fall verpassen - trotz nassen<br />
und defekten Schuhwerks, das mittlerweile aussah wie die<br />
Landschaft, kalten und demolierten Füßen, Regenwetter und<br />
den beiden Posten vom ersten Tag, die sich so dermaßen<br />
betrunken hatten. Um unseren Reisezeitplan nicht zu gefährden,<br />
schlichen wir heimlich, still und leise an deren Hütte<br />
vorbei.<br />
Die letzten Stunden eierte ich nur noch wie in Trance auf<br />
meinen wehen Füßen vorneweg, mit starrem Blick geradeaus.<br />
Gehen, gehen, gehen, bloß nicht stoppen und auf gar<br />
keinen Fall an die Schmerzen denken. Nichts anderes exi-<br />
156
Wie war das ? Sich Regen bringt Segen...?<br />
157
stierte mehr für mich: Schmerzen in den Schultern und<br />
Schmerzen in den Füßen und vor mir lag das Nirvana - der<br />
Busstop. Dort mußte und wollte ich hin; so schnell als möglich<br />
und dann nur dasitzen und nicht mehr laufen müssen.<br />
Während des Schlußschlurfspurts entwickelte sich noch folgender<br />
Dialog, der einen guten Einblick in die feinfühlige Seele<br />
eines körperlich Geschundenen gibt:<br />
"Hey Mike, halt mal an ! Ich mach mal ´n nettes Erinnerungsfoto."<br />
Latsch, latsch, latsch...<br />
"Eh, dreh´ dich doch mal um !"<br />
Latsch, latsch, latsch...<br />
"Maaahhheeiiike, lach mal !"<br />
Latsch...<br />
"Wenn ich..."<br />
Latsch, latsch...<br />
"...jetzt anhalte,..."<br />
Latsch, latsch...<br />
"...dann werde ich..."<br />
Latsch, latsch...<br />
"...nie wieder weitergehen können."<br />
Latsch, latsch, latsch...<br />
Als in der Ferne plötzlich ein ganz offensichtlich fahrtaugliches<br />
Schrottauto mit einigen fröhlich aufgedreht kreischenden<br />
Indern auftauchte und wenige Zeit später an uns<br />
vorbeibretternd in den unendlichen Weiten dieses irdischen<br />
Weltenraumes verschwand, hatten wir es fast geschafft. Aber<br />
mal ehrlich: hätten die nicht vorher kommen und uns mitnehmen<br />
können ?<br />
Am Busstop angekommen, stürmten wir gleich die kleine<br />
158
Teestube, wo wir im Warmen auf den Bus warten konnten.<br />
Es war herrlich, wir hatten´s geschafft ! Endlich waren wir<br />
wieder zurück. Jetzt freuten wir uns nur noch auf Sonnenschein<br />
und Wärme in Rishikesh. Sehnsüchtig beäugten wir<br />
immer wieder die scharfe Straßenkurve, hinter der der Bus<br />
auftauchen müßte. Und soweit ich mich nach sechs Jahren<br />
daran erinnere, dauerte es ganze zwei Stunden, dann röhrte<br />
qualmend der Bus heran, entlud seine menschliche Ladung<br />
und nahm uns mit zurück nach Uttarkashi.<br />
Die Verbindung mit der Außenwelt naht...<br />
Der Fahrer des Busses war ein ruhiger Geselle - nicht so<br />
ein hirnloser Raser wie auf der Herfahrt. Mit Bedacht lenkte<br />
er die Karre durch alle Hindernisse und Baustellen, die durch<br />
die Erdrutsche entstanden waren. Trotzdem sollte man an<br />
manchen Stellen nicht aus dem Fenster blicken, vor allem<br />
dann nicht, wenn der Meister der Serpentinen die Lust verspürte<br />
einen anderen - für seine Begriffe - `Schleicher´ zu<br />
159
überholen, oder wenn an einer scharfen Kurve Gegenverkehr<br />
kam. Dann brodelte es schon mal in der Unterhose,<br />
und die Sitzbank wurde mit einem Feuchtfilm versehen.<br />
Auch Rocky hatte so ein Aha-Erlebnis.<br />
Als wir uns einer Kurve näherten und der Fahrer überhaupt<br />
keine Lust zeigte, das Lenkrad herumzureißen, um rechts<br />
abzubiegen, zuckte Rocky plötzlich angespannt nach vorne,<br />
weil er dachte der Typ pennt und kriegt die Kurve nich´.<br />
Doch es passierte nichts, denn unser Mann war tief religiös<br />
und glaubte nicht an Abgründe, sondern steuerte intuitiv. Das<br />
funktionierte immer - jedenfalls diesmal.<br />
Darum nannte man diese Busse ja auch `Fahrende Särge´<br />
und versuchte wenn möglich auf dem Dach mitzufahren, denn<br />
es kommt immer mal wieder vor, daß einer in den Abgrund<br />
stürzte, und vom Dach hatte man dann einfach eine bessere<br />
Sicht.<br />
Unterwegs gab´s noch eine kleine Unterbrechung: einen<br />
Verkehrsstau, aber gegen Abend rollte der Bus in Uttarkashi<br />
ein. Zur Feier des Tages suhlten wir uns genußvoll im Essen,<br />
und ich ging schlafen. Rocky verspürte Lust auf indische Kino-<br />
Highlights und sah den, wie er sagt, `netten´ Film "Malkbar".<br />
Der Film handelte seiner Aussage nach von einer Katastrophe<br />
auf zwei Beinen: "Der Hauptdarsteller wurde erschossen,<br />
hatte aber noch einen Zwillingsbruder, der ebenfalls gemeuchelt<br />
wurde; das war aber nur ein Traum. In Wirklichkeit<br />
starb er aber auch und dann kam der Drilling ! Beim Vierling<br />
verlor ich die Übersicht..."<br />
Der komplette Text des überbunten Filmspektakels wurde<br />
natürlich gesungen, und die rührigen Sterbe- und vor allem<br />
die schüchternen Liebesszenen ergossen sich in wahren Tanzorgien<br />
über den mitfühlenden Zuschauer.<br />
160
Die Inder stehen auf sowas. Jeder Film und jede Filmmusik<br />
ist ein Hit ! Die indische Filmindustrie ist die größte der gesamten<br />
uns bekannten Galaxis, und das ist wirklich wahr !!!<br />
Zurück in Rishikesh<br />
Na, jedenfalls fuhren wir am nächsten Tag weiter mit dem<br />
Bus nach Rishikesh, wo wir am Mittag unter freudiger Begrüßung<br />
unserer Freunde im Ashram "Shivananda Das Gangotri"<br />
einkehrten. Da gab´s natürlich viel zu erzählen und die Leute<br />
staunten, daß wir eigentlich nur übers Essen redeten und<br />
ständig den Wunsch nach was Eßbarem äußerten.<br />
Aber das gab sich im Laufe der knappen Woche, die wir<br />
dort verweilten. Denn schon hatten wir den Kopf voll mit<br />
Aktionen wie lustloses Abhängen im Garten, Wäsche waschen,<br />
unsere Zeltplanen und andere unbenötigte Ausrüstungsgegenstände<br />
einzutauschen, für wenig Geld Ringe, Blechbüch-<br />
161
sen, Räucherstäbchen, bunte Götzenposter, Glasperlen und<br />
Unmengen an handgedrechselten Sandelholzketten einzukaufen,<br />
die gut rochen, und Eier in den Ashram zu schmuggeln,<br />
denn alle viehischen Produkte waren dort verboten. Wir ließen<br />
es uns also richtig gut gehen und waren daher schon<br />
etwas traurig, als wir Rishikesh am 14.März verließen und mit<br />
der Eisenbahn über Haridwar, Delhi und Jodhpur nach Jaiselmer<br />
im Staate Rajasthan ratterten...<br />
PS: Da fällt mir übrigens noch was ein: Die Flasche<br />
Sonnenmilch, die wir hinter einem Felsen versteckten,<br />
haben wir natürlich vollkommen vergessen.<br />
Vielleicht findet sie mal einer der Leser oder kennt<br />
jemanden, der sie dort gefunden hat.<br />
Geschenkt ! Derjenige, der sie gefunden hat darf sie<br />
auch behalten - ich hab´ mir ´ne <strong>neu</strong>e gekauft !<br />
162
Jaisalmer
Um 18:00 Uhr trafen wir in Haridwar ein. Von dort<br />
sollte es um 22:45 Uhr weitergehen. Nachdem<br />
wir in einer Spelunke in der Nähe des Bahnhofs<br />
etwas gegessen hatten, kämpfte ich mich um 21:00 Uhr alleine,<br />
in der Dunkelheit und in einer mir fremden Stadt durch<br />
den düster beleuchteten Basar, der um diese Zeit immer<br />
noch voll im Gange war, denn Wörter wie "Schlaf" und "Ladenschlußzeiten"<br />
waren indischen Geschäftsleuten vollkommen<br />
unbekannt.<br />
Ich befand mich im Moment auf der Suche nach den sagenhaften<br />
Sandelholzölquellen, die dort irgendwo entspringen<br />
mußten, denn ein hilfsbereiter Händler in Rishikesh hatte mir<br />
im Vertrauen erzählt, dieser kostbare Duftstoff aus dem Holz<br />
des Sandelbaumes werde aus Haridwar importiert; man bekäme<br />
dort auf jeden Fall welches. Die Leute dort schwämmen<br />
regelrecht in dem Zeug. Den Namen eines verläßlichen Ansprechpartners<br />
hatte ich in der Tasche.<br />
Wegen Zuhilfenahme von Hinweisen aus der debilen ortsunkundigen<br />
Bevölkerung fand ich nach über einer Stunde wildester<br />
Herumirrerei in dichtem Menschengedränge endlich<br />
den Adressaten. Doch ich war etwas verwirrt, denn das einzige,<br />
was mir der Typ anzubieten hatte, war ein kleines verschmutztes<br />
Fläschchen von der Größe eines Fingerhutes, aus<br />
der auch noch die Hälfte fehlte.<br />
U-n-g-l-a-u-b-l-i-c-h !<br />
Der Händler in Rishikesh hatte Kenntnis von dieser winzigen<br />
Flasche ?<br />
Ich taumelte wie im Traum zurück durch die Gassen und<br />
fragte dabei wahllos in verschiedenen Läden, die mit Duftstoffen<br />
handelten, nach Sandelholzöl, um doch noch irgendwie<br />
an dieses Zeug heranzukommen, bevor unser Zug abfuhr.<br />
Aber keiner dieser Würmlinge aus dem Paradies der<br />
163
Sandelholzmagnaten wußte, wovon ich redete, und aus Wut<br />
darüber kaufte ich mir eine Tüte Erdnüsse und fünf handgefertigte<br />
Holzkreisel zu fünf Rupies das Stück. Dann war es<br />
auch schon an der Zeit, den Bahnhof aufzusuchen.<br />
Der Zug kam pünktlich und nachdem wir unsere Plätze<br />
von Menschen freigeschaufelt hatten, die üblicherweise zu<br />
Hunderttausenden kreuz und quer in den Gängen und Abteilen<br />
auf dem Fußboden, in den Gepäcknetzen und auf den<br />
Fensterbrettern lagen, standen oder saßen, sausten wir auf<br />
dem Schienenwege schlafend durch die unerträglich schwüle<br />
Nacht gen Süden...<br />
... und schlafen ... und schlafen ... und schlafen ...<br />
164
Morgens um 08:00 Uhr trafen wir im menschendurchfluteten<br />
sonnig-warmen Delhi ein. Unglaublich, was dort auf<br />
den Straßen los war ! Das erinnerte mich wieder an Dhaka:<br />
Zweiundsechzigkommafünf Menschen pro Kubikzentimeter;<br />
diese Unmenge lebenshungriger wabernder Materie, der unglaubliche<br />
Dreck und das ganze Elend !<br />
In meinem Tagebuch habe ich dazu vermerkt:<br />
"Delhi ist Chaos - Menschenchaos !"<br />
Und natürlich waren wir auch gleich wieder von einem<br />
Pulk dieser aufdringlichen Rikscha-Kutscher umschwirrt, für<br />
die der Anblick eines Weißen anscheinend jedesmal sowas<br />
wie ein prima Jackpot war, den es zu knacken galt und mit<br />
dem sie im glücklichsten Fall aller Fälle ihrem elenden Leben<br />
eine Wende gaben und sich einen "Platz an der Sonne" sicherten.<br />
Zumindest schienen sie dran zu glauben...<br />
Da wir mit den Fahrern aber keinen vernünftigen Preis<br />
aushandeln konnten, beschlossen wir <strong>neu</strong>e Erfahrungen zu<br />
sammeln und mit dem vollbesetzten Linienbus in den Stadtteil<br />
New Delhi zu fahren, wo wir uns eine günstige Absteige<br />
suchen wollten.<br />
Ausgepowert wie wir waren, kehrten wir dort erstmal im<br />
superguten Globetrotter-"Preiswert & Gut"-Treff "Metropol"<br />
ein. Hier gab es Essen vom Feinsten; z.B. kulinarische Köstlichkeiten<br />
wie Scampi auf Toast für DM 2.-, und während wir<br />
anderen aßen, gingen Rocky und Renate schon mal los und<br />
suchten auf die Schnelle eine Unterkunft für uns.<br />
Das Hotel "Anoop", in das wir dann kurzerhand einzogen,<br />
befand sich sozusagen in der Steinzeit, denn es wurde im<br />
Moment gerade umgebaut und innen in allen Stockwerken<br />
mit polierten Steinplatten verblendet; daher hing überall feinster<br />
Steinstaub in der Luft, und es hämmerte allerorten. Hin-<br />
165
zu kam die drückende schwüle Hitze - es war äußerst ungemütlich.<br />
Doch für heute mußte es einfach reichen.<br />
Mein Zimmer kostete 60 Rupies. Es besaß kein Bad, kein<br />
WC und keine Fenster nach draußen, sondern nur welche,<br />
die in die Vorhalle des Etablissements führten - also keine<br />
frische Luft. Diese waren zudem - genau wie die Tür - nicht<br />
verschließbar, und das war absolut indiskutabel !<br />
Der Besitzer versprach jedoch hoch und heilig, bis zum<br />
Abend alles in Ordnung gebracht zu haben. Auch wollte er<br />
die beiden frisch bezogenen Betten reinigen lassen, da sie mit<br />
feinstem Steinglimmer überzogen waren. So schlug ich in den<br />
Handel ein, und mein Gepäck wanderte solange in den Raum<br />
von Renate und André.<br />
Nachdem das alles geklärt war, düste ich mit Sher zur Sightseeing-Tour<br />
in die Umgebung.<br />
Ein Erlebnis, was sich mir von damals besonders stark einprägte,<br />
war ein alter Mann, der mitsamt seiner Habe in einem<br />
Bett direkt neben der total belebten Straße lag. Das war<br />
eine Szene wie nicht von dieser Welt, und ich fand das irgendwie<br />
schlimmer als all die Habenichtse, die gar nichts besaßen<br />
und einfach irgendwo im Dreck auf den Straßen herumlagen<br />
um zu schlafen. In Indien war das aber vollkommen<br />
normal; niemand machte sich etwas daraus.<br />
Ein anderes war die Begegnung mit einem ziemlich heruntergekommen<br />
aussehenden jungen Inder, der mich am Nachmittag<br />
direkt vorm Hotel in perfektem Deutsch anquatschte<br />
und sich in kumpelhafter Weise Geld von mir pumpen wollte<br />
(!), da er ja auf dem Goethe-Institut Deutsch gelernt hatte, er<br />
die Deutschen liebte und all so´n Gefasel. Der wiederum<br />
erinnerte mich irgendwie an die verschlagenen beiden Katzen<br />
aus "Pinocchio".<br />
166
Und genau diese Dinge machten für einen Europäer wie<br />
mich den ganzen Reiz dieses Landes aus - es war wie eine<br />
Reise zurück in der Zeit, wie in einer dieser Kuriositätenschauen<br />
