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Das Fantasy Welt Zone Onlinemagzin - FWZ-Edition

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<strong>Das</strong> <strong>Fantasy</strong> <strong>Welt</strong> <strong>Zone</strong> <strong>Onlinemagzin</strong><br />

<strong>Das</strong> Magazin für Buchvorstellungen mit Leseproben, homoerotische Geschichten,<br />

<strong>Fantasy</strong>stories,Märchen, Hörbücher, Kurzgeschichten und Wettbewerbe<br />

Der <strong>Fantasy</strong>-<strong>Welt</strong>-<strong>Zone</strong>-Verlag-goes-to-<br />

Leipziger-Buchmesse<br />

15. bis 18. März 2012 hat der <strong>FWZ</strong>-Verlag seinen<br />

eigenen Stand: H311 ist in der Halle 2 bei der<br />

<strong>Fantasy</strong>insel.<br />

3<br />

Der vierte Autorenschreibwettbewerb des<br />

<strong>Fantasy</strong> -<strong>Welt</strong> -<strong>Zone</strong> -Autoren-Boards<br />

<strong>Das</strong> Thema lautet: Der Wilde Westen<br />

4<br />

Unsere Hörproben auf bokrix<br />

von Autorenlesungen und aus unseren<br />

Taschenbüchern<br />

7<br />

<strong>Das</strong> <strong>FWZ</strong>-Autoren-Board<br />

<strong>Das</strong> <strong>FWZ</strong>-Board und unsere Projekte<br />

8<br />

„Fantastisches“ 3 homoerotische<br />

Kurzgeschichten Unsterblicher Liebreiz<br />

der Nacht, Der Bronzeengel, Der<br />

Wechselbalg<br />

mit Inhaltsangaben und Leseproben<br />

9<br />

Die Legende von Trindad- ein<br />

homoerotischer <strong>Fantasy</strong>roman<br />

mit Inhaltsangabe und Leseprobe<br />

14<br />

Aktualisiert am 09. März 2012<br />

Unser 2. Kurzgeschichten-Wettbewerb mit<br />

seinen Siegergeschichten<br />

Die Taschenbücher „Bruderschaft der<br />

Küste“ und „Pirat der Liebe“<br />

mit Inhaltsangabe und Leseprobe<br />

17/ 18<br />

1<br />

Der Schütze und der Parasit -ein Gay<br />

Mystic Dark <strong>Fantasy</strong>roman<br />

mit Inhaltsangabe und Leseprobe<br />

25<br />

Im Bann der Lilie- ein sinnlicher<br />

romantischer Gay Dark <strong>Fantasy</strong>roman<br />

mit Inhaltsangabe und Leseprobe<br />

32<br />

Die Anderen I- <strong>Das</strong> Dämonenmal -ein<br />

Gay Mystic <strong>Fantasy</strong>roman<br />

mit Inhaltsangabe, Leseprobe und<br />

Merchandise<br />

41<br />

Sommerliebe<br />

eine Anthologie aus acht sinnlichenromantischen,<br />

humorvollen und erotischen<br />

Gay -Love -Storys<br />

51<br />

L eben im Käfig – Gay Romance Roman<br />

mit Inhaltsangabe und Leseprobe<br />

84<br />

Die Anderen II- <strong>Das</strong> Erbe erwacht -ein<br />

Gay Mystic <strong>Fantasy</strong>roman<br />

mit Inhaltsangabe, Leseprobe und<br />

Merchandise<br />

91<br />

Seidendrachen- Ein sinnlicher<br />

romantischer Gay <strong>Fantasy</strong> Romance<br />

Roman<br />

mit Inhaltsangabe und Leseprobe<br />

103


Ballroom Gay Historical Romance<br />

mit Inhaltsangabe und Leseprobe<br />

107<br />

Winterliebe<br />

eine Anthologie aus fünf besonderen<br />

Geschichten rund um gleichgeschlechtliche<br />

Liebe<br />

112<br />

Die Anderen III- <strong>Das</strong> Siegel des Gaap-ein<br />

Gay Mystic <strong>Fantasy</strong>roman<br />

mit Inhaltsangabe und Leseprobe<br />

129<br />

Verdammte Seele<br />

mit Inhaltsangabe und Leseprobe<br />

158<br />

Die Katze und das Projekt Omega<br />

mit Inhaltsangabe und Leseprobe<br />

171<br />

Die Lieder von König und Löwe<br />

mit Inhaltsangabe und Leseprobe<br />

182<br />

Kavaliersdelikt - Liebe ist universell<br />

mit Inhaltsangabe und Leseprobe<br />

189<br />

The Cut 1- Verwirrende Gefühle<br />

mit Inhaltsangabe und Leseprobe<br />

216<br />

<strong>Fantasy</strong>-<strong>Welt</strong>-<strong>Zone</strong>-Autoren-Board-Shop<br />

227<br />

Kontakt und Impressum<br />

228<br />

Die veröffentlichten Texte sind Eigentum der jeweiligen Autoren. Alle Rechte<br />

vorbehalten. <strong>Das</strong> Kopieren, die Reproduktion, die Veränderung, der Weitervertrieb und<br />

die Veröffentlichungen (gleich in welcher Form) sind ohne vorherige schriftliche<br />

Genehmigung des jeweiligen Rechteinhabers urheberrechtlich untersagt. Coverfotos<br />

erworben bei fotolia.com Die Anderen I-II-III ,Seidendrachen und Ballroom Illustrator<br />

Cover: Mylania Finjon. <strong>Das</strong> Kopieren, die Reproduktion, die Veränderung, der<br />

Weitervertrieb und die Veröffentlichungen (gleich in welcher Form) sind ohne vorherige<br />

schriftliche Genehmigung des jeweiligen Rechteinhabers urheberrechtlich untersagt.<br />

2


Der <strong>Fantasy</strong>-<strong>Welt</strong>-<strong>Zone</strong>-Verlag-goes-to-Leipziger-Buchmesse<br />

Jetzt ist es soweit vom 15. bis 18. März 2012 hat der <strong>FWZ</strong>-Verlag seinen eigenen Stand:<br />

H311 ist in der Halle 2 bei der <strong>Fantasy</strong>insel.<br />

Die Öffnungszeiten der Messe: 10:00 -18:00 Uhr.<br />

Der <strong>FWZ</strong>-Verlag bei Facebook:<br />

http://www.facebook.com/pages/<strong>FWZ</strong>-Verlag/154785227933763<br />

Unsere ersten Lesungen finden am Donnerstag den 15. März im Soziokulturelles<br />

Zentrum "Die VILLA" Lessingstraße 7 statt.<br />

Um 20.30 Uhr Lesung mit Daniel Thorstad aus "Leben im Käfig" von Raik Thorstad.<br />

Um 22.00 Uhr Lesung aus der Romantika Novellenreihe von Carol Grayson liest<br />

Chris P. Rolls aus "Seidendrachen" und "Ballroom".<br />

Wegbeschreibung zur "Die Villa" http://www.villa-leipzig.de/wegbeschreibung_9.html<br />

Unsere Autorenlesungen am Freitag den 16. März:<br />

in der Zeit von 16.30-17.00 liest Chris P. Rolls aus „Die Lieder von König und Löwe“<br />

von Renée Aislinn auf dem Schwarzen Sofa in Halle2 Stand 601.<br />

Gleich darauf ab 17.00 bis 17.30 liest Melzen P. aus "Der Schütze und der Parasit"<br />

ebenfalls auf dem Schwarzen Sofa.<br />

Am Freitagabend ab 20.00 Uhr wird es eine Dark <strong>Fantasy</strong> Night beim<br />

Rosalinde e.V. die translesbischwule Beratungsstelle in Leipzig.<br />

Ein buntes Programm, das zu überaschen weiß, mit dabei sind Die Anderen unsere<br />

Dämonen Saga, Im Bann der Lilie, Der Schütze und der Parasit, Verdammte Seele.<br />

Wegbeschreibung: http://www.rosalinde.de/<br />

Am Samstagabend den 17. März ab 21.00 gibt es die <strong>Fantasy</strong> <strong>Welt</strong> <strong>Zone</strong> Time beim<br />

Rosalinde e.V. lasst Euch von uns überraschen. Vorgestellt werden Fantastisches,<br />

Bruderschaft der Küste, Sommerliebe, Winterliebe, Leben im Käfig,<br />

Die Katze und das Projekt Omega uvm.<br />

Am Sonntag: in der Zeit von 15.00-15.30 liest Stefanie Kestner aus Die<br />

verschwundenen Flügelchen von Katja Max auf dem Schwarzen Sofa in Halle 2 Stand<br />

601.<br />

Weitere Informationen zur Buchmesse:<br />

http://www.facebook.com/pages/<strong>Fantasy</strong>-<strong>Welt</strong>-<strong>Zone</strong>-Verlag-goes-to-Leipziger-<br />

Buchmesse/303836909675053<br />

3


Willkommen zum vierten Autorenschreibwettbewerb des<br />

<strong>Fantasy</strong> -<strong>Welt</strong> -<strong>Zone</strong> -Autoren-Boards!<br />

<strong>Das</strong> Thema lautet „ Wilder Westen“ .<br />

Zu diesem Thema haben wir Bilder von Mylania Finjon zur Verfügung gestellt<br />

bekommen, zu denen Ihr Eurer Fantasie und Kreativität freien Lauf lassen könnt.<br />

Einen Trailer zum Wettbewerb haben wir hier: http://www.youtube.com/watch?v=llJcBrLNDTs<br />

online gestellt.<br />

Es dürfen dieses Mal nur homoerotische Geschichten M/M und F/F eingereicht<br />

werden.<br />

Von und Greenhorns & Revolverhelden, Ladies & Gentlemen, Cowboys/ Cowgirls,<br />

hinzu Schamanen/ Schamaninnen, über Trapper und Siedler - erlaubt sind zudem auch<br />

moderne Geschichten die in der <strong>Welt</strong> der Country und Western Musik spielen.<br />

Wir bitten darum, dass das Wort "Indianer" in Euren Geschichten nicht vorkommt, bitte<br />

wählt stattdessen die Stammeszugehörigkeit Eures Charakters.<br />

Die Geschichten dürfen auch fantastisch sein, aber bitte keine Vampirgeschichten<br />

einsenden!<br />

4


Es dürfen nur unveröffentlichte Geschichten in deutscher Sprache eingesandt werden.<br />

Jeder der das 18. Lebensjahr vollendet hat, kann uns sein selbst verfasstes Werk<br />

einsenden.<br />

Umfang Texte:<br />

Bis zu 65 Seiten Din-A-4, bei Schriftgröße 11, Garamond oder Times New Roman, 50<br />

Zeilen pro Seite.<br />

Explizite Liebesszenen sind erlaubt, sollten den Roman jedoch nicht dominieren. Die<br />

Hauptfiguren des Romans müssen zudem erwachsen sein.<br />

Wir weisen Euch ausdrücklich darauf hin, dass Geschichten, die Gewalt an Kindern<br />

oder unter Kindern beinhalten, ausgeschlossen sind.<br />

Sollten uns Manuskripte mit pädophilen Inhalten zugesandt werden, schalten wir sofort<br />

die Polizei ein!<br />

Ins Detail beschriebene Gewaltakte, seien diese nun physisch oder psychisch, dürfen in<br />

der Geschichte nicht vorkommen!<br />

Bei der Beschreibung des Geschlechtsaktes muss deutlich hervorgehen, dass dieser<br />

einvernehmlich ist. Wir weisen ausdrücklich darauf hin, dass Beschreibungen von<br />

sexuellen Handlungen an oder mit Tieren untersagt sind.<br />

Ebenfalls ist Nekrophilie (sexuelle Handlungen mit einem Toten) untersagt.<br />

Die Ausnahme bilden Science-Fiction - <strong>Fantasy</strong> - Geschichten, in denen Gestaltwandler<br />

(Mensch zu Tier ) vorkommen<br />

Einreichen per E-Mail:<br />

Sendet bitte Eure Kurzromane bzw. Romane per E-Mail an folgende E-Mail-Adresse<br />

diese lautet: <strong>FWZ</strong>-<strong>Edition</strong>@gmx.de<br />

Es werden von Euch folgende Angaben (Pflichtangaben!): benötigt, die Ihr bitte in die<br />

E-Mail schreibt:<br />

- Autorenpseudonym (sofern Ihr ein Pseudonym verwendet)<br />

- E-Mail-Adresse<br />

- Realer Name und Eure vollständige Adresse<br />

- Titel der Geschichte<br />

- Kurze Inhaltsangabe (Klappentext)<br />

5


Bitte wählt eine aussagefähige und spannende Leseprobe von max 10 Din-A-4 Seiten aus<br />

eurem Roman aus. Speichert diese bitte unter Titel-Leseprobe, als PDF-Datei und<br />

schickt uns dieses Dokument zeitgleich mit dem restlichen Romandokument per E-Mail<br />

an: <strong>FWZ</strong>-<strong>Edition</strong>@gmx.de.<br />

Ab Sonntag den 02.September 2012 werden die Geschichten, ohne Autorenangabe, im<br />

<strong>FWZ</strong>-Autoren-Board zur Abstimmung für User und Gäste online gestellt.<br />

http://www.fantasy-welt-zone-board.de<br />

Die Abstimmung läuft dann bis zum 31. Oktober 2012.<br />

Und nun komme ich zu den Preisen:<br />

Die Siegergeschichten 1.-3. Platz werden vom <strong>Fantasy</strong> <strong>Welt</strong> <strong>Zone</strong> Verlag veröffentlicht.<br />

Zudem erhalten die Gewinner einen Autorenvertrag für ihren Roman beim <strong>Fantasy</strong> <strong>Welt</strong><br />

<strong>Zone</strong> Verlag.<br />

http://www.fwz-verlag.de/ oder http://www.fwz-edition.de/<br />

Einsendeschluss ist am Dienstag den 28. August 2012 um 17:00 Uhr!<br />

Weitere Informationen unter:<br />

http://www.fantasy-welt-zone-board.de/thread.php?threadid=1000<br />

Liebe Grüße<br />

<strong>Das</strong> <strong>FWZ</strong>-Autore-Board-Team<br />

6


Unsere Hörproben auf bookrix<br />

Aus aus "Der Bronzeengel"<br />

http://www.bookrix.de/_title-de-nolan-michaela-der-bronzeengel<br />

Aus Sommerliebe:<br />

karo-stein-sommerliebe-erdbeerdaiquiri<br />

http://www.bookrix.de/_title-de-karo-steinsommerliebe-erdbeerdaiquiri<br />

c-flage-sommerliebe-la-florence<br />

http://www.bookrix.de/_title-de-c-flage-sommerliebe-la-florence<br />

gesprochen von Karo Stein<br />

*******<br />

*******<br />

Aus der Reihe Die Anderen:<br />

chris-p-rolls-die-anderen-das-daemonenmal-1<br />

http://www.bookrix.de/_title-de-chris-p-rollsdie-anderen-das-daemonenmal-1<br />

Aus Sommerliebe:<br />

chris-p-rolls-sommerliebe-robertos-angebot<br />

http://www.bookrix.de/_title-de-chris-p-rolls-sommerliebe-robertos-angebot<br />

gesprochen von Chris P. Rolls<br />

*******<br />

Unsere Autorenlesung Lüneburg auf Youtube<br />

Oktober 2011<br />

Lesung aus dem Gay Mystic <strong>Fantasy</strong> Roman<br />

"Die Anderen- <strong>Das</strong> Dämonenmal"<br />

http://www.youtube.com/watch?<br />

v=EO8SX56ncQI&list=UU03jmahuTFusXX4unr3-<br />

TUg&feature=plcp<br />

und<br />

"Sommerliebe- 8 Gay Love Storys" "Robertos<br />

Angebot"<br />

http://www.youtube.com/watch?v=8AmOEmPJBw&list=UU03jmahuTFusXX4unr3-<br />

TUg&feature=plcp<br />

von Chris P. Rolls<br />

7<br />

Unsere Autorenlesung Greifswald<br />

Oktober2011<br />

Aus "Sommerliebe 8 Gay Love Storys"<br />

liest Karo Stein aus ihrer Story<br />

"Erdbeerdaiquiri"<br />

http://www.youtube.com/watch?<br />

v=cpZejngWGnM&list=UU03jmahuTFusXX<br />

4unr3-TUg&feature=plcp


Der <strong>Fantasy</strong>-<strong>Welt</strong>-<strong>Zone</strong>-Kanal auf YouTube<br />

Hier findet ihr zu den einzelnen Taschenbüchern das entsprechende Video :)<br />

http://www.youtube.com/user/Fantas<strong>Welt</strong><strong>Zone</strong>?feature=mhum<br />

<strong>Das</strong> <strong>Fantasy</strong>-<strong>Welt</strong>-<strong>Zone</strong>-Autoren-Board<br />

http://www.fantasy-welt-zone-board.de<br />

Ich habe das <strong>Fantasy</strong>–<strong>Welt</strong>-<strong>Zone</strong>-Autoren-Board/Treffpunkt für Autoren im Juni 2009<br />

online gestellt. Da die Mitglieder gute Geschichten schrieben, beschloss ich einzelne<br />

davon zu veröffentlichen. Daraus entstanden das <strong>Fantasy</strong> <strong>Welt</strong> <strong>Zone</strong>-Magazin und die<br />

<strong>Fantasy</strong> <strong>Welt</strong> <strong>Zone</strong>-<strong>Edition</strong> diese gehört nun zum <strong>Fantasy</strong> <strong>Welt</strong> <strong>Zone</strong> Verlag.<br />

Mein Bestreben ist es, ist es Autoren eine Chance zu bieten, ihr Werk zu<br />

veröffentlichen.<br />

Wichtig ist mir der Kontakt zu Menschen, die gerne schreiben. Erfahrungsaustausch<br />

und gegenseitiges Unterstützen, wie z.B. Korrekturlesen, liegen mir besonders am<br />

Herzen.<br />

<strong>Das</strong> <strong>Fantasy</strong>–<strong>Welt</strong>-<strong>Zone</strong>-Autoren-Board gewinnt Tag für Tag neue Mitglieder und<br />

ich bemühe mich stets Vorschläge und Anregungen einzelner Mitgliedglieder zur<br />

Gestaltung des Boards, die an mich herangetragen werden in die Tat umzusetzen.<br />

Autoren/innen und solche, die es noch werden möchten, sind herzlich willkommen.<br />

Wer selbst Grafiken erstellt, findet im Forum sicher seinen Platz.<br />

Ich danke allen, die den <strong>Fantasy</strong> <strong>Welt</strong> <strong>Zone</strong> Verlag und die <strong>Fantasy</strong> <strong>Welt</strong> <strong>Zone</strong><br />

<strong>Edition</strong> durch einen Kauf unserer Veröffentlichungen unterstützen. Natürlich möchte<br />

ich nicht versäumen, mich bei den Autorinnen und Autoren zu bedanken, die durch ihr<br />

Vertrauen in mich eine Erweiterung des <strong>FWZ</strong>-Autoren-Board-Programms erst möglich<br />

machen:<br />

Vielen Dank<br />

Michaela Nolan<br />

8


1. Kurzgeschichtenwettbewerb des <strong>Fantasy</strong>-<strong>Welt</strong>-<strong>Zone</strong>-Autoren-Board<br />

Dieser fand im Winter 2009 statt. <strong>Das</strong> Thema lautete: „<strong>Fantasy</strong>geschichten“<br />

Engel, Drachen, Vampire, Dämonen, alles, was <strong>Fantasy</strong>herz begehrt.<br />

Gewonnen hatte:<br />

Yara Nacht, mit ihrer homoerotischen Kurzgeschichte „Unsterblicher Liebreiz der<br />

Nacht“. Auf den weiteren Plätzen folgen mit homoerotischen Geschichten Michaela<br />

Nolan, mit „Der Bronzeengel“, und Roy Francis Ley mit „Der Wechselbalg“.<br />

Leseproben der Siegergeschichten<br />

Unsterblicher Liebreiz der Nacht<br />

von Yara Nacht<br />

Yara Nacht, Michaela Nolan, Roy Francis Ley<br />

Fantatisches ist eine Anthologie aus drei homoerotischen<br />

<strong>Fantasy</strong>geschichten<br />

ISBN: 9783942539005 Preis: € 8,50<br />

Taschenbuchformat: 13,50 x 21,50cm<br />

Weitere Informationen unter:<br />

http://www.fwz-verlag.de<br />

http://www.fwz-edition.de<br />

In einer eiskalten Winternacht rettet der<br />

Schriftsteller Jan Nik einen in einen schwarzen<br />

Umhang gehüllten jungen Mann vor dem<br />

Gefriertod. Jan ist fasziniert von der Schönheit und<br />

der ihm unerklärlichen Anziehungskraft des<br />

Fremden, nichts ahnend, wer der schöne<br />

Unbekannte in Wahrheit ist ...<br />

Es war bereits dunkel, als Jan im Wohnzimmer erwachte. Er musste wohl eingenickt<br />

sein. Mechanisch stand er auf und lief zur breiten Fensterfront hinüber, um in die<br />

Dunkelheit hinauszusehen. Es war eine wunderbare Nacht. Vom Himmel glitzerten<br />

9


unzählige Sterne herab und der Mond warf sein helles Licht auf die weiße Schneedecke,<br />

die in aller Pracht funkelte. Völlig unerwartet entdeckte er etwas Merkwürdiges zwischen<br />

den Bäumen. Irgendetwas lag dort im Schnee und versuchte sich immer wieder<br />

hochzurappeln, was in Jan den Gedanken aufkeimen ließ, dass es sich um einen<br />

Verletzten handeln musste. Bei genauerer Betrachtung dämmerte es ihm: Es war die<br />

Gestalt mit dem bodenlangen schwarzen Umhang, die er neulich am Straßenrand<br />

gesehen hatte. Sogar jetzt hielt die seltsam gekleidete Person seinen Kopf tief in die<br />

Kapuze gehüllt. Ein nachdenklicher Seufzer drang aus seiner Kehle. Er konnte dieses<br />

arme Geschöpf doch unmöglich dort draußen in der Kälte liegen lassen! Noch immer<br />

sah er gebannt in den nahegelegenen Wald hinein, der an sein hinteres Grundstück<br />

grenzte. Ohne weiter darüber nachzudenken, lief er hinter das Haus und zum Waldstück<br />

hinüber. Dabei bekam er die Kälte der Nacht ordentlich zu spüren. Schwerfällig stapfte<br />

er durch den tiefen Schnee und blieb wenige Meter vor der eingehüllten Person<br />

stehen.Jan war kein ängstlicher Mensch und wollte dieser armen Kreatur, die sich nachts<br />

in der Kälte vermutlich nur den Tod geholt hätte, bloß helfen. Seltsamerweise hatte sich<br />

die unbekannte Gestalt zwischenzeitlich im Schnee sitzend umgedreht, um ihm nun den<br />

Rücken zuzuwenden. Vorsichtig machte er ein paar weitere Schritte nach vor.<br />

„Hallo? Kann ich Ihnen helfen?“, fragte er höflich nach, doch er bekam keine<br />

Antwort. Auch wenn Jan keine Angst verspürte, so überlief ihn trotzdem für einen<br />

Moment ein kalter Schauder. Er hatte sich noch nie in so einer unangenehmen Situation<br />

befunden. Warum versteckte die Person sich vor ihm? „Hallo? Verstehen Sie mich?“,<br />

versuchte er es ein weiteres Mal. Doch wieder erntete er nur Schweigen. Die Gestalt<br />

rührte sich keinen Zentimeter; stattdessen wippte sie einfach mit dem Oberkörper voran<br />

in den Schnee hinein. Anscheinend war sie zu erschöpft, um noch sprechen zu können.<br />

Hastig lief Jan zu dem schwarzen Bündel hin und zog ihm die Kapuze vom Kopf, da er<br />

es nicht mochte, wenn jemand sein Gesicht vor ihm verbarg. Durch den hellen<br />

Mondschein war es ihm möglich, in die gequälten Gesichtszüge eines jungen Mannes zu<br />

blicken. Mit weit aufgerissenen Augen und stark geweiteten Pupillen sah er Jan beinahe<br />

flehentlich an, sprach aber kein Wort. Unter seinen Augen zeichneten sich dunkle Ringe<br />

ab und seine Hand, die Jan nun berührte, fühlte sich eisigkalt an. Trotz der<br />

10


unbehaglichen Situation, in der er sich befand, war Jan auf Anhieb fasziniert von der<br />

Schönheit des Fremden. Er hatte rabenschwarzes Haar, wunderschöne braune Augen<br />

und die schwärzesten Wimpern, die er je gesehen hatte. Seinen Mund hielt er leicht<br />

geöffnet und er starrte Jan an, als wollte er ihm dringend etwas mitteilen.<br />

„Warten Sie, ich helfe Ihnen hoch“, sagte er betont und legte den linken Arm des<br />

dunkelhaarigen Schönen um seine Schultern. Widerstandslos ließ er es mit sich<br />

geschehen.<br />

Erst jetzt stellte Jan beklemmend fest, dass es dem Fremden kaum noch möglich<br />

war, sich aufrecht auf den Beinen zu halten. Vermutlich hatte er schon länger nichts<br />

mehr zu sich genommen, dachte er, und schleppte ihn mit sich fort in sein Haus.<br />

„Spannende Story mit klaren, lebhaften Bildern! Macht Lust auf mehr!“<br />

„Handlung und Stil gut. Charaktere und Geschichte gelungen. Wann gibt es<br />

mehr?“<br />

“Sehr schöne Geschichte, ich hoffe du schreibst bald weiter.“<br />

Der Bronzeengel<br />

von Michaela Nolan<br />

(Wettbewerbsbewertungen)<br />

Der Bronzeengel Martin, Graf von Avon,<br />

verbirgt ein tiefes Geheimnis. So wie der<br />

König von England kann auch er es nicht<br />

wagen, sein Innerstes, sein wahres Gesicht zu<br />

zeigen. Doch überrascht wagt der junge<br />

König den ersten Schritt, und so fallen auf<br />

einem Kostümball im wahrsten Sinne des<br />

Wortes die Masken ...<br />

„… Gelangweilt schaute sich Martin um. Die Ballsaison hatte begonnen und seine<br />

Mutter genoss es von Verehrern umschwärmt zu werden.<br />

Nichts hasste er mehr, als diese affektierte, in sich selbst verliebte Gesellschaft.<br />

Seinen Wunsch, auf dem Land bleiben zu dürfen, kam seine Mutter nicht nach. Sie<br />

bestand darauf, dass er mit ins Stadthaus zog und sie über die ganze Ballsaison<br />

begleitete. Ihm blieb auch nichts erspart. Jetzt kam auch noch ein junger, blonder Mann<br />

auf ihn zu. Martin stand auf und mit schnellen Schritten verließ er den Ballsaal in<br />

Richtung des Balkons.<br />

11


Draußen angekommen holte er tief Luft. Er wollte allein sein.<br />

„Warum laufen Sie denn vor mir davon, lieber Graf?“, erklang eine belustigte, sanfte<br />

Stimme und der junge blonde Mann ging auf ihn zu.<br />

„Ich laufe nicht weg, warum sollte ich das tun?“, murmelte Martin.<br />

„Nun denn, lieber Graf, lassen wir es gut sein. Ich möchte Sie bitten, am<br />

Freitagnachmittag um 16:00 Uhr in den Regentenpalast zu kommen“, sagte der Mann<br />

und lächelte ihn verschmitzt an. Jetzt erst erkannte Martin ihn. Erst wurde er blass, dann<br />

rötete sich seine Gesichtsfarbe.<br />

„Eure Majestät, Sire, ich bitte um Vergebung!“, stammelte Martin.<br />

„Lassen Sie es gut sein, lieber Graf. Ich weiß, wie nervig ein Ball sein kann.<br />

Kommen Sie meiner Bitte nach, mein Lieber?“, sprach der junge König und blickte<br />

ihn fragend an. „Ich werde kommen, Sire", antwortete Martin und fragte sich, was so<br />

wichtig war, dass der König ihn sprechen wollte.<br />

„Ich freue mich, Graf Avon, dass Sie meiner Einladung folgen. Bitte richten Sie<br />

Ihrer Frau Mama die herzlichsten Grüße von mir aus“, sagte dieser darauf fröhlich und<br />

mit einem strahlenden Gesicht verabschiedete er sich. Verdutzt schaute Martin dem<br />

König nach. Er verstand die <strong>Welt</strong> nicht mehr. Was zum Teufel ging hier vor? Wie hatte<br />

er die Aufmerksamkeit des Königs erregt? Er musste vorsichtig sein, niemand durfte<br />

hinter sein Geheimnis kommen?“<br />

„Originelle und überraschende Geschichte. Viel Fantasie und Leichtigkeit.“<br />

“Uns hat es Spaß gemacht deine Geschichte zu lesen, würden uns über eine<br />

Fortsetzung freuen.“<br />

(Wettbewerbsbewertung)<br />

Der Wechselbalg<br />

von Roy Francis Ley<br />

Durch zahlreiche Wirrungen wächst Leandro als<br />

jüngster Sohn eines Schmieds und dessen Frau auf,<br />

die noch vor seiner Geburt sein Leben einem<br />

Dämon versprachen. Verraten, gedemütigt und<br />

missverstanden fügt sich der junge Mann und kehrt<br />

mit dem Unsterblichen mit in dessen Reich. Doch<br />

dort erwartet ihn sein vorherbestimmtes Schicksal.<br />

Nicht nur, dass er der Sohn des Lichtalbenkönigs<br />

sein soll, nein, auch der Feuerdämon löst in ihm<br />

Gefühle aus, die so nicht vorhersehbar waren …<br />

12


„Mylady!“, flüsterte eine männliche, tiefe, aber auch schneidende Stimme. „Ich<br />

komme, um meinen Lohn für meine vergangenen Dienste abzuholen! Doch Euer Mann<br />

weigert sich, den Jungen herauszugeben.“<br />

Die Frau zog erneut schmerzhaft die Luft ein, bevor sie all ihren Mut<br />

zusammennahm und einen Schritt auf den fremden Mann zumachte.<br />

„Lord, ich weiß, wir sind Euch zu Dank verpflichtet, aber raubt mir nicht meinen<br />

jüngsten Sohn! Ich bitte Euch, fordert, was Ihr wollt, aber nehmt mir nicht eines meiner<br />

Kinder!“, sprach die Frau, während ihre Hände immer wieder nervös über ihre<br />

schmutzige, alte Schürze strichen. Der Fremde starrte für einen Moment erschrocken<br />

auf die Frau und fast erschien es ihr, dass ihre Worte an seinem Herz gerüttelt hatten,<br />

doch schon im nächsten Moment verdunkelte sich sein Gesichtsausdruck wieder und der<br />

Mann trat einen Schritt auf die Schmiedsfrau zu.<br />

„Ihr verweigert mir meinen Lohn?“, sprach er kalt und scharf.<br />

„Nein, Sir, verlangt, was Ihr wollt, aber nehmt nicht meinen Sohn!“, wiederholte die<br />

Frau mit zittriger Stimme.<br />

Der Fremde lachte empfindungslos auf, bevor er näher an die Frau herantrat, die<br />

ängstlich einen Schritt zurückwich.<br />

„Ihr wagt es, Euch zu weigern?“, keifte der dunkle Krieger und ballte seine Hände<br />

herausfordernd zu Fäusten. „Nach all dem, was ich für Euch tat?“<br />

Hastig sprang der Schmied vor seine Frau und versuchte sie zu schützen, doch der<br />

Mann schob ihn achtlos zur Seite und der Schmied fiel zu Boden. Sein ältester Sohn<br />

wollte seinem Vater zur Hilfe eilen, doch der Fremde warf ihm einen warnenden Blick<br />

zu, der ihn innehalten ließ. Die Frau schrie auf, während sie ihre Augen ängstlich auf<br />

den Fremden richtete, als sich im nächsten Moment hinter ihr die Tür zum Haus<br />

öffnete. Leandro lief an die Seite seiner Mutter, hob das Schwert seines Vaters gegen die<br />

Brust des dunklen Kriegers und sah den Mann herausfordernd an.<br />

„Nehmt Eure Hände von meiner Familie!“, zischte der junge Mann, ohne sein<br />

Gegenüber aus den Augen zu lassen…“<br />

13


„Sehr gut und genau geschrieben. Man kann sich gut "reinversetzen" und es<br />

sich vorstellen.“<br />

„Gefällt mir sehr gut. Schöne Geschichte. Fließend geschrieben.<br />

„Wirklich super. Hat mir Spaß gemacht, deine Geschichte zu lesen!“<br />

Gay Mythology & Legends<br />

Die Legende von Trindad- ein<br />

homoerotischer <strong>Fantasy</strong>roman<br />

von Roy Francis Ley<br />

Titelfotos Die Legende von Trindad:<br />

Hintergrund: versailles © Sarah Dusautoir -<br />

Fotolia.com<br />

Trindad Model: Young male model© Andrei<br />

vishnyakov - Fotolia.com<br />

(Wettbewerbsbewertung)<br />

***<br />

Die Legende von Trindad<br />

Ein uralter, böser Fluch lastet auf Azral, der<br />

ihn seit Tausenden von Jahren an sein Reich<br />

bindet. Einzig die wahre Liebe kann ihn<br />

erlösen. Doch daran glaubt der Gott nicht.<br />

Dennoch führt man ihm immer wieder einen<br />

jungen Mann zu, jedoch nicht, um ihn zu<br />

erlösen, sondern um ihn zu quälen. Denn rund<br />

um ihn bauen andere Götter böse<br />

Machenschaften auf, Azral immer wieder in die<br />

Knie zwingend. Bis eines Tages León in<br />

Trindad auftaucht. Azral ist hin- und<br />

hergerissen zwischen der Erkenntnis der<br />

Wahrheit und den Gefühlen, die ihm jeden<br />

Funken der Realität nehmen, sobald der junge<br />

Mann in seiner Nähe ist. Doch León umgeben<br />

Geheimnisse. Nicht nur, dass er eine Lichtalbe<br />

ist, nein, er verfolgt ganz andere Interessen ...<br />

ISBN: 978-3942539012 Preis: € 19,95<br />

Broschiert: 284 Seiten<br />

Weitere Informationen unter:<br />

http://www.fwz-verlag.de<br />

http://www.fwz-edition.de<br />

„Es ist eine alte Macht, die Sie nicht zu fürchten brauchen. Sie hat nichts mit Ihnen<br />

zu tun. Sie wird Ihnen nicht schaden, Master León!“, sagte Jeeves wissend.<br />

„Nein?“, antwortete León erneut, ahnend, dass der unsichtbare Energieball sehr<br />

wohl Macht auf ihn ausüben konnte.<br />

14


Himmel, sogar die Flammen des Feuers hatten ihre Arme nach ihm ausgestreckt, als<br />

er vor wenigen Minuten mit dem Kleiderschrank gespielt hatte. Hier war eine Macht am<br />

Werk, die er nicht kannte, und, was noch viel schlimmer war, die ihn nicht mochte. Es<br />

schien, als würde sie ihm schaden wollen, obwohl er vermutlich gar nichts gegen sie<br />

ausrichten konnte.<br />

Verwirrt richtete sich León wieder auf und trat einen Schritt in den Raum, während<br />

seine Augen suchend über die obere Galerie glitten.<br />

Jeeves erkannte die Furcht in den Augen des Jungen, hatte das Entsetzen gesehen,<br />

als er eine unbekannte Kraft fühlte, die seit Tausenden von Jahren auf jeder einzelnen<br />

Person des Schlosses lastete.<br />

Warum zogen die Götter den Sterblichen in den alten Kampf hinein? Warum ließen<br />

sie nicht ihre Finger von dem jungen Mann?<br />

Jeeves wusste es nicht, und beinahe hätte er der Versuchung erlegen, die<br />

schmerzhaften Gedanken zu vergessen, als ihm ein Einfall kam. Wehrte sich der<br />

Götterfluch gegen den Jungen, weil er vermutlich eine Gefahr für ihn darstellte? Sah die<br />

unsichtbare Macht womöglich den Erlöser des Fluchs in dem Fremden?<br />

Hoffnung keimte in Jeeves auf, und die Euphorie, die ihn gepackt hatte, als der Lord<br />

den Unbekannten mit nach Hause brachte, erreichte ihn wieder.<br />

Konnte es wahr sein? Sahen die Götter tatsächlich mehr in dem Burschen? Ließen<br />

sie ihm deshalb ihre Macht spüren?<br />

Jeeves lächelte zufrieden, bevor er sich wieder dem Jüngling zuwandte, der in der<br />

Kleidung des Lords steckte.<br />

Gütiger Gott, er hoffte nur, dass er dafür die Erlaubnis hatte! Ansonsten würde er<br />

den Zorn des Herrn schnell auf sich ziehen.<br />

Hastig schüttelte Jeeves seine Gedanken ab und trat an den jungen Mann heran.<br />

„Es ist nichts, Master León, nichts, das Sie beunruhigen sollte!“, sprach Jeeves und<br />

erkannte selbst die Lüge in seinen Worten.<br />

León musterte den Butler skeptisch. Irgendetwas verschwieg der Mann und, Teufel,<br />

allen Erklärungsversuchen zum Trotz, die unsichtbare Macht in diesem Haus<br />

beunruhigte ihn sehr wohl. Etwas zerrte an seinen Kräften. Wenn es der Meister war<br />

15


und er die Spielregeln brach, die man vereinbart hatte, dann würde León vor Gericht<br />

gehen und den Fall aufrollen. Der Lehrmeister brauchte nicht zu glauben, dass er seinen<br />

Kopf in den Sand steckte, sobald ihm Ärger drohte.<br />

Prüfend sah sich León erneut um, blickte auf die Unordnung vor sich, bevor er zu<br />

dem Haufen von Büchern in der Ecke trat und ein Exemplar ergriff. Eisige Kälte<br />

erfasste im selben Moment seinen Körper, wirbelte um ihn und berührte seine Haut. Es<br />

schien, als würde eine unsichtbare Macht unter seine Kleider gleiten und seine Haut<br />

versengen.<br />

León ließ das Buch fallen, drehte sich verwirrt im Kreis und sah sich um, während er<br />

die drängenden Blicke der Menschen auf sich spürte. Erneut nahm er den kühlen<br />

Luftzug wahr, und panisch glitten seine Augen über den weitläufigen Saal, während sich<br />

seine wiedergewonnen Kräfte automatisch auf die Suche machten und stumm die<br />

Ursache der Frostigkeit erforschten. Eisige Kälte durchfuhr im selben Moment Leóns<br />

Glieder, und sein Körper erschauderte. Dann verschwand die unsichtbare Macht so<br />

schnell, wie sie aufgetaucht war.<br />

Panisch blickte León sich um.<br />

Gott, dieser Ort machte ihm Angst, genauso stark wie der Wald, durch den er<br />

gerannt war!<br />

Wald? Verwirrt schloss León die Augen. Bruchstücke seiner Vergangenheit tauchten<br />

vor seinem geistigen Auge auf, und León fröstelte, als er erkannte, dass seine Erinnerung<br />

langsam zurückkehrte. Er sah den dunklen, mysteriösen Wald vor sich, fühlte den<br />

Schmerz und die Panik, als er durch die Dunkelheit gelaufen war, dennoch verstand er<br />

die Ursache seiner Qualen nicht. Verwirrt öffnete er wieder die Augen, spürte die<br />

beobachtenden Blicke der Menschen, doch da war noch etwas anderes. Etwas Neues,<br />

etwas Fremdes, das seine Augen auf ihn gerichtet hatte und nun schmerzhaft seine helle<br />

Haut versengte. Hektisch fuhr León herum. In der dunklen Ecke hinter ihm stand<br />

jemand, er fühlte es ganz genau!<br />

Stumm schärften sich Leóns Sinne, während sich seine Augen zu schmalen Schlitzen<br />

formten, um angestrengt in die Dunkelheit zu blicken.<br />

„Wer ist da?“ flüsterte León aufgebracht, ohne den Blick von der Finsternis zu<br />

16


nehmen.<br />

Ein lautes Zischen ertönte in der Ecke, und León glaubte einen dunklen Schatten<br />

wahrzunehmen, kurz bevor eine große, dunkle Gestalt hervortrat und nur wenige Meter<br />

vor León stehen blieb.<br />

Der 2. Kurzgeschichtenwettbewerb des <strong>Fantasy</strong>-<strong>Welt</strong>-<strong>Zone</strong> -Autoren- Board<br />

***<br />

Der 2. Kurzgeschichtenwettbewerb des <strong>FWZ</strong>-Autoren-Boards fand im Sommer 2010<br />

statt.<br />

<strong>Das</strong> Thema lautete:<br />

„Räuber und Piraten spannende Abenteuer stürmische Liebesaffären“<br />

Die Siegergeschichten und die Autorinnen sind:<br />

Gewonnen hat Chris Rolls mit „Bruderschaft der Küste“ und Maren Frank, mit<br />

„Pirat der Liebe“<br />

17


Bruderschaft der Küste von Chris P. Rolls<br />

Leseprobe<br />

Bruderschaft der Küste<br />

Simon Lord of Fenderwick, wird als Geisel an<br />

Bord eines Piratenschiffs gefangen gehalten.<br />

Bei einem Überfall der Piraten, auf ein<br />

Handelsschiff, begegnet er dem Dieb und<br />

Halunken Miguel. Dieser zeigt ein deutliches<br />

Interesse an Simon, welches ihn zunächst<br />

verwirrt ...<br />

Der starken Anziehungskraft des heißblütigen<br />

Spaniers kann Simon jedoch nichts<br />

entgegensetzen. Auch der Pirat Jean Baptiste<br />

Ledoux will ebenfalls Simon für sich gewinnen.<br />

So gerät er zwischen die Fronten, der um ihn<br />

kämpfenden Männer. Die sich nicht zum ersten<br />

Mal um ihre Beute streiten.<br />

ISBN: 978-3942539043 Preis: € 9,95<br />

Broschiert: 104 Seiten<br />

Taschenbuchformat: 13,50 x 21,50cm<br />

Weitere Informationen unter:<br />

http://www.fwz-verlag.de<br />

http://www.fwz-edition.de<br />

Ein großes Dankeschön an alle die es möglich<br />

gemacht haben: Bruderschaft der Küste<br />

2. Auflage! Überarbeitet und mit zwei<br />

schönen Grafiken als Wasserzeichen<br />

Simons Augen folgten unwillkürlich einem dünner werdenden Rinnsal über die<br />

Brust, durch die schwarzen Haare, hinunter zum Bauchnabel. Völlig fasziniert<br />

beobachtete er, wie es entlang der Linie dunkler Haare langsam im Bund der braunen<br />

Hose verschwand. Sein Atem beschleunigte sich plötzlich, ebenso wie sein Herzschlag.<br />

In seinem Unterleib begann es, zu ziehen. Was zum Teufel war nur mit ihm los? Er<br />

18


wollte sich einfach abwenden, stattdessen hing sein Blick wie hypnotisiert an dieser Linie<br />

aus schwarzen Haaren, in der die Wassertropfen glitzerten.<br />

„Ich kenne ihn schon sehr lange“, bemerkte Miguel wie aus weiter Ferne. „Er ist<br />

wirklich gut.“<br />

Simon hörte ihn, vermochte jedoch nicht, den Blick abzuwenden. Miguels deutlich<br />

sichtbare Muskeln am Bauch hoben und senkten sich, während er weiter sprach:<br />

„Sanft, zärtlich, leidenschaftlich. Er weiß, wie man einen anderen Mann verwöhnt.“<br />

Miguels Stimme bekam einen leichten, beinahe sehnsüchtigen Tonfall. „Wir hatten schon<br />

viele heiße, gemeinsame Nächte. Liebe war es nie, nur Verlangen und Lust.“<br />

Miguels Bauchmuskeln spielten faszinierend unter der dunklen Haut und Simon<br />

nahm nur am Rande wahr, was er gerade gesagt hatte. Miguels Hose saß etwas zu tief,<br />

gerade eben auf der Hüfte. Wenn sie nur um wenige Zentimeter tiefer rutschen würde,<br />

könnte man den Ansatz seiner schwarzen Schamhaare sehen, fuhr es Simon jäh durch<br />

den Kopf. Schlagartig zuckte er zusammen und registrierte erst etwas verspätet Miguels<br />

Worte. Hitze stieg ihm ins Gesicht und verwirrt blickte er auf. „Ihr seid doch beide<br />

Männer?“, brachte er hastig hervor, nur es gelang es ihm nicht, den empörten Ton zu<br />

treffen, den er eigentlich beabsichtigt hatte. Zu spät bemerkte Simon, dass es eher wie<br />

eine verschämte Frage klang, und biss sich auf die Lippe.<br />

„Ja, aber natürlich!“, grinste ihn Miguel an und er wirkte belustigt. Er beugte sich ein<br />

wenig vor und maß Simon mit einem tiefen Blick aus seinen schwarzen Augen.<br />

„Worauf du wetten kannst!“, bestätigter er leise. Seine Hände glitten über seine<br />

feuchte Brust an seine Hose und er hakte die Daumen lässig in den Bund ein, schob sie<br />

damit ein wenig weiter hinunter. Simon sog erschrocken die Luft ein, als sein Blick die<br />

ersten dunklen Haare erfasste.<br />

„Mit jeder Faser, mein Lord. Mit wirklich allem was so dazugehört“, erklärte Miguel<br />

lauernd und leckte sich dabei lasziv über die Lippen. Simon wollte angewidert zurück-<br />

weichen, seine Beine wollten ihm jedoch nicht mehr gehorchen. Offenbar hatte ihn der<br />

Kampf mehr Kraft gekostet als gedacht. Denn auch seine Knie fühlten sich plötzlich<br />

recht weich an. Beinahe hatte er das Gefühl, Halt suchend nach Miguels Schulter greifen<br />

zu müssen, beherrschte sich, den anderen Mann nicht anzufassen, egal, wie sehr es ihn<br />

19


gerade danach verlangte.<br />

„<strong>Das</strong> ist ... widernatürlich“, würgte er mühsam hervor, hob den Blick entschlossen<br />

von Miguels Brust und Bauch zu dessen Gesicht.<br />

In Miguels Augen war keine Spur von Spott zu erkennen. Ernst und beinahe traurig<br />

schaute er ihn an. Erneut hatte Simon das hilflose Gefühl, in den seltsamen Bann dieser<br />

schwarzen Augen gezogen zu werden. Er bemerkte kaum, wie Miguels Hand zögernd<br />

hoch kam, sich sanft auf seine Schulter legte, von dort langsam höher wanderte und<br />

betörend warm in seinem Nacken liegen blieb.<br />

„<strong>Das</strong> sagst du nur“, hauchte Miguels dunkle, sinnliche Stimme neben ihm wie ein<br />

Flüstern, wie ein magisches Versprechen im Wind, „weil du noch nie von solch<br />

verbotenen Früchten kosten durftest.“<br />

Simon erstarrte und war völlig unfähig, sich zu rühren. Die zärtliche Berührung<br />

sandte warme Schauder durch seinen Körper. Miguels Augen hielten ihn gefangen,<br />

zogen ihn in ihren schwarzen Abgrund und er versank in ihnen.<br />

„Hast du je den süßen Nektar reiner Lust probieren dürfen, Simon?“, raunte die<br />

lockende Stimme aus dieser Tiefe, erklang um ihn, in ihm. Ihm wurde extrem warm.<br />

Dichter zog die Stimme ihn an den Abgrund heran, lockte ihn weiter und weiter.<br />

„Weißt du, wie es ist, dich völlig, mit allen Sinnen und voll Vertrauen, einem Mann<br />

hinzugeben?“, vernahm er Miguels verführerische Stimme. „Weißt du, wie es sich<br />

anfühlt, erhitzt, von Sinnen vor Wollust, die Körper aneinander zu reiben, sich<br />

gegenseitig Lust zu geben und zu empfangen?“<br />

Miguels Hand kraulte zart durch Simons feine Härchen im Nacken, strich sanft über<br />

die erhitzte Haut an seinem Hals und Schlüsselbein, verursachte winzige, lustvolle<br />

Schauer. Bewegungsunfähig unterlag Simon dem nahezu hypnotischen Klang der<br />

dunklen Stimme, fühlte, wie sein Körper reagierte, sich dichter an den Spanier drängte,<br />

seine Worte, wie puren, wundervollen Wein in sich aufnahmen. Er war gefangen in dem<br />

Moment, unfähig zu denken, zu handeln. Alles war nur noch voll Begehren. Er wollte<br />

nur noch fühlen!<br />

„Ich könnte es dich lehren ...“, versprach diese sanfte, verführerische Stimme dichter<br />

an seinem Ohr. „Dir zeigen, was du alles fühlen kannst. Dir beibringen, den höchsten<br />

20


Reichtum dieser <strong>Welt</strong> zu kosten. Ich kann dir alles geben!“<br />

Oh la la ... da möchte ich doch am liebsten gleich weiterlesen! Eindrucksvoller<br />

Stil, z.B. die Beschreibung wie Simon die Wassertropfen auf Miguels Körper<br />

betrachtet ... das läßt sofort Bilder im meinem Kopf entstehen! So sollen<br />

Geschichten sein.<br />

Mann sollte sie anfangen zu lesen und nicht mehr aus der Hand legen wollen.<br />

Spannende Handlung. Gute Ausarbeitung. Erotisch mit dem gewissen Kitzel.<br />

Macht Lust auf mehr!<br />

Der Text produziert umgehend perfektes Kopfkino. Die Charaktere versprechen<br />

abseits der üblichen Klischees (wilder Pirat... sanfte Dame seines Herzens) zu<br />

liegen und ich will umgehend wissen, was vorher passiert ist und wie es<br />

weitergeht. Ausserdem kommt dieser Miguel schon nach den wenigen<br />

Beschreibungen äusserst lecker rüber... Was will man mehr?<br />

(Wettbewerbsbewertung)<br />

***<br />

21


Pirat der Liebe von Maren Frank<br />

Leseprobe<br />

Der Piratenkapitän Lucian Whitecomb<br />

rettet die junge Engländerin Abigail vor<br />

dem sicheren Tod. An Bord seines Schiffes<br />

gewährt er ihr Schutz vor den anderen<br />

Piraten. Doch Abigail ist sich nicht sicher,<br />

ob sie dem großen gutaussehenden Mann<br />

wirklich trauen kann. Lucian redet wie ein<br />

englischer Gentleman, aber er ist ein Pirat.<br />

Welches Geheimnis verbirgt er?<br />

ISBN: 978-3942539036 Preis: € 8,95<br />

Broschiert: 92 Seiten<br />

Taschenbuchformat: 13,50 x21,50cm<br />

Weitere Informationen unter:<br />

http://www.fwz-verlag.de<br />

http://www.fwz-edition.de<br />

Für Abigail blieb der Kapitän ein Rätsel. Er verhielt sich ihr gegenüber nach wie vor<br />

wie ein echter Gentleman, aber es bestand kein Zweifel daran, dass er ein Piratenschiff<br />

befehligte. Und seine Mannschaft ... Ihr schauderte schon allein bei dem Gedanken an<br />

die lüsternen Blicke der Männer.<br />

Seit fünf Tagen befand sie sich nun an Bord der Sea Shark. Da bloß ab und zu eine<br />

sanfte Brise wehte, kam das Schiff seinem Zielhafen nur sehr langsam näher. Lucian<br />

äußerte sich ihr gegenüber nicht dazu, aber Abigail spürte die Anspannung an Bord.<br />

Obwohl sie kaum aus der Kapitänskajüte herauskam, bemerkte sie doch, dass eine<br />

bedrückte Stimmung herrschte.<br />

Lucian hatte ihr Bücher gegeben, sodass sie sich die Zeit mit Lesen vertreiben<br />

konnte. Aber eine wirkliche Ablenkung stellte es nicht dar.<br />

Durch das Fenster konnte sie den Sonnenuntergang sehen. Sie wandte den Kopf, als<br />

sie das Klappern der Tür hörte. Doch statt Rick, der tagsüber immer wieder in der<br />

Kabine erschien, aufräumte und dabei auch manchmal mit ihr sprach, war es Lucian, der<br />

22


nun eintrat.<br />

Sie straffte ihre Gestalt.<br />

"Ich habe etwas für dich." Er trat zu ihr und holte ein Döschen hervor. "Bleib, still<br />

stehen und halte den Mund."<br />

Abwehrend hob sie die Hand. "Was hast du vor?" Skeptisch beobachtete sie, wie er<br />

das Döschen öffnete. Eine dicklich aussehende goldene Masse befand sich darin.<br />

"<strong>Das</strong> ist Honigsalbe", erklärte Lucian. "Jacob hat sie mir gegeben. Er behandelt<br />

damit Wunden und sagte, sie würde auch deinen Lippen gut tun."<br />

Unwillkürlich presste Abby ihre immer noch aufgesprungenen Lippen zusammen.<br />

Lucian nahm etwas von der Salbe auf seinen Zeigefinger und begann sie<br />

aufzutragen. "Mach den Mund so, als wolltest du mich küssen", wies er sie mit leiser<br />

Stimme an.<br />

Ein Schauer überlief Abigail bei seinen Worten. <strong>Das</strong> Gefühl verstärkte sich, als sie<br />

die Lippen spitzte und Lucians Zeigefinger die Honigmischung darauf verteilte. Sanft<br />

massierte er die Salbe auf den wunden Stellen ein.<br />

"Besser?", fragte er. Noch immer hielt er seinen Daumen unter ihrem Kinn und die<br />

Finger lagen leicht an ihrer Wange auf. "Es spannt nicht mehr so. Richte Jacob bitte<br />

meinen Dank aus." Sein Blick fing ihren ein. Wieder streichelte er über ihre Unterlippe.<br />

Obwohl die Berührung so harmlos war, prickelte alles in Abigail. So etwas hatte sie nie<br />

zuvor gefühlt.<br />

Und sie wollte es auch nicht fühlen! Dieser große Mann mit den unergründlichen<br />

braunen Augen war ein Pirat. Sie wollte sich nicht zu ihm hingezogen fühlen.<br />

Außerdem war sie verlobt mit Elliot Bleedstone.<br />

Nein. <strong>Das</strong> war sie nicht länger. Ohne zu zögern, hatte sie den Ring, den er ihr hatte<br />

zukommen lassen, abgenommen und Lucian gegeben. Aber nur, weil ihr keine andere<br />

Wahl blieb, rechtfertigte sie sich im Stillen. Denn irgendwie musste sie ihre Überfahrt<br />

schließlich bezahlen. Und ein Ring war weitaus leichter zu ersetzen als ihre Tugend.<br />

Mit äußerster Konzentration riss sie den Blick von Lucians Augen los und wandte<br />

sich ab. Es gab nur wenig für sie zu tun, die meiste Zeit des Tages verbrachte sie damit,<br />

23


aus dem Fenster zu starren, so dass sie insgeheim sehr froh war, wenn Lucian ihr<br />

Gesellschaft leistete und mit ihr Schach spielte. Doch in den vergangenen zwei Tagen<br />

hatte sie ihn meist erst abends zu Gesicht bekommen.<br />

Durch die Flaute wurde die Mannschaft zum Nichtstun verdammt, was unweigerlich<br />

Streit förderte.<br />

Ihr Blick blieb an Lucians linker Schläfe hängen. Ein Kratzer zeigte sich dort,<br />

außerdem war der Wangenknochen leicht angeschwollen. "Was hast du da?" Sie streckte<br />

die Hand aus, um ihn knapp darunter zu berühren.<br />

Er zuckte zusammen. "<strong>Das</strong> ist nicht der Rede wert. Nur eine kleine<br />

Meinungsverschiedenheit."<br />

Von den Meinungsverschiedenheiten, die sie kannte, bekam man keine solchen<br />

Blessuren. Entschlossen nahm sie ihm das Döschen mit der Honigsalbe ab, tauchte ihre<br />

Finger hinein und rieb etwas davon auf Lucians Wangenknochen und den Kratzer.<br />

Er lächelte. "Du verschwendest die gute Salbe. <strong>Das</strong> heilt von ganz alleine." Doch er<br />

ließ sie gewähren.<br />

Vorsichtig verteilte sie die Salbe auf seiner Wange und dem Kratzer. Dann strich sie<br />

mit den Fingern etwas tiefer, seine Wange hinab bis zum Kinn. Wie sie es vermutet<br />

hatte, kitzelten die nachwachsenden Bartstoppeln leicht auf ihrer Haut. <strong>Das</strong> löste erneut<br />

ein Prickeln in ihr aus.<br />

Rasch zog sie die Hand zurück, doch das Kribbeln an ihren Fingern blieb, lief tiefer<br />

und sammelte sich in ihrem Schoß.<br />

Ruhig blieb Lucian stehen und sah sie nur an. Doch das allein genügte schon, ihr<br />

Herz in einen schnelleren Rhythmus zu treiben.<br />

An Stil, Wortwahl und dem Drumherum ist sicher nichts zu meckern. Die Heldin<br />

wirkt für meinen Geschmack zu naiv, aber das soll sie ja auch sein, genauso wie<br />

der Held zu heldenhaft ist, doch auch das gehört ja zum Genre.<br />

Es soll eine Liebesgeschichte sein, da gibts keinen Platz für tragische Konflikte.<br />

Darum freue ich mich darüber, dass wenigstens der Humor nicht zu kurz<br />

24


kommt. Sehr routiniert geschrieben und – ja, obwohl es nur das Vorspiel ist, es<br />

prickelt.<br />

Der Text ist amüsant, die Erotik stimmt und alles zusammen macht Lust auf<br />

mehr.<br />

Die Geschichte ist wunderbar erotisch - von Kitsch keine Spur zu entdecken.<br />

Der Schreibstil ist klar und flüssig - es macht großen Spaß den Text zu lesen.<br />

Der Schütze und der Parasit<br />

von Melzen P.<br />

Ein außergewöhnlicher Roman, der<br />

seinen Leser in den Bann ziehen wird.<br />

So etwas hat es in dieser Form noch<br />

nicht gegeben.<br />

(Wettbewerbsbewertung)<br />

*************<br />

Der Schütze und der Parasit<br />

In den französischen Wäldern des 14.<br />

Jahrhunderts lässt der Vicomte von<br />

Saintuolft ein Geschwisterpärchen als<br />

Spielgefährten für seinen vereinsamten Sohn<br />

zu seinem Anwesen bringen. <strong>Das</strong> soll den<br />

Jungen, einen leidenschaftlichen<br />

Bogenschützen, unterhalten und von der<br />

Trauer um seine kürzlich verstorbene Mutter<br />

ablenken. Doch der Sohn des Adeligen lässt<br />

sich etwas zu weit mit einem seiner neuen<br />

Gefährten ein und muss bald für das ihm<br />

anvertraute Geheimnis der Fremden<br />

bluten…<br />

25<br />

ISBN: 978-3942539029 Preis: € 8,95<br />

Broschiert: 96 Seiten<br />

Taschenbuchformat: 13,50 x 21,50cm<br />

Weitere Informationen unter:<br />

http://www.fwz-verlag.de<br />

http://www.fwz-edition.de


Leseprobe<br />

„Was, sie ist tot?“, rief der Vicomte ungläubig, als ihm seine Dienerschaft von dem<br />

entsetzlichen Leichenfund in den Stallungen berichtete.<br />

Onkel Jacques saß mit weit aufgerissenen Augen neben ihm und schlug die Hände<br />

über seinen Kopf zusammen. Seine Geschichte schien sich bewahrheitet zu haben.<br />

„Ruft die Kinder! Sie müssen es schleunigst erfahren“, befahl der alte Mann,<br />

während er dem Vicomte tröstend über dessen Rücken strich.<br />

„Mein liebster Nepos, ich wünsche inniglich, dass hier nicht wirklich Zeitenwandler<br />

ihr Unwesen treiben. Ja, ich hoffe sogar, dass nur ich Gespenster seh’, dass ich nicht dem<br />

Wahnsinn verfallen bin“, seufzte er.<br />

„Ach, Onkel Jacques“, erwiderte der Vicomte. „Mein Verstand ist zu keiner Logik<br />

mehr fähig. Ich habe Angst um meinen Sohn und um Danielle und Jules. Ich wäre nicht<br />

imstande, ihren Tod zu ertragen.“ In diesem Moment betraten die drei den Wohnsaal, in<br />

dem sich der Vicomte und Onkel Jacques befanden. Ihre entspannten, erfreuten und,<br />

ebenso neugierigen Gesichter verrieten ihre Unwissenheit und erweckten den Neid der<br />

älteren Männer, die sich nach selbiger Unkenntnis sehnten. „Warum habt Ihr nach uns<br />

rufen lassen“, fragte Dominique. „Wir hatten gerade einen so schönen Schmetterling<br />

beobachtet. Er trug überaus auffällige Augenflecken zur Schau.“<br />

Onkel Jacques hatte seinen Mund schon zur Erklärung geöffnet, als der Vicomte<br />

ihm mit einem leichten Nicken zu verstehen gab, dass er selbst für Aufklärung sorgen<br />

wolle.„Mein Sohn, Jules und du Danielle, kommt doch näher und setzt euch.“<br />

Sie taten, was er ihnen gebot.<br />

„Es ist etwas überaus Abscheuliches geschehen“, fuhr der Vicomte fort.<br />

„Herrscht deshalb diese Aufregung unter den Dienstboten?“, erkundigte sich Jules.<br />

„Ja, so ist es. Ich weiß nicht, wie ich es ausdrücken soll. Aber unser Stallmädchen<br />

wurde heute tot neben ihrem Melkplatz gefunden.“<br />

Es war nur Verwirrung in ihren Augen zu lesen. Keiner sprach ein Wort.<br />

„Mein Sohn“, sprach der Vicomte weiter. „Ich weiß, wie stark du bist und dass du<br />

auch den Tod deiner Mutter, meiner gütigen Frau, verkraftet hast. Jedoch verhält es sich<br />

26


hier anders … es handelt sich um kein natürliches Scheiden von dieser <strong>Welt</strong> … vielmehr<br />

ist es … Jacques, nun hilf mir doch.“Der alte Mann begann, weil er überrascht in das<br />

Gespräch hineingezogen worden war, seine ersten Worte mit ähnlichem Gestammel.<br />

„Durchaus … es war nichts Natürliches … es war wohl eher … Mord. Ich meine, ein<br />

gewaltsamer Akt ließ das Mädchen von uns scheiden. Genauer gesagt, trug dieser Akt<br />

die gleichen Anzeichen wie die kürzlich von uns besprochenen Tiermorde. Sie wurde<br />

ausgeweidet.“<br />

„Ihr fehlen die Leber und das linke Auge?“, schrie Dominique entsetzt.<br />

„So ist es, mein Sohn“, mischte sich der Vicomte wieder ein. „Und deshalb ordne ich<br />

nun an, dass ihr euch nur noch im Inneren dieses Hauses aufhaltet oder in nächster<br />

Nähe davon, das heißt, ihr dürft euch draußen nur in der Parkanlage bewegen und das<br />

auch nur, wenn ihr mindestens zu zweit seit.“ „Keine Jagd“, murmelte Dominique.<br />

Doch es klang nicht wie ein Widerspruch, sondern vielmehr wie ein ernst gemeintes<br />

Bedauern.<br />

Der Jüngling hatte seine Schwester die ganze Zeit über fragend angesehen. Sie,<br />

seinen Blick nur zaghaft erwidernd, durchbrach ihre ansonsten so vordergründig tiefe<br />

Kühle für ein aufmunterndes Lächeln, dass sie ihm zuwarf.<br />

„Onkel Jacques“, begann Dominique nach einer kurzen Weile. „Ich bitte Sie, mir<br />

meine vielleicht ungehörige Unverfrorenheit zu verzeihen. Doch brennt mir eine Frage<br />

auf der Zunge.“„Junge, sprich! Deine Frage kann nur vor dem heute tödlichen<br />

Geschehen verblassen. Nütze also die Umstände“, erwiderte der alte Mann mit einem<br />

traurigen Lächeln.<br />

„Verzeihen Sie mir. Haben Sie Angst?“, fragte Dominique und schämte sich, vor<br />

Jules eine derartige Erkundigung einholen zu wollen. „Ich meine, fürchten Sie sich in<br />

Anbetracht der Umstände?“<br />

Onkel Jacques konnte sich wieder ein leichtes Lächeln abgewinnen, sprach dann<br />

jedoch mit ernstestem Ton:<br />

„Ängstigst du dich denn, Junge?“ Dominique sah kurz zu Jules hinüber, der seinen<br />

Blick fast abwesend erwiderte. Dem Schützen kam es so vor, als zöge ihn die Schwärze<br />

der Pupillen in eine unentrinnbare Tiefe. Jedoch fühlte er darin Wärme, Geborgenheit<br />

27


und diesen Hauch von Liebe, der nur von zierlich, weißen Händen, die sich liebevoll um<br />

seine Wangen legten, ausging. Er schämte sich, Onkel Jacques in Jules Anwesenheit zu<br />

antworten, weshalb ihm auch die Schamesröte über sein braunes Gesicht lief und er<br />

verlegen zu Boden sah.<br />

„Nun, Junge, ängstigt du dich?“, fragte Onkel Jacques abermals. „Ja“, antworte<br />

Dominique leise. „<strong>Das</strong> tue ich.“ Er traute sich, bei seinen Worten nicht aufzusehen.<br />

Jedoch war ihm, als streichelte jemand seine Hand. Doch da war niemand.<br />

„Du musst dich deshalb nicht genieren“, erwiderte der alte Mann. „Ich gebe hiermit<br />

in aller Öffentlichkeit zu, dass ich dieses Gefühl augenblicklich ebenso stark empfinde.<br />

Dies sei nicht zu unserer Schande, Junge! Habe ich nicht Recht, Nepos?“<br />

„Gewiss, gewiss“, sagte der Vicomte geschwind. „Gewöhnt euch jedoch diese<br />

Gefühlslage nicht an. Sie ist grundsätzlicher Männlichkeit abträglich. Ich konnte dies an<br />

einem alten Freund beobachten. Man sah es nicht gern, wenn er sich unter Tische<br />

verkroch.<br />

Da machte sich immer ein Schwall von Entsetzten breit.“<br />

„Mit aller Ehrerbietung, Vater“, mischte sich Dominique ein. „Ich glaube nicht, dass<br />

Ihr damaliger Freund unter den Tischen Schutz gesucht hat.“<br />

„Was sollte er dort sonst suchen? Die Häppchen, die ihm aus dem Mund gefallen<br />

waren?“, fragte der Vicomte etwas missmutig.<br />

„Die Gemahlin unseres Pferdekutschers, wenn ich mich recht erinnere“, antwortete<br />

der Schütze. „Unser Kutscher ist vermählt?“, rief der Vicomte fast. „Ich hatte seine<br />

Gattin noch nie wahrgenommen.“<br />

„<strong>Das</strong>s liegt sicher an ihrer Vorliebe, sich unter den Möbeln aufzuhalten“, sagte Onkel<br />

Jacques. „Doch was spielt es schon für eine Rolle, was irgendwelche Weiber von<br />

Pferdekutschern zu tun pflegen, wenn am heutigen Tage ein Stallmädchen aufs<br />

Schändlichste getötet wurde?“<br />

„Verzeiht mir, Onkel Jacques“, bat der Vicomte. „Mein momentanes Empfinden<br />

lässt mir kaum mehr einen klaren Gedanken. Ich wollte nur betonen, dass wir uns in<br />

unserem Benehmen weniger der Angst, als vielmehr der Tapferkeit zuwenden sollten.“<br />

„Ich glaube“, begann Danielle plötzlich und alle Augen richteten sich auf das<br />

28


Mädchen mit dem dunklen, gelockten Haar und den schwarzen Augen. „<strong>Das</strong>s Furcht,<br />

das herrlichste aller menschlicher Gefühle ist. Ist sie nicht auch das einzige, dass wir zu<br />

riechen imstande sind?“ Dabei blähten sich ihre kleinen Nüstern. Ihre sonst kaum<br />

sichtbaren, sommersprossigen Nasenflügel schwollen dabei zu beträchtlicher Größe<br />

heran wie die Lippen eines sich nach seinem Liebsten sehnenden Knaben, die bei dessen<br />

Erscheinen in ihrer Lust und Begierde wuchsen. „Ist sie es nicht auch, die uns<br />

Zurückhaltung üben lässt, die uns Schutz gibt, ja die uns in ihrer fast schmerzlich<br />

erdrückenden, inneren Erregung vor Feindlichem bewahrt?“ Ihre Worte klangen fast<br />

mitfühlend. Jules hatte ihr seine zierlichen Hände auf die ihren gelegt und streichelte<br />

zärtlich über ihre langen, dünnen Finger. Dominique beobachtete die Berührungen des<br />

Jünglings, sehnte sich nach ihnen und wollte sie auf seiner Haut spüren. „Wir müssen in<br />

diesem Falle keine Einigung finden“, erklärte Onkel Jacques. „Gefühle sind Gefühle und<br />

Meinungen zu ihnen immer persönlicher Natur.“<br />

„<strong>Das</strong> sehe ich in gleicher Weise“, entgegnete der Vicomte und warf Danielle ein<br />

freundliches Lächeln zu.<br />

„Was ist nun zu tun?“, wollte Dominique wissen. „Ich meine, in welcher Weise sollen<br />

wir dem Geschehenem entgegentreten?“ „Wir sollten Ruhe bewahren, damit wir die<br />

Angelegenheit richtig bewerten können“, erwiderte Onkel Jacques und bemerkte bei<br />

seinen Worten Dominiques gequältes Gesicht, das nach Taten zu lechzen schien, das<br />

Genugtuung forderte und das erkennen ließ, wie sehr ihn die Nutzlosigkeit seines<br />

Tatendrangs quälte. „Handeln kann uns hier, unter diesen nebulösen, undurchsichtigen<br />

Umständen nicht von Hilfe sein, Junge.“ „Um Gottes Willen, nichts was einer Handlung<br />

bedarf“, stöhnte der Vicomte. „Ich war schon zu Genüge beschäftigt, meine<br />

tränenreiche Trauer in mitnehmendes Mitgefühl umzuwandeln. Noch solch einen<br />

Tausch würde ich nicht verkraften.“„Du hast nichts dergleichen zu befürchten, Nepos“,<br />

tröstete ihn Onkel Jacques.„Jules, was ist mit dir?“, rief der Vicomte plötzlich und starrte<br />

auf den Jüngling, dessen Gesicht im Übermaß von Schweißperlen benetzt war.<br />

„Ich … ich …“, ächzte Jules unter enormer Anstrengung. „Mir ist …ah“<br />

Er fiel fast von seinem Stuhl. Danielle bekam ihn noch an einem Arm zu fassen und<br />

Dominique hielt kniend den Rest von Jules Leib in seinen Armen. Der Brustkorb des<br />

29


Jünglings weitete sich in unregelmäßigen, kräftigen Stößen. Dominique drückte ihn an<br />

sich und spürte dabei das dunkle Haar über seine Haut streichen.<br />

„Mein Sohn, bring ihn sofort in sein Gemach und kümmere dich um ihn“, sagte<br />

Dominiques Vater aufgeregt, während er die erschrockene Danielle in seinen zitternden<br />

Armen hielt und ihr über den Kopf strich. „<strong>Das</strong>s dieser Junge nur von solchen<br />

Schwächeanfällen geplagt ist!“<br />

„Ja, es ist bedauerlich“, sagte Onkel Jacques seufzend und klopfte Dominique, der<br />

gerade Jules auf seinen Händen trug und in Richtung der Tür schritt, auf die Schulter.<br />

„Komm, Kind, trink etwas“, forderte der Vicomte Danielle auf und hielt ihr einen<br />

Becher Branntwein unter die kleine, sommersprossige Nase. Sie nahm es dankend an<br />

und blickte dabei ihrem Bruder und seinem Schützen nachdenklich hinterher.<br />

„Sei nicht traurig! Du weißt selbst, wie schnell sich dein Bruder immer erholt hat“,<br />

versuchte der Vicomte sie zu beruhigen und gab ihr einen Kuss auf die kühle Stirn.<br />

„Ich liebe ihn so sehr“, sagte Danielle leise, so als spräche sie nur zu sich selbst.<br />

„Deshalb muss ich meine Sorge um ihn genießen, damit ich meine Gefühle zu ihm auch<br />

nicht vergesse.“<br />

In des Jünglings Gemach legte ihn Dominique sanft auf dessen Bett und streifte ihm<br />

die knielange Fußbekleidung von den dünnen Waden und schmalen Füßen.<br />

„Es wird alles wieder gut“, redete er ihm zu, während er Jules die dunklen, feuchten<br />

Haarsträhnen aus der nassen Stirn strich. „Ich bin da.“<br />

Der Jüngling öffnete langsam seine Augenlider und bewegte seine roten, übervollen<br />

Lippen, so als wollte er etwas von sich geben.<br />

„Schhh“, zischte Dominique und legte seinen Daumen auf Jules Lippen. „Du darfst<br />

dich nicht überanstrengen.“<br />

Als er die Zartheit von Jules weichem, cremigem Mund auf seinem Finger spürte,<br />

folgte er langsam dessen Konturen, fuhr über den ausgeprägten, wulstigen Amorbogen<br />

dieser herrlich, frisch-seidigen, Röte und beugte sich schließlich zu ihnen hinunter. Er<br />

öffnete seinen eigenen Mund etwas und schloss die Oberlippe des Jünglings in einem<br />

sanften Biss in seine dünnen Lippen ein. Da merkte er, wie sich die dunkelrote Wulst, die<br />

er immer mehr mit leichten, knabbernden Küssen umwarb, unter ihm ausdehnte und in<br />

30


ihrer Lüsternheit anschwellend sein Umgarnen in saugend-saftigen,lustvoll-leckenden<br />

Liebkosungen erwiderte. Diese übervolle Fleischlichkeit schien ihn fast zu verschlingen,<br />

zog ihn mehr und mehr in ihren weichen Ruhepol und ließ ihn darin fast ersticken. Die<br />

Erregung, die Dominique dabei verspürte, war für ihn kaum auszuhalten. Als er<br />

Erleichterung und Luft suchend seine Lippen von denen Jules' löste, sah er in die<br />

großen, blauen Augen, die ihn lächelnd anblickten. Der Jüngling strich Dominique über<br />

das braune Gesicht, das blonde Haar und den muskulösen Nacken, dessen Nerven vor<br />

