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Indogermanisch im Lateinunterricht - Jens Peter Clausen

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J. P. <strong>Clausen</strong>: <strong>Indogermanisch</strong>, Französisch und Englisch <strong>im</strong> LU 21<br />

–us noch einen weiteren Vokal haben, um hässliche Vokalballungen wie z. B. idoneior und<br />

piior zu vermeiden. Daher heißt es also:<br />

idoneus „geeignet“ magis idoneus „geeigneter“ max<strong>im</strong>e idoneus „am geeignetsten“<br />

pius „fromm“ magis pius „frommer“ max<strong>im</strong>e pius „am frommsten“<br />

In den romanischen Sprachen ist diese analytische Steigerung zur Regel geworden, z. B.<br />

grand – plus grand – le plus grand. Reste der synthetischen Steigerung haben sich nur bei<br />

beaucoup, bon und mauvais erhalten, doch wurden auch hier der Superlative plur<strong>im</strong>us, opt<strong>im</strong>us<br />

und pess<strong>im</strong>us verdrängt:<br />

beaucoup plus le plus<br />

bon meilleur le meilleur<br />

mauvais 34 pire / plus mauvais le pire / le plus mauvais<br />

Auch bei den Verben gibt es neue analytische Bildungen, so zunächst <strong>im</strong> Futur I: durch die<br />

Abschwächung des intervokalischen b zu v waren Formen wie cantabit (Futur) und cantavit<br />

(Perfekt) nicht mehr unterscheidbar. Anstelle des alten Futurs sagte man daher <strong>im</strong> Vulgärlateinischen<br />

cantare habet, was ursprünglich eine deontische Form war („er hat zu singen“, „er<br />

soll singen“). Daraus wurde das französische Futur, das aus dem Infinitiv + dem Präsensstamm<br />

von avoir gebildet wird, also hier: il chanter+a → il chantera.<br />

Das Perfekt konnte vulgärlateinisch mit cantatum habeo analytisch umschrieben werden;<br />

daraus wurde das französische Passé composé: j’ai chanté. Das klassische synthetische Perfekt<br />

lebt aber <strong>im</strong> geschriebenen Französisch als Passé s<strong>im</strong>ple weiter, das besonders <strong>im</strong> Plural<br />

die lateinischen Perfektendungen noch gut erkennen lässt; vgl. cantav<strong>im</strong>us → nous chantâmes;<br />

cantavistis → vous chantâtes; cantaverunt → ils chantèrent.<br />

Auch das synthetische Passiv des lateinischen Präsensstammes ist vollständig verschwunden,<br />

da die analytische Umschreibung offenbar kommunikative Vorteile bot. 35 So kam es zu folgender<br />

Verschiebung des Formenparadigmas:<br />

Tempus Klassisches Latein Vulgärlateinisch Französisch<br />

Präsens<br />

„ich werde gelobt“<br />

laudor laudatus sum je suis loué<br />

Imperfekt<br />

„ich wurde gelobt“<br />

laudabar laudatus eram j’étais loué<br />

Perfekt<br />

laudatus sum laudatus fui je fus loué (Passé<br />

„ich bin gelobt wor-<br />

s<strong>im</strong>ple)<br />

den“<br />

j’ai été loué (Passé<br />

composé)<br />

Plusquamperfekt laudatus eram laudatus fueram j’eus été loué (Passé<br />

„ich war gelobt wor-<br />

anterieur)<br />

den“<br />

j’avais été loué (Plusque-parfait)<br />

Nach diesem (vulgär-)lateinischen Modell wurde auch <strong>im</strong> Altenglischen eine Passivbildung<br />

eingeführt, die bis heute fortdauert: I am / was / have been / had been praised. Die alternative<br />

34<br />

Die Positivform mauvais kommt nicht direkt von malus, sondern von vulgärlateinisch malifatius „schlechtes<br />

Schicksal bringend“<br />

35<br />

Vgl. Müller-Lancé, Latein für Romanisten, S. 170 (dort auch eine Vorform der nachfolgenden Tabelle).

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