aus dem vorigen Jahrhundert...<br />
Als wir zurück waren und ich an mein Gepäck wollte, gab´s<br />
Streit mit Renate: Sie verlangte plötzlich, ich sollte mein Gepäck<br />
aus ihrem Raum entfernen und - kaum zu glauben, aber<br />
wahr - : Sie warf mir doch tatsächlich vor, daß der ganze<br />
Streit (von dem ich bisher absolut und rein gar nichts wußte),<br />
den sie in der letzten Zeit mit ihrem Freund André hatte, nur<br />
auf mich zurückzuführen sei ?!<br />
Kam mir langsam vor wie´n Problem-Katalysator. Vielleicht<br />
sollte sie mal´n Hormonwechsel machen lassen oder ihre<br />
Handtasche vollheulen. Meiner Meinung nach schien ihr nur<br />
nicht zu passen, daß ich andauernd mit ihrem `Haussklaven´<br />
Sher durch die Gegend zog, denn schließlich war er ihr Liebling<br />
und "wir bezahlen schließlich für ihn !" gab sie von sich.<br />
War das nicht traurig ?<br />
Na jedenfalls war die Frau bei mir unten durch. André entschuldigte<br />
sich zwar sofort für ihr Verhalten und sie selber<br />
später auch, aber ihr wahres Gesicht, was sie mir damit zeigte,<br />
war und blieb für mich das A-L-L-E-R-L-E-T-Z-T-E !<br />
Renate for NEVER !<br />
Damit aber nicht genug: Abends, als ich mich - wie jeder<br />
normale Mensch - zur Ruhe betten wollte, stellte ich zu meinem<br />
Erstaunen fest, daß dieser Hirsel von einem Hotelbesitzer<br />
natürlich nicht im Traum daran gedacht hatte, auch nur<br />
einen einzigen seiner Finger zu krümmen, um das Versprochene<br />
in die Tat umzusetzen, und so mußte ich nochmals<br />
eine Klageschrift bei ihm einreichen.<br />
167
Erst um zehn Uhr des nachts war wenigstens ein Schloß in<br />
der Tür und eines der Betten sauber.<br />
Aber was machte das schon ? Schlafen konnte man davon<br />
auch nicht, denn die versklavten Arbeiter befanden sich im<br />
orgiastischen Workaholic-Rausch und beabsichtigten anscheinend<br />
nicht mit ihrer Arbeit aufzuhören. Bis spät in die Nacht<br />
wurde gehämmert, geschleppt, geschwitzt und geschrien, und<br />
erst um zwei Uhr morgens war der Spuk endlich vorbei,<br />
nachdem ich dem Hotelbesitzer damit gedroht hatte, ihn gegebenenfalls<br />
ans Fensterkreuz zu tackern.<br />
Flucht ! Am nächsten Morgen zog ich sofort aus diesem<br />
idiotischen Katastrophenhotel aus und gewährte Maítre<br />
`Flintstone´ nach längerem Feilschen einen fünfzig prozentigen<br />
Preisnachlaß für die letzte Nacht.<br />
Die nächste Bleibe, das Hotel "Vishal", daß Rocky und Dörthe<br />
über Rockys alten Bekannten Nindi aufgetan hatten, war da<br />
schon wesentlich besser: Außenfenster, abschließbare Wandschränke,<br />
saubere Betten, und trotz Geschäftsstraße vor der<br />
Tür herrschte fast absolute Ruhe.<br />
Der fröhliche und etwas dickliche mit Jeans, luftigem bunten<br />
Sommerhemd, Turnschuhen, Bauchtäschchen aber Turban<br />
für seine Volksgruppe etwas ungewöhnlich ausgestattete<br />
Sikh Nindi stammte nicht nur für indische Verhältnisse aus<br />
sehr wohlhabendem Hause: Sein Vater war Architekt und<br />
lebte mit seiner Ehefrau und Nindi in einem dreistöckigen<br />
Wohnhaus in Agra. Sie besaßen ein eigenes Auto und Nindi<br />
sogar ein Motorrad. Rocky hatte ihm einmal bei einem Streit<br />
mit zwei uneinsichtigen australischen Drugheads geholfen, die<br />
sich in seiner Pension eingenistet hatten und die Polizei wegen<br />
"Zuviel Rauch um Nichts !" auf den Plan riefen.<br />
168
Im Moment befand sich Nindi mit seiner australischen Ehefrau<br />
auf Reisen quer durch Nordindien, und Rocky hatte die<br />
Beiden durch Zufall auf der Straße getroffen. Indien - so groß<br />
und doch so klein ! Die beiden waren sehr nett, und wir<br />
verabredeten uns in Pushkar.<br />
Doch zurück zu unserer <strong>neu</strong>en Umgebung:<br />
Trat man aus dem Hotel, so befand sich gleich linkerhand<br />
ein großer Parfüm-Laden "S.K.Chabra", und wenn man Lust<br />
hatte, dann konnte man etliche Stunden damit zubringen,<br />
jene tausende von verschiedenen orientalischen Parfümölen<br />
durchzutesten, die dort für wenig Geld zu kaufen waren.<br />
Und welch ein Glück: Die hatten sogar Sandelholzöl !<br />
Außerdem hab´ ich mir in diesem Laden in einem Anflug<br />
von Habgier 36 täuschend echte und funktionsfähige<br />
Miniaturklapptaschenmesserchen (Länge 2cm) gekauft; das<br />
Stück für 4 Rupien und bei dem Schuhmacher gegenüber -<br />
der Besitzer war Moslem - ließ ich endlich die Sohle meiner<br />
`unsinkbaren und unzerstörbaren´ Stiefel reparieren.<br />
169
Solch eine qualitativ hochwertige Sohle gab es zwar in ganz<br />
Indien nicht, aber zur Not tat´s ja auch der Teil eines Autoreifens.<br />
Hat für den Rest der Reise top gehalten; Kompliment<br />
an den Schuhflicker ! Aus Dankbarkeit kaufte ich mir dort<br />
auch noch ein paar Paar orientalischer Leisetreter, wie seinerzeit<br />
Aladin sie zu tragen pflegte.<br />
Junkfood: Vegetableburger und Reiswopper von MacGanesh<br />
Fliegende Teppiche und sonstiges zauberhaftes Interíeur<br />
waren jedoch nur als Sonderanfertigungen in den Governmentshops<br />
am Connaught Place zu kriegen. Dort war unter staatlicher<br />
Kontrolle jede kulturelle Region Indiens mit einem eigenen<br />
Laden vertreten, und die Preise sollten dementsprechend<br />
korrekt sein, wies der Reiseführer aus, denn alle Preise waren<br />
Festpreise; Feilschen war dort nicht möglich.<br />
Ich habe es noch wie damals vor Augen und schon tausendmal<br />
im Freundeskreis erzählt: In einem dieser Shops stand<br />
170
eine hervorragend gearbeitete Eßtafel, d.h. ein langer Tisch<br />
mit zehn Stühlen, und alles war mit schönsten farbigen<br />
gemäldeartigen Holzeinlegearbeiten versehen, wie ich es nur<br />
von Möbeln aus alten Schlössern kannte, und das Unfaßbare<br />
war, daß der ganze Spaß nur umgerechnet ca DM 5000.- bis<br />
DM 6000.- kostete !<br />
Dafür gibt´s bei uns ja gerade mal ´n Rudelranvik-Einheits-<br />
Nachttischchen von IKEA...<br />
In der Dämmerung, auf dem Rückweg ins Hotel, schlenderten<br />
Rocky, Dörthe und ich noch etwas in der Gegend<br />
herum, und ganz nebenbei klebten wir mit unseren plattgedrückten<br />
Nasen an dem Schaufenster eines wahrlich winzigen<br />
Schmucklädchens, in dessen Auslage teils sehr hübsche<br />
Handarbeiten zu sehen waren; zeigten mit einem Ausruf des<br />
Entzückens immer mal wieder staunend auf Dieses oder Jenes.<br />
Dort stand unter anderem ein kleiner Buddha-Kopf aus grünem<br />
Malachit, der mir sehr gut gefiel. Ans Kaufen dachte<br />
dabei eigentlich keiner von uns.<br />
Da hatten wir, oder vielmehr ich aber die Rechnung ohne<br />
den Freund eines Freundes vom Bruder des Neffen des Ladeninhabers<br />
gemacht, der als freiberuflicher professioneller<br />
Kundenwerber sein potentielles Opfer gleich erspähte, aus<br />
dem Laden stürzte und uns unterwürfigst bat, in das Innere<br />
dieser Goldgrube vorzustoßen, um die dargebotenen Kleinode<br />
menschlicher Kunstfertigkeit näher unter die Lupe zu<br />
nehmen.<br />
Na gut, sich das Ding gucken konnte man ja mal - aber<br />
Geldausgeben - njet !<br />
Der Kopf wurde aus der Vitrine geangelt und mir mit einem<br />
auffordernden "Look, look !" in die Hand gedrückt. War<br />
171
tatsächlich wirklich sehr schön das Teil und handgekratzt. Es<br />
sollte stolze 600 Rupien kosten. Ungefähr DM 45.- !<br />
"Very nice, indeed. Thank you very much, goodbye !"<br />
"You don´t wanna buy ????"<br />
"No, I told you before."<br />
"But...mister...first business...please sit down...look !"<br />
"But, I..."<br />
"Not expensive for you, Sir !"<br />
"Verdammt nochmal, ich will heute nichts mehr kaufen !<br />
I bought enough today and I think it´s too expensive,<br />
goodbye."<br />
"What you give, Sir !"<br />
Aaah, ein Chance das ganze abzubrechen tat sich auf. Man<br />
mußte nur einen Preis nennen, der so beschämend gering<br />
war, daß sie mich verärgert aus dem Laden schmissen !<br />
"Two hundred Rupies."<br />
"Ok, Sir. Take it."<br />
"Was is´ los ?! Das war ein Trick, ein ganz gemeiner hinterhältiger<br />
Trick..."<br />
Damit bewies sich mal wieder, daß man am besten gar<br />
nicht erst den Mund aufmachte und schleunigst und ohne<br />
Rücksicht auf weinerliches "My first Business"-Gewimmere<br />
den Laden verließ oder - noch besser - erst gar nicht betrat.<br />
Diese Brüder waren einem einfach über und wenn sie einem<br />
was verkaufen wollten, dann taten sie das auch !<br />
Freitag, den 17.02.1991, verbrachten wir größtenteils in<br />
Old-Delhi auf dem allseits gepriesenen Silbermarkt am Chandni<br />
Chowk. Unsere Erwartungen, was die steuerfreie Beschaffung<br />
größerer Kontingente an Silbervorräten betraf, wurden<br />
aber nicht so erfüllt, wie wir uns das erträumt hatten.<br />
172
Tolle Sachen gab es dort eigentlich nicht. Ein paar Standard-<br />
Silberhalsketten zu einem einigermaßen anständigen Grammpreis<br />
sowie gebrauchte Ohrenschmalzkratzer, kombinierte<br />
Zahn- und Fußnagelbettstocher und anderer nützlicher Silberkleinkram,<br />
den man sich aus Silber-Schlußverkauf-<br />
Grabbelkisten heraussuchen mußte, waren das einzige, was<br />
für uns abfiel.<br />
Als wir wieder beim Hotel eintrafen, kaufte ich mir noch<br />
die wunderschöne Lapislazulikette, die ein auf mich seriös<br />
wirkender Händler, der direkt neben dem Hoteleingang Posten<br />
bezogen hatte, anbot. Dann war es an der Zeit, die<br />
Koffer zu packen, denn um 20:30 Uhr fuhr unser Zug weiter<br />
nach Jaisalmer.<br />
Und dann passierte es !<br />
In Delhi organisierte ich mir als Reiseproviant ein paar von<br />
diesen leckeren Beton-Knabberkeksen aus gepreßten Erdnüssen<br />
und Honig.<br />
Die Dinger waren lecker, süß und nahrhaft, aber auch sehr,<br />
sehr hart und in dem Moment, als ich während der Zugfahrt<br />
in einen hineinbiß, machte es plötzlich laut und deutlich<br />
KNACK! und ich merkte, mit der güldenen Dreier-Zahnbrücke<br />
rechts unten war irgendwas nicht mehr in Ordnung.<br />
Wenn ich mit der Zunge dagegen drückte, bewegte sie sich.<br />
Zahnschmerzen, die in den tiefsten Tiefen des Nervengewebes<br />
lauerten, krochen langsam und pochend an die Enden<br />
der verkronten Zahnstümpfe und machten mir beim Essen<br />
das Leben zur Hölle. Tage unsäglicher Qual lagen noch<br />
vor mir, die ich dadurch zu lindern suchte, daß ich alle drei<br />
Stunden eine Ladung Aspirin schluckte oder Nelkenöl auf die<br />
Stelle rieb, was einer lokalen Betäubung gleichkam. Die<br />
Schmerzen waren zeitweise so dermaßen schlimm, daß ich<br />
173
Coole Drinks in der Lassi-Bar in Jodhpur<br />
schon Überlegungen anstellte, wie ich im Notfall am schnellsten<br />
zurück nach Kathmandu zum Zahnarzt der deutschen<br />
Botschaft kam. Doch diese Frage erübrigte sich recht bald,<br />
da nach einer Woche die Nerven abgestorben waren und die<br />
Schmerzen verstummten.<br />
Später in Deutschland stellte sich heraus, daß zwei Wurzeln<br />
der Länge nach gerissen waren und gezogen werden mußten.<br />
Damit verlor ich - bitter, bitter - zwei Zähne !!<br />
Mit Zahnschmerzen erreichte ich also Jodphur, wo wir<br />
morgens um zehn Uhr eintrafen. Dort mußten wir auf den<br />
nächsten Zug bis zum Abend warten und während der<br />
Backofenhitze des Tages, die zwischen dreißig und vierzig<br />
174
Grad pulsierte, vergnügten wir uns mit dem Aufschlürfen großer<br />
Mengen der besten Lassi aller Zeiten, zumindest aber<br />
ganz Asiens, in einer speziellen Lassi-Bar, deren Namen mir<br />
leider entfallen ist. Als wir am Abend dann zum Bahnhof tigerten,<br />
fiel es einem im Suff durch die Straßen torkelnden<br />
Sikh ein, Dörthe sexuell zu belästigen, indem er ihr Hinterteil<br />
im Vorbeigehen begrapschte. Das hätte er lieber nicht tun<br />
sollen. Aber die Zeit, um darüber nachzudenken gab ihm<br />
Rocky leider nicht mehr, als er ihm mit einem gekonnten<br />
JiuJitsu-Griff sein feuchtfröhliches Grinsen und Handgelenk ruinierte.<br />
Der Zug ratterte durch die Nacht, und am nächsten Morgen<br />
hatte sich die Landschaft um uns herum schon ganz schön<br />
verändert. Wir merkten, daß wir uns in die Wüste bohrten.<br />
Die Vegetation wurde spärlicher und die Sonne brannte noch<br />
unbarmherziger vom Himmel.<br />
Gegen Mittag stoppte der Zug unerwarteterweise in einem<br />
kleinen Kaff mitten in der Wüste, und niemand hatte eine<br />
Ahnung warum. Die Passagiere vertraten sich im Freien die<br />
Füße, und wir drei wurden von dem Lehrer Surendre Kuma<br />
Mishra und seiner Grundschulklasse umringt, die unbedingt<br />
fotografiert werden wollte.<br />
Dann machte sich unter den Passagieren das Gerücht breit,<br />
der vorige Zug wäre entgleist und die Streckenarbeiter wären<br />
dabei, die Schienen wieder in Ordnung zu bringen. Was<br />
zuerst abenteuerlich klang, stellte sich bei der Weiterfahrt<br />
etliche Stunden später als absolut richtig heraus.<br />
Der Zug tastete sich im Schritttempo vor, und bald hatten<br />
wir die Unglücksstelle erreicht, wo jede Menge total zerfetzter<br />
Waggons neben den Gleisen lagen.<br />
175
176<br />
´ne klasse wüste Wüstenklasse...