Erregung pochten.<br />

„Ich habe nie etwas so geliebt wie dich“, sagte Dominique plötzlich und hielt Jules<br />

kleinen, blassen Schädel dabei in seinen großen Händen. „Nie jemanden so gewollt.“<br />

***<br />

31


Im Bann der Lilie<br />

Sammelband Teil 1-3<br />

Ist ein sinnlicher romantischer Dark<br />

<strong>Fantasy</strong>roman dieser wurde zu den<br />

schönsten Vampirgeschichten gewählt und<br />

kam unter die<br />

Top 5 der Newcomer Romane!<br />

ISBN: 978-3942539074 Preis: € 16,95<br />

Broschiert: 192 Seiten<br />

Taschenbuchformat:17,00 x 22,00 cm<br />

Weitere Informationen unter:<br />

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Im Bann der Lilie<br />

Im Bann der Lilie (Teil 1)<br />

Ein Auftragskiller der ganz besonderen Art sucht<br />

Paris im ausgehenden 18. Jahrhundert heim...<br />

Als adeliger und verhasster Bastard geboren wird der<br />

junge Marcel Saint-Jacques nach einem Mordanschlag<br />

durch den verführerischen und geheimnisvollen<br />

Marquis de Montespan zum Vampir gewandelt. Die<br />

Wirren der französischen Revolution trennen Meister<br />

und Schüler; jeder geht seinen eigenen Weg und ist<br />

doch auf der Suche nach dem anderen und dem<br />

eigenen Schicksal, das gerade für den jungen Marcel<br />

eine ganz besondere Berufung bereithält..<br />

.<br />

Im Bann der Lilie (Teil 2)<br />

<strong>Das</strong> Schicksal führt Erschaffer und Geschöpf wie<br />

Treibholz zu- aber auch wieder auseinander. Kurz vor<br />

der Seeschlacht von Abukir kommt alles anders: Der<br />

Schiffsjunge Silvio erobert das Herz des Chevaliers<br />

Saint-Jacques. Doch der Marquis trachtet dem<br />

neuen Freund des Chevaliersnach dem Leben. Der<br />

englische Geheimdienst hilft ihm dabei. Werden die<br />

beiden jungen Männer rechtzeitig entkommen<br />

können?<br />

Im Bann der Lilie (Teil 3)<br />

Chevalier Marcel Saint-Jacques und sein neuer<br />

Gefährte Silvio sind auf der Flucht vor dem Marquis<br />

Julien de Montespan, der mit Hilfe des englischen<br />

Geheimdienstes versucht hatte, Silvio zu ermorden.<br />

Marcel machte ihn kurz vor dessen Ableben zum<br />

Vampir, und beide Männer kehren zurück nach<br />

Frankreich, wo Marcel das Gestüt seines Vaters<br />

wieder aufbauen möchte. Doch der Chevalier hat<br />

Silvio noch nicht vollständig in einen Redempteur<br />

wandeln können und sucht nun nach Juliens letztem<br />

Geheimnis - dem Geheimnis der Lilienringe, den alle<br />

"Erlöser" tragen. Der Marquis will seinerseits Marcel<br />

zurückgewinnen und läßt Silvio in Le Havre auf ein<br />

Schiff in die Kolonien entführen.Währenddessen<br />

kommt es zwischen Julien und Marcel zu einem<br />

sinnlich-gefährlichen Showdown.<br />

32


Leseprobe aus Band 1<br />

Bereits am Vortage des Maskenballs waren viele der hohen Gäste angereist.<br />

Versailles platzte fast aus den Nähten vor lauter Menschen, Viele von ihnen hielten sich<br />

geziert ihre Taschentücher vor die Nasen, denn Wasser und Seife wurde – wenn<br />

überhaupt – nur selten angewandt. Dafür tauchte man lieber in edle Duftwässerchen.<br />

Ganze Wolken von Parfüm schwebten so durch die Gänge des Schlosses, etwas, das dem<br />

Marquis wie auch dem Chevalier Saint-Jacques zuwider war. Dessen Mutter hatte ihn<br />

bereits als Kind regelmäßig in den Badezuber gesteckt. Weit mehr bewunderte Marcel<br />

die prächtige Ausstattung des Herrensitzes und die Deckenmalereien.<br />

Die Diener der Aristokraten mussten auf dem nackten Boden in der Küche oder in<br />

den Stallungen schlafen. Kaum ein Raum, der nicht belegt war. Marcel und der Marquis<br />

trafen am frühen Morgen des Festes ein. Für sie war ebenfalls eines der Gemächer<br />

vorgesehen, in dessen Mitte ein riesiges Himmelbett platziert war. Aus Platzmangel<br />

würden sie sich Zimmer wie auch Bett teilen müssen. Ein Aspekt, der den Neigungen<br />

des Marquis durchaus entgegen kam. Dieser hatte ebenfalls einen Diener aus seinem<br />

Schloss mitgebracht, der sich um ihrer beider Wohlergehen sorgte, das Gepäck auslud<br />

und die Kostüme für den Abend herrichtete. Marcel würde als Gott Apoll daher<br />

kommen, während der Marquis sich für den Höllenfürsten persönlich entschieden hatte.<br />

Die goldbestickte, ansonsten aber weiße griechische Tunika bildete einen hübschen<br />

Kontrast zu der leicht gebräunten Haut des jungen Saint-Jacques. Dazu trug er eine<br />

goldene Augenmaske, die nur die untere Gesichtspartie mit dem sensiblen Mund frei<br />

ließ. <strong>Das</strong> leicht gewellte, schwarze Haar fiel offen auf die Schultern. Eine prächtige<br />

Spange schmückte die Tunika auf der rechten Schulter. <strong>Das</strong> Tuch verlief unter der<br />

linken Achsel und ließ die linke Schulter frei. Ein breiter Oberarmreif war der Schmuck<br />

auf dieser Seite. Ein goldener Gürtel betonte die Taille, über die das Tuch locker drüber<br />

fiel. <strong>Das</strong> ganze endete in rockartigen Falten auf Kniehöhe. Ebenfalls goldene<br />

Schnürstiefel rundeten das Bild ab. Der Marquis war dagegen ganz in schwarz<br />

schimmerndes Tuch gekleidet, mit einem roten Umhang und einer ebenfalls roten<br />

Teufelsmaske. Nur seine markante Frisur mit den dunklen Strähnen im silbergrauen<br />

33


Haar würde ihn verraten, wenn man ihn persönlich kannte. Eine rote Schleife hielt das<br />

lange Haar hinten zusammen. Alle hatten sich in kostbare Kostüme gekleidet und<br />

repräsentierten die Geschöpfe der Mythologie ebenso wie historische Figuren. Nachdem<br />

der König seine Gäste, welche alle einzeln vom Marshall angekündigt wurden, begrüßt<br />

hatte – was allein drei Stunden in Anspruch nahm – eröffnete er den Ball. <strong>Das</strong><br />

mehrköpfige Orchester spielte zum Tanz auf und der Champagner floss in Strömen.<br />

Der Marquis hielt sich lieber etwas abseits von dem Trubel und plauderte mit dem einen<br />

oder anderen der Gäste auf der Empore, von wo aus man den darunter liegenden<br />

Tanzsaal im Auge behalten konnte. Madame de Montespan – nun wieder rank und<br />

schlank – trat zu ihm in einem übertrieben jugendlichen Kostüm eines<br />

Blumenmädchens. Ihr künstlicher Leberfleck hatte nun die Form eines Herzens<br />

angenommen.<br />

„Ich danke Euch für Eure Unterstützung, Marquis. Meine Konkurrentin hat den<br />

Hof verlassen, da der Arzt ihr dringend zu einer Luftveränderung riet. Der König ist mir<br />

wieder wohl gesonnen, was vielleicht auch an Eurem kleinen Rezept für einen<br />

Liebestrank liegt.“ Sie kicherte leise.<br />

Der Marquis verbeugte sich.<br />

„Ich bin entzückt, Euch so wohlbehalten und fröhlich wieder zu sehen. Meine<br />

herzlichsten Glückwünsche zur Geburt Eurer kleinen Tochter.“<br />

Es folgten noch einige belanglose Höflichkeitsfloskeln. Die Geräuschkulisse in den<br />

hohen Räumen bestand aus einer Mischung aus Musik, Gesprächsfetzen und dem leisen<br />

Klirren von Kristallgläsern. Obwohl ihn immer wieder der ein oder andere Gast in eine<br />

Unterhaltung verwickelte, ließ Julien seinen Schützling nicht aus den Augen, der sich<br />

unten im Saal prächtig amüsierte. Der Gedanke, Marcel in dieser Nacht bei sich zu<br />

haben, ließ wohlige Schauer über seinen Körper rieseln. Er konnte es kaum erwarten,<br />

dass das Fest zu Ende ging.<br />

Der junge Chevalier unten im Tanzsaal wurde geradezu umschwärmt, wobei Julien<br />

bemerkte, dass die hübschen Dekolletés der schäkernden Damen ihn scheinbar wenig<br />

interessierten. Selbst der Sonnenkönig schien an ihm Gefallen zu finden, wandte er sich<br />

doch im Vorübergehen dem Jungen zu. Verkleidet als Göttervater Zeus begrüßte er<br />

34


seinen Standeskollegen aus dem Olymp natürlich mit scherzhaften Worten. Es hätte ein<br />

unbeschwertes, fröhliches Fest werden können, wäre da nicht Elise Saint-Jacques<br />

gewesen. Niemand hatte sie in dem figurbetonten, ägyptischen Kleid und der schwarzen<br />

Perücke bislang erkannt, hielt sie sich doch sonst von solchen Gesellschaften eher fern.<br />

Auch sie trug eine Augenmaske. Nicht, dass es ihr an Verehrern hier gemangelt hätte,<br />

nein, sie war auf der Suche nach einem ganz bestimmten Mann. Immer wieder blickte<br />

sie prüfend in die Menge. Den jungen Apoll erkannte sie sofort als ihren Halbbruder. Es<br />

kostete Elise Mühe, ihr potentielles Opfer zu umschmeicheln wie eines dieser<br />

kichernden Dämchen, die sich hinter ihren Masken und Fächern versteckten. Höfische<br />

Spielereien waren ihr fremd. Aber sie schaffte es, den hübschen Jungen auf einen der<br />

Balkone zu entführen. Die Luft war kühl, doch die Säle waren dermaßen überheizt, dass<br />

die frische Nachtluft den eifrigen Tänzern gut tat. Draußen roch es nach totem Laub.<br />

Für einen Moment waren sie allein, und Elise schlang die Arme um den schlanken<br />

Göttersohn, der seinerseits die Hände in ihre Taille legte. Sie gab vor, einen leichten<br />

Schwips vom Champagner zu haben und schäkerte mit ihm, um ihn abzulenken. Marcel,<br />

selbst ein wenig angeheitert, hatte keine Ahnung, wer ihn da umgarnte. Hinter seinem<br />

Rücken öffnete die Comtesse das verhängnisvolle Schmuckstück an ihrem Finger, drehte<br />

den Ring nach innen und presste den vergifteten Dorn in den Nacken von Marcel Saint-<br />

Jacques. Dieser schrie vor Schreck und Schmerz auf, da hatte Elise ihn schon verlassen.<br />

Er fasste sich an die Stelle zwischen den Schulterblättern, die er jedoch nicht erreichen<br />

konnte. Schon verschwamm die Umgebung vor seinen Augen, und die Beine wollten ihn<br />

nicht mehr tragen. Er sank hilflos zu Boden. Für einen unbeteiligten Zuschauer musste<br />

es aussehen, als würde er seinen Rausch ausschlafen. Von Ferne dröhnten die Musik und<br />

das Gelächter der Gäste in seinen Ohren, wurden zu einem tosenden Rauschen, bis eine<br />

gnädige Ohnmacht seinen Geist einhüllte. Marcel bekam nicht mehr mit, wie starke<br />

Hände ihn hochhoben. Der Marquis war den beiden gefolgt, wurde jedoch doch die<br />

dicht gedrängte Menge aufgehalten, die bereits die Sekunden bis zur Demaskierung<br />

zählte. <strong>Das</strong> mächtige Glockenwerk einer Standuhr im Ballsaal hatte bereits die<br />

Mitternacht eingeläutet.<br />

Er beobachtete von Ferne, was die Unbekannte anrichtete, rief noch laut „Marcel,<br />

35


Attention!“, doch sein Ruf ging in dem Wirrwarr aus Stimmen und dem Stakkato der<br />

Violinen unter.<br />

Unsanft drängte Julien die edlen Damen und Herren beiseite, als er sah, wie sein<br />

Mündel danieder sank und die Ägypterin sich in Richtung Ausgang schlängelte. Um die<br />

Attentäterin konnte er sich jetzt nicht kümmern, doch er wusste, wer unter dieser Maske<br />

steckte! Nun war er gezwungen, zu handeln. Viel früher, als er es eigentlich geplant<br />

hatte.<br />

Den jungen Mann auf den Armen tragend machte der Marquis einen Satz auf die<br />

steinerne Brüstung des Geländers und schwebte sacht wie eine Feder auf den Rasen<br />

nieder. Innerhalb eines Glockenschlages befand er sich mit dem Ohnmächtigen in einem<br />

der hinter kunstvoll geschnittenen Buchsbaumhecken versteckten Pavillons, in die sich<br />

sonst nur die verliebten Pärchen zurückzogen. Hier waren sie unbeobachtet. Hier tat er<br />

das, wonach ihm schon so lange gelüstete. Für einen Sekundenbruchteil waren die<br />

mörderischen Fangzähne in seinem Mund zu sehen, bevor er sie in die zarte Haut des<br />

Halses versenkte. Dabei hielt er den Jungen wie einen kostbaren Schatz in den Armen.<br />

Er trank Marcels Blut in großen Zügen und damit auch das Schlangengift in seinem<br />

Kreislauf, dessen Wirkung nun ins Leere ging. Bevor der letzte Herzschlag verklang,<br />

vollführte er ein ungewöhnliches Ritual. Während des Trinkens leuchtete das Metall des<br />

schweren Siegelrings an seiner rechten Hand rot glühend auf. Aus dem flachen Oval in<br />

der Mitte erhob sich eine stilisierte Lilie. Dieses glühende Siegel presste er dem jungen<br />

Mann in den Nacken, dicht unter dem Haaransatz, wo es unter dem obligatorischem<br />

Zopf verborgen lag. Ein kurzes Zischen. Schon roch es nach verbrannter Haut.<br />

„Unsterblich bist du geboren, und unsterblich sollst du auf Erden wandeln“,<br />

murmelte Julien dabei wie ein kurzes Gebet.<br />

Als er den Ring entfernte, war das Zeichen ganz von selbst erkaltet. Aber er konnte<br />

deutlich hören, wie Marcels Herzschlag wieder kräftiger wurde. Dessen Körper passte<br />

sich in rasender Geschwindigkeit an sein zukünftiges <strong>Das</strong>ein in der Schattenwelt an.<br />

Nach wenigen Minuten schlug der neugeborene dunkle Engel die Augen auf. Schwarze<br />

Augen, die von nun an wesentlich mehr sahen als jeder Mensch. Er starrte den Marquis<br />

an, und in seinen Gedanken liefen die letzten Geschehnisse ab wie ein Bühnenstück.<br />

36


Marcel wusste, dass er tot war und dennoch lebte, bewahrt vor der Vergänglichkeit. Aber<br />

wie konnte das sein?<br />

„Wir müssen uns beeilen, mein Junge. Kommt, wir reisen unverzüglich ab. Es ist<br />

nicht gut, wenn Ihr in diesem Zustand hier in Versailles weilt. Ich werde Euch unterwegs<br />

alles erklären.“<br />

Er half Marcel auf, legte ihm seinen Umhang um die Schultern und geleitete ihn zur<br />

Kutsche. Er befahl seinem Diener, unverzüglich das Gepäck zu holen und die Pferde<br />

anspannen zu lassen. Verwundert ob der plötzlichen Abreise tat der Bedienstete, wie ihm<br />

geheißen wurde. Normalerweise blieben die Gäste des Königs mehrere Tage im Schloss.<br />

Er winkte einem der Lakaien, die in Versailles dienten, und befahl ihm, den König zu<br />

unterrichten, dass sein Mündel von einer plötzlichen Unpässlichkeit befallen worden war<br />

und unverzüglich heimgebracht werden musste. Inzwischen wurden die Rappen<br />

angeschirrt.<br />

Es folgte eine lange Fahrt, bei der die Pferde nicht geschont wurden. Zwei<br />

Tagesreisen dauerte es zurück zum Schloss Montespan, und es wurde nur Rast gemacht,<br />

um den Tieren eine Verschnaufpause zu gönnen. Langsam begriff Marcel, was aus ihm<br />

geworden war. Er hatte mittlerweile wieder normale Reisekleidung angelegt. Seine Sinne<br />

waren unglaublich verstärkt worden. Selbst den rasenden Herzschlag der Pferde konnte<br />

er hören und sogar voneinander unterscheiden. Es war nicht leicht, sich an diese<br />

Fähigkeiten zu gewöhnen und sie zu beherrschen. Sein Kopf dröhnte. Hin und wieder<br />

langte er mit seiner Hand in den Nacken, wo er deutlich das Brandmal von der Größe<br />

eines Daumennagels fühlen konnte. Der Marquis zeigte ihm wortlos den Ring, den er<br />

am Finger trug.<br />

„Die Lilie?“, fragte Marcel fassungslos. „Aber das ist doch das Zeichen der<br />

Verräter!“<br />

Julien lachte bitter auf.<br />

„Unsinn. <strong>Das</strong> ist eine dumme, menschliche Verzerrung unserer alten Riten, mein<br />

junger Freund. Noch bevor Frankreich dieses Symbol als Wappen für sich erwählte –<br />

und ich meine lange bevor –, galt die Lilie als Zeichen der Reinheit und Unsterblichkeit.<br />

Ich selbst bekam dieses Siegel von meinem Erschaffer, und auch Ihr werdet einen Ring<br />

37


von mir erhalten. Er wartet schon auf Euch nach unserer Rückkehr. Haltet ihn in<br />

Ehren.“<br />

„Aber was bedeutet das? Warum habt Ihr mich gebrandmarkt?“<br />

„Ich gebe zu, für unsereins ist dieses Symbol Mahnung und Erlösung zugleich. <strong>Das</strong><br />

Zeichen unserer Verdammnis und unserer Unsterblichkeit. Jedes Mal, wenn Ihr Euren<br />

Durst stillt, wird der Ring an Eurem Finger erglühen, und wenn Ihr wirklich die<br />

Notwendigkeit seht, eine Seele in die Dunkelheit zu ziehen, dann dreht ihn herum und<br />

drückt ihn in das Fleisch des Sterbenden, bevor dieser den letzten Atemzug macht. Er<br />

wird die Vergänglichkeit hinter sich lassen und Euch in unsere <strong>Welt</strong> folgen. Ich gebe zu,<br />

dies wäre niemals zu diesem Zeitpunkt geschehen, wenn Eure Halbschwester Euch nicht<br />

auf dem Ball getäuscht hätte, um Euch auf heimtückische Weise zu töten. Ihr ward dem<br />

Gift einer ägyptischen Kobra ausgesetzt wie einst Kleopatra.“<br />

„Meine Schwester wollte mich ermorden und das nur, weil sie mich hasst und meine<br />

Existenz nicht ertragen kann?“, wiederholte der junge Saint-Jacques ungläubig.<br />

„Und Ihr habt mich zurückgeholt und gleichzeitig verdammt.“<br />

Seine Stimme klang ausdruckslos.<br />

<strong>Das</strong> markante Gesicht des Marquis blickte besorgt. Fürchtete der Junge ihn jetzt?<br />

„Es ist nicht so schlimm, wie Ihr denkt“, versuchte er, Marcel zu besänftigen. „Ihr<br />

müsst nicht töten! Seht, im Schloss gibt es über hundert Diener und genügend Vieh.<br />

Auch das Dorf ist in unmittelbarer Nähe. Nehmt nur ein wenig von allen und Euer<br />

Hunger ist für gut eine Woche gestillt. Ihr habt die Macht, den menschlichen Willen zu<br />

beeinflussen und sogar die Erinnerung an Eure Anwesenheit aus ihren Gedanken zu<br />

löschen. Wenn Ihr all dies ablehnen solltet, so mögt Ihr auch das Blut von Tieren zu<br />

Euch nehmen. Es ist nahrhaft, hält jedoch nicht sehr lange vor!“<br />

Marcels Augen weiteten sich.<br />

„Ich habe Euch in der Vergangenheit niemals bei einer solchen Tat beobachtet“,<br />

wandte er ein.<br />

Julien fühlte sich geschmeichelt.<br />

„Wohlan, ich schleiche mich nachts unbemerkt durch die geheimen Gänge in ihre<br />

Zimmer und in ihre Träume. Dabei achte ich darauf, niemals meine Spuren an einer<br />

38


sichtbaren Stelle ihres Körpers zu hinterlassen. Die Wunde ist so klein, dass man sie für<br />

einen Rattenbiss hält und verhielt binnen weniger Tage. <strong>Das</strong> eine oder andere<br />

Dienstmädchen würde sich mir auch freiwillig hingeben, allerdings nehme ich niemals<br />

Nahrung mit ins Bett.“<br />

Bei dieser Vorstellung musste Marcel unwillkürlich grinsen.<br />

„Danach lösche ich die Erinnerungen aus. Gute Nahrung macht den Blutverlust<br />

rasch vergessen. Wenn jemand fünf Jahre in meinen Diensten war, wird er reich entlohnt<br />

entlassen, und ich stelle neues Personal ein. <strong>Das</strong> ist das ganze Geheimnis. Und im<br />

Übrigen: Wir sind keine Ungeheuer. Viele Menschen schätzen unsere elitären<br />

Eigenschaften.“<br />

Bei diesem letzten Satz musste Marcel an das belauschte Gespräch mit Madame de<br />

Montespan denken. Aber nicht nur das kam ihm in den Sinn. Die Vorstellung, Pascals<br />

Blut zu trinken, gefiel ihm nicht. Der kleine Bretone war für ihn zu einem geschätzten<br />

Begleiter geworden, und er beschloss, ihm keinerlei Leid zuzufügen.<br />

„Was ist mit dem Sonnenlicht?“, fragte er nach.<br />

„Tageslicht schmerzt uns, kann uns sogar blenden, aber es tötet uns nicht. Viele<br />

Dinge sind aus Dummheit falsch überliefert worden oder wurden ganz bewusst falsch<br />

von den Vertretern der Kirche in Umlauf gebracht. Sorgt Euch also nicht, ich werde<br />

Euch mit allen Vorsichtsmaßregeln vertraut machen. Silber, zum Beispiel, kann uns<br />

fesseln. Hütet Euch nur vor zu hohem Blutverlust, alles andere können wir überwinden.<br />

Und natürlich solltet Ihr auch Euren Kopf nicht verlieren!“<br />

Die letzten Worte waren wohl eher sarkastisch gemeint. So schlecht hörte sich das<br />

gar nicht an! „Wie ist das mit dem Pfählen? Ist das auch nur eine Legende?“<br />

Julien seufzte ergeben.<br />

„Leider nicht! Diese Überlieferung entspricht der Wahrheit. Ein Degenstoß in Euer<br />

Herz ist genauso tödlich für Euch wie für einen Menschen. Hütet Euch also vor<br />

Duellen.“<br />

Zunge.<br />

Diese Tatsache gefiel Marcel weit weniger. Eine weitere Frage brannte ihm auf der<br />

„Hättet Ihr mich eigentlich auch gewandelt, wenn Elise nicht dieses Attentat auf<br />

39


dem Maskenball verübt hätte?“<br />

Julien kniff den Mund zusammen. Ja, er hätte es getan, doch sehr viel behutsamer.<br />

Die Kutsche eilte derweil weiter. Sein Schweigen war Marcel Antwort genug.<br />

„Warum ausgerechnet ich?“, wollte er dann wissen.<br />

„Ihr ward der Erste, der mein erkaltetes Herz wieder mit Wärme erfüllte. Euer<br />

Antlitz und Eure Unschuld waren es, die mich damals im Schankhaus magisch<br />

angezogen haben. Vom ersten Augenblick an empfand ich mehr als rein väterliche<br />

Gefühle für Euch.“<br />

<strong>Das</strong> war ein Geständnis, mit dem Marcel nun gar nicht gerechnet hatte.<br />

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Der Auftakt zu einer Romanserie der<br />

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Die Anderen I- <strong>Das</strong> Dämonenmal<br />

Nachdem der junge Student Finn eines Abends<br />

brutal von einem seltsamen Wesen überfallen<br />

wird, gerät seine <strong>Welt</strong> aus den Fugen: gibt es<br />

wirklich Dämonen? Und warum wird<br />

ausgerechnet er nun von einem verfolgt? Bald<br />

schon ist Finn im Zwiespalt - soll er diesen<br />

speziellen Dämon nun fürchten oder ganz im<br />

Gegenteil...<br />

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Broschiert: 184 Seiten<br />

Taschenbuchformat: 17,00 x22,00 cm<br />

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Lieferzeit ca.2 Wochen<br />

Es war eine Nacht, wie man sie sich in den allgemein so beliebten Vampirfilmen<br />

nicht besser wünschen könnte: Der Mond schien nur sporadisch durch die dichten<br />

Wolken, die den obligatorischen Hamburger Regen speicherten. Sein Licht musste sich<br />

durch leichte Nebelschwaden hindurchkämpfen und tauchte somit die sorgfältig<br />

angepflanzten Büsche und Beete des Parks in ein wirkungsvolles, schummriges<br />

41


Grusellicht.<br />

Finn lächelte, als er daran dachte, dass es selbst im modernen Deutschland, in einer<br />

Stadt wie Hamburg, schauerliche Szenarien geben konnte. Sogar unmittelbar neben dem<br />

Campus, wo das Studentenleben eigentlich pulsieren sollte. Nur eben nicht mehr nach 22<br />

Uhr.<br />

Er war auf dem Weg zum Dammtorbahnhof, nach Hause. <strong>Das</strong> letzte Treffen mit<br />

seinen Studienkollegen hatte doch länger gedauert, als er gedacht hätte. Ärgerlich<br />

erinnerte er sich an ihre fast ergebnislose Sitzung zurück. Manchmal wäre es doch<br />

deutlich leichter, Projekte alleine anzugehen. Da die Professoren jedoch öfter auf<br />

Arbeitsgemeinschaften bestanden, musste er sich derzeit mit drei diskussionsfreudigen<br />

Kommilitonen herumschlagen, die es sogar fertigbrachten, ausgiebig übers Datum zu<br />

debattieren. Seufzend zog er seine zu dünne Jacke enger um sich. Der feuchte Nebel<br />

kroch direkt unter seine Kleidung und ließ ihn frösteln, obwohl es eigentlich Sommer<br />

war.<br />

Nun ja, in Hamburg war es eigentlich immer feucht. Entweder regnete es, oder es<br />

war neblig und diesig.<br />

Finn mochte diese Stadt nicht besonders, jedoch hatte er hier einen Studienplatz<br />

bekommen und war froh um diese Chance. Wenn er einige Semester geschafft hatte,<br />

wollte er versuchen, an eine andere Uni zu wechseln. Irgendwo in einer kleinen Stadt,<br />

auf jeden Fall ländlicher, wo er sich wohler fühlen würde.<br />

Er war einfach kein Stadtmensch, war er noch nie gewesen. Die vielen Menschen, das<br />

ständige Gedränge und die überfüllten S-Bahnen verursachten bei ihm mitunter echte<br />

Platzangst. <strong>Das</strong> war nur ein Teil. Der Gestank der Stadt verfolgte ihn, egal wo er war.<br />

Der Geruch von Abgasen, zu vielen Menschen, Urin und Hundekot ebenso wie die ewig<br />

modrig duftenden Grünanlagen, in denen sich der Zivilisationsabfall stapelte, begleiteten<br />

ihn wann immer er zur Uni oder nach Hause in seine kleine Studentenbude fuhr.<br />

Besonders schlimm war es natürlich am Hauptbahnhof, wo sich die meisten der so<br />

zahlreichen gescheiterten Existenzen herumtrieben und dort ihren Müll und ihre<br />

Duftmarken hinterließen. In den großen Einkaufsstraßen war es etwas besser.<br />

Finn schüttelte sich angewidert und beschleunigte seine Schritte durch den Park, um<br />

42


so rasch wie möglich zum Bahnhof zu kommen. Vermutlich würde ihm gleich seine S-<br />

Bahn vor der Nase wegfahren und er musste in der klammen, feuchten Kälte des<br />

zugigen Bahnhofs mindestens zehn Minuten auf die nächste warten. Verflucht, es war<br />

Sommer überall auf der <strong>Welt</strong>, warum nicht hier in Hamburg?<br />

Ein flatterndes, rauschendes Geräusch über ihm riss ihn plötzlich aus seinen wenig<br />

liebevollen Gedanken an diese Stadt. Misstrauisch sah er hoch, konnte jedoch nichts<br />

Verdächtiges entdecken. Gleich darauf war da wieder dieses Geräusch und er glaubte<br />

eine vage Bewegung direkt vor ihm im Schatten der Büsche wahrnehmen zu können.<br />

Sein Weg durch den Park wand sich an dieser Stelle an einem ausladenden Gebüsch<br />

vorbei und natürlich hatten drei der Laternen, die hier sonst alles in ein dumpfes,<br />

orangerotes Licht tauchten, an diesem Abend ihren Geist aufgegeben und der Weg<br />

schien in der Dunkelheit nahezu zu verschwinden.<br />

Na klasse, fluchte Finn innerlich. Erneut erklang dieses eigenartige Geräusch. Finn<br />

schauderte und unwillkürlich lief ihm ein leichter Schauer über den Rücken. Was für ein<br />

perfektes Gruselszenario.<br />

Echt albern, sagte er sich, du bist hier in keinem Horrorfilm, du bist mitten in Hamburg, in<br />

einem der beliebtesten Parks. Wenn sich da vorne ein Hund oder Vogel im Gebüsch bewegt, was ist<br />

daran so ungewöhnlich? Entschlossen ging er weiter, konnte sein Herz aber dennoch nicht<br />

daran hindern, schneller zu schlagen und vorsichtshalber mal ein wenig Adrenalin<br />

auszuschütten. Nur für den Fall, erklärte ihm seine innere Stimme, dass Gruselfilme vielleicht<br />

doch Grundlagen in der Realität haben. Seine Hände wurden prompt weisungsgemäß feucht.<br />

Finn lauschte unwillkürlich genauer, doch alles blieb ruhig, kein verdächtiger Laut war zu<br />

hören. Als er jedoch um die Ecke bog fuhr ihm der Schreck derart in die Glieder, dass<br />

sein Herz tatsächlich einen Schlag lang aussetzte. Vor ihm stand eine dunkle Gestalt auf<br />

dem Weg, von der er bei dem schlechten Licht nur die Silhouette erkennen konnte. Der<br />

hochgewachsene, Fremde stand reglos da, als ob er hier auf ihn gewartet hätte. Der<br />

Gruseleffekt war perfekt, denn er trug tatsächlich einen langen Mantel und der Nebel<br />

waberte effektvoll um ihn herum. Finn konnte nicht umhin, sich - zumindest für einen<br />

kurzen Moment - drehbuchgerecht zu fürchten. Dann erinnerte sein Verstand ihn daran,<br />

dass er sich: Erstens in der Realität, zweitens mitten in Deutschland und nicht in<br />

43


Amerika oder in London befand, wo solche Szenarien irgendwie realistischer erschienen<br />

und er drittens schon zwanzig war und sich nun wirklich nicht mehr vor Vampiren oder<br />

solchen, die sich als so etwas ausgaben, fürchten sollte. Kurzentschlossen würgte er die<br />

innere Stimme ab, die ihm immer noch lautstark zurief, um sein Leben zu rennen, egal<br />

was sein Verstand für Argumente anführte. Er war dennoch so verblüfft, dass er nur ein:<br />

„Scheiße! Du hast mich erschreckt!“, hervorbrachte. Wofür ihn sein Verstand<br />

augenblicklich ärgerlich zurechtwies, denn warum sollte er dem Freak auch noch die<br />

Befriedigung geben, dass sein gruseliger Auftritt erfolgreich war? Zu spät!<br />

Ein leises, merkwürdig raues Lachen erklang.<br />

„Ja, das war der Sinn dabei“, meinte der Fremde mit einer dunklen, sanften, seltsam<br />

klingenden Stimme, die Finn nun aber definitiv einen kalten Schauer über den Rücken<br />

jagte.<br />

Er blinzelte unsicher und versuchte sein Gegenüber genauer auszumachen. Die<br />

Stimme klang durchaus angenehm, wenngleich ihr dunkler, tiefer Klang recht<br />

merkwürdige, widersprüchliche Gefühle in ihm auslöste. Angst war nur eines davon.<br />

Immerhin klingt die Stimme menschlich, bemerkte sein Verstand beruhigend. Vampire<br />

klingen aber auch menschlich, warf seine innere Stimme besorgt ein. Es ist nur ein Freak, der<br />

sich für einen Vampir hält, konterte sein Verstand gelassen und forderte Finn vehement<br />

dazu auf, einfach mutig weiterzugehen. Tief holte er Luft.<br />

„Na klasse, dann wirst du jetzt zufrieden sein. Du hast dein Ziel erreicht. Ich muss<br />

jetzt allerdings weiter“, stieß er verärgert hervor und sah den Fremden herausfordernd<br />

an. Auf seinen Verstand hörend, machte er sich daran sich an ihm vorbeizudrängeln,<br />

jedoch versperrte sein Gegenüber ihm prompt den Weg.<br />

„<strong>Das</strong> glaube ich nicht, dein Weg ist hier und heute zu Ende!“, verkündete die dunkle<br />

Gestalt vor ihm drohend, und Finns innere Stimme wies ihn hastig auf den überaus<br />

gefährlichen und dennoch leicht amüsierten Tonfall hin.<br />

„Was?“, brachte Finn verwirrt hervor, sein Herz begann noch heftiger zu schlagen<br />

und sein Atem beschleunigte sich. Seine innere Stimme erschien ihm plötzlich doch<br />

irgendwie verlässlicher als sein Verstand. Dieser wollte ihn nach wie vor glauben machen,<br />

dass er die drohenden Worte gerade gar nicht gehört oder bestimmt nur falsch<br />

44


verstanden hatte.<br />

„Oh, nein!“, meinte der Fremde tadelnd, gab dabei ein Geräusch von sich, das wie<br />

ein bedauerndes „Tss“, klang.<br />

„<strong>Das</strong> klingt ganz schön dramatisch oder?“, erkundigte er sich und fuhr<br />

nachdenklicher fort:<br />

„Mh, vielleicht sollte ich eher sagen, dass du dir heute besser nichts mehr<br />

vornehmen solltest, kleiner Mensch?“<br />

Trotz des vehementen Protestes seines Verstands veranlasste Finns innere Stimme<br />

einen erneuten warnenden, Schauer, der ihm kalt über den Rücken lief.<br />

„Besser nie mehr“, ergänzte sein Gegenüber deutlich spöttisch und zugleich drohend.<br />

„Hör zu, du kannst dir deine Show echt sparen“, antwortete Finn, bemühte sich dabei<br />

ärgerlich zu klingen, während sein Herz angstvoll hüpfte. Trotzdem fuhr er fort:<br />

„Vampire sind ja gerade absolut angesagt, nur kommst du da besser bei den Teenagern<br />

an als bei mir“, Finn war jetzt ordentlich genervt, das half ein wenig, seine Angst zu<br />

verdrängen.<br />

„Wie kommst du darauf, dass ich ein Vampir bin?“, erkundigte sich der Fremde<br />

lachend und verstärkte die Gänsehaut bei Finn nur noch mehr, denn dieses Lachen hatte<br />

nichts Menschliches an sich, egal was sein Verstand dazu sagte.<br />

„Du bist auf jeden Fall ein Freak, und danke, ich habe genug von deiner tollen<br />

Show“, meinte Finn schnippisch, obwohl seine Stimme selbst für ihn ein wenig zu hell<br />

klang.<br />

„Du fürchtest dich doch nicht etwa vor mir?“, erklang die dunkle Stimme wieder.<br />

Finn verfluchte das schummrige Licht, welches es ihm unmöglich machte, das Gesicht<br />

des Fremden zu erkennen und zu sehen, ob dieser sich nur einen Scherz mit ihm<br />

erlaubte, oder doch nicht. Allmählich kam in Finn Panik hoch.<br />

„Du solltest dich vor mir fürchten, denn Furcht macht euer Fleisch so viel süßer“,<br />

ergänzte der Fremde leise und klang tatsächlich ausgesprochen hungrig. Finn bemerkte<br />

im selben Moment, wie sich die Gestalt auf ihn zubewegte. Gerade als sein Verstand<br />

bemerken wollte, dass Finn ein tapferer Mann sein sollte, der sich nicht so schnell<br />

einschüchtern ließ, schrie seine innere Stimme laut genug auf um jedes vernünftige<br />

45


Argument hinwegzufegen. Dieser seltsame Fremde machte ihm verflucht nochmal<br />

verdammte Angst und egal wie, er würde jetzt zusehen, dass er von hier wegkam.<br />

Finn wandte sich um und rannte los. Ja, scheiß auf jede Anmerkung von dir Verstand,<br />

fluchte er innerlich und lief so schnell er konnte den Weg zurück, den er gekommen war.<br />

Seine Umhängetasche mit den vielen Büchern schlug ihm dabei schwer gegen seinen<br />

Rücken und behinderte ihn auf seiner Flucht. Hinter ihm erklang ein merkwürdiges,<br />

flatterndes Geräusch, das sich beinahe wie Flügelschläge anhörte und im nächsten<br />

Moment stieß er auch schon mit der dunklen Gestalt zusammen, die urplötzlich vor ihm<br />

aufgetaucht war. Kleinlaut verkroch sich sein Verstand, als Finn einen erschrockenen<br />

Schrei ausstieß und vor Furcht erstarrte. Zum Teufel, wie konnte das denn angehen?, fragte er<br />

sich fassungslos. Wo kam denn der auf einmal her?<br />

Bilder von fliegenden Vampiren aus Hollywoodfilmen, die sich so schnell bewegten,<br />

dass das menschliche Auge ihnen nicht folgen konnte, tauchten ungefragt in seinem<br />

Kopf auf. Verdammte Scheiße, wo war er nur hineingeraten? Seine inneren Helfer konnten ihn<br />

jetzt mal kreuzweise, er wollte nur weg von hier, fort von diesem unheimlichen Fremden.<br />

Erneut rannte er los, dieses Mal zurück in Richtung Bahnhof. Er musste nur ins Licht<br />

kommen, weg von diesem unheimlichen Wesen. Alles andere, jede vernünftige<br />

Erklärung, musste warten, bis sein Verstand sich wieder aus seinem Exil hervorgewagt<br />

hatte. Bis dahin regierte sein stark ausgeprägter Selbsterhaltungstrieb. Finn kam jedoch<br />

nicht allzu weit. <strong>Das</strong> Wesen war schnell, sehr schnell sogar und er konnte nicht mehr<br />

stoppen, als es urplötzlich vor ihm auftauchte. Erschrocken keuchte er auf und prallte<br />

unsanft gegen die Brust des Fremden, wobei ihm seine Tasche von der Schulter glitt und<br />

zu Boden fiel. Der Unbekannte jedoch wich bei ihrem harten Zusammenstoß keinen<br />

Zentimeter zurück, packte stattdessen Finn schmerzhaft fest an den Oberarmen und<br />

hob ihn einfach vom Boden hoch. Angst schnürte Finn die Kehle zu, aber immerhin<br />

bekam er den Tipp, von seinem Verstand oder vielleicht doch eher von seiner inneren<br />

Stimme, sich seiner Beine und Füße zu bedienen. Sofort zog er die Knie heftig nach<br />

oben und trat zu. Im Film hätte das vermutlich geklappt und für seinen Gegner einen<br />

sehr schmerzhaften Effekt gehabt. Da funktionierte so etwas immer! Nur in der Realität,<br />

jetzt in diesem Moment, hatte er keinen Erfolg. Sein Gegner, überrascht von seinem<br />

46


Angriff, ließ ihn zwar zu Boden fallen, ehe Finn jedoch auch nur daran denken konnte<br />

zu fliehen, krallte sich dessen linke Hand grausam und hart um seine Kehle und zog ihn<br />

erneut vom Boden hoch in die Luft.<br />

„Netter Versuch, kleiner Mensch!“, erklang erneut diese spöttische, nun eher un-<br />

menschliche Stimme.<br />

Finn zappelte hilflos in der Luft. Verdammt, der Freak, hat viel mehr Kraft, als ich!<br />

Verzweifelt kämpfte er gegen den würgenden Griff an, zerrte mit seinen Händen heftig<br />

an der Hand die seinen Hals umklammerte und ihm die Luft abschnürte. War das<br />

überhaupt eine Hand? Sie war trocken und hart, viel zu fest für menschliche Haut.<br />

Es fühlte sich eher wie eine Klaue an, schrie seine innere Stimme erschrocken auf. Sein<br />

Verstand leugnete mit den trockenen Worten: Ab hier kein Kommentar mehr dazu!, seine<br />

Zuständigkeit. Die dunkle Gestalt zerrte Finn im nächsten Moment einfach mit sich.<br />

Hilflos zappelnd schliffen seine langen Beine über den heiligen Rasen des Parks. Dann<br />

waren plötzlich Bäume um sie herum, und Finn wurde unsanft an einen der Stämme<br />

gepresst. Der Griff lockerte sich nun etwas und er schnappte gierig nach Luft, die sein<br />

wie wild arbeitendes Herz momentan weniger brauchte als sein fast außer Funktion<br />

gesetztes Gehirn. Entsetzt versuchte er in dem Schatten vor sich ein Gesicht<br />

auszumachen, doch es war zu dunkel, um etwas erkennen zu können. Alles was er sehen<br />

konnte, waren zwei rot glühende Punkte vor ihm.<br />

Wort.<br />

Verflucht, das sind seine Augen, seine Augen!, meldete sich seine innere Stimme entsetzt zu<br />

Unmöglich, behauptete sein Verstand bestimmt und ergänzte nochmal fürsorglich: Es<br />

gibt schließlich keine Vampire. Finns Selbsterhaltungstrieb war hingegen geneigt, alles zu<br />

glauben, was ihn aus dieser Situation herausbringen konnte und zwar lebendig!<br />

Verzweifelt kämpfte er gegen den Griff an, der sich immer weiter verstärkte. <strong>Das</strong><br />

dunkle Gesicht, wenn es denn wirklich eines war, kam immer näher auf ihn zu. Gleich<br />

darauf fühlte Finn, wie ihm die Finger des Fremden kratzend, aber dennoch sanft und<br />

spielerisch durchs Haar strichen. Unfähig zu schreien oder irgendeinen anderen Laut<br />

hervorzubringen, erstarrte er. Sein Herz sprengte jeden Rekord im Schnellschlagen und<br />

sein Blut raste, adrenalingetrieben und glühend heiß durch seine Adern.<br />

47


„Du riechst wirklich gut in deiner Angst, süßer, kleiner Mensch“, bemerkte der<br />

Fremde zufrieden. Finn hielt den Atem an. Es klang, als ob der tatsächlich genießerisch<br />

an ihm schnuppern würde.<br />

„Sehr gut sogar. So jung und voller Furcht. Eine wunderbare Mischung“, stellte die<br />

Gestalt befriedigt fest. Sein vermeintliches Gesicht war jetzt ganz nah und Finn<br />

verspürte mit einem Mal einen feinen Lufthauch, der wie warmer Atem über sein<br />

Gesicht strich. Starr vor Furcht und Entsetzten, konnte er seinen Angreifer kaum<br />

erkennen. Schemenhaft erkannte er nur ein Kinn und eine Nasenspitze, der Rest schien<br />

irgendwie in der Dunkelheit zu verschwinden. Lediglich das furchtbare, rote Glühen war<br />

deutlich im Schatten auszumachen. <strong>Das</strong> Äquivalent von Augen schien ihn regelrecht<br />

nachdenklich anzusehen. Verdammt! Kein Hollywoodeffekt konnte so realistisch sein!<br />

Die freie Hand des Fremden strich plötzlich erstaunlich sanft über Finns Gesicht und<br />

verursachte dabei ein kratzendes Geräusch auf seiner Haut. Finn war sich sicher, dass er<br />

seinem Verstand Nachsitzen aufbrummen würde, wenn er dies hier überleben sollte,<br />

denn was ihn da berührte war definitiv keine menschliche Hand. Die Finger fühlten sich<br />

viel zu rau, gar rissig an und waren kalt, erinnerten eher an Reptilienhaut.<br />

Der Fremde schien nun Finns keuchenden Atem einzuatmen, ihn förmlich zu<br />

inhalieren, roch erneut an seiner Haut und wanderte dann schnuppernd tiefer zu Finns,<br />

sich heftig hebender und senkender Brust. Keuchend und mittlerweile schon schwitzend<br />

vor Angst, folgten dessen Augen den glühenden Punkten und der Andeutung eines<br />

Gesichtes vor ihm. Hilflosigkeit überschwemmte ihn kalt, und er bemerkte bestürzt, wie<br />

er haltlos zu zittern begann. Hastig wies er seinen Verstand an, wenigstens dafür zu<br />

sorgen, dass er sich nicht vor Angst in die Hosen machte, allerdings war er sich nicht<br />

sicher, ob dieser ihm überhaupt noch zuhörte.<br />

Der Fremde schnupperte nun abermals an seinem Hals, verharrte dann abrupt.<br />

Gleich darauf berührte etwas sanft Finns Haut. Und, ja, verdammt nochmal, es fühlte sich nach<br />

Lippen und, verflucht, Zähnen an, befand Finn. Soviel zu unrealistischen Hollywoodfilmen!<br />

„So süßes Fleisch, duftend und so jung“, flüsterte der Fremde gierig und lustvoll<br />

zugleich. Entsetzt erlebte Finn, wie ihn eine raue, feuchte Zunge berührte, spielerisch<br />

von seinem Schlüsselbein zu der dünnen Haut an seinem Hals glitt und langsam weiter<br />

48


hinaufwanderte. Finns Atem ging extrem hektisch und flach. Er hatte das Gefühl, gleich<br />

ohnmächtig zu werden oder vielleicht auch nur endlich aufzuwachen aus diesem<br />

verrückten, bösen Traum. Nur für den Fall, dass er eben doch nicht erwachte und sich<br />

sicher in seinem Bett wiederfand, bewegte er sich heftiger, versuchte erneut dem<br />

Klauengriff des dunklen Vampirs, oder Was-auch-immer, zu entkommen. Es war völlig<br />

zwecklos, sich gegen diesen Kerl zu wehren.<br />

Der Fremde lachte wieder leise auf und verharrte schließlich am Übergang zwischen<br />

Finns Hals und Schulter, küsste ihn dort nahezu zärtlich.<br />

„Du wirst mir so gut schmecken, kleiner Mensch!“, bemerkte er zufrieden. Ein<br />

merkwürdiger bedauernder Tonfall schwang in seiner Stimme mit. Kaltes Entsetzen<br />

packte Finn, als sich plötzlich scharfe Zähne, in ihn bohrten. Gemeinsam mit seiner<br />

inneren Stimme und seinem Verstand schrie er synchron auf, wand sich heftig hin und<br />

her, kämpfte in purer Todesangst gegen seinen Angreifer und dessen übermenschlich<br />

festen Klauengriff.<br />

Schmerz überflutete ihn, als sich die Zähne tiefer in sein Fleisch bohrten, verlangend<br />

daran rissen. Eine seltsame Hitze durchflutete plötzlich seinen Körper, pulsierte durch<br />

ihn wie ein Ruf, der über sein Blut durch seinen ganzen Körper gesandt wurde. Tief in<br />

ihm antwortete etwas auf dieses seltsame Locken und strömte ihm sehnsüchtig<br />

entgegen. Der saugende Mund und die wühlenden Zähne in seinem Hals riefen gierig<br />

das Blut zu sich und Finns Herz schien mit jedem Schlag schneller und schneller diesem<br />

fremden Ruf entgegenzuarbeiten. Er würde sterben! <strong>Das</strong> Leben würde aus ihm fließen<br />

und ihn in der dunklen Leere zurücklassen. Trotz Todesangst, schien Finns Körper dem<br />

merkwürdigen Ruf, den die dunkle Gestalt durch ihn sandte, folgen zu wollen und bog<br />

sich diesem willig entgegen, wollte sich an ihn drücken, sich mit ihm vereinen.<br />

Irgendetwas in Finn reagierte sogar sehnsüchtig, voll Verlangen und Begeisterung, als ob<br />

es Ewigkeiten nur auf diesen Moment gewartet hätte.<br />

Finns Knie wurden weich, seine abwehrenden Bewegungen langsamer und kraftloser.<br />

Schleichend wich die Hitze und er fühlte, wie sie nur Schwärze und Kälte in ihm<br />

zurückließ. Er sackte im Griff des Fremden kraftlos hinunter. Augenblicklich löste der<br />

seine Klaue und ließ ihn beinahe behutsam an dem Baumstamm hinuntergleiten. Der<br />

49


Druck an Finns Hals ließ nach, sein Angreifer hatte sich zurückgezogen. Benommen<br />

nahm er wahr, wie sich der Fremde noch einmal über ihn beugte und sein Gesicht<br />

betrachtete. Wild raste der Schmerz durch Finns Körper. Doch da war noch mehr, ein<br />

seltsam neues, starkes Gefühl. Er schwebte, war losgelöst von seinem Körper. Weit<br />

entfernt hörte Finn eine hallende, erstaunte Stimme sprechen:<br />

„Wer hätte das gedacht? Altes Blut ...“ Die Worte schienen seinen Geist auszufüllen.<br />

Der Fremde strich ihm sehr sanft mit seiner Klaue über die Wange und bemerkte<br />

entschieden: „Du bist viel zu schade für ein einziges Nachtmahl, seltsamer, kleiner<br />

Mensch. Wir werden uns wiedersehen.“ Er beugte sich vor und küsste ihn sanft auf den<br />

Hals, dann umgab Finn nur noch die Stille des Parks, der entfernte Straßenlärm und das<br />

Pochen seines Herzens, welches verzweifelt daran arbeitete, genügend Blut durch seinen<br />

erschöpften und verletzten Körper zu pumpen. Von irgendwoher erklang sein<br />

pfeifender, flacher Atem. War er noch in seinem Körper? Alles erschien ihm fremd.<br />

Ein merkwürdiges Wispern und Rauschen wie Stimmen im Wind, hallte in seinen<br />

Ohren, und schien beständig zuzunehmen. So schwarz, so leer, so einsam. Der Ort war<br />

fremd und doch seltsam vertraut. Finn klammerte sich an den an- und abschwellenden<br />

Schmerz in seinem Hals. Schmerz! Der war real. Also war er doch noch in seinem<br />

Körper. Lebte noch. Langsam glitt er hinüber in die Schwärze und Leere einer tiefen<br />

Bewusstlosigkeit.<br />

50


Sommerliebe<br />

eine Anthologie aus<br />

acht sinnlich-romantischen, humorvollen<br />

und erotischen Gay -Love -Storys<br />

ISBN: 978-3-942539-67-8<br />

Preis: € 12,90<br />

Broschiert: 180 Seiten<br />

Taschenbuchformat: 17x22 cm<br />

Als E-Book Preis: € 6,90<br />

Sommerliebe<br />

Nico Morleen: Volltreffer-Liebe auf den ersten<br />

Schuss<br />

Wenn Amor pfuscht, muss man(n) die Sache eben<br />

selbst korrigieren und dabei manchmal zu<br />

ungewöhnlichen Mitteln greifen...<br />

C. Flage: La Florences<br />

Fantasie und Wirklichkeit - unter La Florences<br />

glühender Tropensonne verschwimmen die<br />

Grenzen für jeden, der einen Fuß auf die Insel<br />

setzt.<br />

Karo Stein: Klammeräffchen<br />

Daniel will eigentlich nur ein schönes Wochenende<br />

mit seinen Freunden verbringen und trifft dort auf<br />

Levi, der seinem Namen alle Ehre macht. Daniel<br />

kommt einfach nicht mehr von ihm los. Aber will<br />

er das überhaupt?<br />

Raik Thorstad: Finito<br />

Eine verregnete Sommernacht in Osnabrück, und<br />

Marco muss sich klar werden, was im Leben<br />

wichtig ist - oder auch nicht.<br />

Chris P. Rolls: Robertos Angebot<br />

Nach einer wilden Party wacht der 18jährige<br />

Roberto mit Kopfschmerzen auf. Ein lautes<br />

Stöhnen erweckt seine Neugier. Bei der Suche nach<br />

der Ursache, trifft er auf Elliot, der gerade intensiv<br />

mit sich selbst beschäftigt ist...<br />

Raik Thorstad: Fahrendes Volk<br />

Die Schwestern Feuer, Nacht und Musik<br />

bestimmen das Leben der fröhlichen Ranasici-<br />

Zigeuner; nur Bjanar mag sich dem wilden Reigen<br />

in der Wagenburg nicht anschließen. Nicht, solange<br />

Tandur nicht heimkommt.<br />

Karo Stein: Erdbeerdaiquiri<br />

Als Tom erwacht, befindet er sich in einer äußerst<br />

ungewöhnlichen Lage. Doch zum Glück bekommt<br />

er Hilfe und am Ende sogar noch ein wenig mehr...<br />

51<br />

Isabel Shtar: Elf auf der Couch<br />

Der neuste Patient des Gefängnispsychologen<br />

Wilhelm treibt diesen arg an seine Grenzen,<br />

behauptet er doch, ein waschechter Elf zu sein.


Leseproben<br />

Volltreffer-Liebe auf den ersten Schuss<br />

von Nico Morleen (Zoya)<br />

„Was hab ich dir eigentlich getan? Ja gut, das mit dem Fußball war blöd, aber dafür<br />

hab ich mich doch schon zigmal entschuldigt!“, fuhr Jörn frustriert fort. Gute Frage, was<br />

hatte Jörn ihm getan? Er war nett zu ihm und brachte ihn durcheinander. Er hatte so<br />

lange von einer unerreichbaren Person geträumt, dass es ihm nun Angst machte, solche<br />

Gefühle auch für jemanden zu empfinden, der greifbar war. Und aus diesem Grund biss<br />

er um sich, versuchte Jörn auf Abstand zu halten, damit dieser ihm nicht zu nah kam.<br />

„Mann, hör doch mal mit dem Käse auf! Du bist doch gar nicht fett!“, unterbrach<br />

ihn Jörn heftig und Moritz schnaubte abfällig.<br />

„Du solltest mal zum Optiker gehen. Ich hab einen Spiegel und weiß, wie ich<br />

aussehe.“ „Anscheinend nicht.“<br />

„<strong>Das</strong> Gelaber kannst du dir ebenfalls sparen. Du musst mein Ego nicht aufpolieren.<br />

Lass mich einfach in Ruhe!“, brüllte Moritz Jörn an. Plötzlich brannten seine Augen und<br />

ein Kloß schnürte seine Kehle zu. Er würde ihm so gerne glauben. Wünschte sich, dass<br />

Jörn ihn anders sah. Wie sehr, merkte er erst jetzt. Aber das war Unsinn! Jörn sagte das,<br />

weil er ihn nicht verletzen wollte und man sonst niemandem ins Gesicht sagte, dass<br />

derjenige eine fette Qualle war. Da er nicht vor ihm in Tränen ausbrechen wollte, drehte<br />

er sich um und rannte los. Es war ihm egal, dass er klatschnass wurde; zumindest, bis er<br />

die ersten Schritte unter dem Vordach hervor in den Regen getreten war und ein Blitz<br />

über den grauen Himmel zuckte, gefolgt von einem lauten Donnerschlag. Verdammt!<br />

Widerwillig drehte er um, stellte sich jedoch, so weit es ging, von Jörn entfernt an die<br />

gegenüberliegende Wand. Eine Weile sagte keiner von ihnen ein Wort, bis Jörn das<br />

Schweigen brach. Dies zunächst so leise, dass der Regen fast seine Worte schluckte.<br />

„Meinst du, ich hab keine Komplexe? Meinst du, es ist schön, immer nur der kleine<br />

Bruder des ach so tollen Torben zu sein und nie an diesen heranzukommen, egal was<br />

man macht? Immer die zweite Wahl zu sein? Sogar du ...“ „Was ich?“, zischte Moritz,<br />

wirbelte zu ihm herum und war überrascht, wie nah Jörn ihm gekommen war. Sie<br />

52


trennten nur noch wenige Schritte.<br />

„Ich hab gesehen, wie du ihn beobachtet hast.“<br />

„Er springt halt klasse“, verteidigte sich Moritz aufgebracht.<br />

„Ich meine damit nicht nur im Schwimmbad, sondern in der Schule und überall, wo<br />

du ihn siehst“, erwiderte Jörn leise und versetzte Moritz damit einen persönlichen<br />

Tiefschlag. Er war immer der Ansicht gewesen, vorsichtig zu sein. <strong>Das</strong>s niemand, und<br />

schon gar nicht Jörn, bemerkte, was mit ihm los war. So in die Ecke gedrängt, war es ihm<br />

nun egal, dass gerade die <strong>Welt</strong> unterging, denn seine persönliche lag bereits in<br />

Trümmern. Doch bevor er sich erneut umdrehen und die Flucht ergreifen konnte,<br />

packte Jörn ihn am Oberarm. Ungehalten machte er sich los und fauchte zurück: „Und<br />

selbst wenn? Was geht es dich an?“<br />

„Du kapierst es wirklich nicht, oder?“, fragte Jörn ausdruckslos.<br />

„Was kapiere ich nicht? Klar, ich bin nicht nur fett, sondern auch doof und ...“<br />

Weiter kam er nicht, denn plötzlich verschlossen weiche, kühle Lippen die seinen. Sein<br />

Herz setzte vor Schreck aus, bevor es losgaloppierte und das Blut in seinen Ohren<br />

rauschen ließ.<br />

Er küsste ihn. Ein anderer Junge küsste ihn. Jörn küsste ihn! Er taumelte leicht<br />

zurück, spürte die harte Wand in seinem Rücken und lehnte sich dagegen, da seine Knie<br />

nachzugeben drohten. Sanft saugte Jörn derweil an seiner Unterlippe und schickte damit<br />

ein Kribbeln durch seinen ganzen Körper. Moritz glaubte, es selbst in den Zehenspitzen<br />

zu spüren. Und erst als Jörn sich zaghaft zurückzog, ging Moritz auf, dass er starr wie<br />

eine Statue dagestanden hatte, dabei wollte er doch gar nicht, dass der Kuss endete.<br />

Schnell legte er eine Hand in Jörns Nacken und zog ihn zurück. Presste nun schon fester<br />

ihre Münder aufeinander und das Prickeln begann von Neuem. Ein Seufzen entwich<br />

ihm, oder war es Jörn gewesen? Es war egal, alles, was in dem Moment zählte waren<br />

diese nun schon wärmeren Lippen, die leicht nach Vanille schmeckten. Als Jörn sich<br />

jedoch mit seiner Zunge vorwagte, zuckte Moritz erneut zurück, aber auch dieses Mal<br />

kam Jörn ihm nach. Zögerlich öffnete er die Lippen und kam der fremden Zunge ein<br />

wenig entgegen. Er fühlte sich so unbeholfen und hatte das Gefühl, alles falsch zu<br />

machen. Der Gedanke zusammen mit allen anderen verflüchtigte sich jedoch, als sich<br />

53


ihre Zungenspitzen zum ersten Mal trafen. Seine Finger krallten sich in Jörn Schultern,<br />

suchten Halt, denn seinen Beinen traute er nicht länger, während seine Zunge einfach<br />

Jörns Bewegungen nachahmte. So schlecht schien er sich nicht anzustellen, denn Jörn<br />

drängte sich stöhnend an ihn, seine Finger strichen seine Seite entlang, stahlen sich auf<br />

seinen Rücken und wanderten tiefer. Wabbelarsch, schoss es Moritz da durch den Kopf<br />

und er schob ihn ein Stück von sich weg. Widerstandslos wich Jörn einen kleinen Schritt<br />

zurück, sah ihm aber mit brennendem Blick in die Augen.<br />

„Ich will nicht mehr die zweite Wahl sein“, murmelte er mit brüchiger Stimme, und<br />

nun rannte er in den Regen hinaus. Doch er kehrte nicht um.<br />

La Florence<br />

von C.Flage<br />

Unschlüssig stand Greg vor dem Bungalow, der in den nächsten zwei Wochen sein<br />

zu Hause, und wenn es nach Shontalle und Victoria ging, Schauplatz gar<br />

unaussprechlicher Dinge sein würde. Da sein Gepäck bereits voraus gebracht worden<br />

war, hatte er nichts, an dem er sich festklammern konnte, als er die Stufen des<br />

mediterran gestalteten, luftig wirkenden Hauses emporstieg und die Tür aufstieß.<br />

Vielleicht, ging es ihm dabei durch den Kopf, war das alles gar nicht so übel, wie er<br />

gedacht hatte. In New York war es schwierig, jemanden zu finden, wenn man in der<br />

Regel bis über beide Ohren in Arbeit steckte. Eine Beziehung in dem ganzen Chaos zu<br />

führen war quasi unmöglich. Greg hatte es mehr als einmal versucht. One-Night- Stands<br />

auf der anderen Seite konnten einen in ziemlich merkwürdige Situationen bringen. Was<br />

nicht bedeutete, dass er es nicht versucht hatte. Nur um eines schönen Morgens in<br />

Handschellen, die nicht ihm gehörten und splitterfasernackt, um Brieftasche und Würde<br />

leichter, in einem Hotelzimmer aufzuwachen, das dem Begriff siffig ganz neue<br />

Dimensionen verlieh.<br />

Also ja, vielleicht war das hier genau das, was er brauchte, um den Stress abzubauen,<br />

der ihn nachts nicht schlafen und tagsüber nicht entspannen ließ. Eine Art Sommerflirt<br />

ohne Konsequenzen, mit jemandem, der auf derselben Wellenlänge schwamm. Je länger<br />

54


er darüber nachdachte, desto logischer erschien ihm das Ganze und nun, er war nicht der<br />

erste Mann auf der <strong>Welt</strong>, der diesen Weg wählte, richtig?<br />

Noch dazu schien es hier nirgends ein Telefon zu geben, mit dessen Hilfe er seine<br />

Flucht, geschweige denn ein Meeting hätte organisieren können. Was bedeutete, dass er<br />

mit seiner Zeit gar nichts anderes anfangen konnte, nicht wahr?<br />

Seine letzten Zweifel aber verschwanden erst, als er aus dem schattigen Korridor<br />

trat, falsch abbog und sich in der geräumigen Küche wiederfand. In Gesellschaft eines<br />

etwa fünf Jahre jüngeren Mannes, der sich, Greg das Profil zugewandt, über die Spüle<br />

beugte und den Wasserhahn betätigte. Und nun, sein stiller Beobachter wusste, dass das<br />

oberflächlich war und unreif, doch was er sah, änderte die Situation erheblich, denn Eric<br />

war ... heiß. Dank der erfreulichen Tatsache, dass er lediglich leicht ausgebeulte Jeans<br />

trug, hatte Greg freien Blick auf seinen Oberkörper. Sonnengebräunte Haut schimmerte<br />

golden im weichen Tropenlicht. Er war einen Tick muskulöser als Greg es<br />

normalerweise mochte, aber an ihm sah es natürlicher aus als bei all den<br />

Fitnessstudiohengsten, die einem in der Stadt über den Weg liefen. Beinahe, als<br />

stammten Bizeps, Trizeps und Waschbrettbauch von körperlicher Arbeit. Was<br />

ungewöhnlich war für jemanden, der sich seine Brötchen als Edel-Escort verdiente.<br />

Ungewöhnlich wie der Bartschatten und der wilde, braune Haarschopf, in den sich von<br />

der Sonne gebleichte Strähnen mischten.<br />

Greg war stolz darauf, dass er selten mit dem Schwanz dachte und den Grad seiner<br />

Attraktion mehr daran fest machte, wie gut er sich mit jemandem verstand. Doch da war<br />

etwas an Eric, das überflüssig werden ließ, ob er Jazz mochte, welchem Baseballteam er<br />

die Treue hielt oder wie viel Aufmerksamkeit er der tagespolitischen Lage in Burma<br />

schenkte. Wenn es nach Greg ging, der just all seine Urlaubspläne erstaunlich bereitwillig<br />

neu arrangierte, würden sie eh nicht viel Gelegenheit bekommen, miteinander zu reden.<br />

Allein die sanfte Kurve nämlich, mit der Erics Rücken in sein Hinterteil überging, bot<br />

Greg Stoff für mehr als zehn Stunden Kopfporno.<br />

Von der ungewohnten Menge an Testosteron, das plötzlich durch seine Blutbahnen<br />

spülte, geradezu berauscht, beschloss er, das Spiel hier und jetzt zu beginnen. Er trat zur<br />

Seite, sodass er sich dem anderen Mann von hinten nähern konnte, legte ihm die Arme<br />

55


um die schmale Hüfte und raunte ihm, ganz in seiner Rolle aufgehend ein:<br />

"Du solltest mehr trinken, Baby, denn, was ich mit dir vorhabe, wird dich garantiert<br />

ins Schwitzen bringen" ins Ohr. Uhm und okay, das kam vielleicht ein bisschen zu ... ölig<br />

rüber, aber es war eine ganz treffende Umschreibung und außerdem, hey, das hier war<br />

seine Fantasie, richtig? "Ich verspreche dir, ich werde dich so hart rannehmen, dass du<br />

glauben wirst, du hättest einen Triathlon hinter dir. Wenn ich mit dir fertig bin, wirst du<br />

deinen eigenen Namen nicht mehr wissen. Meinen allerdings schon, du wirst ihn so oft<br />

geschrien haben, dass du ihn nie wieder vergessen kannst."<br />

Na schön, und was, wenn er klang wie ein Darsteller in einem drittklassigen<br />

Erwachsenenfilmchen? Wer konnte schon von ihm verlangen, sich etwas Besseres<br />

einfallen zu lassen, mit Eric, warm und erstaunlich anschmiegsam, in seinen Armen und<br />

all den Bildern in seinem Kopf? Bildern, die ihn auf wilde Ideen brachten, die allesamt<br />

seinen neuen Begleiter, den Küchentisch und den Inhalt des Kühlschranks in variabler<br />

Reihenfolge zum Thema hatten. Zumindest solange, bis Eric sich zu Wort meldete.<br />

"Cool", erwiderte er mit angenehm tiefer Stimme und Greg glaubte, ein Lachen<br />

herauszuhören. "Aber ich denke, ich sollte erst die Leitung fertig reparieren, sonst<br />

schraubt Vicky mir den Kopf ab."<br />

Greg fror mitten in der unanständigen Bewegung ein, zu der er angesetzt hatte, und<br />

versuchte die plötzliche Erkenntnis, die ihm wie Eiswasser den Rücken herunterlief, zu<br />

ignorieren.<br />

"Oh mein Gott", fasste er seine Einsicht ungewollt laut in Worte.<br />

"Ich begrabsche den Klempner, oder?"<br />

"Jup. Und den Gärtner, den Tauchlehrer und den Typen, der ertrunkene<br />

Vogelspinnen aus dem Pool fischt. Nach nicht mal einer Stunde auf der Insel." Jetzt war<br />

das Lachen in seiner Stimme nicht mehr zu überhören, selbst wenn man sich so darum<br />

bemühte wie Greg in diesem Moment. "Glückwunsch, Mann, das ist ein neuer Rekord."<br />

Greg versuchte, um die Scham herum zu atmen. Ein und aus, ein und aus. Dann<br />

erinnerte er sich daran, dass es vielleicht eine gute Idee wäre, Nicht-Eric loszulassen,<br />

egal, wie sehr der Neandertaler-Teil seines Ichs sich sträuben mochte.<br />

"Ähm", machte er zaghaft, ohne tatsächlich loszulassen. "Wie hoch stehen die<br />

56


Chancen, dass Sie hier stehen bleiben, ohne sich umzudrehen, bis ich es zurück zum<br />

Flugplatz und in den Flieger geschafft habe?"<br />

Der Mann in seinen Armen lachte so tief, dass Greg es bis in sein eigenes Zwerchfell<br />

fühlen konnte. Und warum war es noch mal so wichtig, dass er ihn losließ? Oh. Richtig.<br />

"Eher schlecht. <strong>Das</strong> Ding geht nur alle zwei Tage und das könnte ziemlich<br />

unhygienisch werden." Er drehte den Kopf etwas zur Seite, sodass er den Mann hinter<br />

sich ansehen konnte. <strong>Das</strong> Funkeln in seinen schönen, grün-braunen Augen half Greg<br />

weder über seine Instant-Geilheit noch über die Peinlichkeit der Situation hinweg. "Ich<br />

bin übrigens Ben. <strong>Das</strong> Insel-Mädchen für alles hier."<br />

"Ich bin Greg", erwiderte Greg. Lügen half jetzt auch nichts mehr. "Der Insel-Idiot<br />

hier." Auch wenn ihm nicht wirklich danach war, er konnte nicht anders, als Ben<br />

entschuldigend anzugrinsen, während er ihn endlich losließ. "Und das hier tut mir<br />

entsetzlich Leid. Ich neige normalerweise nicht dazu, Leute sexuell zu belästigen."<br />

"Ein Jammer", erwiderte Ben mit einem Lächeln, ging in die Hocke und kroch unter<br />

die Spüle. "Sie sind echt gut darin."<br />

Greg starrte ihn an und versuchte krampfhaft all die Dinge, die ihn vorher so<br />

angemacht hatten, an dem anderem Mann zu übersehen. Mit eher mäßigem Erfolg, denn<br />

Ben weigerte sich beharrlich, auf magische Weise unsexy zu werden.<br />

"Sie klingen, als ob Sie aus dem Norden kommen", drang es unter der Spüle hervor.<br />

Greg wusste nicht genau, wie er auf den Smalltalk-Versuch des anderen Mannes<br />

reagieren sollte. Die ganze Situation war absurd und er war sich ziemlich sicher, dass er<br />

sich nicht so entspannt hätte fühlen sollen, wie er es gerade tat.<br />

"New York, ich…", antwortete er in einen dumpfen, metallischen Laut hinein, den<br />

Ben verursachte. "Hören Sie, das hier ist normalerweise wirklich nicht meine Art. Ich<br />

bin…"<br />

"Schon gut." Ben kam wieder unter der Spüle hervor, in der Hand einen kleinen<br />

Dreckklumpen, der den Abfluss verstopft haben musste. Er grinste auf eine Art, die<br />

Gregs Magen einen olympiaverdächtigen Hüpfer in seine Kehle machen ließ. "Ich fand's<br />

sexy." Mit diesen Worten richtete er sich auf und wusch sich die Hände über dem<br />

Spülbecken. Greg starrte ihn derweil einfach noch ein bisschen mehr an und versuchte<br />

57


diese letzte Information zu verarbeiten.<br />

Konnte es sein, dass ...<br />

"Ähm ich ... Würden Sie ...", stotterte er, sich der Tatsache bewusst, dass er hier ein<br />

denkbar erbärmliches Bild abgab. "Gibt es hier einen Ort, an dem man etwas trinken<br />

gehen kann… Zusammen, meine ich."<br />

Ben lehnte sich mit dem Rücken gegen die Spüle. Er musterte Greg einen Moment,<br />

das muntere Funkeln noch immer in den Augen. Dann wandte er sich wortlos um, ging<br />

zum Kühlschrank hinüber und zauberte zwei Flaschen Bier hervor. Er öffnete sie und<br />

reichte eine davon Greg, der mit fast schon ungesunder Faszination beobachtete, wie<br />

Bens Kehlkopf auf und ab hüpfte, während der einen Schluck aus seiner eigenen<br />

Flasche nahm.<br />

Mit gerunzelter Stirn begutachtete der andere Mann das Etikett und lachte:<br />

"Jesus. Sie bezahlen Vicky eine unanständige Menge Geld. Da sollte wenigstens<br />

vernünftiges Bier drin sein. Keine Sorge, ich kümmere mich drum." Er nahm einen<br />

letzten Schluck und begann damit, sein Werkzeug unter der Spüle hervorzuholen. Ohne<br />

Gregs eigentliche Frage beantwortet zu haben.<br />

"Ben?", fragte der leicht ratlos und war von dem sanften Blick überrascht, mit dem<br />

der andere Mann dem seinen begegnete, bevor er ihn abwandte und in Richtung des<br />

Korridors blickte "Grüßen Sie Eric von mir", war alles, was er erwiderte. Seinen<br />

Werkzeuggürtel schulternd, bedachte er Greg mit einem letzten warmen Lächeln und<br />

entschwand durch die Küchentür in den sonnigen Inselnachmittag.<br />

Klammeräffchen<br />

von Karo Stein (kath74)<br />

Es klopfte an meiner Wohnungstür. Erschrocken blieb ich im Flur stehen, hielt den<br />

Atem an. Wie um alles in der <strong>Welt</strong> hatte er es hoch geschafft? Vor wenigen Sekunden<br />

stand er doch noch unten. Er klingelte Sturm. Aber natürlich reagierte ich nicht. Ich<br />

wollte ihn nicht mehr sehen. Er sollte aus meinem Leben verschwinden. Ich hatte es ihm<br />

doch deutlich gesagt.<br />

58


Erneut klopfte er. Wahrscheinlich hatte er Glück gehabt, irgendeiner meiner<br />

Nachbarn war wohl aus dem Haus gegangen und er… Er hatte die Chance genutzt, um<br />

nach oben zu gelangen. Ich konnte seine Anwesenheit förmlich spüren. Er war so nah,<br />

viel zu nah. Ich wollte nicht, dass er mir so nahe kommt. Ich hätte diese Nähe niemals<br />

zulassen dürfen.<br />

Abermals klopfte er. Diesmal schon energischer. „Daniel, mach auf! Ich weiß, dass<br />

du da bist!“ Seine Stimme klang nervös. Ich konnte deutlich dieses kleine Flattern darin<br />

hören. Immer, wenn er nervös war, fing sie an zu flattern. Ich hatte es schon oft gehört.<br />