...und eine holländische Wohnwagen-Kolonie: Die Wüste lebt !<br />
177
Wie war denn das passiert ?<br />
Irgend´n Anschlag vonna arschgrapschenden Sikh-Guerilla-<br />
Band oder etwa ´ne verirrte Scud-Rakete aus´m Irak, die in<br />
den Waggons ungläubige Eier vermutete oder wie ?<br />
Wir konnten uns jedenfalls nicht vorstellen, daß die auf der<br />
geraden Strecke einfach so von der Gleise gekippt waren.<br />
Da hatte doch einer nachgeholfen !<br />
In journalistischem Eifer durchwühlte ich in Windeseile mein<br />
Gepäck nach der Kamera und hechtete mit einem kühnen<br />
Satz auf die Sitzbank unseres Abteils, um sensationelle Momentaufnahmen<br />
von immenser geschichtlicher Tragweite auf<br />
lichtempfindliches Material zu bannen - zertrümmerte dabei<br />
aber leider meine einzige Sonnenbrille, die dort lag.<br />
Das Bild auf der vorherigen Seite ist nur eins von den fünf<br />
bewegenden Schnappschüssen, die auf dem Schrebergartenfest<br />
in Moers mit internationalen Preisen (Freßkorb mit ungarischer<br />
Salami, italienischem Wein, Schweizer Käse, Wiener<br />
Gebäckspezialitäten und echtem russischen Wodka) ausgezeichnet<br />
wurden. Es erhielt besondere Beachtung wegen<br />
der "...realistischen darstellerischen Leistung der Komparsen<br />
und der bildhaften vorindustriellen Wildheit seiner Kulisse."<br />
In dem Zwanzigtausend-Seelen-Städtchen Jaisalmer angekommen,<br />
mieteten wir uns zuerst einmal im Hotel "Fortview"<br />
ein, mit - wie der Name schon vermuten läßt - Blick auf das<br />
im 12.Jahrhundert aus gelbem Sandstein erbaute gigantische<br />
Fort, das majestätisch auf einer Anhöhe über der Stadt thront.<br />
Die Zimmer waren sauber und spartanisch und absolut ausreichend<br />
für den müden Wanderer. Aus meinem Toilettenfenster<br />
hatte ich sogar eine wunderbare Aussicht über die<br />
von einem strahlend blauen und wolkenlosen Himmel überspannte<br />
Stadt.<br />
178
Hinweistafel am Eingang zum mächtigen Fort in Jaisalmer<br />
179
Blick aus dem Klofenster im Hotel "Fortview"<br />
Fast alle Gebäude in dieser abgelegenen Wüstenstadt bestanden<br />
- mangels anderer Ressourcen - vollkommen aus<br />
gelbem Sandstein. Selbst die filigranen Schnörkel der vielen<br />
verzierten Häuserfronten und Balkone waren aus diesem bevorzugten<br />
Material herausgearbeitet. Es war absolut faszinierend<br />
- eine verzauberte Stadt aus "Tausend und einer Nacht".<br />
Der Nachteil unseres wunderbaren Hotels stellte sich jedoch<br />
nach der ersten Übernachtung heraus: Da die Besitzer<br />
reich geworden waren, noch reicher werden wollten oder<br />
einfach nur Spaß am Bauen hatten, wurde das Hotel in den<br />
letzten Monaten radikal aufgestockt und auf dem Dach des<br />
Hauses ein Restaurant mit Open End installiert. Das führte<br />
leider Gottes dazu, daß bis spät in die Nacht nicht daran zu<br />
denken war, auch nur ein Auge zuzukriegen.<br />
So zog es uns nach zwei mehr oder minder schlaflosen<br />
Aufenthalten in das direkt im Fort gelegene "Hotel Paradise",<br />
180
welches seinem Namen alle Ehre machte. Besonders genial<br />
an diesem Hause war das als riesige Sonnenterasse genutzte<br />
Dach des Forts mit Panoramablick über die tieferliegende<br />
Stadt und die endlos scheinende Wüste.<br />
Unter dem fast windstillen azurblauen Himmel machte es<br />
immer wieder Spaß, einfach nur dröge in der Sonne zu brutzeln<br />
und dabei die an den Festungsmauern entlanggleitenden<br />
Greifvögel zu beobachten, die hier ihre Kreise auf der Suche<br />
nach etwas Lebendem zum Töten zogen.<br />
Panorama vom Dach des Hotel "Paradise"<br />
Viel ging also nicht ab in dieser wunderbaren Oase Rajasthans<br />
- will man den Reiseführern glauben, einem der ärmsten Ländereien<br />
Indiens.<br />
Vielleicht waren die Leute hier arm an Geld, ging mir durch<br />
den Kopf, doch blieb ihnen an diesem abgeschiedenen Ort<br />
das Schicksal der übervölkerten Großstädte Indiens erspart:<br />
181
Hatte diese Ziege Drogen zu sich genommen oder einen Sonnenstich ?<br />
Tristesse, Elend, Schmutz, Krankheit, Verfall, Tod. Soweit<br />
wir das abschätzen konnten, hatten alle Menschen Arbeit,<br />
genug zu essen und lebten gelassen und fröhlich in den Tag<br />
hinein. Bettler haben wir dort jedenfalls keine getroffen. Und<br />
bedingt durch die trockene heiße Luft, hatten die Gebäude<br />
eine geringere Chance zu verrotten, wie das in den schwüleren<br />
Gegenden des Indischen Subkontinentes der Fall ist.<br />
Dafür war es in Jaisalmer auch vergleichsweise ruhig, und<br />
es gab nicht allzuviel Attraktionen, bis auf das Fort selbst, den<br />
großen, als Wassertank dienenden See, die verschiedenen<br />
angebotenen Safaris in die Wüste und, als ganz besonderen<br />
Clou, ein Flower-Power-Kiffer-und-Junkie-Lokal, in dem jedes<br />
Essen und jedes Getränk als nicht standesgemäß galt,<br />
wenn es nicht vor Haschisch triefte oder wenigstens so roch,<br />
was Dörthe dazu verführte, unbedingt ein paar von den an-<br />
182
gebotenen herben `Dröhn-Keksen´ zu sich zu nehmen. Die<br />
von ihr erwartete, wie auch immer geartete Wirkung stellte<br />
sich jedoch nicht bei ihr ein.<br />
André allerdings gab sich mit solchen Kindereien nicht zufrieden<br />
und schüttete sich vorsichtshalber mit köstlicher<br />
Nightmare-Lassi die Birne zu. Die Wirkung war eindeutig:<br />
Kreislaufbeschwerden, Sprach- und Orientierungslosigkeit, gefolgt<br />
von peinlicher Magenentleerung in aller Öffentlichkeit.<br />
Renate mußte ihn daraufhin in die Unterkunft geleiten, wo er<br />
den Rest des Tages vor sich hinsabbernd im Bett verbrachte.<br />
In der einen Woche, die wir in Jaisalmer verbrachten, gingen<br />
wir immer mal wieder auf Beutezug, um in den wenigen<br />
kleinen Lädchen etwas Interessantes zu finden, was unsere<br />
Herzen höher schlagen ließ und das Gewicht unserer Geldbörsen<br />
erleichterte. Auf diese Weise kam ich dann auch zu<br />
meinem <strong>neu</strong>en Outfit. Mit der erstandenen, mit kleinen runden<br />
Spiegeln besetzten,<br />
Patchwork-Weste<br />
und dem dazugehörigen<br />
Kappi, das ich<br />
183
nun fortwährend trug, den Armee-Hosen und meinem ansehnlichen<br />
Rauschebart, sah ich fast aus wie ein durchgeknallter<br />
moslemischer Vollblut-Mudhjahedin und fühlte mich außerordentlich<br />
wohl dabei. Ich wurde langsam lockerer. Das machte<br />
diese ganze verdammte Kulisse um einen herum. "Mike of<br />
Arabia" - aber ohne Kamel.<br />
Also mußte so ein wiederkäuendes Wüsten-Höckertier her<br />
- und so beschlossen Dörthe und ich, eine Sechs-Stunden-<br />
Abenteuer-Kamelsafari in die uns umgebende Wüste Tharr zu<br />
unternehmen. Als unser Vermieter von unserem Ansinnen<br />
erfuhr, wurde uns sofort ein engster Freund der Familie empfohlen,<br />
der sowieso die besten Kamel-Safaris in ganz Jaisalmer<br />
... ach was sag´ ich... in ganz Indien... nein, der ganzen Welt<br />
organisiert.<br />
Flinke Füße eilten durch die verwinkelten sonnenbeschienenen<br />
Gassen des Forts, um den besagten Mann zu uns<br />
zu führen, nachdem wir einiges Interesse bekundet hatten.<br />
Bei unserem Zusammentreffen mit dem sympathischen, fast<br />
schwarz-häutigen, dürren jungen Mann in seinem schneeweißen<br />
Gewand vereinbarten wir den Termin unseres Aufbruchs<br />
ins Technicolor-Breitwand-Abenteuer um pünktlich 08:00 Uhr<br />
morgens am nächsten Tag.<br />
Er erklärte uns, was wir alles einpacken müßten: Wasserflasche<br />
und eine Kopfbedeckung zum Schutz gegen die Sonne;<br />
kassierte die erste Hälfte seines Lohnes zum Einkauf von<br />
Nahrungsmitteln für den Wüstenlunch und machte sich wieder<br />
von dannen, um mit den Vorbereitungen für das unsagbar<br />
Unsagbare zu beginnen, und wir aalten uns weiterhin in<br />
den sengenden Strahlen dieses weißglühenden Feuerballs, genannt<br />
Sonne.<br />
184
Jaisalmers Gassen ähneln denen einer südfranzösischen Kleinstadt<br />
185
Am nächsten Tag, um 07:30 Uhr in der Früh saßen Dörthe<br />
und ich zu allem bereit draußen an einem der Frühstückstische<br />
im ersten Stock vom "Paradise" und blickten müde und<br />
erwartungsvoll mit hungrigen Mägen in den Innenhof Richtung<br />
Küche, wo wir den Hauskoch mit der Zubereitung unseres<br />
Frühstückes beschäftigt hofften.<br />
Als nach einer viertel Stunde immer noch kein Mensch mit<br />
Nahrhaftem an unserem Tisch erschien, fragten wir uns ungläubigen<br />
Blickes, was da wohl los sei.<br />
Ich begab mich also nach unten, um nachzuhaken, wie es<br />
denn um unser Frühstück stünde. "Oh, No Problem !", wurde<br />
mir aus der dunklen Küche verschlafen zugerufen und ein<br />
beruhigendes "Coming soon !", als ich freundlich darauf hinwies,<br />
daß unsere Safari eigentlich um 08:00 Uhr starten sollte<br />
und wir nicht unbedingt gewillt waren, unser Menü in aller<br />
Hast hinunterzuschlingen. Totenstille schrie mir entgegen. Also<br />
begab ich mich wieder in die Gesellschaft von Dörthe, und<br />
wir übten uns in Geduld. Schließlich waren wir hier in Indien !<br />
Die Zeit tickerte so dahin und kein Frühstück, geschweige<br />
denn unser Freund, der Kamelführer, schickten sich an, in<br />
Kontakt mit uns zu treten. Mittlerweile war es 08:30 Uhr<br />
vorbei, und immer wieder riefen wir jetzt von oben gelangweilt<br />
fragend herunter, ob unser Koch wohl schon wach sei,<br />
ob das Frühstück geklaut wurde oder gar von Kamelen gefressen<br />
? Doch niemand ließ sich von uns und unserem `unverschämten´<br />
Drängeln aus der Ruhe bringen.<br />
Kurz nach <strong>neu</strong>n Uhr wurden wir endlich von einem müde<br />
dreinblickenden Hausherrn bewirtet, von dem wir in Erfahrung<br />
brachten, daß die Reise erst um 10:00 Uhr beginnen<br />
werde. Ahaaa, das war des Rätsels Lösung.<br />
Aber warum wußten wir nichts davon ?<br />
Ach - egal.<br />
186
Auf´m Parkplatz für Kamele<br />
So genossen wir also reichlich verspätet unser Frühstück<br />
und unseren Dschai, während die frechen und allzeit bereiten<br />
Spatzen versuchten, einen Anteil des Essens in ihren Besitz<br />
zu bringen.<br />
Kurz nach zehn erschien dann auch tatsächlich "The Master<br />
Of The Camels", um uns zum Kamel-Parkplatz außerhalb<br />
des Forts zu geleiten, von wo die Reise starten sollte.<br />
Vier Tiere lagen dort öde im Sand und harrten kommender<br />
Dinge: Vater, Onkel, Mutter und ihr paar Wochen altes Flaschenkind.<br />
Dörthe durfte auf dem stattlichen und ruhigen, mit Kamel-<br />
Tatoos verzierten Vati platznehmen und Mutti zeigte laut<br />
rumgröhlend ihre Empörung darüber, daß ich ihr zugeteilt<br />
wurde. Sie mochte keine bärtigen Bleichgesichter und mich<br />
187
ganz besonders nicht. Herr im Himmel ! Das Tier flippte fast<br />
aus, als ich ihm zu nahe kam, um auf den breiten, mit einigen<br />
Decken gepolsterten Holzsattel zu gelangen.<br />
Wie wild drehte sich bei jedem Versuch der gelenkige Hals<br />
dieser blutrünstigen Bestie nach hinten, und tief aus dem großen<br />
sabbernden Maul dröhnte es unheilverkündend in mein<br />
Gesicht:<br />
"NJIERROOOOHHHH ! NJIERRROOOOOOHHHH !"<br />
"Aaaaarrrhhh ! Da geh´ ich nich´rauf. Niiiieeeemals ! Das<br />
Vieh muß wahnsinnig sein, es will mich töten !", keuchte ich<br />
entsetzt.<br />
"Ich werde laufen", machte ich dem verwirrten Boss der<br />
örtlichen Kamel-Leasingfirma klar, der immer wieder beteuerte,<br />
es könne überhaupt nichts passieren, das Tier wäre<br />
vollkommen in Ordnung, gerade überholt. Muttertiere mit<br />
Kleinkindern benähmen sich halt so, wenn man ihnen und<br />
ihrem Schatzi zu nahe komme - das wäre normal, manche<br />
beißen sogar.<br />
Das hatten wir auch schon gehört, denn im Hotel kursierte<br />
die Geschichte, daß vor einigen Tagen ein Tourist bösartigst<br />
in den Oberschenkel gebissen wurde. Diese Spezies gehörte<br />
zwar zu den friedlichen Pflanzenfressern und hatte demzufolge<br />
keine scharfen Zähne, aber die Bisse erzeugten schmerzhafte<br />
Quetschungen.<br />
Das wollte ich mir natürlich ersparen, und obwohl sich alles<br />
in mir energisch dagegen sträubte, wurde ein letzter verzweifelter<br />
Versuch unternommen, den Rücken dieses Miststückes<br />
zu erklimmen. Mit vereinten Kräften machten wir<br />
dem störrischen Biest klar, wer hier sein Herr und Meister<br />
188
war, und dann fand ich mich plötzlich fest im Sattel sitzend<br />
wieder, während Madame sich mit einigem Gemurre ob dieser<br />
Schmach langsam - erst hinten, dann vorne - auf ihre vier<br />
Beine erhob, wobei man darauf achten mußte, nicht wieder<br />
kopfüber herunterzufallen. Und dann stand sie, grummelte<br />
noch ein bißchen vor sich hin und ergab sich schließlich in ihr<br />
Schicksal, als ich ihr Freundschaft heuchelnd den Rücken kraulte<br />
und tätschelte.<br />
Camel-Tours<br />
Langsam setzte sich unsere kleine Karawane in schwankende<br />
Bewegung, immer der Nase nach - mit dem Wüstenschiff<br />
auf in das Sandmeer. Vorneweg schaukelte der stolze<br />
Vati, gefolgt von der treusorgenden Mutti mit mir auf dem<br />
Buckel und ihrem Kleinen im Schlepptau, und das Schlußlicht<br />
machte das liebe Onkelchen. Unsere drei menschlichen Begleiter<br />
marschierten mehr oder weniger barfuß nebenher,<br />
189
und nur ab und zu, wenn einem die Lauferei zu bunt wurde,<br />
schwang er sich für einige Zeit auf den unbeanspruchten Rükken<br />
des Kamel-Oheims.<br />
Die Sonne donnerte nur so auf die Landschaft, und ziemlich<br />
bald konnte ich mir einen Begriff davon machen, was es<br />
bedeutete, ohne Wasser durch solch eine Ödnis zu pilgern, -<br />
zumal die Sonne erst gegen zwölf Uhr ihren höchsten Stand<br />
erreicht und ihre volle Kraft entwickelt haben würde. Dann<br />
erst begann es langsam kühler zu werden, wenn bei Temperaturen<br />
von über vierzig Grad eine Rede davon sein kann,<br />
und erst in der Nacht kühlte es mächtig ab - bis zum Gefrierpunkt,<br />
denn es gab hier nichts, was vor der aus dem Weltraum<br />
eindringenden Hitze und Kälte schützen konnte.<br />
Dörthe trug zum Schutz gegen die belastende Sonnenstrahlung<br />
einen Strohhut mit breiter Krempe, ich jedoch hatte<br />
nur mein enganliegendes Kappi auf dem Schädel und bekam<br />
bald erhebliche Probleme mit der Hitze. Es war ein<br />
Gefühl, als würde die ganze Zeit über ein dämlicher Clown<br />
mit einem gehässigen Grinsen im Gesicht hinter einem sitzen<br />
und die Sonnenstrahlen mit einer Lupe gebündelt auf den<br />
Hinterkopf lenken. Ätzend ! Ich bereute schon fast, das Angebot<br />
ausgeschlagen zu haben, mir für viele Rupies einen<br />
Fetzen Stoff als Turban um den Kopf zu schlingen, das mir<br />
beim Start unseres Ausflugs gemacht wurde.<br />
Dazu gesellte sich bald ein anderes unangenehmes Gefühl:<br />
das Cowboy-Feeling. Cowboys, die wochenlang im Sattel sitzen,<br />
sollen ja bekanntlich ziemlich breitbeinig gehen. Als<br />
Camelboy ging´s einem nicht besser. Auf dem breiten Rücken<br />
eines Kamels sitzt man fast im Spagat, was sehr unangenehm<br />
schmerzen kann, da die untrainierten Beinsehnen übermäßig<br />
gedehnt werden und die Holzunterkonstruktion des Sattels<br />
bei jedem Schritt des Tieres ständig gegen die Innenseiten<br />
190
der Oberschenkel schabt. Das machte mich zunehmend wahnsinnig,<br />
und daher probierte ich verschiedene Sitzmöglichkeiten<br />
aus, wobei mir das Sitzen mit um den vorderen Sattelknauf<br />
gekreuzten Beinen am angenehmsten erschien. Fast wie im<br />
Schneidersitz. Eine weitere Möglichkeit war das Seitwärtssitzen,<br />
das sich ebenfalls als äußerst wohltuend herausstellte.<br />
Während ich also verschwitzt, dem Sonnenstich nahe, wie<br />
blöde auf dem Kamel herumturnte und verbissen versuchte,<br />
mit meiner verspiegelten Sonnenbrille wenigstens den Umständen<br />
entsprechend cool auszusehen, zeichneten sich am<br />
Horizont die ersten Umrisse irgendwelcher Gebäude ab, wurden<br />
größer und größer, als wir uns daraufzubewegten, und<br />
dann war ich auch schon - für kurze Zeit wenigstens - von<br />
den Qualen des Kamelrittes erlöst, als unser Anführer den<br />
gesamten Troß inmitten einer riesigen Ansammlung von verschnörkelten<br />
Steinbauten verschiedenster Größe aus besagtem<br />
gelbem Sandstein halten ließ.<br />
Irgendwo in der Wüste reihten sich Tempel über Tempel dicht an dicht<br />
191
Jetzt hieß es absteigen vom Killer-Kamel. Dummerweise<br />
verfing ich mich dabei, benommen von den zu ertragenden<br />
Temperaturen, in dem handgefertigten hölzernen Steigbügel<br />
und legte mich buchstäblich auf die Schnauze. Sehr zur Freude<br />
jenes geifernden Ungeheuers, das natürlich diese einmalige,<br />
nie wiederkehrende Chance nutzte und mit blitzenden<br />
Augen nach mir schnappte, während ich hastigst und um Hilfe<br />
schreiend versuchte meinen Fuß zu befreien, um dem<br />
Einflußbereich seines langen, schlängelnden Halses zu entkommen.<br />
Darauf hatte mein mordlustiges Reittier nur gewartet...<br />
"S - C - H - E - I - S - S - E, verdammt nochmal !!! Wann<br />
wurde das Tier eigentlich das letzte Mal gefüttert ?", oder<br />
Ähnliches entfuhr mir, als der Besitzer des Tieres endlich in<br />
die Zügel griff, um dem Treiben der wildgewordenen<br />
Vierbeinerin Einhalt zu gebieten und mir somit die Flucht<br />
ermöglichte. Der Vorfall führte dazu, daß alles vor Lachen<br />
192
am Boden lag und sich kaum mehr einkriegte. Alsdann wurden<br />
die Kamele an einen schattigen Platz geführt, durften sich<br />
ausruhen und wir ohne Hast die Gegend erkunden.<br />
Die verzierten Ruinen kündeten von längst vergangenen Zeiten.<br />
Um uns herum reihte sich über ein Areal von mehreren<br />
tausend Quadratmetern ein Tempel an den anderen. Es mußten<br />
an die Hundert sein, die hier seit ewigen Zeiten fast völlig<br />
unversehrt überdauert hatten. Alle besaßen ungefähr den gleichen<br />
Aufbau: Eckiger Steinsockel, an jeder Ecke ein Säule,<br />
die durch einen Bogen mit der nächsten verbunden war und<br />
als Dach eine runde oder eckige Kuppel, die von einer Spitze<br />
gekrönt wurde. Fasziniert kletterten Dörthe und ich durch<br />
die mehr als mannshohen Bögen und bewunderten den überschwenglich<br />
verzierten Sandstein, der von hervorragenden<br />
Steinmetzen zeugte, die ihre Kunst bis in die heutige Zeit<br />
weitergegeben hatten, wie man sich in Jaisalmer überzeugen<br />
193
konnte. Ich wüßte gerne, wo wir uns da eingefunden hatten,<br />
kann mich aber beim besten Willen an keine Bezeichnung<br />
dieser Stätte erinnern.<br />
Ein kleines Andenken von dort befindet sich aber noch immer<br />
in meinem Besitz, denn ein einheimischer Junge bot mir<br />
damals drei kleine versteinerte Muscheln zum Kauf an, die<br />
ich ihm wegen des geringen Preises auch abnahm. Er hatte<br />
sie dort in der Wüste ausgebuddelt. Man stelle sich vor: Diese<br />
ganze Gegend war vor Jahrmillionen Meeresboden !<br />
Bald drängten unsere Begleiter auch schon wieder zum<br />
Aufbruch, da bis zum Mittag unser Rastplatz in der Nähe<br />
eines ehemaligen Ashrams erreicht werden mußte. Also aufsitzen<br />
! Aber, oh Mann - zur allgemeinen Belustigung gab es<br />
er<strong>neu</strong>t ein Heidentheater, als ich versuchte, den Buckel dieses<br />
undankbaren Säugers zu erklettern. Am liebsten hätte ich<br />
dem Vieh in den Hintern getreten. Doch gemeinsam waren<br />
wir stark und hatten alsbald zu dritt die Unruhestifterin mit<br />
List und Tücke überrumpelt.<br />
Dann trottete unsere Karawane weiter durch den heißen<br />
Wüstensand, aus dem hier und da nur einige Kakteenarten<br />
oder kakteenartige Sträucher genug Wasser ziehen konnten,<br />
um zu überleben und zu stattlicher Größe heranzuwachsen,<br />
während sonst nichts weiter das Auge erfreute außer Sand<br />
und Steinen.<br />
Aus lauter Langeweile verschwendete ich meine Zeit damit,<br />
ein paar Meter Film mit Eindrücken vom Rücken eines<br />
eigensinnigen Kamels zu belichten. Manchmal trafen wir unterwegs<br />
andere Meuten in wüste Wüstenklamotten gehüllter<br />
abenteuerlustiger Touristen, die ebenfalls ihre Träume von<br />
der Freiheit und dem Abenteuer, eventuell zu verdursten<br />
oder zu vertrocknen, auslebten. Aber meistens war es ein-<br />
194
fach nur heiß und öde, und um die Mittagszeit, als wir endlich<br />
unser Ziel erreicht hatten, war die Hitze kaum mehr zu ertragen.<br />
Eine mit wenigen Palmen geschmückte, verlassene kleine<br />
Oase, bestehend aus einer Handvoll zerfallener kleiner Hütten,<br />
einem Trinkwasser-Brunnen und einem etwas abseits<br />
gelegenen, wunderschönen und dennoch ausgestorbenen Zentrum<br />
spiritueller Reinigung, einem Ashram, sollte die Kulisse<br />
für unser Mittagsmahl bilden - dachten wir. Da jedoch auch<br />
andere nationale Kamel-Speditionen ihre internationalen Reisegesellschaften<br />
an dieser Karawanserei entluden, hatte sich<br />
u n s e r e Reiseleitung etwas ganz Besonderes, Ursprüngliches<br />
ausgedacht.<br />
Nachdem sich die lieben, der Gruppe der Trampeltiere zugehörigen<br />
Reittiere ihren Wanst mit köstlichen Naß vollgesogen<br />
hatten und man mir - dem Himmel sei Dank ! -<br />
einen verwegen aussehenden Leih-Turban verpaßt hatte, führte<br />
man uns hinaus in die Wildnis der Wüste zu einer Ansammlung<br />
dichter Sträucher und Kakteen, wo bereits zwei<br />
Helfer mit dem Herrichten unseres Lagers beschäftigt waren.<br />
Ausgestreckt auf einer Decke, die im Schattenbereich<br />
eines üppigen, hinter uns befindlichen, äußerst stachligen<br />
Dornengewächses lag, konnten wir nun unserem Gastgeber<br />
bei der Zubereitung des Mittagessens zusehen, dessen drei<br />
Gänge einzig und allein auf einem verranzten Kerosin-Kocher<br />
entstanden. Das Menü, zu dem man einen starken Wüstentee<br />
mit Zitrone kredenzte, setzte sich aus folgenden Kompositionen<br />
zusammen:<br />
Honey-Crépe<br />
Pomme de terre et Vegetabile<br />
Fruit de Désert<br />
195
Ein herrlich angelegter Ashram mitten in der Wüste...<br />
...dessen Bewohner anscheinend vor der<br />
mörderischen Hitze geflüchtet waren<br />
196
Es gab reichlich. Daher zog ich nach dem Essen zu einem<br />
Verdauungsspaziergang los, um ein paar Fotos in diesem<br />
Buddelkasten für Riesen zu machen. Und dabei lernte ich mal<br />
wieder was dazu:<br />
"Unterschätze niemals eine Wüste - egal welcher Größe !"<br />
Tief versunken in die Einmaligkeit dieser Landschaft und<br />
vollbeschäftigt mit der Suche nach Motiven für meine Kamera<br />
wanderte ich munter drauflos.<br />
Obwohl ich meinte, genau zu wissen, aus welcher Richtung<br />
ich gekommen war, fehlte mir aber ob der Eintönigkeit des<br />
hügligen Geländes bald der Überblick. Ich war immerhin so<br />
weit gelaufen, daß weder die Oase, noch unser Rastplatz mit<br />
den Kamelen zu sehen war.<br />
"Und du hast nicht einmal Wasser dabei !", drängte sich mir<br />
ins Bewußtsein.<br />
In diesem Moment glich meine Köpertemperatur dem Tag/<br />
Nachtwechsel der Wüste in schneller Folge: Mir wurde heiß<br />
und kalt.<br />
"Ruhig bleiben", meldete sich die Vernunft, und so fing ich<br />
an, mir ins Gedächtnis zu rufen, von wo ich gekommen war,<br />
denn unser kleines Camp konnte eigentlich nicht weit entfernt<br />
sein. Glücklicherweise fand ich dann auch nach einigem<br />
Sondieren des Terrains zurück zum Lagerplatz, wo ich mich<br />
erst einmal von diesem verdammten Schreck erholte - aber<br />
das sollte mir eine Lehre sein !<br />
Dörthe hatte in der Zwischenzeit ihr Tagebuch vervollständigt<br />
und döste noch in der Sonne vor sich hin, während unsere<br />
agilen Helfershelfer bereits am Zusammenpacken waren,<br />
denn wir mußten langsam weiterziehen. So hieß es wieder<br />
aufsitzen, was dieses Mal unglaublich ruhig vonstatten ging.<br />
197
Irgendwas konnte da doch nicht stimmen ? Mein Reittier<br />
brütete ganz bestimmt an einer hinterhältigen Gemeinheit -<br />
oder was !?<br />
Ungefähr eine Stunde strapazierten wir die Rücken der<br />
Kamele in der unbarmherzigen, durch kein Lüftchen gemilderten<br />
Hitze, die einem das Hirn rausbrannte, dann erreichten<br />
wir unser nächstes und letztes Ausflugsziel: den recht<br />
verwilderten, aber dennoch hübsch bunten Garten einer ehemaligen<br />
Maharadscha-Residenz, deren großzügig angelegte Gebäude<br />
auf einer weiten Ebene als stumme Zeugen vergangener<br />
Reichtümer verlassen und verfallen vor sich hindümpelten.<br />
Wie viele Menschen hatten sich zu Tode geschuftet, um<br />
solche Anlagen zu erschaffen ? Und wie sinnlos wurde ihr<br />
Opfer, weil sich niemand mehr um die Pflege solcher Kulturdenkmale<br />
kümmerte ?<br />
Das fragte man sich in Indien immer wieder.<br />
Während ich beim Durchstreifen der Gartenanlage solch<br />
schwermütigen Gedanken nachhing, wurden die Kamele noch<br />
ein letztes Mal aufgetankt, bevor wir uns auf den beschwerlichen<br />
Rückweg nach Jaisalmer begaben, der uns über eine<br />
steinige Hochebene führte, die vielleicht zwei Kilometer vor<br />
Jaisalmer abrupt endete und einen wunderbaren Blick auf die<br />
Stadt und das alles beherrschende Fort gestattete.<br />
Da von der Anhöhe nur ein schmaler und steiler Trampelpfad<br />
in die Ebene hinunterführte, mußten wir zur Vermeidung<br />
von Stürzen von den Tieren absteigen und zu Fuß den<br />
staubigen Abstieg bewältigen. Als wir unten angekommen der<br />
ersehnten Stadt entgegenritten, war es bereits Nachmittag,<br />
und erst gegen fünf Uhr, als die Schatten der im Westen<br />
untergehenden Sonne wieder länger wurden, trafen wir auf<br />
dem Platz vor der Stadt ein, wo wir uns, befriedigt durch das<br />
198
199<br />
Dörthe von Arabien mit ihrem Knappen hoch über der Ebene von Jaisalmer
große Abenteuer einer Wüstendurchquerung, von Mensch<br />
und Tier verabschiedeten.<br />
Wie bereits erwähnt, fand man uns an den sonstigen Tagen<br />
oft, wenn wir nichts weiter vorhatten, auf der großzügig<br />
dimensionierten Sonnenterrasse des Hotels "Paradise", wo wir<br />
bewegungslos auf unseren Handtüchern in den prallen Strahlen<br />
der Sonne liegend unsere Garzeit austesteten; glänzend<br />
von dem hier im Ort erhältlichem hausgemachten Kokosnußöl,<br />
in dem wir vor jeder selbst auferlegten Wüsten-Wärmetherapie<br />
ausgiebig badeten. Eine besonders drastische UV-<br />
Behandlung legte ich mir aber erst auf, als ich, zum Erstaunen<br />
meiner gut durchgebackenen Reisegefährten, erschrocken<br />
feststellte:<br />
"Mann, jetzt sind wir schon zwei Monate unterwegs und ich<br />
seh´ immer noch aus, als wär ich überhaupt nich´ im Urlaub<br />
gewesen."<br />
Sagte es und stand erst wieder auf, als meine krebsrote<br />
Haut wäßrige Blasen warf und sich in Fetzen von den Knochen<br />
löste. Toll - so sah das schon richtig gut aus !<br />
Aber nicht nur fürs Äußere eignete sich diese solare Intensivbestrahlung<br />
- auch unsere in der letzten Zeit durch die in der<br />
indischen Nahrung enthaltenen biologischen Kampfstoffe stark<br />
strapazierten Gedärme atmeten erleichtert auf. Der positive<br />
Einfluß war unleugbar, wurde deutlich in der optimierten Konsistenz<br />
und kontrollierten Abgabe menschlicher Ausscheidungen.<br />
Kurzum, das allgemeine Wohlbefinden befand sich auf<br />
dem Wege der Besserung.<br />
200
Da machte es auch wieder mehr Spaß, Streifzüge durch die<br />
bereiste Gegend zu unternehmen, wie der Besuch des<br />
jaisalmerischen "Folklore Museum", das in der Nähe des<br />
Trinkwasserreservoirs der Stadt lag. Trotz der geringen Größe<br />
des spärlich besuchten Museums beeindruckten die dargebotenen<br />
Exponate durch die Willkür ihrer Auswahl. Zu<br />
sehen gab es Handarbeiten, landwirtschaftliche Gerätschaften,<br />
Waffen, Möbel, Kleidung, Bilder usw. Erstaunlicherweise<br />
war dieses kleine Museum wirklich gut gepflegt, was man<br />
von größeren und wertvolleren Sammlungen im Lande oft<br />
nicht behaupten konnte.<br />
Auf dem Bildungsweg ins Museum<br />
Nach unserem Besuch verweilten wir an den Ufern des<br />
Sees, aus dem die Bewohner ihren täglichen Trinkwasserbedarf<br />
deckten, und lauschten den schrabenden Klängen jener<br />
viersaitigen Wüstengeigen, deren Besitzer mehr schlecht<br />
als recht versuchten, ein sehr bekanntes europäisches Volkslied<br />
zusammenzuspielen, da sie hofften, auf diese plumpe Art<br />
und Weise leichter einen dieser mit Geld um sich werfenden<br />
201
An den Ufern des malerischen Wasserreservoirs...<br />
...tönen Wüstengeigen "Bruder Jacob, Bruder Jacob, hörst Du mich ?"...<br />
202
...und Touristen fläzen sich auf den zum Wasser führenden Stufen<br />
203
Touristen zum Kauf ihrer aus Kokosnußschalen, Bambusrohr<br />
und alten Blechbüchsen handgefertigten Musikinstrumente zu<br />
animieren. Aber...<br />
"Thank you. No. I don´t wanna buy. "<br />
Sie schrabten und schrabten und schrabten...<br />
"Oh, no. Don´t wanna ... how much is it ? Sixhundred !? My<br />
God..."<br />
...und schrabten...<br />
"It´s too expensive and - remember - I don´t wanna buy. I<br />
can´t play..."<br />
...schrabten, schrabten, schrabten...<br />
"Mann, Mike die gibt´s in Nepal für 100 Rupies. Zwar nich´<br />
so schöne, aber...", warf Rocky ein.<br />
...schrab, schrab, schrabberdischrab...<br />
"Ok, please, I don´t wanna buy this ... very nice, indeed ...<br />
the Coconut sounds good. But..."<br />
...und schrab, schrab, schrab, schrab...<br />
"I lost my money. I only have hundredfifty in my pocket.<br />
You see I can´t buy !"<br />
...<br />
"Mann, den sind wir los. Was sollte ich auch mit dem Riesending.<br />
Das Teil würde ja nicht mal in meinen Rucksack passen.<br />
Aber schön war es schon und gut gearbeitet."<br />
...schrab..........schrab, schrab...<br />
"What ? You will sell it for hundredfifty !? Oh, noooo ...god<br />
damned!"<br />
204
"Another Tourist would give you more ! Why me ?"<br />
"Du hättest keinen Preis nennen dürfen, Mike. Jetzt mußt<br />
Du´s nehmen, hahaha !"<br />
...und wenn sie nicht gestorben sind, dann schraben sie<br />
noch heute und schraben und schraben...<br />
Mike der `Wüsten-Paganini´<br />
So kam ich zu meiner Wüstengeige, die ich eigentlich überhaupt<br />
nicht haben wollte - inklusive mit wüsten Glöckchen<br />
behängtem wüstem Geigenbogen. Den geringen Preis hatte<br />
ich wirklich nur genannt, um den anhänglichen Verkäufer für<br />
biologisch abbaubare folkloristische Musizierwerkzeuge loszuwerden.<br />
Und dann das.<br />
Da mußte ich mir erstmal einfallen lassen, wie ich dies unhandliche,<br />
bestimmt einen Meter lange Teil transportieren<br />
könnte. Dick mit Zeitungspapier umwickelt, das als Polsterung<br />
diente, befestigte ich es schließlich mit Riemen außen<br />
205
am Rucksack und hoffte, daß es so keinen Schaden nahm auf<br />
der weiteren Reise. Aber zuerst saß ich damit natürlich im<br />
Innenhof unserer Herberge und versuchte mich zum Schrekken<br />
der anderen Mitbewohner in der Kunst des Schrabens.<br />
Vielleicht hätte ich Schrab-Unterricht bei einem der<br />
ortsansäßigen Schrabfidel-Verkäufer nehmen sollen ?<br />
Doch blieb keine Zeit mehr, denn unsere faulen Tage in<br />
Jaisalmer - dem westlichst gelegenen Punkt unserer Indien-<br />