Er war meistens gar nicht so selbstbewusst, wie er gern vorgab. Nein, eigentlich war er<br />

oft unsicher, suchte nach Bestätigung, nach Anerkennung.<br />

Trotzdem antwortete ich nicht. Ich öffnete auch die Tür nicht. Vielleicht würde er<br />

dann einfach von allein verschwinden ...<br />

Natürlich tat er es nicht! Aus dem Klopfen wurde allmählich ein Hämmern.<br />

Wahrscheinlich wummerte er mit beiden Fäusten gegen die Tür. Es dröhnte regelrecht in<br />

meinen Ohren. „Mach doch bitte auf!“ Er war verzweifelt. Ich wusste es, denn ich war<br />

es auch.<br />

Wie lange würde ich mich wohl seinem Flehen noch widersetzen können? Vielleicht<br />

hätte ich aus dem Flur verschwinden sollen. Vielleicht hätte ich mich ins Bett legen<br />

sollen, mir die Decke über den Kopf ziehen. Im Schlafzimmer wäre sein Klopfen<br />

bestimmt nicht zu hören gewesen! Dort hätte ich auch seine Stimme nicht hören<br />

können…<br />

Aber ich konnte nicht. Ich konnte mich nicht von der Stelle bewegen. Ich starrte die<br />

Tür an, bildete mir ein, seinen Blick zu spüren. Seine wunderschönen braunen Augen<br />

mit den hellen Sprenkeln darin. Die langen dichten Wimpern. Ich konnte das<br />

Unverständnis in seinen Augen sehen - auch durch die geschlossene Tür. <strong>Das</strong> gleiche<br />

Unverständnis wie gestern, als ich ihm sagte, dass es endgültig vorbei sei. Dabei war ich<br />

mir bei dem Wort „endgültig“ jetzt gar nicht mehr so sicher. Alles, was gestern so<br />

einleuchtend klang, fühlte sich nun schlecht an. Dabei hatte ich mir die Argumente so<br />

gut zurechtgelegt. Ich hatte alles genau durchdacht, all seine Einwände gnadenlos<br />

widerlegt. Am Ende musste er sich geschlagen geben und fuhr nach Hause. Aber anstatt<br />

59


der erwarteten Zufriedenheit fühlte ich mich elend, allein und so unglücklich wie noch<br />

nie in meinem Leben. Ich war mir sicher, dass es nur ein vorübergehender Zustand sei.<br />

Ich musste nur durchhalten, dann würde es mir bald wieder besser gehen. Deshalb<br />

konnte ich einfach die Tür nicht öffnen. In mir tobte ein schrecklicher Kampf.<br />

Vernunft gegen Herz.<br />

Verstand gegen Gefühl.<br />

Gewissen gegen Verlangen.<br />

Und dieser Kampf lähmte mich, zerrte an meinen Eingeweiden, hinterließ ein<br />

furchtbares Gefühl der Hilflosigkeit. Ich stand noch immer bewegungslos im Flur,<br />

lauschte seiner Stimme, seinen gegen die Tür donnernden Fäusten.<br />

Mein Körper fühlte sich taub an. Ich lehnte mich gegen die Wand, ließ mich daran<br />

heruntergleiten, zog meine Beine fest an den Körper und legte meinen Kopf darauf ab.<br />

Wie war es nur so weit gekommen? Wie war ich nur in so eine Situation geraten? Ich, der<br />

Vernunftmensch, der sich und seine Gefühlswelt immer unter Kontrolle hatte. Immer!<br />

Bis ich ihm begegnete. Die kleine Nervensäge mit dem unschuldigen Blick, mit den<br />

schokoladenbraunen Augen.<br />

Finito<br />

von Raik Thorstad (Tasmanian Devil)<br />

Hand aufs Herz: Ich wollte mit dir in die Kiste. Und ich schäme mich nicht dafür.<br />

Für dich galt anders herum dasselbe. Es war offensichtlich, dass wir scharf aufeinander<br />

waren. Rund ein Prozent meiner Wahrnehmung hatte aber die Vorahnung, dass es<br />

darüber hinausgehen könnte. <strong>Das</strong>s ich dich interessant fand – mit oder ohne Hose. <strong>Das</strong><br />

ist mehr, als manche Ehepaare bei ihrer ersten Begegnung von sich sagen können.<br />

Zehn unruhige Minuten später, in denen ich dabei zusah, wie die schlappen<br />

Blumenauslagen in den Supermarkt gerollt wurden, warst du zurück. Mit einem<br />

aufgeregten Lächeln und dem versprochenen Wein im Schlepptau.<br />

„Neues Auto?“, wolltest du wissen, als du neben mir auf dem Beifahrersitz Platz<br />

nahmst. Vermutlich war mir der Besitzerstolz an der Nasenspitze abzulesen.<br />

60


„Ja, gerade abgeholt.“<br />

„Oh, und da dachtest du, du sammelst mich ein, um es einzuweihen?“ Nach<br />

schüchtern kommt frech. War bei dir schon immer so. Deine Anzüglichkeit bescherte<br />

mir einen heißen Kopf, das kannst du mir gerne glauben.<br />

Glücklicherweise hattest du den Anstand, mich aus meiner Misere zu befreien und<br />

zu fragen: „Wo fahren wir hin?“<br />

Nur für das Protokoll: Zu diesem Zeitpunkt hatten wir es noch nicht einmal<br />

geschafft, unsere Namen auszutauschen.<br />

„Ich dachte, an den Rubbenbruchsee. Ist nicht weit und dort ist es bestimmt ein<br />

bisschen kühler.“<br />

„Und voller. Bei dem Wetter?“<br />

„Macht doch nichts. Oder wolltest du unbedingt mit mir alleine sein?“, zog ich dich<br />

auf. Es war die Erste von vielen Gelegenheiten, bei denen wir uns über rhetorische<br />

Hürden springend übereinander hermachten. Es war ein Spiel. Wem blieb als Erster der<br />

Mund offen stehen? Wer schaffte es, den anderen verstummen zu lassen? Gott, wir<br />

hatten so viel Spaß. Weißt du nicht mehr, wie viel Spaß wir zusammenhatten? Hast du<br />

das wirklich alles vergessen? Nein, das kann nicht sein. Man kann solche Spiele, solche<br />

Momente, so viel Harmonie nicht vergessen. Aber vermissen, vermissen kann man sie,<br />

wenn man sie verliert. Ich kann dich verstehen. Umso länger ich darüber nachdenke,<br />

umso mehr vermisse ich sie auch.<br />

Du solltest recht behalten. Der Rubbenbruchsee war wirklich überfüllt. Selbst vor<br />

dem ländlich-romantischen Restaurant gab es keinen einzigen Parkplatz mehr. Auf der<br />

Minigolfanlage nutzten ein paar Eltern das lange Licht für das Finale eines<br />

Kindergeburtstags. Tretboote schipperten sehr zum Ärger der Angler über das Wasser,<br />

auf dem die Pollen der umliegenden Bäume und Büsche hässliche Schlieren bildeten.<br />

Kindergeschrei, Jogger, Fahrradfahrer, Leseratten im halbhohen Gras und der Geruch<br />

des Sommers, so überwältigend, dass er mich in die Knie zu zwingen drohte. Luft zum<br />

Schneiden dick, aber wohltuend wie ein Saunagang.<br />

Wir fanden einen Parkplatz weit ab vom üblichen Treiben. Okay, ich gebe zu, von<br />

einem Parkplatz kann keine Rede sein. Ich stellte meinen Golf einfach am Waldrand auf<br />

61


einen freien Fleck zwischen zwei Buchen. (Liebe Leute, bitte macht das nicht nach, denn<br />

wenn man Pech hat, kann der heiße Auspuff im Sommer zu einem Waldbrand führen<br />

und dann bin ich schuld!) Egal, ich war jung, dämlich und wir wollten zum Wasser. Als<br />

wir ausstiegen, erwischte ich mich dabei, dass ich zärtlich meinen Schlüssel streichelte,<br />

bevor ich ihn in die Hosentasche schob. Jaja, Männer und ihre Autos. Ich weiß.<br />

Aber nicht, dass der Eindruck entsteht, ich hätte mich nur für meine neue Karre<br />

interessiert. Nein, absolut nicht. Du hast mich verrückt gemacht. Mit jedem Schritt, den<br />

du getan hast. Jedes Mal, wenn du dir das Gesicht abgewischt hast. Als du dich zu mir<br />

umgedreht hast, um zu sagen: „Wenn wir nicht gleich eine kühle Ecke finden, reiße ich<br />

mir die Klamotten runter und springe in den See. Und tauche bis Mitternacht nicht<br />

wieder auf.“<br />

Du warst schon immer ein Bastard.<br />

Auf einmal konnte ich kaum noch geradeaus laufen, weil ein Teil von mir hechelnd<br />

darauf wartete, dass du deine Drohung wahr machen könntest. Ich begann mich zu<br />

fragen, ob das möglich wäre. Du und ich im Wasser, zu später Stunde, dein Bein um<br />

meine gelegt. Meine Hände auf deinem Hinterkopf und dem Po, die eine streichelnd,<br />

die andere knetend. Deine Nase nass an meiner eigenen, dein Mund nach Seewasser<br />

schmeckend, das uns wie Seide umgab. Oder du hinter mir, einen Arm um meine Brust<br />

gelegt, den anderen tiefer schiebend. Schlüpfrig und glatt. Kitzeln, nur am Rand der<br />

Schambehaarung. Damit spielen und mir währenddessen den Hals verdrehen, damit du<br />

mich küssen kannst.<br />

Schon mal nachts schwimmen gewesen? Ich schwöre, dass Wasser bei Nacht einen<br />

vierten Aggregatzustand annimmt, der den Physikern bisher durch die Lappen gegangen<br />

ist. Nicht fest, nicht flüssig, nicht gasförmig, sondern nachtseiden. Eine Spur fester als<br />

flüssig, weicher als Samt, griffiger als Eiswasser. Nicht lachen, aber wenn man nachts<br />

schwimmen geht, glaubt man daran, dass alles Leben ursprünglich aus dem Meer kam.<br />

Dann wird man ganz und gar glücklicher Einzeller.<br />

Wir gingen nicht schwimmen, sondern nahmen mit einer Bank vorlieb. Ein wenig<br />

abgeschieden vom Rummel. Unser einziger Nachbar war ein Angler, der gerade<br />

zusammenpackte. Ab und an kamen Hund und Herrchen vorbei, aber meistens waren<br />

62


wir allein. Du, ich und die Flasche in deiner Hand. Rotwein.<br />

Du hast mir erzählt, dass man bei solchen Temperaturen eher Weißwein trinkt, aber<br />

dass du eine besondere Vorliebe für den Roten hast und dich insofern nicht an die hohe<br />

Kunst der Weinverkostung hältst. Mir war das ziemlich egal. Ich fand es viel<br />

faszinierender, dir dabei zuzusehen, wie du mit deinem Taschenmesser den Korken<br />

gezogen hast.<br />

Höflich hast du mir die Pulle als Erstes angeboten und gesagt: „Auf diesen Abend.<br />

Wurde Zeit, dass er kommt. Ich bin übrigens Sebastian.“<br />

Sebastian. Ja, mit diesem Namen war ich einverstanden. Er passte zu dir. Er gefiel<br />

mir an dir. Er rundete das Bild ab. Ja. Eine gute Wahl. Ich nahm einen Schluck –<br />

schrecklich - und reichte dir die Flasche zurück: „Marco.“<br />

Damit waren wir offiziell miteinander bekannt. Nicht schlecht, nach Monaten des<br />

Umeinanderschleichens im Supermarkt an der Ecke, hm?<br />

Wer nun glaubt, dass wir steif auf der Bank saßen und nicht wussten, was wir sagen<br />

oder tun sollten, hat sich geschnitten. Denn obwohl wir unterschiedlich wie Tag und<br />

Nacht sind, hatten wir nie Schwierigkeiten, uns zu unterhalten. Wenn zwei fremde<br />

<strong>Welt</strong>en kollidieren, bedeutet das nicht zwingend, dass es zu einem Erdbeben kommt. Es<br />

kann auch heißen, dass zwei Legendenquellen ineinanderfließen und sich gegenseitig<br />

anreichern. So war es bei uns. Du hast mir von deiner Arbeit im Buchladen erzählt und<br />

von der Musik, die du so liebst. Ich habe dich an meinem Studium teilhaben lassen, den<br />

letzten Filmen, die ich gesehen hatte, meiner Meinung über Tierhaltung im Haus. Wir<br />

redeten über Gott und die <strong>Welt</strong>. Wortwörtlich. Wir kamen von der Qualität diverser<br />

Weinanbaugebiete – zu dem Thema konnte ich nichts beitragen – über den mangelnden<br />

frischen Wind in der Kunst – hier warst du nun überfordert – zu der miesen Qualität der<br />

örtlichen Schwulen-Bars bis zur Frage nach dem Sinn des Lebens.<br />

63


Robertos Angebot<br />

von Chris P. Rolls (rihaij)<br />

1<br />

Nach- und Vorteile von Partys<br />

Sein Schädel dröhnte. Pochend wanderte der Schmerz von einer Seite zur anderen.<br />

Rob stöhnte gequält und verlagerte sein Gewicht. Kopfschmerzen waren ein echt<br />

unangenehmer Nachteil nach einer feucht-fröhlichen Party. Tastend bewegte Rob seine<br />

Zunge in seinem trockenen Mund hin und her. Ein weiterer Nachteil war zudem dieser<br />

eklige Geschmack im Mund, irgendwie pelzig. Erfahrungsgemäß ließ er sich nur durch<br />

viel Wasser oder Milch vertreiben. Immerhin war ihm noch nicht schlecht. Was ihn zum<br />

dritten Nachteil brachte: wo war er, was war passiert und wo war das Badezimmer?<br />

Manchmal war es ein Vorteil, oft genug ein Nachteil, sich nicht an alles zu erinnern, was<br />

auf der Party passiert war.<br />

Vorsichtig rollte er sich zur Seite und wäre dabei fast von dem schmalen Sofa<br />

gefallen, auf dem er offenbar geschlafen hatte. Eine dünne Fleecedecke lag halb auf<br />

ihm, schon auf dem Weg gen Boden. Immerhin, stellte Rob erleichtert fest, er hatte<br />

noch seine Unterhose an, also schien die Party dieses Mal nicht ganz so ausgeufert zu<br />

sein.<br />

Langsam und vorsichtig blinzelte er in das Sonnenlicht, welches sich seitwärts an<br />

dem dunklen Rollo vorbei schummelte und ausgerechnet in sein Gesicht schien. Rob<br />

blinzelte stärker, doch alles blieb verschwommen. Seufzend erkannte er den vierten<br />

Nachteil: Natürlich hatte er vergessen, seine Kontaktlinsen herauszunehmen. Also würde<br />

es ein wenig Zeit brauchen, bis er alles klar sehen konnte und wenn er Pech hatte, dann<br />

waren seine Augen bereits rot und würden tierisch tränen. Monatslinsen waren gut und<br />

schön, jedoch nicht für vierundzwanzig Stunden täglich gedacht.<br />

Wo war er eigentlich?<br />

Stöhnend richtete er sich auf, setzte sich leicht taumelnd hin und hielt sich den<br />

dröhnenden Schädel. Irgendwie schien dauernd jemand laut zu stöhnen, rhythmisch, mal<br />

64


lauter, mal leiser, aber unüberhörbar.<br />

Klasse, wie beim Ficken, kam es ihm in den Sinn. Andere hören Geisterstimmen, ich<br />

höre einen Kerl stöhnen. Oh Mann, aber wie lustvoll! Erneut blinzelte er gegen den<br />

Nebel vor seinen Augen an und langsam schien es besser zu werden. Rob blickte sich<br />

um. Offenbar war er in dem Zimmer eines männlichen Unbekannten gelandet, denn an<br />

den Wänden hingen vollbusige Pinups neben Motorrädern. Die Einrichtung war dunkel<br />

und einfach. Mann, hetero, fasste Rob es zusammen. Aber wo und wann bin ich ...?<br />

Müde schloss er die Augen, versuchte die Kopfschmerzen zurückzudrängen und an die<br />

dahinter liegenden Erinnerungen des gestrigen Abends zu kommen.<br />

Party. Er war auf jeden Fall auf einer Party gewesen. Bei ... - der Name sickerte<br />

durch - Jason! Ja, er war auf dessen Geburtstagsparty gewesen. War der nicht zwanzig<br />

geworden? Stimmt, Jason Schneider war zwei Jahre älter als er. Seinen zwanzigsten<br />

Geburtstag hatte der so richtig feiern wollen und hatte jede Menge Freunde zu sich nach<br />

Hause eingeladen.<br />

In Robs Kopf wurde das Stöhnen immer lauter. Es füllte seinen Schädel, drückte ihn<br />

auseinander, drang in jede Hirnwindung. Rob presste sich die Hände flach an seinen<br />

Kopf und auf die Ohren. Tatsächlich schien es etwas weniger zu werden, nur der<br />

Kopfschmerz pochte weiter fröhlich hämisch vor sich hin.<br />

Also eine Party bei Jason. Eine wilde Party mit reichlich Alkohol und willigen<br />

Mädchen, viel Anmacherei, Flirterei und schnellem Sex in irgendeinem Zimmer. <strong>Das</strong><br />

Übliche halt. Rob erinnerte sich nur verschwommen - es musste wirklich schon recht<br />

spät gewesen sein, denn es waren kaum noch Leute da - irgendetwas war mit einer<br />

verschütteten Wodka-Bowle gewesen.<br />

Grübelnd nahm er die Hände runter, doch sofort war das Stöhnen wieder da.<br />

Langsamer jetzt, von einer rauen, männlichen Stimme unterbrochen. Genervt schüttelte<br />

Rob den Kopf. Böser Fehler! Keine hektischen Bewegungen mit so einem<br />

Dröhnschädel. <strong>Das</strong> Stöhnen verschwand leider nicht, nur der Kopfschmerz flammte<br />

stärker auf. Schwankend erhob sich Rob, hielt sich noch einen Augenblick am Sofa fest<br />

und suchte dann nach seiner restlichen Kleidung. Sie lag auf einem unordentlichen<br />

Haufen direkt neben dem Sofa. Offenbar hatte er sich also selbst ausgezogen. <strong>Das</strong> war<br />

65


schon mal gut. Rob hangelte nach seiner Jeans und streifte sie über. Seine Turnschuhe<br />

und Socken waren auch da, nur sein Hemd fehlte.<br />

Nasse Flecken. Der Geruch von Alkohol. Ganz plötzlich war seine Erinnerung<br />

wieder da. Stimmt, ja, er war gegen die Schüssel mit der Bowle gestoßen und der Inhalt<br />

hatte sich auf ihm, teilweise auf einem knutschenden Pärchen auf dem Fußboden davor<br />

verteilt. Robs Hemd war völlig durchnässt worden und hatte stark nach dem billigen<br />

Wodka gestunken, den jemand flaschenweise hineingegeben hatte, bis das Ganze einfach<br />

ungenießbar geworden war. Jason hatte sein Hemd in die Waschmaschine gesteckt. Da<br />

war die Party schon fast vorbei gewesen, die meisten lagen besoffen, schlafend oder<br />

knutschend irgendwo herum. So gegen drei Uhr nachts musste es gewesen sein. Rob<br />

hatte Jason noch geholfen, aufzuräumen und die Schnapsleichen nach draußen entsorgt.<br />

Dann hatte Jason ihm angeboten, hier zu pennen, bei ihm im Zimmer auf dem Sofa,<br />

weil der letzte Bus schon eine dreiviertel Stunde weg gewesen war.<br />

Rob probierte zu lächeln und es ging gefahrlos, ohne zu starke Schmerzen und ohne<br />

sich zu übergeben. Ein guter Anfang. So war es also gewesen und deshalb war er nun in<br />

Jasons Zimmer. Aber wo war der jetzt?<br />

Abermals drang das Stöhnen in seinen Kopf ein. War es nicht eben ganz weg<br />

gewesen? Nun fing es wieder von vorne an, ebenso wie zuvor: lustvoll, mitreißend,<br />

erotisch, sich langsam zum Höhepunkt steigernd.<br />

Erneut schüttelte Rob verwirrt den Kopf. <strong>Das</strong> kam definitiv nicht aus seinem<br />

Schädel. Dieses Stöhnen musste von woanders her kommen. Nicht aus diesem Zimmer,<br />

sondern irgendwo unter ihm.<br />

Langsam wuchtete er sich hoch und machte zwei tastende Schritte. Es ging, er kippte<br />

nicht gleich wieder um. Wo war noch das Badezimmer?<br />

Rob trat aus dem dunklen Zimmer auf den Flur, wo ihn das grelle Sonnenlicht aus<br />

zwei Dachfenstern blendete. Seine Augen brauchten eine ganze Weile, sich daran zu<br />

gewöhnen, zumal er noch immer etwas verschwommen sah. Mit den Händen vor sich<br />

ausgestreckt und sich an der Wand entlang tastend, fand er den Weg zum Badezimmer.<br />

Jedenfalls war er hier gestern schon öfter gewesen, daran konnte er sich erinnern. Rob<br />

klappte den Klodeckel auf und erledigte sein erstes Bedürfnis. Sein Blick glitt durch den<br />

66


kleinen Raum zur Badewanne mit dem beigen Duschvorhang. Der Raum war hellgrün<br />

gekachelte und am Waschbecken standen drei Zahnputzbecher, Rasierzeug, Männerdeo<br />

und Aftershave. Auch das Duschgel war ausschließlich auf männliche Bedürfnisse<br />

ausgerichtet.<br />

Erleichtert seufzte Rob auf, als der erste Druck seiner Blase verschwand. Zufrieden<br />

betätigte er die Spülung und sein Blick fiel auf die Waschmaschine in der anderen Ecke<br />

des Raumes. Daran klebte ein gelber Post-it-Zettel. Neugierig trat er näher, seine Augen<br />

waren jedoch noch immer nicht ganz bereit mitzumachen und er musste sich davor<br />

knien, um die Schrift zu entziffern.<br />

„Moin Rob!“, stand da. „Leider funktioniert der Trockner nicht, daher ist dein Hemd<br />

zwar sauber, aber noch nass. Nimm dir eins von meinen, wenn du was brauchst. Bis<br />

denne, Jason.“ Rob grinste. Jasons Hemden würden gewiss lustig an ihm aussehen, denn<br />

der war einen ganzen Kopf größer als er, breiter gebaut und hatte wesentlich längere<br />

Arme. Träge zuckte er die Schultern. Dann musste er eben oben herum nur mit seiner<br />

Lederjacke bekleidet losziehen. Die musste ja irgendwo unten sein.<br />

Aber wo war eigentlich Jason hin?<br />

Erneut gab Robs Kopf eine Erinnerung frei. Jason musste heute am Sonntag<br />

arbeiten. Er hatte schon lautstark gemeckert, dass er Dienst hatte und er daher selbst<br />

nicht ganz so ausgelassen feiern konnte wie alle anderen.<br />

„Kein Problem“, hatte er gesagt, als er Rob anbot, bei ihm zu übernachten. „Du<br />

kannst ruhig auspennen. Ich muss zwar früh los, aber fühle dich wie Zuhause. Zieh<br />

einfach die Tür zu, wenn du gehst.“ Rob grub nach weiteren Erinnerungen. Jason<br />

wohnte hier mit seinem Vater. Sie hatten deshalb so lange Party machen können, weil<br />

dessen Vater auf Montage war und sie somit sturmfreie Bude hatten.<br />

Müde trat Rob an den Spiegel heran und musterte sein verquollenes Antlitz durch<br />

die nebligen Kontaktlinsen. Sein Gesicht war nun wirklich nichts Besonderes. Ein<br />

dunkler Teint, das Erbe seiner italienischen Mutter, braunschwarze Augen unter<br />

schmalen Augenbrauen, eine Stupsnase, schwarze, halblange und viel zu lockige Haare,<br />

die nie zu lang werden durften, damit er nicht mädchenhaft aussah. Er wirkte eindeutig<br />

südländisch, da hörte die Exotik aber auch schon auf, denn er war ansonsten nicht<br />

67


esonders groß, nicht besonders breitschultrig, nicht besonders muskulös, nicht<br />

besonders schön, er war einfach gar nichts Besonderes.<br />

Rob schniefte, grinste sich höhnisch an, schöpfte sich etwas kaltes Wasser ins<br />

Gesicht und betrat anschließend den Flur, um nach unten zu gehen und seine Jacke zu<br />

suchen. <strong>Das</strong> Stöhnen setzte prompt wieder ein.<br />

Schmunzelnd verzog Rob den Mund. Ja, er erinnerte sich. Irgendeiner der Typen<br />

hatte diesen dämlichen Porno mitgebracht. Ein paar der Mädchen hatten protestiert, als<br />

er ihn eingelegt, den Lautstärkeregler hoch gedreht und sich rasch eine willige Gruppe<br />

von Zuschauern gebildet hatte. Ein typischer Porno ohne nennenswerte Handlung. Nur<br />

der Typ war echt geil gewesen, so ein Muskelpaket und dessen Stöhnen war der<br />

Wahnsinn gewesen. Es war genau dieses laute, tiefe Stöhnen, welches jetzt zu ihm hoch<br />

drang, als Rob die Treppe hinabging. Offenbar hatte jemand vergessen, den Fernseher<br />

auszuschalten und nun lief der Film anscheinend in einer Dauerschleife. Rob ging ins<br />

Wohnzimmer, ignorierte dabei geflissentlich das ganze Chaos um sich herum. Jason<br />

würde gut zu tun haben, wenn er später heimkam. Überall standen oder lagen noch<br />

Flaschen und Teller mit Pizzaresten darauf oder daneben. Wirklich viel hatten sie beide<br />

scheinbar gestern nicht mehr weggeräumt.<br />

Tatsächlich lief der Porno noch immer. Rob warf kurz einen Blick auf den<br />

Bildschirm. Der Typ war wirklich nicht zu verachten. Ein großer, kräftiger Kerl mit<br />

reichlich Körperbehaarung stieß immer wieder in ein blondes Etwas unter sich, welches<br />

piepsende Geräusche machte, ab und an ein: „Oh, yeah! Fuck me harder, fuck me<br />

deeper, Mister“, von sich gab, ansonsten aber vor allem von ihrem überdimensionalem<br />

Busen in den Schatten gestellt wurde. Ihre Geräusche wurden eindeutig von ihrem<br />

Partner übertönt, der bei jedem Vorstoß seiner Lenden ein lautes, langgezogenes<br />

Stöhnen von sich gab.<br />

Rob lächelte beeindruckt. Der Typ schien den Sex wirklich zu genießen, seine Lust<br />

nahm man ihm voll ab und er wirkte keinesfalls so, als ob er schauspielern würde. Der<br />

Ton war recht laut gestellt und Rob sah sich prompt suchend nach der Fernbedienung<br />

um. Gewiss waren Jasons Nachbarn nicht ganz so begeistert davon, wenn am Vormittag<br />

schon solche Geräusche aus dem kleinen Reihenhaus am heiligen Sonntag störten.<br />

68


Besser, er machte den Fernseher schnell aus.<br />

Zwischen zwei Chipstüten, einer halben Colaflasche und einer verstreuten Bande<br />

von Gummibärchen entdeckte er die Fernbedienung auf dem Tisch hinter dem Sofa.<br />

<strong>Das</strong> Sofa stand frei im Raum, direkt vor dem Fernseher. Wenn er herumging, hatte er<br />

einen interessanten Hindernisparcours vor sich, bestehend aus Flaschen, Tellern,<br />

Essensresten, Geschenk-papier und einem Paar Schuhe. Also nahm Rob den direkten<br />

Weg, trat ans Sofa heran und wollte sich gerade darüber lehnen, um an die<br />

Fernbedienung heranzukommen, als er mitten in der Bewegung abbrach.<br />

<strong>Das</strong> Sofa war nicht leer. Darauf lag ein Junge mit kurzen, hellbraunen Haaren,<br />

blassem, rundem Gesicht und geschlossenen Augen. Sein Antlitz wirkte angespannt, der<br />

Mund war leicht verzerrt. Er trug nur Boxershorts, weder Socken noch Schuhe oder ein<br />

Hemd. Seine spärlich behaarte Brust hob und senkte sich gleichmäßig. Im ersten<br />

Moment dachte Rob, der Junge würde nur schlafen, dann stutzte er jedoch, denn der<br />

Körper bewegte sich viel zu rhythmisch und Robs Blick folgte automatisch der Linie des<br />

Körpers unter ihm, bis er sah, warum. Rob schmunzelte. Offenbar war der Porno<br />

wirklich anregend genug, denn der Junge hatte die Hände in seine Shorts geschoben und<br />

es war recht offensichtlich, was sie dort taten. Grinsend beugte er sich weiter vor und<br />

betrachtete den Jungen unter sich genauer. Der hatte ihn ganz offensichtlich noch nicht<br />

bemerkt, denn seine Augen blieben weiterhin geschlossen. Er war vielleicht sechzehn<br />

oder siebzehn, ein wenig pummelig mit kräftigen Armen und Beinen. Sein rundes,<br />

konzentriert angespanntes Gesicht mit den Pausbacken wirkte wie der Rest von ihm<br />

noch unfertig und etwas kindlich, ein Junge dicht an der Schwelle zum Mann. Rob<br />

stützte sich auf die Ellenbogen ab und blickte neugierig auf ihn hinunter, seine<br />

Mundwinkel zuckten immer wieder amüsiert nach oben. Was für ein toller Anblick, der<br />

Kleine war eine echte Augenweide! Auf dem Bildschirm kam der Typ lautstark und sehr<br />

wirkungsvoll zum Höhepunkt, stieß ein tierisch lautes, abschließendes Stöhnen aus. Der<br />

Junge auf dem Sofa verzog missmutig das Gesicht, öffnete die Augen und starrte<br />

erschrocken direkt in Robs, der ihn von oben belustigt anblickte.<br />

„Scheiße“, stieß er hervor, zog hastig seine Hände aus den Shorts und blickte Rob<br />

fassungslos an.<br />

69


„Hallo, ich bin Roberto“, stellte der sich grinsend vor. „Und wer bist du?“<br />

Fahrendes Volk<br />

von Raik Thorstad (Tasmanian Devil)<br />

Bjanar glaubte in einiger Entfernung ein glucksendes Lachen zu hören – das Lachen<br />

einer alten Frau. Dann explodierte der Eindringling aus seiner knienden Position heraus<br />

und breitete herrisch die Arme aus. Mit voller Stimme rief er: „Da sitzt ihr hier nun,<br />

närrisches Volk, und schmaust an unserem Feuer. Begafft die Beine der Mädchen und<br />

haltet die Tänze der Schönen für Zauberei. Aber ich ... “, er drehte sich um sich selbst<br />

und wandte sich Bjanar zu, starrte ihn geradezu nieder, bevor er ihm kaum merklich<br />

zuzwinkerte und schrie: „... ich bringe euch wahre Magie!“<br />

Bjanar schaffte es gerade noch, ein Freudengeheul zu unterdrücken, als er hinter<br />

dem hohen Kragen des Fremden Tandur erkannte. Seinen Tandur. Zurückgekehrt an ihre<br />

Feuer. Heimgekommen. Sein überstrapaziertes Herz galoppierte vor Glück in seiner<br />

Brust. Er musste sich mit Gewalt davon abhalten, auf Tandur zuzuspringen, dessen<br />

sommerlich braunes Gesicht vor aufgesetztem Ernst zuckte.<br />

„Wollt ihr wahre Zauberei?“, schrie Tandur den Dörflern zu, die langsam zu<br />

begreifen schienen, dass sie Zeuge eines weiteren Schaustellerspiels wurden. Ein paar<br />

murmelten ein unterdrücktes „Ja“, die anderen nickten lediglich eifrig.<br />

Doch das reichte Tandur. Ein jungenhaftes Grinsen spielte um seinen Mund, als er<br />

sich in Pose warf und die Hände umeinander zu winden begann. Funken gingen von<br />

ihnen aus und verdichteten sich zu Nebel.<br />

Bjanar schauderte, als ein unsichtbarer Regen auf ihn niederging. Ausgehend von<br />

den Fingern seines Geliebten, die nach ihm zu greifen schienen. Er fühlte sich plötzlich<br />

auf schwer zu beschreibende Weise ... klein. Aufgeregt ließ Bjanar seine klebrige Zunge<br />

nach vorne schnellen und blähte seinen Balg auf. Menschen lachten und klatschten in die<br />

Hände. Bjanar konnte nicht verstehen, was sie riefen. Begriff nicht, warum sie kicherten<br />

und warum einige Bürgerfrauen kreischend rückwärts sprangen.<br />

„Was ist denn los? Was gibt es denn zu sehen? Tretet doch mal beiseite“, wollte er<br />

70


ufen. Doch seiner Kehle entrang sich lediglich ein gut hörbares „Quak.“<br />

Brüllendes Gelächter um ihn herum. Jemand griff nach ihm. Bjanar strampelte mit<br />

den Beinchen, als er in die Höhe gehoben wurde. Seine feuchte Haut kribbelte. Seine<br />

Amphibienaugen nahmen die Feuer als gefährliche Lichtquelle wahr, der er sich zu<br />

entziehen suchte. Der Mensch in ihm ahnte, was geschehen war. Doch der Krötenteil<br />

fürchtete sich und sonderte Urin auf die Hand seines Fängers ab.<br />

Tandur verbeugte sich vor dem johlenden Publikum: „Traut ihr euren Augen nicht,<br />

edles Volk? Gerade noch Mann, nun eine Kröte. Möchte eine der Damen ihn küssen,<br />

um ihn zu erlösen? Nein? Was? Ihr glaubt an eine Schelmerei? Aber nicht doch ...“<br />

Er lachte und winkte Sazza zu sich. Sie war diejenige, die Bjanar in die Hand<br />

genommen hatte, damit niemand auf ihn trat. Sanft strich Tandur Bjanar mit einem<br />

Finger über den Kopf, bevor er sich wieder an seine aufgeregten Zuschauer wandte:<br />

„Was meint ihr? Soll ich ihn zurückverwandeln? Hier und jetzt im Licht, damit ihr es<br />

sehen könnt?“<br />

Die Menge hatte ihre Scheu verloren und tobte vor Vergnügen. Einer der Musiker<br />

ließ sich vom Geist der Stunde überwältigen und schlug auf seine Trommel ein. Die<br />

Zuschauer nahmen den Rhythmus auf und klatschten in die Hände. Auch die<br />

Tänzerinnen begannen ihre Hüfte im Takt zu drehen und zu winden, während Tandur<br />

Sazza bedeutete, die Kröte auf den sandigen Boden zu setzen.<br />

Bjanar wünschte sich, er wäre in ein anderes Tier verwandelt worden. Vorzugsweise<br />

in etwas mit scharfen Zähnen, mit denen er zubeißen konnte.<br />

Tandur tänzelte mit leichten Schritten rund um die erboste Kröte. Murmelte<br />

fremdartige Worte und zerrte ein stinkendes Pulver hervor, das er über Bjanars<br />

aufgedunsenen Leib streute. Dann ließ er die Hände durch die Luft schnellen und rief<br />

theatralisch: „So kehre dann zurück und sei wieder Mann, Kind des Raben!“<br />

Dieses Mal spürte Bjanar die Verwandlung. Sie schmerzte nicht. Es war, als würden<br />

seine Knochen in Windeseile wachsen. Er konnte fühlen, wie seine Haut sich dehnte<br />

und in ihre ursprüngliche Form zurück fand. Seine Finger streckten sich, seine Beine<br />

wurden lang und länger, bis sie ihn wieder in gewohnter Weise trugen. Bjanar stieß einen<br />

unflätigen Fluch aus, als er seine volle Größe erreichte und sich nackt im Schein der<br />

71


Feuer wiederfand. Allerdings schenkte kaum jemand seiner Blöße Beachtung. <strong>Das</strong><br />

Publikum krakeelte. Blüten flogen in Tandurs Richtung, der sich elegant in alle<br />

Richtungen verneigte. Sein Umhang peitschte an Bjanars nacktem Bein entlang, als er<br />

sich ein letztes Mal vor der Menge verbeugte: „Habt Dank, meine Damen, meine<br />

Herren. Nun geht hin und erzählt euren Freunden und Familien von der Zauberei der<br />

Ranasci. Sie alle sind uns willkommen, aber nicht mehr in dieser Nacht.“ Dramatisch<br />

presste er sich eine Hand auf die Brust. „Meine Kräfte sind erschöpft.“ Vielstimmiger<br />

Protest ertönte und Bjanar verzog das Gesicht. <strong>Das</strong> war typisch für Tandur. Er liebte<br />

den Applaus. Von wegen, Kräfte erschöpft. Bestimmt konnte er noch den ein oder<br />

anderen Zauber wirken. Er wollte nur gebeten werden.<br />

Aber das konnte Bjanar nur recht sein. Eilig ging er zu seinen Kleidern und streifte<br />

sie sich über. Aus den Augenwinkeln beobachtete er, wie Tandurs Geschwister und<br />

Eltern auf ihn zu stürmten und ihn in ihre Mitte zogen. Sie küssten sein Gesicht, hielten<br />

seine Hände, während Stimmen laut wurden, die um weitere Kunststücke baten.<br />

Bjanar wusste nicht, wie er empfand. Er freute sich, unbändig sogar, aber er wollte<br />

selbst zu Tandur rennen dürfen, um ihn zu begrüßen. Er wollte ihn in die Arme<br />

schließen und für sich haben, bevor die anderen ihn vereinnahmten. Wütend war er<br />

außerdem. Hatte Tandur denn ausgerechnet ihn als Opfer für sein Zauberstück<br />

aussuchen müssen?<br />

Frustriert und verwirrt stahl Bjanar sich aus dem Kreis der Wagenburg. Über allen<br />

anderen Fragen brannte ein Gedanke in seinem Hinterkopf: „Warum ist Tandur<br />

zurückgekommen und wird er bleiben?“<br />

Erdbeerdaiquiri<br />

von Karo Stein (kath74)<br />

Tom rieb sich die Augen. Sah wieder aus dem Fenster. Und dann? Was war dann<br />

passiert? Sie suchten sich einen Platz etwas abseits von den anderen. Tom zog den<br />

Blonden fest in seine Arme. Er hatte ein kleines Stück Erdbeere an seiner Lippe kleben<br />

und Tom nutzte die Gelegenheit, um ihn zu küssen. Der Kleine schmeckte gut. Süß,<br />

72


nach Erdbeeren. Er küsste nicht schlecht, schmiegte sich vor allem so dicht an ihn. Seine<br />

Lippen waren weich, sein Seufzen fuhr Tom sofort in die Lenden.<br />

Tom wollte mehr. Er ließ sich in den Sand fallen, zog den anderen auf sich drauf.<br />

Seine Hände fanden automatisch den Weg in dessen Shorts. Seufzend knetete er die<br />

festen Pobacken. Sie keuchten. Ihre Küsse wurden wilder. Tom rieb seine Hüften gegen<br />

die des anderen. Niedliche kleine Laute entsprangen dessen Kehle. Tom wäre am<br />

liebsten sofort über ihn hergefallen. Allerdings schien der Kleine in der Öffentlichkeit<br />

nicht weiter gehen zu wollen.<br />

Und dann hatte Tom es getan. Er hatte seine eigenen Regeln gebrochen. Er ließ sich<br />

überreden und ging mit in die Wohnung des Fremden. Vielleicht war es die Aussicht auf<br />

Sex, die Hitze oder tatsächlich der Alkohol gewesen, die ihn dazu brachten. Vielleicht<br />

war es auch die Tatsache, dass er ganz in der Nähe wohnte und Tom nicht mehr länger<br />

warten wollte. Sein Penis pochte hart in der Hose und setzte sein Gehirn außer Gefecht.<br />

Dem anderen schien es nicht besser zu ergehen. Tom konnte die Erregung deutlich<br />

durch den dünnen Stoff der Shorts fühlen. Es machte ihn unglaublich an. Trotzdem! Er<br />

ging nie mit irgendwelchen Typen mit! Nein, er bestand auf seiner Wohnung. Dafür gab<br />

es auch einen guten Grund. Denn es war nicht das erste Mal, dass ihm so etwas<br />

passierte, dass er nicht wusste, wo er war. Allerdings war er damals nicht nackt in einem<br />

Hausflur aufgewacht. Damals lag er in der Küche und der Typ fand es ziemlich witzig.<br />

Er konnte gar nicht mehr aufhören zu lachen. Aber für Tom war es nicht witzig<br />

gewesen. Er hatte die Kontrolle verloren. <strong>Das</strong> gefiel ihm gar nicht. Kontrolle war ihm<br />

wichtig. Er bestimmte die Regeln, er sagte, wann das Spiel zu Ende war. Tom war der<br />

Jäger. Top. Aktiv. Der Stecher. Wie immer man es nennen wollte. Damals fühlte er sich<br />

wütend und beschämt zugleich. Er hatte die Kontrolle verloren und er wollte nicht, dass<br />

es ihm noch einmal passierte. Tom hatte keine Probleme damit, Twinks nach dem Sex<br />

aus seiner Wohnung zu werfen. Nein, das machte ihm wirklich nichts aus.<br />

Aber irgendwo auf dem Fußboden aufzuwachen, das wollte er auf keinen Fall noch<br />

einmal erleben!<br />

Wieso hatte er gegen seine eigenen Regeln verstoßen? Tom hatte keine Erklärung<br />

73


dafür. Aber nun war es ohnehin zu spät, darüber zu grübeln. Nun musste er über seine<br />

Möglichkeiten nachdenken. Was hatte er denn für Optionen? Nackt nach Hause laufen?<br />

Wohl kaum. Wieder ließ er den Blick schweifen. Hier konnte er allerdings auch nicht<br />

ewig sitzen bleiben. Denk nach, ermahnte er sich immer wieder. Denk nach! Aber bevor es<br />

ihm gelang, brachte sich seine Blase wieder äußerst schmerzhaft in Erinnerung. Er<br />

musste sich irgendwie erleichtern. Wenn er sich doch nur an den Namen erinnern<br />

könnte! Aber so sehr er auch nachdachte, es fiel ihm nicht ein. Vielleicht etwas mit „L“.<br />

Hießen die kleinen blonden Typen nicht immer irgendwie Leon, Lukas oder Linus? Aber<br />

da klingelte nichts bei ihm. Womöglich hatte er ihn gar nicht nach dem Namen gefragt.<br />

Namen bedeuteten gar nichts. Sie interessierten ihn nicht. Wieso auch? Er würde ihn<br />

ohnehin nicht noch einmal treffen wollen. Jetzt allerdings wäre ein Name wirklich gut.<br />

Aber selbst wenn er sich an den Vornamen erinnern würde, würde das auch nichts<br />

nützen. Ohne Nachnamen war er definitiv aufgeschmissen.<br />

Noch einmal sah Tom nach draußen. Die Sträucher kamen ihm so unglaublich<br />

verlockend vor. Aber wenn er das Haus verließ und die Tür fiele auch noch ins Schloss?<br />

Dann stand er nackt draußen. So ein Risiko wollte er nicht eingehen. Auch wenn es dort<br />

mit Sicherheit wärmer war als in diesem Flur.<br />

Schon erstaunlich, dass es hier drin immer noch so kalt war. In seiner Wohnung<br />

stand die Luft förmlich. Auch im Hausflur war es stickig und heiß. Die Hitze hatte vom<br />

gesamten Gebäude Besitz ergriffen. Hier allerdings nicht. Wieder rann eine Gänsehaut<br />

über seinen Körper. Wahrscheinlich würde er sich hier glatt noch erkälten.<br />

Er erhob sich abermals und sah nach oben. Vielleicht war er die Treppe im Schlaf<br />

hinuntergegangen. Er stieg die Stufen nach oben und las die Namensschilder an den<br />

Türen. Natürlich sagten sie ihm rein gar nichts. Tom wippte mit den Füßen, hoffte so,<br />

die Kälte aus seinem Körper ein wenig vertreiben zu können und sein Bedürfnis im<br />

Zaum zu halten. Er sah nach unten. Was hatte er schon zu verlieren. Er ging eine Etage<br />

tiefer, las auch hier die Namen. Nichts! Natürlich nichts!<br />

„Scheiße, was mache ich denn nur!“, fluchte er vor sich hin. Kein Geld, kein Handy,<br />

keine Klamotten. Alles lag bei diesem Typen hier irgendwo im Haus. Dieser Typ, der<br />

wahrscheinlich noch in seinem Bett lag und träumte. „Fuck!“ Wieso hatte er sich nur<br />

74


darauf eingelassen? Im Nachhinein war der Sex nicht einmal wirklich gut gewesen. Sie<br />

kamen beide auf ihre Kosten, aber es war kein wirklich berauschendes Erlebnis gewesen.<br />

Der Typ war auf einmal viel zu passiv für Toms Geschmack gewesen. Auch wenn Tom<br />

gern die Richtung vorgab, die ganze Arbeit allein zu machen, gefiel ihm auch nicht.<br />

Hätte er hinterher doch nur seine Sachen geschnappt und wäre nach Hause<br />

gegangen. So, wie er es auch geplant hatte. Aber nein, der Typ hatte sich an ihn<br />

geschmiegt und Tom war plötzlich so müde. Womöglich war es einfach auch nur so<br />

angenehm gewesen. Die kühle Wohnung und die Aussicht auf erholsamen Schlaf ließen<br />

ihn anscheinend alle Bedenken über Bord werfen. Sie hatten sich nach dem Sex sogar<br />

zugedeckt. Kein Wunder, dass er eingeschlafen war. Was dann passierte, war nicht weiter<br />

schwierig nachzuvollziehen.<br />

Tom war kein richtiger Schlafwandler. Es war mit Sicherheit seine volle Blase, die ihn<br />

in der Nacht aus dem Bett getrieben hatte. Womöglich dachte er im Halbschlaf, er wäre<br />

zu Hause. Also ging er instinktiv den Weg ins Bad. Den Weg, der in seiner Wohnung<br />

zum Badezimmer führte! In dieser Wohnung hatte der Weg ihn allerdings in den<br />

Hausflur gebracht. Womöglich war die Tür zugefallen und der Weg zurück versperrt.<br />

Wieso er allerdings auch noch die Treppe benutzt hatte, das konnte er sich beim besten<br />

Willen nicht erklären. Tom konnte nur von Glück reden, dass er nicht die Treppen<br />

hinuntergefallen war. Aber das beruhigte ihn im Moment auch nicht wirklich. Jetzt stand<br />

er hier draußen, nackt, mit voller Blase und frierend. Er wippte noch etwas stärker.<br />

Einfach mal auf gut Glück klingeln war auch keine gute Option. Es schien noch<br />

recht früh am Morgen zu sein, denn im Haus war es noch sehr still. Selbst draußen<br />

konnte er nicht einmal Autos hören. Schon allein die Vorstellung, dass er klingelte und<br />

eine ältere Frau würde die Tür öffnen und er nackt vor ihr ... Stöhnend raufte er sich die<br />

Haare. <strong>Das</strong> konnte doch nur ein Alptraum sein.<br />

Gerade als er sich umdrehen wollte, um wieder nach oben zu gehen, öffnete sich<br />

neben ihm die Tür. Tom erstarrte vor Schreck. Aus purem Reflex schnellten seine Hände<br />

zu seiner Körpermitte. Ein kleines Mädchen sah ihn mit großen Augen erstaunt an. Tom<br />

stand einfach nur da, hatte keine Ahnung, was er nun machen sollte. Sie drehte sich<br />

wieder zur Wohnungstür um und Tom hielt die Luft an.<br />

75


„Papa, da steht ein nackter Mann im Flur!“, rief sie laut. Tom wurde schlecht. Wie<br />

sollte er einem Familienvater nur seine Situation erklären. Vermutlich würde er ihn für<br />

einen Perversen halten und die Polizei rufen. Zischend entließ er die Luft und wusste<br />

nicht, was er machen sollte. Wegrennen? Aber wohin denn? Ein kleiner Teil hoffte, dass<br />

er hier Hilfe bekam, aber so richtig konnte er nicht daran glauben.<br />

<strong>Das</strong> Mädchen starrte ihn ungeniert an und kicherte dabei. Tom schätzte sie auf<br />

vielleicht fünf oder sechs Jahre. Er hatte eine Nichte in diesem Alter und die beiden<br />

waren sich durchaus ähnlich.<br />

„Prinzessin, du sollst doch im Hausflur nicht so brüllen. Es ist doch noch früh am<br />

Morgen und…“ Ein Mann stand in der Tür und sah Tom erstaunt an. Er konnte fühlen,<br />

wie dessen Augen ihn von oben bis unten musterten. Wahnsinnig dunkle Augen, schoss<br />

es Tom durch den Kopf. Noch immer stand Tom wie erstarrt da. In diesem Moment<br />

wünschte er sich nichts sehnlicher, als sich in Luft aufzulösen, einfach verschwinden zu<br />

können. Er spürte die Hitze in seinem Gesicht und die vier fremden Augen, die ihn<br />

offensichtlich amüsiert beobachteten.<br />

„Ähm…“, räusperte er sich. Tom suchte nach Worten, aber sein Kopf war wie<br />

leergefegt. Er hörte nur das Kichern des kleinen Mädchens. Vorsichtig sah er den Mann<br />

an. Er erwiderte seinen Blick, grinste dabei und verschränkte die Arme vor der Brust. Ja,<br />

er grinste ihn eindeutig an. Irgendwie fühlte sich Tom erleichtert. Er hatte eher damit<br />

gerechnet…<br />

„Kann ich Ihnen vielleicht helfen?“, fragte der Mann und riss Tom aus seinen<br />

Gedanken. Immer noch konnte Tom dessen Blick auf sich fühlen und nun zog ein<br />

Kribbeln über seinen Körper. Die Stimme des Mannes klang angenehm und tief. Ihm<br />

wurde auf einmal ganz warm im Bauch.<br />

„Ich ... also, ich habe mich ausgesperrt“, krächzte Tom. Was war denn mit seiner<br />

Stimme los? Er straffte sich etwas, versuchte, sich so unauffällig wie möglich zu räuspern<br />

und betrachtete sein Gegenüber nun auch mit offenem Blick. Der Mann war ziemlich<br />

attraktiv.<br />

„Sie wohnen hier?“, fragte der Mann erstaunt. Mit Sicherheit wusste er genau, dass<br />

76


Tom nicht in diesem Haus wohnte. Die Kleine beobachtete ihn immer noch neugierig.<br />

„Nein, also…“ Tom konnte doch unmöglich vor dem Mädchen erzählen, dass er<br />

einen Typen abgeschleppt hatte, der hier irgendwo in diesem Haus wohnte. Anscheinend<br />

verstand der Mann sein Stammeln und hob erstaunt eine Augenbraue. Er grinste noch<br />

ein wenig breiter.<br />

an.<br />

„Papa, der Mann ist ganz nackt!“, sagte die Kleine noch einmal und sah ihren Vater<br />

„Ich sehe es, Prinzessin!“, erwiderte er.<br />

Und dann war Tom alles egal. <strong>Das</strong> kichernde Mädchen, der Mann, der ihn angrinste.<br />

Er konnte sich schließlich nicht noch mehr blamieren.<br />

„Ich muss ganz dringend auf´s Klo!“, brach es aus ihm heraus. Der Mann ging<br />

tatsächlich einen Schritt zur Seite und Tom nahm diese Geste als Einladung wahr und<br />

ging mit schnellen Schritten in die Wohnung.<br />

„Die erste Tür rechts“, hörte Tom ihn rufen. Tom verschwand augenblicklich hinter<br />

der genannten Tür, keuchte, als er die so dringend benötigte Toilette sah, und<br />

erleichterte sich. Dann blieb er einfach noch eine Weile sitzen, stützte seine Arme auf<br />

die Beine und legte seinen Kopf hinein. Problem Nummer eins war auf jeden Fall<br />

gelöst. Er fühlte sich unglaublich erleichtert. Im wahrsten Sinne des Wortes!<br />

Elf auf der Couch<br />

von Isabel Shtar (Ishtar)<br />

Herr Elf war nicht bloß „lecker“, sondern bildschön – und sah wirklich aus wie ein<br />

verfluchter Elf.<br />

Bei Wahrnehmungsstörungen wie dieser klafften Wunsch und Wirklichkeit nicht<br />

selten frappierend auseinander, was dann zu asthmatischen Ninjas, kleinwüchsigen<br />

Riesen oder verfetteten Amazonen führen mochte. Aber diesmal nicht, der hatte sich<br />

wirklich die passende Macke ausgesucht.<br />

Die ganze Erscheinung umwaberte eine Aura von Leichtfüßigkeit und Eleganz, die<br />

blattgrünen Haare fielen in dichten, glänzenden Strähnen bis auf die schmalen Hüften –<br />

77


da musste ein Meisterfriseur am Werke gewesen sein, Himmel, selbst das Schamhaar<br />

waren grün! Da war jemand sehr gründlich gewesen. Er war muskulös auf die Art eines<br />

Tänzers und hatte eine ebenmäßige, helle Haut. <strong>Das</strong> Gesicht war fein geschnitten,<br />

sinnlich und unschuldig zugleich, und ein paar warme braune Augen richteten sich weit<br />

aufgerissen auf ihn. Wilhelm schluckte. Karlas Warnung war gut gemeint gewesen, aber<br />

ein wenig unzureichend. Allerdings hatte er sie auch nicht recht zu Worte kommen<br />

lassen. Er verpasste sich innerlich einen Tritt, mahnte sich, sich gefälligst wieder<br />

einzukriegen, und lächelte entschlossen weiter.<br />

„Herr Lorbeerblatt?“, begrüßte er ihn, ohne auf ihn zuzutreten, das konnte auf<br />

einige verängstigend wirken, immer die Ruhe behalten. Und bloß nicht plump die falsche<br />

Identität anzweifeln.<br />

„Ha ... hallo“, erwiderte der andere zögerlich. Seine Augen flitzten etwas nervös<br />

durch den Raum und über Wilhelm, dann blieben sie an den Tulpen hängen. Der<br />

Rosenkranz auf seinem Kopf sah schon reichlich lädiert aus, gab seiner Erscheinung<br />

aber etwas zusätzlich Surreales.<br />

„Ich heiße Wilhelm Wagner. Ich bin Psychologe und soll Ihnen helfen, verstehen Sie<br />

das?“, fragte er sanft.<br />

Lorbeerblatt nickte und sah ihn wieder an. Die Farbe seiner Augen erinnerte<br />

irgendwie an eine Baumrinde. „<strong>Das</strong> ist nett“, sagte er gefasst. „Aber Sie können mir<br />

nicht helfen.“<br />

„Vielleicht doch. Ich habe schon vielen geholfen. Möchten Sie es nicht einmal<br />

probieren?“, blieb er am Ball.<br />

Der Möchtegern-Elf legte den Kopf in einer anmutigen Geste schief und schien<br />

etwas gequält zu lächeln. „Ich begreife, Sie müssen das tun, nicht wahr…? <strong>Das</strong> ist Ihr…<br />

Beruf? Und ich muss das auch tun, weil ich ein Gefangener bin und verrückt?“, fragte<br />

er.<br />

„Äh… so in der Richtung… Sie sind kein „Gefangener“, lediglich in Verwahrung,<br />

weil Ihr Verhalten in der Öffentlichkeit etwas besorgniserregend war, besonders auch für<br />

Sie selbst“, stellte Wilhelm klar.<br />

Lorbeerblatt seufzte. „Ja, das sehe ich ein. Ich verstehe die Menschenregeln noch<br />

78


nicht so ganz“, erwiderte er und schielte wieder auf die Blumen.<br />

„Wollen wir uns nicht setzen?“, fragte Wilhelm vorsichtig. „Da drüben hin zu den<br />

Tulpen?“ Der andere nickte erneut und trat vor.<br />

Wilhelm zählte innerlich bis zehn, dennoch konnte er einen neugierigen Blick auf die<br />

Kehrseite des anderen nicht ganz unterdrücken. Die Ranken mussten von einem Meister<br />

in seine Haut gestochen worden sein, so lebendig und natürlich wirkten sie,<br />

umschmeichelten die Schulterblätter und den Nacken, als wollten sie sich dort festhalten,<br />

wanden sich das Rückgrat hinab, umspielten den Ansatz der Hinterbacken und<br />

verschwanden in der Dunkelheit dazwischen, als hätten sie dort irgendwo ihren<br />

Ursprung. Er stand ja sonst überhaupt nicht auf diese tätowierten Typen, meist waren<br />

die Bilder billig in Motiv und Machart und harmonierten nicht zu dem darunter<br />

steckenden Körper und Wesen. Aber hier wirkte es völlig natürlich. Und in der<br />

Selbstverständlichkeit der zur Schau getragenen Nacktheit unfassbar ... beeindruckend.<br />

Schande, so einen Patienten hatte er definitiv noch nie gehabt, geschweige denn so einen<br />

Mann gesehen. Er war ein Profi, hämmerte er sich ein, ein schwuler Mann, sicher, aber<br />

an diesem Ort ein Psychologe, der es mit einer verwirrten Seele zu tun hatte. Ihm auf<br />

den perfekten Arsch zu starren mochte zwar eine ganz normale Reaktion auf so eine<br />

Erscheinung sein, aber hier völlig unangebracht und gefälligst zu unterdrücken.<br />

Lorbeerblatt ließ sich direkt vor der Vase auf die Polster sinken und schlug die Beine<br />

übereinander. Ein Lorbeerblatt kringelte sich keck von hinten hervor kommend in<br />

Richtung seines Hüftknochens, aber immerhin war so sein Schritt halbwegs verdeckt, das<br />

war sehr zuvorkommend von ihm, denn das, was da blitzte, war auch ... beeindruckend.<br />

Wilhelm setzte sich mit ziemlich gemischten Gefühlten ihm gegenüber in den Sessel<br />

auf der anderen Seite des flachen Couchtisches unmoderner Machart.<br />

„Erzählen Sie mir doch, was Ihres Erachtens nach gestern Abend im Park passiert<br />

ist“, forderte er ihn freundlich auf.<br />

Lorbeerblatt sah kurz zu ihm auf, bevor er sich wieder dem Inhalt der Vase widmete.<br />

Blumen-Fetischismus? Gab es so etwas? Sicher, es gab jede Form des Fetischismus…<br />

Lack und Leder… Klingonen… Eichhörnchen ... garantiert auch Blumen.<br />

„Ich…“, hob der andere an, „... ich bin doch verrückt, oder? Also habe ich ...<br />

79


verrückte Dinge getan?“<br />

„Die Menschen behaupten gerne, dass jemand verrückt sei, der sich ein wenig anders<br />

verhält als sie, aber das muss ja nicht heißen, dass man es auch ist. Sie hatten doch<br />

Gründe, zu tun, was Sie getan haben – empfinden Sie die selber als verrückt?“, bemühte<br />

sich Wilhelm.<br />

Der andere sah erneut auf. „Nein“, erwiderte er langsam. „Sicherlich nicht. Aber die<br />

Menschen ... entscheiden das doch, nicht ich.“<br />

„Ich bin nicht die Menschen, ich will nur verstehen, damit ich Ihnen helfen kann“,<br />

beruhigte ihn Wilhelm, während er sich darauf konzentrierte, dem anderen in das fein<br />

geschnittene Gesicht zu sehen. Lorbeerblatts Züge wirkten ein wenig wie gezeichnet,<br />

seine grünen Augenbrauen waren geschwungen wie die Bögen einer Kathedrale.<br />

„Nun gut“, gab Lorbeerblatt nach. „Wie ich Ihren Kollegen schon gesagt habe: Ich<br />

bin ein Elf. Die Rosen im Park waren so wunderschön ... und ich war so allein. Da<br />

können Sie mir aber nicht helfen.“<br />

„Gibt es denn jemanden, in dessen Gegenwart Sie sich nicht so allein empfänden?“,<br />

bohrte Wilhelm vorsichtig nach.<br />

Lorbeerblatt senkte den Kopf, sodass seine grünen Strähnen ihm geschmeidig über<br />

die nackten Schultern fielen. „Ja. Viele. Aber sie haben mich verstoßen. Ausgesetzt. Jetzt<br />

muss ich bei den Menschen bleiben, und es gibt niemanden mehr, nur noch die<br />

Blumen“, erklärte er tonlos.<br />

„Die anderen ... sind auch Elfen?“, fragte Wilhelm. Lorbeerblatt nickte bestätigend.<br />

„Warum haben die Sie ... allein gelassen?“ Erzählen lassen ... das erlaubte Rückschlüsse.<br />

Der andere nagte angespannt an seiner Oberlippe, die Tulpen fest im Blick. „Weil ich<br />

kein richtiger Elf bin in ihren Augen. Mein Vater war ein Mensch – und ich bin ihnen<br />

viel zu menschlich geraten“, erklärte er.<br />

„Es ist nichts Schlimmes daran, menschlich zu sein“, tröstete ihn Wilhelm sanft.<br />

„In ihren Augen schon. Ich darf nicht mehr unter ihnen leben, darf nicht mehr nach<br />

Hause, weil ich… Ich bin in ihren Augen ekelhaft, untragbar… wie die Menschen, kurz<br />

geduldet, aber nie… weil ich…“, verhaspelte sich Lorbeerblatt ein wenig<br />

niedergeschlagen.<br />

80


„Worin besteht denn Ihr Verbrechen in deren Augen?“, brachte ihn Wilhelm wieder<br />

auf Kurs.<br />

Lorbeerblatt zögerte kurz, dann gestand er, als sei er fast froh, diese Last loswerden<br />

zu können, indem er sie aussprach: „Meine Bedürfnisse“, würgte er hervor, „sind zu<br />

menschlich. Die Blumen, aber da ist noch mehr…“<br />

Wilhelm griff ganz langsam nach der Vase und schob sie näher zu ihm herüber. „Sie<br />

mögen Blumen sehr?“, stellte er eher fest, als dass er fragte.<br />

Lorbeerblatt starrte fast wie hypnotisiert auf die Blüten.<br />

„Möchten Sie sie anfassen?“, bot Wilhelm an. Vielleicht würde er so etwas mehr<br />

darüber erfahren, was sich hinter dieser verschobenen Selbstwahrnehmung verbergen<br />

mochte.<br />

Er verfolgte, wie eine leichte Rötung sich auf Lorbeerblatts Wangen breitmachte.<br />

Die baumrindenfarbenen Augen sahen ihn geweitet an. „Finden Menschen das nicht ...<br />

unanständig?“, fragte er etwas verwirrt, während er seine rechte Hand schon halb<br />

erhoben hatte.<br />

Wilhelm lächelte. „Blumen berühren? Nein. Und außerdem bin ich Psychologe.<br />

Alles, was Sie mir sagen oder zeigen, verlässt dieses Zimmer nicht. Nur die Folgerungen,<br />

nicht der Inhalt und das auch nur zu wenigen. Damit ich Ihnen helfen kann, muss ich<br />

aber auch erfahren, was in Ihnen vorgeht.“<br />

„In Ordnung“, fügte sich Lorbeerblatt. „Ich ... versuche es. Ich muss ja jetzt in der<br />

Menschenwelt leben, wenn so die Regeln sind? Aber ... es ist mir schon ein wenig<br />

peinlich…“<br />

„Muss es nicht!“, stellte Wilhelm klar. „Nicht vor mir. Ich verurteile Sie wegen gar<br />

nichts.“ Lorbeerblatt schluckte, dann griff er mit etwas zittrigen Finger nach einer roten<br />

Tulpe. Er zog sie hervor und hob sie vor sein Gesicht, wo er sie atemlos musterte. Sah<br />

doch eigentlich ziemlich elfen-mäßig aus. Wo war denn da das imaginäre Problem? <strong>Das</strong><br />

Wirkliche offenbarte sich indes recht schnell. Lorbeerblatt schloss die Augen und führte<br />

die Blütenblätter an seine Lippen, ließ sie voll zitternder Spannung über die sensible<br />

Haut gleiten. Sein Mund öffnete sich leicht, der Atem kam etwas beschleunigt, während<br />

er die Pflanze über sich gleiten ließ. Erst über das Gesicht, dann hinab über den Hals in<br />

81


seine Schulterbeuge. Wilhelm merkte, wie ihm etwas zitterig wurde. <strong>Das</strong> hier diente der<br />

Analyse, mahnte er sich, aber dennoch war es auf eine verrückte Art und Weise verflucht<br />

sinnlich. „Ich kann das Leben darin spüren“, flüsterte Lorbeerblatt ein wenig heiser,<br />

„und das ist ... normal für einen Elf. Aber ... dann ... dann kommt immer der Mensch in<br />

mir durch ... und es geschehen Sachen. Und die Blüten sind dann viel zu wenig… egal<br />

wie schön…“<br />

„Was für Sachen…?“, fragte Wilhelm, sich innerlich selber geißelnd.<br />

Lorbeerblatt öffnete die Augen, seufzte tief und gab sich einen Ruck. Der<br />

Tulpenkelch wanderte derweil über die Konturen seiner Brust, als sei er eine fremde<br />

Zunge, die ihn liebkoste. Seine langen, schlanken Beine schwangen auseinander, und er<br />

spreizte die Schenkel. Wie angezogen von einem Elektromagneten, starrte Wilhelm<br />

entgeistert hin. <strong>Das</strong> Geschlecht des anderen war voll erigiert und lag prächtig gegen die<br />

sich rasch hebende und senkende Baudecke gelehnt. Eine zarte Oberfläche, ein üppiges<br />

Format… und das ihm! Himmel hilf! „Na, das da“, meinte Lorbeerblatt etwas<br />

erbärmlich und wies auf sein „Problem“. „<strong>Das</strong> wird einfach hart, obwohl ich gar keine<br />

Bindung habe und auch gar keine Fortpflanzung ansteht! Wie bei einem Menschen!<br />

Ständig! Es ist nicht zum Aushalten und die Blumen reichen einfach nicht! Und die<br />

anderen… Sie ekeln sich vor mir und lachen und sagen, ich sei kein Elf, sondern wie ein<br />

Mensch und gefährlich, weil ich es nicht steuern kann. Und dann einfach nur noch ...<br />

will.“<br />

„<strong>Das</strong> ... das ist doch ganz natürlich…“, würgte Wilhelm hervor. Ganz ruhig ... der<br />

war verwirrt ... brauchte Hilfe… Er biss die Zähne zusammen, konnte aber nicht<br />

verhindern, dass es sich auch in seinem Unterleib regte. Ganz natürlich, in der Tat ...<br />

verdammter Mist. „Ist es das?! Ich verstehe so wenig davon! Und es wird immer<br />

schlimmer! Gestern Abend im Park ... die ganzen Blumen… Da ist es mit mir<br />

durchgegangen, ich dachte irgendwie, das würde reichen, es waren so viele! Aber es<br />

genügte einfach nicht! Es hört einfach nicht auf! Es kommt ständig wieder und lässt mir<br />

keine Ruhe! Und es reicht einfach nicht! Sehen Sie!“, klagte Lorbeerblatt, winkelte die<br />

Beine an und ließ die Blüte über seine Hoden hinab über seinen Damm gleiten. Aus den<br />

Tiefen ringelten sich auch hier winzige Ranken empor wie neu geborene Triebe.<br />

82


Wilhelm fühlte, wie seine Hände sich in die Sessellehnen krallten. Verzweifelt<br />

strampelte er innerlich nach Professionalität, aber diese Szenerie hatte die Wirkung eines<br />

erotischen Panzerbeschusses auf ihn. Der Möchtegern-Elf war bildschön – und er hielt<br />

ihm in verzweifelter Unschuld breitbeinig seine intimsten Bereiche vor die Nase, auf die<br />

etwas in Wilhelm sich am liebsten schreiend gestürzt hätte. Okay, in sexueller Hinsicht<br />

hing ordentlich was daneben bei dem. Was für eine Verschwendung! Oder war das ein<br />

besonders raffinierter Exhibitionist?! Zumindest keiner, auf den das Klischee vom zu<br />

kurz Gekommenen im dunklen Mäntelchen zutraf.<br />

„Warum ... verschaffen Sie sich dann nicht einfach selbst Erleichterung?“, fragte er<br />

zähneknirschend.<br />

„Wie denn?!“, wollte Lorbeerblatt wissen, während er sich weiterhin mit der Tulpe<br />

streichelte.<br />

„Äh… Na ja, Selbstbefriedigung eben? <strong>Das</strong> ist weder verwerflich noch unnatürlich“,<br />

dozierte Wilhelm, während er mental mit einem Hammer auf seinen sich<br />

verselbständigenden Schritt einschlug.<br />

„Ich weiß nicht, wie das geht! Elfen machen so etwas nicht! Aber Sie… Sie sollen<br />

mir doch helfen?“, hakte Lorbeerblatt nach und sah ihn aus riesigen Augen bittend an.<br />

Der Blütenstängel klemmte inzwischen zwischen seinen Hinterbacken und wurde dort<br />

im Unsichtbaren sanft hin und her gezogen.<br />

„Äh… ja!“, krächzte Wilhelm. Sollte er nach Ulrich rufen? Diesem Wahnsinn hier<br />

ein Ende setzen? Aber die Verzweiflung des anderen war echt, wenn auch nicht gerade<br />

aus Logik geboren, aber er war doch nicht das Dr.-Sommer-Team! Na ja, ein wenig<br />

schon unter den Umständen.<br />

„Bitte! Was soll ich machen? Was machen Sie denn – bei Ihnen ist es doch auch ganz<br />

hart gerade!“, stellte Lorbeerblatt klar und starrte ungeniert auf Wilhelms Körpermitte.<br />

83


Sonderformat: 17x22 cm<br />

Leben im Käfig<br />

Ein Roman über eine explosive erste Liebe,<br />

die von äußeren Umständen belastet wird, über<br />

Zusammengehörigkeit, das Erwachsenwerden und<br />

den Kampf gegen eine ernstzunehmende Krankheit.<br />

ISBN: 978-3-942539-78-4<br />

Preis: € 24,95 Broschiert: 404 Seiten<br />

Leseprobe<br />

Weitere Informationen unter:<br />

http://www.fwz-verlag.de<br />

oder http://www.fwz-edition.de<br />

Leben im Käfig<br />

Von seinen neunzehn Lebensjahren hat Andreas<br />

von Winterfeld die Hälfte im Haus seiner Eltern<br />

verbracht. Die Fesseln, die ihn halten, sind<br />

psychischer Natur. Er leidet unter einer schweren<br />

Form von Agoraphobie, die in Ermangelung einer<br />

Behandlung zunehmend an Tiefe gewinnt. Die<br />

lange Isolation und die unglücklichen<br />

Familienumstände haben ihn zu einem Aussenseiter<br />

gemacht - und zu jemanden, der sich kaum mit<br />

Menschen auskennt. <strong>Das</strong>s er schwul ist, ist fast sein<br />

kleinstes Problem, auch wenn er sich seinen von<br />

der Arbeit zerfressenen Eltern nicht anvertraut hat.<br />

In diese Anti-Idylle aus Privatunterricht,<br />

Einsamkeit und Langeweile platzt Sascha, der<br />

gerade erst nach Hamburg gezogen ist. Grund<br />

dafür sind gewisse Auseinandersetzungen mit<br />

seinen Eltern - und die Tatsache, dass er sich mit<br />

einem Schulfreund in flagranti auf Papas Couch hat<br />

erwischen lassen.<br />

Zwei junge Männer, die das Leben noch nicht recht<br />

am Schopf gepackt haben, aber eines mit Sicherheit<br />

wissen: Sie sind schwul und sie sind allein - jeder<br />

auf seine eigene Weise.<br />

Es sollte ihm leicht fallen. Schließlich war er nicht auf dem Weg zu seiner<br />

Hinrichtung, auch wenn es sich so anfühlte. Alles, was Andreas wollte, war in den<br />

Garten gehen. Schwimmen. Es sollte ihm nicht solche Angst machen. Es war nicht<br />

logisch, nicht erklärbar und schon gar nicht sinnvoll, doch er konnte sich nicht gegen das<br />

84


nagende Gefühl in seinem Magen, die Schwäche in seinen Beinen zur Wehr setzen.<br />

Andreas konnte nicht mit Bestimmtheit sagen, wie alt er gewesen war, als er begann,<br />

sich in speziellen Situationen nicht wohl in seiner Haut zu fühlen. Anfangs war es nur ein<br />

unbestimmtes Gefühl von Nervosität gewesen, das von seinem Körper Besitz ergriff<br />

und ihn dazu brachte, gewisse Orte zu meiden. Er wollte nicht zu seinen<br />

Klassenkameraden nach Hause eingeladen werden, mochte den Schwimmunterricht im<br />

Hallenbad nicht und gruselte sich vor den engen Sitzreihen im Kino. Als er zehn Jahre<br />

alt war – es war sein letztes Jahr auf der Grundschule, daran erinnerte er sich genau -,<br />

waren sein unterdrücktes Zittern und seine blasse Nase zum ersten Mal seiner Lehrerin<br />

aufgefallen. Er hatte alles abgestritten, obwohl er nicht wusste, warum. Nach der<br />

Unterrichtsstunde hatte er sich im Schutz der Toiletten übergeben und war anschließend<br />

wie von Höllenhunden getrieben nach Hause gerannt. Sein Fahrrad, seine Jacke, sein<br />

Ranzen blieben in der Schule zurück. Nichts hätte ihn weniger interessieren können.<br />

Ein paar Wochen später besuchte er die Schule nur noch sporadisch, schwänzte oder<br />

klagte morgens am Frühstückstisch über allerlei Krankheitssymptome, um<br />

daheimbleiben zu dürfen. Und wenn alles nichts half, machte er sich zum Schein auf den<br />

Weg, nur um auf halber Strecke wieder umzudrehen und zurück in die Villa zu<br />

schlüpfen, sobald seine Eltern aus dem Haus waren. Wieder wusste er nicht, warum er<br />

so handelte. Er wusste nur, dass es richtig war und sich gut anfühlte – besser als der<br />

Aufenthalt in einem Klassenraum mit fünfundzwanzig anderen Kindern und dem<br />

Gefühl, die Kontrolle zu verlieren. Natürlich blieb sein Verhalten nicht unbemerkt. Eine<br />

Reihe unangenehmer Gespräche und Untersuchungen folgten. Lehrer nahmen ihn<br />

beiseite und fragten ihn, ob bei ihm zu Hause alles in Ordnung sei. Die Eltern der<br />

anderen Kinder redeten über ihn. Er konnte sie miteinander tuscheln sehen, wenn er<br />

einmal einen Tag in der Schule durchgestanden hatte und den Pausenhof verließ. Und<br />

egal, wer ihn fragte, nie ließ er etwas auf seine Familie kommen. Bei ihnen stand alles<br />

zum Besten, abgesehen von der Kleinigkeit, dass seine Eltern selten daheim waren und<br />

nicht viel Zeit für ihn hatten. <strong>Das</strong>s es ihm panische Angst machte, sich außerhalb der<br />

Villa und gerade in Menschenmengen aufzuhalten, erwähnte er nie. Er war zu jung, um<br />

seine Ängste artikulieren zu können, aber alt genug, um zu spüren, dass er merkwürdig<br />

85


war. Anders als der Rest.<br />

Über die Jahre hatte sich die Schlinge um seinen Hals enger gezogen. Natürlich hatte<br />

es Versuche gegeben, ihm zu helfen. Es war nicht so, dass seine Eltern sich keine Sorgen<br />

um ihn machten. Nur waren sie mit der Diagnose, die gestellt wurde, nicht<br />

einverstanden. Kurz nach seinem zwölften Geburtstag fiel zum ersten Mal das Wort<br />

exzentrisch. Sein Vater hatte es in den Mund genommen. Er hatte mit seinem<br />

Schwiegervater telefoniert und war dabei gegen Ende laut geworden. Andreas, der im<br />

Wohnzimmer vor dem Fernseher hockte, hörte Richard von Winterfeld brüllen: „Mein<br />

Sohn ist nicht krank und braucht mit Sicherheit auch keinen verdammten<br />

Seelenklempner. Er ist halt etwas Besonderes und etwas exzentrisch. <strong>Das</strong> wächst sich<br />

aus!“<br />

Aber es hatte sich nicht ausgewachsen. Zumindest nicht bis zum jetzigen Zeitpunkt.<br />

Stattdessen war es schlimmer geworden. In den ersten ein oder zwei Jahren verschaffte<br />

der angeheuerte Privatlehrer Andreas etwas Erleichterung. Er wusste bis heute nicht, wie<br />

sein Vater es geschafft hatte, auf lange Sicht Hausunterricht für ihn durchzusetzen. In<br />

der heimischen Bibliothek unterrichtet zu werden, löste Andreas' Problem jedoch nicht.<br />

Mit jedem Tag schien sein Lebensraum ein bisschen enger zu werden. Jahr für Jahr<br />

fühlte er sich unwohler an fremden Orten, erwischte sich dabei, dass er permanent nach<br />

einem Fluchtweg suchte. Die schlechten Erfahrungen häuften sich und machten ihm<br />

immer mehr Angst. Irgendwann fragte er sich auch, was seine Mitmenschen dachten,<br />

wenn er plötzlich wie von der Tarantel gestochen ein Restaurant oder einen Supermarkt<br />

verließ. Schwitzend, zitternd, bleich, als hätte er ein Gespenst gesehen. Nach und nach<br />

entstand eine undefinierbare Todesangst, die ihn zu einem Tier auf der Flucht<br />

reduzierte. Sicher fühlte er sich nur in der Villa und auf dem umliegenden Gelände, bis<br />

er auch dieses Refugium aufgeben musste. Zuerst verlor er den Garten an die<br />

irrationalen Ängste. Er könnte zusammenbrechen, ein Flugzeug könnte auf das<br />

Grundstück fallen oder eine plötzliche Windhose ihn gegen den nächsten Baum<br />

schleudern.<br />

Schwachsinn, das wusste er. Dennoch hatte er seinen Horrorvisionen nichts<br />

entgegenzusetzen.<br />

86


Im Verlauf des letzten Jahres war hinzugekommen, dass er sich auch in den meisten<br />

Räumen des Hauses nicht mehr wohlfühlte. Ständig hatte er das Gefühl, seine<br />

Anwesenheit im Wohnzimmer oder in der Küche rechtfertigen zu müssen. Wann immer<br />

er sein Zimmer verließ, spürte er den Druck fremder Erwartungen auf seinen Schultern<br />

lasten. Noch wehrte Andreas sich dagegen, doch in der letzten Zeit fürchtete er<br />

vermehrt den Tag, an dem ihm selbst seine eigenen vier Wände keine Sicherheit mehr<br />

bieten würden. Was dann aus ihm werden sollte, war ihm schleierhaft. Ernsthaft<br />

Gedanken darüber machen wollte er sich jedoch auch nicht. Da steckte er lieber den<br />

Kopf in den Sand und gab den Vogel Strauß.<br />

Nun macht schon, mahnte Andreas seine unwilligen Füße, die sich weigerten, den<br />

letzten Absatz der Treppe zu nehmen und in den Flur zu treten.<br />

Warum sollten wir?, wisperte sein innerer Schweinehund in seinem Hinterkopf.<br />

Draußen ist es nicht sicher. Du musst nicht schwimmen gehen. Es ist nicht nötig, dass du dich in<br />

Gefahr bringst. Es ist dumm, für nichts und wieder nichts Risiken einzugehen.<br />

Nein, nötig war es nicht. Aber Andreas wollte gerne. Allein beim Gedanken an das<br />

kühle Wasser lief ihm ein angenehmer Schauer über den Rücken. Er liebte es, sich zu<br />

bewegen. Die Einzelhaft in seinem Kopf und seinem Zimmer führte dazu, dass er nur<br />

zwei Gefühlszustände kannte. Entweder er war rastlos und suchte verzweifelt nach<br />

einem Weg, seine überschüssige Energie loszuwerden oder er hing stundenlang<br />

bewegungslos auf seinem Bett oder vor seinem Computer; zu faul, um auch nur auf die<br />

Toilette zu gehen oder sich etwas zu trinken holen. Dazwischen gab es nichts.<br />

In diesem Moment brannte der Hunger nach körperlicher Bewegung in seinen<br />

Adern. Tief atmete Andreas durch, stellte sich den Geruch des Grases draußen vor, das<br />

Gefühl von Sonne und Wind auf seinem Gesicht. Diese Vorstellung gab ihm etwas<br />

Kraft. Entschlossen zerrte er an dem Band seiner schwarzen Badeshorts und strich sich<br />

die störenden Haare aus dem Gesicht. Dann übersprang er die letzten Stufen und<br />

durchquerte den Flur. Im steril eingerichteten Wohnzimmer angekommen schob er seine<br />

Zweifel in den hintersten Winkel seines Bewusstseins und machte sich an der<br />

Terrassentür zu schaffen, bevor die Angst die Chance hatte, von ihm Besitz zu ergreifen.<br />

Der Temperaturunterschied war enorm. Kaum, dass Andreas die ersten Schritte auf<br />

87


den rauen Sandstein der Terrasse tat, spürte er die Hitze über seine nackten Fußsohlen<br />

züngeln. Ein schwerer Duft stieg ihm in die Nase, halb heißer Asphalt, halb der süßliche<br />

Duft der Zierrosen, die in ihren Beeten traurig die Köpfe hängen ließen. Automatisch<br />

sah er zu den fast mannshohen Hecken hinüber, die das Anwesen in Richtung der<br />

benachbarten Grundstücke abgrenzten. Mit dem Haus in seinem Rücken konnte er<br />

durch einen mageren Baumbestand in einiger Entfernung den Elbstrand erkennen. Mit<br />

Sicherheit tummelten sich dort bei diesem Wetter viele Sonnenanbeter, aber damit<br />

musste er sich glücklicherweise nicht auseinandersetzen. Sein Ziel war der nierenförmige<br />

Pool in der Mitte des Gartens.<br />

Mit den besten Absichten betrat Andreas die gepflegte Rasenfläche. Die ersten<br />

Meter bewältigte er problemlos, doch kaum, dass er den Schatten der Villa verließ, spürte<br />

er die Schwäche in seinen Beinen. Seine Knie wurden weich, fühlten sich an, als würden<br />

sie ihm jeden Moment den Dienst versagen.<br />

Was habe ich erwartet, murrte Andreas innerlich. Die allgegenwärtige Frustration, die<br />

ihm mittlerweile in Fleisch und Blut übergegangen war, drohte ihn zu verschlingen.<br />

Warum tat er sich das hier an? Um eine Runde im Pool zu planschen? Er war doch kein<br />

Kind mehr, verflucht. Außerdem würde es ihm keinen Spaß machen. <strong>Das</strong> wusste er jetzt<br />

schon. Er würde sich die ganze Zeit über schlecht fühlen und am Ende im Wasser einen<br />

Krampf bekommen. Er könnte jetzt oben sein und sich mit dem neuen Computerspiel<br />

auseinandersetzen, das am Morgen geliefert worden war. Aber nein, er musste sich ja<br />

etwas beweisen, bei dem Versuch scheitern und sich hinterher fragen, warum er<br />

lebensunfähig war. Sein <strong>Das</strong>ein im Gefängnis war doch angenehm, solange er nicht wie<br />

ein Idiot gegen die Mauern rannte und sich eine blutige Nase holte. Warum also? Wofür?<br />

Für wen?<br />

Bis Andreas die weiß geflieste Umrandung des Pools erreichte, hatte die Angst sein<br />

Denken übernommen. Über Jahre erlernte Mechanismen griffen nach ihm und ließen es<br />

nicht zu, dass er etwas anderes empfand, als das was die Angst ihm vorgab. Der Wunsch<br />

zu schwimmen, sich zu bewegen, frische Luft zu schnappen schmolz ersatzlos dahin und<br />

ließ nichts zurück außer der vagen Frage, warum er überhaupt nach draußen gegangen<br />

war.<br />

88


Die Antwort fand er in dem Gespräch mit seiner Mutter vor einer Stunde. Sie hatte<br />

ihn motiviert, alte Sehnsüchte geweckt – die Sehnsucht nach einem normalen Leben.<br />

Früher war er oft draußen gewesen. Es war nie etwas passiert und er hatte sich gut<br />

gefühlt, wenn er auf den Grund des Pools tauchte und dort wie ein Delphin entlangglitt.<br />

Es hatte ihm ein Gefühl von Freiheit vermittelt und er liebte die Stille unter Wasser.<br />

Spring, befahl er sich selbst. Tu es. Und sei es nur, damit sie sich freut und ein besseres<br />

Gewissen hat. Denk nicht ... denk nicht.<br />

<strong>Das</strong> Wasser kam ihm entgegen und fing seinen Körper auf. Für den Bruchteil einer<br />

Sekunde empfand er so etwas wie Glück. Nach Tagen, in denen die Temperaturen stetig<br />

nach oben geklettert waren und Hamburg in eine Wüste verwandelten, ächzte seine Haut<br />

erleichtert auf. Kurz glaubte er, klarer denken zu können als noch vor wenigen Minuten.<br />

Andreas spuckte etwas Flüssigkeit aus und schüttelte wild den Kopf, sodass ihm die<br />

Haare um die Ohren flogen und als Schleier auf die Wasseroberfläche niedergingen. Er<br />

warf sich nach vorne, kraulte mit langen Bewegungen auf das Ende des Beckens zu und<br />

drehte unter Wasser um, als er es erreichte. Die ganze Zeit über gab es nur einen<br />

Gedanken in seinem Kopf: „Du darfst nicht denken.“<br />

Er war auf halbem Weg zur anderen Seite des Pools, als ein Knall aus einem der<br />

umliegenden Gärten seine Aufmerksamkeit weckte. Die Reaktion erfolgte prompt. Die<br />

Angst jagte ihm ungefragt Gift in das Gehirn. Er war nicht in der Lage das Geräusch als<br />

Nebensächlichkeit abzutun. Es war bedrohlich, seine Lage lebensgefährlich, der fremde<br />

Einfluss potentiell tödlich. Eine anderen Schluss ließ sein Kopf nicht zu.<br />

Hastig tauchte Andreas zum Rand des Beckens, wusste er doch, dass die körperliche<br />

Reaktion auf den Fuß folgen würde. Ihm wurde schwach zumute und seine Arme<br />

schienen ihn nicht mehr tragen zu wollen. Zu der irrationalen Angst, dass er den<br />

Beckenrand nicht erreichen würde, mischte sich die Sorge, dass ihn jemand beobachten<br />

könnte. Ihn und seine peinliche Vorstellung. Ein knapper Meter wurde für Andreas zu<br />

einer schier unüberwindlichen Entfernung und entsprechend überrascht war er, als seine<br />

Fingerspitzen gegen die Fliesen stießen. Zitternd lehnte er die Stirn gegen die gekachelte<br />

Wand, sammelte Kraft und verfluchte die Tatsache, dass der Pool so weit vom Haus<br />

entfernt war. Etwas in ihm war sich sicher, dass er diese Strecke nicht überwinden<br />

89


konnte. Gleichzeitig wusste er, dass er nur in seinem Zimmer zur Ruhe kommen würde.<br />

Doch wie immer, wenn die Panik nach ihm griff, hatte sein Verstand nicht die geringste<br />

Chance gegen seinen Fluchtinstinkt. Als er sich mit bebenden Oberarmen aus dem Pool<br />

kämpfte, schlug er sich ungestüm das Schienbein am Beckenrand auf. Er sah weder das<br />

Blut, das ins Wasser lief, noch spürte er den brennenden Schmerz.<br />

Die rettende Terrassentür schien meilenweit entfernt, kam nicht näher, so sehr<br />

Andreas auch rannte. Die Luft wurde ihm knapp, sein Magen wollte ihm durch den Hals<br />

entgegen springen und die Schwäche in seinen Beinen nahm gefährliche Ausmaße an. Er<br />

stolperte, stürzte um ein Haar und hinterließ feuchte Fingerabdrücke auf dem Glas der<br />

Schiebetür, bevor er ins Innere der Villa stolperte. Er musste sein Zimmer erreichen,<br />

sich hinlegen, schlafen. Wenn er aufwachte, würde es ihm besser gehen – viel besser.<br />

Aber das war es nicht, was er wollte. Er wollte nicht schlafen, nicht krank sein, nicht auf<br />

dem Bett liegen und sich damit auseinandersetzen, was für ein Versager er war.<br />

Wie so oft hatte er jedoch keine Wahl. Nach einer Panikattacke war er stets<br />

erschöpft, brauchte wenigstens für eine Stunde Ruhe, damit er sich regenerieren konnte.<br />

Wie ein geschlagener Hund kroch Andreas die Treppe hoch und verbarrikadierte sich in<br />

seinem unordentlichen Zimmer. Nur am Rande fiel ihm auf, dass seine Mutter recht<br />

gehabt hatte: Es roch muffig und unangenehm. <strong>Das</strong> war sein letzter Gedanke, bevor er<br />

sich krachend auf sein Bett warf und sich ein Kissen über das Gesicht zog.<br />

Als er eine Weile später erwachte, fühlte er sich wie der Schwächling, der er war.<br />

Ungebetene Überlegungen forderten seine Aufmerksamkeit ein; allen voran die Frage,<br />

wie es mit ihm weitergehen sollte. Um die Stimmen zum Schweigen zu bringen, ging er<br />

in den Keller, um sich seinen kleinen Sieg für den Tag zu holen. Lächerlich, wenn man<br />

sich vor Augen hielt, dass der Aufenthalt in einem anderen Raum als seinem Zimmer<br />

anstrengend für ihn war. Aber auch darüber wollte er nicht genauer nachdenken. <strong>Das</strong><br />

Laufband wartete auf ihn, schnurrte fast unhörbar unter seinen Schritten. Er kam nicht<br />

umhin, sich zu fühlen wie ein Hamster in seinem Laufrad. Und weil er dieses Gefühl<br />

nicht ertragen konnte, erhöhte er das Tempo des Bandes bis zu dem Punkt, an dem die<br />

Anstrengung jede weitere Überlegung verbot.<br />

90


Ein Gay Mystic <strong>Fantasy</strong>roman<br />

Eine Romanserie der besonderen Art.<br />

Sie Anderen II – <strong>Das</strong> Erbe erwacht<br />

Beinahe hätte der Dämon Dave Finn im<br />

Liebesspiel getötet, als er dem jungen Mann zu<br />

viel von dessen Lebensenergie nahm. Erst im<br />

letzten Moment, gelang es ihm, Finn der<br />

Dunkelheit zu entreißen. Ein unsichtbares<br />

Band führt sie immer wieder zusammen, doch<br />

den Liebenden droht Gefahr, denn Finns Erbe<br />

ist erwacht und das schicksalhafte Blut der<br />

Mirjahns wird immer stärker. Ein Mensch und<br />

ein Dämon- eine schier unmögliche Liebe. Bald<br />

schon werden sie sich unweigerlich als<br />

Todfeinde gegenüberstehen.<br />

Dämonenjäger töten Dämonen – und Dämonen töten<br />

Menschen.<br />

Die Lage spitzt sich zu, als die Anderen von<br />

Finns Existenz erfahren und Jagd auf ihn<br />

machen. Auch die Schwarzen Dämonenjäger<br />

haben längst Daves Spur aufgenommen.<br />

91<br />

ISBN: 978-3-942539-19-7 Preis: € 14,95<br />

Broschiert: 176 Seiten<br />

Taschenbuchformat:17,00 x 22,00cm<br />

Weitere Informationen unter:<br />

http://verlag.fwz-edition.de<br />

http://www.fwz-edition.de<br />

Finn's Amulett:<br />

Echt Silber, jedes Stück ein handgefertigtes<br />

Unikat.<br />

Limitierte Auflage, nur beim <strong>Fantasy</strong> <strong>Welt</strong><br />

<strong>Zone</strong> Verlag/<strong>Edition</strong> erhältlich!<br />

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Leseprobe<br />

Die Schatten der Nacht lagen über der Hansestadt Lüneburg.<br />

Am Fenster eines hohen, schmalen Gebäudes stand eine hagere, dunkel gekleidete<br />

Gestalt und starrte auf die bunten Lichter der Stadt. Vereinzelt leuchteten auf der Straße<br />

die Scheinwerfer eines vorbeifahrenden Autos auf. Um diese späte Uhrzeit war jedoch<br />

nicht mehr viel los in der kleinen Stadt, die sich trotz ihres beständigen Wachstums<br />

immer ein wenig von dem kleinstädtischen Charme einer alten Hansestadt bewahrt<br />

hatte.<br />

Mit unbewegtem Gesicht starrte der Mann aus schwarzen Augen in die Nacht<br />

hinaus, nahm seine Umgebung allerdings mit viel mehr Sinnen als seinen Augen wahr.<br />

Sein ausgeprägter Geruchssinn übermittelte ihm überdeutlich die Gerüche der Nacht,<br />

mischte aus dem Gestank der Mülltonnen unten am Hauseingang, dem Duft des<br />

gemähten Rasens ein paar Häuser weiter, anbrennenden Grillfleisches auf dem Balkon<br />

in der nächsten Straße ein ganz eigenes, buntes Bild. Süßlicher und teilweise von mehr<br />

oder weniger Parfüm überlagert, war da vor allem der Geruch der Menschen, die rings<br />

um ihn herum ihr ahnungsloses Leben lebten. Seine scharfen Ohren vernahmen das<br />

Rascheln der Blätter, das leise Reiben der Gräser im Wind, ein unechtes, lustvolles<br />

Stöhnen der Frau in der Wohnung unter ihm, deren Ehemann seiner nächtlichen Pflicht<br />

mehr als schlecht nachkam und selbst das kratzende Geräusch der Mäusefüße gegenüber<br />

in der alten Garage. Der hagere Mann konzentrierte sich und konnte ihren winzigen,<br />

hektischen Herzschlag spüren, ihr dünnes Blut riechen und ihre Ängste fühlen. Winzige<br />

Lebewesen in dieser gewaltigen <strong>Welt</strong>, unbedeutend und klein, viel zu leicht zu töten.<br />

Kaum anders als Menschen.<br />

Thomas seufzte und wandte sich ab, trat zurück vom Fenster und betrachtete<br />

nachdenklich den spärlich beleuchteten Stapel an Zeitungen auf seinem Tisch. Er war<br />

müde. Unendlich müde.<br />

Unendlich müde. So viele Jahre jagte er sie nun schon und es wurde immer<br />

schwieriger, sie zu finden. Zu gut verbargen sie sich, hatten sich dieser <strong>Welt</strong> zu gut<br />

angepasst. Jeder winzigen Spur ging er nach, wovon sich die meisten zudem als<br />

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unergiebig erwiesen. Thomas war sich bewusst, dass er an die Ältesten nicht herankam.<br />

Raffiniert hielten sie sich verborgen, wussten genau, dass er ihnen gnadenlos auf den<br />

Fersen war.<br />

Wenn er sie nur so einfach fühlen könnte wie die Menschen ringsum! Ein grimmiges<br />

Lächeln verzog seine Mundwinkel und ließ sein Gesicht bösartig, fratzenhaft erscheinen.<br />

Die Tätowierung am Hals wirkte im unzureichenden Schein der Schreibtischlampe<br />

eigentümlich lebendig. Unwillkürlich fuhr Thomas sich darüber und strich sich eine<br />

schwarze Haarsträhne aus dem Gesicht. Seine harten Züge veränderten sich nicht, als er<br />

an seine heutige Begegnung zurückdachte.<br />

Ein neues Rätsel. Dieser junge Mann, Finn. Groß, schlaksig, ein wenig unbeholfen,<br />

unauffällig, eher schüchtern und extrem unsicher. Thomas erinnerte sich an sein Gesicht<br />

mit den lockigen, hellbraunen Haaren und den großen, wachen, hellbraunen Augen.<br />

Verborgene Stärke lag darin, wie etwas, das nur erweckt werden musste, etwas, das nur<br />

schlief, bereit sich zu entfalten. Es waren vor allem die Augen, die Thomas an ihm<br />

aufgefallen waren. Etwas in ihnen war ihm seltsam vertraut vorgekommen, wie eine<br />

ferne Erinnerung, viel zu lange zurück. Hellbraune Augen, der gleiche Ausdruck wie …<br />

Thomas schloss die Lider, spürte die brodelnde Wut, eine heiße Welle verzehrenden<br />

Hasses, vertraut, wie einen guten Freund in sich aufsteigen. Stark, ungebrochen, selbst<br />

nach so vielen Jahren. Nie vermochte er daran zu denken, ohne vor glühendem Hass zu<br />

vergehen. Längst waren seine Erinnerungen zu unwirklichen Schemen verblasst, kaum<br />

noch zu unterscheiden von seinen sehnsüchtigen Träumen, verschlossen, verborgen tief<br />

in ihm. Ob sie real oder seinen Wünschen entstammten, vermochte er selbst nicht mehr<br />

zu sagen. Dennoch war die kaum greifbare Erinnerung an diese Szene seine nie<br />

erlahmende Antriebsfeder.<br />

Sein Schwur. Mit seinem eigenen Blut auf den steinigen Boden geschrieben.<br />

Vergeltung! Sie würden bezahlen, alle würden sie dafür bezahlen, jeder Einzelne von<br />

ihnen. Sein Hass ließ ihn sich lebendig fühlen, verdrängte die immer häufiger kommende<br />

Müdigkeit. Er konnte nicht ruhen, durfte es nicht, bis der letzte von ihnen vernichtet<br />

war. Er würde sie alle finden und vernichten. Jeden einzelnen von ihnen mit seinem Tod<br />

bezahlen lassen. Vorher gab es keine Ruhe, keine Vergebung für ihn.<br />

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Seine Gedanken wanderten zu Finn zurück. Thomas runzelte nachdenklich die Stirn.<br />

Finn hatte wie andere Menschen gerochen, doch da war noch ein anderer Geruch an<br />

ihm gewesen. Thomas war es so gewesen, als ob er einen Dämon hätte riechen können,<br />

der Geruch allerdings nicht richtig fassbar, nur ein Hauch des üblichen Gestanks. Was<br />

jedoch viel verwunderlicher war: Finn hatte keine normale Aura, keine übliche<br />

menschliche Präsenz gehabt. Bis Thomas sich ihm auf wenige Meter genähert hatte, war<br />

alles um ihn diffus gewesen, wie ein bunter Nebel, als ob etwas ihn verbarg, seine Aura<br />

Thomas' Sinnen entzog. So etwas war ihm bisher noch nicht passiert.<br />

Unliebsam drängten sich Erinnerungsfetzen in seinen Kopf. Damals … auch er hatte<br />

keine übliche Aura gehabt. Der letzte von ihnen. Keine Nachkommen. Thomas<br />

schüttelte unwillig den Kopf, wollte keine weitere schmerzhafte Erinnerung<br />

hochkommen lassen. Völlig unmöglich, dass Finn damit etwas zu tun hatte. Gänzlich<br />

unmöglich!<br />

Wieso hatte er nur von dem Bannspruch gewusst? Nur jemand, der über die<br />

machtvollen Worte Bescheid wusste, hätte es erkannt und Finn verfügte über keine<br />

Magie, die hätte Thomas sofort gespürt. Selbst Angelika, die über ein beträchtliches<br />

Potential verfügte, wusste nicht genug, um die machtvollen Worte der alten Bannsprüche<br />

zu lesen. Sie waren immer nur innerhalb der alten Familien der Jäger von Generation zu<br />

Generation weitergereicht worden. Daher hätten vermutlich nur die alten Jäger und<br />

Dämonen den Fehler überhaupt erkannt.<br />

Finn war bestimmt kein Jäger. Zu viel Angst, und ihm fehlte jene gnadenlose<br />

Entschlossenheit, die Thomas an einem echten Jäger so schätzte. Ein Dämon schien<br />

Finn allerdings auch nicht zu sein, nicht einmal ein halber, denn auch das hätte Thomas<br />

in jedem Fall bemerkt. Was auch immer er war, er würde ihn auf jeden Fall im Auge<br />

behalten müssen.<br />

In Lüneburg ging etwas vor sich; Thomas wusste es, spürte es mit Sinnen, die den<br />

normalen Menschen nicht zur Verfügung standen. Schon seit Jahren agierte er aus gutem<br />

Grund von hier aus. Lüneburg. Dieser Ort hatte eine besondere Bedeutung für die<br />

Dämonen. Thomas konnte den Grund nicht benennen, spürte es mit Instinkten, die den<br />

Menschen nicht zur Verfügung standen.<br />

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Da war dieses Dämonenbrüllen in der Nacht gewesen. Die Stimme eines sehr alten<br />

Dämonen, der seinen Hunger und seine Wut hinausschrie ... Thomas war davon aus dem<br />

Schlaf gerissen worden, hastig in die Nacht hinaus gestürzt, hatte versucht, den<br />

Dämonen zu finden, erfüllt von seinem brennenden Hass. Er hatte ihn gerochen, für<br />

einen Moment sogar seine gewaltige, glühende Aura spüren können, dann war er<br />

verschwunden und Thomas war wutentbrannt durch die Gassen gerannt, hatte<br />

verzweifelt versucht, ihn wieder zu finden. Einer der Uralten. Hier, in Lüneburg.<br />

Thomas vertraute seinen Instinkten, konnte sich voll auf sie verlassen. Sie hatten ihn<br />

heute Abend in das Büro gezogen, welches den Schwarzen Jägern als Basis diente. Da<br />

war eine Erinnerung, etwas, was ihm eingefallen war. Die schwarzen Haare fielen<br />

Thomas ins Gesicht, als er sich vorbeugte und gezielt aus dem Stapel alter Zeitungen<br />

eine hervorzog. Sie war auf einer Seite aufgeschlagen, ein Artikel rot markiert worden.<br />

Thomas überflog die Überschrift: „Vampir saugt Student aus - Todesgefahr auf dem<br />

Campus“.<br />

Hartmut hatte den Artikel vor vielen Wochen markiert wie viele andere zuvor, die<br />

sich täglich in dieser Art von Zeitungen fanden. Thomas erinnerte sich grimmig, dass er<br />

selbst ihn als unwichtig eingestuft hatte. Bei der derzeitigen Euphorie für Vampire war er<br />

bloß ein weiterer Beweis dafür, dass die Menschen dumm waren. Thomas wusste genug<br />

von den echten Vampiren. Tödliche Jäger waren sie gewesen, bestialische, gnadenlose<br />

Mörder. Keine glorifizierten Verführer voll Sexappeal. Und sie glitzerten nicht, keiner<br />

von ihnen! Zudem waren sie längst ausgerottet, woran die Schwarzen Jäger den größten<br />

Anteil hatten, wenngleich sie sich redlich bemüht hatten, sich selbst gegenseitig zu<br />

dezimieren.<br />

Thomas überflog noch einmal den Artikel. Wenn er ihm glauben durfte, dann war<br />

zwar kein Vampir in Hamburg tätig geworden, jedoch wohl ein anderer Dämon, der<br />

leichtsinnig genug gewesen war, sein Opfer laufen zu lassen. Welcher Dämon war so<br />

dumm? Hamburg war viel zu nahe an Lüneburg und die Uralten jagten alleine in ihrem<br />

Revier. Es war also gut möglich, dass dieses Brüllen von eben jenem Dämonen stammte,<br />

dem der Student entkommen war. Ein Student, wie … Finn.<br />

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Thomas lächelte zufrieden. Gleich Morgen würde er zu Roger hinaus fahren, die<br />

Messer abholen und eventuell noch ein paar Antworten auf die eine oder andere Frage<br />

bekommen.<br />

***<br />

In etwa zur gleichen Zeit rollte ein später Zug im Bahnhof in Lüneburg ein. Lange<br />

bevor er anhielt, waren einige der Menschen bereits aufgestanden und holten ihr Gepäck<br />

hervor. Unübersehbare Hektik breitete sich aus, jeder schien bemüht, den Zug<br />

schnellstmöglich zu verlassen. Unbeeindruckt davon saß an einem der Fensterplätze ein<br />

drahtiger Mann mit einem blassen, scharf geschnittenem Gesicht, aus dem extrem<br />

dunkle Augen die Menschen ringsum abfällig musterten. Er saß völlig alleine. Selbst die<br />

Sitze vor und hinter ihm waren leer geblieben. Niemand hatte sich hierher setzen wollen,<br />

in seine Nähe, zu bedrohlich und fremdartig war seine Ausstrahlung gewesen.<br />

Der ansonsten eher unscheinbare Mann trug einen dunkelblauen, offensichtlich<br />

maßgeschneiderten Anzug mit dunkleren Mustern und hatte keinerlei Gepäck dabei.<br />

Gelassen wartete er ab, bis sich das Abteil zunehmend leerte. Mit einer eleganten<br />

Bewegung erhob er sich, schritt als letzter durch den Gang und trat auf den Bahnsteig<br />

der alten Stadt. Kurz blickte er sich forschend um, schnupperte und nahm seine<br />

Umgebung mit all seinen Dämonensinnen wahr.<br />

Diese Stadt war alt und etwas ganz Besonderes. Russell vermochte nicht zu sagen,<br />

warum, doch aus unerfindlichen Gründen wusste er es. Nicht umsonst hatte es die<br />

Anderen immer wieder hierher gezogen, Dave wie andere zuvor.<br />

Russell verzog den Mund und rümpfte die Nase. Menschen, viele unterschiedliche<br />

Menschen. Manche heiß und süß duftend, andere mit weitaus unangenehmeren<br />

Gerüchen oder voller künstlicher Duftstoffe, die ihn eher abschreckten als anzogen. Sein<br />

Blick glitt ein wenig nachsichtig über die hin und her eilenden Menschen.<br />

Direkt neben ihm wurde gerade ein Vater von seiner Familie stürmisch begrüßt.<br />

Seine Frau fiel ihm um den Hals und küsste ihn leidenschaftlich, beteuerte, wie sehr sie<br />

ihn vermisst hatte. Sein kleiner Sohn schaute eher gelangweilt zu ihnen auf, als sein Blick<br />

plötzlich von dem Mann mit den stechenden Augen aufgefangen wurde.<br />

Russell lächelte ihn an und ließ dabei seine spitzen Zähne ein wenig aufblitzen.<br />

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Ungläubig starrte ihn der Junge an und Russell gönnte sich den Spaß. Seine Augen<br />

glühten für einen kurzen Moment rot auf, woraufhin der Junge sich erschrocken zu<br />

seiner Mutter umwandte und heftig an ihrem Ärmel zu zerren begann.<br />

Zufrieden grinste Russell und schritt gelassen davon, während hinter ihm die Mutter<br />

ihren Sohn ausschimpfte, dass er nicht immer solche Gruselgeschichten verbreiten sollte<br />

und sie ihm tausendmal gesagt hatte, er solle Papas Horrorvideos nicht anrühren.<br />

Die kleine Episode versöhnte Russell damit, dass er dieses Mal auf so wenig stilechte<br />

Weise nach Lüneburg gekommen war. Leider verfügte er als Halbdämon über keine<br />

ledernen Schwingen und ihm blieb nur die menschliche Art der Fortbewegung. Er<br />

verfluchte sich dafür, dass er nicht mit dem Auto gekommen war, erinnerte sich jedoch<br />

zu gut daran, was letztes Mal passiert war. Dumme, neugierige Polizisten hatten ihn mit<br />

dem gestohlenen Cabrio angehalten und ihn tatsächlich nach seinem Führerschein<br />

gefragt. Einen köstlichen Moment lang hatten sie sehr überrascht reagiert, als er ihnen<br />

sein bestes dämonisches Lächeln geschenkt hatte. Vermutlich hatte man ihnen nie<br />

beigebracht, wie man sich gegen einen Angreifer mit einem Gebiss voller scharfer Zähne<br />

und den Reflexen eines Dämons verteidigte.<br />

Russell lächelte versonnen. Voller ungläubiger Angst hatten sie ihm<br />

zugegebenermaßen besonders gut geschmeckt. Ihr Verschwinden hatte allerdings leider<br />

recht viel Aufsehen erregt. Mit ein Grund, warum man auf solche Opfer verzichten<br />

sollte, dachte er seufzend. Dave hatte es ihm oft genug gesagt. Besser unauffällig bleiben,<br />

Opfer, die keiner so schnell vermisste und vor allem keine Spuren hinterlassen.<br />

Eingedenk dessen hatte er sich diesmal eben in einen Zug gesetzt. Nur welcher echte<br />

Dämon fuhr schon mit dem Zug? Russell, der sich selbst mehr als Dämon sehen wollte,<br />

war das wirklich peinlich. Zu seinem Glück würde es wohl kein Anderer mitbekommen.<br />

Russell schaute auf den Zettel, den ihm Daves Sekretärin mitgegeben hatte. Er hatte<br />

mit der Sekretärin ein wenig geflirtet und erfahren, dass Dave vor einigen Wochen<br />

geschäftlich nach Lüneburg gegangen war, jedoch nicht gesagt hatte, wann er<br />

wiederkommen würde. Dieser Gauner hatte sich tatsächlich hier eine Wohnung gekauft.<br />

Bereitwillig hatte die Sekretärin ihm die Adresse gegeben, unter der Dave erreichbar sein<br />

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sollte. Nur, was er hier wollte, das hatte Russell nicht herausfinden können. Er<br />

vermutete, dass es mit diesem merkwürdigen Menschen zusammenhing, den Dave sich<br />

letztlich genehmigt hatte und den er doch wahrhaftig danach laufen gelassen hatte. Ein<br />

seltsames Verhalten. Es passte so gar nicht zu dem alten Dämon.<br />

Russell war wirklich neugierig geworden. Viele lange Jahre kannte er Dave schon,<br />

aber ein solches Verhalten widersprach allem, was ihn der alte Dämon selbst gelehrt<br />

hatte.<br />

Was hatte Dave nur vor? Russell war erpicht darauf, es herauszufinden. Zudem<br />

langweilte er sich alleine in Hamburg.<br />

Russell fand ein Taxi und nannte dem Fahrer die Adresse. Der Fahrer, ein türkischer<br />

junger Mann nickte eifrig und fuhr los. Während der Fahrt genoss Russell den leichten<br />

Geruch von Angstschweiß, der dem Taxifahrer unerklärlicherweise über den Rücken lief.<br />

Immer wieder blickte der sich nach seinem Fahrgast um und war noch nie in seiner<br />

bisherigen Karriere so froh gewesen, einen Gast loszuwerden.<br />

Russell stand nun vor dem modernen Haus und betrachtete stirnrunzelnd das<br />

Gebäude. Daves Wohnung befand sich im obersten Stock, dort schien alles dunkel zu<br />

sein. Seufzend zuckte er mit den Schultern und schritt zur Haustür. Dave schien<br />

tatsächlich nicht da zu sein, denn niemand öffnete auf sein Klingeln hin. Mehrere<br />

Minuten überlegte Russell, ob er noch einmal versuchen sollte, Dave anzurufen, aber da<br />

der auch auf die letzten Anrufe nicht reagiert hatte, erschien das ziemlich sinnlos. Er<br />

würde wohl warten müssen, bis der Dämon von seinem Nachtmahl zurückkehrte.<br />

Erneut seufzte Russell genervt und verschmolz langsam mit den Schatten des<br />

Hauseingangs. Er hasste es zu warten, er war kein geduldiger Mensch. Kein geduldiger<br />

Dämon, korrigierte er sich hastig selbst. Dabei war das eine besonders gute dämonische<br />

Eigenschaft, zu lauern, zu warten, bis das Opfer sich näherte. Heute war er ein Dämon,<br />

der auf einen anderen Dämon wartete. Russell kicherte vor sich hin. Was für eine<br />

verrückte Sache.<br />

98<br />

***


Fahles Vollmondlicht beleuchtete skurrile Skulpturen in einem kleinen Vorort<br />

Lüneburgs und verlieh dem rostigen Metall einen einheitlich silbrigen Schimmer.<br />

Gelegentlich huschte der Hauch von Kupfer über die Oberflächen, wenn der<br />

Feuerschein aus der Schmiede herüber schien. Funken schlugen aus dem heißen Metall,<br />

wenn der Schmied Roger den Hammer wuchtig niederfahren ließ, bis das viereckige<br />

Werksstück langsam flacher wurde und die gewünschte Form annahm. Zwischendrin<br />

schob er es in die Esse und zog das nächste Stück heraus, um es ebenso mit dem<br />

Hammer zu bearbeiten. Roger liebte das besondere Zusammenspiel des heißen Eisens<br />

und Feuers mit seiner Muskelkraft, die ihm Form und Gestalt gab. Es war, als ob er aus<br />

dem Feuer die Magie ziehen, sie im Metall in Form bringen konnte. Während sein<br />

Körper den unsichtbaren Regeln dieser Magie folgte, wanderten seine Gedanken frei<br />

herum, beschäftigten sich mit der Vorbereitung des Treybens und wanden sich um das<br />

vergangene Wochenende. Ärger auf den Dämonenjäger kam hoch, wegen dem er jetzt<br />

noch in der Schmiede stand und so spät abends die gewünschten Messer schmiedete.<br />

Thomas war und blieb ein unangenehmer Mensch voller Geheimnisse, obwohl ihn<br />

Roger nun schon seit fast zwei Jahren kannte. Wieso hatte er wohl so merkwürdig auf<br />

Finn reagiert? Gut, der war neu bei ihnen gewesen und Thomas war nie gut auf Fremde<br />

zu sprechen, sah in allem und jedem eine Bedrohung. Dieses regelrecht feindselige<br />

Verhalten Finn gegenüber passte dennoch nicht ganz zu ihm.<br />

Roger fachte das Feuer stärker an und zog das dritte Messer heraus, bearbeite es<br />

sorgfältig und ließ es in den Eimer mit kaltem Wasser gleiten, wo es zischend und<br />

dampfend abkühlte.<br />

„Wie weit bist du?“, erkundigte sich eine Stimme hinter ihm und er drehte sich<br />

lächelnd um. Angelika stand im Eingang der Schmiede, hielt eine Tasse Tee in der Hand.<br />

„Ich dachte, du könntest etwas Stärkung gebrauchen“, meinte sie und runzelte die Stirn,<br />

als ihr Blick auf die geschmiedeten Messer fiel. Verärgert verzog sie den Mund. „Hätte<br />

das nicht auch bis morgen Zeit gehabt?“ Ihre Stimme klang genervt und besorgt. Roger<br />

schüttelte stumm lächelnd den Kopf und wischte sich mit dem Unterarm den Schweiß<br />

von der Stirn.„Thomas wollte morgen schon kommen, um sie abzuholen und ich habe<br />

keine Lust, mir seine Vorwürfe anzuhören, wenn sie nicht fertig sind“, meinte Roger,<br />

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legte den Hammer aus der Hand und trat zu der Kräuterhexe. Er kannte Angelika schon<br />

aus der Schulzeit, sie waren wie Geschwister miteinander vertraut. Gleiches Karma,<br />

hatte sie mal gemeint, als Roger sie fragte, warum sie und er sich so extrem gut<br />

verstanden, ohne dass es je eine Liebesbeziehung geworden wäre. Angelika hatte wissend<br />

gelächelt und vermutet, dass sie in einem vorigen Leben schon einmal<br />

aufeinandergetroffen waren und sie seither ein besonderes Schicksal verband. Ob es<br />

stimmte oder nicht, in ihrem derzeitigen Leben passten sie auf jeden Fall gut zusammen.<br />

„Melissentee mit Minze“, erklärte Angelika und reichte ihm die Tasse. Sie trug<br />

komplett dunkle Kleidung, hatte einen Großteil ihres Schmucks abgelegt und sah damit<br />

ungewöhnlich gewöhnlich aus.<br />

„Du gehst noch raus?“, fragte Roger verblüfft nach, nahm die Tasse dankbar an und<br />

trank in gierigen Schlucken. „Es ist Vollmond. Da kann ich am besten wirkungsvolle<br />

Kräuter sammeln“, bestätigte Angelika und betrachtete Roger nachdenklich. „Dir geht<br />

Thomas' Verhalten noch durch den Kopf, oder?“ Der junge Schmied nickte bedächtig,<br />

sich sicher, dass auch sie das aggressive Verhalten des Jägers beschäftigt. Mitunter war es<br />

beinahe so, als ob sie telepathisch kommunizieren könnten. Vielleicht war es auch etwas<br />

in der Art, wer wusste das schon so genau.<br />

„Er hat Finn merkwürdig angesehen. So als ob er ...“ Roger brach ab, dachte laut<br />

nach: „Ich weiß auch nicht. Als ob er ihm vielleicht nicht ganz unbekannt wäre; also<br />

bevor er ihn so komisch behandelt hat. Da war fast etwas Zärtliches in seinem Blick.“<br />

Angelika nickte zustimmend. Ihr rotes Haar hatte sie mit einem schwarzen Kopftuch<br />

gebändigt, nur hier und da lugte eine vorwitzige Locke hervor.<br />

„Ich weiß, was du meinst“, bestätigte Angelika nachdenklich. „Der harte Thomas.<br />

Für einen Moment sah er beinahe erschrocken aus. Seine Augen hatten einen ganz<br />

anderen Ausdruck als sonst. Weicher.“ Roger brummte zustimmend, strich sich dabei<br />

den Schweiß von der Stirn. „Auf jeden Fall ist er echt mal wieder ein Ausbund an<br />

Freundlichkeit gewesen, nicht wahr?“, fragte Angelika nach und Roger nickte<br />

zustimmend. „Ich glaube, er kann nicht mehr anders. Michael ist ihm ja regelrecht hörig<br />

und dein Hartmut ebenso, aber Thomas behandelt Menschen teilweise wirklich wie<br />

lästiges Ungeziefer.“<br />

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„Er ist nicht mein Hartmut, okay?“, schnappte Angelika sofort, fügte jedoch<br />

versöhnlicher hinzu: „Hartmut ist okay und nett!“ Sie biss sich in die Unterlippe. „Wenn<br />

er nicht mit Thomas zusammen ist“, fügte sie zerknirschter hinzu. „Michael hingegen<br />

bewundert jeden, der so cool auftritt wie Thomas. Jeden, der wirklich kämpfen kann.“<br />

Angelika grinste verschmitzt. „So wie Max jeden anschmachtet, der nur halbwegs<br />

appetitlich aussieht. Wenn Thomas es nicht bemerkt, wirft er sogar dem solche Blicke<br />

zu.“ Roger runzelte misstrauisch die Stirn. „Doch, echt!“, bestätigte Angelika lachend.<br />

„Ich glaube, insgeheim würde sich Max von Thomas gerne mal flachlegen lassen.“<br />

Sie zwinkerte ihm frech zu. „Wo er schon bei dir keine Chance hat!“ Roger machte<br />

eine müde, abwehrende Geste, grinste jedoch. „Thomas also auch? Ich fürchte, Max<br />

wird bei dem noch mehr auf Granit beißen als bei jedem anderen, den er sehnsüchtig<br />

anhimmelt. Armer Max.“<br />

Sie schwiegen einen Moment, hingen jeder ihren eigenen Gedanken nach.<br />

„Hat es dich eigentlich überrascht, dass Finn schwul ist?“, fragte Angelika leise nach.<br />

„Nein, nicht wirklich“, antwortete Roger und zog nebenbei das abgekühlte Messer aus<br />

dem Eimer. Sein Gesicht blieb ausdruckslos, als er das Metall hochhielt und kritisch von<br />

allen Seiten betrachtete. „Irgendwie hatte ich das schon vermutet.“ Er lächelte kaum<br />

merklich versonnen, erntete dafür ein wissendes Lächeln von Angelika. „Gaydar“, gab<br />

sie augenzwinkernd zurück. Roger betrachtete eingehend sein Messer, erwiderte erst<br />

nach einer längeren Pause: „Er scheint ganz schön schüchtern und verklemmt zu sein,<br />

aber ziemlich nett.“ „Ich mag ihn“, bestätigte Angelika augenblicklich enthusiastisch.<br />

„Er wirkt noch ein bisschen wie ein unsicherer Junge mit einem großen Herzen. Nur<br />

seine Aura ist merkwürdig.“<br />

Roger legte das Messer zu den anderen und sah sie fragend an. Angelika hatte den<br />

Kopf schief gelegt, schien nachzudenken. „Eigentlich eine extrem starke Aura.<br />

Allerdings ist es, als ob man sie durch einen Nebel betrachten würde. Man kann sie nicht<br />

ganz fassen. Dahinter ist etwas verborgen, das sich mir entzieht. Mir scheint, dass etwas<br />

Entscheidendes fehlt. Keine Ahnung, so etwas habe ich noch nicht erlebt.“<br />

Roger hob einen der anderen Rohlinge hoch und drehte ihn im Licht hin und her.<br />

„Ich hoffe, er kommt am Wochenende. Irgendwie passt er gut in die Gruppe“,<br />

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meinte er betont neutral. Angelika betrachtete ihn sekundenlang, nickte und hob den<br />

Korb auf, den sie abgestellt hatte, als sie Roger die Tasse reichte. „Ja, er passt zu uns“,<br />

bestätigte sie, wandte sich um und zupfte an ihren Röcken herum. Langsam wandte sie<br />

sich um, maß Roger mit einem langen Blick. „Mach dir nicht zu viel Hoffnungen“, fügte<br />

sie leise hinzu. Roger fuhr sofort zu ihr herum, funkelte sie betroffen und zornig an.<br />

„Was soll das heißen?“, zischte er aufgebracht, seine Hände zitterten kaum merklich. Die<br />

Hexe lächelte ihn nachsichtig und ein wenig mitleidig an. „Wenn du das nicht weißt,<br />

Roger, kann ich dir auch nicht helfen“, erklärte sie mit sanfter Stimme. „Ich kann dir nur<br />

sagen, dass sein Herz bereits vergeben ist.“ Roger starrte sie wortlos an, seine Finger<br />

umklammerten den Rohling fest. „Ich habe es sehr deutlich gespürt, als ich seine Hand<br />

hielt“, fuhr Angelika ebenso leise fort und riet ihm: „Hänge dich nicht wieder an jemand<br />

Unerreichbaren.“<br />

Roger grunzte unwillig und holte ein weiteres glühendes Metallstück aus der Esse,<br />

begann es hektisch und unnötig hart zu bearbeiten. Angelika betrachtete seinen<br />

kräftigen, blanken Rücken, seufzte und trat vor. Behutsam legte sie ihm die Hand auf<br />

den Arm. Augenblicklich verhielt der junge Schmied, ließ den Hammer sinken.<br />

„Ich will nur nicht, dass dich jemand verletzt“, flüsterte Angelika eindringlich. „Du<br />

musst selbst herausfinden, wo dein Platz im Leben ist.“ Rogers Rücken blieb<br />

angespannt, die Muskeln bebten unter ihrem Griff. Ohne einen Ton zu sagen, nahm er<br />

den Hammer auf und schlug erneut hart und kraftvoll auf das glühende Eisen ein. Wild<br />

stoben die Funken durch die Schmiede, tauchten alles in ein zittriges Licht.<br />

Angelika betrachtete noch einige Minuten lang Rogers Gestalt. Wartete darauf, dass<br />

er sich ihr zuwandte, doch sie erhaschte nur einen kurzen Blick auf sein starres Gesicht,<br />

welches durch das flackernde Feuer und die Funken ungleichmäßig beleuchtet wurde,<br />

dabei viel älter und trauriger aussah, als es eigentlich war.<br />

Seufzend wandte sie sich um und wanderte in die Nacht hinaus. Manchmal hasste sie<br />

ihr zweites Gesicht.<br />

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Seidendrachen<br />

Von Carol Grayson<br />

Der Auftakt der Novellenreihe Romantica<br />

Ein mitreisender Roman, der seinen Leser in den Bann ziehen wird.<br />

ISBN: 978-3-942539-09-8 Preis €7,95<br />

Taschenbuchformat: 13,50 x21,50cm<br />

Weitere unter:<br />

http://www.fwz-verlag.de<br />

http://www.fwz-edition.de<br />

Jarin, unehelicher Sohn eines niederländischen Herzogs, und Akio, ein asiatischer<br />

Mischling und freigekaufter Arbeitssklave aus dem fernen China, dienen beide aus<br />

unterschiedlichen Gründen als lebendes Pfand in einem einsamen Kloster, bis der König<br />

von Frankreich sie beide an seinen Hof beruft. Akio besitzt die Fähigkeit der<br />

Seidenmalerei und soll diese ausschließlich für den König einsetzen, um so dem Kloster<br />

zu Reichtum zu verhelfen. Der zarte Akio, dessen Kunstfertigkeit so offensichtlich<br />

ausgebeutet wird, weckt Jarins Beschützerinstinkt. Die beiden ungleichen jungen Männer<br />

verlieben sich ineinander, sehr zum Missfallen des Hauptmannes Nicolas de Vervier, der<br />

selbst ein Auge auf Jarin geworfen hat. Eine tragische Romanze beginnt, die vor langer<br />

Zeit geschrieben wurde.<br />

Leseprobe<br />

Es war ihm ein Rätsel, wie dieser zarte Junge aus dem fernen Orient mit solch<br />

wissenschaftlicher Präzision seine Vorbereitungen traf. Wie sollte er – Jarin - all die<br />

tausend kleinen Handgriffe notieren oder sich überhaupt merken können? Dafür prägte<br />

er sich jede der anmutigen Bewegungen seines Schützlings ein. Es glich einem Tanz in<br />

103


der Stille des Morgenlichts. Die schwarzen Haare fielen wie ein glatter Vorhang auf seine<br />

schmalen Schultern. Sie bildeten einen Kontrast zu dem mädchenhaft zarten Teint, der<br />

nun ebenfalls einen goldenen Schimmer angenommen hatte. Er war ganz in schwarz<br />

gekleidet, in einen traditionellen Kimono, der die Makellosigkeit seines zierlichen<br />

Körpers unterstrich. Immer noch umgab ihn der Liebreiz eines Mädchens. Unwillkürlich<br />

kam Jarin ihre erste Begegnung wieder in den Sinn. Er betrachtete versonnen seine<br />

Fingerspitzen, die Akio damals berührt und unbewusst gestreichelt hatten.<br />

Dann blickte er wieder zu dem Asiaten hin. Dieser schien ihm heute so zerbrechlich<br />

wie chinesisches Porzellan. Seine Anmut weckte sein Verlangen, Akio nahe zu sein, ihn<br />

in die Arme zu schließen. Mühsam beherrschte Jarin sich, obwohl er am liebsten<br />

aufgesprungen wäre. Ab und zu prüften Akios grüne Augen die Materialien, die vor ihm<br />

auf dem langen Tisch lagen. Er sortierte die feinen Pinsel aus Tierhaaren. Es waren<br />

unendlich viele. Dann sah er wieder zum Fenster hinaus. Er schien auf etwas zu warten.<br />

Endlich schien die Sonne in einem bestimmten Winkel zu stehen und Akio begann, die<br />

weiße Fläche vor sich mit den Grundmotiven zu bemalen. Erste hauchfeine Umrisse<br />

entstanden unter seinen Händen: eine Pagode umrahmt von Bambus. Der Tempel eines<br />

unbekannten Gottes. Kinder in fremdartigen Gewändern und merkwürdigen Frisuren,<br />

die Opfergaben darbrachten. Jeder Pinselstrich zog Jarin mehr und mehr in seinen Bann.<br />

Er folgte Akios zarten Fingern mit seinen Augen und hatte sich mittlerweile von seinem<br />

Stuhl erhoben. Näher und näher war Jarin an den Ateliertisch getreten, der für ihn<br />

aussah wie das Labor eines Alchemisten. Wie konnte Akio nur bei diesem<br />

Durcheinander den Überblick behalten?<br />

Akio schien genau zu wissen, dass Jarin dicht bei ihm war, obwohl dieser versucht<br />

hatte, so leise wie möglich zu sein. Außerdem übertönte der Lärm draußen seine<br />

Schritte. „Du geben mir den anderen Pinsel?“, fragte er mit seinem singenden Akzent.<br />

Welchen Pinsel? Da lagen ja Hunderte davon. Hilflos überflog Jarin mit seinen Augen<br />

die Auswahl an Malinstrumenten. Mit einem Lächeln auf den Lippen wandte sich Akio<br />

zu seinem Leibwächter um. Er wusste ganz genau, dass er Jarin mit dieser Bitte<br />

überfordert hatte! Und dieser starrte jetzt in die goldgrünen Augen – einem<br />

geheimnisvollen See gleich, der ihn zu verschlingen drohte. Akio war einen guten Kopf<br />

104


kleiner als er und im Vergleich zu seiner durchtrainierten Gestalt ein eher fragiles Wesen.<br />

Akios Lächeln vertiefte sich, als er mit der Hand, die immer noch den Pinsel aus<br />

feinstem Marderhaar führten, sanft über Jarins Wange fuhr und einen dünnen<br />

Tuschestrich hinterließ. Instinktiv wollte er die Hand abwehren. Seine Finger<br />

umschlossen das zarte Handgelenk. Akio wehrte sich nicht. Er hielt ganz still. Verlor<br />

kein Wort. Jarin zog ihm den Pinsel aus der Hand, ohne ihn jedoch loszulassen. Und<br />

dann tat er etwas, das er früher nie für möglich gehalten hätte. Er führte Akios Hand<br />

statt des Pinsels an seine Wange und dann ließ er das Handgelenk los. Würde der junge<br />

Künstler seine Hand fortnehmen? Nein. Stattdessen glitt diese an Jarins Wange hinunter<br />

zum Hals, über seine Brust, verweilte bei seinem Herzschlag. Auch Akios andere Hand<br />

legte sich nun auf seine Brust, langsam begann er die goldenen Schließen der Uniform<br />

zu öffnen. Sollte Jarin ihn aufhalten? Nur das nicht! Stattdessen war er es nun, der ganz<br />

stillhielt. Es zuließ, dass Akio die Jacke von seinen Schultern streifte und nun das gleiche<br />

mit seinem Hemd machte. Endlich berührten Akios Hände seine bloße Haut, folgten<br />

dem Verlauf seiner Muskeln wie ein Bildhauer. Jarin sog scharf die Luft ein. Diese<br />

unerträgliche Sanftheit war es, die in quälte. Jedes Streicheln hinterließ eine glühende<br />

Spur, die sein Verlangen steigerte. Als er schließlich Jarins Hosenbund öffnen wollte,<br />

kam ein verzweifeltes „Halt ein“, aus dessen Mund.<br />

Daraufhin schlang der Asiate seine Arme um ihn und schmiegte sich an ihn. Jarin<br />

glaubte zu zerspringen. Er konnte nicht anders und umarmte den zarten Körper<br />

ebenfalls, zog ihn fest an sich. Durch die kühle Seide seines Kimonos ahnte er, dass Akio<br />

nichts darunter trug. Sein Herzschlag fühlte sich an wie der eines gefangenen Singvogels.<br />

Jarin wollte am liebsten noch viel mehr von ihm spüren.„Wir sollten das nicht tun“,<br />

murmelte er dabei, wie um sich selbst bei Besinnung zu halten. Schließlich war er im<br />

Dienst!<br />

„Ich weiß. Niemand darf erfahren“, flüsterte Akio genauso leise zurück. Allein die<br />

Melodie in seiner Stimme ließ einen wohligen Schauer über Jarins Rücken laufen. Dann<br />

fügte der kleine Asiate in fremder Sprache einige Sätze hinzu, die Jarin nicht verstand.<br />

Sie klangen dennoch zärtlich und beruhigend. Sein Herz raste. Wie sollten sie das, was<br />

sie sich da gegenseitig offenbarten, vor der Außenwelt geheim halten? Vor allem vor<br />

105


Nicolas, der selbst bereits versucht hatte, Jarin zu verführen? Wäre er vor wenigen<br />

Wochen so geduldig und ruhig vorgegangen wie nun Akio, wer weiß, was da geschehen<br />

wäre. Jarin strich über die schwarzen Haare seines neu gewonnen Freundes. „Wir sind<br />

hier nicht sicher. Trotz des Turniers könnte jederzeit einer der anderen Bediensteten<br />

hereinkommen“, mahnte er. „Außerdem muss deine Arbeit fertig werden. Lass mich<br />

besser gehen, sonst weiß ich nicht, was mit uns geschehen wird.“<br />

Akio löste sich nur ungern und blickte zu dem blonden Jungen hoch. „Es wird<br />

geschehen“, versprach er. Jarin wurde heiß bei diesem Gedanken. Dachte Akio<br />

tatsächlich an das Gleiche wie er? Wieder lächelte der dunkelhaarige Junge<br />

verständnisvoll. Und dann sagte er etwas, dass Jarins Gefühle wieder abkühlte: „Einmal<br />

du mich loslassen musst.“ Was meinte er bloß damit? Akio schaute ihn weiter direkt an.<br />

Seine grünen Mandelaugen durchdrangen Jarins Seele. „Du hast viel Macht“, sagte er<br />

leise. „Macht, die man dir genommen hat vor langer Zeit“.<br />

„Wie bitte?“ fragte Jarin verwirrt. „Dein Vater mächtig sein, aber alt. Dein Bruder<br />

nun bald seinen Platz einnehmen wird.“<br />

„Ich habe keinen Bruder.“<br />

„Oh doch, du hast“, beharrte Akio.<br />

„Unsinn. Ich bin in einem Kloster erzogen worden. Man fand mich dort ausgesetzt<br />

vor der Pforte.“<br />

Akio schüttelte den Kopf. „<strong>Das</strong> nicht die Wahrheit.“<br />

Jarin wusste nicht, was er von diesen Worten halten sollte. Er war sich sicher, dass<br />

Akio ihn nicht anlog. Aber das alles klang so verwirrend.<br />

„Woher willst du das alles wissen?“<br />

„Meine Seele hat die deine berührt schon vor langer Zeit. Ich bin ein Sohn des<br />

Drachen.<br />

Du der Sohn …“ Akio überlegte. „… einer irdischen Macht. Aber eines Tages wir<br />

wieder werden eins.“<br />

106


Ballroom<br />

Berlin zu Anfang des zweiten <strong>Welt</strong>krieges. Liebe auf den ersten Blick. Ein deutscher<br />

Offizier der Luftwaffe und ein französischer Gigolo treffen sich in einem Tanzlokal in<br />

der Hauptstadt Berlin. Aber alles spricht gegen die Beziehung von Claude Duval und<br />

Ullrich von Eisenau. Die Zeit, das Regime und der Krieg. Tod und Intrigen bedrohen<br />

nicht nur ihre Liebe, sondern auch Claudes Freunde und Kollegen. Ullrich ist vielleicht<br />

der einzige Weg in die Freiheit, aber würde er für sie ein solches Wagnis auf sich<br />

nehmen?<br />

Leseprobe<br />

Prolog<br />

Berlin, Silvester 1938<br />

Carol Grayson<br />

Ballroom<br />

Gay Historical Romance<br />

<strong>Das</strong> zweite Taschenbuch aus der Novellenreihe Romantica<br />

Nur die Liebe zählt, ein Roman, der seinen Leser in den Bann ziehen<br />

wird.<br />

Ich erinnere mich noch als wäre es erst gestern gewesen:<br />

ISBN: 978-3-942539-84-5 Preis €7,95<br />

Taschenbuchformat: 13,50x 21,50cm<br />

Weitere Informationen unter:<br />

http://www.fwz-verlag.de<br />

http://www.fwz-edition.de<br />

<strong>Das</strong> letzte friedvolle Silvesterfest. Es schneite in dicken Flocken. Ganz Berlin war in den weißen<br />

107


Zuckerguss des Winters getaucht. Überall wurde gelacht und getanzt. Man trug elegante Kleider. Gläser<br />

klirrten und protesteten einander hoffnungsvoll zu.<br />

Die Kapelle spielte "Küss mich, bitte, bitte, küss mich" bereits das dritte Mal an diesem Abend.<br />

Wenn sie Pause machte, drehte sich eine Schellack-Platte auf dem Grammophonteller. Doch das schien<br />

keinen der Gäste zu stören. Berlin tanzte an diesem Abend wie an vielen anderen, während über dem<br />

ganzen Land dunkle Wolken heraufzogen. Wolken, die niemand sehen wollte. Die bunten Lichter der<br />

Hauptstadt dagegen, die Busse voller Touristen, von denen sich einige auch in unser Lokal verirrten, das<br />

war der Rhythmus, der die aufkeimende Unruhe überdeckte. Die große Stadt schien am Tage zu<br />

hyperventilieren, als wollte sie den politischen braunen Keim, der in ihr gärte, ausspeien. Aber das<br />

samtene blaue Tuch der Nacht milderte das drohende Unheil und die bunten Lichter lockten Berliner<br />

wie Touristen in die zahllosen Vergnügungsstätten.<br />

Eine davon war unser „Le Chalet“, ein exklusives Etablissement in Berlin-Charlottenburg und<br />

das älteste seiner Art. Alle waren sie willkommen hier: Ältere Damen suchten in den Armen der<br />

eleganten Eintänzer ebenso Zuflucht wie graumelierte Herren die Gesellschaft der charmanten Frolleins,<br />

zu denen übrigens auch ich gehörte. Die meisten einsamen Menschen verschlug es nach einem Kino- oder<br />

Theaterbesuch in einen der Ballrooms, um sich ein paar vergnügte Stunden zu erkaufen. Viele von<br />

ihnen wurden über die Jahre hinweg zu Stammgästen. Oh, wir hatten viele Stammgäste, sogar bekannte<br />

Leute aus Film und Fernsehen. Natürlich durften wir nicht darüber sprechen. Nicht einmal, wenn wir<br />

nicht im "Dienst" waren. In dieser Hinsicht war unser Chef sehr penibel.<br />

Wir, das waren Rudi, Elfie, Lilly, Claude und ich, Marlene. Allesamt gestrandete Existenzen im<br />

wilden Strudel der Hauptstadt. Jeder von uns hatte versucht, hier irgendwie Fuß zu fassen und jeder von<br />

uns war an diesem Versuch gescheitert. Lilly, die ehemalige Schauspielerin, der ein Mann das Herz ge-<br />

brochen hatte und die nun nichts anderes mehr im Kopf hatte, als an allen Männern Rache zu üben.<br />

So, wie sie aussah, gelang ihr das jedesmal perfekt: rotes Haar, dunkelblaue Augen und eine Figur wie<br />

eine barocke Diva. Genau deshalb bekam sie schon seit langem keine Engagements mehr und musste<br />

sich irgendwie über Wasser halten.<br />

Dann waren da noch Elfriede Müller, die vom Hof ihres gewalttätigen Vaters, einem Landwirt in<br />

Mecklenburg, ausgerissen war, Rudi Hoffmann, der galante Herzens- und vorbestrafte Taschendieb, der<br />

kein Zuhause mehr kannte außer unserem Lokal, Claude Duval, ein sensibler, zerbrechlicher Franzose<br />

aus dem Baskenland und nebenbei ein verkannter Maler und ich, Marlene Schmidt, gerade mal neun-<br />

108


zehn Jahre alt und Waise. Alle waren wir an den Rand der Gesellschaft gespült worden, planten unsere<br />

Zukunft nur noch von Tag zu Tag. Bei Musik und Champagner, in den Armen der zahlenden, mehr<br />

oder weniger angenehmen Gäste schwebten wir jeden Abend ab 20 Uhr über die riesige Tanzfläche.<br />

Über uns die kristallenen Lüster, deren goldene Lichter unsere Traurigkeit im Herzen übertünchten.<br />

Wir alle wollten viel mehr vergessen als unsere Gäste ihren Alltag! Die Hoffnungslosigkeit überdeckten<br />

wir mit Make-Up, festlicher Kleidung und einem maskenhaften Lächeln. Alles, was wir hatten, war<br />

unser gutes Aussehen.<br />

Aber ich möchte der Geschichte gar nicht vorgreifen, denn es ist gar nicht meine Geschichte, lieber<br />

Leser. Es ist die Geschichte von Claude Duval, meinem lieben Freund und Kollegen.<br />

* * *<br />

Zwei Tage nach dem rauschenden Silvesterball in das Jahr 1939 betraten drei<br />

schwarzgekleidete Uniformierte mit schweren Stiefeln das „Le Chalet“ und klebten<br />

überall ihre Pamphlete an. Sie kamen und gingen wieder, ohne ein Wort zu sprechen.<br />

Elfie erschienen sie wie die dunkle Vorhut einer noch viel größeren Gefahr. Als sie ge-<br />

gangen waren, winkte sie ihre Kollegen, die an der Theke saßen, zu sich. Dann starrten<br />

sie alle gemeinsam fassungslos auf die geschwungenen Zeilen, die wieder eine Ver-<br />

ordnung ihres neuen Führers ankündigten:<br />

Von heute an durfte die Kapelle nur noch „deutsche“ Lieder spielen. Der so beliebte<br />

Swing war von einem Tag auf den anderen verboten worden.<br />

Rudi zündete sich nervös eine Zigarette an. „<strong>Das</strong> kann ja heiter werden“, murmelte<br />

er dabei. Elfie starrte angstvoll in die Runde. „Soll das heißen, dass wir jetzt regelmäßig<br />

kontrolliert werden?“ Sie war ein scheues, blondes Reh, das nichts so sehr fürchtete wie<br />

Autoritätspersonen. <strong>Das</strong> lag wohl an ihrem brutalen Vater, der sie nach dem Tod der<br />

Mutter zu allen Arbeiten auf dem Hof gezwungen hatte, um eine Magd einzusparen.<br />

Wenn sie ihre Arbeit nicht schaffte, setzte es Schläge. Erst im Ballroom war sie richtig<br />

aufgeblüht und genoss die Komplimente der Herren. Soviel Aufmerksamkeit wie hier<br />

hatte sie als Kind nie bekommen.<br />

„Möglich“, gab Rudi zu. Er sah zu jeder Tages- und Nachtzeit aus wie aus dem Ei<br />

109


gepellt. Immer im gepflegten Anzug, und die Fliege saß niemals schief. <strong>Das</strong> blonde Haar<br />

wurde stets streng mit Pomade gebändigt und die blauen Augen prüften listig wie ein<br />

Fuchs die Umgebung auf der Suche nach einem kleinen Profit. Er legte sehr viel Wert<br />

auf sein Äußeres und verbrachte mehr Zeit im Bad als seine weiblichen Kollegen. <strong>Das</strong><br />

verschaffte ihm recht bald die Gunst wohlhabender Damen, die mit ihren Trinkgeldern<br />

seine Leidenschaft für Pferdewetten unterstützten.<br />

Der Einzige, der bislang geschwiegen hatte, war der zierliche junge Franzose. Claude<br />

Duval hatte mit vierundzwanzig Jahren geglaubt, es hier in Berlin als Künstler zu etwas<br />

bringen zu können. Doch die Galerien hatten seine Aquarelle abgelehnt. Zu depressiv,<br />

hatten sie gemeint. Aus Geldnot war er hier als Eintänzer gelandet. Heute überlegte er<br />

zum ersten Mal, ob er lieber nach Paris hätte gehen sollen. Doch er schwieg. Sein<br />

zurückgekämmtes, leicht gewelltes schwarzes Haar glänzte im goldenen Licht des Lokals<br />

und das bartlose schmale Gesicht mit den tiefbraunen Augen und den markanten<br />

Wangenknochen verzog keine Miene. Dabei sah er so knabenhaft aus, wenn er lachte.<br />

Seine Grübchen hatten schon so manches Frauenherz gebrochen. Seit die National-<br />

sozialisten an der Regierung waren, besaß er als Ausländer den Status einer Duldung hier<br />

in Berlin und das auch nur, weil er eine feste Anstellung hatte.<br />

„Ach, was soll´s, gibt doch genug schöne Lieder. Im Grunde kann es uns doch egal<br />

sein“, maulte die mondäne Lilly. Sie war ein Rasseweib, das mit ausgeprägten Rundungen<br />

lockte und so manche müde Männeraugen am Abend zum Glänzen brachte. Sie konnte<br />

wirklich eine Hexe sein, was die Herren der Schöpfung anging, aber sie besaß ein Herz<br />

aus Gold.<br />

„Was meinst du, Marlene?“, fragte sie die zierliche Dunkelhaarige neben sich.<br />

Marlene glich von ihrem Typ eher einer kleinen Exotin oder Zigeunerin. Genau das war<br />

ihr Manko, denn sie wurde von der Reichsstelle für Sippenforschung als nicht rein arisch<br />

eingestuft, damit war sie so etwas wie Freiwild für jeden arischen Mann. Schwarzes Haar<br />

floss in weichen Locken auf ihre Schultern, haselnussbraune Augen schauten neugierig<br />

in die <strong>Welt</strong>. Ihre Taille war so schmal, dass ein kräftiger Mann sie mit zwei Händen um-<br />

fassen konnte. Nur der makellose Teint schimmerte so blass wie der einer Porzellan-<br />

puppe, weshalb die Gäste auch oft nach dem „Schneewittchen“ fragten. „Keine Ahnung.<br />

110


Was wird der Chef wohl dazu sagen?“, erwiderte sie jetzt.<br />

Der Chef des „Le Chalet“ hieß Egon Bergmann, ein kräftiger ehemaliger Gastwirt<br />

und cleverer Geschäftsmann. Er war mittlerweile Ende Vierzig, hatte zwei Kneipen in<br />

den Sand gesetzt und ebenso viele gescheiterte Ehen hinter sich. Dann hatte er von einer<br />

Amerikareise diese Idee mit dem „Ballroom“ mitgebracht und seitdem florierten seine<br />

Geschäfte. Natürlich hatte es bald Nachahmer gegeben. Aber sein Lokal war das älteste<br />

hier in der Stadt und das bestbesuchte. Ja, Egon verstand es, Leute zu überzeugen. Egal,<br />

ob diese eine Uniform trugen oder nicht. Er war der erste, der sich mit den neuen<br />

Regelungen anfreundete. Ob es der Hitlergruß war oder die neue Schanklizenz. Seine<br />

Angestellten nannten ihn alle nur den „dicken Egon“. Seine Vorliebe für die gutbürger-<br />

liche Küche, vor allem die Schweinshaxe, war ihm deutlich anzusehen. Aber auch der<br />

dicke Egon, der jetzt aus seinem Büro kam und zu seinen Leuten trat, konnte gegen<br />

diese Anordnung nichts tun. Er wollte, dass sein Geschäft weiter so gut lief wie bisher.<br />

Also musste er sich mit der neuen Bezirksleitung von Berlin-Charlottenburg gut stehen.<br />

„Kommt schon, Kinder, es gibt noch einiges zu tun. Die Leute wollen doch heute<br />

Abend wieder unterhalten werden. Beschränkt euch halt auf die guten alten Standard-<br />

tänze. Ich werd mit dem Georg sprechen. Wird schon nicht so schlimm werden“, ver-<br />

suchte er, die Stimmung der Fünf aufzuheitern. Georg war ihr Kapellmeister, der jeden<br />

Abend mit seiner kleinen Truppe für die Unterhaltung sorgte. Auch er würde kaum be-<br />

geistert sein, sein Repertoire einschränken zu müssen. Die Vier trollten sich schweigend.<br />

Jeder von ihnen spürte, dass dies nicht die einzige Änderung im neuen Jahr sein würde.<br />

Bergmann starrte nochmal auf das Pamphlet in DIN-A5-Größe, von dem immer<br />

fünf nebeneinander an die edle Wandtäfelung geklebt worden waren, insgesamt fünf-<br />

zehn hingen jetzt da. „Eines hätte ja wohl auch genügt“, knurrte er. „Ihr verschandelt<br />

mir ja die Dekoration.“ Doch er wagte nicht, auch nur ein einziges davon zu entfernen.<br />

An diesem Abend schien trotz der Lichter, des Lachens und des reichlich fließenden<br />

Champagners die Fröhlichkeit nicht mehr so echt zu sein wie früher. Vielleicht lag es<br />

daran, dass heute weniger Besucher als sonst gekommen waren? Claude, der seine<br />

Tanzpartnerin gerade zu ihrem Tisch zurückgebracht hatte, blickte sich verstohlen um.<br />

Als ob man den Clowns Fesseln angelegt hätte, überlegte er, doch dann lächelte er wieder<br />

111


der grauhaarigen, juwelenbehängten Dame zu, die ihm jetzt einen Schein über zwanzig<br />

Reichsmark als kleine Anerkennung in die Hand drückte.<br />

„Vielen Dank für den Tanz, junger Mann. Ich hoffe, wir haben bald wieder das<br />

Vergnügen.“ Claude deutete einen Handkuss an.<br />

„Jederzeit, Madame.“ Sein Deutsch besaß dabei diesen charmanten französischen<br />

Akzent, den die „Allemandes“ so sehr schätzten. Wenn die wüssten … Claude trug ein<br />

Geheimnis in sich. Ein Geheimnis, das es ihm schwer machte, in den Armen einer Frau<br />

mehr zu sein als ein Schauspieler.<br />

Definitionssache von Raik Thorstad<br />

Winterliebe<br />

Leif fiebert Weihnachten entgegen. Im wahrsten Sinne des Wortes. Er hat nur ein Ziel<br />

vor Augen: die letzten Tagen im Geschäft überstehen und ins Bett fallen, während der<br />