Odyssee - waren gezählt, unsere Bahnfahrt bereits gebucht.<br />
Die nächsten Wochen bewegten wir uns auf dem Schienenweg<br />
in östlicher Richtung über Pushkar und Agra zurück nach<br />
Nepal, wo wir die letzten Tage in Pokhara und Kathmandu<br />
verbringen wollten.<br />
206
Pushkar/Agra
Mit dem indischen Überlandbus schmetterten wir<br />
am 24.Februar auf staubigen Landstraßen, über<br />
denen die heiße Luft nur so flimmerte, zurück<br />
nach Osten. Über Zwischenstation in Ajmer, sprich "im Eimer",<br />
erreichten wir schließlich das nördlich davon gelegene<br />
kleine Kaff Pushkar; ein Selbstfindungseinkaufsparadies.<br />
Pushkar ist rings von Bergen umgeben und liegt an Indiens<br />
heiligstem See, der wiederum von etlichen kleinen und großen<br />
Ashrams umgeben ist, die wiederum von lauter durchgeknallten<br />
New-Age-Aposteln mit lauter tiefsinnigen weltfremdem<br />
Lebenseinsichten umgeben sind.<br />
Das einzige, was in Pushkar wirklich zählt, ist das Geschäft.<br />
Und das wird das ganze Jahr über kräftig betrieben. Sei es<br />
durch verblendete Pilger, die ihre Rupien in den zahlreichen<br />
unheimlich heiligen Ashrams verschwinden sehen, oder durch<br />
zahlungskräftige Touristen aus dem In- und Ausland, die sich<br />
geneigt zeigen, all die angebotenen fantastischen Handarbeiten<br />
für wenig Geld in ihren Besitzstand zu integrieren. Man<br />
bekommt dort haufenweise Schmuck, Malereien, Teppiche,<br />
Klamotten, Heilslehren, Lebenshilfen, viel Sonne, gutes Essen<br />
und natürlich auch touristischen Murks.<br />
Nach kurzer Suche auf der am See gelegenen staubigen<br />
Geschäftsstraße hatten wir unsere Bleibe gefunden: Ein in<br />
einer bunten Blumenpracht versunkenes Dornröschen-Hotel<br />
mit dem äußerst treffenden Namen "Oriental". Dort waren<br />
wir mit Nindi und seiner Angetrauten verabredet. Wir kippten<br />
unsere Sachen ab und relaxten erstmal ausgiebig im Garten.<br />
Nachmittags starteten wir eine erste Expedition, um unseren<br />
<strong>neu</strong>en Lebensraum mitsamt seinem Nahrungs- und Warenangebot<br />
für uns zu erschließen.<br />
207
Pushkar ist direkt rund um den heiligen See entstanden...<br />
...und somit ist kein Quentchen heiliger Boden mehr frei<br />
208
Unglücklicherweise erhielt Nindi, den wir eigentlich sehr<br />
schätzten, am folgenden Tag Kenntnis von zwei wichtigen<br />
Dingen, die wir besser für uns behalten hätten:<br />
1. Ich hatte Rum im Gepäck<br />
2. Wir waren Kamelsafari-Junkies<br />
Zu 1. muß man wissen, daß fast alle indischen Orte die ich<br />
bis dahin kennengelernt hatte oder vielleicht noch genauer:<br />
die Böden auf dem diese Orte wucherten, irgendwie `heilig´<br />
waren - was auch immer das hieß.<br />
Auf jeden Fall hieß es aber immer: Kein Allohol !<br />
Die Einheimischen qualmten sich dafür lieber mit Dope oder<br />
Marihuana den Verstand weg.<br />
In weiser Voraussicht verschaffte ich mir daher über Kanäle,<br />
welche hier ohne Belang sind, zwei winzige Fläschchen,<br />
deren berauschender Inhalt für den Rest der Indien-Reise der<br />
Versorgung meines sündigen Körpers mit Gute-Nacht-Cocktails<br />
dienen sollte.<br />
Doch Freund Nindi hatte nun andere Pläne, mit denen er<br />
mich vertraut machte. Ein Freund hier am Orte besäße ein<br />
kleines Lokal, in dem Tee, Kaffee und andere Erfrischungsgetränke<br />
ausgeschenkt würden. Unter anderem sei sein Freund<br />
aber auch Fusel-Tester und so böte es sich an, ihn aufzusuchen,<br />
um die Qualität meines gehorteten Vorrates zu bestimmen.<br />
"Einen kleinen Drink in Ehren kann niemand verwehren",<br />
und so machten wir uns auf den Weg.<br />
Mit verschworener Miene wurde der Laden geschlossen,<br />
und um Fehler bei der Bestimmung zu vermeiden, teilte sein<br />
turbotestender Freund sofort die komplette Flasche unter<br />
uns auf. Fünf Sekunden nachdem wir den Laden betreten<br />
hatten war die Flasche somit leer!, leer! und nochmals leer !<br />
209
Aus reinem verbitterten Egoismus verweigerte ich den beiden<br />
Schnapsnasen deshalb meine Zustimmung, die zweite<br />
bereits angebrochene Flasche ebenfalls zu testen.<br />
Das war auch ganz gut so, denn Nindis Ehefrau war überhaupt<br />
nicht von dem geheimwissenschaftlichen Forschungsdrang<br />
ihres vergnüglichen Gatten angetan. Sie war sogar ziemlich<br />
entnervt, da sie vor kurzem entdeckt hatte, das Nindi<br />
hinter ihrem Rücken einen Langzeitvertrag als Rauschmitteltester<br />
abgeschlossen hatte.<br />
Und dann wurde Mr.Nindi zu allem Übel auch noch von<br />
der Idee beseelt, seinen innig geliebten europäischen Freunden<br />
für wahnsinnig günstig eine tolle Kamelsafari zu organisieren.<br />
Er kannte angeblich den Besitzer eines Trampeltier-Versandes<br />
vor Ort.<br />
Wir drei und auch unsere beiden liebgewonnenen Mitbewohner,<br />
ein gewisser `Ralf´ aus `Köln´, Kopf einer weltweit<br />
operierenden Lügen- und Schmuckbastlerbande, und seine<br />
holländische Komplizin Denise waren Feuer und Flamme für<br />
einen kleinen Saunagang in die sandigen Weiten indischer Wüste.<br />
Wir erteilten Nindi die Verfügungsgewalt und bezahlten<br />
alles im voraus...<br />
Während der organisatorische Gedanke am Wirbeln war,<br />
widmeten Dörthe und ich uns dem Sonnenbade und anderen<br />
faulen Trägheiten.<br />
Rocky spielte sich indes mit Schach die Finger wund und<br />
verwies sämtliche pushkarianischen Schachmajestäten auf die<br />
hinteren Ränge. Manchmal vertraten wir uns auch gemeinsam<br />
die Füße und hielten Ausschau nach orientalischen Mysterien<br />
hier am Markte, kauften viel Schmuck und ich mir<br />
sogar zwei tönerne Shillums.<br />
210
Bei einem dieser Streifzüge gerieten Rocky und ich zufällig<br />
an einen ganz außergewöhnlichen Laden, den dort bestimmt<br />
niemand erwartet hätte:<br />
In einem kleinen Holzverschlag von den Abmessungen eines<br />
kleinen hölzernen Verschlages hockte der etwa vierzigjährige<br />
Sohn von Rick und behütete kameratechnische Kostbarkeiten<br />
wie alte Leicas, Hasselblad und voluminöse Plattenkameras<br />
von Kennstenich. Zudem lag viel anderes an kostbaren<br />
Raritäten in den verstaubten Regalen, wie etwa alte Schiffskompasse,<br />
Schreibmaschinen, Ferngläser, usw. Die Preise<br />
waren durchaus auf westlichem Niveau, und zu seinem Publikum<br />
zählte viel sammelnde ausländische Kundschaft aus<br />
Amerikanien und Japanada, ließ er stolz vernehmen.<br />
Als wir beim zweiten Mal dort aufkeuzten, um unsere Einladung<br />
zum Tee wahrzunehmen und Rockys Interesse an<br />
einem Schiffskompass zu befriedigen, schob sich vor unseren<br />
Augen gerade eine fette lautstarke Demonstration der Hindus<br />
gegen die Sikhs durch die Straßen, und die durch Sprechchöre<br />
mit Megaphonunterstützung angeheizte aggressive Stimmung<br />
der Versammelten übertrug sich mysteriöserweise auch<br />
gleich auf das Wetter oder die erzürnten indischen Götter,<br />
211
denn Minuten, nachdem der Zug am Laden vorbeigebrüllt<br />
kam, hagelte es eigroße Hagelkörner vom Himmel. Und während<br />
die Wellblechdächer der Häuser durch den Aufprall erschepperten,<br />
schüttelte Rickys Sohn verständnislos sein intelligentes<br />
Haupt über die reaktionäre "Make-War-Not-Love"-Bewegung<br />
seiner Landsleute und Glaubensbrüder.<br />
Das Wetter blieb den ganzen Tag über regnerisch...<br />
`Ralf´ aus `Köln´, Mike of Arabia und Rocky beim Tee-Exzess<br />
Dann kam der Tag X ... und wir bestiegen lässig und guter<br />
Laune die für die Kamelsafari bereitgestellten friedfertigen Dromedare.<br />
Soweit hatte alles ganz gut geklappt.<br />
Bis auf das Timing - denn wir waren reichlich spät dran !<br />
Naja, und dann ritten wir fröhlich, ob der Dinge die da<br />
kommen würden, eine halbe Stunde durch eine wenig wüste,<br />
geschweige denn interessante Gegend, bis der Kamel-<br />
212
Animateur und Teamleiter plötzlich und zu unserer aller Erstaunen<br />
schon wieder stoppen ließ.<br />
An einem im Schatten von ein paar Bäumen stehenden<br />
Gebäude sollte das mitgeführte Essen vernichtet werden; ganz<br />
in der Nähe von ein paar Feldern - also nix Wüste ?!<br />
Verdutzt stiegen wir von den kaum beanspruchten Tieren<br />
und fragten uns, was das nun zu bedeuten hätte. Wollte man<br />
uns verarschen ?<br />
Nindi aber war voll und ganz zufrieden mit der Situation,<br />
denn nach seiner ausgeklügelten Planung würden wir jetzt<br />
und hier ´ne geile Äthanol-Party feiern und mit dem Testen<br />
meines restlichen Rumverschnittes fortfahren.<br />
Moment mal ! Das war auch mir <strong>neu</strong>. Bei der Hitze Rum ?<br />
Nindi mußte bereits unter der Sonne leiden oder war vom<br />
wilden Weingeist besessen !<br />
Während Rocky vor Wut der Geifer über soviel Dreistigkeit<br />
am Kinn heruntertropfte und er bereits Kampftechniken<br />
zur Ausrottung minderwertigen Lebens einstudierte, berieten<br />
wir über die Lage und machten Nindi klar, das Safari zwar<br />
wie das deutsche Wort "Sauferei" klänge, aber eigentlich überhaupt<br />
und rein gar nichts damit zu tun hatte.<br />
Dann fügten wir uns in die Situation, packten uns in die<br />
kaum zu ertragende drückende Schwüle des Schattens und<br />
warteten aufs spärliche Essen, welches uns die wenig guten<br />
Köche vorsetzten, statteten den nahen Feldern, auf denen<br />
einige Frauen arbeiteten, einen Besuch ab und machten ein<br />
paar Fotos von der Gegend.<br />
Soviel ich auch grüble und grüble, ich kann mich ehrlich<br />
gesagt nicht mehr an viel von dieser Kurz-Saufari erinnern,<br />
und das sagt einiges über die Wertigkeit dieses Unternehmens<br />
aus. Ich glaube, der Veranstalter erklärte uns noch, daß<br />
213
Heia Safari !<br />
Nindi mit Ehefrau<br />
214
Zwei Hitzköpfe beim Abkühlen<br />
Rocky beim Versuch, schneller zu sein als der Blitz !<br />
215
dort mit Wüste und Sehenswürdigkeiten sowieso nicht viel<br />
los sei und es sich nicht lohnen würde noch lange in der<br />
Gegend herumzureiten, es also besser wäre, den ersten Gedanken<br />
wieder aufzugreifen und nach dem Essen zurückzureiten;<br />
was wir dann wohl auch taten.<br />
Die ganze Geschichte war auf jeden Fall ein riesengroßer<br />
Flop und hatte im Endeffekt genausoviel gekostet wie unsere<br />
erste Wüstentour. Das nahmen wir Nindi sehr übel.<br />
Nach diesem schändlichen Reinfall widmeten wir uns wieder<br />
mehr der interessanteren kaufmännischen Tätigkeit. Wirklich<br />
nennenswert war in diesem Zusammenhang zum Beispiel<br />
der Laden<br />
Dort gab es die gleichen Patchwork-Stoffe wie in Jaiselmer<br />
zu kaufen; meist verarbeitet als Decke oder Wandteppich.<br />
Als alter Jäger und Sammler konnte ich leider nicht widerstehen;<br />
hatte bereits einen dieser mit goldenen und silbernen<br />
Mustern durchwirkten Teppiche in mein Herz geschlossen.<br />
Und weil es solche Schmuckstücke nur in dieser Gegend<br />
gab und ich nicht erwarten durfte, auf einer der nächsten<br />
216
Reiseetappen weitere Angebote zu bekommen, ließ ich ihn<br />
mir für satte sechzig Mark einpacken. Dörthe tat´s mir nach<br />
und zahlte ´n schlappen Hunni für das nächstgrößere Modell.<br />
Für fünfzehn Mark gönnte ich mir noch eine in rot gehaltene<br />
`Sergeant-Pepper-Lonely-Hearts´-Jacke aus dem gleichen<br />
Material, und dann kam mir der geniale Geistesblitz, eine<br />
Jeans aus dem Zeug nähen zu lassen. Der im Umgang mit<br />
Phantasten, einfachen Blöden und verkorksten Touristen geschulte<br />
Händler erklärte sich zu diesem in der Welt bisher<br />
einzigartigen Experiment bereit und verlangte 30 Mark für<br />
seine Arbeit. Dann wurde ich komplett vermessen und zum<br />
Warten und Hoffen nach Hause geschickt. In zwei Tagen<br />
war sie fertig und wir staunten alle nicht schlecht über das<br />
Ergebnis - aber ehrlich gesagt habe ich sie bis heute niemals<br />
getragen !<br />
Nun vollkommen auf Klamottenkauf versessen, gab ich in<br />
einem anderen Laden eine `kleine´ Bestellung über fünfzehn<br />
maßgeschneiderte bunte Sommerhemden in Auftrag; kaufte<br />
im nächsten drei aus Sackleinen produzierte Wüstenhemden<br />
mit eingearbeiteter Seitentasche sowie eine helle windbeutelartige<br />
Wüstenleinenhose, die ich in diesem Klima gerne gegen<br />
meine dicke dunkle Armeehose eintauschte, und ließ mir<br />
im übernächsten nochmals etwas Extravagantes aus Wandteppichen<br />
schneidern: eine barocke Designer-Weste.<br />
Als Vorlage diente dabei Rockys Kutte, da mir der Schnitt<br />
ganz gut gefiel. Allerdings gab es diesmal Streß mit dem aufmüpfigen<br />
Ladeninhaber, weil er das Kleidungsstück erstens<br />
nicht wie vereinbart fertigstellte und zweitens auch noch recht<br />
frech viel mehr Geld als vereinbart verlangte, denn sonst wollte<br />
er seine Arbeit nicht fortführen.<br />
217
Das brachte mein wegen der Sonne bereits siedendes Blut<br />
in kochende Wallung und diesmal ergriff ich die Gelegenheit<br />
und ihn beim Kragen, um endlich einmal meinen Unmut über<br />
die im allgemeinen unerhörten Geschäftspraktiken indischer<br />
Geschäftsleute herauszuschreien. Er aber lächelte mich nur<br />
an und wiederholte seine Forderung. Sollte ich ihn verprügeln<br />
oder einen Teil seiner Ware hinunterschlingen lassen ?<br />
Ich wußte es nicht.<br />
Zusammen mit Rocky als unparteiischem Schiedsmann suchten<br />
ich er<strong>neu</strong>t den Laden auf. Rocky fielen allerdings gleich<br />
die Augen raus, als er die bisher fertiggestellte Arbeit sah, und<br />
er riet mir begeistert, unbedingt auf den Handel einzugehen.<br />
Das tat ich dann auch. Trotzdem fühlte ich mich von dem<br />
Händler vorgeführt...<br />
Wie man sieht, gibt es viele Esel in Indien !<br />
218
Zwischen unseren Streifzügen gingen wir ab und zu auch<br />
mal Essen - man glaubt es kaum !<br />
Wir nutzten z.B. die durch unseren Nachbarn `Ralf´ vorgeschlagene<br />
Möglichkeit, in einem Zeltrestaurant zu essen: Man<br />
zahlte glaube ich dreißig Rupien und konnte von dem großen<br />
und vielfältigen Angebot des aufgebauten Buffet dann soviel<br />
essen wie man wollte, bis man platzte oder die Scheißerei<br />
bekam oder die Scheißerei bekam, von der man dann platzte.<br />
Daher war es aus taktischen Erwägungen angeraten, möglichst<br />
früh dort zu erscheinen, weil dann die Speisen noch<br />
nicht allzu lange in der bakterienbegünstigenden Hitze gestanden<br />
und die immer auf der Lauer liegenden Fliegenschwärme<br />
noch keinen Wind davon bekommen hatten. Das<br />
Essen an sich war jedoch hervorragend.<br />
In einem anderen von uns favorisierten Eßlokal erlebten<br />
wir eines Tages zur allgemeinen Erbauung einen handfesten<br />
Streit zwischen einem deutschen Ehepaar, dem Restaurant-<br />
Besitzer - nennen wir ihn der Einfachheit halber `Heini´ -<br />
und einer Gruppe geschniegelter Geschäftsleute, dem folgende<br />
Geschichte zugrunde lag:<br />
Indieninteressiertes junges Alternativ-Ehepaar bereiste vor<br />
etwas mehr als einem Jahr unter anderem die Gegend um<br />
Pushkar, lernte `Heini´ kennen, und sie freundeten sich an.<br />
Kurz vor ihrer Rückreise in die Heimat fiel ihnen noch ein:<br />
"Brauchen wir Teppich ! Geschenk für Eltern !"<br />
`Heini´ sagte: "Kann ich euch helfen. Kenn´ ich Händler für<br />
Teppich. Gutes Bekannter. Nooo propplem."<br />
Aus dem Freundschaftssortiment wurde ein genehmer Teppich<br />
in einer bestimmten Machart, mit einem bestimmten<br />
Muster und in einer bestimmten Qualität ausgesucht, das Pär-<br />
219
chen bezahlte bar und machte sich zufrieden auf die Heimreise,<br />