Rest der <strong>Welt</strong> unter dem Weihnachtsbaum sitzt. Schlecht gelaunt stellt er sich auf<br />

Schmerztabletten, Taschentücher und Hustenbonbons ein und bekommt ein Geschenk,<br />

mit dem er schon lange nicht mehr gerechnet hat<br />

Feuersteine von Chris P. Rolls<br />

Chris P. Rolls,Isabel Shtar,Karo Stein, Raik Thorstad,Nico<br />

Morleen<br />

Winterliebe<br />

eine Anthologie aus fünf besonderen Geschichten rund um<br />

gleichgeschlechtliche Liebe.<br />

ISBN: 9783942539517 Preis €10,90<br />

Taschenbuchformat:17,00 x22,00 cm<br />

Weitere Informationen unter:<br />

http://www.fwz-verlag.de<br />

http://www.fwz-edition.de<br />

112


Feuersteine enthalten ein inneres Feuer, sagt man. Vor Jahren bekam Aischa einen<br />

solchen Stein und seither gehen ihr diese besonderen Augen nicht mehr aus dem Sinn.<br />

Viel hat sich danach in ihrem Leben verändert. Jeden Weihnachtsmarkt besucht sie in<br />

der stillen Hoffnung, diese Augen wiederzusehen. Als sie Lily trifft, muss sie<br />

herausfinden, ob das Feuer im Innern des Steins auch stark genug in ihrem Herzen<br />

brennen kann.<br />

Von Rentieren und Ritualen von Karo Stein<br />

Michael war sich sicher, dass er in Robert den Partner gefunden hatte, der perfekt zu ihm<br />

passte. Mit dem ersten Advent und einer ungeahnten Überraschung kamen ihm<br />

allerdings die ersten Zweifel. Aber manchmal kann eine besondere Bestellung im<br />

Internet auch ein ganz besonderes Weihnachtsritual schaffen ...<br />

Mit Plätzchen fängt man Engel ein von Nico Morleen<br />

Eigentlich liebt Blake die Weihnachtszeit, doch dieses Jahr ist ihm die Lust darauf<br />

gründlich vergangen. <strong>Das</strong> wiederum sieht Cai überhaupt nicht ein ...<br />

Weihnachtsmann zu verschenken von Isabel Shtar<br />

Kurz vor Ladenschluss am Heiligabend. Immer noch kein Geschenk für die<br />

exzentrische Mutter. Und dann auch noch so ein professioneller Kinderbelüger mit<br />

falschem Rauschebart und schlechtem Humor. Gut, dass Judas sowohl ein Gedicht<br />

als auch einen speziellen Wunsch parat hat…<br />

Leseprobe<br />

24. Dezember<br />

Freunde, es geht mir schlecht.<br />

Definitionssache<br />

von Raik Thorstad<br />

113


Mein Körper weiß, dass in zwei Stunden Feierabend ist. Die Bakterien und Viren<br />

laden zum gemütlichen Kuscheln in den Ruinen meines Immunsystems ein. Die Nacht<br />

war ein Albtraum. Wer nicht durch die Nase atmen kann, hat einen trockenen Mund.<br />

Wer einen trockenen Mund hat, muss trinken. Wer niemanden hat, der die<br />

Wasserflaschen auswechselt, muss selbst aufstehen. Aber das macht nichts, weil man eh<br />

dauernd pinkeln muss. Dazu der Tanz mit der abwechselnd zu warmen oder zu kalten,<br />

da verschwitzten Bettdecke, der Wiegeschritt zwischen Schüttelfrost und Verglühen.<br />

Ich habe nicht geschlafen, nicht gefrühstückt und kann knapp 39 Grad Fieber<br />

aufweisen. Mein Hals ist geschwollen und Husten schmerzt in der Brust.<br />

Ich kann nicht mehr. Ich weiß, das habe ich gestern auch schon gesagt. Aber heute<br />

ist es wirklich schlimm um mich bestellt.<br />

Ein Wort zum Thema kranke Männer: Ja, wir sind viel empfindlicher als die<br />

weibliche Hälfte der Bevölkerung, die sich tapfer durch PMS und Schwangerschaften<br />

schlägt. Wir sind Jammerlappen. Wir markieren den unerschütterlichen Hengst, und<br />

sobald wir eine verstopfte Nase haben, liegen wir stöhnend auf dem Sofa und wollen<br />

unser Testament aufsetzen. Natürlich ist das von außen betrachtet lächerlich. Aber das<br />

ändert nichts daran, dass es uns dreckig geht und wir Schmerzen und Krankheit weitaus<br />

schlechter erdulden können als unsere Schwestern, Mütter und Töchter. Warum die<br />

Natur das auf diese Weise eingerichtet hat, ist mir ehrlich gesagt egal. Ich weiß nur, dass<br />

ich in mein Bett will. Punkt.<br />

Der einzige Grund, warum ich nicht das Handtuch schmeiße, ist, dass wir uns alle<br />

wie Schlafwandler durch das Geschäft bewegen. Selbst Maren ist geblieben, obwohl sie<br />

kaum noch etwas hört. Mittelohrentzündung nehme ich an. Sie packt Geschenke ein, ich<br />

kassiere. Es ist die Hölle auf Erden und hat mit Weihnachten so viel gemein wie ich mit<br />

einem Pantoffeltierchen.<br />

Mir ist nicht einmal die Energie geblieben, mich über Last-Minute-Kunden<br />

aufzuregen. Meine Müdigkeit hat einen Punkt erreicht, an dem ich mich wie auf Wolken<br />

bewege. Ab und an pikst es in meinem Kopf und mir wird bewusst, dass ich so<br />

ausgelaugt bin, dass es schmerzt. Dann kehrt die Watte an ihren Platz zurück und ich<br />

schwebe mit ihr durch den Morgen des Heiligabends.<br />

114


Es ist 12.34 Uhr, als Dirk kommt, um das Buch für seine Mutter abzuholen. Ich weiß<br />

es auf die Minute genau, da ich meine Armbanduhr nicht aus den Augen lasse. Sie liegt<br />

auf dem Kassentisch neben dem Plätzchenkorb, den eine gute Kundin uns als<br />

Dankeschön vorbeigebracht hat, weil wir ... ich schweife ab.<br />

Sogar Dirks Erscheinen ist mir nahezu gleichgültig, was viel über meinen<br />

gesundheitlichen Zustand aussagt. Ich freue mich für ihn, dass Kati ihr Versprechen<br />

wahrgemacht hat. Doch hier und heute ist er in erster Linie ein Kunde, für den ich<br />

meine bleischweren Finger an den Scanner heben muss.<br />

„Wow, du siehst ja beschissen aus“, haut er mir um die Ohren. Dieser Satz gehört<br />

auf die Liste von Dingen, die niemand gern über sich hört. Schon gar nicht von einem<br />

Mann wie Dirk.<br />

Er unterzieht mich einer strengen Musterung: „Wie hoch ist das Fieber denn, hm?“<br />

Ich bewege vage die Hand. Er erwartet eh keine Zahlen. Er will mir nur deutlich<br />

machen, wie übel ich aussehe.<br />

Während ich seine Bestellung aus dem Regal fische, wird mir schwindelig. Ich muss<br />

mich am Brett festhalten, um nicht den Boden unter den Füßen zu verlieren. Für den<br />

Bruchteil einer Sekunde ist mir schwarz vor Augen. Glücklicherweise hat das Regal ein<br />

Einsehen mit mir und hält meinem Gewicht stand.<br />

Ich reiche das Buch an Maren weiter, die es mit einem erschöpften Lächeln entgegen<br />

nimmt. Es ist eigenartig. Ihre Sommersprossen scheinen mir heute zahlreicher als sonst.<br />

Meine Wahrnehmung ist trüb und gleichzeitig selten scharf.<br />

Ich schäme mich ein bisschen vor Dirk. Jeder wird krank. Aber nicht jeder sieht<br />

dabei aus wie ein aufgeschwemmter Champignon. Ich schon.<br />

„Hast du bald Feierabend? <strong>Das</strong> ist ja nicht mitanzusehen. Du gehörst ins Bett“, sagt<br />

Dirk leise, während er mir seine EC-Karte reicht.<br />

„In einer Stunde und 41 Minuten“, antwortete ich mechanisch. Gleichzeitig sonne<br />

ich mich in seinem Interesse an meiner Person. Vielleicht sollte ich öfter krank werden?<br />

Noch eine Stunde und 40 Minuten, korrigiere ich mich innerlich, als der Betrag<br />

abgebucht wird und das EC-Gerät summend die Belege ausspuckt. Maren braucht ein<br />

wenig länger. Eigentlich könnte Dirk den Platz vor der Kasse räumen und zu ihr gehen,<br />

115


aber er bleibt stehen und beobachtet mich. Ich bin überrascht, wie mild seine Eispickel-<br />

Augen sein können. Schließlich schüttelt er langsam den Kopf, als wäre er zu einem<br />

Entschluss gekommen, der ihm nicht gefällt. Unerwartet bietet er mir seine Hand an:<br />

„Sieh zu, dass du bald nach Hause kommst, damit sich jemand um dich kümmert.“<br />

Ich greife zu. Seine Finger sind wunderbar kühl, sodass ich sie ihm am liebsten<br />

klauen und mir auf die Stirn legen würde. Ich denke daran, dass ich gestern Abend<br />

meine Mutter angerufen und den Besuch bei meiner Familie abgesagt habe: „Ich fahre<br />

heute nicht mehr heim. Nicht bei dem Wetter und mit Fieber.“<br />

„Heim?“, fragt Dirk verwirrt.<br />

„Zu meinem Clan“, erkläre ich. Meine Denkprozesse sind stark verlangsamt. Woher<br />

soll Dirk wissen, dass ich Weihnachten in Ermangelung eines festen Partners bei meinen<br />

Eltern verbringe?<br />

„Ach so“, nickt er und lässt sich von Maren seinen Einkauf geben. Sie hat die Tüte<br />

vergessen, aber er scheint sich nicht daran zu stören. Zusammen mit seiner wunderbaren<br />

Hand verschwindet das Buch in seiner Manteltasche. „Na wenigstens musst du dir keine<br />

Gedanken über fehlende Geschenke machen.“ Es klingt nicht sarkastisch, eher nach<br />

einem Versuch, mich aufzumuntern.<br />

„Hoffentlich freut deine Mutter sich“, erwidere ich mit einem schwachen Lächeln.<br />

„Ich wünsche dir frohe Weihnachten.“<br />

„Ich dir auch. Und gute Besserung.“<br />

Es ist ein eigenartiger Abschied. Ich weiß nicht, warum. Er hat etwas Endgültiges,<br />

das tief in mein wehleidiges Herzchen schneidet. Jedenfalls ist mir zum Heulen zumute,<br />

als er sich abwendet und geht.<br />

Ich hasse Weihnachten.<br />

Feuersteine<br />

von Chris P. Rolls<br />

Ihre Augen hatten Aischa gefangengenommen und wollten sie nicht gehen lassen.<br />

Dieses besondere Braun zog sie in ihren Bann. Ein warmer Farbton, der Ruhe,<br />

116


Geborgenheit, Sicherheit versprach.<br />

Aischa bemerkte winzige Fältchen an den Augenwinkeln, bewunderte die<br />

wundervollen Wimpern, die Tiefe ihrer Augen. Ihr Gesicht war nicht extrem schön,<br />

ungeschminkt, die Haut gerötet von der Kälte, ein winziger, gerade verheilter Kratzer am<br />

Kinn, schmale Lippen, eine gerade Nase und hellbraunes, weich fallendes Haar.<br />

Sie trug einen warmen Mantel, unter dem verschiedene Stoffschichten zu erkennen<br />

waren. Nicht ihrer Farbe, sondern vielmehr ihrer wärmenden Funktion wegen<br />

ausgewählt und wenig kleidsam. Bedächtig zog sie ihre dicken, dunkelgrünen<br />

Handschuhe aus. Schmale Finger mit kurzen Nägeln kamen zum Vorschein, denen man<br />

ansehen konnte, dass sie damit arbeitete und sie nicht in einem Manikürsalon behandeln<br />

ließ. Um ihre Beine spielte eine Jeans, die zu weit war, um elegant zu sein. Nichts an ihr<br />

war besonders auffällig. Bis auf ihre Augen.<br />

„Können Sie Schönheit erkennen, wenn sie Ihnen begegnet?“, fragte sie Frank ernst.<br />

Dieser lachte. Mit einer Spur Spott darin – Aischa kannte sein Lachen, welches höflich<br />

klang, immer jedoch eine Prise abfällige Häme enthielt. Ihr war nicht zum Lachen<br />

zumute. Sie fühlte sich verunsichert, innerlich bebend und zugleich fasziniert.<br />

„Oh schau, Aischa, hier gibt es Steine zu kaufen“, bemerkte Frank mit demselben<br />

Unterton darin. Er hob einen halbierten Stein hoch und musterte ihn mit<br />

hochgezogenen Augenbrauen. „Wirklich Steine.“<br />

Es klang ein wenig ungläubig und Aischa löste ihren Blick von der Verkäuferin und<br />

wandte ihn ihrer Ware zu. Frank hielt einen Feuerstein in der Hand. Die typische, weiß-<br />

schwarze Kruste umschloss ein dunkel gefärbtes Inneres und erinnerte sie durchaus an<br />

einen unbearbeiteten Edelstein.<br />

„Gewöhnliche Steine“, ließ Frank verlauten, betrachtete ungeachtet seiner Worte die<br />

Auslagen jedoch interessiert. Schmuckanhänger aus geschliffenen Steinen in allen<br />

möglichen Größen und Formen lagen auf einer Unterlage aus schwarzem Stoff. Manche<br />

waren handtellergroß, andere so klein wie ein Daumennagel. Es gab offensichtlich grob<br />

bearbeitete Stücke, deren raue Wellen einem urzeitlichen Werkzeug glichen und viele, die<br />

geschliffen und poliert waren.<br />

Aischa staunte über die unterschiedlichen, wunderbaren Muster und entdeckte<br />

117


ständig neue, noch schönere Stücke. Eine Sammlung aus Edelsteinen hätte nicht mehr<br />

Verzückung bei ihr auslösen können als diese offensichtlich normalen Feldsteine. Ihr<br />

Blick fiel auf einen Anhänger mit braunen Strukturen und im selben Moment legten sich<br />

schlanke Finger darum und hoben ihn auf.<br />

Aischa folgte dem Anhänger und sah die Frau an, die ihn lächelnd in der Hand hielt.<br />

„Ein Feuerstein“, erklärte sie. „Jahrmillionen vor unserer Zeit entstanden.“<br />

„Geschmolzenes Gestein, welches wieder erstarrt ist“, erklärte Frank. „<strong>Das</strong><br />

universelle Werkzeug und die vielseitigste Waffe unserer Vorfahren.“ Sein Lachen<br />

verhallte in den Klängen der Weihnachtsmusik.<br />

Die Frau bedachte ihm mit keinem Blick, lächelte lediglich nachsichtig.<br />

„Die Entstehung von Feuerstein oder Flint ist noch umstritten, aber man geht eher<br />

davon aus, dass er durch Ablagerungen von kieselsäurehaltigen Skeletten in den flachen<br />

Meeren entstanden ist. Es gibt ihn auf der ganzen <strong>Welt</strong> und in ganz verschiedenen<br />

Farben. Dieser stammt von Helgoland, wo es diese besondere, rotbraune Farbe gibt.“ Sie<br />

öffnete ihre Hand und präsentierte das Schmuckstück darauf.<br />

„Wunderschön“, hauchte Aischa. <strong>Das</strong> feine, rotbraune Muster im Innern schien sie<br />

anzusehen, wie ein echtes Auge. Frank schob sich neben sie, betrachtete den Stein<br />

neugierig.<br />

„<strong>Das</strong> ist wirklich ein schönes Stück. Gefällt er dir?“<br />

„Und wie.“ Aischa streckte die Hand aus und die Verkäuferin ließ ihn hineingleiten.<br />

Ihre Finger berührten sich für einen winzigen Moment. Aischas Atem beschleunigte<br />

sich, sie wusste nicht warum, ihr Herz pochte jedoch plötzlich schneller in ihrer Brust.<br />

Diese schlanken Finger ...<br />

Der Stein fühlte sich warm an. Ihre Körperwärme, sie hat ihn in der Hand gehalten,<br />

wurde Aischa bewusst. In diesen Fingern. Unerklärlich durchzog sie der sehnsüchtige<br />

Gedanke, diese Finger in ihrer Hand, an ihrem Unterarm zu spüren. Sie lächelte und die<br />

andere Frau lächelte zurück. Eine Frage? Eine Antwort? Aischa hätte weder das eine<br />

noch das andere formulieren können. Zwischen ihnen war etwas, dem sie keine Worte,<br />

keinen Namen, nicht einmal ein echtes Gefühl zuordnen konnte.<br />

„Dann kaufe ich ihn dir“, durchbrach Frank ihre abschweifenden Gedanken. „So ein<br />

118


schönes Stück gehört um einen schönen Hals.“ Er kramte nach seiner Brieftasche,<br />

während Aischa abwechselnd den Stein und die Frau ansah. Zwischen ihnen schwebte<br />

das Lächeln, verband sich mit dem Geruch nach feuchten Tannennadeln, Crepes mit<br />

Nutella und Kakao vom Stand gegenüber. Aischa strich mit dem Daumen der anderen<br />

Hand über die glatte Oberfläche.<br />

„Ein Stein aus den Tiefen. Er erdet und gibt Halt“, erklärte die Verkäuferin mit<br />

gesenkter Stimme und Aischa wurde klar, dass diese Worte nur für sie waren. Frank<br />

blickte sie fragend an. „Fünfzehn“, fügte sie hinzu.<br />

Frank gab ihr einen Zwanzig- Euro-Schein mit den Worten: „Behalten Sie den Rest.<br />

<strong>Das</strong> ist der allemal wert.“<br />

Er nahm ihn Aischa ab, öffnete das dünne Lederband und trat hinter sie, um ihr den<br />

Stein umzuhängen. Sie neigte den Kopf leicht, als er ihre langen Haare zur Seite strich<br />

und ihren Hals entblößte. Es war kaum hörbar, doch Aischa war sich sicher, dass die<br />

andere Frau tiefer eingeatmet hatte. Ein feines Geräusch, wenn jemand die Lippen<br />

öffnete und die Luft einsog. Der Stein fühlte sich kühl an, als er von ihrer Kehle hinab<br />

glitt und auf ihrer Brust zu liegen kam. Glatt, angenehm war das Gefühl auf der Haut,<br />

als ob er genau dort hingehören würde.<br />

Aischa lächelte noch jetzt über den Gedanken, der ihr damals gekommen war. Als ob<br />

der Stein sein Zuhause gefunden hätte, seine Bestimmung. Sie. Oder sie ihn.<br />

Jemand rempelte sie an, murmelte eine hastige Entschuldigung und sie tauchte<br />

endgültig aus ihren Erinnerungen auf. Ihre Hand legte sich automatisch an die Stelle<br />

ihres Mantels, unter der der Stein auf ihrer Haut lag. Wann immer sie ins Grübeln geriet,<br />

wann immer sie eine dieser besonderen, nachdenklichen Stimmungen hatte, fanden ihre<br />

Finger fast von alleine den Weg an dessen glatte Oberfläche.<br />

nicht.<br />

„Er gibt Halt.“ Ihre Worte waren ihr seither nicht aus dem Kopf gegangen. Sie auch<br />

Von Rentieren und Ritualen<br />

von Karo Stein (kath74)<br />

119


„Bleib noch liegen. Ich decke den Frühstückstisch und rufe ich dich!“<br />

Robert drückte mir einen kleinen Kuss auf den Mund und schwang sich aus dem<br />

Bett. Wie könnte ich dieses Angebot ablehnen?<br />

Gemütlich zog ich mir die Decke bis zum Kinn und beobachtete, wie er nackt<br />

durchs Zimmer lief und sich frische Wäsche aus dem Schrank nahm. Sein Anblick war<br />

heiß und verführerisch. Ich mochte seine unglaublich langen und schlanken Beine, die er<br />

immer penibel von jedem einzelnen Haar befreite. Sein runder Po, an dem noch eine<br />

deutliche Spur des Gleitgels zu sehen war, brachte mich zum Seufzen, erweckte er doch<br />

die Erinnerungen an unser heißes Liebesspiel erneut. In meinem Bauch begann es zu<br />

kribbeln und allein die Tatsache, dass mein Penis teilnahmslos liegen blieb, zeigte mir,<br />

dass ich eindeutig noch nicht einsatzfähig war.<br />

Für Robert gab es keine halben Sachen, schon gar nicht beim Sex. Er war erst<br />

zufrieden, wenn auch wirklich nichts mehr ging, wenn er mich sozusagen aller Energie<br />

beraubt hatte. Zumindest für eine angemessene Weile.<br />

Und „Energie rauben“ war hierbei wortwörtlich zu nehmen. Denn während ich<br />

vollkommen schlapp im Bett lag und eigentlich am liebsten die Augen geschlossen hätte,<br />

um mindestens bis zum Mittag zu schlafen, war er putzmunter und pfiff fröhlich vor<br />

sich hin.<br />

Genau das machte Robert eben aus. Seine unglaubliche Energie, die sich je nach<br />

Stimmung in absoluter Fröhlichkeit, grenzenloser Zickigkeit oder, und das war mir am<br />

liebsten, in unglaublicher Hingabe äußerte.<br />

Egal wie müde ich mich im Moment auch fühlte, ich konnte nicht aufhören, seinen<br />

Körper zu bewundern, mich an dem Spiel seiner Muskeln zu erfreuen, als er sich<br />

streckte, um ein Shirt aus dem oberen Fach unseres Schrankes zu holen.<br />

Manchmal könnte ich tatsächlich ganz machomäßig hier im Bett bleiben und ihn<br />

einfach nur beobachten, mir mein Essen bringen lassen und in regelmäßigen Abständen<br />

seinen heißen Körper unter mir fühlen …<br />

„Ich kann deine Gedanken bis hierher hören!“, sagte er, drehte sich um und grinste<br />

mich dabei verführerisch an.<br />

Natürlich liebte ich auch seine Vorderseite. Seine Brust war flach, dennoch verbargen<br />

120


sich darunter durchaus gut trainierte Muskeln. Sein langer Hals, der so wunderbar<br />

empfindlich war. Und nicht zu vergessen sein Penis, den Robert leider gerade hinter<br />

einer Boxershorts versteckte. Ich schluckte, als ich nur daran dachte, wie samtig er sich in<br />

meinen Händen anfühlte, wie sehr ich es liebte, ihn in den Mund zu nehmen und Robert<br />

damit dieses kehlige Stöhnen zu entlocken ...<br />

„Micha, du brennst mit deinen Augen Löcher in die Shorts!“, maulte er und kam zu<br />

mir ans Bett. „Ich dachte, du wärst befriedigt!“<br />

„<strong>Das</strong> bin ich auch ... sehr sogar. Allerdings ist dein Anblick heiß und da kann ich<br />

meine Augen einfach nicht abwenden!“, schnurrte ich und griff nach seinem Arm, um<br />

ihn zu mir herunter zu ziehen.<br />

„Heiß, hmmm?“, grinste er und beugte sich tatsächlich über mich.<br />

„Ja, sehr, sehr heiß!“<br />

Ich legte meine Arme um seinen Hals und verstärkte den Druck, bis sein Gesicht<br />

dicht vor meinem war.<br />

„Ich kriege einfach nicht genug von dir!“, murmelte ich gegen seine Lippen und<br />

küsste ihn. Seufzend erwiderte Robert den Kuss und ließ sich auf mich fallen.<br />

Spielerisch glitt meine Zunge über seine Lippen, bis sich sein Mund öffnete und mich<br />

einließ. Meine Hände wuschelten durch seine Haare. Ich stand drauf, dass er sie etwas<br />

länger trug. Ich mochte sogar die hellblonden Strähnen, die er sich vor kurzen hatte<br />

ziehen lassen. Auch wenn ich am Anfang nicht besonders begeistert davon war. Ich<br />

musste es zugeben: Die Strähnen standen ihm ganz hervorragend.<br />

Genüsslich wickelte ich seine Haare um meine Finger, während meine Zunge seine<br />

suchte. Es war kein gieriger Kuss, kein Kuss, der ein eindeutiges Ziel hatte. Nein, es war<br />

eher ein zahmes Spiel, die richtige Mischung aus Vertrauen und Verlangen, süß und<br />

verheißungsvoll.<br />

Als wir unsere Lippen voneinander trennten, sah mich Robert mit leuchtenden<br />

Augen an.<br />

„Du kriegst tatsächlich nie genug!“, hauchte er atemlos und ich schüttelte den Kopf.<br />

„Nicht von dir!“<br />

„Hmm, der Sonntag ist ja noch lang, erst einmal habe ich Hunger und will<br />

121


frühstücken! Was ist mit dir?“ Robert machte Anstalten, sich zu erheben und ich ließ ihn<br />

los.<br />

„Gegen eine Tasse Kaffee hätte ich nichts einzuwenden … Ja, die wäre gar nicht<br />

schlecht!“, seufzte ich und schloss die Augen.<br />

„Sag ich doch. Zuerst frühstücken und ich habe ja auch noch eine Überraschung für<br />

dich!“ Er ging zur Tür, öffnete sie ein Stück und drehte sich noch einmal zu mir um.<br />

„Und du bleibst schön, wo du bist, bis ich dich rufe!“<br />

„Ich kann es kaum erwarten! Ich liebe Überraschungen ja bekanntlich über alles!“<br />

Robert sah mich mit einer hochgezogenen Augenbraue an und ich fing an zu lachen.<br />

Natürlich wusste er, dass ich Überraschungen nicht besonders leiden konnte. Ganz im<br />

Gegenteil, ich hasste es, mich auf Kommando über irgendetwas freuen zu müssen, das<br />

ich eigentlich gar nicht haben wollte. Nein, ich hielt nicht viel von Überraschungen. Ich<br />

vertraute Robert, denn bis jetzt hatte er ein erstaunlich gutes Gespür für mich, für das,<br />

was ich mag und vor allem für das, was unsere Beziehung ausmachte.<br />

Obwohl ich die Worte wirklich ehrlich gemeint hatte, wusste er natürlich, wie ich<br />

darüber dachte.<br />

Wir hatten schon die ein oder andere Diskussion deswegen und immer endete sie so<br />

wie jetzt: Die Tür flog mit einem lauten Knall ins Schloss! Er konnte so unglaublich<br />

zickig sein. Selbst das gefiel mir an ihm. Es schlug mich erstaunlicherweise nicht in die<br />

Flucht, so wie sonst immer. Nein, ich liebte auch diese Seite an ihm. Denn sie war nur<br />

eine von vielen Facetten, die Robert besaß. Und ich wusste nicht genau, wieso, aber sie<br />

passte so gut zu ihm und er ... Er passte nahezu perfekt zu mir.<br />

Mit Plätzchen fängt man Engel ein<br />

von Nico Morleen (Zoya)<br />

Verwirrt blinzelte Blake Norman in die Dunkelheit seines Zimmers, bevor sein Blick<br />

auf den Wecker fiel. Drei Uhr morgens? Warum, zum Teufel, war er nach drei Stunden<br />

Schlaf schon wieder ...<br />

Sein Kopf war mit einem Mal leer, sein Herz beschleunigte, bis das Blut in seinen<br />

122


Ohren rauschte. Angestrengt lauschte er, das Ticken seines Weckers klang gespenstisch<br />

laut und fast glaubte er, es sich nur eingebildet zu haben, beduselt vom Schlaf, als das<br />

Geräusch erneut erklang.<br />

Ein leises Scheppern, das Blake nicht einzuordnen wusste, aber eindeutig von<br />

nebenan kam – aus der Küche.<br />

Fahrig tastete er nach seinem Handy und zögerte. Sollte er wirklich die Polizei<br />

alarmieren? Was, wenn er nur vergessen hatte, das Fenster zu schließen und ihm lediglich<br />

das Biest, welches sein Nachbar als Katze bezeichnete, einen Besuch abstattete?<br />

Und was, wenn es der nette Serienkiller mit dem Hang zu ahnungslosen Studenten<br />

ist?, wisperte ein sehr verängstigtes Stimmchen in seinem Hinterkopf.<br />

So unwahrscheinlich Letzteres auch war und er sich viel eher zum vollkommenen<br />

Deppen machen würde, wählte er die drei Ziffern der Gesetzeshüter, um der Frau am<br />

anderen Ende der Leitung flüsternd zu berichten, dass er eigenartige Geräusche hörte.<br />

Diese wies ihn pragmatisch an, zu bleiben, wo er war, die Kollegen seien auf dem Weg<br />

und er solle um Himmels willen nicht den Helden spielen.<br />

Automatisch kroch Blake ein wenig näher zur Wand. Für wie blöd hielt die ihn denn?<br />

Sekunden, nachdem er das Telefonat beendet hatte, kamen ihm allerdings Zweifel. Was,<br />

wenn es wirklich nur die Katze war?<br />

Erneut lauschte er. Alles war ruhig. Wider besseres Wissen stand er leise auf,<br />

überlegte kurz und schnappte sich seinen Eishockeyschläger.<br />

Wenn der 'ne Knarre hat, lacht der sich schlapp, verhöhnte ihn das Stimmchen nun<br />

schon mutiger.<br />

Er ignorierte es wie zuvor und schlich die paar Schritte über den Flur, nur um sich<br />

sofort dafür zu verfluchen. Er hätte in seinem Schlafzimmer bleiben und sich unter dem<br />

Bett oder im Schrank verstecken sollen, denn wenn das Mistvieh nicht inzwischen<br />

gelernt hatte, das Licht einzuschalten, handelte es sich bei seinem nächtlichen Besucher<br />

doch um den Serienkiller. Aber seit wann machten die Licht?<br />

Diese Vorgehensweise erschien ihm auch für einen Einbrecher recht sonderbar, und<br />

da einer seiner leuchtendsten Charaktereigenschaften, wie sein Vater es immer nannte,<br />

verdammte Neugierde war, konnte er es nicht lassen, um die Ecke zu spähen. Einen<br />

123


Wimpernschlag später glaubte er, ihm selbst habe man den Hockeyschläger<br />

übergezogen.<br />

Fassungslos und mit offenem Mund starrte Blake auf das, was einmal seine Küche<br />

gewesen war und jetzt aussah wie nach einem Bombeneinschlag. Scheinbar all seine<br />

Schüsseln, Löffel, Ausstechförmchen, Rührbesen und Bleche war herausgeholt worden<br />

und mit diversen Substanzen gefüllt oder beschmiert. Zudem war der halbe Inhalt seines<br />

Vorratsschranks auf der Arbeitsfläche verteilt, der andere Teil hatte es sich auf dem<br />

Fußboden bequem gemacht.<br />

„Was zum Teufel ... “, entfuhr es ihm und erschreckte damit nicht nur sich, sondern<br />

auch den rothaarigen Mann, der sich gerade über seinen Küchentisch beugte und ...<br />

Plätzchenteig ausrollte? Was war denn das für ein schräger Einbrecher?<br />

Dieser blickte ihn nun mit teigverklebten Händen und Mehl auf den<br />

sommersprossigen Wangen an, bevor er einen Schritt auf ihn zu machte. Sofort hob<br />

Blake den Hockeyschläger und brachte ihn damit zum Stehen.<br />

„Ich warne dich, bleib ja, wo du bist. Die Bullen kommen auch gleich!“, knurrte<br />

Blake und funkelte den Eindringling, wie er hoffte, gefährlich an. Wobei die Boxershorts<br />

mit den gelben Quietscheenten diesem Eindruck sicherlich einen kleinen Abbruch<br />

bescherten, aber immerhin war er bewaffnet und außer dem Nudelholz lag bei dem<br />

Typen nichts Gefährliches in Greifweite.<br />

Der junge Mann lieferte sich mit dem Einbrecher ein Duell mit einem<br />

Hockeyschläger und Nudelholz.<br />

Er sah die Schlagzeile schon vor sich. Allerdings stellte er sich diese Szene besser<br />

nicht vor, er wusste im Moment sowieso nicht, ob er lieber lachen oder weinen sollte,<br />

und ein hysterischer Lachanfall wäre sicherlich nicht unbedingt hilfreich. Diese ganze<br />

Situation war so absurd, dass er ernsthaft in Erwägung zog, noch zu träumen. <strong>Das</strong><br />

konnte einfach nicht die Realität sein!<br />

Wer brach schon in ein Haus ein, um die Küche auf den Kopf zu stellen und zu<br />

backen? Okay, auch das wollte er sich nicht vorstellen, denn dieser Jemand musste einen<br />

gehörigen Sprung in der Schüssel haben, und die waren bekanntlich die gefährlichsten.<br />

„Oh, ich ähm ... ich also ...“, stammelte der Fremde, wischte sich mit dem<br />

124


Handrücken einige wellige Haare aus der Stirn und verpasste dieser somit ebenfalls eine<br />

Mehlschicht.<br />

„Was zum Teufel ... “, wiederholte Blake und zuckte zusammen, als plötzlich die<br />

Eieruhr schrillte.<br />

„Die … die Plätzchen sind fertig“, murmelte der Mann, sah zuerst zum Backofen<br />

und dann ihn erwartungsvoll an. Glaubte der Kerl ernsthaft, dass er ihn auch nur in die<br />

Nähe des Ofens ließ? Hinterher pfefferte der ihm noch das heiße Blech um die Ohren!<br />

„Bleib ja, wo du bist“, zischte er daher, machte einen Schritt in den Raum und tastete<br />

nach dem Knopf für den Backofen, um diesen auszuschalten. Danach, den Schläger<br />

weiterhin auf den Typen gerichtet, schaute er sich erneut um. „Was soll das hier?“<br />

„Ich ... ich backe“, kam die kleinlaute Antwort.<br />

„<strong>Das</strong> sehe ich“, schnaubte Blake. „Aber, warum zum Teufel, tust du das in meiner<br />

Küche?“<br />

Weihnachtsmann zu verschenken<br />

von Isabel Shtar<br />

„Warst du denn auch ein braver Junge?“, fragte er ihn übertrieben polterig.<br />

Judas nutzte die Gunst der Stunde und setzte sich ungeniert auf den Schoss des<br />

anderen. Während ihre zahlreicher werdenden Zuschauer über seine Frechheit lachten,<br />

erstarrte der Verkleidete für einen Herzschlag, bevor er sich wieder fing.<br />

Tja, niemand legte sich ungestraft mit einem Judas Steinhöffer an, da war er ganz<br />

Sohn seiner Mutter. Seines Vaters wohl auch, der war Medienanwalt und auch nicht<br />

gerade für seine Friedfertigkeit bekannt, aber an den wollte er jetzt nicht denken. Jetzt<br />

war Showtime, High Noon im Wilden Westen des Weihnachtsverkaufes. Und hier<br />

kannte ihn ja keiner, hier konnte er das. Eigentlich war er im Alltag, wenn er ganz ehrlich<br />

mit sich war, ein eher zurückhaltender Mensch, aber ab und an platzte ihm der Kragen<br />

und das, was unter der Oberfläche lauerte, purzelte hinaus.<br />

Er nickte fleißig auf die Frage hin und ratterte hingebungsvoll herunter: „Sicher war<br />

125


ich brav. Ich habe meine Hausaufgaben ordentlich gemacht, zu jeder Verabredung war<br />

ich pünktlich, wusch mich jeden Morgen – auch hinter den Ohren! – habe nicht gelogen,<br />

nicht gestohlen, bin mit dem Nachbarshund Gassi gegangen, habe meiner Mama den<br />

Smart geputzt und bin jeden Abend früh ins Bett.“<br />

„Sehr brav!“, lachte der andere. „Ho, ho, ho! Und wie heißt du, mein Kleiner?“,<br />

fragte er ihn und klopfte ihm anerkennend auf die Schulter.<br />

„Judas“, lächelte er scheinheilig. <strong>Das</strong> Publikum stutzte leicht, sein Kidnapper nicht<br />

weniger.<br />

„Judas?“, stammelte er. „<strong>Das</strong> ist ja ... ein ... außergewöhnlicher Name ...?“<br />

„Weihnachtsmann“ ist aber auch nicht viel besser. Oder viel christlicher“, wies Judas<br />

ihn freundlich hin und machte seine Augen so rund wie möglich. Der Typ unter ihm war<br />

ein junger Mann, ein Student vermutlich, diese dämliche Scharade war ja ein klassischer<br />

Studentenjob. Unter den lächerlichen Klamotten ließ sich ein schlanker, kräftiger Körper<br />

erahnen, die grünlichen Augen hatten den Glanz der Jugend noch nicht verloren.<br />

Er lachte unter seinem etwas räudigen, falschen Bart und schlug vor: „Einigen wir<br />

uns auf ein Unentschieden.“<br />

„Okay, Weihnachtsmann“, pflichtete er ihm bei und sah zu, sich auf seiner<br />

lebendigen Sitzunterlage ein wenig breiter zu machen. Wann kam er schon zu dem<br />

Vergnügen? Selten genug bis gar nicht.<br />

Er war wohl einfach nicht der geborene Aufreißer. Außerdem ließen ihn die<br />

Türsteher einschlägiger Clubs selten ein, da sie dachten, sein Ausweis sei gefälscht.<br />

Hatten schon mal welche deswegen die Polizei gerufen – das war kein Spaß gewesen.<br />

Und selbst, wenn er es bis rein schaffte – was dann? Er studierte Latein und Mathematik<br />

auf Lehramt, das disqualifizierte ziemlich als Partykracher – außerdem wollte natürlich<br />

keiner etwas von dem minderjährigen Bubi, der er ärgerlicherweise schon seit mehreren<br />

Jahren nicht mehr war.<br />

„Darf ich mir jetzt etwas wünschen?“, bohrte er.<br />

„Na ja“, bremste ihn der „Weihnachtsmann“ und schien unter seiner<br />

Gesichtsverschandlung zu grinsen. „Eigentlich ist jetzt ein Gedicht fällig. Oder ein<br />

Lied.“<br />

126


„Oh“, grübelte Judas demonstrativ und musterte ihn sinnend. Wirklich hübsche<br />

Augen, die der da hatte – doch wahrscheinlich sah der versteckte Rest zum Kotzen aus.<br />

Aber man tat sich einen großen Gefallen, wenn man diese Möglichkeit nach bestem<br />

Vermögen ausblendete. Wenn die Realität nichts taugte, war Selbstbetrug manchmal die<br />

bessere Alternative. Könnte ja auch sein, dass der unter seiner Zipfelmützen-Verkleidung<br />

der absolute Kracher war. Einfach fleißig daran glauben ... war schließlich Weihnachten.<br />

„Also singen kann ich nicht“, gestand er. „Aber ich könnte etwas dichten? Über ...<br />

Weihnachten und was ich mir wünsche?“<br />

„Wow! Äh … Ho! Ho! Ho! Da bin ich ja mal sehr gespannt, kleiner Judas!”,<br />

ermunterte ihn der maskierte Weihnachtsscherge und legte ihm jovial die Hand noch<br />

fester auf die Schulter.<br />

Judas nutzte die Chance und rutschte ein weiteres Stückchen zurück.<br />

Er konzentrierte sich, verstärkte sein falsch-klebriges Lächeln, holte tief Luft und<br />

begann:<br />

„Lieber, guter Weihnachtsmann,<br />

Nimm mich bitte tierisch ran.<br />

Denn der kleine Judas hier,<br />

Hätte gerne einen Stier.<br />

Nicht mit Hörnern und 'nem Kranz,<br />

Lieber mit 'nem fetten Schwanz.<br />

Sonst muss ich leider überwintern<br />

Weiterhin mit keuschem Hintern.<br />

Also lieber Weihnachtsmann,<br />

Schick mir bitte einen Mann.“<br />

Die Zuhörer glotzten mit offenen Mündern. Dann begannen einige zu pöbeln,<br />

andere zu lachen. Die Hand des Weihnachtsmannes lag schlaff auf seiner Schulter.<br />

„Was… was soll das denn?“, stammelte er.<br />

„Du hast gefragt“, erwiderte Judas, drehte sich zu ihm um und bedachte ihn mit<br />

127


einem Unschuldsblick. „Kriege ich jetzt meinen Kerl? Wo ist doch so brav war?“<br />

„Du ... wie alt bist du ...?“, versuchte sich der Mützenträger zu sammeln.<br />

„Zweiundzwanzig“, erwiderte Judas würdevoll. Dann konnte er sich nicht mehr<br />

halten und prustete los vor Lachen. „Tja, falls es dich tröstet, du bist nicht der Erste, der<br />

auf mein Aussehen reingefallen wäre. Kriege ich zur Strafe jetzt eins mit deiner Rute?<br />

Bitte, bitte ...“, spottete er.<br />

„Äh…?“, brabbelte der Überfahrene nur unkoordiniert.<br />

Mit leichtem Bedauern erhob sich Judas wieder von seiner kuscheligen<br />

Sitzgelegenheit.<br />

„Ach“, seufzte er. „Irgendwie hat das trotzdem meine Stimmung etwas verbessert.<br />

Wenn du mich jetzt entschuldigen würdest, ich brauche noch ein Geschenk für meine<br />

leicht exzentrische Mutter. Gutes Schaffen dir noch!“<br />

„Öh … danke“, erwiderte der Geschundene etwas schwächlich. „Und ... viel Glück<br />

mit deinem Kerl ...“<br />

„Ich erwarte die Lieferung heute Abend pünktlich unterm nicht vorhandenen<br />

Weihnachtsbaum!“, stellte Judas klar. „Wehe, wenn nicht. Sonst verliere ich noch meinen<br />

Glauben an den Weihnachtsmann. Und das wäre doch tragisch ... in meinem Alter.“<br />

Ich hörte, wie die Dusche im Bad anging, und machte es mir im Bett noch einmal<br />

bequem. Es würde wohl noch eine Weile dauern, bis er mich zum Frühstück rufen<br />

würde.<br />

128


Die Anderen III-<strong>Das</strong> Siegel des Gaap<br />

Ein Gay Mystic <strong>Fantasy</strong>roman<br />

Spannend, sexy und voller Überraschungen.<br />

Der Auftakt zu einer Romanserie der<br />

besonderen Art.<br />

Leseprobe<br />

Salz.<br />

Dämonen in Lüneburg! <strong>Das</strong> Netz um Finn und<br />

Dave zieht sich immer stärker zusammen. Nicht<br />

nur die Schwarzen Jäger wollen ihrer um jeden<br />

Preis habhaft werden. Der alte Dämon Thubal<br />

hofft mit Finns Hilfe sowohl seinen alten<br />

Konkurrenten Dave zu ködern, als auch sich<br />

Finns einzigartiger Fähigkeiten zu bedienen. Für<br />

sein Ziel, die Herrschaft der Dämonen in dieser<br />

<strong>Welt</strong>, ist er bereit alles zu tun. Ist Finn stark<br />

genug, seinem Erbe zu entsprechen?<br />

ISBN: 9783942539357 Preis:14,95€<br />

Taschenbuchformat:17,00x 22,00 cm<br />

Broschiert: 172 Seiten<br />

Weitere Informationen unter:<br />

http://www.fwz-verlag.de<br />

http://www.fwz-edition.de<br />

Finn's Amulett:<br />

Echt Silber, jedes Stück ein handgefertigtes<br />

Unikat.<br />

Limitierte Auflage, nur beim <strong>Fantasy</strong> <strong>Welt</strong> <strong>Zone</strong><br />

Verlag/<strong>Edition</strong> erhältlich!<br />

€ 65,-<br />

Lieferzeit ca.2 Wochen<br />

129


<strong>Das</strong> war das erste, was Finn wahrnahm, als ihn die Dunkelheit aus ihren Klauen<br />

entließ. Es roch wahrhaftig nach Salz. Schwer hing der Geruch in der kalten Luft. Es<br />

schmeckte sogar nach Salz. Finn leckte sich die Lippen, kostete den bekannten<br />

Geschmack. Blinzelnd versuchte er, etwas von seiner Umgebung zu erkennen. Es war<br />

alles dunkel und etwas Kühles bedeckte sein Gesicht. Vorsichtig bewegte er sich und<br />

nahm unmittelbar einen festen Widerstand an den Hand- und Fußgelenken wahr. Etwas<br />

fixierte ihn in der liegenden Position. Fesseln! Erschrocken keuchte er auf, versuchte sich<br />

verwirrt zu orientierten.<br />

Sein Verstand fasste nüchtern die wesentlichen Tatsachen zusammen: Ganz<br />

offensichtlich liegst du auf etwas Hartem, vermutlich Holz, in einem feuchten und<br />

kalten Raum voller Salz. Deine Hände sind über dem Kopf fixiert und auch deine Füße<br />

sind zusammengebunden. Die Seile erscheinen dir zu fest, um sie zu zerreißen. Und es<br />

ist deshalb so finster, weil du vermutlich eine Art Maske über dem Gesicht trägst. Kurz<br />

gesagt: eine wirklich schlechte Ausgangslage.<br />

Finn ruckte versuchsweise an den Fesseln, die sich jedoch nur fester um seine<br />

Handgelenke zogen. Verdammt! Er hasste es, wenn sein Verstand so offensichtlich recht<br />

hatte.<br />

Seufzend rekapitulierte er, wie er in diese Lage gekommen war. Er war auf dem Weg<br />

nach Bardowick gewesen, wo Michael wohnte. Dabei war er dem Dämon begegnet. Finn<br />

erinnerte sich noch sehr genau an den Kampf mit dem Wesen und wie er ihn beendet<br />

hatte. Beinahe hätte er den Dämon mit seinem Siegel – ja, mit dieser kleinen<br />

Metallscheibe - getötet! Danach war er weiter nach Bardowick gegangen. War er nicht<br />

sogar schon am Dom gewesen? Finn erinnerte sich noch an das hell angestrahlte<br />

Bauwerk. Auch an ein kurzes, heißes Brennen, weswegen er erschrocken das Siegel fallen<br />

gelassen hatte. Danach hingegen lag alles im Dunkeln.<br />

Nun war er hier, wobei sein Verstand ihm nicht sagen konnte, wo „Hier“ war. Zu<br />

dem intensiven Salzgeruch kam eine unangenehme Feuchte. Die Luft roch irgendwie alt<br />

und ein wenig nach moderndem Holz. Wo zur Hölle war er?<br />

Erneut ruckte Finn an den Fesseln, bemühte sich vergeblich, sie abzustreifen. Es war<br />

äußerst unangenehm, mit den Armen über dem Kopf hier zu liegen. Er versuchte,<br />

130


probeweise den Kopf zu drehen und die Maske dabei zu verschieben.<br />

Ebenso gut könntest du versuchen, mit deinem Laserblick den nächsten Schurken<br />

aufzuhalten, bemerkte sein Verstand sarkastisch.<br />

Nun, immerhin kannst du mit deinem Supersiegel einen Dämon aufhalten, erwähnte<br />

seine innere Stimme zuversichtlich. <strong>Das</strong> können wohl nur Helden. Daher gibt es<br />

bestimmt auch hier einen Ausweg.<br />

Finns Herz schlug laut und hart in der Brust und er hatte viel zu viel Angst für einen<br />

coolen Helden. Er war definitiv kein Superheld, wollte es nie sein. Da hatte man ihn<br />

offenbar irgendwie unglücklich verwechselt. Anspannt lauschte er auf Geräusche. Außer<br />

dem von tropfendem Wasser konnte er hingegen nichts vernehmen.<br />

Grübelnd ging er seine Situation durch. Wer konnte denn ein Interesse daran haben,<br />

ihn zu entführen? Warum? Wem war er auf die Füße getreten?<br />

Der Dämon war es wohl diesmal nicht. Der würde sich noch von der schweren<br />

Wunde erholen, die ihm Finn beigebracht hatte. Nur wer dann? Gab es jemanden in<br />

dieser verrückten Parodie, den er noch nicht kannte?<br />

Über eine Stunde, eher eine gefühlte Ewigkeit, dem immer unangenehmer<br />

werdenden Gefühl in seinen Armen nach zu urteilen, blieb es ruhig, egal wie gespannt<br />

Finn lauschte. Er vernahm nichts anderes als das beständige, folternde Tropfen von<br />

Wasser. Wollte ihn sein Entführer damit weichkochen? Finn konnte nicht umhin, dieser<br />

Methode eine gewisse Wirkung abzusprechen. Mehr zu schaffen machte ihm hingegen<br />

das taube Gefühl in seinen Armen.<br />

Gerade als er sich ächzend abermals in eine andere Position manövrierte und<br />

überlegte, wann seine Arme einfach absterben würden, vernahm er das Geräusch von<br />

Schritten, die sich ihm eindeutig näherten. Unwillkürlich hielt er den Atem an und<br />

erstarrte. Sein unbekannter Entführer kam endlich, um nach seinem Opfer zu sehen.<br />

Ab jetzt kann es gefährlich werden, warnte ihn völlig unnötigerweise sein Verstand.<br />

Finns Herz zollte ihm den Tribut und pochte immer schneller.<br />

Die forschen Schritte näherten sich und blieben neben ihm stehen. Der Entführer<br />

sagte nichts, stand mehrere Minuten einfach still neben Finn versuchte, ganz flach zu<br />

131


atmen, sich ja nicht zu bewegen.<br />

Ganz vielleicht geht der Unbekannte ja wieder, wenn er denkt, du schläfst noch,<br />

hoffte die optimistische, wenngleich recht realitätsferne innere Stimme leise.<br />

„Wie lange willst du eigentlich noch vorgeben, ohnmächtig zu sein?“ Die harte<br />

Stimme kam Finn sofort bekannt vor. Überrascht schnappte er nach Luft. Thomas! <strong>Das</strong><br />

war definitiv Thomas.<br />

Ein eisiger Schauer rann über seinen Rücken.<br />

Der schwarze Jäger. Nur zu gut erinnerte er sich an ihre letzte Begegnung und die<br />

Gewalttätigkeit, die in Thomas Angriff gelegen hatte. Finn erwiderte nichts, die Angst<br />

schnürte ihm die Kehle ab. Obwohl er Thomas nicht sehen konnte, trat dieser, dem<br />

Geräusch nach zu urteilen, dichter an seinen Gefangenen heran und beugte sich über<br />

ihn. Finn vernahm seinen Atem bedrohlich dicht neben sich.<br />

„Jetzt haben wir ganz viel Zeit, alle offenen Fragen zu klären. Denn, weißt du, Finn,<br />

ich habe da so einige“, erklärte Thomas und flüsterte direkt in dessen Ohr: „Mir sind<br />

heute zwei Dämonen entwischt und ich habe ein verdammt gutes Gefühl, dass du damit<br />

was zu tun hast.“<br />

Finn zuckte erschrocken zusammen, brachte allerdings keinen Ton heraus. Thomas'<br />

Stimme klang extrem bedrohlich. Finns Verstand beschwerte sich kleinlaut: Wir hätten<br />

ihn nicht nur unter Arschloch, potentiell gefährlich, einsortieren sollen, sondern einen<br />

fetten, roten Vermerk: „Gemeingefährlich!“ dranschreiben müssen! Der Typ ist völlig<br />

durchgeknallt!<br />

Ein Nebel aus Furcht legte sich um seine Gedanken, lähmte ihn.<br />

„Also, wie gesagt, wir haben Zeit“, meinte Thomas. Sein Hände legten sich auf<br />

Finns Brust, was diesem ein erschrecktes Keuchen entlockte. Rasend pochte sein Herz<br />

unter den kräftigen Händen, die hoch zu seinem Kragen wanderten. Thomas öffnete das<br />

Hemd, entblößte Knopf für Knopf Finns Oberkörper, um sich die Narbe genauer zu<br />

betrachten.<br />

„Dieses Mal … als ich es gesehen habe, wusste ich Bescheid“, erklärte Thomas und<br />

strich prüfend über das Narbengewebe. Finn unterdrückte ein stärkeres Zittern, als die<br />

kühlen Finger seine Haut reizten, Gänsehaut sich von dort über seinen Rücken<br />

132


ausbreitete.<br />

„Ein echtes Dämonenmal.“ Thomas' Stimme klang eigentümlicherweise recht<br />

anerkennend. „Ein solches habe ich bislang nie an einem lebenden Menschen gesehen“,<br />

ergänzte dieser nachdenklich. „Früher, als sie noch nicht so gierig waren, da haben sie<br />

auf diese Weise ihre Opfer gezeichnet, ihr Revier abgesteckt.<br />

Dies ist der Biss eines wirklich sehr alten Dämons. Die alten sind besonders hungrig<br />

und stark. Er hätte dir mit einem Biss die Kehle durchtrennen können! Ich frage mich,<br />

warum dieser es nicht getan hat.“ Er wich einen Schritt zurück und richtete sich auf.<br />

„Was meinst du? Ich denke, wir fangen einfach ganz am Anfang deiner Geschichte<br />

an. Mal sehen, ob sie mir gefällt“<br />

Finns Magen krampfte sich kalt und schmerzhaft zusammen. Die kalte Luft kletterte<br />

unter sein Hemd und ließ ihn zusätzlich frösteln.<br />

„Also erzähl es mir: Wie bist du daran gekommen? <strong>Das</strong> war in Hamburg, nicht<br />

wahr?“, fragte Thomas lauernd nach, sprach weiter, ohne eine Bestätigung abzuwarten.<br />

„Du warst also der Student, von dem die Zeitung berichtet hat. Wieso bist du danach<br />

nach Lüneburg gekommen? Er hat dich gezeichnet, bist du deshalb vor ihm geflohen?<br />

Warum nach Lüneburg? Was hast du beabsichtigt? Steckt da mehr dahinter? Was weißt<br />

du über Lüneburg und seine Dämonen? Bist du womöglich gar ein Verräter?“<br />

Finns Herz machte einen jähen, erschrockenen Satz. „Nein!“, würgte er schnell<br />

hervor. „Ich bin nur vor ihm geflohen!“ Sein Kopf dröhnte merkwürdig. Etwas wie eine<br />

starke Hand schien sich um ihn zu legen und schmerzhaft zusammenzudrücken.<br />

„Was ist passiert, als er dich angegriffen hat? Was hat er zu dir gesagt?“, bohrte<br />

Thomas unerbittlich nach.<br />

„Habe ich dir doch schon gesagt“, stöhnte Finn mit immer stärker schmerzendem<br />

Kopf. Ein eigenartiger Nebel füllte seinen Kopf, verlangsamte sein Denken und breitete<br />

sich unaufhaltsam aus. Verflucht, was tat Thomas mit ihm?<br />

„Er hat mir aufgelauert, mich gebissen und einfach liegen gelassen. Mehr weiß ich<br />

auch nicht“, brachte er stockend hervor. Ihm war so, als ob die nebelige Hand in seinem<br />

Kopf nach etwas suchen würde. Wandte Thomas Telepathie oder eine andere<br />

unbekannte Methode an? War er das? Finn fiel es schwer, klar zu denken.<br />

133


„Was hat er genau gesagt? Du solltest es mir einfach sagen. Ich möchte dich nicht<br />

zwingen müssen“, drohte Thomas mit erstaunlich freundlicher Stimme. Finn schluckte<br />

mehrfach hart, versuchte verzweifelt, sein rasendes Herz zu kontrollieren. Jetzt hätte er<br />

gerne etwas von der kalten Ruhe gehabt, die ihn bei dem Kampf mit dem Dämon<br />

begleitet hatte. Wo waren diese nützlichen Superheldeneigenschaften, wenn man sie<br />

wirklich brauchte?<br />

„Er ... er hat gesagt ... ich ... ich schmecke süß und er ... er hat mich sein Eigentum<br />

genannt“, brach es in abgehackter, rascher Folge aus ihm hervor. Der Nebel verringerte<br />

sich, der harte Griff nach seinen Gedanken ließ etwas nach, wurde streichelnder.<br />

„Er ist danach wiedergekommen?“ Thomas' Stimme war noch immer sehr leise,<br />

wobei sich Finn nicht sicher war, ob es daran lag, dass er bevorzugt leise und gefährlich<br />

sprach oder ob seine Stimme durch den Nebel in seinem Kopf so gedämpft klang.<br />

„Ja!“, gab Finn gequält zu. „Der Dämon kam danach noch einmal zu mir. Er hat mir<br />

vor meiner Wohnung aufgelauert.“<br />

“Was wollte er von dir?“, drang Thomas erneut auf ihn ein, die nebelige Hand griff<br />

fester nach seinen Gedanken. „Du solltest dir deine Antworten genau überlegen, denn<br />

ich kann dir sehr wehtun, falls sie mir nicht gefallen sollten.“<br />

Na, klasse, seufzte Finns innere Stimme. Bist du jetzt aus Versehen in einem<br />

Horrorfilm gelandet? Der Typ ist nicht nur verrückt, er meint es vor allem wirklich ernst.<br />

Finn bekam eine Gänsehaut und konnte nicht verhindern, dass er sichtbar zitterte.<br />

<strong>Das</strong>s er nichts sehen konnte, tat sein Übriges, um seine Furcht zu steigern. Nicht zu<br />

sehen, noch zu wissen, was Thomas mit ihm tat, erhöhte diese Angst ins Unermessliche.<br />

Finn konnte lediglich seinen ruhigen Atem hören und spürte noch immer dessen Hände<br />

auf sich, die kühl und ruhig auf seiner blanken Brust lagen.<br />

„Er ... er hat gesagt, ich gehöre ihm“, fuhr Finn hastig fort und tat sich schwer,<br />

weiter zu sprechen. <strong>Das</strong> war peinlich und gehörte nur ihm. Der Druck um seinen<br />

Schädel nahm augenblicklich zu. Sein Kopf befand sich in einer Schraubzwinge, die<br />

Thomas gnadenlos anzog.<br />

„Er hat mich verschleppt und dann ... dann ... er hat ... mich ... geküsst“, stammelte<br />

Finn und schloss schmerzerfüllt die Augen. Im selben Moment löste sich der Druck und<br />

134


er atmete erleichtert auf.<br />

Thomas stutzte. Seine Hände waren plötzlich verschwunden. „Was?“ Erstaunen war<br />

in seiner Stimme zu vernehmen.<br />

Oh, Mann, muss ich da jetzt wirklich durch?, dachte Finn verzweifelt, bekam keinen<br />

schlauen Tipp von Verstand oder innerer Stimme, die sich wohl gemeinsam kurzzeitig in<br />

Vorahnung der Krisensituation verkrümelt hatten.<br />

„Er hat mich eben geküsst, okay?“, brachte er heftig hervor und überspielte die<br />

Scham, die er dabei empfand. Hoffentlich ließ es Thomas dabei bewenden. Er konnte<br />

ihm ja kaum erzählen, was noch alles passiert war. Er würde vor Scham sterben!<br />

Thomas schwieg und seine Hände blieben verschwunden.<br />

Finn lauschte gebannt, konnte nicht erkennen, ob der Schwarze Jäger noch da war<br />

oder sich entfernt hatte. Nur zu überdeutlich nahm er erneut den Geruch nach Salz und<br />

modrigem Holz wahr, der den Stollen erfüllte.<br />

Wo auch immer du bist, es wird hier viel zu wenig gelüftet, erklärte seine innere<br />

Stimme.<br />

Was nicht dafür spricht, dass hier viele Menschen herkommen und was mithin die<br />

Wahrscheinlichkeit auf Rettung minimiert, ergänzte sein Verstand.<br />

<strong>Das</strong> Geräusch von Thomas' Atem näherte sich erneut, erklang mit einem Mal ganz<br />

dicht an Finns Gesicht. Dieser schrak zurück, zerrte hilflos an den Fesseln.<br />

„Ich weiß, warum er dich nur gebissen, nicht jedoch getötet hat, Finn“, flüsterte<br />

Thomas leise, kalte Stimme dicht an dessen Ohr. „Dieser alte Dämon hat dich aus einem<br />

bestimmten Grund nicht getötet. Er hat dich mit seinem Biss unwiederbringlich und für<br />

jeden anderen Dämon erkennbar als sein Eigentum gezeichnet. Und weißt du warum,<br />

Finn?“<br />

Thomas' Hände legten sich abermals auf dessen Brust. Sie waren nicht mehr so<br />

kühl. Finn fühlte die Wärme der Haut, spürte die streichelnde Berührung.<br />

„Ein solcher Dämon will nicht nur dein Fleisch kosten, sich nicht an deinem Blut<br />

betrinken“, fuhr Thomas fort, ein verhaltenes Lachen in der Stimme. „Ich weiß genau,<br />

was er von dir wollte: Er hat dich nicht getötet, weil er noch eine ganz andere<br />

Verwendung für dein frisches, unschuldiges Fleisch hatte, nicht wahr?“<br />

135


Finn stockte der Atem, sein Herz schlug härter und schneller. Dies waren fast die<br />

gleichen Worte, die der Dämon ausgesprochen hatte. Wieso wusste Thomas davon? Wie<br />

konnte er es ahnen? Wusste er wirklich Bescheid? Vielleicht konnte er wirklich<br />

Gedanken lesen?<br />

„Manche der alten Dämonen haben durchaus eine starke Ausstrahlung auf gewisse<br />

Menschen. Er muss wirklich sehr alt sein, wenn er diese spezielle Wirkung hat.“ Thomas<br />

beugte sich abermals näher an ihn heran. „Hast du seine extreme sexuelle<br />

Anziehungskraft gespürt? Hat sie dich fasziniert? Wie ist er dir erschienen?“<br />

Thomas' Hände strichen zärtlich, beinahe liebkosend über seine Wangen und Finn<br />

stockte der Atem. Was tat der da?<br />

„Was hat der Dämon wohl mit dir gemacht, Finn?“, erkundigte sich Thomas, die<br />

Stimme ruhig, berechnend, noch immer unterschwellig drohend. „Hat er dich nur<br />

geküsst?“ Finn bekam keinen Ton heraus, doch der Schwarze Jäger schien ohnehin in ein<br />

Selbstgespräch vertieft zu sein. „Nein, dieser Dämon sicherlich nicht. Der würde sich<br />

kaum mit ein paar Küssen zufriedengeben. Der wollte mehr“, meinte er nachdenklich.<br />

„Und hat er es bekommen? Hast du ihm schließlich gegeben, was er wollte? Du warst<br />

noch ganz unschuldig, oder? Ja, das riechen sie, dass mögen sie am liebsten.“<br />

Der Druck in Finns Kopf wurde abermals stärker. Thomas' Hände öffneten sein<br />

Hemd, knöpften es schließlich ganz auf. „Weißt du, Dämonen riechen extrem gut. Sie<br />

wissen ganz genau, was in einem Menschen vor sich geht. Sie riechen seine Angst und<br />

seine Hormone. <strong>Das</strong> macht sie ganz wild vor Gier.“ Fest strichen Thomas' Hände über<br />

Finns Bauch. Dieser konnte ein erneutes Zittern nicht verhindern, außerdem erregten<br />

ihn die Berührungen merkwürdigerweise. Sie wirkten eigentümlich vertraut, der<br />

besondere Druck, das Gefühl der harten Knöchel, das sanfte Umfahren seiner<br />

Brustwarzen. Finns Atem beschleunigte sich. Wenn es nicht völlig und auf jede Weise<br />

unvorstellbar gewesen wäre, hätte er geschworen, Thomas hätte ihn schon einmal so<br />

intim berührt. Sein Körper reckte sich ihm entgegen, wollte eindeutig mehr davon und<br />

er unterdrückte ein leises Stöhnen.<br />

Wie peinlich war das denn? Was hatte Thomas überhaupt mit ihm vor?<br />

„Sag es mir, hat dich der Dämon auch auf diese Weise berührt? Hat er dir dieselbe<br />

136


Lust bereitet? Welche Gestalt hatte er? Sag es mir!“ Thomas Stimme wurde<br />

eindringlicher, hypnotischer, der fremde Einfluss in Finns Kopf breitete seine nebeligen<br />

Fingern erneut in ihm aus. Er biss die Zähne fest aufeinander und presste den Kiefer<br />

zusammen.<br />

Ich werde es ihm nicht sagen, schwor er sich. Unter gar keinen Umständen! Lieber<br />

sterbe ich!<br />

Mutig, aber im Grunde ziemlich dämlich, informierte ihn sein Verstand<br />

kopfschüttelnd. Der Typ ist irre, durchgeknallt und mordsgefährlich. Er wird dir<br />

verdammt wehtun, also schlucke deinen Stolz hinunter, den du eh nicht mehr hast, seit<br />

der Dämon dich genommen hat, und sag es ihm lieber gleich, bevor dir noch was<br />

passiert.<br />

„Du kannst es dir so viel leichter machen, Finn“, seufzte Thomas bedauernd. „Sag<br />

mir einfach, was ich wissen will.“ Ein winziges, schabendes Geräusch erklang. Finns<br />

Gehör funktionierte hervorragend, war es doch außer dem Geruchssinn und Tastsinn<br />

der einzige Sinn, den er einsetzen konnte.<br />

<strong>Das</strong> klingt verflucht nach einem Messer, welches aus einer ledernen Scheide gezogen<br />

wird, analysierte sein Verstand.<br />

Ich habe dich doch gewarnt, dass Thomas gefährlich ist! Oh, verdammt! Seine innere<br />

Stimme zog sich rasch eine Decke über den Kopf. Finn keuchte auf und kämpfte heftig<br />

gegen seine Fesseln an. Panik überrollte ihn in einer kalten Welle.<br />

„Nein!“, würgte er hervor. „Nein! Lass mich! Lass mich in Ruhe!“ Die Furcht<br />

schwang in seiner Stimme mit. Verflucht, er konnte Thomas nicht sehen! Was tat er<br />

gerade? Hatte er das Messer in der Hand? Was würde er damit tun?<br />

„Soll ich die Frage noch einmal wiederholen?“, erkundigte sich dieser mit<br />

unveränderter Stimme geduldig, als ob er mit einem dummen Schuljungen sprechen<br />

würde. „Also hat der Dämon dich auf diese Weise berührt?“<br />

„Ja“, würgte Finn angstvoll hervor. „Ja, verdammt! Er hat mir sogar einen<br />

runtergeholt!“ Er erschrak selbst vor seinen Worten, allerdings hatte er noch viel mehr<br />

Angst davor, was der unsichtbare Thomas mit dem Messer anstellen würde.<br />

Ein leises, zufriedenes Lachen erklang. Finn spürte unerwartet kaltes Metall auf<br />

137


seinem Bauch. Offenbar fuhr Thomas mit der flachen Seite des Messers über seine<br />

Brust. Finn sog heftig die Luft ein und erstarrte sofort, als ihn die Messerspitze direkt<br />

unter seinem Bauchnabel berührte.<br />

„So? Der Dämon hat dir einen runtergeholt“ Thomas klang recht amüsiert. „<strong>Das</strong><br />

war bestimmt gut, oder? Solche Dämonen verstehen sich darauf, ihren Opfern Lust zu<br />

bereiten.“ Er lachte erneut auf und Finns innere Stimme sprach mutig eine genuschelte<br />

Morddrohung aus, bevor sie sich rasch versteckte.<br />

„Und weiter? Was ist noch passiert? Sag es mir einfach“, verlangte Thomas<br />

hartnäckig. Finn wand sich hin und her, bemüht, der Messerspitze auf seinem Bauch zu<br />

entkommen, die Thomas jetzt in kleinen Kreisen über seine Haut führte.<br />

Ich werde es dir nicht sagen, brüllte er innerlich. <strong>Das</strong> kann ich nicht sagen! <strong>Das</strong> ist<br />

viel zu peinlich! Finn keuchte abermals vor Schreck auf, als das Messer abrupt leicht<br />

seine Haut ritzte.<br />

„Was machst du?“, schrie er fassungslos in purer Todesangst auf. „Spinnst du? Lass<br />

das sein! Nein!“<br />

Sein Verstand schrie etwas von Panik und verschwand vorsorglich in einem sicheren<br />

Bunker. Seine innere Stimme blickte sich ratlos um und folgte ihm einfach.<br />

Finn zerrte wimmernd an seinen Fesseln. Just in dem Moment klingelte ein Handy.<br />

<strong>Das</strong> Geräusch klang ungewöhnlich laut und hallte von den Wänden wieder.<br />

Ich fasse es nicht, er hat wahrhaftig das Thema von Darth Vader als Klingelton,<br />

staunte Finns Verstand ungläubig, den Kopf vorsichtig aus dem Bunker streckend. Den<br />

Imperial March!<br />

Thomas ließ von Finn ab und wühlte offenbar nach dem Handy. Dieser hatte ihn<br />

genau vor Augen, wie er die Nummer auf dem Display musterte, ihn ansah und lächelte.<br />

„Du hast Glück, Finn. Ich gebe dir noch ein wenig Zeit zum Nachdenken, denn ich<br />

werde eben erstmal telefonieren müssen“, erklärte Thomas. Er trat an Finns Kopf heran<br />

und beugte sich zu seinem Ohr herunter.<br />

„Aber ich werde gleich wiederkommen und dann wirst du mir alles sagen, was ich<br />

wissen möchte, oder du wirst es wirklich bereuen.“ Thomas schob die Maske ein Stück<br />

hoch. Nur gerade so, dass er Finn einen Knebel anlegen konnte, dann zog er den<br />

138


schwarzen Stoff wieder hinab.<br />

„Nicht, dass Schreien dir hier etwas nützen würde“, bemerkte er kalt. „Ich möchte<br />

nur nicht bei meinem Telefonat gestört werden.“<br />

Finn vernahm das Geräusch seiner sich entfernenden Schritte und stieß probeweise<br />

mit der Zunge gegen den Knebel. Keine Chance, der saß unverrückbar fest.<br />

Anscheinend kannte sich Thomas nicht nur mit der Jagd nach Dämonen gut aus. Er<br />

wusste offenbar auch, wie man jemanden effektiv fesselt und knebelt.<br />

Vermutlich steht der sogar drauf, bemerkte die innere Stimme. Ich meine, jemand,<br />

der immer in schwarzem Leder herumläuft …<br />

Mehr wollte Finn gar nicht wissen, verbat sich weitere Bilder.<br />

Noch einmal versuchte er, die Hände aus den Seilen zu winden. Sie lagen so fest um<br />

seine Handgelenke, dass er sie nicht einen Millimeter bewegen konnte.<br />

Also auch das ein Filmmythos, seufzte sein Verstand resignierend. Hoffentlich<br />

stimmt wenigstens der, dass Superhelden aus ausweglosen Situationen spektakulär<br />

gerettet werden. Dem konnte Finn nur sehnsüchtig zustimmen. Bis dahin lag er hier<br />

hilflos herum.<br />

Brust.<br />

Kälte schlich sich erneut heran, kroch mit ihren klammen Fingern über seine blanke<br />

Wenn du in einer beschissen Situation landest, dann aber so richtig kopfüber, murrte<br />

seine innere Stimme.<br />

Nicht nur beschissen, sie ist zudem ausweglos, ergänzte seufzend der Verstand. Finn<br />

zweifelte keinen Augenblick daran, dass Thomas ihm Gewalt antun würde, um<br />

herauszufinden, was auch immer er wissen wollte. Freilich Finn hatte gute, sehr intime<br />

Gründe, ihm nichts von seinen dämonischen Erlebnissen zu erzählen.<br />

Sein Verstand führte sie dementsprechend in chronologischer Reihenfolge auf:<br />

Grund Nr. 1: Es ist schrecklich peinlich, treibt dir augenblicklich die Schamröte ins<br />

Gesicht und eigentlich verstehst du immer weniger, was dich dazu gebracht hat, dich<br />

überhaupt dem Dämon hinzugeben.<br />

Grund Nr. 2: Du bist nicht sicher, wie Thomas darauf reagieren wird. Wenn er alle<br />

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Dämonen hasst, wäre es gut möglich, dass er auch dich hassen wird, der sich dazu<br />

hergegeben hat, mit einem Dämon zu schlafen.<br />

Finn verzog missmutig das Gesicht, doch sein Verstand fuhr indes ungerührt fort:<br />

Grund Nr. 3: Mit wem du schläfst oder nicht, das geht - verdammt noch einmal -<br />

nur dich etwas an! Zeig mal ein bisschen mehr Rückgrat.<br />

Finn seufzte hörbar. Der hatte gut reden, Selbiges tat ihm mittlerweile verflucht weh<br />

und irgendwie hatte er wohl die Gelegenheit, den Superhelden zu spielen, verpasst.<br />

Nervös zuckte er zusammen, als er Thomas' Schritte vernahm und spannte seinen<br />

Körper abwehrbereit an. Den Schritten nach verhielt dieser direkt neben ihm. Finn<br />

lauschte angestrengt, konnte jedoch nicht einmal dessen Atem vernehmen. Zunehmende<br />

Spannung lag in der Luft, die der Jäger gekonnt zu steigern wusste, indem er weiterhin<br />

schwieg. So lange, bis Finn schon glaubte, vor Anspannung zu platzen.<br />

„Nun, Finn. Du hattest ja ein bisschen Zeit, dir deine Antwort zu überlegen, nicht<br />

wahr?“, durchbrach Thomas endlich die quälende Stille. Finn zuckte zusammen, als sich<br />

eine Hand dicht an seinem Schritt auf den Oberschenkel legte. „Ich denke mal, ein<br />

solcher Dämon hat dich auch da unten berührt, vermutlich sogar mehr als nur berührt.“<br />

Thomas lachte humorlos auf. „Was hat dein Körper ihm denn bieten können?“<br />

Wie zuvor strich der andere Mann regelrecht sanft über seine Brust und den Bauch,<br />

berührte dabei den winzigen Schnitt, den er ihm zugefügt hatte. Ein kühler Finger<br />

presste sich darauf und Finn japste erschrocken nach Luft. Was tat Thomas da? Es<br />

schmerzte nicht, die Geräusche ließen allerdings darauf schließen, dass er das Blut<br />

anschließend von seinem Finger kostete.<br />

Was ist das nur für ein perverser Mistkerl?, empörte sich sein Verstand.<br />

Ist er womöglich ein Vampir?, bemerkte seine innere Stimme verstört. Die trinken<br />

Blut und Thomas wäre vom Aussehen her der klassische Vampir. Dunkel, geheimnisvoll,<br />

grausam veranlagt.<br />

Quatsch, der Dämon hat gesagt, die wären ausgestorben, wandte der Verstand ein<br />

und hustete verlegen. Nicht, dass ich viel auf das Wort eines Dämons geben würde ...<br />

Thomas gab einen eigenartigen Laut von sich, eine Art Stöhnen, vielleicht auch ein<br />

wehleidiger Klagelaut. Seine Hände verschwanden abrupt von Finns Körper. Mit<br />

140


hektischen Schritten trat er an das Kopfende der Unterlage. Mit einem harten Ruck zog<br />

er die Maske von dessen Gesicht. Überrascht blinzelte Finn in das künstliche Licht einer<br />

Neonröhre. Es brauchte einen Moment, bis er seine bizarre Umgebung erkennen<br />

konnte. Er war in einer Art Höhle, die aus weißen Kristallen zu bestehen schien und der<br />

allgegenwärtige Geruch gab seinem Verstand den richtigen Hinweis, um was für Kristalle<br />

es sich handelte: Salz.<br />

Offenbar eine Salzhöhle oder vielmehr wohl ein alter Salzstollen irgendwo unter<br />

Lüneburg. Dicke, schwarze Holzbalken stützten die Decke, waren von kristallinen<br />

Salzgebilden überzogen, die ihnen ein pflanzliches, organisches Aussehen gaben. Er<br />

fühlte sich an Raureif erinnert, der sich an Blättern und Bäumen formte.<br />

<strong>Das</strong> Holz war fast vollständig davon bedeckt. Es wirkte wie eine außerirdische<br />

Pflanze, die das Holz erobert hatte und ihre Ranken bis zur Decke streckte. <strong>Das</strong> Salz<br />

glitzerte geheimnisvoll, funkelte in dem grellen Licht gleich Diamanten. In den Schatten<br />

wirkte es hingegen wie rauchiges Eis.<br />

Sein Blick wurde allerdings sofort von Thomas angezogen, der sich über ihn gebeugt<br />

hatte und ihn mit einem sehr eigentümlichen Ausdruck ansah. Finn blinzelte irritiert.<br />

Diesen Ausdruck hatte er schon einmal bei ihm bemerkt, als der Jäger ihn beim Treyben<br />

erblickt hatte. Ein irgendwie ungläubiger Ausdruck von liebevollem Erkennen, eine Spur<br />

Fassungslosigkeit und tiefempfundene Sehnsucht darin. Finn stockte der Atem, sein<br />

Herz schlug langsam und schwer, als er in diese dunklen, schmerzerfüllten Augen starrte,<br />

die ihn zu verschlingen drohten.<br />

Thomas sog zischend die Luft ein. Der Geschmack des Blutes kitzelte seinen<br />

Gaumen. Ein winziger Tropfen war es gewesen, der in seinem Körper und Geist einen<br />

Sturm von Gefühlen und tief verborgenen, lange verdrängten Erinnerungen auslöste.<br />

Dieser Geschmack … war vertraut.<br />

Instinktiv suchte er nach seinem Gesicht, riss Finn die Maske herunter und stockte.<br />

Sein Gesicht, seine braunen Augen. Wie oft hatte er in diese gesehen, war mit jeder<br />

Reaktion vertraut? Ihre Farbe, ihre Form, den Schwung der Wimpern, jede dieser<br />

kleinen Fältchen im Augenwinkel hatte er in sich aufgesogen. Er hatte diese Augen doch<br />

141


nie vergessen wollen!<br />

Hitze wallte in Thomas auf, sandte heiße Ströme durch seinen Körper, zuckte<br />

Blitzen gleich durch seine Nervenbahnen. Der Blutstropfen entzündete dieses<br />

altbekannte Feuer. Dies war sein Blut, seine Augen, sein Körper. Lange verschlossen<br />

fluteten Bilder in seinen Geist und ein Name formte sich, lag auf seinen Lippen mit dem<br />

süßen Geschmack des Blutes.<br />

Jack.<br />

Er erinnerte sich bruchstückhaft, suchte verzweifelt Sinn in die wild auf ihn<br />

einstürmenden Bilder zu bringen. Es war so lange her … Sehnsucht breitete sich in ihm<br />

aus, wilde Begierde, unersättlicher Hunger, ein Ziehen in den Lenden, ein Kribbeln im<br />

Bauch, das Gefühl eines flüchtigen Kusses auf den Lippen. Ein Lachen, ein Lächeln,<br />

Furcht in seinem Blick.<br />

Thomas verschlang das vertraute Gesicht mit den Augen. Es wirkte ein wenig fremd,<br />

andere Linien, als er es in Erinnerung hatte. Aber die Augen! <strong>Das</strong> waren seine Augen!<br />

Dieses dunkle Braun würde er immer wieder erkennen. Seine Augen und der Geschmack<br />

seines Blutes. Verwirrt betrachtete Thomas den schlanken Körper vor sich.<br />

Jack ... geliebter Jack.<br />

Heiß wallte die Sehnsucht in ihm hoch. So lange her, dass er ihn berührt, seinen<br />

herben Duft eingeatmet, seinen Leib an seinem gefühlt hatte. Starke Arme, die ihn<br />

hielten, ein Mund, der ihn verschlang, dessen wilde Küsse ihn zurückgetrieben, seine<br />

Lippen in ihrer Heftigkeit aufgerissen hatten. Blutgeschmack auf seinen Lippen.<br />

Thomas' Hände bewegten sich selbstständig, folgten einem inneren Zwang,<br />

gefangen in den verwirrenden Erinnerungen. Sanft strich er über die feste Haut an der<br />

Brust. Sie bebte, der Körper wand sich, keuchte unter seinen streichelnden<br />

Berührungen. Unruhig warf er sich hin und her, gab erstickte Laute von sich.<br />

Oh, mein Jack!<br />

Gedankenverloren, verirrt in den Erinnerungen, die so tief in ihm geschlummert<br />

hatten und nun machtvoll hervorbrachen, zeichnete Thomas die Konturen der Muskeln<br />

nach, umkreiste die dunklen Brustwarzen. Seine Finger umspielten sie, nahmen sie<br />

zwischen die Kuppen, zwirbelten sie. Die Grenze zur Realität verschwamm gänzlich.<br />

142


Jack war hier, lag vor ihm. Sein Jack. Sein Geliebter.<br />

Sein Geliebter, der ihn hatte töten wollen ...<br />

Glühender Schmerz durchdrang Thomas' Herz. <strong>Das</strong> Gefühl des Verlustes drohte ihn<br />

niederzustrecken, kam mit der gewaltigen Wucht einer Gerölllawine.<br />

Ein kalter Raum, Geräusche, die in der Größe verhallten. Schmerzen. Schmerz in<br />

seinem Herzen, Schmerz an seinem Hals.<br />

Warum nur? Warum nur hast du versucht mich zu töten?, flüsterte Thomas tonlos.<br />

Dies war Jacks Körper, seine Brust, die sich hektisch hob. Oft hatten sie<br />

beieinandergelegen, zärtlich, wild, leidenschaftlich. Die Süße verbotener Lust. Nie zuvor<br />

hatte er sich so wohl gefühlt, begehrt, geliebt. Gefühle, die neu, beängstigend,<br />

berauschend waren.<br />

War Jack nach all den Jahren zu ihm zurückgekehrt? War er es in diesem Körper, der<br />

dem seinen ähnelte? Konnte er ihm zurückgeben, was Thomas diese langen, einsamen<br />

Jahre schmerzlich vermisst hatte? Seine Hände wanderten wie fremdgesteuert tiefer und<br />

öffneten die Hose, strichen liebevoll über die vertraute Brust.<br />

Jack …<br />

Ein unterdrücktes Keuchen entrang sich Finn. Thomas' Hände hatten eindeutig<br />

Regionen erreicht, in denen sie nichts zu suchen hatten. Heftig warf er sich hin und her,<br />

um weiteren Berührungen zu entgehen. Die Augen des Jägers wirkten eigenartig leer,<br />

entrückt, sein Gesicht trug einen zärtlich liebevollen Ausdruck. Leise, kaum verständlich,<br />

flüsterte er einen Namen.<br />

„Jack ...“<br />

Finn bemühte sich redlich, ein entsetztes: „Nein!“ durch den Knebel zu pressen,<br />

alles was dabei heraus kam, war ein merkwürdiges Nuscheln.<br />

„Jack“, flüsterte Thomas abermals, deutlicher und sehnsüchtiger. Seine Hände<br />

strichen über Finns Bauch hinab zur Hose, zogen sie zusammen mit der Unterhose<br />

hinunter.<br />

Finn versuchte zu schreien. Kalte Luft streifte seinen Unterleib. Was zur Hölle hatte<br />

Thomas vor?<br />

143


Sein empörtes: „Hör verdammt nochmal auf damit!“ wurde gnadenlos von dem<br />

Knebel geschluckt. Der andere Mann schien seinen heftigen Widerstand nicht einmal zu<br />

bemerken.<br />

Thomas verharrte. Sein Geliebter wand sich heftig, stöhnte unter seinen<br />

Berührungen. So war es auch damals gewesen. Wann immer sie sich getroffen hatten.<br />

Jacks wundervoller Körper, der sich dicht an seinen gedrängt hatte. Ihre wilde<br />

Leidenschaft füreinander, die heiß glühte, sie zu verbrennen drohte. Er vermisste diese<br />

intimen Momente, die sie geteilt hatten, wenn die <strong>Welt</strong> ringsum unbedeutend wurde, es<br />

nur sie beide gegeben hatte. Seither war es nie dasselbe gewesen. Lust war nie wieder<br />

Leidenschaft gewesen. Niemand war wie Jack.<br />

Gedankenverloren streiften seine Hände an der Innenseite der Oberschenkel entlang.<br />

Liebevoll betrachtete er den Körper vor sich, die schlanken, festen Muskeln, die langen<br />

Beine, die Linie aus Haaren, die sich vom Bauchnabel zum Schritt zog, das Nest aus<br />

braunen Haaren, in dem Jacks weicher Penis ruhte. Er versank in eine andere Zeit, einen<br />

anderen Ort, viele Jahre zurück.<br />

Jack hatte es geliebt, wenn Thomas ihn so angesehen hatte. Oft hatten sie danach<br />

nebeneinandergelegen, atemlos, die Spuren ihrer wilden Lust auf und in sich, den<br />

salzigen Geschmack in ihren Mündern, den Geruch an ihrer Haut.<br />

Jacks Stöhnen klang in seinen Ohren, wenn er ihn streichelte, dass weiche Fleisch<br />

sich verhärtete, das Blut erregend und wild unter der dünnen Haut pulsierte.<br />

Ihr Beisammensein, ihre Leidenschaft, verboten und erregend, unmöglich und<br />

unerwünscht. Zögernd streckte Thomas seine Finger aus, berührte das schlaffe Glied<br />

vorsichtig.<br />

Finn kämpfte noch stärker gegen seine Fesseln an. Er bog seinen Körper durch,<br />

warf sich zur Seite, soweit es ihm die Fesseln ermöglichten. Was auch immer Thomas da<br />

gerade mit ihm vorhatte, er würde sich mit Händen und Füßen dagegen wehren. Der<br />

Gesichtsausdruck des anderen Mannes war sanft, trug glühende Leidenschaft in den<br />

Tiefen seiner dunklen Augen. Mit wem auch immer er Finn gerade verwechselte, für den<br />

empfand er alles andere als Hass. Unfreiwillig erregten Finn die gekonnten Berührungen<br />

144


an seinem Glied. Ganz klar, Thomas wusste, was er da tat.<br />

Was hat er nur vor? Für wen hält er dich?, piepste seine innere Stimme sorgenvoll.<br />

Wenn du nur diesen dämlichen Knebel loswerden könntest. Du musst ihm<br />

klarmachen, dass er sich täuscht, schlug der Verstand vor, dem selbst klar war, dass Finns<br />

Möglichkeiten ausgeschöpft waren.<br />

„Jack“, flüsterte Thomas erneut, beugte sich hinunter, bedeckte dessen Bauch mit<br />

Küssen und wanderte mit den Lippen tiefer. Hektisch hob sich die Bauchdecke, sein<br />

Geliebter atmete heftig, warf sich in seiner Erregung hin und her und gab erstickte<br />

Laute von sich.<br />

„Ich liebe dich so sehr, Jack“, raunte Thomas mit erstickter Stimme. „Ich werde dich<br />

immer lieben. Immer. Bis über den Tod hinaus.“ Bohrende Übelkeit erfüllte seine<br />

Eingeweide, rasende Wut, kalter Hass jagte durch seine Adern, geboren aus<br />

Verzweiflung und einem ihn zerreißenden Schmerz. Nach all den vielen Jahren war<br />

dieser nicht weniger geworden, nur verdrängt, nie vergessen. Eingeschlossen in seinem<br />

Innern, nährte er seinen unermüdlichen Hass, trieb ihn voran.<br />

<strong>Das</strong> Verlöschen der Liebe in diesen braunen Augen, der Hass, der ihn mehr verletzt<br />

hatte als jede Wunde, die sich in sein Fleisch gebrannt hatte. Die Verzweiflung, die<br />

Erkenntnis, dass es keinen Ausweg mehr gab. Thomas wünschte sich, diese Augen zu<br />

sehen, zurückzuholen, wie sie ihn angesehen hatten, bevor …<br />

Ruckartig richtete er sich auf und trat an Jack heran, nahm sein Gesicht zärtlich in<br />

seine Hände.<br />

Bitte schau mich so an wie damals, wenn du mich geküsst hast.<br />

Braune Augen. Groß und rund starrten ihn an, furchterfüllt. Nichts von dem, was er<br />

herbeisehnte. Jacks Augen. Und doch nicht dessen Augen. Thomas suchte verzweifelt in<br />

den fremden Augen nach dem vertrauten Ausdruck, dem feurigen Funkeln, welches er<br />

so gut kannte.<br />

„Jack?“ Thomas' Stimme war heiser, klang fragend. Langsam beugte er sich über ihn,<br />

zögerte, ihn zu küssen. Die braunen Augen weiteten sich ungläubig, während seine<br />

145


Lippen über den anderen verharrten. Thomas lächelte nachsichtig. Wie bei ihrem ersten<br />

Kuss ...<br />

Der … der küsst dich gleich!, erkannte Finns innere Stimme folgerichtig. Verdammt,<br />

irgendwie bist du mal wieder im falschen Film gelandet, oder jemand ändert dauernd das<br />

Drehbuch. Finn protestierte, drückte mit der Zunge vehement gegen den Knebel:<br />

Ich bin definitiv nicht Jack! Hör auf damit und lass mich endlich gehen!<br />

Was war nur mit Thomas los? Eben noch bedrohte er ihn, wollte ihn verletzten, jetzt<br />

streichelte er ihn mehr als intim und küsste ihn. Hier lag doch definitiv eine<br />

Verwechslung vor. Nur ob er sich darüber freuen oder ärgern sollte, diese Frage konnten<br />

weder sein Verstand noch seine innere Stimme zufriedenstellend beantworten.<br />

„Jack, ich habe dich immer geliebt. Ich habe dich nie verraten.“ Thomas Stimme war<br />

nur ein heiseres Flüstern und er verbarg urplötzlich seinen Kopf an Finns Hals. Seine<br />

Nase presste sich in die Halsbeuge, seine Arme schlangen sich um dessen Körper. Sein<br />

Gesicht drückte sich fest in die Haut.<br />

Finn spürte raue Haut. Der andere Mann begann zu beben. Es fühlte sich feucht an,<br />

dort, wo Thomas sein Gesicht an ihn presste. Eindeutig: er weinte.<br />

Fassungslos starrte Finn auf ihn. Ein Thomas, der weinte, war beinahe<br />

erschreckender als einer, der mit seinem Messer wild herumfuchtelte.<br />

Was musste geschehen sein, dass ein solcher Mann weinte? An wen erinnerte er ihn,<br />

wie konnte Thomas ihn mit jemand anderem verwechseln, dass er sich so vergaß?<br />

Abrupt hob Thomas den Kopf, legte seine Hände um Jacks Gesicht, der<br />

überraschend still dalag und zog ihn zu sich heran. Er wollte ihn endlich wieder küssen,<br />

doch seine Lippen berührten Stoff. Ohne darüber nachzudenken, von seinem<br />

überwältigenden Wunsch getrieben, diese Lippen endlich zu kosten, löste er den Knebel<br />

und bedeckte Jacks Mund mit einem weichen, innigen Kuss. Er hatte ihn so vermisst! All<br />

die Jahre war er so einsam gewesen.<br />

Finn war zunächst viel zu überrascht, um abwehrend zu reagieren und erwiderte im<br />

ersten Moment reflexartig den erstaunlich sanften, innigen Kuss. Wütend und zeternd<br />

146


schimpfte ihn sein Verstand aus und er verschloss hastig seine Lippen, presste sie hart<br />

aufeinander. Thomas ließ überrascht von ihm ab und trat verblüfft zurück.<br />

„Hör auf“, keuchte Finn erschrocken. „Ich bin nicht der, für den du mich hältst!“<br />

Irritiert starrte Thomas seinen Geliebten an. Jack sah ihn empört und unsicher mit<br />

seinen großen, dunklen und etwas fremd wirkenden Augen an. Thomas blinzelte<br />

verwirrt.<br />

Jack … und doch nicht Jack. Es war, als ob Thomas aus einem Traum erwachen<br />

würde. <strong>Das</strong> vertraute Gesicht nahm andere Züge an, die geliebten Augen waren anders,<br />

das Braun ein anderer Farbton, Jacks verblüffend ähnlich und doch ganz anders.<br />

Der gefesselte Mann hatte eine große Narbe an der Schulter. Ein Dämonenmal.<br />

Perplex huschte sein Blick über Finn. Jacks Augen, sein Blut, der gleiche Geschmack,<br />

nahezu der gleiche Körper, allerdings war dies nicht Jack. Wie auch? Er war tot.<br />

Entsetzt und von Trauer überwältigt, schlug Thomas seine Hände vors Gesicht.<br />

Tränen hatten feuchte Spuren in seinem Gesicht hinterlassen. Der Schmerz erfüllte ihn,<br />

ließ ihn schluchzend auf die Knie sinken.<br />

Er erinnerte sich!<br />

Tränen. Er hatte nie zuvor geweint. Nur damals, zum ersten Mal überhaupt. Um Jack<br />

hatte er geweint. Schlagartig war alles präsent: Der brennende Schmerz an seinem<br />

Hals ... er bekam kaum noch Luft. Die alte Kirche ... sie waren verfolgt worden. Eine<br />

Falle und Jack … er hatte geglaubt, er hätte ihn verraten.<br />

„Jack, was tust du?“, schrie Thomas panisch auf. Der Rest seiner Worte ging in<br />

einem Gurgeln unter, als sich ein Draht von hinten um seinen Hals schlang und<br />

schmerzhaft brennend in sein Fleisch schnitt. Er würgte, bekam keine Luft mehr. Heftig<br />

kämpfte er gegen den festen Griff, mit dem ihn Jack von hinten festhielt. Er war stark,<br />

stärker als Jack, doch es nutzte ihm nichts, denn dieser Draht war dessen tödliche Waffe.<br />

Er würde sterben, wie alle andern vor ihm, getötet von Jacks Hand, von der Hand seines<br />

Geliebten.<br />

„Ich hätte es wissen müssen. Ich hätte es ahnen müssen! Wie konnte ich nur so blind<br />

147


sein? Wie konnte ich dich nicht erkennen?“, erklang Jacks wütende Stimme hinter ihm,<br />

der Draht zog sich stärker zusammen. Feuer verätzte Thomas' Kehle, loderte in seinem<br />

Geist. Er kämpfte wie rasend, wollte nicht sterben, setzte sich knurrend zur Wehr. Jack<br />

war kein erfahrener Jäger, kein sehr kräftiger Mensch. Ohne seine Waffe wäre es ein<br />

Leichtes gewesen, ihn zu überwältigen. Der verfluchte Draht gab ihm Macht über den<br />

Dämon.<br />

„Ein Dämon! Und ich habe dir vertraut!“ Keuchend hielt Jack ihn fest, die Wut über<br />

den Verrat gab ihm zusätzliche Kraft.<br />

Würgend krümmte sich Thomas. Der scharfe Draht drang unbarmherzig durch die<br />

Haut in seine Luftröhre und Schlagader ein. Hellrotes Blut quoll hervor, gleißender<br />

Schmerz drohte ihm das Bewusstsein zu nehmen. Schwärze kroch an ihn heran.<br />

„Du hast mich betrogen, dir mein Vertrauen erschlichen. Und ich habe wirklich<br />

gedacht ...“ Jacks Stimme verhallte. Der Druck nahm ab, einen winzigen Augenblick nur,<br />

zu kurz, um es auszunutzen.<br />

„Du wirst sterben!“, schwor Jack entschlossener, spannte den Draht stärker. Thomas<br />

wurde schwarz vor Augen, seine Hände ruderten hilflos in der Luft und seine Knie<br />

gaben unter ihm nach. Er sackte zusammen.<br />

„Alle Dämonen werden sterben. Dies ist meine Bestimmung. Ich bin ein Mirjahn,<br />

ein wahrer Jäger, Thomas!“, zischte Jack, ließ ihn zu Boden gleiten und sank ebenfalls in<br />

die Knie. Der Draht lockerte sich. Thomas wollte schreien, heulen, knurren, seine Kehle<br />

gab jedoch nur gurgelnde Laute frei.<br />

„Es ist meine Bestimmung. Ich werde dich töten müssen ... mein Geliebter.“<br />

Verzweiflung, tiefe Enttäuschung ließ Jacks Stimme beben, seine Hände zitterten, die<br />

Kraft seines Griffes ließ nach. Thomas griff nach ihm, schaffte es, sich zu drehen, den<br />

jungen Mann anzusehen, der ihn töten wollte.<br />

So jung, so wundervoll. Tränen rannen aus seinen braunen Augen und er ließ den<br />

Draht abrupt von Thomas' Hals gleiten.<br />

„Du bist wahrhaftig ein Dämon“, flüsterte er mit tränenerstickter Stimme. „Ich muss<br />

dich doch töten.“ Er tastete nach dem Messer an seinem Gürtel. Ein besprochenes<br />

Messer, wie Thomas sehr wohl wusste. Ebenso tödlich wie Jacks Draht.<br />

148


Blut tropfte aus seinem Hals, tränkte sein Hemd, machte den Stoff schwer und<br />

feucht. Für jeden Menschen wäre die Wunde bereits tödlich, aber er war kein Mensch.<br />

Und er wollte nicht sterben.<br />

Knurrend versuchte er auf die Füße zu kommen und sprang nach vorne, versuchte,<br />

dem jungen Mann das Messer zu entreißen. Ineinander verschlungen rollten sie über den<br />

Boden. Jack stieß zu, traf seinen Arm und er keuchte auf, als das Metall sich ätzender<br />

Säure gleich in sein Fleisch fraß. Jack entzog sich seinem Griff, kam auf die Füße und<br />

griff erneut an, das Gesicht entschlossen verzerrt. Thomas wich aus, brachte sich mit<br />

einem großen Satz in Sicherheit und wandte sich um. Der Schmerz machte ihn fast<br />

wahnsinnig, durchdrang seinen schwachen Körper in heißen Wellen. Sein<br />

Überlebensinstinkt übernahm die Kontrolle.<br />

Er wuchs, fühlte seine Klauen wachsen, die Kleidung fiel von ihm ab und laut<br />

knurrend starrte er Jack mit seinen orangeglühenden Augen an. Sorgfältig hatte er die<br />

ganze Zeit zuvor seine Dämonengestalt vor ihm verborgen, alles unterdrückt, was ihn zu<br />

einem Dämon machte. Jack hatte stets nur den Menschen gesehen, ihn nicht erkannt,<br />

sonst hätte er ihn nie so nahe an sich herankommen lassen.<br />

„Also dies ist deine wahre Gestalt.“ Ein heiseres Flüstern. Aufgerichtet stand Jack in<br />

der alten Kirche. Seine langen, hellbraunen Haare hatten sich aus dem Zopf gelöst, sein<br />

Hemd war zerrissen und blutverschmiert von Thomas' Blut. Stumm musterte er den<br />

Dämon.<br />

Geifer troff diesem aus dem leicht geöffneten Maul, vermischte sich mit den<br />

dunklen Tropfen seines Blutes. Die Wunden waren zwar auch in dieser Gestalt<br />

gefährlich, der Dämon jedoch war stärker als der Mensch,<br />

„Wieso habe ich dich nicht erkannt?“, flüsterte Jack verzweifelt. „Wieso?“ Er wartete<br />

keine Antwort ab, sprang vor und stieß nach Thomas. <strong>Das</strong> Messer ritzte dessen Haut,<br />

ließ ihn aufbrüllen und nach Jack greifen. Seine rechte Klaue schloss sich fest um dessen<br />

Handgelenk, entwand ihm die Waffe. Klirrend fiel das Messer zu Boden.<br />

Keuchend rangen sie miteinander, kein leidenschaftliches Spiel, wie sie es so oft<br />

gespielt hatten, kein spielerisches Kräftemessen, kein Kampf der Dominanz.<br />

Dieses Mal war es ein tödlicher Kampf.<br />

149


Jack ließ sich fallen, rollte unter dem Dämon hervor und sprang hoch. Fest packte er<br />

ihn von hinten und schlang ihm in einer schnellen Bewegung den Draht um den Hals.<br />

Thomas krallte sich verzweifelt in das dünne Metall, welches in die harte Haut seiner<br />

Klauen einschnitt. Ruckartig zog Jack an, wandte all seine Kraft auf, um Thomas' Kehle<br />

endgültig zu durchtrennen.<br />

Zischend spannte dieser seinen Körper an. Seine gewaltigen Muskeln sprengten den<br />

tödlichen Griff des schwächeren Menschen und schleuderte diesen von sich. Krachend<br />

kam Jack zwischen den Holzbänken auf und rappelte sich hastig hoch.<br />

Thomas' Klauen zerrten an dem Draht, der sich seitlich tief in seinen Hals gegraben<br />

hatte. Wimmernd fiel er vornüber und hielt sich die schmerzende Kehle. Eine tiefe,<br />

klaffende Wunde zog sich um seinen Hals. <strong>Das</strong> Blut floss in einem breiten Strom heraus.<br />

Eine schwere Wunde, vielleicht sogar tödlich, denn er würde nicht in Minuten<br />

regenerieren wie bei anderen Verletzungen.<br />

Thomas grunzte. Mühsam drehte er sich zu Jack um, der nur wenige Meter hinter<br />

ihm auf dem Boden hockte und ihn voll Furcht und Trauer ansah.<br />

<strong>Das</strong> Messer und der Draht, seine tödlichste Waffe, lagen neben dem Dämon<br />

außerhalb seiner Reichweite.<br />

Dieser war geschwächt, so schwer verletzt wie nie zuvor, dennoch begann er, auf<br />

Jack zuzukriechen, getrieben von dem unerträglich intensiven Wunsch, ihn zu berühren,<br />

sein Gesicht zu umfassen, ihn zu küssen. Zu erklären.<br />

„Warum ...?“, entrang es sich krächzend seiner verletzten Kehle. „Ich … bin nicht …<br />

dein Feind.“ Seine Stimmbänder versagten ihm stellenweise den Dienst und er spuckte<br />

Blut. Diese Wunden brannten höllisch. Mirjahnwunden, die einzigen, die einen Dämon<br />

töten konnten. Auch ihn.<br />

Jack starrte ihn an, Furcht spiegelte sich in seinen Augen. Und Enttäuschung.<br />

„Sie haben dich beauftragt, nicht wahr?“, flüsterte er, seine Lippen bebten. „Du<br />

solltest mir nahe kommen, dir mein Vertrauen erschleichen, mich verführen und töten.<br />

<strong>Das</strong> war euer Plan, nicht wahr?“<br />

„Nein!“ Thomas heulte qualvoll auf. Die Wahrheit schmerzte in seinem<br />

menschlichen Teil, der so stark in ihm war, viel stärker, viel ausgeprägter als der Dämon.<br />

150


Seine menschliche Seite liebte Jack, begehrte ihn mehr als alles andere. Er war zu<br />

menschlich; er wusste es, sonst hätte er Jack nie nahe kommen können.<br />

Die Anderen hatten es ebenfalls genau gewusst.<br />

„Dies hier war eine Falle. Du solltest mich herlocken und töten“, vermutete Jack<br />

folgerichtig. „Ich habe dir vertraut … dich ...“, er spuckte das Wort aus. „... geliebt.“<br />

„Ich bin nicht nur Dämon“, krächzte Thomas. „Ich bin nicht wie sie. Ich … liebe<br />

dich ebenfalls.“<br />

„Du bist ein verfluchter Dämon!“ Jack schrie ihn an. „Du weißt nicht einmal, was<br />

Gefühle sind. Alles, was ihr wollt, ist uns töten! Wie konnte ich dir nur vertrauen?“<br />

Thomas brachte die Worte stockend und verzweifelt aus seiner zerstörten Kehle<br />

hervor: „Ich habe dich nicht verraten. Ich habe sie auf eine falsche Fährte gelockt, ich<br />

weiß nicht, wieso sie uns gefunden haben. Bitte Jack, glaub mir, ich habe alles getan, um<br />

sie von dir abzulenken.“ Umsonst. Er hatte es immer gewusst. Niemand entkam ihnen,<br />

niemand stellte sich ihnen entgegen. Es war nur eine Frage der Zeit, bis sie ihre Spur<br />

fanden, bis sie hier waren.<br />

„Ich kann dir nicht glauben“, flüsterte Jack, die Stimme zitterte, bebte wie sein<br />

schlanker Körper. Er war so jung, unerfahren und verletzlich. Thomas wollte zu ihm, die<br />

Wärme seiner Haut spüren, ihn an sich drücken und vor allem beschützen.<br />

Jack starrte er auf den verletzten Dämon, der langsam auf ihn zu kroch, wich Stück<br />

für Stück vor ihm zurück.<br />

„Ich kann niemandem mehr glauben, niemandem vertrauen.“ Seine Verzweiflung<br />

presste Thomas' Herz zu einem festen Ball zusammen. Er wollte schreien, brachte<br />

hingegen nur einen gurgelnden Laut hervor. Es wurde immer mühsamer, zu sprechen.<br />

Blut benetzte den Boden unter ihm, drang in seine Luftröhre und er hustete qualvoll.<br />

Draußen erklang wie zur Antwort ein lautes Heulen. In menschlichen Ohren klang<br />

es vielleicht wie ein streunender Hund. Sie beide wussten es hingegen besser.<br />

Jacks Augen weiteten sich und er schluckte hart.<br />

„Sie kommen, sie haben uns gefunden“, zischte Thomas, versuchte verzweifelt, auf<br />

die Beine zu kommen. Es gelang ihm nicht. Der Blutverlust hatte ihn zu sehr<br />

geschwächt. Alleine konnte Jack diesen Kampf nicht kämpfen, nicht gewinnen.<br />

151


Wimmernd kroch Thomas voran. Selbst der Dämon hatte zu wenig Kraft. Vielleicht<br />

würde er wirklich sterben, getötet von der Hand, die er halten wollte.<br />

Jack rührte sich nicht, starrte den Dämon weiterhin an. Tränen liefen über sein<br />

Gesicht. Thomas keuchte, fiel schwer vornüber, seine Sinne drohten zu schwinden.<br />

Nein! Er musste zu Jack. Gequält stöhnte er auf und stemmte sich auf die<br />

Unterarme. Seine Augen wandelten sich und er setzte erneut zum Sprechen an.<br />

Geräusche erklangen, ein leises Schaben, ein Kratzen an der großen Holztür.<br />

Thomas' Kopf fuhr herum.<br />

Die Anderen! Er spürte sie kommen, fühlte ihre Präsenz, denn er war einer von<br />

ihnen. Dort draußen sammelten sie sich. Dutzende von ihnen. Dumpfe Schläge gegen<br />

das Holz, das Geräusch von scharfen Krallen. Sie versuchten, die Tür einzuschlagen.<br />

Gleich würden sie hier sein!<br />

„Flieh!“, würgte er mühsam röchelnd hervor. Der brennende Schmerz, die<br />

zunehmende Furcht nahmen ihm den Atem, raubten ihm den Verstand. Jack war in<br />

allerhöchster Gefahr und er konnte ihm nicht helfen. „Flieh, Jack! Sie ... sie ... töten ...<br />

dich! Flieh, solange du noch kannst.“ Obwohl das Metall seine Klaue verätzte, griff er<br />

nach dem dünnen Draht, schleuderte ihn in einer schwachen Bewegung zu dem jungen<br />

Mann. Seine Augen suchten hektisch den Boden ab, fanden das Messer und er robbte<br />

darauf zu, verdrängt seine Schwäche, getrieben von dem panischen Wissen, was gleich<br />

geschehen würde.<br />

Die Schläge wurden lauter, kräftiger. Ein unheimliches Zischen und Raunen drang<br />

zu ihnen herein.<br />

Thomas' Hand schloss sich um das Messer. Seine menschliche Hand. Er spürte ein<br />

harmloses, feines Brennen und stieß es in Jacks Richtung.<br />

Dessen große, wundervolle Augen bohrten sich in seine. Sekundenlang sah er ihn<br />

nur an, widersprüchliche Empfindungen in seinem jugendlichen Gesicht. Lange, viel zu<br />

lange.<br />

Die Tür erzitterte unter den gewaltigen Schlägen, nicht mehr lange und sie würde<br />

zersplittern. Dem Zischen gesellte sich Knurren und Fauchen hinzu. Sie hatten keine<br />

Zeit mehr.<br />

152


Jack warf einen letzten Blick auf ihn. Seine Lippen formten Worte, während er die<br />

Finger um das Messer schloss. Weiß traten seine Knöchel hervor. Der Draht baumelte in<br />

seiner anderen Hand.<br />

„Flieh“, röchelte Thomas erneut mit letzter Kraft. „Geliebter, flieh! Verschwinde<br />

von hier!“ Jack öffnete den Mund, seine Lippen zitterten. Die Tür brach splitternd auf,<br />

triumphierendes Heulen hallte durch den großen Raum. Endlich, endlich drehte Jack<br />

sich um und rannte los. Stöhnend sank Thomas zurück. Zu spät, viel zu spät. Sie waren<br />

da, viel zu viele von ihnen.<br />

Wimmernd fiel er zu Boden. Schmerz und Verzweiflung drohten ihn zu<br />

überwältigen. Er war unfähig sich zu rühren, das Entsetzen umschloss ihn mit eisernen<br />

Krallen.<br />

Verschont ihn, flehte er in seinem Kopf, bitte verschont ihn. Tut es nicht, aber er<br />

vermochte nicht ein einziges Wort herauszubringen. Er wollte sich ihnen entgegen<br />

werfen, seine Krallen, seine Zähne in sie schlagen, zerreißen, töten, doch schlagartig<br />

verließ ihn jede Kraft und er fiel vornüber auf den harten Steinfußboden.<br />

Raue, zischende, ganz und gar unmenschliche Stimmen drangen durch den Nebel<br />

aus schwarzen Schlieren und Schmerzwellen: „Da! Da rennt er!“ Aus vielen Kehlen<br />

erklang drohendes Knurren. Sie hatten ihre Beute gewittert. Thomas vernahm das<br />

Geräusch von hastigen Schritten auf dem Steinboden. Jack rannte, rannte um sein<br />

Leben. Ein weiteres knurrendes Brüllen erklang, hallte grausam von den Wänden der<br />

Kirche wieder.<br />

„Du wirst sterben, Mirjahn, und mit dir dein ganzes verfluchtes Geschlecht!“<br />

Zischend fügte derselbe Dämon hinzu: „Holt ihn euch!“ Krallen kratzten über den<br />

steinernen Boden; die Jagd hatte begonnen.<br />

an.<br />

Röchelnd versuchte Thomas den Kopf zu heben.<br />

„Was ist mit dem da?“ Jemand trat an ihn heran, stieß ihn mit einem schuppigen Fuß<br />

„Lasst ihn einfach krepieren, der hat seinen Zweck erfüllt!“, antwortete eine Stimme,<br />

die an das Geräusch von aneinander reibenden Eisblöcken erinnerte. Ein knirschendes<br />

Lachen erklang. Thomas gewann den Eindruck von brauner, rauer Haut und orangenen<br />

153


Augen. „Der Mirjahn hat ihn erledigt. Er ist ohnehin kein echter Dämon. Zu viel<br />

Mensch; viel zu menschlich und furchtbar schwach. Er ist nicht mehr nützlich!“<br />

„Soll ich ihn dann nicht töten?“, fragte eine schnarrende Stimme, aber Thomas<br />

konnte die Augen nicht mehr öffnen, um den Dämon zu erkennen.<br />

„Nein. Er ist irgendwie ja einer von uns. Lass ihn, der stirbt ohnehin. Lasst uns jetzt<br />

den letzten Mirjahn jagen“, knirschte erneut die andere Stimme voller Genugtuung,<br />

sandte eisige Schauer über Thomas menschliches Rückgrat. „Ich will sein verfluchtes<br />

Blut trinken.“<br />

Sie entfernten sich. Ihr Heulen erklang, dumpfer als zuvor. Sie jagten.<br />

So viele von ihnen, so viele! Verzweifelt ballte Thomas die Fäuste. Er wusste, was<br />

geschah, hatte es selbst zu oft erlebt. Er vernahm Geräusche eines Kampfes, konnte sich<br />

jedoch nicht mehr bewegen, auch wenn die Furcht sein Herz schmerzhaft<br />

zusammenpresste. Mühsam öffnete er die Augen einen winzigen Spalt, sah nicht mehr,<br />

als den Fußboden. Er war hilflos, konnte nur hier liegen und auf die Geräusche<br />

lauschen.<br />

Seine Sinne waren schärfer, als die eines Menschen. Er vernahm das Geräusch<br />

lederner Schwingen, das Kratzen der Krallen auf dem Steinboden, schrille,<br />

unmenschliche Schreie, wildes Knurren und Fauchen, hörte Knochen brechen. Jack<br />

kämpfte, wehrte sich, tötete, und Thomas hoffte inbrünstig trotz seiner zunehmenden<br />

Verzweiflung und wider jede Vernunft, dass es ihm gelingen würde. Vielleicht ...<br />

Ein gellender menschlicher Schrei erklang, tobte durch seine Ohren, brannte sich<br />

unwiederbringlich in seinen Kopf ein. Gurgelnd brach er ab.<br />

Thomas schloss die Augen, presste sie fest aufeinander. Er konnte nicht verhindern,<br />

dass seine feinen Sinne dennoch mitbekamen, was geschah. Er vernahm die vertrauten<br />

Geräusche des Tötens, roch das Blut, spürte den Pulsschlag verebben. Keine Ohnmacht<br />

hatte Gnade mit ihm. Hilflos war er in seinem Schmerz gefangen.<br />

Noch lange, nachdem es still geworden war, die Anderen endlich verschwunden<br />

waren, lag er auf dem harten, kalten Boden. Niemand hatte sich um ihn gekümmert. Er<br />

war jetzt unwichtig, war nie ein wahrer Dämon gewesen. Viel zu menschlich. Mit<br />

Verachtung hatten sie ihn gestraft. Er war nur Mittel zum Zweck gewesen und sie hatten<br />

154


ihr Ziel erreicht: den letzten der Mirjahns zu töten.<br />

Stunden später kroch Thomas langsam vorwärts. Sein Körper heilte. Es würde Zeit<br />

brauchen, viel Zeit, aber er würde weiter leben. Alleine. Quälend langsam schleppte er<br />

sich über den Boden vorwärts, hin zu dem Raum. Er wusste, was er sehen würde,<br />

dennoch brauchte er diese Gewissheit. Er musste es wissen, auch wenn sein Herz<br />

schmerzhaft hart schlug und er kaum atmen konnte. Weniger wegen der noch immer<br />

brennenden Wunde an seinem Hals, vielmehr in der Erwartung, was er sehen würde.<br />

Er roch das süße Menschenblut, so ein vertrauter Duft. Die Luft war erfüllt davon.<br />

Mühsam zog er sich am Türrahmen hoch und taumelte in den Raum hinein, brach<br />

immer wieder in die Knie. Blut tropfte unaufhörlich aus der klaffenden Halswunde,<br />

wurde immer weniger und er ignorierte es. Mirjahnwunden heilten nicht vollständig, er<br />

würde diese Narbe immer tragen.<br />

Sein Blick wanderte hektisch durch den kleinen Raum. Jack hatte sich heftig gewehrt.<br />

Mehrere tote Dämonen lagen direkt hinter der Tür. Mindestens sechs von ihnen hatte er<br />

mit sich genommen.<br />

Thomas schnupperte mit bebenden Nasenflügeln. Seine Kehle war eng, sein Herz<br />

schlug unendlich mühsam und ihm war entsetzlich kalt.<br />

Blut. Alles, was er sah und roch, war Blut. Sie hatten nichts weiter von ihm übrig<br />

gelassen. Sie hatten ihn zerrissen, zerfetzt, sein Fleisch verschlungen, seine Knochen<br />

gebrochen, zersplittert. Nur sein Blut war noch da, bildete große Lachen auf dem<br />

Boden.<br />

Thomas sank davor auf die Knie, unfähig, dem rasenden, an- und abschwellenden<br />

Schmerz in ihm Ausdruck zu geben. Er streckte die Hand aus, tauchte die Finger in das<br />

dunkle Blut und führte es zu seinem Maul.<br />

Sein Blut. So süß und herb. Er hatte es vorher gekostet. In ihrem Spiel, eine blutig<br />

gebissene Lippe, ein leidenschaftlicher Biss in den Nacken. Jack ...<br />

Langsam stieg der Schrei in ihm auf, bahnte sich seinen Weg an dem schmerzenden<br />

Klumpen in seinem Hals, drängte an der blutenden Wunde vorbei.<br />

„Jack!“ Sein Schrei hallte gellend von den steinernen Wänden wieder, schien seinen<br />

Schmerz zu verstärken und ihn gleichzeitig zu verhöhnen. Tränen rannen über sein<br />

155


Gesicht, trübten seinen Blick. Hemmungslos weinte er.<br />

Wahre Tränen, wahre Trauer.<br />

Der Halbdämon weinte menschliche Tränen um seinen Geliebten.<br />

Getötet. Sie hatten nichts von ihm zurückgelassen.<br />

Vernichtet, vertilgt, ausgelöscht. Er war tot.<br />

Nie wieder würde er ihn lachen hören, seine warme Haut riechen, seine Lippen<br />

kosten. Ihre Körper würden sich niemals mehr in jenem seltsamen Rhythmus vereinen,<br />

der sie eins hatte werden lassen. Tot! Unwiederbringlich.<br />

Thomas' Gedanken kreisten nur noch darum. Der Schmerz wütete tief in ihm,<br />

machte ihn wahnsinnig vor rasendem Verlangen nach Rache. Thomas heulte auf und<br />

verwandelte den endlosen Schmerz in sich in abgrundtiefen Hass. Sie hatten ihn getötet<br />

und dafür würden sie nun bezahlen. Jeder einzelne Dämon würde dafür sterben. Sie<br />

hatten ihn benutzt, um Jack zu ködern, um ihn zu finden. Für sie war er nur ein<br />

Werkzeug gewesen.<br />

Er ballte die Faust. Er würde sie jagen, er würde sie finden. Jeden einzelnen von<br />

ihnen würde er aufspüren, jagen und vernichten. So, wie sie es getan hatten. Sie würden<br />

bezahlen. Für Jack.<br />

Süß und heiß brannte der Hass in ihm, gab ihm Nahrung. Genug Nahrung, um sich<br />

zu erholen, um stark zu werden. Genug Nahrung für die vielen, vielen Jahre der Jagd, die<br />

folgen würden.<br />

Thomas schloss die Augen. Für dich, mein geliebter Jack.<br />

„Binde mich endlich los. Was soll das Ganze? Ich habe doch nichts getan!“ Finns<br />

ärgerliche Stimme brachte ihn abrupt zurück in die Gegenwart, fort von den<br />

Erinnerungen, die er so lange verdrängt hatte. Geistesabwesend glitt sein Blick über den<br />

jungen Mann. Es war nicht Jack. Sie waren sich in gewissen Punkten ähnlich. Aber Finn<br />

war nicht Jack.<br />

Natürlich nicht.<br />

Jack war tot, vernichtet und kehrte nicht zurück. Dieser Mensch hingegen war der<br />

Schlüssel zu einem weiteren von ihnen. Er würde ihn benutzen, um an ihn<br />

156


heranzukommen. Ein weiterer, der für Jacks Tod bezahlen würde.<br />

Finn hatte misstrauisch beobachtet, wie Thomas Gesicht sich schmerzhaft verzerrte<br />

und er minutenlang in sich gekehrt still dastand. Blicklos hatte er vor sich hingestarrt,<br />

Tränen waren beständig über seine Wangen getropft. Mit einem Mal durchlief den<br />

Schwarzen Jäger ein Ruck und er wandte sich Finn zu.<br />

Sein Gesicht war abermals eine starre Maske, als er ihm wortlos den Knebel anlegte<br />

und ihm die schwarze Maske überzog. Stumm zog er seine Hose hoch.<br />

Finn vernahm seine schleppenden Schritte, als er sich entfernte, ahnte, dass das Licht<br />

gelöscht wurde und er ihn einfach dort im Dunklen liegen ließ.<br />

Alleine. Im Ungewissen, was mit ihm geschehen würde.<br />

157


Schmerz, Freude, Einsamkeit, Wut.<br />

Verdammte Seele<br />

Was geschieht, wenn man eine Verbindung zur Seele eines Vampirs bekommt, der<br />

eigentlich gar keine Seele mehr haben dürfte?<br />

Gabriel erhält Einblicke in die dämonische Vergangenheit Aidans und gerät in einen<br />

Strudel der Sucht. Er will mehr und immer mehr von diesen Bildern, diesen<br />

Empfindungen, als er in sich selbst wohl das stärkste aller Gefühle wachsen spürt: Liebe.<br />

Schnell geraten Gabriel und seine Freunde zwischen die Fronten eines uralten Krieges,<br />

bei dem nicht nur Aidans Seele auf dem Spiel steht, sondern der Fortbestand der<br />

gesamten Menschheit.<br />

Leseprobe<br />

von Patricia Jankowski<br />

Verdammte Seele<br />

Gay Dark Mystic <strong>Fantasy</strong>roman<br />

Schmerz, Freude, Einsamkeit, Wut.<br />

Ein fantastischer Roman , der die Leser begeistern wird!<br />

ISBN: 978-3-942539-22-7 Preis : €14,95<br />

Taschenbuchformat: 17,00 x 22,00 cm<br />

Weitere Informationen unter:<br />

http://www.fwz-verlag.de<br />

oder http://www.fwz-edition.de<br />

158


1. Kapitel<br />

„So ein verdammter Mist!“ Birthe schlug wütend auf das Lenkrad, obwohl ihr das<br />

sicherlich auch nicht weiterhelfen würde.<br />

Nicht genug, daß es wie aus Kübeln goß, nein, ihr verdammter Wagen mußte auch noch<br />

eine Panne haben, ausgerechnet, wenn sie zu einem wichtigen Abendessen mußte!<br />

„<strong>Das</strong> darf doch alles nicht wahr sein!“, fluchte sie und betrachtete mißmutig die Regen-<br />

güsse, die an ihrer Frontscheibe herunter flossen. Sie überlegte ernsthaft, ob es Sinn<br />

hatte, überhaupt auszusteigen und nach dem Motor zu sehen. Denn wenn sie das tat,<br />

würde sie bis auf die Knochen naß werden, dann konnte sie das Abendessen sowieso in<br />

den Wind schießen.<br />

Andererseits ... sie konnte auch schlecht hier sitzen bleiben und warten, bis ihr Auto sich<br />

von alleine bequemte, wieder anzuspringen!<br />

Sie haderte noch mit ihrem Schicksal, als es neben ihr klopfte. Birthe zuckte erschrocken<br />

zusammen und konnte gerade so ein Kreischen unterdrücken. Sie konnte durch die be-<br />

schlagene Scheibe nicht viel erkennen, aber ein Schemen zeichnete sich gegen die<br />

Dunkelheit ab.<br />

„Kann ich Ihnen helfen?“, drang eine freundliche Stimme gedämpft zu ihr. „Haben Sie<br />

eine Panne?“<br />

„Die verdammte Kiste ist verreckt!“, gab Birthe laut zurück und kurbelte das Fenster ein<br />

Stückchen herunter. Sofort drang kalter Sprühregen zu ihr herein.<br />

„Es tut mir leid, ich wollte Sie nicht erschrecken“, entschuldigte sich der Mann, der<br />

neben ihrem Wagen aufgetaucht war. Er tropfte vor Nässe, grinste dabei aber fröhlich.<br />

Seine Augen glühten, aber das mußte eine Sinnestäuschung sein, die vom Schrecken<br />

herrührte.<br />

„Schon gut“, wehrte Birthe ab. „Ich war nur so in Gedanken.“<br />

„Kann ich Ihnen helfen?“, wiederholte er seine Frage, die Augenbrauen erhoben.<br />

„Wenn Sie etwas von Autos verstehen“, lächelte Birthe, obwohl ihr nicht ganz wohl<br />

dabei war. Der Herbst war in Norddeutschland weit vorangeschritten, Ende Oktober<br />

waren die Abende stockdunkel und unheimlich.<br />

„Ich kann es mir jedenfalls einmal ansehen“, bot ihr der Mann an. „Entriegeln Sie mal<br />

159


itte die Motorhaube.“<br />

Er musterte stirnrunzelnd den ölverschmierten Motor, rüttelte hier und drückte da, dann<br />

schüttelte er den Kopf und ließ die Motorhaube wieder in ihre Verriegelung einrasten.<br />

„Keine Chance“, bedauerte er und trat wieder ans Fenster. „Ich denke, die Kiste braucht<br />

eine Generalüberholung.“<br />

„So ein verdammter Mist!“ Birthe schossen Tränen in die Augen. Sie drehte den Kopf<br />

zur Seite, damit der Mann das nicht sehen konnte. „Was mache ich denn jetzt bloß?“<br />

„Wie viel Zeit haben Sie noch bis zu Ihrer Verabredung?“ Birthe sah ihn verwundert an,<br />

aber er wies nur mit einem Kopfnicken auf ihre Kleidung.<br />

„Oh!“, machte sie und zuckte die Schultern. „Knapp eine Stunde.“<br />

„In Ordnung. Was halten Sie davon, wenn ich Sie in die Stadt fahre?“ Ein freundliches<br />

Lächeln huschte über sein Gesicht, aber Birthe verzog unwillig den Mund.<br />

„Ich weiß nicht“, setzte sie nachdenklich an, aber der Mann ließ ihr keine Gelegenheit,<br />

abzulehnen.<br />

„Kommen Sie, ich beiße schon nicht“, grinste er und wies mit einem Kopfnicken auf<br />

seinen Geländewagen, der hinter ihrem alten Ford parkte. „Mein Name ist Aidan<br />

Kavanagh, ich wohne auf Gut Bonnstedt, bin einseinundneunzig groß und wiege zwei-<br />

undachtzig Kilo.“<br />

<strong>Das</strong> brachte Birthe befreit zum Lachen und sie zögerte auch nur noch einen Wimpern-<br />

schlag lang, ehe sie nickte. „In Ordnung“, gab sie nach. „Aber wirklich nur, wenn ich<br />

Ihnen keine Umstände mache!“<br />

Der Mann grinste flüchtig. „Eine schöne Frau macht nie Umstände“, wies er sie zurück.<br />

„Haben Sie einen Schirm im Auto?“<br />

Birthe griff danach, während Aidan bereits ihre Tür öffnete und ihr eine Hand reichte.<br />

Er nahm ihr den Schirm ab und hielt ihn auf dem Weg zu seinem Wagen über sie, ehe er<br />

die Beifahrertür öffnete und ihr beim Einsteigen half. Wohlige Wärme schlug ihr aus der<br />

Lüftung entgegen und sie rieb die Hände aneinander, während Aidan auf den Sitz neben<br />

ihr kletterte und die Tür ins Schloß warf.<br />

„Entschuldigung, ich habe mich noch gar nicht vorstellt“, fiel Birthe ein. „Mein Name<br />

ist Birthe Jelgers.“<br />

160


„Welch ein schöner Name!“ Ein flüchtiger Blick, begleitet von einem Lächeln, streifte<br />

Birthe. „Sie sind nicht aus der Gegend, nicht wahr? Sie klingen wie eine Städterin.<br />

Preußin, würde ich mal vermuten.“<br />

„Nein, nicht ganz“, schüttelte Birthe den Kopf. „Ich stamme aus der weiteren Gegend,<br />

war aber lange weg, zuletzt in Frankfurt.“<br />

„Weit weg von zu Hause“, kommentierte Aidan wertfrei und Birthe nickte leicht, mehr<br />

für sich.<br />

„Was man von Ihnen aber auch sagen kann“, griff sie den Faden auf. „Was ist das für<br />

ein ungewöhnlicher Name, Aidan Kavanagh?“<br />

Da war sie, die allgegenwärtige Neugier. Ohne die wäre Birthe wahrscheinlich nicht so<br />

einfach in den Wagen eines Wildfremden gestiegen, auch wenn ihre Verabredung äußerst<br />

wichtig war.<br />

„Ja, das stimmt wohl.“ Der Mann blickte angestrengt nach vorne, um die Regenwand<br />

durchblicken zu können. „<strong>Das</strong> ist ein irischer Name, ich bin von der Grünen Insel.“<br />

„<strong>Das</strong> hört man aber nicht.“ Birthe war erstaunt, denn der Mann sprach wirklich ohne<br />

jeden Akzent.<br />

„Ich bin schon eine Weile hier“, schmunzelte er und sah kurz zu ihr hinüber. „Mögen Sie<br />

mir sagen, was für eine Verabredung Sie heute noch haben?“<br />

„Ich habe mich in der hiesigen Bibliothek beworben“, erzählte Birthe offen. „Heute<br />

Abend soll ich zwei Herren aus dem Verwaltungsrat kennenlernen.“<br />

„Oh.“ Aidan blickte sie kurz an, ehe er wieder auf die Straße sah. „Die Männer haben<br />

sich in all den Jahren nicht geändert: sie verstehen es immer noch, die Nöte einer<br />

schönen Frau auszunutzen.“<br />

Birthe runzelte die Stirn, erwiderte aber nichts darauf, denn eigentlich hatte er Recht: es<br />

wäre nicht unbedingt nötig gewesen, sie bei einem Abendessen besser kennen lernen zu<br />

wollen.<br />

„Ich weiß mich schon zu wehren“, ließ sie sich dennoch zu einem Kommentar hinreißen<br />

und Aidan lächelte beschwichtigend.<br />

„Davon bin ich überzeugt“, versicherte er ihr und setzte unvermittelt den Blinker. „Es<br />

tut mir leid, ich müßte kurz noch bei mir zu Hause vorbei“, sagte er mit einem netten<br />

161


Lächeln. „Es ist nur ein kleiner Umweg, wenn Sie gestatten?“<br />

„Oh, natürlich!“ Birthe lächelte leicht verkniffen, denn es war für sie nicht wirklich in<br />

Ordnung - sie fürchtete sich ein wenig. Sie wäre lieber direkt in die Sicherheit der Klein-<br />

stadt gekommen, wo sie auf Hilfe hoffen konnte, sollte sie welche brauchen. Hier<br />

draußen war niemand, nur wabernde Nebelschwaden ...<br />

„Hier wohnen Sie?“ Birthe musterte den Gutshof verblüfft, als Aidan den Wagen<br />

stoppte. Vor ihnen ragte die massige Fassade als dunkler Klotz in den Nachthimmel.<br />

„Ja, das ist mein Reich.“ Aidan drehte sich im Sitz zu ihr um. „Es dauert nur einen<br />

Augenblick!“<br />

Damit stieg er aus und ließ sie alleine im Wagen, um durch den Regen zur großen Ein-<br />

gangstür zu rennen. Er verschwand im Inneren und Birthe verfiel in Grübeleien.<br />

Er blieb nicht lange weg und schenkte ihr ein weiteres Lächeln, als er wieder auf den<br />

Fahrersitz rutschte. „Dann wollen wir mal!“<br />

Der Wagen rollte die lange Zufahrt wieder hinunter zur Landstraße. Wenig später er-<br />

reichten sie die Stadt und Aidan schlug, ohne zu fragen, den Weg in die Innenstadt ein.<br />

Sie fuhren schweigend durch die mäßig belebten Straßen, bis er schließlich vor einem<br />

guten Restaurant stoppte.<br />

Birthe runzelte die Stirn: hatte sie ihm vorhin gesagt, wo sie ihre Verabredung hatte?<br />

Mußte sie wohl, denn Aidan hatte nicht gefragt.<br />

Ehe sie der Sache weiter nachgehen konnte, öffnete ihr der Portier des Restaurants die<br />

Tür und hielt ihr einen Schirm hin, unter dessen Schutz sie aussteigen konnte.<br />

„Vielen Dank für Ihre Hilfe“, bedankte sie sich ehrlich bei Aidan.<br />

„Gerne geschehen“, gab er leise zurück. „Und viel Glück!“<br />

Birthe nickte zum Dank, dann stieg sie aus und Aidan fuhr davon.<br />

2. Kapitel<br />

Birthe war glücklich: <strong>Das</strong> Gespräch mit den beiden Herren war hervorragend gelaufen,<br />

sie hatte den Job in der Tasche und man hatte sogar dafür gesorgt, daß sie einen<br />

Ersatzwagen bekam, bis sie wieder mobil war.<br />

Auch der Regen der letzten Nacht hatte sich verzogen, so daß die durch den Sturm fast<br />

162


kahlen Bäume nicht mehr bedrohlich wirkten. Ganz im Gegenteil, mit der schwachen<br />

Herbstsonne bildeten sie auf der noch feuchten Straße interessante Muster.<br />

Birthe hatte den Tag mit Vorbereitungen für ihren neuen Job verbracht, einige Einkäufe<br />

erledigt und stand jetzt, kurz vor fünf Uhr nachmittags, vor Aidans Gutshof. Sie hatte<br />

gestern Abend ihren Regenschirm in seinem Wagen gelassen und wollte ihn nun darum<br />

bitten. Außerdem mußte sie zugeben, daß es auch die reine Neugier gewesen war, die sie<br />

wieder hierher geführt hatte. Der Gutshof hatte einen bekannten Namen in der Region,<br />

aber Birthe hatte ihn bisher nicht gesehen. <strong>Das</strong> Wohnhaus war legendär, es sollte eines<br />

der imposantesten im weiten Umkreis sein, und der Mann gestern Abend hatte mit<br />

Sicherheit ihr Interesse geweckt! Alleine sein außergewöhnlicher Name und der Um-<br />

stand, daß er sich ebenso ungewöhnlich verhalten hatte. Etwas an ihm war so grund-<br />

legend anders als bei anderen Männern gewesen, daß Birthe unbewußt den Entschluß<br />

gefaßt hatte, ihn wiederzusehen.<br />

<strong>Das</strong> große Haus wirkte bei Tage noch imposanter, auch wenn das Licht ihm eine Menge<br />

des Mystischen nahm. Aber es wirkte nicht bewohnt, sondern schien Birthe seltsam ...<br />

unfertig.<br />

Aidans Wagen stand nicht in der Auffahrt, aber sie konnte einen Kiesweg sehen, der<br />

hinter das Haus führte. Sie vermutete dort eine Garage oder ähnliches. Sie betätigte den<br />

schweren Türklopfer, der wie eine Drohung die breite Eingangstür bewachte, und<br />

wartete.<br />

<strong>Das</strong> Klopfen klang unangenehm hohl durch das Haus und Birthe war sich sicher, daß<br />

man es überall hören konnte. Aber es erfolgte keinerlei Reaktion - scheinbar war<br />

niemand zu Hause.<br />

„Hallo?“, rief sie dennoch fragend, betätigte den Klopfer ein zweites Mal und drückte<br />

dann prüfend die Klinke nach unten. Die gab nach und die schwere Tür schwang mit<br />

einem leisen Quietschen nach innen.<br />

„Ups!“ Birthe konnte nicht fassen, was hier gerade geschah. Es schien ein Wink des<br />

Schicksals zu sein! Was konnte einer unendlich neugierigen jungen Frau wohl Besseres<br />

passieren, als eine einladend geöffnete Tür? Natürlich widersprach es jeglicher Er-<br />

ziehung, jeglichem Anstand und auch geltendem Recht, und ihr Bruder hätte ihr einen<br />

163


ösen Vortrag gehalten, aber ... der war schließlich nicht hier! Also konnte sie doch ein<br />

bißchen der kleinen Abenteurerin herauslassen, die ihr schon oft im Leben Scherereien<br />

bereitet hatte, oder nicht?<br />

Sie dachte im Grunde gar nicht darüber nach, sondern folgte einem Impuls und betrat<br />

das Haus.<br />

Die Eingangshalle war sehr groß, ein gigantischer, offener Kamin nahm einen Großteil<br />

einer Wand ein und die Reste des letzten Feuers lagen noch darin - er wurde offenkundig<br />

genutzt.<br />

Birthe sah sich fasziniert um, sie fühlte sich seltsam in der Zeit zurück versetzt. Alles<br />

hier wirkte so ... alt!<br />

Überall in der Halle waren Kerzen in großen und kleineren Leuchtern verteilt, die<br />

meisten halb heruntergebrannt, die Leuchter mit Wachs überzogen. Eine breite, mit<br />

Teppich bezogene Treppe führte zu einer Galerie hinauf, von der mehrere Türen ab-<br />

gingen.<br />

„Jemand zu Hause?“ Birthe wollte sich absichern, obwohl sie längst wußte, daß Aidan<br />

nicht da war. „Mr. Kavanagh? Sind Sie da?“<br />

Als keine Antwort erfolgte, schloß sie die Tür hinter sich und betrat endgültig die Ein-<br />

gangshalle. Durch hohe Fenster an zwei Wänden fiel das Licht der einsetzenden<br />

Dämmerung herein und Staubteilchen tanzten im goldenen Licht, das bereits weniger<br />

wurde. Es würde bald dunkel sein und Birthe spürte, wie ihr ein Schauer über den<br />

Rücken lief. Irgendetwas an diesem Raum - an diesem Haus - machte sie nervös.<br />

Gegenüber des großen Kamins standen ein hochlehniger Stuhl und eine sehr alte,<br />

eisenbeschlagene Truhe. Aidan hatte offenbar eine Vorliebe für Truhen, denn es gab<br />

alleine in der Halle vier Stück, und auch auf der Galerie konnte sie zwei sehen.<br />

Schweigend und vorsichtig durchquerte sie den Raum bis zu der Tür, hinter der sie die<br />

Küche vermutete.<br />

Die Küche hatte ebensolche Dimensionen wie die Halle, und sie wirkte ebenso un-<br />

benutzt. Es war zwar alles da, was man in einer Küche erwartete, aber dennoch ... es<br />

wirkte alles seltsam leblos.<br />

Mit einem Stirnrunzeln trat Birthe an die Hintertür und warf einen Blick nach draußen.<br />

164


Dort war ein weiterer beeindruckender Bau, der früher einmal eine Stallung gewesen<br />

sein mußte: die Garage.<br />

Sie ging durch die Küche hindurch bis zu einer Tür, die sie in die Räume hinter der<br />

großen Halle führen würde. Es war kalt im Haus und mit einem Frösteln zog sie die<br />

Nase hoch; es roch staubig und alt.<br />

Neugierig, aber immer vorsichtig und mit einem schlechten Gefühl in der Magengegend<br />

inspizierte Birthe das Musikzimmer, das sich an die Küche anschloß. Danach folgte das<br />

Wohnzimmer.<br />

Unzählige Bücher füllten deckenhohe Regale. Fasziniert blieb Birthe im Raum stehen<br />

und musterte diesen Schatz. Es waren größtenteils alte Bücher, viele sogar antik. Diese<br />

Sammlung mußte ein Vermögen wert sein!<br />

Eine große Fensterfront ging auf eine gepflegte Terrasse hinaus und sie konnte sehen,<br />

daß es beinahe dunkel geworden war. Sie sah sich nach einem Lichtschalter um, fand<br />

aber keinen.<br />

„Seltsam!“, murmelte sie leise und ging zurück in die Halle. Hier war es inzwischen<br />

vollkommen dunkel geworden und sie überlegte einen Moment, ob sie nicht besser<br />

gehen sollte. Dann siegte die Neugier und sie ging zu einer Tür, die sich unter der<br />

Treppe befand. Hier würde es wahrscheinlich in den Keller gehen und irgendetwas zog<br />

sie magisch in diese Richtung.<br />

„Oh, ich habe Besuch bekommen! Guten Abend, Frau Jelgers!“<br />

Birthe zuckte zusammen, als habe sie ein Peitschenschlag getroffen. Wieder war es<br />

Aidan gelungen, sie zu Tode zu erschrecken. Was aber eventuell auch daran liegen<br />

mochte, daß sie ein schlechtes Gewissen hatte.<br />

„Oh, mein Gott!“, keuchte sie und lehnte sich mit geschlossenen Augen an die Wand.<br />

„Müssen Sie mich immer wieder so erschrecken?“<br />

„Haben Sie mich denn nicht erwartet?“ Ein spöttisches Lächeln spielte um Aidans<br />

Mund, dann wurde er übergangslos ernst. „Was führt Sie her, Frau Jelgers?“<br />

„Ich wollte mich noch einmal bei Ihnen bedanken“, erklärte sie, froh, daß er sie nicht<br />

fragte, wieso sie überhaupt im Haus war. „Und ich habe gestern Abend meinen Regen-<br />

schirm bei Ihnen vergessen.“<br />

165


„Es ist nicht besonders höflich, ohne Einladung ein Haus zu betreten“, wies er sie<br />

zurecht und sie konnte Wut in seinen Augen sehen.<br />

„Es ... es tut mir leid!“, stotterte Birthe beschämt und spürte, wie sie rot wurde. „Ich<br />

hatte geklopft, aber ich dachte, Sie hätten mich vielleicht nicht gehört, denn die Tür war<br />

nicht verschlossen, und ...“<br />

Aidan unterbrach sie mit einer herrischen Handbewegung. „Vergessen Sie es!“, fuhr er<br />

sie an. „Aber Sie müssen mich jetzt entschuldigen, ich bekomme bald Gäste und habe<br />

noch einige Vorbereitungen zu treffen.“<br />

Mit der einen Hand griff er nach ihrem Arm, mit der anderen wies er auf die Tür. Die<br />

Geste war vollkommen unmißverständlich, dennoch zögerte Birthe, seiner Aufforderung<br />

Folge zu leisten. Es war für sie nicht verständlich, weswegen er heute so barsch zu ihr<br />

war, wo er doch gestern noch ...<br />

„Es tut mir leid“, entschuldigte sie sich erneut, aber Aidan verstärkte lediglich den Druck<br />

an ihrem Arm, bis es schmerzhaft wurde, also gab sie nach und ließ sich von ihm zur<br />

Tür bringen.<br />

Dabei blitzte im Spiegel ein letzter Sonnenstrahl auf und Birthe sah automatisch hin.<br />

Geblendet vom hellen Licht konnte sie ihr Spiegelbild sehen, daneben aber nur ... ein<br />

Schemen.<br />

Sie blinzelte, um ihre Sicht zu klären, aber da hatten sie bereits die Tür erreicht und<br />

Aidan hielt sie ihr auf.<br />

„Auf Wiedersehen, Frau Jelgers!“, verabschiedete er sie, drehte sich dann aber noch<br />

einmal um und griff nach dem Schirm, der aufgespannt hinter der Tür gestanden hatte.<br />

„Auf Wiedersehen, Mr. Kavanagh“, erwiderte Birthe, nahm den Schirm entgegen, dann<br />

fiel die schwere Tür auch schon hinter ihr ins Schloß und sie stand alleine auf den drei<br />

Stufen, die zur Einfahrt führten.<br />

„Seltsam“, murmelte sie leise, ehe sie fröstelnd die Jacke enger um sich zog. Mit der<br />

Dämmerung waren auch die Schatten zurückgekehrt, und mit ihnen die unheimliche<br />

Stimmung, die Birthe Angst machte. Sie beeilte sich, ihren Wagen zu erreichen und<br />

machte sich auf den Heimweg.<br />

166


„So ein verdammter Mist!“, fluchte Aidan lauthals, während er begann, ein Feuer im<br />

Kamin zu entzünden. „Mußte sie auch ausgerechnet heute erscheinen!“<br />

Es war ein wichtiger Tag für ihn, so kurz vor Halloween würde heute die letzte Ver-<br />

sammlung vor dem Feiertag sein, und er hatte die Ehre, Gastgeber zu spielen.<br />

Er mochte diese Veranstaltungen nicht, aber es gehörte nun einmal zu seinem Leben wie<br />

... wie eben viele andere Dinge auch. Er hätte seinen Abend lieber mit Birthe verbracht,<br />

aber das stand nicht zur Auswahl.<br />

Eigentlich war es ausgeschlossen, daß er sie überhaupt noch einmal wiedersah! Sie hatte<br />

diese ganz besondere Aura, die ihn reizte, aber er wußte genau, wohin das in der Regel<br />

führte. Nicht umsonst hatte er sie gestern nicht mit hineingebeten.<br />

Mit einem mürrischen Kopfschütteln vertrieb er diese Gedanken und machte sich daran,<br />

alles herzurichten. Bald würden die Gäste kommen und er konnte es sich nicht leisten,<br />

Fehler zu machen. Er hatte sowieso nicht den besten Ruf in der Gemeinde und das<br />

wollte er nicht noch verstärken.<br />

Gegen halb zehn erschienen die ersten Gäste und nach und nach füllte sich die Halle des<br />

Hauses mit Leben. Aidan hatte die Türen zu dem Musikzimmer und dem Wohnzimmer<br />

weit geöffnet, so daß seine Besucher flanieren konnten, während sie sich unterhielten.<br />

Es herrschte fröhliches Treiben und Aidan konnte für einen Moment vergessen, wie<br />

diese Party enden würde. Er wollte nicht darüber nachdenken, genausowenig, wie er an<br />

Birthe denken wollte. Sie konnte froh sein, daß er sie so ruppig weggeschickt hatte, denn<br />

diese Nacht würde noch sehr gefährlich werden.<br />

Jedenfalls für Leute wie Birthe.<br />

„Aidan, mein Bester!“ Eine Frau in Aidans Alter kam auf ihn zu, die Arme weit aus-<br />

gebreitet, das geschminkte Gesicht zu einem breiten Lächeln verzogen. „Ich muß sagen,<br />

du überraschst mich immer wieder!“ Ihre Figur war für die heutige Mode vielleicht ein<br />

wenig zu üppig, aber das verpackte sie dermaßen sexy, daß es atemberaubend war. Sie<br />

hatte pechschwarze Haare, die lang und glatt bis weit auf ihren Rücken hingen. <strong>Das</strong><br />

einzig störende waren die Augen: sie schienen im Licht der Kerzen rot zu sein.<br />

Aidan erwiderte das Lächeln und beugte sich vor, um die Frau auf beide Wangen zu<br />

167


küssen. „<strong>Das</strong> ist mein Job, Darling“, erklärte er betont fröhlich. „Ich muß mir doch<br />

Mühe mit euch geben!“<br />

„<strong>Das</strong> hast du, das hast du sicher. Aber sag, ist alles vorbereitet?“ Gier flackerte in ihren<br />

Augen und Aidan zuckte innerlich zusammen, zwang sich aber, fröhlich zu nicken.<br />

„Alles bestens“, gab er zurück. „Wir haben einen exzellenten Tag erwischt, du wirst<br />

sehen.“ Er hob geheimnisvoll die Augenbrauen und die Frau kicherte albern.<br />

„Jeder Tag mit dir ist etwas Besonderes“, gurrte sie und streichelte ihm über den Po.<br />

„Ich freue mich darauf, wenn du etwas Zeit für mich hast!“<br />

„Du ungeduldiges kleines Biest“, tadelte er sie sanft. „Aber ich fürchte, meine verehrte<br />

Marylla, du wirst noch eine Weile auf mich warten müssen.“<br />

Er wies mit einem Kopfnicken auf eine weitere Gruppe Gäste, die gerade in der Tür er-<br />

schienen war. Mittlerweile waren es an die dreißig Personen und das Haus war von<br />

schnatternden Stimmen erfüllt.<br />

„Herzlich willkommen, Vincent“, begrüßte er den Neuankömmling, der inmitten der<br />

Gruppe stand. Die anderen machten ihm respektvoll Platz und Vincent musterte Aidan<br />

abschätzend, ehe er schließlich lächelte.<br />

„Nun, mein lieber Aidan, ich hoffe, du erweist dich würdig.“ Seine ganze Körperhaltung,<br />

seine Art zu sprechen und auch sein Blick zeugten vom Hochmut, der ihn beherrschte.<br />

Aber das konnte er sich leisten, immerhin war er seit einer endlosen Zeit Führer der<br />

Gemeinde hier in Friesland.<br />

„Es wird sich zeigen“, gab Aidan unterwürfig zurück, die Schultern gebeugt, um kleiner<br />

zu erscheinen.<br />

Vincent war trotz seiner relativ geringen Körpergröße eine imposante Erscheinung: im<br />

Gegensatz zu vielen der anderen lehnte er es ab, sich zeitgenössisch zu kleiden, er trug<br />

immer noch den eleganten Gehrock eines Lebensabschnittes, der ihm sehr gefallen<br />

hatte, perfekt bis hin zum Zylinder, der maßgeschneidert auf seinem Kopf thronte.<br />

Seine blonden Haare fielen in sorgsam gelegten Locken auf seine Schultern und ein<br />

Monokel gab ihm die nötige Autorität, unterstrichen von einem Spazierstock mit Elfen-<br />

beinknauf.<br />

„Wann ist es soweit?“ Vincent brachte es fertig, auf den zwanzig Zentimeter größeren<br />

168


Aidan hinabzusehen.<br />

„Gegen Mitternacht“, antwortete der gehorsam. „Ich hoffe, Ihr werdet zufrieden sein!“<br />

Er wählte bewußt die alte Anrede, denn er kannte Vincents Abneigung gegen alles<br />

Moderne, vor allen Dingen, wenn es respektlos war.<br />

Vincent ließ ihn ohne eine weitere Würdigung stehen und Aidan konnte sich wieder<br />