denn um die Zusendung des wertvollen Webgutes bräuchten<br />
sie sich keine Sorgen zu machen; man hatte bereits Erfahrung<br />
mit Ausländern - das ginge wie von selbst: Ja, aber<br />
meistens schief !!!<br />
Denn bedenke: Indien ist nicht nur das Land der Lebenden<br />
Toten, sondern auch der Gaukler und Scharlatane.<br />
Zurück in Deutschland ... warten. Nach Monaten erschien<br />
endlich der indische Paketzustellungsdienst an der Wohnungstüre<br />
und lieferte die Reste des auf der langen Reise von Asien<br />
übriggebliebenen Teppichs ab. In der Mitte des guten Stückes<br />
klaffte nämlich ein schönes großes ausgefranstes Loch.<br />
Kann ja mal vorkommen - so ein Loch.<br />
Verständnisvoll schickten sie ihn zurück ins Herkunftsland<br />
mit der höflichen Bitte um Ersatz. Da es aber ein verzauberter<br />
Bumerang-Loch-Teppich war, erhielten sie ihn zwei Monate<br />
später unverändert zurück. Also schrieben sie in ihrer<br />
Verzweiflung einen Bannbrief dazu und schickten das stoffliche<br />
Loch noch einmal auf die lange Reise ins Yogi-Land.<br />
Daraufhin kam eine <strong>neu</strong>e Bodentapete, aber mit einem vollkommen<br />
falschen Muster, falscher Größe und schlechter Qualität.<br />
Jetzt fing das Ehepaar an Teppiche zu hassen...<br />
Da auch nach weiteren heiteren Versandaktionen nichts<br />
gefruchtet hatte, blieb ihnen gar keine andere Wahl, als ihre<br />
Koffer zu packen, nach Delhi zu fliegen und von dort mit der<br />
Bahn nach Pushkar aufzubrechen, um das unredliche Teppichsyndikat<br />
zu zerschlagen.<br />
Nun saßen alle Beteiligten mit finsterer Miene unter einer<br />
lachenden Sonne im Restaurantgarten, und während am heutigen<br />
heiligen Tag `Holi´ die fröhlichen Leute auf den Straßen<br />
220
Am Feiertag `Holi´ toben wilde Farbpulverschlachten auf der Straße<br />
ausgelassen mit buntem Farbpulver um sich warfen und Wasser<br />
verspritzten, wurde gestritten, daß die Fetzen flogen.<br />
Unser `Heini´ war einem Herzinfarkt nahe, denn er fühlte<br />
seine Ehre und seinen guten Ruf geschädigt; bekam eine<br />
dermaßene Stinkwut auf die teppichknüpfenden Kameraden,<br />
daß er sich fast besinnungslos brüllte, zumindest aber die Gegend<br />
durch seinen Speichel bewässerte. Erst durch einen bösen<br />
Brief aus Deutschland hatte er angeblich von dem Teppich-Desaster<br />
erfahren. Hätte er sich im Falle einer Freundschaft<br />
vielleicht doch mehr drum kümmern sollen, denn wie<br />
sagt schon ein altes Sprichwort: "Wer sich auf andere verläßt<br />
ist verlassen !"<br />
Die Händler rechneten wahrscheinlich gar nicht damit, daß<br />
ihre geprellten Kunden noch einmal zurückkämen. Sie machten<br />
überhaupt einen sehr uneinsichtigen Eindruck, denn was<br />
sollte ihnen schon passieren ? Deutsche Gesetze, Moral- und<br />
221
Ethikvorstellungen galten in Indien sowieso einen Dreck, und<br />
wenn unsere Landsleute ohne eine Portion Glück angereist<br />
waren, konnte es durchaus passieren, daß sie auch noch im<br />
Knast landeten, denn die indische Polizei gilt als sehr korrupt.<br />
Für einen Plastikkugelschreiber tun die fast alles !<br />
Wie die ganze Geschichte ausging, kann ich leider nicht sagen,<br />
da wir uns irgendwann verabschiedeten. Aber die Polizei<br />
trudelte am Schluß auch noch ein...<br />
Die meiste Zeit war es in Pushkar aber sehr angenehm,<br />
und kurz vor unserer Abreise fiel es dem Sohn des wohlhabenden<br />
Hauses "Oriental" auch noch ein, sein tristes Junggesellenleben<br />
aufzugeben und endlich eine von der Familie nach<br />
wirtschaftlichen Gesichtspunkten `Auserwählte´ zu heiraten.<br />
Das würde ein Fest geben ! Früh am Morgen begannen die<br />
Der Bräutigam wartet im Kreise seiner Angehörigen auf die Braut,...<br />
222
ersten Vorbereitungen: Im Vorgarten wurde ein großes Zelt<br />
aufgebaut, und das gesamte Anwesen verschwand unter Tonnen<br />
von bunten Kitsch-Lichterketten, wie wir sie von Weihnachten<br />
her kennen. Allein der Energieverbrauch dieser<br />
Lampenplage mußte<br />
schon ein Vermögen<br />
kosten !<br />
Dann trafen die auf<br />
keinem indischen Fest<br />
fehlenden Trommler<br />
und andere Musiker<br />
ein, die für die Party<br />
am Abend schon mal<br />
den Rhythm of the day<br />
einübten und die bereits<br />
eintrudelnden Gäste<br />
zum Tanzen animierten,<br />
bis das Mittagbuffet<br />
für sie aufgestellt<br />
war. Die Musiker dürfen,<br />
wie ich mittlerweile<br />
weiß, nicht mit den<br />
anderen zusammen<br />
essen, geschweige<br />
denn vom gleichen Geschirr,<br />
da sie zur nied-<br />
...die im Kreise Ihrer Sippe herannaht.<br />
rigsten Kaste in Indien gehören. Sie sind sozusagen ein notwendiges<br />
Übel.<br />
Nachmittags schließlich wurde die in einen kostbaren golddurchwirkten<br />
Sari gekleidete Braut von ihrer Familie durch<br />
die Gassen von Pushkar zu ihrem im Wüstenzelt wartenden<br />
zukünftigen Herren geführt.<br />
223
In diesem Falle hätte es sich sicher gelohnt, deutsche Sitten<br />
einzuführen und die Braut oder am besten gleich alle Frauen<br />
zu entführen, denn die Klamotten der weiblichen Gäste mußten<br />
ein Vermögen wert sein ! Ich hätte ja gerne gewußt, in<br />
welcher Höhe sich die familiärfinanziellen Transaktionen dieser<br />
Hochzeit bewegten. Doch das blieb ein Geheimnis für<br />
uns, und so genossen wir das Fest bis spät in die Nacht, zu<br />
dem wir natürlich alle herzlich eingeladen waren...<br />
Der Tag des Abschiednehmens war mal wieder gekommen,<br />
und bevor wir mit dem Jeep nach Ajmer rollten, beging<br />
ich noch den größten Fehler meines Lebens:<br />
Ich gab dem Vertrauen erweckenden `Ralf´ aus `Köln´<br />
meinen vor kurzem erworbenen handgearbeiteten supergeilen<br />
Spazierstockdegen zur Aufbewahrung, weil ich Angst<br />
hatte, der deutsche Zoll würde mir dieses echt `scharfe´<br />
Spielzeug bei der Einreise kurzerhand wieder abnehmen.<br />
`Ralf´ erzählte uns nämlich, er flöge nicht direkt nach Hause,<br />
sondern zuerst nach Griechenland, und von dort würde<br />
er mit der Bahn weiter nach Deutschland fahren, weil´s bei<br />
Einreisen aus dem europäischen Ausland angeblich keine Probleme<br />
mit unserem Zoll gäbe. Hörte sich ausgezeichnet an<br />
und daher gab ich das seltene Stück in seine Obhut, wir tauschten<br />
unsere Adressen, und dann sah ich meinen Besitz niemals<br />
mehr wieder...<br />
Wie sich später in Deutschland herausstellte, gab es gar<br />
keinen `Ralf´ aus `Köln´, jedenfalls nicht unter der angegebenen<br />
Adresse und Telefonnummer. Dieses dumme Schwein<br />
hatte mich echt verarscht !<br />
Mir wollte es gar nicht in den Schädel, wie jemand, mit dem<br />
wir soviel zusammen unternommen hatten, so verlogen sein<br />
224
konnte. Dabei ging es bestimmt nicht nur um diesen dämlichen<br />
Degen, denn der kostete nur ein paar Mark.<br />
Was also hatte das alles zu bedeuten ?<br />
Tja, das würden wir wohl auch nie erfahren...<br />
Mit dem Zug fuhren wir von Ajmer weiter nach Agra, wo<br />
wir mitten in der Nacht ankamen. Ich glaube es war drei Uhr<br />
morgens oder so.<br />
Wir hatten uns zwar mit Nindi verabredet, der uns am<br />
Busbahnhof abholen wollte. Doch leider erst um acht Uhr.<br />
Also suchten wir uns in der Nähe des Bahnhofes ein Plätzchen<br />
zum Schlafen und schlugen unser morgendliches Lager<br />
in Ermangelung weiterer<br />
Alternativen auf einer vor<br />
Pisse stinkenden Mauer<br />
am Busstop auf.<br />
Es war außerdem ziemlich<br />
kalt, weswegen wir unsere<br />
Schlafsäcke entrollten<br />
und versuchten, trotz des<br />
widerlichen Gestankes ein<br />
Auge zuzukriegen.<br />
Nindi hielt glücklicherweise<br />
Wort und kam<br />
pünktlich um acht Uhr mit<br />
einer Royal Enfield vorgefahren.<br />
Rocky fuhr als Beifahrer<br />
mit; Dörthe und ich<br />
mitsamt dem Gepäck ka-<br />
perten ein Taxi, das Nindi<br />
zum Haus seiner Eltern<br />
Nindi, seine Royal Enfield und Rocky am<br />
Busbahnhof, morgens um acht Uhr<br />
225
folgte. Dort konnten wir uns erstmal frisch machen und erfuhren<br />
dann, daß sich Nindis Ehefrau wenigstens zeitweise<br />
von ihm getrennt hatte und auf dem Weg zurück nach Australien<br />
war. Armer Nindi !<br />
Na jedenfalls ließen wir<br />
unser Gepäck zurück und<br />
statteten zuerst dem im<br />
17.Jahrhundert von den damals<br />
herrschenden moslemischen<br />
Moghuln erbauten<br />
riesenhaften Red Fort einen<br />
Besuch ab, das zu einer der<br />
weltgrößten Festungsanlagen<br />
zählt.<br />
Das Fort ist von einer 2,4<br />
Km langen und 21Meter<br />
hohen Mauer aus rotem<br />
Sandstein umgeben, und im<br />
Abgefahren, oder ?<br />
Innern der Befestigungsanlage<br />
befindet sich nicht nur<br />
eine stattliche Anzahl von Palästen verschiedener Zeitalter<br />
und Erbauer, sondern auch die größte marmorne Moschee<br />
der Welt, genannt Moti Masjid. Alles liegt eingebettet in einer<br />
phantastischen und gut gepflegten Gartenanlage, und von der<br />
zum Ganges gelegenen Umfassungsmauer konnte man direkt<br />
auf das auf der anderen Flußseite gelegene Tadj Mahal<br />
gucken. Beeindruckend !<br />
Ein paar Stunden ruhten wir uns dort auf einer der Liegewiesen<br />
aus. Dann mieteten wir uns zur Feier des Tages eines<br />
der originellen Pferdegespanne und ließen uns zum weltbe-<br />
226
Blick vom Red Fort auf das Tadj Mahal<br />
Ein Teil der Gartenanlage im Innern des Red Fort<br />
227
Das Tadj Mahal im Jahre 1991<br />
rühmten 74 Meter hohen Mausoleum Tadj Mahal kutschieren,<br />
das Shah Jahan ebenfalls im 17.Jahrhundert für seine verstorbene<br />
Lieblingsmaus Arjumand Banu Begum erbauen ließ,<br />
wozu er seine liebevoll geknechteten Untertanen Baumaterial<br />
aus ganz Indien, dem fernen Iran und Afghanistan heranschleppen<br />
ließ. Das gesamte Gebäude ist mit weißem Marmor<br />
verkleidet und aufwendig mit Ornamenten verziert.<br />
Durch ein großes steinernes Tor aus rotem Sandstein gelangt<br />
man auf den von Sträuchern und Blumen flankierten<br />
Weg. Rechts und links stehen in Abständen ebenfalls riesige<br />
rote Bauten, deren näherer Sinn mir jedoch nicht bekannt ist.<br />
Der ebenfalls mit weißem Marmor verkleidete Fußboden vor<br />
dem Tadj Mahal durfte nicht mit den eigenen Schuhen betreten<br />
werden. Dafür gab es bereitgestellte Filzpantoffeln oder<br />
man ging auf Socken.<br />
228
Der Vorplatz mit dem Hauptgebäude des Tadj Mahal<br />
229
Fotografieren im Innern des Gebäudes war auch nur erlaubt,<br />
wenn man vorher eine entsprechende Gebühr bezahlt<br />
hatte. Hatte ich nicht, und daher existieren leider keine Fotos<br />
aus der dunklen Krypta.<br />
Es war ´ne ganze Menge los an diesem Tag - viele indische<br />
Touristen. Aber das war auch zu erwarten, denn das Tadj<br />
Mahal ist das Touristendenkmal Numero Uno in Indien.<br />
Kleine Erinnerung von Nindi...<br />
Haben danach etwas in einem exquisit aussehenden Lokal<br />
gegessen. Doch obwohl die Kellner in Livré bedienten, war<br />
das verfütterte Essen nicht den Spitzenpreisen angepaßt. Vielleicht<br />
hatten die Köche auch speziell was gegen mich, denn<br />
nur meine Pizza war und blieb kalt. Wie oft ich sie aus diesem<br />
Grunde auch zurückgehen ließ, die Temperatur änderte<br />
sich nicht um einen Deut.<br />
Auf Anraten meiner mitfühlenden Reisegefährten gab ich<br />
mich dann kurzerhand geschlagen und freute mich dafür um<br />
so mehr auf den Nachtisch: einen leckeren Eisbecher; dem<br />
teuersten auf der Karte. Aber zu früh gefreut, denn auch das<br />
Eis war reiner Mist ! Jeder Straßenverkäufer verkaufte besseres<br />
Material als das, was einem in diesem Restaurant angeboten<br />
wurde.<br />
Es war äußerst bunt und schmeckte wie Zuckerwasser !<br />
230
Abends auf dem Bahnhof von Agra<br />
Bleichgesichtanstarren ist Volkssport in Indien<br />
231
Abends holten wir unsere Klamotten und Fahrkarten ab,<br />
die Nindi besorgte hatte, und fuhren zum Bahnhof. Dort zogen<br />
wir unbeabsichtigterweise gleich eine Gruppe indischer<br />
Meditationsstarrer in unseren Bann, die uns aus einem Abstand<br />
von einem halben Meter so lange bewegungslos anstarrten,<br />
bis ich gehässig meine Kamera gezückt und sie mit<br />
dem Blitz aus ihrem hypnotischen Tiefschlaf geweckt hatte.<br />
Geblendet verschwanden sie vollkommen verwirrt, und wir<br />
ratterten kurz darauf mit dem Zug zur Übernachtung nach<br />
Lucknow...<br />
Am nächsten Tag kaufte ich mir dort auf dem Bahnhof eine<br />
gerade <strong>neu</strong> erschienene Illustrierte, die einen buntbebilderten<br />
Sonderbericht über den Golfkrieg enthielt. Ein anderer Bericht<br />
in dieser Zeitung befaßte sich mit einem Bombenanschlag<br />
der Sikhs hier auf dem Bahnhof, wobei es zwei Hindus<br />
total zerfetzt hatte. Dieses nicht sehr beruhigende Ereignis<br />
fand erst vor zwei Tagen statt !<br />
Als dann endlich unser Zug einfuhr und wir unsere Plätze<br />
suchten, mußten wir zu unserem Ärger feststellen, das diese<br />
Saubratzen von indischen Fahrkartenverkäufern ganz schön<br />
link waren oder einfach nur total beschränkt: Das Abteil, in<br />
dem sich unsere reservierten Plätze befanden, war vollbesetzt,<br />
und die Leute hatten ebenfalls gültige Platzkarten !<br />
Zum Glück gab es aber auch in Indien noch ein paar anständige<br />
Leute, die Ausländern in Not vollkommen selbstlos halfen.<br />
Auf dem Bahnsteig traf ich solch einen Menschen; einen<br />
jungen indischen Bahnangestellten vom Weltinteressenverband<br />
der Muscle-Monster, der aufgrund meiner nicht verhüllten Bizeps<br />
sofort Kontakt aufnahm. Nachdem ich ihm das Geheimnis<br />
meines Erfolges mitgeteilt hatte, kümmerte er sich sofort<br />
232
um unser Problem, und innerhalb kurzer Zeit hatten wir ein<br />
ganzes Abteil für uns alleine !<br />
Während der langen Fahrt lernten wir dann einen jungen<br />
freakigen Holländer kennen, der irgendwo an der afrikanischen<br />
Westküste aufgewachsen war, was man ihm auch anmerkte,<br />
wenn er sich über die Eingeborenen ausließ. Sag<br />
noch mal einer, Deutsche wären Rassisten !<br />
Irgendwo auf der Strecke, bei einem Zwischenstop, wechselten<br />
wir zusammen mit ihm von der zweiten in die erste<br />
Klasse; da der Zug immer voller wurde und uns einfach zuviele<br />
Leute auf die Pelle rückten. Das löste auch gleich wieder<br />
einen kleinen Volksauflauf aus, als der Schaffner draußen<br />
auf dem Bahnsteig unsere <strong>neu</strong>en Tickets präparierte und das<br />
Geld kassierte, denn es war etwas ungewöhnlich, daß ein<br />
paar abgerissen aussehende Gestalten wie wir locker die fünfzehn<br />
Mark pro Person hinblättern konnten, um sich diese<br />
Extravaganz zu leisten. Doch außer einem mehrfachen Preis,<br />
fast nur leeren Abteilen und tatsächlich funktionierenden<br />
Deckenventilatoren gab es eigentlich keinen großen Unterschied<br />
zur zweiten Klasse.<br />
In Gorakhpur verließen wir endgültig den Zug und stiegen<br />
nun um auf den Bus, mit dem wir nach Sonauli fuhren. Dort<br />
verbrachten wir die Nacht in einer Pension mit Mehrbettzimmer.<br />
233
Dann weiter Richtung Pokhara. Durch verschiedene negative<br />
Umstände am Grenzübergang mußte unser Busfahrer<br />
leider kapitulieren und stoppte spät nachts in einem kleinen<br />
nepalischen Dorf, wo wir vollkommen übermüdet bei Kerzenschein<br />
eine Bleibe für uns suchten und schließlich in einem<br />
windigen und noch dazu dreckigen Holzschuppen bei den<br />
Spinnen und Asseln übernachten mußten, bevor wir am Tag<br />
darauf die letzte Etappe mit dem Bus beendeten...<br />
234
Letzte Tage...