Marylla zuwenden.<br />

„Wir haben noch Zeit“, lächelte die ihn an und nahm ihn einfach bei der Hand. Aidan<br />

ließ sich das gefallen und folgte ihr die Treppe hinauf. Sie kannte sich in seinem Haus<br />

aus, schließlich waren sie oft genug nach solchen Veranstaltungen hier gelandet, um den<br />

Abend ausklingen zu lassen.<br />

Er hoffte inständig, daß niemand seiner Gäste seinen frühen Besuch roch.<br />

*.*.*<br />

Als die letzten Sonnenstrahlen hinter den Bäumen verschwunden waren, stand Aidan<br />

langsam auf. Er war unruhig, morgen war der Tag im Jahr, den er am meisten ver-<br />

abscheute: Die Mitglieder seiner Gemeinde versammelten sich, gingen unter Menschen<br />

und sorgten dafür, daß der Abend vor Allerheiligen genügend Schrecken erhielt. Er<br />

selbst konnte diesem Brauch nichts abgewinnen, ebenso wenig wie er der gesamten<br />

Lebensweise etwas abgewinnen konnte.<br />

Aber was sollte er machen? Er hatte es einfach satt, immer wieder und wieder den Ort<br />

zu wechseln, hier fühlte er sich wohl, also mußte er die Gemeinde so akzeptieren, wie sie<br />

war. Bisher war es ihm meistens gelungen, den Schein zu wahren, ohne wirklich an ihren<br />

Orgien teilnehmen zu müssen.<br />

Nach einem ausgiebigen Bad zog er sich eine Cordhose und ein dickes Hemd an, ehe er<br />

das Haus verließ. Er würde sich um sein Abendessen kümmern müssen, ehe er seine<br />

Zeit vor dem Kamin verbringen konnte!<br />

Wie die meisten anderen auch haßte er diese Jahreszeit, denn es war kalt wie in einem<br />

Grab und widerwärtig naß. Regen, Regen und wieder Regen!<br />

Andererseits hatte der Regen ja auch etwas Positives gehabt: er hatte Birthe getroffen.<br />

169


Und gegen seinen Willen ging diese Frau einfach nicht mehr aus seinem Kopf. Er fand<br />

sie amüsant, beinahe ein wenig faszinierend. Sie hatte einen Geruch an sich, der ihn ... ja,<br />

der ihn die Augen schließen ließ. Zwar war ihr Besuch alles andere als gelegen gewesen,<br />

aber unter anderen Umständen hätte er sich sicherlich darüber gefreut.<br />

Zwei Stunden später parkte er seinen Wagen wieder in der Auffahrt und ging zurück ins<br />

Haus. Er war satt, für den Moment zumindest, das lenkte ihn ein wenig ab. Seine Ge-<br />

danken schweiften wieder, und er ließ es zu, schließlich hatte er sonst nichts zu tun! <strong>Das</strong><br />

Leben war langweilig geworden, seit er erkannt hatte, daß er draußen in Gefahr war. Die<br />

anderen Mitglieder seiner Gemeinde neigten immer mehr zu Ausschweifungen und er<br />

spürte, wie der Unmut auch in der Bevölkerung der Kleinstadt Norden wuchs. Es würde<br />

nicht mehr lange dauern und sie würden anfangen, unangenehme Fragen zu stellen!<br />

Er seufzte leise, durchquerte die Eingangshalle und betrat das Musikzimmer. Zielsicher<br />

durchquerte er auch diesen Raum, entzündete den Kerzenleuchter auf dem Flügel, der<br />

am Fenster stand, und setzte sich auf die Bank davor.<br />

Einen Moment zögerte er noch, dann ließ er die Fingerknöchel knacken und begann,<br />

nur für sich alleine Klavier zu spielen.<br />

170


Die Katze und das Projekt Omega<br />

Dan Gerrit<br />

Die Katze und das Projekt Omega<br />

Ein packender Mysterythriller<br />

Eine weiße Katze mit ungewöhnlichen Fähigkeiten, bringt das Leben<br />

des Schriftsteller Anthony Wasner durcheinander, dieser gerät in das<br />

Abenteuer seines Lebens.<br />

ISBN: 978-3-942539-70-8 Preis : €16,95<br />

Taschenbuchformat: 17,00x 22,00cm<br />

Weitere Informationen unter:<br />

http://www.fwz-verlag.de<br />

http://www.fwz-edition.de<br />

Sie besitzt die Farbe der Unschuld, doch sie ist nicht von dieser <strong>Welt</strong>!<br />

Eine scheinbar streunende Katze mit ungewöhnlichen Fähigkeiten verändert das Leben<br />

des gescheiterten Schriftstellers Anthony Wasner und bringt ihn mit einer<br />

schwerverletzten Frau zusammen, die von einer Militärelite als Verräterin gejagt wird.<br />

Bald sind er und die Genetikerin Miranda auf der Flucht.Aber nicht nur vor<br />

menschlichen Verfolgern, sondern auch vor Wesen aus der <strong>Welt</strong> der Katze.<br />

Dieses Tier soll wieder in das geheime unterirdische Labor zurückgebracht werden, in<br />

dem Experimente mit einem seltsamen Artefakt das Tor zu einer anderen Dimension<br />

geöffnet haben. Eine Büchse der Pandora, deren Schlüssel eine weiße Katze ist.<br />

171


Leseprobe<br />

Der Verlorene<br />

Nur undeutlich zeichnete sich die Silhouette des Mannes vor dem Hintergrund der<br />

kalten Winternacht ab. Er stand am Rande eines weitläufigen, von hohen Laternen aus-<br />

geleuchteten Parkplatzes. Durch das unirdische, orangefarbene Licht der Natrium-<br />

dampflampe erschien die verwaiste Asphaltfläche wie ein Ort aus einer anderen <strong>Welt</strong>. Es<br />

hob die Umrisse der achtlos auf den Asphalt geworfenen Flugblätter, Taschentücher und<br />

Fast Food Kartons überdeutlich hervor, die Farben jedoch gingen in diesem Licht ver-<br />

loren. Was übrig blieb, floss ineinander zu einem undefinierbaren Ton irgendwo<br />

zwischen Braun und Gelb. In diesem fremdartigen Zwielicht konnte sich die <strong>Welt</strong> in all<br />

ihrer sonst erschreckenden Klarheit verstecken. Hinter den Sträuchern begann das<br />

Niemandsland, gesichtslose Industrieanlagen, deren graue Fassaden in der Nacht nur<br />

gewinnen konnten.<br />

Doch das störte Anthony nicht, weder der Verlust der Farben noch die Klarheit<br />

machten irgendeinen Unterschied, als er seine zitternde Hand mit der Zigarette an die<br />

Lippen führte und den Rauch gierig bis in die Lungen hinunter sog. Wärme breitete sich<br />

in Wellen durch seinen Körper aus. Dabei schloss er seine brennenden Augen und ge-<br />

noss die Dunkelheit hinter den Lidern. Er hielt den Atem für ein paar Sekunden an, ehe<br />

er verächtlich eine weiße Rauchwolke aus seinen Nasenlöchern blies. Mit gerunzelter<br />

Stirn folgte er ihrer Bahn, bis sie sich in Nichts aufgelöst hatte und sein Atem schon die<br />

nächste Wolke formte. Während die Zigarette Stück um Stück kleiner wurde, nahm er<br />

den Parkplatz vor sich in Augenschein. Tagsüber war der Baumarkt mit dem an-<br />

gegliederten Fastfoodrestaurant ein beliebter Treffpunkt für alle möglichen Leute. Die<br />

Heimwerker kamen in Scharen hierher, weil sie die Grundsubstanzen für ihre Hobbys<br />

172


auchten, Familien besuchten mit ihren Kindern das Restaurant, obwohl es hier die<br />

zuckerhaltigen Getränke und fettigen Burger gab. Bei genauerem Hinsehen bemerkte er<br />

zwischen den obligatorischen Pappkartons, alten Kaugummis, Zigarettenstummeln und<br />

Rechnungsbelegen sogar ein paar gebrauchte Kondome. Anthony schüttelte den Kopf<br />

und schnaubte angewidert in die Nacht. Was für Leute ließen gebrauchte Kondome auf<br />

einem Parkplatz zurück? Wer auch immer so etwas tat, war schon lange verschwunden.<br />

Nicht ein einziges Auto stand auf den vielen dafür vorgesehenen, mit weißen Linien<br />

umrandeten Plätzen. Einzig ein Einkaufswagen prangte völlig verlassen mitten auf der<br />

Asphaltfläche. Eines der übergroßen Modelle aus dem Baumarkt. Mit zusammen-<br />

gekniffenen Augen fixierte er das Gestell. Der Münzapparat am Griff schien noch intakt<br />

zu sein, unaufgebrochen. War da vielleicht noch eine Münze drin? Nachdenklich sog er<br />

den Rauch seine Bronchien hinunter, ließ die aufkeimende Idee aber wieder fallen. So<br />

tief war er nun wirklich noch nicht gesunken.<br />

<strong>Das</strong> aufdringliche Gefühl eines Déjà-vus hatte schon den ganzen Tag in seinem<br />

Kopf herumgespukt, aber hier und jetzt wurde es besonders stark. „Seltsam“, sagte er zu<br />

sich selbst, „das alles kenne ich doch.“ Manchmal hatte er das Gefühl, in einer Endlos-<br />

schleife festzustecken. Fröstelnd schnippte er den beinahe aufgerauchten Zigaretten-<br />

stummel weg und zog den schwarzen Mantel enger um seinen hageren Körper. Wieder<br />

ein bisschen Gewicht verloren, stellte er fest. Lautlos schlugen die Reste seiner Zigarette<br />

auf dem Asphalt auf, Funken stoben in alle Richtungen wie aufgescheuchte Feuer-<br />

motten. Anthony nickte dem Parkplatz ein letztes Mal zu und ging weiter. Weg von der<br />

Natriumdampflampe und ihrem unheimlichen Licht.<br />

Sein Weg verlief durch das Industriegebiet, ein in der Nacht praktisch totes Viertel<br />

der Stadt. Die Straßen waren für Zulieferer gedacht und führten nirgendwo sonst hin.<br />

Niemand fuhr dort hinunter, wenn er keinen guten Grund hatte und so blieb ihm viel<br />

Zeit, um über sich und die Einsamkeit nachzudenken. Eigentlich mochte er die Nacht<br />

nicht besonders. Dem Tag zog er sie aber trotzdem allemal vor. Einst hatte er das<br />

Sonnenlicht gemocht, doch das war schon unendlich lange her. Wenn er jetzt an diese<br />

Zeit dachte, erkannte er sich selbst kaum wieder. Seine Finger begannen noch ein biss-<br />

chen heftiger zu zittern. Ungeschickt zog er das Päckchen Zigaretten aus seiner Mantel-<br />

173


tasche. Einer der weißen Stängel glitt ihm einfach so durch die Finger. „Verdammt“,<br />

fluchte Anthony. Natürlich war der Glimmstängel in eine Pfütze gefallen. Zu rauchen<br />

war der nicht mehr. Bei der zweiten Zigarette klappte es schließlich, und er schob sich<br />

den Filter zwischen die Lippen. Dabei starrte er auf seine Hände und wartete, bis das<br />

Zittern etwas nachließ. Die breite, leere Straße machte ihn nervös. Ja, das musste es sein.<br />

Er ging noch eine Weile die große Industriestraße entlang, ehe er an der ersten<br />

kleinen Seitenstraße abbog. Alte Wohnhäuser ragten links und rechts von ihm auf.<br />

Wahrscheinlich die Überbleibsel einer Arbeitersiedlung aus besseren Tagen, als in dieser<br />

Gegend Tausende von Menschen in Lohn und Brot gestanden hatten. Die rauch-<br />

geschwärzten Wände warfen das Klappern seiner Schuhe unnatürlich laut zurück.<br />

Irgendwie erinnerte ihn das Geräusch an einen alten Krimi. Einer von denen, die noch<br />

in Schwarz-weiß produziert worden waren. Da war auch ein Mann durch eine Gasse ge-<br />

gangen und seine Schritte hatten fast gleich geklungen. Mit dem einen Unterschied, dass<br />

sich in dem Film noch jemand in der Dunkelheit verbarg. Ein Mörder, dessen Schritte<br />

vom Echo des Verfolgten übertönt worden waren.<br />

Beim Gedanken an diesen Film fühlte er sich plötzlich beobachtet. Natürlich war das<br />

absurd, und er musste selbst ein wenig schräg grinsen bei dem Gedanken. Hier war er:<br />

alleine, unrasiert und leicht angetrunken. Wer um alles in der <strong>Welt</strong> sollte ihn schon ver-<br />

folgen wollen? Anthony sah sich um. Da war niemand. Er hob den Kopf, aber über ihm<br />

schimmerte nur ein schmaler Spalt Nachthimmel zwischen den Dächern der Häuser.<br />

„Krieg dich wieder ein. Du bist allein“, schalt er sich selbst. Dennoch blieb er nach ein<br />

paar Metern stehen und lauschte. <strong>Das</strong> letzte Echo seiner Schritte prallte von den<br />

Wänden ab und verpuffte in der Nacht. Mit angehaltenem Atem hielt er inne und<br />

lauschte. Stille. Nur das Rauschen des Blutes in seinen Ohren. Beruhigt atmete er auf.<br />

Die Nacht war kalt und still, so wie man es erwartete. Ohne es selbst gemerkt zu haben,<br />

hatte er begonnen, schneller zu atmen. Flach. Es fiel ihm erst auf, als ihm die Puste aus-<br />

zugehen begann. Durch den offenen Mund saugte er mehrmals Luft tief in seine<br />

Lungen hinunter. Fast augenblicklich folgte ein Hustenanfall. Manchmal bereitete ihm<br />

das Atmen Schwierigkeiten, vor allem, seit er begonnen hatte, so viel zu rauchen. Zu<br />

viel, wie sein Arzt mit sorgenvollem Gesicht gemeint hatte.<br />

174


Die keuchenden Hustenstöße putzten seine Bronchien durch. Oder zumindest stellte<br />

er sich vor, dass sie das taten. Der verdammte Film geisterte immer noch in seinen Kopf<br />

herum, obwohl schon der Grundgedanke dahinter lächerlich war. Geldtasche hatte er<br />

keine dabei. Seine abgewetzte Kleidung war weniger wert als das, was die Heilsarmee<br />

gratis ausgab. Es gab absolut keinen Grund für irgendwen, ihn zu überfallen.<br />

Nichtsdestotrotz lauschte er noch einmal in die Nacht hinaus. Nichts als Stille.<br />

Er wollte schon weitergehen, als ein Schatten über die Hauswand rechts vor ihm<br />

huschte. Aus einem Reflex heraus wirbelte er herum und schluckte trocken. Die Gasse<br />

hinter ihm war leer, bis auf eine schneeweiße Katze. <strong>Das</strong> Tier hockte aufrecht auf dem<br />

Kopfsteinpflaster und beobachtete ihn. Anthony kniff die eisblauen Augen etwas zu-<br />

sammen. Ein schönes Tier mit makellosem Fell, soweit er das von dort aus sehen<br />

konnte. Mit beiden Händen fuhr er sich durch die Haare, eine Wolke aus Nikotingeruch<br />

von seinen gelben Fingerspitzen zog an seiner Nase vorbei. Die Augen der Katze<br />

fixierten ihn. Dabei leuchteten sie im fahlen Sternenlicht bernsteinfarben auf. Unsicher<br />

räusperte er sich. Langsam wurde es unheimlich, das Tier starrte ihn unverwandt an.<br />

Anthony fuhr sich mit der linken Hand unter der Wollmütze durch die verfilzten<br />

Haare und versuchte zu lächeln, wusste aber nicht mehr so ganz, welche Muskeln er<br />

dafür brauchte. Eine streunende Katze macht dir Angst, dachte er. Es wurde wohl wirklich<br />

ernst. <strong>Das</strong> Tier auf dem Weg hinter ihm schien nicht die geringste Absicht zu haben,<br />

sich von der Stelle zu rühren. Ganz im Gegenteil. Es legte den Kopf schief, in einer<br />

Geste, die bei einem Menschen wohl als so etwas wie mildes Interesse interpretiert<br />

worden wäre. Anthony drehte sich langsam um. <strong>Das</strong> seltsame Gefühl verschwand aber<br />

nicht. Zwei heiße Punkte brannten sich in seinen Rücken, genau dort, wo er sich den<br />

stechenden Blick der Katze vorstellte. Etwas beunruhigt sah er über seine Schulter<br />

zurück. Regungslos wie eine Statue saß sie immer noch genau an derselben Stelle. Er<br />

rümpfte die Nase. War das ein normales Verhalten für eine Katze gegenüber einem<br />

Fremden?<br />

In seinem Kopf stiegen absurde Bilder auf. Er sah das Tier vor sich sitzen wie eine<br />

Porzellankatze auf dem Kamin, mit gespitzten Ohren. Der Katzenmund öffnete sich als<br />

ob sie sagen wollte: „Komm, mein Freund, nimm mich mit, ich gehöre zu dir.“ Er<br />

175


schüttelte den Kopf, versuchte den klebrigen Gedanken loszuwerden. Ein dumpfer<br />

Schmerz kroch von seinen Schläfen aus seinen ganzen Schädel entlang. Anthony sah<br />

grimmig zu dem Tier. Auf keinen Fall kam es mit ihm mit. Und überhaupt. Irgendetwas<br />

stimmte nicht und es lag nicht nur daran, dass er übernächtigt war und etwas zu viel ge-<br />

trunken hatte. Gab es in der Gegend vielleicht tollwütige Tiere? Er glaubte sich an einen<br />

Zeitungsbericht über tollwütige Tiere zu erinnern, die, im Stadtgebiet streunend, Fuß-<br />

gänger angriffen. Jeder wusste, was passieren konnte, wenn ein tollwütiges Tier einen<br />

biss. <strong>Das</strong> war nicht schön. Wild entschlossen, diesem unergründlichen Blick standzu-<br />

halten, starrte er zurück. Aber es ging nicht. Da war etwas in den Augen, das ihm nicht<br />

gefiel. Eine Art Funkeln und keineswegs der Respekt, den ein kleines Tier einem<br />

größeren eigentlich hätte entgegenbringen sollen. Ganz langsam, wie auf Eiern, ging<br />

Anthony rückwärts. Die Katze ließ er dabei keine Sekunde aus den Augen. Als er etwa<br />

fünfzig Schritte Abstand von dem Tier gewonnen hatte, wandte er sich um und rannte,<br />

wie er in seinem ganzen Leben noch nie gerannt war. Verschwommen nahm er wahr, wie<br />

Häuserblocks an ihm vorbeizogen. Geparkte Autos am Straßenrand tauchten auf und<br />

verschwanden wieder hinter ihm. Doch das alles nahm er nur am Rande wahr. <strong>Das</strong> Ein-<br />

zige, worauf er sich konzentrierte, war sein Atem, der stoß-weise, rasselnd aus seinen<br />

Lungen getrieben wurde. Im Stillen verwünschte er den Augenblick, als er im Schulhof<br />

die erste Zigarette bekommen hatte, denn schon nach einer für ihn lächerlich kurzen<br />

Zeit, begann sein Bauch zu stechen. Seine Puste hielt ohnehin nicht allzu lange. Wenn er<br />

gekonnt hätte, wäre er den ganzen Weg nach Hause gerannt. Aber das Seitenstechen<br />

wurde unerträglich und schließlich blieb er keuchend stehen. Mit heraus-hängender<br />

Zunge lehnte er seinen Oberkörper nach vorne und umfasste seine Knie. „Ich bin vor<br />

einer Katze davongelaufen“, war der dominante Gedanke in seinem Kopf.<br />

<strong>Das</strong> Gefühl, seine Lungen würden gleich seinen Hals heraufkommen, zusammen mit<br />

dem unerträglich schnell schlagenden Herzen, ging irgendwann vorbei und er konnte<br />

sich aufrichten und orientieren. Tatsächlich war er nicht weit gekommen. <strong>Das</strong> wunderte<br />

ihn auch nicht wirklich. Aber zumindest raus aus dem Industriegebiet. Sicherheitshalber<br />

blickte er über die Schulter, die in Mondlicht getauchte Straße war leer. Vor ihm er-<br />

streckte sich die endlos monotone Landschaft von Reihenhäusern. Die weniger guten<br />

176


Viertel der Stadt waren voll davon. Durch die Gardinen einzelner Fenster schimmerte<br />

zaghaftes Licht, aber die meisten blieben dunkel. Brennende Mülltonnen waren der<br />

letzte Hinweis, den er noch gebraucht hatte. Jetzt wusste er ganz genau, wo er sich be-<br />

fand. Die Außenbezirke des heruntergekommensten Wohnviertels. Dort, wo jene lebten,<br />

die nichts besaßen als die Kleidung am Leib. Penner, die an jeder Straßenecke standen<br />

und sich zu wärmen versuchten. Wahrscheinlich hielten sie Anthony für einen der Ihren.<br />

<strong>Das</strong> war auch gar nicht so abwegig, musste er selbst zugeben. In seinen abgetragenen<br />

Jeans und dem alten, verfilzten Mantel sah er tatsächlich wie jemand aus, der, wenn<br />

schon nicht direkt auf der Straße, dann doch in einer abbruchreifen Ruine als Haus-<br />

besetzer lebte. Mit dem Ärmel seines Mantels wischte er sich über die Stirn. Trotz der<br />

Kälte war er ziemlich ins Schwitzen geraten. Warum die Katze ihn so in Panik versetzt<br />

hatte, vermochte er nicht zu sagen. Jetzt, wo sich das Tier außer Sichtweite befand,<br />

wunderte er sich selbst über seine Reaktion. Seine Hände zitterten wieder. Vielleicht hing<br />

ja alles irgendwie zusammen. In letzter Zeit konnte ihn einfach alles furchtbar aufregen.<br />

Die kleinste Unebenheit auf der Straße des Lebens brachte ihn zum Zittern. Nicht so<br />

wie früher. Da war er immer ruhig geblieben. <strong>Das</strong> Zittern freilich war auch ein Zeichen,<br />

dass er zu viel getrunken und zu wenig geschlafen hatte.<br />

Die bärtigen Gestalten nahmen von dem Neuankömmling keine Notiz. Sie standen<br />

um die brennenden Mülltonnen herum und erzählten sich Geschichten. Den meisten<br />

fehlte schon eine beträchtliche Anzahl von Zähnen und sie waren alt. Es musste auch<br />

jüngere Obdachlose geben, aber irgendwie sah man diese nirgendwo. Vielleicht waren sie<br />

ja eher in der Nähe des Stadtparks zu finden. Oder das Leben hier draußen ließ<br />

Menschen einfach schnell altern. Anthony steckte seine Hände in die tiefen Taschen des<br />

Mantels und zog sich den Kragen soweit ins Gesicht wie nur möglich. Ohne links und<br />

rechts zu schauen, den Blick möglichst auf den Boden vor sich fixiert, schritt er voran<br />

und an den verwahrlosten Gestalten vorbei. Er schämte sich ein wenig, hier zu sein.<br />

Seine Wohnung war noch ein schönes Stück entfernt, und irgendwie hatte Anthony<br />

an diesem Abend die Schnauze gehörig voll von der Stadt, der Nacht und allem anderen.<br />

Er wollte nur nach Hause. In sein Apartment. Im dritten Stock eines herunter-<br />

gekommenen Hauses in einem der mieseren Viertel der Stadt. Den Rest des Weges ver-<br />

177


achte er eingehüllt in einer dunklen Wolke brütender Gedanken, die nur von gelegent-<br />

lichen Blicken über seine Schulter durchbrochen wurden. Irgendwann hatte er die letzten<br />

Meter hinter sich gebracht und der Backsteinbau des Mietshauses ragte vor ihm in den<br />

Nachthimmel. Für einen ordentlichen Verputz hatte es wohl einfach nie gereicht.<br />

Als er die mit Unrat übersäte Treppe hinauf stieg, kam der alte Hass wieder zurück.<br />

Auf alles, was man ihm genommen hatte. Und auf jene, die er dafür verantwortlich<br />

machte. Diese ganze Nacht war nur deren Schuld. Sein Leben war schließlich nicht<br />

immer so gewesen. Heruntergekommen und im Dreck. Eigentlich war das Leben mal<br />

ganz schön gewesen. Auch für ihn.<br />

Mit einem Nicken zwängte er sich am Namenlosen vorbei. Ein Obdachloser, der in<br />

diesem Haus quasi auf der Stiege wohnte und von dem lebte, was man ihm im Vorbei-<br />

gehen gab. Ungelenkig stieg Anthony über Jimmy hinweg, den Köter und Begleiter des<br />

Namenlosen. Der Hund stellte eine wahnwitzige Mischung der verschiedensten Hunde-<br />

rassen dar, mit dem Selbstvertrauen eines reinrassigen Champions. <strong>Das</strong> Tier öffnete<br />

nicht mal die Augen, als der Störenfried beinahe über es stolperte und sich nur im<br />

letzten Moment noch am Geländer abfing. „Warum können die nicht einen Stock höher<br />

übernachten“, brummte Anthony gereizt und, wie er hoffte, laut genug, dass der<br />

Namenlose es hörte.<br />

Seine Türe war die Vorletzte am Gang. Ein braunes Stück Holz, von dem der Lack<br />

schon lange abgeblättert war. Ein richtiges Türschild gab es nicht, nur ein Quadrat aus<br />

Pappkarton, auf das er seinen Namen gepinselt hatte: A. Wasner. Ein Provisorium hätte<br />

es sein sollen. Sowohl das Schild als auch die Wohnung an sich. Nur für die Übergangs-<br />

zeit, um sich wieder zu fangen. Irgendwann zwischen dem Einzug vor fünf Jahren und<br />

jetzt hatte er sich damit abgefunden, hängen geblieben zu sein. Er, der als Schriftsteller<br />

einmal so große Hoffnungen gehabt hatte. Mit einem Seufzen sperrte er sich selber auf.<br />

Es gab niemanden, der drinnen wartete.<br />

Als er diese Mietwohnung bezogen hatte, war sein Glaube an eine Zukunft noch un-<br />

gebrochen gewesen. Voll Enthusiasmus hatte er versucht, seinen Alkoholismus zu be-<br />

siegen und wieder zu schreiben, wie in seiner Jugend. Aber in fünf Jahren konnte das<br />

Leben einem verdammt viele Knüppel zwischen die Beine werfen. Seine Zeit war vorbei,<br />

178


daran gab es nichts zu rütteln. Aufgegeben hatte er aber noch nicht. Zumindest nicht<br />

offiziell. Schließlich wollte er niemandem den Triumph gönnen.<br />

Der Übelkeit erregende Geruch nach alten Socken, verdorbenem Fleisch und über-<br />

reifem Obst schlug ihm ins Gesicht. Wenigstens fühlte sich die Phase des Ekels jeden<br />

Tag ein klein wenig kürzer an. Er gewöhnte sich einfach daran. Abgesehen davon: nach<br />

den ersten paar Schlucken Wodka würde er sowieso nichts mehr riechen. <strong>Das</strong><br />

funktionierte eigentlich immer.<br />

Mit dem Fuß stieß er die Türe hinter sich zu und tastete im Dunkeln nach dem<br />

Lichtschalter an der Wand. Der stark beschädigte, an den Kanten abgebrochene Plastik-<br />

knopf knackte bedrohlich, aber schließlich verbreitete eine einzige, nackte, frei an der<br />

Decke baumelnde Glühbirne spärliches Licht im engen Flur. Mehr als ein Schulter-<br />

zucken entlockte ihm das aber nicht, vierzig Watt waren mehr als genug für sein kleines<br />

Königreich. In der Küche, die gleichzeitig als Wohn- und Schlafzimmer diente, stand ein<br />

Leuchter vom Sperrmüll, den er gleich anschaltete. Der war billiger als die Flurlampe. So<br />

hatte er sich das Leben sicher nicht vorgestellt.<br />

Er wischte die Erinnerungen beiseite und überprüfte die Post. Wie immer hatte der<br />

Post-bote den ganzen Stapel einfach unter seiner Türe durchgeschoben. Mit viel<br />

Schwung, dem Verteilungsradius auf dem Boden nach zu schließen. Ein Werbeflyer für<br />

eine neue Pizzakette hatte es sogar bis auf die angrenzende Toilette geschafft. Fluchend<br />

klaubte er die einzelnen Blätter vom Fußboden auf und nahm die Ausbeute in Augen-<br />

schein. Haupt-sächlich buntes Zeugs, wie er verächtlich schnaubend feststellte. Werbung<br />

für die Dinge, die er nicht brauchte und sich auch nicht leisten konnte. Missmutig ging er<br />

jedes einzelne Blatt durch. Ein paar Gewinnspiele, eine neu eröffnete Bar stellte sich vor<br />

und ein dünner Katalog eines Dessous-Versandhauses. Wie die wohl an seine Adresse<br />

gekommen waren? Nicht einmal ein Blatt mit Angeboten vom Lebensmitteldiscounter.<br />

Sonderangebote konnte er immer gut brauchen.<br />

Ganz zuletzt fand er den weißen Umschlag. Der Rest der Post landete in einem acht-<br />

los hingeworfenen Stapel auf dem Tisch, den Brief jedoch betrachtete er genauer.<br />

Namen und Adresse des Absenders waren nicht etwa mit der Hand auf den Umschlag<br />

geschrieben. Nein. Dieser Brief war bedruckt. Professionell. Und natürlich wusste<br />

179


Anthony genau, woher er kam und in wessen Auftrag. <strong>Das</strong> bisschen Papier und Farbe<br />

mochte in seiner Hand nur ein paar Gramm wiegen, bedeutete aber in Wirklichkeit das<br />

Ende seines Lebens. Bald würde er wissen, wie es sich für den Lemming anfühlte, wenn<br />

er auf das Wasser am Fuße der Klippe traf. Wie das wohl war? Vielleicht genauso? Aber<br />

noch konnte er den Brief nicht lesen. <strong>Das</strong> brauchte Vorbereitung. Dafür fehlte ihm das<br />

gewisse Etwas. Und die Nerven. Zumindest, solange er nüchtern war.<br />

Mit zitternden Fingern legte er den Brief oben auf den Stapel mit Post. Die ganze<br />

Aufregung über das nicht ganz so unerwartete Schreiben hatte ihn ganz vergessen lassen,<br />

dass er immer noch seinen Wollmantel trug. Müde und abgeschlagen schälte er sich aus<br />

dem abgewetzten Stoff und hängte das Stück an den alten Kleiderhaken an der Innen-<br />

seite der Türe. <strong>Das</strong> schon viel zu lange nicht mehr geschnittene, nussbraune Haar fiel<br />

ihm dabei über die Stirn in die Augen. Irgendwann musste er wieder zum Friseur.<br />

Nachdenklich betrachtete er sich in dem fast schon blinden Wandspiegel im Gang. Er<br />

mochte sich nicht mehr. Weder innerlich noch äußerlich. Trotzdem verwunderte es ihn<br />

immer noch, einen relativ jungen Mann vor sich zu sehen. Gut, die Bartstoppeln waren<br />

schon deutlich älter als drei Tage und die Frisur hatte längst jede Form verloren.<br />

Dennoch. Bis auf die Falten um seine Augenwinkel herum war seine Haut straff und die<br />

Augen bei Weitem nicht so abgestumpft wie bei jenen Männern um die brennenden<br />

Mülltonnen.<br />

Der makellose, weiße Briefumschlag drängte sich in den Vordergrund seines<br />

Bewusstseins. <strong>Das</strong> blütenreine Papier schien ihn förmlich auszulachen und alles andere<br />

damit zu relativieren. Wen kümmerte es schon, wie er sich hielt an dem dunklen Ort, zu<br />

dem sein Leben geworden war? Am Küchentisch sitzend nahm er schließlich den Um-<br />

schlag erneut in die Hand und drehte ihn mehrmals hin und her. Eine halb volle Flasche<br />

Wodka blinzelte ihn dabei verführerisch an. Die, dachte Anthony, würde bitter not-<br />

wendig sein.<br />

Schmunzelnd nahm er ein halbwegs sauberes Glas, schenkte es voll und stieß mit sich<br />

selber an. In Gedanken versuchte er zu formulieren, was wohl in dem Schreiben stand.<br />

Natürlich wollten sie etwas von ihm, das war immer so.<br />

Der erste Schluck brannte in seiner Kehle. Der Zweite schon weniger und nach dem<br />

180


Dritten war fast gar nichts mehr zu spüren. <strong>Das</strong> war seiner Meinung nach das Einzige,<br />

was in seinem ganzen Leben überhaupt noch funktionierte. Alkohol und dessen<br />

Wirkung auf ihn. Schluck für Schluck senkte sich das angenehme Gefühl der Schwere in<br />

seine Glieder und die Gedanken begannen langsamer zu kreisen. <strong>Das</strong> machte sie um<br />

vieles erträglicher.<br />

Anthony sah sich in seiner kleinen Wohnung um, während er das Glas immer wieder<br />

an seine Lippen führte. Es war nicht schwer, seinen gesamten Besitz zu überblicken und<br />

vom Wert her einzuschätzen.<br />

Da war ein altes Bett, für das er beim Schrotthändler wahrscheinlich noch zahlen<br />

musste, damit er es ihm abnahm. Etwa eine Million Wanzen im Bett, drei oder vier<br />

Flaschen Alkohol, allesamt billiger Fusel und die Kleidung. Aber nur völlig abgetragene<br />

Sachen. Sein letzter Einkauf lag schon ein Weilchen zurück. Der einzig wahre “Besitz“<br />

war der kleine Fernseher in der Ecke. <strong>Das</strong> und die Notizblöcke mit den Ideen die er<br />

ohnehin nie mehr umsetzen würde. Die Wohnung selbst gehörte ihm nicht, sondern<br />

irgendeinem Immobilienhai, der in Downtown ein schickes Büro besaß und seine<br />

kleineren Geschäfte von Schlägertypen in Anzügen erledigen ließ. Üblicherweise wurde<br />

die Miete bar in braunen Umschlägen übergeben. Wahrscheinlich aus steuerlichen<br />

Gründen. Dabei bot die Wohnung nur das absolute Minimum. Eine Wohnküche, ein<br />

Bad und eine Abstellkammer. Mehr gab es nicht.<br />

Er trank noch etwas mehr, prostete den Möbeln zu, um die Einsamkeit nicht spüren<br />

zu müssen. Gegen drei Uhr morgens schlief er ein, verfiel in die Gnade bringende<br />

Dunkelheit des Tiefschlafes. Der Brief blieb ungeöffnet vor ihm liegen.<br />

181


Die Lieder von König und Löwe<br />

"Die Lieder von König und Löwe" erzählt die Geschichte des mächtigen aber<br />

grausamen Königs Gilgamesch, der seiner göttlichen Abstammung wegen weder<br />

Menschen noch Götter fürchtet und sein Volk deswegen brutal unterjocht. Erst als sich<br />

ihm der von Tieren aufgezogene Enkidu entgegenstellt, beginnt der Herrscher über ganz<br />

Uruk zu begreifen, dass seine Königswürde alleine ihn nicht glücklich machen kann und<br />

dass es zwei Mächte gibt, die selbst die größten Herrscher niederringen können: Liebe<br />

und Tod.<br />

Leseprobe:<br />

<strong>Das</strong> Lied vom König mit dem goldenen Gürtel<br />

Die Lieder von König und Löwe<br />

Gay Mythologies & Legends<br />

Als die Götter noch in Fleisch gekleidet durch die Lande wandelten, um sich ihrer<br />

Schönheit zu erfreuen, lebte ein Volk im Herzen der <strong>Welt</strong>, das seine ruhmreiche Stadt<br />

182<br />

von Renée Aislinn<br />

ISBN: 978-3-942539-12-8 Preis: €9,95<br />

Taschbuchformat: 13,5 x 21,5 cm<br />

Weitere Informationen unter:<br />

http://www.fwz-verlag.de<br />

http://www.fwz-edition.de


zwischen den beiden Sonnenbergen erbaut hatte. Die Sonne schien vom Verlassen des<br />

ersten Berges bis zum Eintauchen in den zweiten Berg ohne Unterlass auf die<br />

Lehmbauten und schenkte Wärme und Licht. Einst hatten die Menschen der Stadt kaum<br />

leben können, denn die Sonne war nicht nur Mutter des Lebens, sondern auch<br />

Zerstörerin der Felder.<br />

Es war der Verdienst der ersten Königin, dass die Felder erblühten und mit ihr die<br />

Stadt und die Kultur in ihr, denn die edle Frau beriet sich mit ihrer Ahnsherin Ischtar<br />

und ließ Kanäle in die Erde graben, die Wasser aus den fernen Quellen speisten. Die<br />

Felder gediehen und brachten mehr Ertrag, als zwei Städte ihrer Größe hätten essen<br />

können. So wuchs nicht nur das Korn, sondern auch der Handel der ruhmvollen Stadt,<br />

bis Händler aus allen Himmelsrichtungen gezogen kamen, um ihre Waren anzupreisen.<br />

Da nun aber so viel Korn zu essen und so wenig Arbeit zu verrichten war, befahl die<br />

Tochter der ersten Königin, jenen, die nichts zu tun wussten und sich dem Trinken und<br />

Spielen hingaben, Ziegel zu brennen und Metalle zu schmieden. Noch ehe die vierte<br />

Königin einem Sohn das Leben schenkte, hatte sich ihre herrliche Stadt einen Namen als<br />

Ursprung aller schönen Künste gemacht. Nur wenige Generationen später gab es kein<br />

Königshaus in der <strong>Welt</strong>, das nicht den herrlichen Schmuck aus Ischtars Stadt trug oder<br />

aus ihren Bechern trank.<br />

In diese Stadt wurde ein Junge geboren, dessen Mutter von solch erhabener<br />

Schönheit gewesen war, dass selbst ein Gott seinen Blick nicht hatte, von ihr nehmen<br />

können und sich zu ihr gelegt hatte. Der Junge war nun aber ein Wesen aus<br />

menschlichem Fleisch und göttlichem Blut und wusste seine Kräfte nicht zu nutzen.<br />

Immer wieder zerbrach er die Schilde, die man ihm zum Tragen reichte. Einmal stürzte<br />

eine Statue der Gottheit und zerbrach in dreiundvierzig Stücke, weil der wütende Knabe<br />

ungehalten gegen ihren Sockel getreten hatte. Viele erschreckende Geschichten erzählte<br />

man sich in der großen Stadt und warf verstohlene Blicke auf das beinahe göttliche<br />

Kind, wenn es im Schatten eines Fächers durch die Straßen und Gassen ging. Der Knabe<br />

aber fürchtete sich vor ihren Blicken nicht, denn er wusste, dass er zum Teil göttlich war,<br />

und empfing die Huldigungen der einfachen Leute mit Stolz. Auch zum Mann<br />

herangewachsen liebte er seine Stellung und genoss die Spaziergänge durch die Gassen<br />

183


und Straßen.<br />

Da er seine göttliche Herkunft jedoch nicht zeigen konnte, legte er um so mehr Wert<br />

auf seinen königlichen Status. Jedes seiner Gewänder war aus den kostbarsten Stoffen<br />

der Stadt gefertigt, und ihr Saum glänzte der Silberfäden wegen in der Sonne. Einen<br />

kunstvolleren Gürtel als den seinen hatte die <strong>Welt</strong> nie zuvor gesehen. Zwei Löwen<br />

warfen sich darauf mit einem vergöttlichten Stier in den Kampf. <strong>Das</strong> Gold ihrer Leiber<br />

blitzte bei jedem Schritt auf. An seiner Stirn trug der junge König einen Reif aus Silber<br />

und schwarzen Steinen, die im Gewirr seiner schwarzen Locken kaum zu erkennen<br />

waren. Sie glichen seinen Augen, die selbstgefällig um sich blickten und nie lange auf nur<br />

einer Stelle ruhten. Sein Gewand reichte beinahe bis zu seinen Sandalen. Er musste ja<br />

nicht im Schweiße seines Angesichtes im Staub knien, um die Teller zu fertigen, aus<br />

denen er aß, oder die Felder bestellen, deren Ertrag er zuerst für sich beanspruchte.<br />

Seine Tage aber glichen einander auf gar langweilige Weise.<br />

Die Söhne des Händlers Miruk hockten über große Tongefäße gebeugt und banden<br />

graues Leinen über ihre Öffnungen, um sie dann mit feuchtem Lehm zu verschließen.<br />

Der Händler vor seinem weiß gestrichenen Haus ritzte das Zeichen für Korn in den<br />

Lehm und wischte sich den Schweiß vom Gesicht. Mehrere Mädchen liefen laut<br />

schnaufend an ihm vorbei und trieben ihre hübschen Zicklein zum nächsten Brunnen,<br />

um sie dort zu tränken. Mehrere halbnackte Männer stählten ihre tiefschwarzen Leiber,<br />

indem sie schwere Balken zu der Baustelle am anderen Ende der Stadt trugen. Es war<br />

ein Tag, an dem die Sonne ihren Zorn gegen die Menschen warf. Ein Sklave hob und<br />

senkte eine Stange, an der viele Plättchen aus Silber angebracht waren. Die Luft, die er<br />

seinem Herren zu fächerte, war, jedoch nicht minder heiß. Eine Dattel zwischen den<br />

Fingern betrachtete dieser die Ankunft der Sklavenhändler. Die Ware war gut, das<br />

erkannte er mit nur einem Blick und kümmerte sich nicht weiter darum. Der Herr von<br />

allem war zu selbstgefällig. Mehr noch als jeder andere trug er seinen Namen mit<br />

übertriebenem Stolz. Halb Mensch noch und doch schon halb Gott fürchtete und<br />

achtete man ihn gleichermaßen. Er war König über alles Leben in Ischtars glorreicher<br />

Stadt. Ihm gehörte selbst die kleinste Schabe. Er war der Mann der Legende, er war<br />

Gilgamesch.<br />

184


<strong>Das</strong> Lied vom Löwen, der seine Mähne verlor.<br />

Weit außerhalb der Stadt jagte und lebte ein Rudel von mächtigen Löwen und<br />

versetzte so manchen Hirten in Angst und Schrecken. Einer dieser Löwen hatte einst<br />

einen Namen besessen, ihn aber verloren, da seine liebevollen Eltern und Geschwister<br />

niemals ein Wort mit ihm sprachen. Den zum Mann herangereiften Löwen hatte dies nie<br />

gestört, denn er hatte sich mit seinem Schicksal abgefunden, und ein Löwe wünscht nach<br />

keinem anderen Leben als dem in der Steppe. Unter seinesgleichen tollte und spielte er<br />

ebenso, wie er jagte oder sein Rudel verteidigte. Er kannte weder die Namen der Tage<br />

noch der Monate, und so zogen unzählige Jahre ins Land, ohne dass er sich dessen<br />

bewusst gewesen wäre. Er hätte sein Leben ewig so gefristet, hätte es einer Gottheit<br />

nicht gefallen, eine Dirne über den Weg gehen zu lassen, auf dem er sich just zum<br />

Ausruhen hingelegt hatte.<br />

Er schaute sie an und zum ersten Mal in seinem Leben verspürte er das Verlangen<br />

nach einem anderen Menschen. Haut und nicht Fell wollte er mit seinen Armen<br />

umfangen und an sich reißen, nicht zum Erproben seiner Kraft, sondern für ein gänzlich<br />

neues Spiel, in dem er noch unerfahren war. Die schwarze Schönheit mit ihrem Haar so<br />

glänzend wie herabfließendes Öl beugte sich über ihn und streckte eine Hand nach ihm<br />

aus. Als sie seine Stirn berührte, ergriff er ihr Gelenk und zog es zu seinen Lippen. Er<br />

roch daran und wusste, dass er nie etwas von größerem Wert eingesogen hatte. Er zog<br />

sie näher zu sich und vergrub seine Hände in ihrem Haar. An den unzähligen Wellen<br />

fand er große Freude. Sie aber beugte sich zu ihm und küsste ihn auf die Lippen, eine<br />

Tat, völlig unbekannt in dem Rudel seiner Löwen. Er wandte sich zur Seite, schaute über<br />

die Hügel hinweg und suchte nach seinen Geschwistern. Von ihnen war nichts mehr zu<br />

sehen. Er hätte sie suchen müssen und folgte doch der Gestalt, die ihm so fremd war<br />

und ihm dennoch mehr glich als all jene, die er liebte.<br />

Sieben Tage und sieben Nähte lang lehrte ihm die Dirne ein Mann zu sein. Sie wusch<br />

ihm den Schmutz aus dem Haar, reinigte seine Zähne, bis sie den Perlen an ihrer Kette<br />

glichen, rasierte seinen Leib und lehrte ihn die Taten eines Mannes. Enkidu war ein<br />

185


wissbegieriger Schüler und prägte sich aus Loyalität jedes ihrer Worte ein, sodass er nach<br />

einer Woche ihre Sprache verstand und auch eine Vielzahl der Konzepte, die mit ihr<br />

einhergingen. Jeden Morgen erwachte er und schlich sich leise aus dem Haus, denn seine<br />

Herrin wachte lange und verschlief meist das Morgengrauen. Er aber war in seinem<br />

Herzen immer noch ein Löwe und kletterte auf das Haus, um über die Dächer hinweg<br />

zur Weite fern jeder menschlichen Hand zu schauen.<br />

Die Gönner der herrlich schwarzen Schönheit betrachteten Enkidu stets voll Neid,<br />

wenn sie in ihre Kammer schlichen, um von ihr zu kaufen, was sie in unendlichem Maße<br />

besaß. Sie grämten sich, weil er umsonst erhielt, wofür sie so teuer zahlen mussten. Und<br />

doch genossen sie den Moment, wenn sie mit roten Wangen und schwerem Atem aus<br />

ihrer Kammer wiederkehrten und dem schönen Fremden begegneten. Er mochte keinen<br />

Preis für das bezahlen, was unbezahlbar war, aber die gottgleiche Schwarze würde ihnen<br />

immer den Vorzug vor ihm geben. Alleine dafür waren sie bereit, den hohen Preis zu<br />

entrichten. Enkidu aber kannte kein Gefühl der Eifersucht, denn auch unter den seinen<br />

hatte er nie einen Grund dafür gehabt. Es war ihm so fremd, wie dem Gewürm die<br />

Weiten des Himmels fremd waren.<br />

„Enkidu, komm herunter! Du sollst doch nicht auf mich warten!“<br />

„Nein, Herrin.“<br />

Der blonde Löwe kletterte geschickt von dem Dach und beugte sich vor seiner<br />

Herrin in den Staub, um ihre Sandalen zu lösen.<br />

„Enkidu“, seufzte die Schönheit mit ihren Augen auf die seinen gerichtet, „habe ich<br />

dir nicht beigebracht, dass du nicht vor mir knien sollst? Wir wollen als Mann und Frau<br />

stets aufrecht nebeneinander gehen.“<br />

„Ja, Herrin.“<br />

Mit einem Lächeln reichte sie ihm die schwere Last in ihren Armen und marschierte<br />

durch die Tür ins Innere ihres Hauses. Sie legte das kostbare Kleid ab, das ihr treuer<br />

Diener nie zuvor an ihr gesehen hatte, und wusch sich in einem Kessel die Hände und<br />

das Gesicht. Enkidu betrachtete ihren makellosen Körper und ihre vollen Brüste. Er<br />

verstand inzwischen, was das Wort Schönheit bedeutete, und fühlte immerzu ein<br />

unstillbares Verlangen nach ihr. Seine Herrin gestattete ihm jedoch nicht, sie zu<br />

186


erühren, wenn sie von ihren Kunden besucht worden oder sie zu ihnen gegangen war.<br />

Sie befestigte den leichten Stoff ihres alten Kleides mit einer Fibel und band ein grünes<br />

Tuch um ihre Hüften. Dann aber schlüpfte sie in hölzerne Pantoffeln und gab ihm ein<br />

Zeichen, ihr zu folgen. Zusammen verließen sie das kleine Haus und marschierten die<br />

staubige Straße entlang zu dem weißen Häuschen, in dem der Händler Miruk lebte. Die<br />

Mädchen davor klagten ach und weh und wussten ihre Tränen nicht zu trockenen.<br />

Enkidu befiel Mitleid und er wollte sie an den Schultern fassen. Seine Herrin aber rief<br />

ihn zurück, und er gehorchte.<br />

„Was ist mit ihnen geschehen? Ich konnte keine Wunde an ihren Körpern sehen.<br />

Welches Leid hat man ihnen angetan?“, fragte er mitfühlend, als er wieder an der Seite<br />

seiner schwarzen Herrin schritt.<br />

„Ihre älteste Schwester heiratet morgen und musste deswegen schon heute einen<br />

Boten des Königs ins Haus lassen.“<br />

„Schmerzt sie dies so sehr?“<br />

„Es ist eine Frage der Ehre, mein Enkidu. Die Schuld an ihrem Leid trägt der<br />

zügellose König, der so stark wie selbst-herrlich ist. Er ist ein Tyrann, der jedes Mädchen<br />

für sich beansprucht“, erklärte die Schöne ohne Namen.<br />

„Beansprucht?“, wiederholte der junge Mann und blickte sie verwirrt an.<br />

„Dieses Wort habe ich dich noch nicht gelehrt, junger Löwe.“ Sie lachte und ergriff<br />

sein Kinn, um es etwas zu heben. „Wie unschuldig deine Augen sind! Du kennst noch<br />

immer weder Schuld noch Boshaftigkeit. Ich will dir von den Missetaten dieses Mannes<br />

erzählen, der sich König schimpft und sich, wie ein Dämon verhält. Frauen und Männer,<br />

wie du weißt, legen sich nicht nur zum Vergnügen zueinander. Sie zeugen Kinder<br />

zusammen, damit ihr Blut weiterlebt.“<br />

Enkidu nickte und strich sein goldenes Haar zurück. Auch die Löwen legten sich<br />

zueinander, weil sie sich fortpflanzen wollten. Sein Blut schoss bei dem Gedanken, sich<br />

nun ebenfalls fortpflanzen zu können, in seine Wangen. Er spürte allerdings auch das<br />

Vergnügen, einfach nur an der Seite seiner Herrin zu liegen und ihr beim Atmen<br />

zuzusehen.<br />

„Kinder aber zeugt man erst, wenn man verheiratet ist. Verstehst du dieses Konzept?<br />

187


Man verbindet sich durch ein Versprechen, damit die Kinder versorgt sind und sicher<br />

aufwachsen können.“<br />

Enkidu verstand ihre Worte. Sie waren klar in seinem Kopf und brachten ihn erneut<br />

zum Lächeln. Die dunkle Schönheit mit ihren schwarzen Augen deutete sein Verhalten<br />

richtig und fuhr mit samtener Stimme fort: „Dieser König aber, der weder Anstand noch<br />

Gerechtigkeit kennt, der nimmt sich heraus, mit jedem Mädchen zu schlafen. Er kommt<br />

in der Nacht, die dem Brautpaar zustünde, und entweiht den Körper der Braut!“<br />

Enkidu lauschte ihren Worten, aber er verstand die unterdrückte Wut nicht, die er in<br />

der Stimme seiner Herrin vernehmen konnte. Erkämpfte sich nicht auch unter den<br />

Löwen nur der Stärkste das Recht der Vaterschaft? Er verstand nicht, wieso es die<br />

Menschen verletzte.<br />

„Wünscht meine Herrin, dass ich ihn im Kampf besiege, damit er in die Wüste zieht<br />

und ein anderes Rudel sucht?“ Die schöne Dirne in ihrem Schleier lachte und hob eine<br />

Hand vor den Mund, damit ihre perlweißen Zähne nicht zu sehen waren. Sie beugte sich<br />

zu ihrem Löwen und hauchte einen Kuss auf seine Wange. Dies war ihre Antwort, und<br />

Enkidu verstand sie und nickte. Er würde den König zum Kampf fordern, der so viel<br />

Leid über die Frauen der Stadt gebracht hatte.<br />

188


Kavaliersdelikt - Liebe ist universell<br />

Leandro ist Keyborder in einer regional bekannten Boyband. Nach einer Probe trifft<br />

er auf Henny, ein Mädchen aus dem Kunstkurs. Sie fasziniert und verblüfft ihn, denn sie<br />

ist so ganz anders, als alle Mädchen mit denen er bisher zusammen war.<br />

Was er nicht ahnt: Henny ist die Abkürzung für Hendrik und dieser kann sein Glück<br />

gar nicht fassen, dass sein heimlicher Schwarm ihn tatsächlich angesprochen hat. Auch<br />

wenn es nur von begrenzter Dauer sein wird ...<br />

Leseprobe:<br />

„Klasse! Genau so machen wir es!“<br />

Kavaliersdelikt - Liebe ist universell<br />

1 Leandros Entdeckung<br />

Nils, der Sänger der Boyband „Chevaliers of Chaos“ klatschte begeistert in die<br />

189<br />

Gay Romance<br />

von Chris P. Rolls<br />

ISBN: 978-3-942539-14-2 Preis: €12,95<br />

Seiten: 160 Taschbuchformat: 17 x 22 cm<br />

Weitere Informationen unter:<br />

http://www.fwz-verlag.de<br />

http://www.fwz-edition.de


Hände und schlug seinem Kumpel Leandro kräftig auf die Schulter.<br />

„<strong>Das</strong> wird der absolute Erfolg werden. Wirst schon sehen, die Girls werden uns in<br />

Scharen nachrennen“, meinte er lachend und erntete allgemeine Zustimmung.<br />

Keyboarder Leandro grinste zurück und ließ seine Finger noch einmal spielerisch über<br />

sein Keyboard gleiten.<br />

„Ihr werdet immer besser, Jungs. Lasst es euch nur nicht zu Kopf steigen. Ruhm ist<br />

vergänglich.“ Michael Grundt, der junge Musikstudent, unter dessen Aufsicht die Band<br />

im Musikraum der Fachschule üben durfte, nickte anerkennend.<br />

ab.<br />

Gemeinsam verließen er und die vier Jungen den Raum und er schloss hinter ihnen<br />

„Beim Contest müsst ihr alles geben“, gab er ihnen augenzwinkernd mit auf den<br />

Weg. „Dann wird es schon klappen mit der Karriere, den schnellen Autos und … den<br />

heißen Mädchen.“ Verschwörerisch tippte er sich an die Nase. „Vielleicht lasst ihr mir<br />

eine übrig?“ Lachend verabschiedeten sie sich von ihm.<br />

„Pass ja gut auf deine Stimme auf“, ermahnte Leandro Nils, der zustimmend<br />

brummte, bevor er hastig losstürzte. Sein Bus fuhr in wenigen Minuten und er würde<br />

sich beeilen müssen, ihn noch zu erreichen.<br />

„Bis dann“, verabschiedete sich Leandro von den anderen Band-mitgliedern Maik<br />

und Carsten, die es kaum weniger eilig hatten. Er selbst hingegen hatte noch reichlich<br />

Zeit, denn seine Bahn in den Vorort Hamburgs fuhr nur jede Stunde und eine hatte er<br />

ohnehin schon verpasst.<br />

Zufrieden mit sich und ihrer Band schlenderte er den Gang entlang.<br />

Die Probe war ein voller Erfolg gewesen und er sah dem kommenden Wettbewerb<br />

zuversichtlich entgegen. Ihre Band genoss an ihrer Schule einen sehr guten Ruf und sie<br />

spielten oft auf Events rund um Hamburg. Der Band-Contest der Schulen war ein<br />

weiterer Schritt und sie würden ihn mit ihrem neuen Song bestimmt gewinnen können.<br />

Der Preis war eine professionell aufgenommene Demo und danach stand ihrer steilen<br />

Karriere im Prinzip nichts mehr im Wege.<br />

Auf den Gängen herrschte hektische Aufbruchstimmung. Neben Musikkursen gab<br />

es an der Fachschule auch Mal- und Töpferkurse, die sich großer Beliebtheit erfreuten.<br />

190


Leandros Blick glitt über die anderen Jungen und Mädchen, die mit<br />

Musikinstrumenten oder Zeichenutensilien bepackt hinauseilten. Der Geruch von<br />

Ölfarbe lag schwer in der Luft und er warf einen eher zufälligen Blick in den Raum der<br />

Kunstgruppe. Ein halbfertiges Gemälde fiel ihm ins Auge und er stockte im Schritt.<br />

Was war das denn?<br />

Soweit er wusste, fand in diesem Raum zur selben Zeit ihrer Proben ein<br />

Acrylmalkurs statt. Die fertigen Bilder dieser Kurse wurden oft im Flur ausgestellt,<br />

allerdings hatte er ihnen nie besondere Aufmerksamkeit geschenkt.<br />

Bis heute.<br />

<strong>Das</strong> Bild, welches seinen Blick angezogen hatte, war absolut ungewöhnlich. Er<br />

spähte von der offenen Tür aus neugierig auf die Staffelei.<br />

Wow. <strong>Das</strong> war wirklich etwas Besonderes.<br />

Auf der großen Leinwand entstand das Bild eines nackten Mannes, der schlafend<br />

auf einem Sofa ruhte. Er lag auf dem Bauch, ein Arm nach vorne gestreckt, einer hing<br />

herunter, die Hand schlaff auf dem angedeuteten Teppichboden. Sein Gesicht war<br />

bereits fertig gemalt und trug einen erschöpften und dennoch zufriedenen Ausdruck.<br />

Dichte, schwarze Haare umrahmten das dunkelhäutige Gesicht mit dem Anflug von<br />

feinen Bartstoppeln. <strong>Das</strong> Antlitz wirkte echt, einem Foto erstaunlich nahe. Aber vor<br />

allem den Körper hatte der Maler gut getroffen. Jeder einzelne Muskel sah derartig<br />

plastisch aus, als ob man ihn tatsächlich anfassen könnte. Leandro konnte sich gut<br />

vorstellen, dass der schlafende Mann gleich die Augen aufschlagen würde, so unglaublich<br />

realistisch wirkte das Bild.<br />

Der junge Künstler, der noch immer an dem Bild arbeitete, war ganz in sein<br />

Gemälde vertieft und bemerkte offenbar nicht, dass ihm jemand dabei zusah.<br />

Neugierig trat Leandro in den Raum und ging auf den schwer beschäftigten Jungen<br />

zu. Er musterte ihn von hinten genauer, als er sich näherte. Ein schlaksig wirkender<br />

Körper mit langen Armen und Beinen. Die hellbraunen, sehr lockigen Haare waren im<br />

Nacken nachlässig mit einem kitschigen, rosasilbernen Haargummi zu einem winzigen<br />

Zöpfchen gebunden. Allerdings waren die Haare dafür zu kurz, sodass sie sich in kurzen,<br />

gekringelten Locken seitwärts herausgewunden hatten und bei jeder Bewegung munter<br />

191


tanzten.<br />

Leandro stutze und lächelte befriedigt. Der vermeintliche Maler war wohl vielmehr<br />

eine Malerin, bemerkte er versonnen und musterte sie von hinten.<br />

Die Figur war bei genauerem Hinsehen eher mädchenhaft und auch nicht sehr groß.<br />

In ihren Ohrläppchen glitzerten kleine grüne Ohrringe. Ihr langer Hals verlockte seine<br />

Finger, darüber zu streichen, die weiche Haut zu liebkosen, ihr diese schönen braunen<br />

Haare zurückzustreichen.<br />

Sie trug eine enge Bluejeans, die ihre langen Beine betonte. Zu Leandros Bedauern<br />

verdeckte ein weites, burschikos wirkendes, kariertes Hemd ihre restliche Figur. Schlanke<br />

Finger hielten den Pinsel.<br />

<strong>Das</strong> Mädchen war augenscheinlich ganz auf seine Arbeit konzentriert, denn sie<br />

bemerkte ihn nicht, selbst als er direkt hinter sie trat. Sie fügte gerade winzige<br />

Korrekturen an einem der kräftigen Beine ihres Motivs ein.<br />

Eindeutig ein Mädchen, mit dieser schmalen Taille und vor allem dem lustigen<br />

Zopfgummi, schloss Leandro erfreut. Er schätzte sie etwas jünger als sich selbst ein.<br />

Vielleicht um die fünfzehn oder sechzehn.<br />

Er staunte nicht schlecht über ihr Motiv. Wieso sie es wohl gewählt hatte? Einem<br />

Mädchen in ihrem Alter hätte er eher das Bild eines bekannten Schauspielers oder<br />

berühmten Musikers zugetraut. Oder ein kitschiges Engelsbild. Dieses Bild hier<br />

hingegen hatte sogar eine gewisse erotische Ausstrahlung, der er sich erstaunlicherweise<br />

auch nicht entziehen konnte und passte irgendwie nicht ganz, fand er. Andererseits war<br />

es faszinierend, dass sie einen Männerkörper derart detailliert darstellen konnte. Soweit<br />

er sehen konnte, malte sie nicht einmal nach einer Vorlage.<br />

Sie waren ganz alleine in dem Raum, denn eigentlich waren alle Kurse bereits vor<br />

fünfzehn Minuten zu Ende gegangen. Sie schien sich hingegen nicht daran zu stören.<br />

Um das Mädchen nicht zu erschrecken, das noch immer völlig versunken in seine<br />

Arbeit war, räusperte sich Leandro leise und trat seitlich an sie heran. Dennoch fuhr sie<br />

erschrocken zusammen, drehte sich hastig zu ihm um und erstarrte. Sie riss ihre Augen<br />

überrascht auf, öffnete ganz leicht den Mund und sog keuchend die Luft ein.<br />

Oh je, ich habe sie wohl gerade ziemlich erschreckt. Leandro lächelte verlegen.<br />

192


Sie schaute ihn so bestürzt an wie einen Geist. Bildhübsche grüne Augen unter<br />

langen Wimpern musterten ihn verblüfft.<br />

Leandro starrte zurück, konnte sich sekundenlang nicht von dem faszinierenden<br />

Gesicht lösen. Sie war vielleicht keine klassische Schönheit, hatte eher etwas herbes in<br />

ihren jugendlichen Zügen. Ja, man hätte sie durchaus auch für einen Jungen halten<br />

können, wären da nicht die tollen Haare und die zu vollen Lippen gewesen. Ihre großen,<br />

wunderschönen Augen lösten in Leandro in jedem Fall ein unglaublich erregendes<br />

Prickeln aus und das passierte ihm ganz gewiss nicht bei einem Jungen.<br />

„Was schleichst du dich denn hier so an?“, blaffte sie ihn schließlich mit erschrocken<br />

klingender Stimme an. Diese war weniger hell, als Leandro erwartet hatte, passte jedoch<br />

absolut zu ihrem burschikosen Aussehen.<br />

Leandro stutzte dennoch, zweifelte noch einen winzigen Moment.<br />

Nein, er war sich sicher. Dies war definitiv ein Mädchen. Solche Augen mit so langen<br />

Wimpern konnte nur ein Mädchen haben. Zudem diese niedliche Stupsnase und ihre<br />

weichen Lippen. Da wollte man sie sofort küssen. Und welcher Junge würde sich die<br />

Haare schon mit einem derartig kitschigen Haargummi zum Zopf binden? Zudem hatte<br />

sie diese kleinen, grünen und funkelnden Ohrringe. Nein, befand er, sie war vor allem<br />

einfach viel zu süß, um ein Junge zu sein.<br />

„Entschuldige, ich wollte dich nicht erschrecken“, brachte Leandro zerknirscht<br />

hervor, konnte allerdings - verflucht noch einmal - nicht den Blick von ihren Augen<br />

lassen.<br />

Wow, so toll. Tiefgrün und nach außen hin heller werdend. <strong>Das</strong> war mit Abstand das<br />

faszinierendste Mädchen, welches er seit Langem gesehen hatte.<br />

„Habe ich da etwa was im Gesicht?“, fragte sie ihn überrascht, als er sie unentwegt<br />

anstarrte. Vorsichtshalber wischte sie sich mit dem Ärmel ihres zu großen,<br />

farbverschmierten Hemdes über die Wange.<br />

„Äh, nein. Entschuldige!“, antwortete Leandro schuldbewusst und löste endlich<br />

mühsam den Blick von ihren Augen und den geschwungenen Wimpern.<br />

Unsicher irrte sein Blick umher und er war um weitere Worte verlegen. So etwas<br />

passierte ihm höchst selten. Er war zwar kein echter Draufgänger oder Aufreißer,<br />

193


trotzdem fiel ihm sonst immer ein guter Spruch ein. Heute klappte es irgendwie nicht.<br />

„Wow, total toll!“, stieß er schließlich hervor und nickte zu dem Bild hin. „Ein echt<br />

perfekter Männerkörper. Hast du genial hingekriegt.“ <strong>Das</strong> Mädchen blickte ihn äußerst<br />

misstrauisch an und er beeilte sich hinzuzufügen: „Echt! Ich finde es total gut gelungen.<br />

Sehr plastisch. Man sieht alles, kann es fasst anfassen, so echt wirkt es.“<br />

Noch immer ruhte ihr Blick abschätzend auf ihm, als ob sie sich fragte, ob er sie nur<br />

veralbern wollte. Oder als ob sie nicht recht fassen könnte, dass er mit ihr redete. Sie war<br />

gewiss nicht der Typ Mädchen, den jeder Junge sofort wahrnehmen würde.<br />

Andererseits ...<br />

„Hat dir dafür etwa jemand Modell gestanden oder malst du nach Fotovorlage?“,<br />

fragte Leandro neugierig nach, wagte es abermals sie genauer anzusehen.<br />

Nun, ein echtes Mauerblümchen war sie aber auch nicht. Nur eben keine auffällige<br />

Schönheit.<br />

Wie niedlich: Sie hat kleine Grübchen direkt neben ihrem schönen Mund und ein paar<br />

Sommersprossen auf der Nase. Mann, die Kleine ist ja echt total süß. Da würde ich auch gerne mal<br />

Modell stehen. Ganz privat natürlich.<br />

Verlegen wandte er den Blick von ihr ab, denn seine ungebührlichen Gedanken<br />

sandten heiße Schauer über seine Wirbelsäule. Und tiefer.<br />

Sie schien über seine Worte ein wenig nachdenken zu müssen und belustigt bemerkte<br />

er, dass sie bei dem Kompliment tatsächlich rot anlief.<br />

„Nein! Dafür hat mir keiner Modell stehen müssen“, gab sie zögernd zu, wirkte nun<br />

plötzlich recht verlegen, als sie sich umdrehte und ihren Pinsel auswusch, den sie noch<br />

immer in der Hand gehalten hatte. „Und ich brauche kein Foto dafür.“<br />

Der Geruch der frischen Farbe drang in Leandros Nase und er nutzte die<br />

Gelegenheit, um das Mädchen nochmal ungestraft eingehend zu mustern.<br />

„Dann scheinst du auf jeden Fall eine große Fantasie zu haben“, fuhr er<br />

bewundernd fort. „Klasse Leistung, einen solchen Körper nur aus der Vorstellung zu<br />

zeichnen, ohne jede Vorlage. Ich meine, das ist ja nicht selbstverständlich. Da muss man<br />

ja zumindest … anatomische Kenntnisse haben.“ Er stockte und lachte auf. „Also für<br />

ein Mädchen ist das schon toll.“<br />

194


Ruckartig drehte sie sich zu ihm um und starrte ihn mit gerunzelter Stirn an.<br />

Leandro schluckte, lächelte sie jedoch nur weiterhin freundlich an.<br />

„Also nicht, dass ich es dir nicht zutrauen würde ...“, ergänzte er unsicher und rang<br />

nach weiteren Worten.<br />

Er wollte nicht wie ein Macho erscheinen, der Mädchen nichts zutraute. Aber genau<br />

so hatten seine Worte wohl geklungen.<br />

Sie wirkte nunmehr eher irritiert, starrte ihn extrem misstrauisch und abweisend an.<br />

Vertrug sie etwa keine Komplimente? Oder war er ihr womöglich sogar<br />

unsympathisch? Aber verflixt nochmal, sie war echt total knuffig, absolut sein Typ. Er<br />

musste sie auf jeden Fall näher kennenlernen.<br />

Los frag sie schon, ermahnte er sich. So eine Gelegenheit bietet sich dir nicht jeden Tag. <strong>Das</strong> ist<br />

was anderes als diese aufdringlichen Mädchen bei den Konzerten, die dich offen ansabbern.<br />

Leandro gab sich einen Ruck.<br />

„Äh, wie heißt du denn?“, fragte er ein wenig unbeholfen nach. Normalerweise war<br />

er Mädchen gegenüber nicht schüchtern. Er traf allerdings auch selten auf eines, welches<br />

ihn derart faszinierte, wie diese Malerin hier.<br />

Sie war etwas kleiner als er. Genau die richtige Größe, um sie gut zu küssen und im<br />

Arm zu halten, dachte er schmunzelnd, sah sich einen Moment lang tatsächlich schon<br />

mit ihr Händchen haltend spazieren gehen.<br />

Ein wenig schüchtern schien sie hingegen zu sein, denn sie musterte ihn noch immer<br />

eher ablehnend.<br />

„Ich bin auf jeden Fall Leandro“, stellte er sich daher erst einmal mutig vor und<br />

reichte ihr seine Hand. Beinahe automatisch ergriff sie diese und drückte sie erstaunlich<br />

fest.<br />

„Hen … ny“, antwortete sie zögernd und fügte hastiger hinzu: „So nennen mich<br />

meine Freunde. Henny.“<br />

„Hallo, Henny. Schön dich kennenzulernen“, meinte Leandro erfreut.<br />

Habe ich gerade richtig gehört? Also habe ich durchaus Chancen ihr Freund zu werden, wenn ich<br />

sie schon mit ihrem Kosenamen ansprechen darf? Prima, das lief doch gut. Vermutlich hieß sie<br />

195


eigentlich Henriette oder Hendrike. Aber Henny passte gut zu ihr.<br />

„Ist ein sehr schöner Name. So wie … du“, probierte er mutiger das nächste<br />

Kompliment aus. Seine Wangen brannten ein wenig und er lächelte sie einfach direkt an.<br />

Augenblicklich ließ sie seine Hand los, starrte ihn groß an. Leandro biss sich<br />

verschämt auf die Lippe.<br />

War er etwa gleich zu weit gegangen? Aber sie war wirklich anders als andere<br />

Mädchen. Sie gefiel ihm ausnehmend gut, da konnte er ruhig ein bisschen flirten.<br />

„Was?“, fragte sie überrascht nach, tat, als ob sie sich verhört hätte. Ihre halblangen<br />

Haare hatten sich jetzt fast alle aus dem Zopf gelöst und umrahmten in lustigen Locken<br />

ihr schmales Gesicht.<br />

„Henny“, wiederholte Leandro noch einmal etwas verlegener.<br />

„Der Name passt zu dir. Ist irgendwie ...“, er zögerte, gab sich abermals einen Ruck<br />

und lächelte, „niedlich eben.“<br />

<strong>Das</strong> bist du. Einfach echt eine Augenweide, dachte er sehnsüchtig. Oh Mann, ich habe mich<br />

noch nie verknallt, aber bei ihr hat gerade definitiv der berühmte Blitz eingeschlagen.<br />

Ihre Augen wurden noch größer und insgeheim amüsierte sich Leandro darüber,<br />

dass sie es offenbar gar nicht gewöhnt war, dass jemand mit ihr flirtete. Ein deutlich<br />

rosafarbener Schimmer überzog mittlerweile ihre Wangen und ihr Atem hatte sich<br />

unmerklich beschleunigt. Hastig wandte sie sich ab, wusch wortlos ihre restlichen Pinsel<br />

aus und verschloss ihre Malfarben.<br />

„Du machst diesen Kunstkurs hier mit?“, erkundigte sich Leandro völlig<br />

überflüssigerweise, nur um überhaupt etwas zu sagen, als sich das Schweigen zwischen<br />

ihnen langsam unangenehm ausbreitete.<br />

„Ja“, antwortete sie einsilbig ohne ihr Tun zu unterbrechen.<br />

„Ich habe dich vorher noch nie hier gesehen“, stellte Leandro fest, ohne den Blick<br />

von ihr zu lassen. Die schmal geschnittene Hose zeigte ihm ihre schlanken langen Beine.<br />

Gerne hätte er ein wenig mehr von ihr gesehen. <strong>Das</strong> Malerhemd verbarg einfach zu viel<br />

von ihrem Oberkörper. Nicht dass er prinzipiell auf gewaltige Oberweiten stand, nur bei<br />

ihr konnte er rein gar nichts erkennen. <strong>Das</strong> war schade.<br />

Verzückt starrte er auf das halb herausgerutschte Haargummi. Leandro war echt<br />

196


versucht, ihr diese letzten frechen Locken aus dem Zopf zu lösen, der sich nun<br />

unweigerlich immer weiter lockerte. Ihr Nacken zog seine zuckende Hand<br />

unwiderstehlich an.<br />

Mann, wieso ist sie mir bloß noch nie vorher aufgefallen? So eine süße Zuckerpuppe. Seine Hand<br />

zuckte stärker und wollte sich ungefragt erheben. Genau in dem Moment drehte sie sich<br />

zu ihm um, zum Glück, ehe seine Hand von alleine Dummheiten machen konnte.<br />

„Ich bin ja auch erst seit letzter Woche dabei“, erklärte sie ein wenig schroff, ging an<br />

ihm vorbei und verstaute die Malutensilien in einem Schrank.<br />

Leandro folgte ihr einfach. Vielleicht war sie wirklich nur schüchtern und deswegen<br />

kurz angebunden. Er musste nur dran bleiben, dann würde er sie schon knacken können.<br />

Sonst musste er sich eher der aufdringlichen Mädchen erwehren und wusste oft genug<br />

nicht recht, was mit ihnen anzufangen.<br />

„Macht es dir denn Spaß?“, fiel ihm als Fortführung des einseitigen Gesprächs ein.<br />

Verflixt, irgendwie muss ich doch mit ihr ins Gespräch kommen. Eine solche Gelegenheit will ich<br />

mir einfach nicht entgehen lassen.<br />

„Ja“, antwortete sie erneut einsilbig. Innerlich seufzte Leandro.<br />

Okay, so einfach machte sie es ihm wohl nicht, da musste er sich schon mehr<br />

einfallen lassen. Leandro kniff nachdenklich die Lippen zusammen. Er könnte ihr ja<br />

erzählen, dass er in einer ziemlich bekannten Band Keyboard spielte. Nur, ob sie das<br />

beeindrucken würde? Nachher stand sie gar nicht auf Rockmusik oder würde ihn für<br />

einen blöden Angeber halten.<br />

Schweigend sah er ihr zu, wie sie den Schrank schloss, an das Waschbecken herantrat<br />

und ihre farbverschmierten Hände abwusch.<br />

Wie sich diese schmalen, langen Finger wohl auf ihm anfühlen würden, träumte<br />

Leandro und ermahnte sich sofort. Womöglich hatte sie schon einen Freund und war<br />

deshalb derart abweisend zu ihm?<br />

Ein eisiger Schauer lief über sein Rückgrat. Zum Glück wandte sie ihm den Rücken<br />

zu und konnte die plötzlich aufkommende Eifersucht und Furcht nicht bemerken.<br />

Na, wenn schon, dann muss ich sie eben für mich gewinnen. <strong>Das</strong> wäre doch gelacht.<br />

Nur wie?<br />

197


Sie trocknete sich die Hände ab, griff nach ihrer Tasche und schwang sie sich über<br />

die schmale Schulter. Irgendetwas sollte er sich einfallen lassen und zwar schnell, sonst<br />

war sie weg und er wusste gerade mal ihren Vornamen.<br />

„Hast du ...“, begann er zögerlich, dennoch wild entschlossen. Als sie sich ihm<br />

fragend zuwandte, brachte er ein viel zu hastiges: „Hast du noch etwas Zeit?“, hervor.<br />

„Zeit?“, fragte sie ihn irritiert, runzelte verblüfft die Stirn. Sie zog sich das<br />

Zopfgummi aus den Haaren und fragte misstrauisch: „Wozu denn?“<br />

„Naja, also ich ... also kann ich dich vielleicht noch zu einem Kaffee oder so<br />

einladen?“, stieß Leandro hastig hervor, lächelte schief, als sie ihre Augen abermals<br />

erstaunt aufriss.<br />

„Fünf Minuten von hier, in der Innenstadt ist ein nettes Café, die haben auch Kaffee<br />

und Kuchen, wenn du was magst?“, schlug er unsicherer werdend vor, denn ihr<br />

Ausdruck war unverändert überrascht und wirkte weiterhin mehr ablehnend als<br />

begeistert.<br />

Vielleicht war er wirklich gar nicht ihr Typ? So irre toll sah er ja nun auch nicht aus.<br />

Er war nur mäßig groß, einigermaßen schlank und mit dunklen, fast schwarzen Haaren<br />

gesegnet. Seine braunen Augen waren öfter von einigen Fanmädchen schön genannt<br />

worden, aber die schmierten ihm ohnehin dauernd Honig um den Bart. Er hatte sich<br />

ihnen gegenüber ein gesundes Misstrauen angewöhnt.<br />

Vielleicht wollte gerade dieses besondere Mädchen gar nichts mit ihm zu tun haben?<br />

Weitere Zweifel regten sich in ihm, während sie ihn bestimmt eine Minute lang nur<br />

ansah. Hilflos zuckte er die Schultern.<br />

Was sollte er denn sonst zu einem Mädchen sagen? Ihm fiel nichts mehr ein. Es war<br />

immer schwer, sich mit ihnen zu unterhalten. Mit Jungs war es bedeutend leichter.<br />

hinzu.<br />

„Ich würde dich halt gerne ein bisschen kennenlernen“, fügte er leiser, fragend<br />

Bitte gib mir eine Chance, bat er stumm, hoffte, sie würde in seinen Augen lesen<br />

können, dass er es ernst meinte.<br />

Henny schluckte, schien mit sich zu ringen und nickte schließlich zu Leandros<br />

großer Erleichterung. In seinem Bauch stieg prompt der berühmte Schwarm<br />

198


Schmetterlinge auf und flatterte wild durcheinander.<br />

Bingo, sie geht mit mir! Er konnte sein Glück kaum fassen.<br />

„Ja, okay!“, antwortete Henny entschlossener, lächelte schüchtern und unglaublich<br />

süß, sodass Leandro regelrecht dahinschmolz. „Ich habe noch etwas Zeit, meine nächste<br />

S-Bahn geht in einer Stunde.“<br />

2 Hennys Date<br />

Nebeneinander gingen sie durch die Einkaufpassage. Henny warf Leandro immer<br />

wieder verstohlene Blicke zu. Es war falsch, furchtbar falsch hier neben diesem tollen<br />

Typen zu gehen. Leandro hatte ihn tatsächlich auf einen Kaffee eingeladen.<br />

Ihn!<br />

Oh Mann, er war völlig perplex gewesen, dass ihn ausgerechnet Leandro<br />

angesprochen hatte. Ob ihm sein leichtes Zögern aufgefallen war, als er seinen<br />

Spitznamen genannt hatte? Offenbar nicht.<br />

Henny.<br />

Einige seiner Freunde nannten ihn wirklich so, nur seine Schwester nannte ihn Ricky.<br />

Henny war die Abkürzung für Hendrik. Nicht, wie Leandro vermutlich glaubte, für<br />

Hendrike.<br />

Shit, der hält mich echt für ein Mädchen!<br />

Natürlich hätte er es ihm gleich sagen können. <strong>Das</strong> wäre nur fair gewesen. Sorry, ich<br />

bin kein Mädchen, ich bin nur ein Junge und zudem auch noch schwul. Allerdings hätte ihn<br />

Leandro danach natürlich nicht mehr irgendwohin eingeladen. Er hätte sich umgedreht<br />

und wäre gegangen, hätte ihn keines weiteren Blickes mehr gewürdigt.<br />

Bestenfalls.<br />

Oder er hätte ihn beschimpft. Auch das kannte Hendrik zu Genüge. Nicht jeder<br />

Junge stand darauf, wenn ihn ein anderer toll fand. Auf diese Weise war schon eine<br />

langjährige Freundschaft zerbrochen und Hendrik hatte seither nur noch wenig wirkliche<br />

Freunde.<br />

Woher sollte Leandro auch wissen, dass Hendrik ihn die letzten Wochen heimlich<br />

199


eobachtet hatte. Bei sämtlichen Auftritten von Leandros Band in den letzten zwei<br />

Monaten war er dabei gewesen. Jedes Mal, seit er ihn das erste Mal bei jenem Auftritt an<br />

seiner eigenen Schule gesehen hatte.<br />

Leandro von Rundorf, der coole Keyboarder der „Chevaliers of Chaos“. Er war der<br />

Traum schlechthin, er, der immer im Hintergrund stand, dessen rabenschwarze Haare<br />

mit dem dunklen Background der Bühne zu verschmelzen schienen, sodass sein schönes<br />

Gesicht aus dem Dunkel geheimnisvoll herausleuchtete. Leandro, der oft mit halb<br />

geschlossenen Augen, völlig versunken in die Musik, sein Instrument spielte.<br />

Hendrik wusste haargenau genau, wie er sich bewegte, wie er sich vorbeugte, sich die<br />

Haare aus der Stirn strich, einen Schluck Wasser trank, lächelte. Er kannte jede seiner<br />

Bewegungen, hatte sie studiert, in sich aufgesogen, ihn sich nachts vorgestellt. Zum<br />

Glück ahnte Leandro nicht im Geringsten, was er sich mit ihm alles vorgestellt hatte.<br />

Hendriks Atem ging unwillkürlich schneller.<br />

Leandro. Allein der Name zerging auf der Zunge wie zart schmelzende<br />

Vollmilchschokolade und hinterließ das erregende Prickeln hochprozentigen Alkohols.<br />

Er war ein absoluter Traumtyp. Sein Traumtyp.<br />

Größer als er selbst, etwas kräftiger mit dunkler Haut. Ein echter Sonnyboy, der<br />

unglaublich nett lächeln konnte, sodass seine braunen Augen buchstäblich strahlten.<br />

Ein einziges Mal hatte er Hendrik direkt angesehen, als dieser ziemlich weit vorne an<br />

der Bühne gestanden hatte. Leandro hatte wirklich zu ihm hingesehen, gelächelt, und<br />

auch wenn es nur Zufall gewesen sein konnte, für Hendrik war es der Himmel auf<br />

Erden gewesen und hatte ihm eine unruhige Nacht mit sehr erotischen Fantasien<br />

beschert. Danach hatte er sich jedoch lieber weiter nach hinten gestellt, dort, wo ihn<br />

Leandro nicht sehen konnte, denn er hatte furchtbare Angst gehabt, dass dieser<br />

womöglich erkennen konnte, was er für ihn empfand. Hendriks Augen hätten todsicher<br />

sofort sein kleines Geheimnis offenbart, wenn er nicht höllisch aufgepasst hätte,<br />

Leandro nicht mehr zu nahe zu kommen.<br />

Jede Nacht träumte er von ihm, seinem Gesicht, seinen wunderschönen Augen,<br />

seinen Lippen, seinen Händen, wie er riechen würde. Tagsüber malte er sich aus, wie es<br />

wäre, ihn als Freund zu haben, gemeinsam zu lachen, Händchen zu halten, sich<br />

200


anzulächeln und natürlich mehr.<br />

Und heute an diesem grauen Sommertag ging er wahrhaftig mit Leandro zusammen<br />

zu einem Café, um mit ihm zusammenzusitzen, sich näher kennenzulernen.<br />

Oh Mann, wenn der nur wüsste, dass ich gar kein Mädchen bin. Zudem noch schwul und absolut<br />

auf ihn stehe, dachte Hendrik verzweifelt. Ich konnte doch vorhin nicht einfach „Nein“ sagen.<br />

Niemals hatte er auch nur zu hoffen gewagt, Leandro einmal derart nahe zu kommen,<br />

um ihm mehr als ein schüchternes „Hallo“ zu sagen. Und dann sprach dieser ihn<br />

wahrhaftig selbst an.<br />

Egal, dann hielt er ihn eben für ein Mädchen. Wenn er deswegen nur ein wenig Zeit<br />

mit ihm verbringen durfte, nur ein wenig davon träumen durfte ...<br />

„Du bist ein wenig schüchtern, oder?“, unterbrach Leandro abrupt Hendriks<br />

sehnsüchtige Überlegungen und lächelte ihn freundlich an. In Hendriks Hals wurde es<br />

noch enger. Sein blödes Herz schlug ohnehin schon derart schnell, dass es ein Wunder<br />

war, dass Leandro es nicht hören konnte.<br />

„Eigentlich nicht“, gab Hendrik viel zu leise zu, sich bewusst, dass er vermutlich<br />

wirklich schüchtern klang, aber er hatte Angst, dass seine Stimme ihn verraten würde. Es<br />

war eben keine helle Stimme und kichern konnte er auch nicht besonders gut. An ihm<br />

war eigentlich nur sehr wenig Mädchenhaftes.<br />

Okay, er war ein wenig schmaler als andere Jungs in seinem Alter und sein Gesicht<br />

nicht so männlich kantig wie er es gerne gehabt hätte. Es wirkte einfach noch zu<br />

unfertig.<br />

Ab und an hatte ihn deswegen tatsächlich auch schon zuvor jemand für ein Mädchen<br />

gehalten. Vermutlich aber vor allem wegen seiner dummen, kringeligen, viel zu langen<br />

Haare.<br />

Er trug sie jetzt offen, hatte das kitschig gruselige Zopfgummi seiner Schwester tief<br />

in seiner Jeanshosentasche verstaut.<br />

Klar, seine Haare waren für einen Jungen wirklich zu lang. Wenn er sie allerdings<br />

kürzer schneiden ließ, lockten sie sich noch viel mehr und er sah aus wie eine dieser<br />

blöden, kitschigen Amorfiguren oder Engelchen. Voll niedlich und süß. Bäh!<br />

Zumindest fanden Erwachsene ihn damit goldig. Er hingegen hatte schon in den<br />

201


ersten Schuljahren erfahren, dass „niedlich“ und „süß“ Begriffe waren, die einem als<br />

Jungen nur Hohn und blaue Flecke einhandeln konnten.<br />

Daher ließ er seine Haare einfach lang wachsen. Er mochte es lieber, band sie nur<br />

beim Malen zurück.<br />

Seine Schwester würde ihn umbringen, wenn sie herausfand, dass er sich heute<br />

Morgen heimlich an ihrem heiligen Vorrat bedient hatte, weil ihm sein eigenes,<br />

schwarzes Haargummi zerrissen war. Zu seinem Leidwesen hatte sie jedoch nur diese<br />

fürchterlichen Mädchenzopfgummis gehabt. Rieke stand auf diesen Kitsch, obwohl sie<br />

älter als er war.<br />

Hendrik fuhr sich grübelnd durch seine ungeliebten Haare. Hielt ihn Leandro<br />

deswegen vielleicht für ein Mädchen? Offenbar ja. Und scheinbar gefiel ihm, was er sah.<br />

Sonst hätte er ihn bestimmt nicht eingeladen.<br />

Vorsichtig blickte Hendrik erneut zu ihm hinüber und schaute prompt direkt in<br />

Leandro strahlende Augen.<br />

„Deine Haare sehen offen viel schöner aus“, bemerkte dieser bewundernd, lächelte<br />

verlegen und fügte zögernder hinzu: „Du solltest sie immer so tragen! Steht dir besser.<br />

Sie sind wirklich schön.“<br />

Hendrik zuckte zusammen, senkte augenblicklich den Blick auf seine Füße und<br />

hoffte inständig, dass er nicht zu verdächtig rot angelaufen war. Er hatte es geahnt. Es<br />

waren diese unseligen Haare.<br />

Mann, wieso musste Leandro auch noch so verdammt nett sein und so toll aussehen.<br />

Hendrik schwieg hartnäckig, kaute auf seiner Unterlippe herum und überlegte<br />

fieberhaft, wie er sich verhalten sollte. Er kam sich neben Leandro unglaublich dumm<br />

vor und musste jeden seiner Schritte genau überlegen, um sich nicht zu verraten.<br />

Sie schwiegen weitere Minuten und irritiert bemerkte Hendrik, dass Leandro dichter<br />

neben ihm ging. Ihre Schultern berührten sich beinahe. Abermals lächelte Leandro ihn<br />

an, als er ihm einen verstohlenen Blick zuwarf.<br />

„Bist du etwa das erste Mal von einem Jungen eingeladen worden?“, hakte dieser<br />

neugierig nach. Hendrik schluckte hart und würgte rasch ein simples, wirklich<br />

mädchenhaft quietschiges: „Ja“, hervor.<br />

202


Natürlich nicht. Einen Jungen lud man normalerweise nicht in ein Café zu einem<br />

Kaffee ein. Schon gar kein anderer Junge. Erst recht keiner wie Leandro.<br />

Dieser strahlte ihn weiterhin beinahe verliebt an, schien sich ganz offenkundig<br />

darüber zu freuen, dass er der Erste war, der dieses vermeintliche Mädchen ausführte.<br />

Insgeheim stöhnte Hendrik verzweifelt auf.<br />

Verdammt, ich hätte mich nicht darauf einlassen sollen, dass kann doch niemals gut gehen.<br />

Was, wenn Leandro mir auf die Schliche kommt?<br />

Was wird der tun?<br />

„Komisch, eigentlich. Du siehst doch total niedlich aus. Du hast ein wirklich<br />

hübsches Gesicht. Ich hätte gedacht, dass du bestimmt schon ganz oft zu einem Date<br />

eingeladen worden wärst“, erklärte Leandro verschmitzt lächelnd und rückte noch näher.<br />

Seine Finger streiften Hendriks Handgelenk.<br />

Niedlich? Hübsch?<br />

Innerlich rollte Hendrik genervt die Augen. Er war nicht niedlich. Und ein ... Date?<br />

Verflucht, er wollte so gerne nach Leandros Finger greifen, der war nur noch<br />

Zentimeter von ihm entfernt. Aber wie würde das wohl wirken? Machte der das<br />

womöglich mit Absicht?<br />

Hendrik schluckte abermals und ihm kam ein böser Verdacht: Wollte ihn Leandro<br />

eventuell nur veralbern?<br />

Insgeheim befürchtete er argwöhnisch, dass der andere Junge ihn bereits<br />

durchschaut hatte und nur ein böses Spiel mit ihm, dem dummen, verliebten Schwulen<br />

spielte.<br />

Lass mal sehen, wie weit der geht und dann lass ihn voll auflaufen. <strong>Das</strong> kam vor.<br />

Andererseits … wie Leandro ihn ansah? Nein, der flirtete ganz offen mit ihm. Er<br />

hielt das hier wirklich für ihr erstes Date.<br />

Der Gedanke verursachte ein flaues Gefühl in Hendriks Magen.<br />

Ich habe wahrhaftig ein Date mit Leandro … dem Leandro. Scheiße, jetzt benehme ich mich echt<br />

auch schon so, dachte Hendrik seufzend, dessen Beine sich tatsächlich wackelig anfühlten.<br />

Er brachte keinen Ton heraus. Schüchternes Mädchen bei ihrem ersten Treffen mit ihrem<br />

heimlichen Schwarm. Och nee!<br />

203


Hendrik riss sich zusammen. So schüchtern war er nun auch wieder nicht. Er war<br />

schließlich kein Mädchen.<br />

„Ich bin noch nie von einem Jungen ins Café eingeladen worden“, gab er<br />

überzeugend von sich. Stimmte ja auch. Er war zwar auch mal mit ein paar anderen<br />

schwulen Jungs unterwegs gewesen, aber eingeladen, „gedatet“ hatte ihn noch keiner.<br />

Nicht wie Leandro es gerade tat.<br />

„Na dann habe ich ja verdammtes Glück gehabt, dass ich mich getraut habe und du<br />

auch noch „Ja“ gesagt hast“, freute sich Leandro glücklich lächelnd und griff<br />

augenzwinkernd nach Hendriks Hand.<br />

Sofort schlug dessen Herz noch schneller, obwohl das eigentlich gar nicht mehr<br />

möglich war. Instinktiv wollte er die Hand zurückziehen, beließ sie jedoch mit<br />

angehaltenem Atem in Leandros Griff. Es fühlte sich warm und einfach nur gut an.<br />

Wahnsinn: Leandro hält meine Hand. Boah, war das toll! Ein absolut geniales Gefühl.<br />

Nicht in seinen kühnsten Träumen hatte er es sich derart wunderbar vorgestellt. Leandro<br />

ging mit ihm aus und flirtete offensichtlich. Mit ihm!<br />

Nein!<br />

Mit ihr. Mit Henny, ermahnte er sich nüchtern.<br />

Bleib cool. Er ist hetero, er hält dich für ein süßes, schüchternes Mädchen, nur deshalb ist er so<br />

zuvorkommend und freundlich zu dir.<br />

Aber es tat gut. Es war einfach nur ein geniales Gefühl und er würde es genießen,<br />

solange es eben ging. Scheiß auf die Konsequenzen.<br />

hinten.<br />

Sie betraten das Café und Leandro wies sogleich auf einen freien Tisch weiter<br />

„Da ist noch Platz“, meinte er und ließ Hendriks Hand los. Dieser nickte und ging<br />

voraus, sah sich vorsichtshalber sichernd um. Es war sehr unwahrscheinlich, dass er hier<br />

jemandem begegnete, den er oder der ihn kannte, denn er stammte aus einem Vorort<br />

von Hamburg und kam nur nachmittags zu dem Kunstkurs her.<br />

Es war purer Zufall gewesen, dass Leandro genau dort seine Proben abhielt. Letzte<br />

Woche hatte er ihn dort das erste Mal gesehen und wäre fast vor Schreck gestorben.<br />

Leandro war mit den anderen Jungs seiner Band an ihm vorbeigegangen, natürlich ohne<br />

204


ihn zu bemerken.<br />

Zum Glück auch nicht den sehnsüchtigen Blick, den Hendrik ihm zugeworfen hatte.<br />

So nahe war er ihm noch nie zuvor gekommen. Ansonsten kannte er ihn ja nur von<br />

seinen Auftritten mit der Band und ihrer Internetseite.<br />

Leandro trat neben ihn, als sie den Tisch erreicht hatten.<br />

„Soll ich dir die Jacke abnehmen?“, fragte er höflich nach, gerade als sich Hendrik<br />

hinsetzen wollte. Dieser verhielt augenblicklich in der Bewegung. Sekundenlang schaute<br />

er ihn verblüfft an und zog rasch seine Jacke aus. Leandro half ihm, sie von den<br />

Schultern zu streifen und hängte sie zusammen mit seiner Tasche an die Garderobe.<br />

Scheinbar ist Leandro echt bestrebt, einen auf Kavalier zu machen, dachte Hendrik<br />

ein wenig belustigt. Er hat ja auch einen adeligen Namen. Vielleicht deshalb? Ist er so<br />

erzogen worden?<br />

Lächelnd nahm Leandro ihm gegenüber Platz und Hendrik fühlte seinen prüfenden<br />

Blick auf sich ruhen. Prompt wünschte er sich seine Jacke oder wenigstens sein<br />

Malerhemd zurück, um seine viel zu flache Brust besser verdecken zu können. In diesem<br />

Jeanshemd würde Leandro doch sofort sehen, dass er rein gar keine weiblichen<br />

Rundungen hatte.<br />

Ihm wurde heiß und kalt bei dem Gedanken, was Leandro wohl tun würde, wenn er<br />

erkannte, dass Henny nur ein Junge, kein süßes Mädchen mit lockigen Haaren war. Im<br />

besten Fall schrie er ihn nur an, beschimpfte ihn als Schwuchtel, das kannte er immerhin<br />

schon zu Genüge. Schlimmstenfalls schlug er ihn auch zusammen. Auch darin hatte<br />

Hendrik schon seine Erfahrungen gemacht. Seither war er vorsichtiger mit anderen<br />

Jungs geworden, offenbarte sein Geheimnis nur wenigen.<br />

Leandro jedoch lächelte weiterhin. Sein Blick schien hauptsächlich an Hendriks<br />

Augen zu hängen. Schließlich löste er sich leise seufzend, sandte mit diesem kaum<br />

hörbaren, bedauernden Geräusch feurige Glutwellen durch Hendriks Körper. Dessen<br />

Hände zitterten kaum merklich und er griff automatisch nach der Karte, die ihm<br />

Leandro zuschob.<br />

„Was möchtest du denn haben, Henny?“, erkundigte dieser sich fürsorglich. „Einen<br />

Cappuccino oder noch was anderes? Vielleicht ein Stück Kuchen dazu? Ich lade dich<br />

205


natürlich ein, also such dir was aus.“ Hendrik schüttelte den Kopf, um sich ganz auf<br />

Leandros Worte zu konzentrieren und nicht auf das furchtbare Flattern in seinem<br />

Magen und das Beben seines Körpers.<br />

Der zieht hier echt das volle Flirtprogramm mit mir durch, mit allem Drum und Dran. <strong>Das</strong> ist so<br />

ein geiles Feeling.<br />

„Kakao ist ganz okay“, brachte Hendrik hervor und beglückwünschte sich dazu, dass<br />

seine Stimme deutlich heller und extrem mädchenhaft klang. Auf diese Weise nahm<br />

Leandro ihm das Mädchen vielleicht sogar wirklich ab.<br />

Mann, ihm war viel zu heiß. Wenn ihn Leandro auf diese Weise ansah, schien seine<br />

ganze Wirbelsäule zu kribbeln und sein Unterleib zuckte verdächtig.<br />

„Keinen Kuchen?“, fragte Leandro offenbar enttäuscht nach. „Wie wäre es mit<br />

einem leckeren Stück Erdbeertorte? Magst du so etwas nicht?“<br />

„Klar“, rutschte es Hendrik viel zu hastig heraus. „Ist okay, ja.“<br />

Ihm war alles egal, wenn er nur hier mit Leandro sitzen durfte, dessen wundervolle<br />

Blicke genießen, sich der Illusion hingeben durfte, dieser irre tolle Junge wäre an ihm<br />

interessiert. Von so etwas hatte er immer geträumt.<br />

Verdammt, warum nur bin ich kein Mädchen?<br />

Verstohlen sog er die Luft ein, um sein Herz endlich zu beruhigen und auch, um<br />

einen Hauch von Leandros Geruch zu erhaschen.<br />

Der Typ duftete irre gut. Nach diesem dunklen Duschgel aus der Werbung. Hendrik<br />

kannte den Duft, sein älterer Bruder Hannes benutzte das gleiche. Er hatte sich daran<br />

auch ab und an heimlich bedient, wenn seines leer gewesen war.<br />

Scheiße, nun würde er immer an Leandros warmen Händedruck und sein Lächeln<br />

denken müssen, wenn er ins Badezimmer kam. Unter der Dusche hatte er ihn sich<br />

immerhin schon oft genug dazugeträumt. Wenn Leandro ahnen würde, was er sich<br />

vorgestellt hatte ...<br />

„Prima.“ Leandro nickte ihm zufrieden zu, winkte eine Bedienung heran und gab die<br />

Bestellung auf. Hendrik fühlte sich immer unwohler in seiner Haut. Es war eine<br />

gefährliche Situation und er fürchtete die Stolpersteine, die es in der ungewohnten Rolle<br />

eines Mädchens reichlich geben musste.<br />

206


„Kommt gleich“, versprach ihnen die Bedienung augenzwinkernd und verschwand<br />

auch schon wieder. Hendrik sah ihr misstrauisch nach, fragte sich unwillkürlich, ob sie<br />

ihn durchschaut hatte.<br />

Hatte sie ihn nicht gerade länger angesehen? Was hatte ihr Ausdruck wohl zu<br />

bedeuten gehabt?<br />

Als er sich umdrehte, fand er sich augenblicklich in Leandros Blick gefangen.<br />

Wie kann ein Typ nur derart schöne, tiefbraune Augen haben? Darin kann man total versinken.<br />

Oh Mann, verboten gehört so etwas. Zumindest wenn er nur Mädchen damit anschaut.<br />

Hendriks Knie fühlten sich ganz weich an.<br />

„Wo kommst du denn eigentlich her?“, begann Leandro ihr, doch recht einseitiges<br />

Gespräch. Hendrik musterte ihn unsicher.<br />

Wie viel durfte er verraten? Auf gar keinen Fall konnte er Leandro seine Adresse<br />

geben. Nachher kam der noch vorbei oder er fand heraus, wer er wirklich war.<br />

„Maschen“, gab er knapp an und fügte hinzu: „Ich komme nur für den Kurs einmal<br />

in der Woche hierher.“<br />

„Ah“, sagte Leandro und meinte nickend: „In Maschen habe ich vor zwei Monaten<br />

mal einen Auftritt mit meiner Band gehabt.“<br />

„Ja. Ich habe dich gesehen“, entkam es Hendrik ungewollt und er biss sich gleich<br />

darauf auf die Lippen. Mist, so viel sollte er besser nicht sagen.<br />

„Echt?“, antwortete Leandro sichtlich erfreut. „Du hast mich gesehen?“<br />

„Naja, den Bandauftritt halt“, wiegelte Hendrik sogleich ab und fügte zaghaft hinzu:<br />

„Ihr seid wirklich gut. Tolle Musik.“<br />

„Danke“, freute sich Leandro. „Schade, dass ich dich da noch nicht entdeckt habe.“<br />

„Ich stand ganz weit hinten“, schwindelte Hendrik. „Du konntest mich gar nicht<br />

sehen, da waren ja viel zu viele andere … Mädchen.“<br />

„An dich hätte ich mich ganz bestimmt erinnert“, meinte Leandro versonnen und<br />

lächelte erneut ein wenig unsicher. Ganz so selbstsicher, wie Hendrik im ersten Moment<br />

gedacht hatte, schien Leandro doch nicht zu sein. Vielleicht war er auch noch nicht oft<br />

mit einem Mädchen unterwegs gewesen? Quatsch, die liefen ihm doch scharenweise<br />

hinterher. Hendrik hatte es ja gesehen. Nach jedem Auftritt stürzten sie sich auf ihn und<br />

207


den Sänger Nils. Ihre Band war in und um Hamburg eine echte Berühmtheit.<br />

Leandro hatte ihn bei dem Konzert natürlich nicht wirklich angesehen. Oder<br />

zumindest hatte er nur einen Jungen bemerkt, der dumm herumgestanden und ihn<br />

angehimmelt hatte. Hendrik lief dennoch mädchenhaft rot an. Shit, wie peinlich.<br />

Es war daher recht beruhigend, dass auch Leandro sich nicht ganz so sicher war, wie<br />

er sich weiter verhalten sollte. Wie viele solcher Dates er wohl schon gehabt hatte? Ganz<br />

bestimmt einige. Er konnte schließlich jedes Mädchen haben. Und trotzdem hatte er ihn,<br />

Henny, eingeladen.<br />

Sie schwiegen weitere Minuten.<br />

Unruhig rutschte Hendrik auf seinem Sitz hin und her und zum Glück erlöste ihn<br />

die Bedienung, die ihnen den Kakao und zwei Stück Erdbeertorte brachte.<br />

„Guten Appetit ihr beiden“, wünschte sie ihnen freundlich lächelnd und abermals<br />

fühlte Hendrik seine Ohren brennen.<br />

Hielt sie ihn wirklich auch für ein Mädchen? Sie ließ sich zumindest nichts<br />

anmerken. Oder dachte sie, hier saßen zwei schwule Jungs bei ihrem ersten Date?<br />

Wenn es nur so wäre! Vielleicht wäre ich dann nicht derart schrecklich nervös.<br />

„Lass es dir schmecken, Henny“, forderte ihn Leandro auf, machte sich auch schon<br />

selbst mit sichtlichem Appetit über seine Torte her, nicht ohne Hendrik immer wieder<br />

zufriedene, offenkundig verliebte Blicke zuzuwerfen.<br />

Es war gar nicht so einfach, die Torte durch den engen Hals hinunterzuwürgen.<br />

Seine zittrigen Finger wollten kaum die Gabel halten und noch schwerer war es, dieses<br />

Beben auch noch zu verbergen. Hendrik spülte die Bissen einfach mit kleinen Schlucken<br />

des heißen Kakaos hinunter, vermied es tunlichst, Leandros braune Augen anzustarren.<br />

Dennoch wanderte sein Blick wie magisch angezogen immer wieder zu ihm.<br />

„Wie alt bist du eigentlich?“, eröffnete Leandro irgendwann erneut ihr Gespräch, als<br />

sie nur noch unentschlossen an ihren Tassen nippten.<br />

„Noch darf ich dich das ja fragen, oder?“, schob er augenzwinkernd und lachend<br />

hinterher. Hendrik musste ebenfalls schmunzeln.<br />

Wenn Leandro lachte, strahlte sein ganzes Gesicht, die Augen blitzten und seine<br />

Nase zog sich dabei total lustig in Falten. Hach, er könnte ihn den ganzen Tag lang<br />

208


eobachten.<br />

„Siebzehn“, gab Hendrik zu und wurde mutiger: „Und du?“<br />

„Oh?“, machte Leandro verblüfft. „Siebzehn, echt? Ich bin erst sechzehn, also sogar<br />

jünger als du.“<br />

„Na und?“, konterte Hendrik cool. „Ist ja höchstens ein Jahr.“<br />

Leandro grinste verlegen und zuckte die Schultern.<br />

„Stimmt, nur ein Jahr, was macht das schon? Wir sind ja beide noch jung, da<br />

vermutet eh noch keiner, wir würden nur wegen des Geldes heiraten“, meinte er<br />

achselzuckend und schmunzelte.<br />

Hendrik musste unwillkürlich grinsen und sie lachten gemeinsam los.<br />

„Du bist voll süß, Henny“, stieß Leandro ganz plötzlich lachend hervor, wollte nach<br />

Hendriks Hand greifen, zögerte jedoch kurz davor und legte seine Hand nur daneben.<br />

Schlagartig wurde Hendrik ernst. Seine Hand neben Leandros kribbelte, sein<br />

Rückgrat, alles an ihm kribbelte.<br />

Wie gerne würde er seine Hand auf Leandros Finger legen, den Handrücken<br />

streicheln …<br />

„Was?“, brachte er verblüfft hervor. Süß?<br />

„Du hast ein total süßes Gesicht. Ich mag es, wie du lachst“, brachte Leandro ein<br />

wenig verlegen hervor, dafür blickte er Hendrik überaus intensiv an. „Und deine Augen<br />

sind irre hübsch, wie tiefe Seen, ganz grün.“<br />

Fassungslos starrte Hendrik ihn an.<br />

Hübsch? Wie grüne Seen? Was erzählte Leandro da?<br />

Nun legte dieser seine Hand ganz langsam und sachte auf die von Hendrik und<br />

dessen Körper schien bei der harmlosen Berührung bereits in Flammen aufzugehen. In<br />

seiner Fantasie hatte er sich schon sehr vieles, auch sehr Unanständiges, mit Leandro<br />

vorgestellt, aber dass dieser nun wirklich seine Hand hielt, war etwas ganz anderes,<br />

übertraf seine Erwartungen hochhausweit.<br />

Heiß und kalt lief es ihm den Rücken hinab und ein nur allzu bekanntes Ziehen<br />

erfasste seinen Unterleib, welches bislang seinen nächtlichen Traumtreffen mit Leandro<br />

vorbehalten gewesen war.<br />

209


Shit, ich bekomme hier gleich wahrhaftig einen Ständer. Dieser Typ ist einfach zu heiß!<br />

Hastig löste Hendrik seine Hand und sprang auf.<br />

„Ich muss jetzt los“, würgte er hervor. „Meine S-Bahn fährt gleich.“<br />

Leandro entglitten seine Züge, drückten ein derart offensichtliches Bedauern aus,<br />

dass Hendrik sich prompt extrem schlecht fühlte.<br />

„Jetzt schon?“, fragte Leandro enttäuscht nach, sprang nun ebenfalls auf und kam<br />

um den Tisch heran.<br />

Hendrik griff nach seiner Jacke und streifte sie hastig über. Als er sich umdrehte,<br />

wich er sofort zurück, denn Leandro stand unmittelbar vor ihm.<br />

„Henny?“, fragte dieser nach, ergriff dessen Hand, ehe dieser reagieren konnte.<br />

Hendrik brach der Schweiß aus, derartig intensiv starrte ihn Leandro an.<br />

„Bitte, darf ich dich wiedersehen?“, bat er flehentlich. „Bitte lass mich dich noch<br />

einmal treffen.“<br />

Ich versinke in diesen Augen, seufzte Hendrik innerlich. Schau mich nicht so an, das ist mehr<br />

als unfair.<br />

„Okay“, formten seine Lippen ohne sein Zutun.<br />

War er denn irre? Dieses Mal war es vielleicht gutgegangen, aber ein weiteres Mal?<br />

Nie im Leben. Aber er konnte nicht anders, er wollte Leandro gerne nahe sein, ihn<br />

besser kennenlernen.<br />

Leandro strahlte augenblicklich und abermals wurden Hendriks Knie gefährlich<br />

weich. Zu gerne hätte er Leandro jetzt einfach geküsst, aber natürlich war das definitiv<br />

keine gute Idee. Dergleichen würde wohl ein Mädchen nicht einfach so machen, oder?<br />

„Nächsten Donnerstag, wenn du wieder hier bist, nach dem Kurs?“, schlug Leandro<br />

hoffnungsvoll vor. „Wollen wir dann vielleicht Eisessen gehen? Ich kenne einen Italiener,<br />

der tolles Eis macht.“<br />

„Ja, gut!“, bekam Hendrik heraus, kämpfte mit seinem wild schlagenden Herz.<br />

Wie der mich anschaut. Der hat sich wirklich in mich verknallt.<br />

Nur nicht in mich. In Henny. In ein Mädchen, das es gar nicht gibt, korrigierte er sich<br />

augenblicklich.<br />

„Wunderbar“, seufzte Leandro. „Ich hoffe, die Woche geht ganz schnell herum. Ich<br />

210


zähle jeden Tag. Du kannst mir ja deine Handynummer geben.“<br />

Hendrik war sich durchaus bewusst, dass er ihn anstarrte, senkte hastig den Blick, bis<br />

Leandro seine Hand zögernd losließ.<br />

weh.<br />

Oh Shit. <strong>Das</strong> kann ich nicht machen. Am Ende findet er noch raus, wer ich wirklich bin.<br />

„Ich … habe gerade kein Handy“, log er. Leandros enttäuschter Blick tat regelrecht<br />

„Ich muss dann los“, würgte Hendrik hervor, drehte sich hastig um, wandte jedoch<br />

noch einmal den Kopf, als Leandro ihm seine Tasche reichte.<br />

Mist, die hätte ich glatt vergessen. Er benahm sich gerade echt wie ein verliebter Idiot.<br />

„Also bis dann, Henny. Ich freue mich schon drauf“, verabschiedete sich Leandro .<br />

„Bis dann … Leandro“, gab Hendrik zurück.<br />

Dessen wehmütiges Lächeln begleitete ihn den ganzen Weg nach Hause und<br />

verfolgte ihn in seine unruhigen Träume.<br />

3. Geschenke<br />

Mit Herzklopfen stand Leandro am Donnerstag vor dem Kunstraum und wartete<br />

auf Henny. Die anderen Jugendlichen gingen an ihm vorbei, warfen ihm kaum einen<br />

zweiten Blick zu. Ein paar mochten ihn vielleicht schon einmal gesehen haben, kannten<br />

ihn eventuell von den Auftritten seiner Band. Meistens hatte er hier jedoch seine Ruhe.<br />

Henny kam als letzte heraus, warf sich ihre Tasche schwungvoll über die Schulter<br />

und bemerkte ihn sofort. Ein flüchtiges Lächeln erhellte ihr Gesicht.<br />

„Hallo“, begrüßte sie ihn. Ihre Stimme klang tiefer, als er sie in Erinnerung hatte,<br />

doch ihre wunderschönen Augen und die langen, lockigen Haare zogen ohnehin seine<br />

ganze Aufmerksamkeit auf sich.<br />

Wie es sein würde, durch diese Locken zu fahren, sie auf ihre nackten Schultern<br />

fallen zu sehen? Leandro seufzte innerlich beglückt auf.<br />

Henny trug auch heute eine einfache Jeans und ein locker fallendes Hemd. Offenbar<br />

legte sie keinen besonderen Wert auf Kleidung, die ihre Weiblichkeit betonte. <strong>Das</strong> fand<br />

Leandro gar nicht schlecht, denn die aufreizend gekleideten Mädchen in ihren viel zu<br />

kurzen Miniröcken und tief geschnittenen Oberteilen gingen ihm bei ihren Auftritten<br />

211


schon gehörig auf die Nerven.<br />

„Schön dich zu sehen“, gab er zurück und überlegte für einen Moment ernsthaft, sie<br />

auf die Wange zu küssen.<br />

Ob sie ihn wohl gewähren lassen würde? Er wollte andererseits auch nicht zu forsch<br />

wirken. Es war offensichtlich, dass Henny nicht oft mit einem Jungen loszog und er<br />

wollte ihr gerne Zeit lassen. Verlegen nahm er seine linke Hand hinter seinem Rücken<br />

hervor und reichte ihr die Rose, die er mitgebracht hatte und vor den anderen<br />

Bandmitgliedern sorgfältig in seinem Rucksack versteckt hatte.<br />

„Für dich“, murmelte er ein wenig verschämt. Henny starrte auf die rote Rose, als<br />

ob sie noch nie zuvor eine Blume gesehen hätte. Ihre Wangen färbten sich zusehends<br />

rosa und Leandro seufzte unhörbar entzückt auf.<br />

Es war bestimmt eine altmodische und vielleicht auch kitschig romantische Geste,<br />

allerdings hatten ihn seine Eltern in der Hinsicht gut erzogen und Hennys ungläubig<br />

staunender, gerührter Ausdruck war Belohnung genug.<br />

„Gefällt sie dir?“, fragte Leandro vorsichtig nach, musterte ihr Gesicht genau. Noch<br />

immer hatte sie den Blick nicht von der Blume abgewandt und nur zögernd streckte sie<br />

ihre schlanken Finger danach aus.<br />

„<strong>Das</strong> ist … okay“, murmelte sie überwältigt, drehte die Rose verlegen in den<br />

Fingern. Ihr Mund zuckte.<br />

„Aber das musst du nicht tun“, ergänzte sie, hob endlich den Blick zu ihm und fuhr<br />

unsicher lächelnd fort: „Ich weiß auch gerade gar nicht … wo ich damit … hin soll.“<br />

Unschlüssig betrachtete sie ihre Umhängetasche und entschloss sich, die Rose vorsichtig<br />

hineinzulegen.<br />

Leandro grinste zufrieden und lauschte seinem schnellen Herzschlag. Henny wirkte<br />

perplex und ihre Überraschung fand er zu köstlich.<br />

Sein Vater hatte ihm immer dazu angehalten, sich Frauen gegenüber wie ein echter<br />

Kavalier zu verhalten und er gedachte, dem gerecht zu werden. Als er jünger gewesen<br />

war, hatte er besonders gerne Alexandré Dumas gelesen und sah sich selbst durchaus<br />

gerne in der Rolle eines echten Gentlemans.<br />

„Der Italiener ist nur ein paar Straßen von hier entfernt“, erklärte er, während sie<br />

212


den Gang entlang zur Tür gingen. „Der macht echt leckeres Eis. Ich mag besonders<br />

Pistazie und Kirsche. Was sind denn deine Lieblingssorten?“<br />

„Nuss und Pfefferminz“, gab Henny zurück und lächelte ihn an. Draußen ergriff er<br />

ihre Hand, spürte ein winziges Zögern, dann schlossen sich ihre Finger fest um seine.<br />

Innerlich jubilierte er. Es lief doch hervorragend.<br />

Hand in Hand schlenderten sie durch die Straßen. Ihre Blicke trafen sich immer<br />

wieder und Leandro bemerkte sehr wohl, dass Henny ihn heute offener ansah,<br />

wenngleich der leicht staunende Ausdruck nie ganz aus ihrem Gesicht weichen wollte.<br />

Sie setzten sich an einen der Tische und bestellten Eisbecher. Ein Gespräch kam nur<br />

zögernd in Gang, doch Leandro erzählte einfach drauflos und fragte Henny nebenher<br />

ein wenig über ihre Malerei aus. Langsam taute sie auf.<br />

Über sich selbst erzählte sie nicht viel und er traute sich nicht, zu sehr nachzufragen.<br />

Sie würde ihm schon mehr erzählen, wenn sie sich besser kannten.<br />

Die Zeit verging und irgendwann sah Henny flüchtig auf ihre Uhr.<br />

„Ich muss leider bald los“, meinte sie zerknirscht. „Mein Vater holt mich nämlich<br />

vom Bahnhof ab. Sonst muss ich verdammt weit laufen.“<br />

„Oh wie schade“, bedauerte Leandro, griff rasch in seinen Rucksack und beförderte<br />

ein kleines Kästchen hervor.<br />

„Ich habe da noch etwas … für dich“, erklärte er und reichte ihr sein Geschenk.<br />

Atemlos beobachtete er, wie ihr Mund sich öffnete und sie sichtlich schluckte.<br />

„Was … warum?“, stotterte sie verblüfft.<br />

„Ist nur ein kleines Geschenk“, meinte er lächelnd. Die Idee war ihm gestern<br />

gekommen, als er an dem Schmuckladen im Einkaufszentrum vorbeigekommen war.<br />

Henny starrte ihn verwundert an und nahm das Kästchen an sich.<br />

„Danke“, murmelte sie, drehte es unschlüssig in den Fingern.<br />

„Los, mach mal auf“, forderte Leandro aufgeregt. Hoffentlich gefiel es ihr. Mädchen<br />

waren da nicht immer leicht einzuschätzen.<br />

Henny öffnete den Deckel und starrte sekundenlang auf den Inhalt.<br />

„Gefällt es dir?“, erkundigte sich Leandro atemlos, beobachtete genau ihr Gesicht.<br />

Die vollen Lippen bebten ganz leicht und sie hob den Blick über das Kästchen zu ihm.<br />

213


„Ich dachte, die passt prima zu deinen Augen …“, erklärte Leandro zunehmend<br />

unsicherer werdend. Die Kette hatte einen kleinen Anhänger, einen Edelstein, dessen<br />

Namen er nicht kannte, der jedoch seiner Meinung nach haargenau der Farbe ihrer<br />

Augen entsprach.<br />

„Wenn es dir nicht gefällt, kann ich es auch tauschen“, begann er, doch sie<br />

unterbrach ihn sofort.<br />

„Doch. Es gefällt mir sehr gut. Danke.“ Lächelnd nestelte sie die silberne Kette aus<br />

dem Kästchen.<br />

„Gefällt mir sehr“, bestätigte sie abermals und besah sich den kleinen Anhänger.<br />

Verzückt beobachtete Leandro, wie sie ihre Haare zur Seite strich, um sich die Kette<br />

anzulegen.<br />

„Warte, ich helfe dir“, bot er sofort an, sprang auf und hatte den Tisch mit wenigen<br />

Schritten umrundet. Nur den Bruchteil einer Sekunde zögerte er, dann legten sich seine<br />

Hände auf ihre Schultern. Er griff nach der Kette und legte sie um ihren schlanken<br />

Hals. Sein Atem beschleunigte sich augenblicklich, als seine Finger ihre Haut streiften<br />

und er beugte sich vor, sog tief ihren Geruch ein.<br />

Sie trug keines dieser auffälligen Parfüms, es roch ein wenig herb, nach einem Duft,<br />

der ihm bekannt vorkam. Seine Hände bebten ganz leicht, als er den winzigen Verschluss<br />

einrasten ließ.<br />

„Fertig“, kommentierte er und wagte es, ihre Haare über den Nacken zu breiten. Sie<br />

fühlten sich wunderbar weich an.<br />

„Danke“, kam es ein wenig rau von Henny, die nun eilig aufsprang und ihre Tasche<br />

ergriff. „Danke … für alles.“<br />

„Warte, ich bringe dich natürlich noch zum Bahnhof“, erklärte er hastig und<br />

schnappte sich seinen Rucksack. Henny wartete auf ihn und er warf einen flüchtigen<br />

Blick auf den kleinen Anhänger, der im Ausschnitt ihres Hemdes hingegen kaum zu<br />

sehen war.<br />

Wenn die Kette länger gewesen wäre, würde er jetzt zwischen ihren kleinen Brüsten<br />

liegen, dachte Leandro verträumt. Dieses Bild würde ihn heute Nacht gewiss nicht mehr<br />

loslassen.<br />

214


„Hast du vielleicht Lust aufs Kino am Samstagabend? In Harburg laufen ein paar<br />

neue Filme“, fragte er und ergriff wie zuvor ihre Hand. Ihre Finger schlossen sich wie<br />

selbstverständlich darum und gemeinsam schlenderten sie zum Bahnhof.<br />

Henny nickte begeistert. „Klar, klasse Sache.“<br />

„Ich könnte dich auch bei dir zu Hause abholen, wenn du willst?“, bot Leandro an,<br />

froh über ihre Begeisterung. Sie schüttelte jedoch augenblicklich den Kopf.<br />

„Nein schon okay, ich bin dann rechtzeitig da“, erklärte sie und lächelte ihn<br />

entschuldigend an. „<strong>Das</strong> wäre für dich ganz schön aufwändig. Ich komme schon alleine<br />

nach Harburg. Ich bin ja schon groß.“ Sie grinste ihn breit an und er lachte, drückte ihre<br />

Hand fest.<br />

Vielleicht wollte sie auch noch nicht, dass er wusste, wo sie wohnte. Sie war Fragen<br />

danach und nach ihrer Familie ausgewichen. Es war ihm egal, solange sie mit ihm<br />

zusammen sein, sich mit ihm treffen wollte.<br />

„Super, ich freue mich drauf“, erklärte er.<br />

Henny lächelte und ihre wunderschönen Augen blickten ihn offen verzückt an.<br />

„Ich ...“, sie zögerte, gab sich offensichtlich einen Ruck und fügte zerknirscht hinzu:<br />

„Ich kann dir jetzt ja auch mal meine Handynummer geben.“<br />

Leandros Lächeln wurde schlagartig noch breiter und er zückte hastig sein Handy.<br />

Prima, bislang lief wirklich alles perfekt. Nicht wahr?<br />

*************<br />

215


The Cut - Verwirrende Gefühle<br />

„The Cut“ ist eine romantische, erotische, spannende und dramatische<br />

Fortsetzungsreihe, die immer aufs Neue zu überraschen weiß.<br />

Was wäre, wenn sich dein Leben von heute auf Morgen ändern würde? Was würde<br />

passieren, wenn sich dein jetziges Sexualverhalten urplötzlich wandelt? Wenn du dich<br />

selbst dabei verlierst? Wenn dein Verstand bei einer bestimmten Person völlig aussetzt<br />

und er dich innerlich, wie äußerlich verändert? Wer oder was bist du dann noch?<br />

Genau dies geschah mit Dean Miller, einem 29jährigen, bodenständigen und etwas<br />

tollpatschigen Single, der in einer Zwei-Zimmerwohnung am Stadtrand von London<br />

wohnte und durch einen unerwarteten Zusammenprall in einen gefährlichen Sog der<br />

Gefühle geriet …<br />

Leseprobe:<br />

The Cut - Verwirrende Gefühle<br />

An der Bürotür meines Chefs angelangt, blieb ich stehen und atmete tief durch.<br />

216<br />

Gay Drama Romance<br />

von Randy D. Avies<br />

ISBN: 978-3-942539-23-4 Preis: €14,95<br />

Seiten: 188 Taschbuchformat: 13,50 x 21,50 cm<br />

weitere Informationen unter:<br />

http://www.fwz-verlag.de<br />

http://www.fwz-edition.de


Ich bin ja gespannt was der alte Sack von mir will, dachte ich und in meinem Kopf spielte sich<br />

eine Art Kopfkino ab.<br />

„Mister Miller, Sie sind zu spät“ oder noch besser: „Mister Miller, Ihre Frisur sitzt nicht richtig“.<br />

Blabla … Ich werde es ja erfahren.<br />

Mir entwich ein Seufzer. Wenig entschlossen klopfte ich an die Tür und schritt dann<br />

mutig ins Zimmer, kaum dass: „Die Tür ist offen“, an mein Ohr drang.<br />

Mein Chef saß im Bürostuhl, schaute zu mir hoch und mein Blick fixierte ihn.<br />

„Machen Sie bitte die Türe hinter sich zu, Mister Miller!”<br />

Ich tat, was er von mir verlangte und zog sie leise und sanft hinter mir zu.<br />

„Guten Morgen, Mister Morrison, was gibt es? Ich bin spät dran und die Arbeit wartet<br />

nicht auf mich.” Ich versuchte möglichst gelassen zu wirken, und mir meine<br />

Unsicherheit, ob seines brüllenden Ton von vorhin nicht anzumerken zu lassen.<br />

Ich ahnte schon ungefähr, was auf mich zukommen würde und wappnete mich innerlich<br />

dagegen. Nervös knetete ich an meinen Handballen herum, starrte verlegen auf den<br />

blauen Hartgummiboden. Da donnerte mein Chef auch schon los:<br />

„Was gibt es? Herrgott, Sie haben vielleicht Nerven! Sie sind diese Woche schon drei Mal<br />

zu spät zur Arbeit erschienen. Was für eine Ausrede haben Sie heute parat? Ist Ihr<br />

Hamster gestorben?“<br />

Was für ein Hamster? In mir wurde der Rebell wach.<br />

„Hat sich ihre Großmutter beim Gardinenaufhängen den Fuß verstaucht?“<br />

Um diese Zeit? Oha, sind Sie blöd! Außerdem habe ich keine Großeltern mehr.<br />

„Oder gehen Ihnen ihre kleinen Geschichten langsam aus? Was ist es dieses Mal, hä?”<br />

Ich schaute betreten auf die Uhr, die rechts neben dem Schreibtisch an der Wand hing.<br />

Sie zeigte genau auf halb acht.<br />

Ich bin doch nur eine halbe Stunde zu spät gekommen, grummelte ich in mich hinein. Warum regt<br />

er sich gerade heute so auf und das am Freitag so kurz vorm Wochenende? Mist.<br />

217


Die letzten Male war es über eine Stunde gewesen. Der soll sich bloß nicht so anstellen, dachte ich<br />

mir im Stillen.<br />

Mein Chef stand verärgert aus seinem großen Bürosessel auf und tigerte auf mich zu.<br />

Er war kleiner als ich - tja das gab es auch - hatte graue Haare und einen Bierbauch. Man<br />

sah ihm an, dass er es mit seinem Feierabendbier sehr genau nahm.<br />

„Nein Sir, ich hab den Wecker zu spät gehört!”, antwortete ich. Was für eine blöde Ausrede<br />

war das denn?<br />

Innerlich rollte ich die Augen und musste über meine gelogene, übereilte Aussage selbst<br />

schmunzeln.<br />

<strong>Das</strong> Gesicht von Peter Morrison hingegen verdunkelte sich zusehends, als sich auch<br />

noch eine dicke Haarsträhne aus meinem Zopf löste und mir ungehindert ins Gesicht<br />

fiel.<br />

„Und einen anständigen Haarschnitt können Sie sich wohl auch nicht leisten?<br />

Wahrscheinlich ist das der Hauptgrund ihrer dauernden Verspätungen. Sie verbringen zu<br />

viel Zeit vor ihrem Spiegel. Seit Sie bei uns angefangen haben, waren es 28 mal, die Sie<br />

zu spät kamen und davon 3 mal über zwei Stunden! Wie stellen Sie sich das in Zukunft<br />

eigentlich weiter vor?”<br />

Ich zuckte mit den Achseln und nuschelte ein: „Tschuldigung, wird nicht mehr<br />

vorkommen Sir.“ Ich schaute meinem Chef in seine grünen, stechenden Augen, die<br />

gefährlich aufblitzten.<br />

„Wissen Sie eigentlich nicht, dass Sie nur einen Zeitvertrag bei uns haben, und dass er<br />

nur verlängert wird bei ausgezeichneter Leistung?” Peter Morrison hatte sich mit dem<br />

Rücken an seinen Schreibtisch gelehnt, stützte sich mit seinen Händen am Tisch ab und<br />

musterte mich von oben bis unten. Sein Blick wanderte zu mir hoch und blieb an<br />

meinem Gesicht hängen. Ich holte tief Luft und verschränkte meine Arme vor der<br />

Brust. Mein Blick war jetzt ebenfalls auf ihn gerichtet.<br />

„Okay, was wollen sie mir eigentlich wirklich sagen? <strong>Das</strong>s ich gefeuert bin, dass ich<br />

218


meinen Vertrag nicht verlängert bekomme? Ja, ich komme laufend zu spät und es tut mir<br />

auch leid, aber nicht wegen meiner Haare, sondern ich hab noch einen anderen Job, aber<br />

das hab ich Ihnen ganz am Anfang bei meiner Einstellung schon erzählt!<br />

Ich bin hauptsächlich Schriftsteller und kein Postbote. Meine Schreiberei hat oberste<br />

Priorität, und wenn Sie es genau wissen wollen, habe ich diese Woche insgesamt 12<br />

Stunden Schlaf gehabt - mehr nicht.“ Mir war der Kragen geplatzt und ich schrie die<br />

letzten Worte nur noch heraus.<br />

Der Schlafmangel zerrte tatsächlich an meinen Nerven und ich wusste genau, dass es so<br />

nicht mehr weiter gehen konnte. Andererseits brauchte ich das Geld dringend, weil ich<br />

mit meiner Schreiberei nicht mehr über die Runden kam.<br />

Ich schloss für einen Moment die Augen und strich blind mit der Hand meine<br />

Haarsträhne zurück, bevor ich meine Augen öffnete und zu ihm hinsah.<br />

„Ich bin kein Unmensch, Mister Miller. Deswegen habe ich auch lange geschwiegen.<br />

Jeder andere Mitarbeiter hätte schon nach dreimaliger Verspätung die Kündigung<br />

erhalten. Aber es geht so wirklich nicht mehr weiter”, verkündete Morrison.<br />

Er entfernte sich vom Schreibtisch und ich erkannte, dass er an seine Schublade ging<br />

und ein Kuvert herausnahm.<br />

<strong>Das</strong> war es dann wohl, dachte ich mir.<br />

„Sie werden von mir offiziell abgemahnt. Noch einmal zu spät kommen und sie werden<br />

fristlos entlassen, haben Sie verstanden?” Morrison kam mit dem Umschlag auf mich zu<br />

und drückte ihn mir die Hand.<br />

Ich stieß erleichtert die Luft aus, die ich während seiner letzten Rede angehalten hatte.<br />

„Ich gebe ihnen einen guten Rat, Dean”, meinte er noch.<br />

Oha, sind wir jetzt schon Freunde? Wieder kam mein rebellisches Ich zum Vorschein.<br />

Verblüfft hörte ich meinen Vornamen, konnte mich jedoch nicht darüber wundern, da er<br />

schon weitererzählte.<br />

„Suchen Sie sich bitte beim nächsten Mal einen Job, der sich mit ihrem<br />

219


Schriftstellerberuf vereinbaren lässt. Im Grunde sind sie ein netter Kerl, Dean. Aber dies<br />

hier ist ihre letzte Chance. Keine Verspätungen mehr! Immerhin geht ihr Zeitvertrag ja<br />

noch bis Mitte nächsten Jahres.“<br />

Wow, schon das zweite Mal hörte ich meinen Vornamen. Unser Gespräch nahm langsam<br />

einen anderen Verlauf als zu Anfang erwartet.<br />

„Was ich damit sagen will: die Arbeitskollegen haben sich bei mir über ihre dauernden<br />

Verspätungen beschwert: Besonders Steve Smith hat sich bei mir beklagt. Ich weiß auch,<br />

dass Sie beide Differenzen haben. Aber Mister Smith arbeitet bei uns seit über 20 Jahren<br />

und ich bin mit seiner Leistung sehr zufrieden. Er ist mir ein treu ergebener Mitarbeiter.”<br />

<strong>Das</strong> kann ich mir schon denken. Treu ergebener Mitarbeiter, äffte ich ihn innerlich nach. Dieses<br />

Mobbingschwein. Na, der kann was erleben.<br />

Ich kochte über vor Wut, riss mich vor dem Chef jedoch zusammen und bewahrte die<br />

Haltung, als er fortfuhr.<br />

„Ihre Arbeitskollegen mussten immerhin ihre Verteilerarbeit mitmachen, wenn Sie über<br />

eine Stunde später kamen. Mir sind die Hände gebunden, Mister Miller.”<br />

Jetzt wurde mein Chef förmlicher. Noch immer hörte ich ihm kommentarlos zu.<br />

„Ich mache Ihnen einen Vorschlag: Sie gehen jetzt nach Hause. Ich buche Ihnen einen<br />

Tag Urlaub ab. Morgen hätten Sie ja laut Dienstplan eh frei. Sie erscheinen Montag<br />

pünktlich und ich meine pünktlich um 7 Uhr zum Dienst. Schlafen Sie sich erst einmal<br />

aus. Sie sehen wirklich übermüdet aus.”<br />

Trotz seiner immer netter gewordenen Stimme, wurde mir bewusst, dass ich haarscharf<br />

an einer fristlosen Kündigung vorbeigeschlittert war.<br />

Ich nahm ihm nur eine Sache übel: er hätte mit mir früher drüber reden können, anstatt<br />

mich vor vollendete Tatsachen zu stellen, wegen meines dauernden Zuspätkommens.<br />

Und Steve, dieser Mistkerl. Ich ballte meine Hände und schnaufte verächtlich. Den werde ich<br />

mir vorknöpfen.<br />

Ich hätte fast den Brief zerdrückt und bemerkte es Gott sei Dank noch rechtzeitig. Vor<br />

220


meinem Chef musste ich nicht gerade in die Luft gehen. Bestimmt nicht wegen diesem<br />

Arsch von Kollege.<br />

Eine Haarsträhne fiel mir abermals ins Gesicht. Ich bekam diesmal allerdings keinen<br />

blöden Kommentar von Mister Morrison.<br />

„Ja und die Arbeit heute?”, erkundigte ich mich blödsinnigerweise.<br />

„Hab ich heute Früh schon geregelt”, kam prompt seine Antwort.<br />

Jetzt verstand ich plötzlich, die zu ruhige Stimmung, als ich vorhin an meinen<br />

Arbeitsplatz gegangen war. Deswegen hatte mich vorhin keiner richtig begrüßt?<br />

Aha, die haben ein schlechtes Gewissen also, dachte ich mir.<br />

Ich zuckte kommentarlos mit den Schultern. Andererseits hätten meine Kollegen mich<br />

wegen meiner ganzen Verspätungen auch selbst drauf ansprechen können und sich nicht<br />

urplötzlich zusammenschließen und mich beim Chef verpfeifen müssen.<br />

Wenigstens konnte ich nun mein Wochenende ohne Reue genießen. Immerhin bekam<br />

ich noch eine letzte Chance und die wollte ich mir wirklich nicht vermasseln.<br />

Mein Chef wünschte mir noch ein schönes Wochenende und reichte mir freundlich die<br />

Hand. Erstaunt über den Ausgang unseres Gespräches, schüttelte ich sie ebenfalls.<br />

„Danke und Ihnen auch ein schönes Wochenende Sir.“ Ich drehte mich erleichtert um<br />

und schritt zur Türe hinaus.<br />

Wieder an meinem Arbeitsplatz angekommen bemerkte ich, dass meine Post schon<br />

sortiert im Spind steckte und ein Teil bereits herausgezogen wurde. <strong>Das</strong> Gespräch hatte<br />

anscheinend länger gedauert, als ich gedacht hatte. Ich bekam die Seitenblicke meiner<br />

Kollegen nun bewusst mit und wandte mich an sie.<br />

„Hättet ihr mir das nicht persönlich sagen können? Bei Steve ...“ Mein Blick richtete sich<br />

auf ihn. Steve schaute noch nicht einmal zu mir, als ich seinen Namen erwähnte,<br />

dennoch redete ich einfach weiter. „Bei ihm war mir das schon klar, dass er mich in die<br />

Pfanne hauen will, aber bei Euch, da bin ich schon etwas enttäuscht. Nächstes Mal<br />

möchte ich, dass ihr mit mir erst darüber redet, bevor ihr gleich zum Chef rennt, klar?<br />

221


Ich mag so was nicht, wenn man etwas heimlich macht.”<br />

Ich blickte jeden Einzelnen von ihnen mit ernster Miene an. Die Arbeitskollegen hatten<br />

sich um mich herum versammelt. Auch Glatzi kam dazu und konnte sein dämliches<br />

Grinsen nicht unterdrücken.<br />

„Okay, Dean. Beim nächsten Mal. Versprochen. Aber du musst uns auch ein bisschen<br />

verstehen: Wir haben immer darunter zu leiden, wenn du dich verspätest“, kam die<br />

Antwort von meinem Arbeitskollegen David King. Die anderen in der Gruppe nickten<br />

bestätigend dazu.<br />

„Ja, genau“, fügte Mandy, ein Azubi hinzu, die nur das Nötigste schaffte und immer<br />

früher heimgehen wollte. Ich hatte sie auch schon ein paar Mal in meinem Bezirk dabei<br />

gehabt.<br />

Die Sache war für mich somit erledigt. Ich trug ja die Hauptschuld daran und wünschte<br />

allen ein schönes Wochenende. Nur meinem Arbeitskollegen Steve nicht.<br />

Die Gruppe löste sich auf und ging wieder ihrer Arbeit nach. Steve saß seelenruhig an<br />

seinem Platz und tat so, als ob ich nicht mehr hier wäre.<br />

Mir kam ein guter, ein befriedigender Gedanke und ich setzte ein dreckiges Grinsen auf.<br />

Ich nahm meine Tüte mit dem Sandwich und dem inzwischen kalt gewordenen Becher<br />

Kaffee darin und schlenderte damit in seine Richtung. Den Kaffee nahm ich heraus und<br />

öffnete den Deckel, tat so, als ob ich daraus trinken würde, und stellte mich nahe zu ihm.<br />

Er bemerkte meine Anwesenheit sofort.<br />

„Was gibt es, Mädchen? Ich habe noch zu arbeiten. Du störst nur. Hast du nicht<br />

genügend Ärger gehabt?”, fragte er. Seine süffisante Stimme widerte mich an.<br />

„Jetzt, wo du es sagst: Nein, ich glaube nicht “, gab ich ebenso arrogant meine Antwort<br />

und kippte meinen Becher Kaffee dem verblüfften Steve über seinen kahlen Schädel. Er<br />

riss seine Augen überdimensional weit auf. Ich wartete gar nicht erst auf eine Reaktion<br />

oder ein Stichwort, um das Weite zu suchen. Ich rannte wie der Teufel aus dem Gebäude<br />

hinaus auf die Straße. Ein paar Ecken weiter blieb ich keuchend und nach Luft ringend<br />

222


stehen.<br />

Ich sah mich um. Steve war mir nicht gefolgt. <strong>Das</strong> Gelächter der Arbeitskollegen klang<br />

mir hingegen noch in meinen Ohren und ebenso das laute Fluchen von Mister<br />

Kahlkopf. Grinsend stellte ich ihn mir mit seinem dümmlichen Gesichtsausdruck vor,<br />

wie er tropfend und völlig perplex vor seinem Spind saß und mir wahrscheinlich die<br />

Hölle auf Erden wünschte, während er fluchend versuchte den Kaffee überall<br />

abzuwischen. Der Ärger, den ich am Montag mit ihm bekommen würde, war es mir<br />

wert.<br />

Ich setzte meinen Weg fort, und als ich mich atemmäßig beruhigt hatte, erblickte ich aus<br />

meinem rechten Augenwinkel einen neuen, schwarzen Jaguar, der am Straßenrand<br />

parkte.<br />

„Wow“, rutschte es mir heraus. Ein solches Auto würde in jedem Stadtteil auffallen, und<br />

ich war Mann genug, um eine Schwäche für solche Autos zu haben.<br />

Träum weiter, Dean.<br />

Ich konnte mir noch nicht einmal mehr ein eigenes Auto leisten, obwohl ich schon<br />

längst einen Führerschein hatte. Meine Eltern spendierten mir diesen an meinem 20.<br />

Geburtstag.<br />

Der Gedanke an sie, stimmte mich für einen Moment sehr traurig, da sie letztes Jahr bei<br />

einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen waren.<br />

Völlig unerwartet traf mich jetzt die Trauer um sie. Ich blinzelte die aufsteigenden<br />

Tränen schnell weg und machte mich eilig auf den Nachhauseweg.<br />

Die Gedanken an meine Eltern verdrängte ich schleunigst und schaute nach vorne auf<br />

ein schönes Wochenende für mich.<br />

Mein Magen blubberte ein wenig und ich erinnerte mich daran, dass ich immer noch<br />

nichts gegessen hatte. Ich warf einen Blick auf meine Tüte, die ich noch immer in der<br />

Hand hielt. Der wohlige Gedanke, bald was in den Magen zu bekommen, stimmte mich<br />

glücklich. Eilig setzte ich schnell den Nachhauseweg fort.<br />

223


Ganz in Gedanken versunken stieß ich dabei völlig unverhofft, frontal mit einem<br />

anderen Passanten zusammen. Der Aufprall war heftig, denn ich sah erst einmal nichts<br />

mehr, außer winzige helle Punkte, die vor meinen Augen auf und ab hüpften. Langsam<br />

kam ich zu mir und bemerkte, dass ich nicht auf den Asphalt geknallt war sondern auf<br />

was Weichem lag. Mein Kopf brummte dennoch gewaltig und ich rieb mir die<br />

schmerzende Stirn. Beim Zusammenstoß hatte sich mein Zopf gelöst und die Haare<br />

fielen mir offen über Schulter und Gesicht. Leise stöhnte ich auf und strich mir die<br />

Haare hinter die Ohren.<br />

Unter mir begann sich etwas zu regen, und ein tiefes Stöhnen drang an meine Ohren.<br />

Gleichzeitig nahm ich einen unglaublich betörenden Duft wahr, der mir meine Sinne<br />

benebelte.<br />

Erschrocken schlug ich meine Augen auf und bemerkte, dass ich auf einem<br />

Männerkörper lag, der diesen unglaublich guten Duft ausströmte. Zwei gefährlich<br />

funkelnde, karamellfarbene Augen blickten direkt in mich hinein.<br />

Mir wurde ganz anders. Ich starrte in seine Augen, sah nur noch diese Augen und verlor<br />

mich in ihnen. Minutenlang. Immer noch lag ich auf seinem Körper. Immer noch<br />

konnte ich mich nicht von seinem Anblick lösen.<br />

Der Schmerz im Kopf klang langsam ab und ich bewegte ihn vorsichtig. Meine Haare<br />

fielen mir jetzt komplett ins Gesicht.<br />

„Kann ich meinen Körper wieder haben?”, kam urplötzlich und guttural eine Stimme in<br />

meine wirren Gedanken herübergeschwappt, die sanft und dennoch männlich war. Sie<br />

kam direkt und unverhüllt von ihm.<br />

Mein Herzschlag setzte kurz aus, nur um sich danach augenblicklich um das Vierfache zu<br />

beschleunigen. Es schlug mir hart bis zum Hals hinauf und ich befürchtete sogar, dass<br />

es von ihm gehört werden konnte.<br />

Dean, was ist denn bitte schön mit dir los? Hast du so lange keinen Sex mehr mit Frauen gehabt, dass<br />

dich jetzt auch schon Männer faszinieren?, flötete es in meinem Hirn.<br />

224


Ich schluckte hart. Meine Kehle fühlte sich trocken an. Meine Gedanken überschlugen<br />

sich, ließen ungeahnte Emotionen frei und ich musste mich richtig beherrschen, um<br />

nicht laut aufzustöhnen.<br />

Abermals schluckte ich, nur um jetzt paradoxerweise meinen gesammelten Speichel im<br />

Mund zu verdrängen. Ich versuchte halbwegs normal zu klingen, woran ich aber kläglich<br />

scheiterte: „Oh, ähm j … ja … d … doch, Tschuldigung”, brachte ich unglaublich<br />

dämlich stotternd hervor und meine Stimme hatte einen Clint Eastwood–Touch.<br />

Unverkennbar wie in seinen Filmen.<br />

Ich rutschte von ihm herunter und landete auf meinen Knien, senkte meinen Kopf auf<br />

die Brust und schämte mich der Peinlichkeit meines Auftretens.<br />

Mir wurde plötzlich eine Hand gereicht und ich richtete meinen Blick darauf.<br />

„Ist mit Ihnen alles in Ordnung? Kommen Sie, ich helfe ihnen auf.” Seine Stimme,<br />

melodisch, warm, heiß …<br />

Heiß, schoss es mir in den Kopf. Wer war er, der mir so den Kopf verdrehte? Wer war<br />

ich, der sich so daneben benahm?<br />

Heiß …<br />

Meine Gedanken verschleiert, wirr, meine Sinne betäubt. Zögerlich, nein fast schon<br />

ängstlich, nahm ich seine Hand. Bei dieser Berührung fuhr es wie ein elektrischer Impuls<br />

durch meinen Körper hindurch. Ich zuckte regelrecht zusammen.<br />

Ganz sanft zog er mich zu sich hoch. Ich blickte erst auf seine Schuhe, dann auf seine<br />

Hose. Der Blick wanderte weiter nach oben an seinem Mantel entlang. Ich begutachtete<br />

seinen edlen Herrenmantel, der in einem karamellfarbenen, warmen Ton gehalten war.<br />

Langsam wurde ich von ihm ganz auf die Beine gezogen.<br />

Dies alles geschah wohl eher in Sekunden, für mich waren es endlos lange Minuten.<br />

Endlich stand ich und starrte auf seinen Hals. Ich war verdutzt, er war um einiges größer<br />

als ich. Abermals schluckte ich schwer, schloss kurz meine Augen. Nach wie vor hingen<br />

mir meine Haare wirr ins Gesicht.<br />

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Erneut nahm ich diesen betörenden Moschusduft wahr und legte meinen Kopf in den<br />

Nacken. Ich blinzelte durch meine Haare hindurch, schaute dann hoch und direkt in sein<br />

Gesicht. Mir stockte der Atem. Was ich sah, ließ meine Knie weich werden, brachte mein<br />

Blut in Wallung. Hitze machte sich auf meinem Gesicht breit und ich musste nicht lange<br />

überlegen, spürte ich doch genau, dass ich knallrot angelaufen dastand. Vor diesem<br />

Mann, der immer noch sanft und warm meine Hand hielt.<br />

Was ist nur mit dir los Dean?, tauchte die Frage in meinem Kopf auf. Es gab jedoch keine<br />

Antwort dazu. Hilfe, schrie mein Inneres.<br />

Und schon setzten sich meine Beine von alleine in Bewegung. Ich riss mich förmlich von<br />

diesem atemberaubenden Mann los und lief, so schnell ich konnte von ihm weg.<br />

Nur weg von ihm, dachte ich, so weit, wie es nur geht. Ich rannte.<br />

Seine Augenfarbe ... braun … warm … Karamellfarben. Die Nase … gerade, meine Gedanken<br />

überschlugen sich abermals. Ich rannte blind die Straße entlang. Der Mund …<br />

so verlockend, so sinnlich. Verdammt!<br />

Meine Bewegungen wurden noch schneller. Beinahe wäre ich in ein paar weitere<br />

Passanten hineingerannt, konnte gerade noch geschickt ausweichen und ignorierte ihre<br />

empörten Rufe.<br />

Ich lief fast in ein Auto hinein. Ich wusste nicht, wie mir geschah und fand mich in<br />

Rekordzeit, völlig aufgelöst und außer Atem, an meiner Wohnungstüre wieder. Keine<br />

Ahnung, wie ich meinen Schlüssel so schnell in meiner Jackentasche fand. Schnell und<br />

mit zittrigen Fingern schaffte ich es irgendwie, die Türe aufzuschließen. Völlig aufgelöst<br />

lehnte ich mich mit dem Rücken dagegen, kaum das ich sie hinter mir zugemacht hatte.<br />

Meine Atmung ging noch immer stoßweise.<br />

Verdammt, Dean, was ist mit dir los? Nein, bitte ich will nicht. Bitte sag, dass das nicht wahr ist …<br />

Ich schlug mit meinem Hinterkopf an die Tür. Nein, das kann nicht sein.<br />

Ich schlug abermals mit dem Kopf an die Tür, bis er zu schmerzen begann.<br />

Ich konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen, mir wurde schwindelig, meine Beine<br />

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versagten, kippten unter mir weg, und während ich an der Türe entlang nach unten<br />

rutschte, schossen mir abermals Bilder von ihm durch den Kopf.<br />

„Oh mein Gott. Nein, bitte nicht“, hauchte ich vor mich hin. „Ich bin nicht so einer!“<br />

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