Rockys Notizen zufolge trafen wir am 8.3.1991 ziemlich<br />
durchfallgequält in Pokhara ein - nach über einem<br />
Monat akuten Bakterienbefalles waren wir der<br />
Verdauungshölle Indien entronnen und zurück in Nepal ! Wir<br />
hatten uns die Ruhe und Faulheit, zu der das subtropische<br />
Pokhara einlud, wahrlich verdient.<br />
Das westlich von Kathmandu in einem Tal gelegene Städtchen<br />
befindet sich in einer Höhe von <strong>neu</strong>nhundert Metern<br />
über Normalnull am fünf Kilometer langen Pheewa-See.<br />
Die überwiegend von Fußgängern und Radfahrern belebte<br />
Straße, die am See entlangführt, mit den vielen, vielen kleinen<br />
Wellblechshops und Restaurants, die Anfang der Siebziger Jahre<br />
ihre Arbeit aufnahmen und sich im Laufe der Zeit immer<br />
mehr auf die Bedürfnisse der MultiKulti-Konsumenten eingestellt<br />
haben, ist das Haupttouristengebiet Pokharas. Das Leben<br />
dort ist aber vollkommen anders als in Kathmandu -<br />
nicht so hektisch. Trekker und Bergsteiger nutzten seit eh und<br />
je die ruhige Atmosphäre, um sich von den selbstauferlegten<br />
Anstrengungen ihrer Unternehmungen zu erholen und den<br />
Bauch mit all den schmackhaften Gerichten vollzuschlagen.<br />
Dörthe und Rocky mieteten sich bei Bharat ein - einem<br />
der vielen Millionen `alter Bekannter´ von Rocky. Er besaß<br />
eine kleine Pension in der Nähe des Sees; recht hübsch gelegen,<br />
mit schönem umweltgerechtem tropischem Garten,<br />
Bananenstauden, etc., und die Leute waren echt nett.<br />
Die Zimmer hatten Lehmwände und -fußböden und waren<br />
recht einfach gehalten. Da ich aber damals der alleinigen Auffassung<br />
war, einer strapaziösen Diarrhöe-Forschungsreise müsse<br />
unbedingt und auf jeden Fall etwas mehr Komfort folgen,<br />
suchte ich mir ganz in der Nähe ein Doppelzimmer mit richtigem<br />
Teppichboden, Doppelbett, Schrank, viel Platz, Zimmer-<br />
235
Bharats Bananenstauden-Paradies<br />
Rechts meine bescheidene Hütte und geradezu die Küche<br />
236
service und Ungestörtheit. Ich hatte allerdings die Rechnung<br />
ohne den Wirt oder vielmehr den Verwalter der hiesigen<br />
Anlage gemacht, der mir in den nächsten Tagen ununterbrochen<br />
mit seinem unerbittlichen Wunsch in den Ohren lag,<br />
ihm doch bitte! bitte! einen Flug nach Deutschland, ins Land<br />
wo Milch und Honig fließen, zu spendieren oder mich zumindest<br />
um eine Aufenthaltsgenehmigung dort zu kümmern, da<br />
der `Arbeitsplatz Nepal´ in einer<br />
dicken Krise stecke, und so weiter<br />
und so fort.<br />
Nun könnte jemand meinen,<br />
heurio !, eine einmalige Gelegenheit<br />
eine Menge quälenden Mammons<br />
auf einen Schlag loszuwerden.<br />
Aber nein, ganz im Gegenteil<br />
ging mir der aufdringliche Typ mit<br />
der Zeit echt auf die Nerven !<br />
Ich war im Moment selber ohne<br />
geldbringende Beschäftigung - da<br />
hatte ich zuhause bestimmt ande-<br />
re Sorgen, als mich um die Probleme, zwar netter, aber<br />
doch vollkommen wildfremder Menschen zu kümmern.<br />
Diesen Zwiespalt versuchte ich diesem Uneinsichtigen auch<br />
zu vermitteln, doch halfen meine vorgebrachten Argumente<br />
von den endlosen Kolonnen vor den Arbeitsämtern wenig,<br />
denn es gab andere Leute unseres Landes, die ohne weiteres<br />
eine solche Bürgschaft übernahmen und die `guten Freunde´<br />
ins gelobte Land brachten. Alles Lüge !<br />
Was machten diese hilfreichen bürgenden Mitbürger eigentlich,<br />
wenn die Fremden - erstmal im Schlaraffenland - einfach<br />
abtauchten? Als Bürge verpflichtete ich mich doch, für den<br />
Lebensunterhalt des Schützlings und die Folgen seines Wir-<br />
237<br />
Suche Arbeit !
kens aufzukommen. Auch wenn ich mir den Flug hierher<br />
geleistet hatte und daher in Nepal schon als zu den Oberen<br />
Zehntausend zählte - soviel Verantwortung wollte ich nicht<br />
nicht übernehmen: ohne mich !<br />
Nichtsdestotrotz hatten wir viel Spaß in Pokhara. Wir mieteten<br />
uns entweder ein Boot und ließen uns in der Sonne<br />
aalend auf dem See herumtreiben, sonnten uns bei Bharat im<br />
Garten oder statteten einem anderen `Alten Bekannten´ mit<br />
Namen Deepak einen Besuch ab, der einen kleinen Getränke-Schuppen<br />
besaß und tierisch auf lange Haare, Bier und vor<br />
allem Hardrock abfuhr.<br />
Oder wir hingen in einem der vielen Cafes und Restaurants<br />
am See lustlos ab und genossen dort in Massen das köstliche<br />
Essen, wobei wir eines schönen Tages unter anderem einen<br />
jungen Russen kennenlernten, der nach dem Umbruch in der<br />
einstigen Sowjetunion mit nur zweihundert Dollar Taschengeld<br />
zu dem Abenteuer aufgebrochen war, den Himalaya für<br />
sich zu erobern. Die ganze Odyssee bis nach Nepal klang<br />
ziemlich spektakulär und verrückt.<br />
Zusammen mit einem Amerikaner enterte ich anderentags<br />
mit einem Boot das jenseitige Ufer des Phewa-Sees, um das<br />
dortige `wilde´ Land zu erkunden. Wegen einiger dampfender<br />
Kothaufen von vermeintlichen Bären im Gestrüpp des<br />
dichten `Urwaldes´ wurde mein Kollege aber sehr schnell<br />
unruhig. Daher brachen wir die Erforschung der unbändigen<br />
Natur frühzeitig ab und kehrten wieder zurück.<br />
238
Der Phewa-See in Pokhara...<br />
...lud ein zum Bootsausflug.<br />
239
In der Hauptsache aber nutzen wir die Zeit zur Beseitigung<br />
unserer immer noch unerträglichen Geldvorräte, die bei diesen<br />
Dumping-Preisen für Unterkunft und Verpflegung einfach<br />
nicht schrumpfen wollten.<br />
Daher beschlossen wir den radikalen Ausbau unserer Andenken-Warenlager<br />
und starteten eine erkleckliche Anzahl<br />
konjunkturfördernder Raff-Raubzüge in die Schattenwelt der<br />
trickreichen pokhrischen Souvenirdealer.<br />
Wir kauften z.B. händeweise der von Indianern in aller Welt<br />
geliebten blaugrünen Türkise, von denen Rocky, unsicher geworden,<br />
einige mit Hilfe eines Flammwerfers und Hammers<br />
in ihre Bestandteile zerlegte, da ihm jemand erzählte, die<br />
Dinger wären sowieso alle unecht - hergestellt aus gefärbtem<br />
Beton. Zu seiner bitteren Enttäuschung waren sie aber alle<br />
echt !<br />
Schädeldecken gemeuchelter Trekker und verzierte, satanisch<br />
blickende Affenschädel standen auf der Wunschliste, Ketten<br />
jeglicher Machart, Ringe, Gürtel, günstige grell gellende<br />
Cymbals und Bukschas - tibetische Musikinstrumente, alte vermottete<br />
Sherpa-Mützen, schnitzwerkverzierte Holz-kistchen<br />
mit Geheimverschluß, glitzernde Bergkristalle, rituelle Messer,<br />
Mandalas aus Messing und Yak-Knochen, mysteriös-ritueller<br />
Tand, usw.<br />
Zu guter Letzt ließ ich mir in einem Klamotten-Shop noch<br />
ein Paar exquisite China-Hemden aus robuster Baumwolle<br />
anfertigen; mit schräglaufender Knopfleiste und vielen Taschen.<br />
Leider war der Schneider kein Meister seines Faches und<br />
nicht in der Lage, zwei exakt gleiche Exemplare von seiner<br />
Schnittvorlage zu reproduzieren oder gar etwas von seinem<br />
`Tütenstil´ abzugehen, was mein Nervenkostüm ins Wanken<br />
brachte und ihn zusätzliche Arbeit kostete, um die Ware<br />
dem Bestellten anzupassen.<br />
240
Die Einkaufsmeile am Phewa-See mit dem Machapuchare im Hintergrund<br />
Wir bezahlten nicht immer mit Geld, sondern versuchten<br />
zusätzlich weitere Ausrüstungsgegenstände unter die Leute<br />
zu bringen, wie z.B. unsere Schlafsäcke, die ihren Zweck<br />
erfüllt hatten und nur noch unnötiges Gewicht darstellten.<br />
Ich hatte ziemliches Schwein und bekam schon beim dritten<br />
Versuch eine Handvoll schöner walnußgroßer Türkise<br />
dafür. Gekauft hatte ich ihn gebraucht für dreißig Mark - ein<br />
gutes Geschäft !<br />
Rocky wollte nun auch sein Glück damit versuchen und<br />
klapperte Tausende von Läden ab. Doch seine aufwendigen<br />
Schlafsackpräsentationen schlugen irgendwie nicht an, so daß<br />
er total entnervt bereits mit dem Gedanken spielte, sich ein<br />
Boot zu mieten, um in einer gigantischen Showeinlage sein<br />
Modell vor den Augen aller Händler im See zu versenken.<br />
Als die Schlafsack-Fachwelt davon hörte, kauften sie ihm<br />
das Teil doch lieber ab.<br />
Dann gibt´s da noch die Geschichte von den wirklich echten<br />
ich-schwöre-bei-meiner-Mutter-und-allem-was-mir-heilig-ist-<br />
241
Ausgefuchste Touristenjägerin im Anmarsch !<br />
Sea-Stones - deren echte Vertreter normalerweise einige hundert<br />
bis tausende von Dollar kosten - für n u r hundertfünfzig<br />
Rupies das Stück, die uns eine fliegende tibetische Händlern<br />
beim morgendlichen Frühstück andrehte, obwohl wir<br />
ganz eindeutig erkannten, daß die angebotene Ware zwar<br />
hübsch war, aber nur aus bemalter Keramik bestand.<br />
Dank unseres Sachverstandes und unserer bereits erprobten,<br />
äußerst geschickten Verhandlungstaktik bezahlten wir nur<br />
hammerharte hundertzwanzig Rupies pro Stück.<br />
Doch dann wurden wir blaß: woanders bekamen wir die<br />
schwarzen, weißverzierten `Steine´ schon für <strong>neu</strong>nzig Rupies,<br />
dann für sechzig, kurz darauf für dreißig und fünfzehn und<br />
schließlich schoß Rocky mit drei Rupies pro Stück den Vogel<br />
ab ! Für die langen Winterabende hatten die Händler, die<br />
noch nicht an ihren Lachkrämpfen erstickt waren, also wieder<br />
eine nette kleine Geschichte über zwei total bekloppte<br />
242
Individualtouristen zu erzählen, die sich wirklich jeden Mist zu<br />
jedem Wucherpreis andrehen ließen.<br />
D-I-E-S-E A-R-S-C-H-G-E-I-G-E-N !!!<br />
Gott, die Welt war ungerecht und schlecht...<br />
Beim nächsten Supersonderangebot eines erbsengroßen<br />
`superbrillianten Spezial-Brillianten´, mit dem man alle Gläser<br />
zerkratzen und mit Hilfe eines Steines Dellen in jede nur<br />
denkbare Münze schlagen konnte, wie der indische Freilufthändler<br />
demonstrierte, winkten die gebrannten Kinder äußerst<br />
vorsichtig geworden ab. So billig konnten einfach keine<br />
Edelsteine dieser Größe sein !<br />
Als Abschluß des vergnüglichen Pokhara-Aufenthaltes erkletterten<br />
wir in einem Tagesausflug stundenlang schwitzend<br />
einen Berg, auf dem der kleine Ort Sarankot thront.<br />
Auf dem Gipfel befand sich eine winzige Sendeanlage des<br />
Nepalischen Rundfunks und etwas tiefer gelegen drei, vier<br />
einfache Lodges und zwei `Restaurants´ - das war´s.<br />
Wir hatten vor, dort oben die Nacht zu verbringen und uns<br />
den Sonnenaufgang am nächsten Morgen anzugucken, daher<br />
mieteten wir uns in einer Lodge ein, aßen etwas zu Mittag,<br />
und dann startete ich einen Solotrip über die dicht bewaldeten<br />
Hügelketten.<br />
Dazu mußte ich aber erst einmal einen Hang hinunter, wobei<br />
mich ein Rudel touristengeiler Bluthunde, das in einem<br />
kleinen Dorf weiter unten seinen Dienst als Bewegungsmelder<br />
und Krachmacher verrichtete, aufmerksam taxierte und äußerst<br />
aufgeregt verbellte. Je tiefer ich kam, desto mehr näherten<br />
sich mir diese mit gefletschten Zähnen keifenden Beißer.<br />
Da blieb nur eins: Augen zu und durch !<br />
Ich hetzte den Rest hinunter und gleich auf der anderen<br />
243
Auf dem Weg nach Sarankot<br />
Oben auf dem Gipfel: Sarankot<br />
244
Das Phewa-Tal und links oben im Bild Pokhara<br />
Auf der anderen Seite von Sarankot der dunstverhangene Machapuchare<br />
245
In Sarankot hatten wir einen sogenannten Lichtblick !<br />
246
Seite wieder nach oben, und dann war ich vor den<br />
menschenfleischgeilen Viechern in Sicherheit.<br />
Es machte richtig Freude, auf den Hügelkämmen herumzulaufen,<br />
denn man hatte ein Superpanorama auf das Tal und<br />
über die angrenzenden Berge hinweg auf den gewaltigen<br />
Machapuchare, dessen Gipfel in der Ferne weiß leuchtete.<br />
Da die Sonne hemmungslos strahlte, suchte mir ein geeignetes<br />
Plätzchen und verbrachte den Rest des Tages mit dem<br />
alten Ritual des Sonnenanbetens, bis gegen Abend das Wetter<br />
schlechter wurde und mir ein Eingeborener, der des Weges<br />
kam, riet zurückzugehen.<br />
Nach dem Abendessen begannen dann der Lodgebesitzer,<br />
ein etwas japanisch sprechender Nepali, ein ausschließlich japanisch<br />
sprechender Japaner und ein englischstammelnder<br />
Deutscher, nämlich ich, sämtliche Biervorräte, die wir in die<br />
Finger kriegen konnten ihrer Bestimmung zuzuführen, während<br />
wir angeheitert, über alle Sprachbarrieren hinweg, verschiedene<br />
Themen der Weltpolitik erörterten.<br />
Meiner Sinne kaum noch mächtig fiel ich auf meiner Holzpritsche<br />
sehr spät ins Koma, aus dem ich um fünf Uhr morgens<br />
schon wieder erwachte: Wir wollten ja den Sonnenaufgang<br />
sehen !<br />
Haben wir dann auch. War schön.<br />
Dann frühstückten wir noch einmal und stiegen wieder hinunter<br />
ins Tal, wobei ich versuchte, es den Nepalis gleichzutun,<br />
die, über jede Angst umzuknicken erhaben, in einer affenartigen<br />
Geschwindigkeit die Berge hinunterrannten und -<br />
sprangen, was mit einiger Übung auch sehr gut klappte und<br />
unglaublichen Spaß machte.<br />
247
Nachdem wir uns über eine Woche lang in Pokhara breitgemacht<br />
hatten, fuhren wir mit dem Bus zurück nach<br />
Kathmandu.<br />
Die Straße Pokhara/Kathmandu galt als sehr gefährlich, denn<br />
immer wieder verwechselten sich manche Fahrer mit Rennprofis,<br />
ihre betagten Gefährte mit spurlagensicheren HiTec-<br />
Autos und die oft arg zerlöcherte Straße mit dem Nürburgring.<br />
Um nicht einem nachtblinden Intuitionsfahrer ausgeliefert<br />
zu sein, nahmen wir zwar extra den Frühbus, aber aus<br />
uns unbekannten Gründen gerieten wir trotzdem in die Dunkelheit,<br />
und erst spät nachts kamen wir in der Hauptstadt an.<br />
Viel Zeit blieb jetzt nicht mehr. Am Montag, den 25.3.1991<br />
flog unsere Maschine zurück nach Deutschland. War irgendwie<br />
ein komisches Gefühl nach etwas mehr als zwei Monaten<br />
in der Fremde, denn trotz allem waren Indien und Nepal<br />
eine zweite Heimat geworden.<br />
Rolf war auch schon wieder in Kathmandu und erzählte<br />
ausgelassen, daß er in der Zwischenzeit zusammen mit seinem<br />
Kumpel in Dharamsala und zum Zelten am Everest-Base-<br />
Camp gewesen wäre.<br />
Kathmandu war voller geworden, denn es hatte die Saison<br />
begonnen und viel mehr Touristen als im Januar drängten<br />
sich zu der Zeit in den mittelalterlichen Gassen.<br />
Unsere letzten Tage gingen so dahin, und jeder kümmerte<br />
sich mehr oder weniger um seinen Kram. Ich z.B koordinierte<br />
das Besticken meiner beiden China-Hemden; ließ meinen<br />
innig geliebten Kali-Silberring, der auf der langen Reise Schaden<br />
genommen hatte, reparieren und kaufte zusammen mit<br />
Rocky Singing Bowls in Patan. Rocky ließ sich einen Silberring<br />
schmieden, kaufte zusammen mit Dörthe und Rolf abgefahrene<br />
Sternkreiszeichen-T-Shirts und wäre beinahe im hiesi-<br />
248
gen Knast gelandet, denn: "zurück in Kathmandu drängte sich<br />
ein Problem auf: noch eine Woche bis zum Abflug, aber das<br />
Visum lief ab. Wir stokelten also zum Immigration Office, und<br />
da ich noch bank receipts hatte, die belegten, daß ich reichlich<br />
Geld auf legalem Wege getauscht hatte, war ich der Meinung,<br />
auf eben diese receipts auch ein Visum zu bekommen. Weit<br />
gefehlt!<br />
Der Kasper in der Office-Bude erkannte, daß ich besagte<br />
Summen vor der Indienreise getauscht hatte und erklärte die<br />
receipts für ungültig. Das brachte mich ziemlich in Rage. Ich<br />
verlangte den Boß zu sprechen, wir wurden ins Hauptquartier<br />
geführt, er hörte sich meine Beschwerde an und erklärte<br />
dann ebenfalls meine Zettel für null und nichtig.<br />
Die aufgeblasene Art des Quakfroschs machte mich noch<br />
stinkiger, ich redete mich immer mehr in `Gleich kracht's!´-<br />
Laune, ohne zu bemerken, daß der dritte Nachschreiber des<br />
ersten Vorschreibers bereits sämtliche verfügbaren Polizeiund<br />
Militärstreitkräfte des Landes zusammengerufen hatte,<br />
um dem augenscheinlich durchgedrehten Europäer mal ordentlich<br />
Dampf zu machen. Draußen auf der Straße bezog<br />
der erste Trupp Stellung, der zweite schlich sich in den Flur<br />
und verteilte sich im Gang. Ich hatte gerade mal mit der Faust<br />
auf den vor mir stehenden Schreibtisch gedonnert, da brüllte<br />
Quakfrosch los, die Schreiber gingen in Deckung, und innerhalb<br />
von Zehntelsekunden war die Bude voll mit Uniformierten,<br />
die voller Interesse ausprobierten, mit wieviel Leuten sie<br />
sich auf mich draufschmeißen konnten, bevor ich zusammenbrach.<br />
Da ich zu Beginn der Reise bereits den Knast von Kathmandu<br />
in Augenschein genommen hatte und zu der Erkenntnis gelangt<br />
war, daß eine Flucht von dort - trotz in die Hose genähter<br />
Sägebänder, Rasierklingen und ähnlicher kleiner Nützlich-<br />
249
keiten - aufgrund der regen, hochgradig bewaffneten und<br />
zeigefingernervösen Wachpostentätigkeit unter Umständen<br />
mit einigen Löchern in der Kleidung enden könnte, beschloß<br />
ich, irgendwelche Mißverständnisse gar nicht erst aufkommen<br />
zu lassen und den King Kong auf später zu verschieben.<br />
Erst mal raus und dann weitersehen.<br />
Mit holterdipolter ging es auf den Flur, und mit holterdipolter<br />
ging es wieder zurück: Ich hatte nämlich voller Entsetzen<br />
bemerkt, daß mein Reisepaß noch stempelbereit im Zimmer<br />
lag. Ohne Paß viel schlecht. Den brauchte ich. Also zurück<br />
durch den überraschten Haufen gewühlt, den Paß geschnappt<br />
und dann ohne anzuhalten bis zur Deutschen Botschaft, wo<br />
man mir sagte, daß ich ja wohl lange genug unterwegs sei,<br />
um zu wissen, daß ich hier mit `Es geht ums Prinzip!´ keinen<br />
Blumentopf gewinnen könne..."<br />
250
Motoradfahren in Nepal: Gebetsfahnen säumten ihren Weg und trotzdem...<br />
Vier Tage vor unserem Abflug beschlossen Rocky und<br />
Dörthe schließlich noch ein Motorrad zu mieten, um die Gegend<br />
damit unsicher zu machen. Doch die war bereits alles<br />
andere als sicher !<br />
Spät am Abend des gleichen Tages, gegen 22:00 Uhr rief<br />
mich der Herbergsvater des "Norbulinga Guest House" hinunter<br />
in die Rezeption und sagte, es wäre ein Anruf für mich.<br />
Rocky war am Apparat und erzählte was von einem Motorrad-Unfall,<br />
und er riefe aus dem Krankenhaus an. Ich sollte<br />
sofort vorbeikommen und ein paar Sachen mitbringen, da<br />
Dörthe ziemlich übel verletzt sei.<br />
Zuerst glaubte ich an einen bösen Scherz, aber ziemlich<br />
schnell war klar, daß das kein Spaß war. Ich erzählte den<br />
Leuten vom "Scala" was Sache war, und der Sohn des Chefs<br />
bot mir sofort an, mich mit dem Motorrad zu fahren. Auf<br />
251
düsteren Schleichwegen pesten wir durch eine von Lagerfeuern,<br />
Müll und Dreck bestimmte Endzeitkulisse zum heruntergekommen<br />
Bir-Hospital am Kanthi-Path.<br />
Die Fensterscheiben des großen und bestimmt einmal stattlichen<br />
Gebäudes waren entweder total schmierig oder zersplittert,<br />
und nicht nur draußen lag überall Müll herum. Es<br />
machte einen wirklich schlimmen Eindruck auf mich, und das<br />
Innere wirkte wie ein Feldlazarett aus dem Ersten Weltkrieg.<br />
Rocky wartete bereits auf mich, und zusammen gingen wir<br />
zu Dörthe, die unbeweglich auf einem fahrbaren Krankenbett<br />
lag. Sie konnte sich nicht bewegen, denn ihr 6. Halswirbel<br />
war glatt durchtrennt - ein klassischer Genickbruch - und<br />
der 7. Halswirbel war durch den Unfall herausgedrückt worden,<br />
hatte sich gedreht und verhakte sich in einer für Dörthe<br />
mißlichen Position zwischen seinen Kameraden, den Halswirbeln<br />
5 und 6.<br />
Mit ihrem Motorrad waren die beiden unvorhergesehenerweise<br />
in einen Trecker gerast. Rocky hatte bei dem Zusammenprall<br />
nur ein paar Kratzer abbekommen und Dörthe war<br />
zwar soweit auch ok gewesen, konnte sich aber vom Hals<br />
abwärts nicht mehr bewegen.<br />
Aus Angst vor der Polizei und bösen Geistern verschwand<br />
der Fahrer sofort von der Bildfläche und ließ sie allein auf<br />
weiter Flur. Dann erschien glücklicherweise ein Taxi, Rocky<br />
lud Dörthe ein, und über Stock und Stein ging es ab ins Krankenhaus.<br />
Dabei hatte sie wahrhaftig "mehr Glück als Verstand" gehabt,<br />
denn normalerweise durfte sie gar nicht bewegt werden !<br />
Wäre durch das Gerüttel das Rückenmark beschädigt oder<br />
gar durchtrennt worden, wäre sie für immer querschnittsgelähmt<br />
und im schlimmsten Falle sogar tot gewesen.<br />
252
Jetzt lag sie also dort und wartete voller Hoffnung auf eine<br />
skurrile metallene Kopfklammer, die ihr am nächsten Morgen<br />
um zehn Uhr eingesetzt werden sollte. Zum besseren<br />
Halt der Klammer waren ihr bereits zwei Löcher links und<br />
rechts in den Schädel gebohrt worden. Und so makaber das<br />
klingt, es gab leider nur eine einzige wundersame Klammer<br />
dieser speziellen Euro-Kopfgröße im gesamten asiatischen<br />
Raum, und an der hing zu diesem Zeitpunkt noch der vorgebohrte<br />
Schädel eines anderen Patienten mit ähnlichen Problemen.<br />
Also abwarten und Tee trinken. Rocky hielt Nachtwache<br />
und ich düste zurück ins Hotel.<br />
Als ich am nächsten Tag wieder im Krankenhaus erschien,<br />
lag Dörthe im versifften Großraumkrankenzimmer mit mindestens<br />
zwanzig anderen Kranken, und die mondsichelähnliche<br />
Klammer, die mit spitzen Enden, einer Zange gleich, in die<br />
Bohrlöcher griff, war bereits eingebaut.<br />
An der Klammer selbst war mit einer Schnur, die über eine<br />
Rolle am Kopfende des Bettes lief, ein Sandsack befestigt, der<br />
den Schädel parallel zum ausgestreckten Körper nach hinten<br />
zog. Dörthes restlicher Körper war mit Riemen am Bett fixiert<br />
- also etwa sowas wie - hallo Mittelalter! - eine Art<br />
Streckbank.<br />
Die Ärzte hofften, daß durch diese simple Methode der aus<br />
der Reihe getanzte Wirbel total eingeschüchert zurück in seine<br />
ursprüngliche Position sprang. Was er aber leider nicht<br />
vorhatte, wie wir erst einen Tag später erfuhren.<br />
Weil Dörthe auch Schmerzen am Unterleib hatte, beschlossen<br />
die Ärzte, sie in der Zwischenzeit etwas zu röntgen.<br />
253
Wie das Kranke(n)haus selber, so stammte aber leider auch<br />
das fahrbare Röntgengerät noch aus den Wirren des Ersten,<br />
zumindest aber des Zweiten Weltkrieges, wo es wohl als<br />
geheime Strahlenwaffe seinen Dienst getan haben mag:<br />
Um die durch den Körper gejagten X-Strahlen, die das Innere<br />
nach Außen kehren, wieder einzufangen, bevor sie die<br />
unter der Patientin befindliche Bettwäsche zu Asche verbrannten,<br />
mußte eine Filmplatte unter ihrem Becken positioniert<br />
werden, und dazu mußten vier Freiwillige Dörthe vorsichtig<br />
anheben, während der bereitstehende Arzt seine Aufgabe als<br />
`Diskjockey´ vorzüglich erledigte.<br />
Nachdem jener "Koloss von Röntgen" über dem geschundenen<br />
Körper ausgerichtet war, legte der zuständige Hausfotograf<br />
die verwitterte schwere und strahlenundurchlässige Bleischürze<br />
an und brachte sich schleppenden Schrittes mit der<br />
Kabelfernbedienung in fünfhundert Metern Entfernung in Sicherheit.<br />
Die ihm zugeteilten dreitausend Komparsen jeglichen<br />
Geschlechts tatens ihm gleich, hechteten hinter den<br />
schürzentragenden Strahlenbunker auf zwei Beinen und warteten<br />
sich totstellend, stocksteif in einer langen Reihe, bis das<br />
elektrische Brummen, der helle Lichtblitz und die Erschütterungen<br />
abgeebbt waren.<br />
Das Foto ergab: nichts gebrochen, aber ein Rückenmuskel<br />
gerissen - sonst nur Quetschungen und Strahlenschäden !<br />
Während all dieser Vorgänge hatten andere mundartlich<br />
verwandte Mitmenschen, die in Kathmandu lebten oder arbeiteten,<br />
von dem Unfall erfahren und kamen nun zuhauf,<br />
um ihre Hilfe anzubieten oder, wie im Falle einer Architektengattin,<br />
regelmäßig Essen zu liefern.<br />
Rocky, Rolf und ich hielten nun abwechselnd Wache am<br />
Bett von Dörthe, damit Rocky all die Dinge erledigen konnte,<br />
254
die nun getan werden mußten und nichts Unvorhergesehenes<br />
eintrat, wie z.B. unfreiwillige Lobotomie. Denn Dörthes<br />
Lieblingsarzt wurde kurzerhand vom mächtigeren Oberarzt<br />
ausgeschaltet. Dieser <strong>neu</strong>e Onkel Doktor äußerte auch sofort<br />
den zwanghaften Wunsch zu einem operativen Eingriff.<br />
Das wiederum ließ Rocky den ganzen Wahnsinn der <strong>neu</strong>en<br />
Situation erst erkennen, und die Panik kam hoch.<br />
Dörthe operieren ? Hier ? In dem Dreck ?<br />
Niiiiiiieeeeeemmmmmmaaaaaalllllllssssssss !!!!<br />
Zur Botschaft, Anruf in Deutschland, Eltern sind entsetzt,<br />
Keine Operation ! Die Mühlen begannen zu mahlen und<br />
Dörthes Eltern standen bald in Verhandlung mit dem<br />
nepalischen Arzt Dr.Rana, der in Deutschland praktizierte.<br />
Demnach blieb erstmal nichts weiter zu tun, als zu abzuwarten...<br />
Die letzte Rechnung vom "Norbulinga Guest House"<br />
255
Inzwischen war der dritte Tag gegangen und der Zeitpunkt<br />
meines Rückfluges gekommen. Ein letztes Mal suchte ich Rokky<br />
und Dörthe im Krankenhaus auf, um ihnen die restlichen<br />
Medikamente, Vitamin- und Mineraltabletten und sonst Nützliches<br />
dortzulassen.<br />
Was weiter passierte erzählte mir Rocky später:<br />
"Dr.Rana stand nach mehreren Telefonaten in Verbindung<br />
mit Dörthes Eltern und erklärte Ihnen, sie sollten ihm die<br />
Röntgenbilder zukommen lassen, er wolle dann seinen Kollegen<br />
in Kathmandu erklären, wie sie zu operieren haben. er<br />
bekam diese Bilder einige Tage später über Lufthansa.<br />
In der Zwischenzeit ging es Dörthe immer schlechter, es<br />
kam zu Lähmungserscheinungen; sie konnte das rechte Bein<br />
nicht mehr bewegen, dann den linken Arm.<br />
Als Dr.Rana die Bilder in Augenschein genommen hatte,,<br />
erkannte er, daß die Kathmandu-Ärzte mit diesen Komplikationen<br />
nicht fertig werden würden; er telefonierte mit Christine,<br />
kündigte sein umgehendes Kommen an, setzte sich<br />
Karfreitag in den Flieger, kam Samstag an und operierte<br />
Samstagabend. Vier Tage später konnte Dörthe das erste<br />
Mal wieder aufstehen.<br />
Eins ist klar: Nach diesen 2 Wochen war nichts mehr wie<br />
vorher. Ich habe noch nie so viele Leute in so kurzer Zeit<br />
sterben sehen - die haben sich teilweise totgeschrien. ich bin<br />
nachts aufgewacht, weil jemand aufgehört hatte zu schreien,<br />
so sehr hatte ich mich an den Lärmpegel gewöhnt.<br />
Ich habe mal gezählt: es waren zwischen 50 und 60 Schwerverletzte,<br />
je nachdem, wieviele im Laufe der Zeit so wegstarben,<br />
denn regulär entlassen worden ist in den 2 Wochen,<br />
die wir dort lagen, keiner. Dazu kamen dann die Angehörigen,<br />
die Ihre Kranken versorgten, denn Krankenschwestern<br />
o.ä.waren nahezu Fehlanzeige. Ohne Christine Hoffmann, die<br />
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Nach der Operation<br />
deutsche Krankenschwester, die dort schon seit Jahren arbeitete<br />
und den Betrieb bestens kannte, wären wir sehr schnell<br />
am Ende gewesen. Sie hat übrigens auch die Klammer für<br />
Dörthe besorgt."<br />
Mein Flug zurück nach Deutschland dauerte ewig lange.<br />
Zuerst flog die Maschine wie gehabt nach Dhaka in Bangladesh,<br />
das wir einige Stunden später wieder verließen. Aber nicht<br />
etwa Richtung Athen, wie üblich, sondern erstmal nach Dubai<br />
in die Vereinigten Arabischen Emirate, wo ein großer Teil<br />
der Bomberstaffeln der Alliierten Streitkräfte in der Wüste<br />
257
aufgereiht stand. Der Krieg gegen Sadams Streitkräfte war<br />
noch nicht zu Ende !<br />
Dort in Dubai wieder zwei, drei Stunden Aufenthalt. Dann<br />
weiter nach London, zwei Stunden Aufenthalt. Von da nach<br />
Hamburg und schließlich landeten wir nach 24 Stunden Flug<br />
in Frankfurt. Ich war wirklich fix und alle ! Da muteten die<br />
noch vor mir liegenden zehn Stunden Bahnfahrt geradezu<br />
lächerlich an.<br />
Am Mittwoch, den 27.3.1991 kam ich zuhause an. Zwar<br />
fünf Kilo leichter, mit miesem Durchfall, Kreislaufproblemen<br />
und zermalmten Zähnen - aber ich war zuhause.<br />
Ich fühlte mich so mies, daß ich erstmal in mein Bett fiel<br />
und zwei Tage kräftigst ausschlief.<br />
Dann mußte ich mich schon wieder bei meinem Bekannten<br />
Jochen melden, der mir vor dem Abflug eine Anstellung<br />
in seinem Computerladen zugesichert hatte. Das Arbeitsamt<br />
wollte mich sehen, und ich hatte versprochen, die Eltern von<br />
Dörthe anzurufen, um einen kurzen Abriß über die Situation<br />
in Nepal zu geben. Das tat ich dann auch ein oder zwei Tage<br />
später. Doch war in der Zwischenzeit alles am Laufen, wie<br />
ich hörte.<br />
Zum Zahnarzt wollte ich in der nächsten Woche, doch<br />
bereits am Wochenende zerplatzte mir fast der Schädel, als<br />
ich beim Essen zu stark zubiss. Auch die extra-starken<br />
Schmerzblocker, von denen ich mir in der Nacht zum Sonntag<br />
eine ganze Packung zuführte, halfen nichts, und so mußte<br />
ich zum Notdienst, der versuchte den Zahn zu retten. Doch<br />
die Schmerzen ließen und ließen nicht nach, und in der kommenden<br />
Woche machte mir mein Hauszahnarzt die traurige<br />
Mitteilung: "Zwei Zähne müssen gehen..."<br />
258
Da sich den Würzelchen nicht auf die Schnelle beikommen<br />
ließ und sich zu meinem immer noch angeschlagenen Zustand<br />
der Geschmack des aus der Wunde `hervorsprudelnden´<br />
Blutes gesellte, fiel ich zum allgemeinen Entsetzen auch<br />
noch in Ohnmacht und mußte mit Frischluft wiederbelebt<br />
werden. Ich sollte mich erstmal erholen und wurde mit dem<br />
letzten im Kiefer verbliebenen Wurzelrest nach Hause geschickt.<br />
Wegen des Durchfallproblems war ich nicht sofort zum<br />
Arzt gegangen, und deswegen bekam ich noch andere Probleme:<br />
Auf dem Weg in den Computerladen verlor ich eines<br />
Tages im Bus die Besinnung, rutschte vom Sitz und schlug<br />
sehr zum Schrecken der Fahrgäste laut scheppernd mit dem<br />
Gesicht auf dem Boden auf. Der Einlieferung ins Krankenhaus<br />
durch den Busfahrer konnte ich gerade noch entgehen.<br />
Aber einem Besuch beim Arzt war ich nun nicht mehr abgeneigt,<br />
denn ich hatte echt Angst um mein Leben.<br />
Dauernd grummelte und piekste es in meinem Gedärm<br />
und mir schwindelte. In langwieriger Medikamenten-Behandlung<br />
wurde schließlich meine durcheinandergewirbelte Darmflora<br />
wieder auf Vordermann gebracht, und ich schwor mir,<br />
beim nächsten Mal sofort zum Arzt zu gehen.<br />
Nach der erfolgreichen Operation kamen Dörthe und Rokky<br />
im April zusammen per LUFTHANSA-Maschine zurück<br />
nach Deutschland.<br />
Sie waren gezwungen die Fluggesellschaft zu wechseln, weil<br />
BIMAN-Airlines keine Möglichkeit bot, Sitzreihen umzubauen,<br />
damit die Patientin liegend transportiert werden konnte.<br />
Was wiederum unerwartete Probleme mit der Fluggesellschaft<br />
BIMAN aufwarf, da die sich dummerweise weigerte,<br />
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den nicht in Anspruch genommenen<br />
Rückflug zu erstatten.<br />
Dörthe kam ins Rehabilitationszentrum<br />
nach Stuttgart, wo<br />
sie wieder laufen lernte und<br />
sich darüber Gedanken machte,<br />
welchen Beruf sie in Zukunft<br />
ausüben wollte, denn<br />
ihre Karriere als Sportlehrerin<br />
konnte sie an den Nagel hängen.<br />
Der Hochzeit mit Rocky<br />
stand jedoch nichts im Wege<br />
und am 18.07.1991 gaben sie<br />
sich in Betzendorf das JA-<br />
Wort. Das Ereignis wurde mit<br />
allen Freunden überschweng- Der rettende Schnitt...<br />
lich gefeiert und Bharat, Dr.<br />
Rana, der deutsche Botschaftssekretär aus Kathmandu Horst,<br />
die Krankenschwester Christine, Renate und André und andere<br />
Persönlichkeiten gratulierten dem glücklichen Paar und<br />
wenn sie nicht gestorben sind...<br />
Das war in kurzen und knappen Zügen die folgenreiche<br />
Geschichte einer turbulenten Asien-Reise anno 1991...<br />
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