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Dezember 2011 - Ratsgymnasium Minden

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Ausgabe III<br />

<strong>Dezember</strong> <strong>2011</strong><br />

Weihnachtsland ist abgebrannt...


PapaRATSi Editorial<br />

"Laaaast Christmas, I gave you my heart..."<br />

Wer kennt das ständige und nervtötende Gedudel nicht, das seit einigen Wochen<br />

aus jedem Lautsprecher dringt und uns als penetranter Ohrwurm auf Schritt und<br />

Tritt verfolgt?<br />

Wir, euer PapaRATSi-Team, haben jedenfalls die Nase voll davon. Und so<br />

präsentieren wir euch hier die etwas andere Weihnachtsausgabe.<br />

Die Weihnachtsmuffel unter euch finden in diesem Heft z.B. eine zynische<br />

Satire über das "Fest der Liebe". Und damit euch dieses schönste aller schönen<br />

Feste nicht allzu sehr auf die Nerven geht, haben wir auch eine Menge Themen<br />

parat, die mit dem 24. <strong>Dezember</strong> rein gar nichts gemein haben. Falls all das<br />

nichts hilft, informiert euch Imke Horstmannfshoff noch über das Aussteigertum<br />

– schließlich gibt es keine Probleme, nur Lösungen.<br />

Die große Flucht gewagt hat z.B. Svenja Stühmeier - Destination: Brasil.<br />

Für diejenigen aber, die schon das ganze Jahr nur auf das Weihnachtsfest<br />

hinfiebern, gibt es nicht nur köstliche Weihnachtsrezepte, sondern auch kreative<br />

Tipps für winterliche DVD-Abende sowie viel Selbstgeschriebenes und sogar<br />

einen eigenen Comic.<br />

Also, eine vergnügte Lektüre und ein „Frohes Fest“!<br />

Euer Team der Schülerzeitung<br />

Impressum<br />

Herausgeber: Das Schülerzeitungsteam des <strong>Ratsgymnasium</strong>s <strong>Minden</strong><br />

Chefredakteurin: Theresa Guth (Jg. 12)<br />

Gesamtredaktion: Theresa Guth (Jg. 12)<br />

Johanna-Marie Lange (Jg. 12)<br />

Carolin Lüders (Jg. 13)<br />

Charlotte Hermann (Jg. 13)<br />

Imke Horstmannshoff (Jg. 13)<br />

Tabea Petsch (Jgst. 12)<br />

Svenja Stühmeier (EF)<br />

Gastredakteur: Johan Pflanz, Jg. 7<br />

Layout / Formatierung: Nico Kortemeier, StR<br />

Coverdesign: Charlotte Hermann (Jg. 13)<br />

Betreuung & Korrektur: Nico Kortemeier, StR<br />

Auflage & Druck: Eigendruck in 180er-Startauflage


Heiße Schokolade<br />

Köstliche Weihnachtsrezepte<br />

Von Tabea Petsch<br />

Zutaten:<br />

3/4 l Milch<br />

150 g Zartbitterschokolade (geschmolzen)<br />

1 EL Honig<br />

1/2 EL Karamelsirup<br />

evtl. 100 g Schlagsahne<br />

Foto: Kortemeier<br />

Milch aufkochen und geschmolzene Schokolade einrühren, bis sie sich<br />

aufgelöst hat.<br />

Honig und Karamelsirup dazugeben – wer mag, kann auch noch einen 1/2<br />

TL Zimt unterrühren.<br />

Sahne steif schlagen. Schokolade in Tassen gießen und mit Sahne<br />

dekorieren.<br />

Variante a): 1 Banane in Scheiben schneiden, in Zucker wälzen und in<br />

einer heißen Pfanne mit ein bisschen Butter karamellisieren, auf die Sahne<br />

geben.<br />

Variante b): Mini Marshmallows und Zimt auf die Sahne geben.


Banana-Chocolat-Chunkies<br />

Zutaten für ca. 36 Chunkies:<br />

140g Mehl<br />

80g Weizenvollkornmehl<br />

1 TL Salz, 1/2 TL Natron<br />

100g kernige Haferflocken<br />

200g gehackte weiße oder Vollmilchschokolade<br />

50g grob gehackte Hasel-, Walnüsse oder Mandeln (wer keine Nüsse mag,<br />

nimmt einfach mehr Schokolade oder Haferflocken)<br />

150g weiche Butter<br />

180g Zucker<br />

1 TL Karamelsirup (Grafschafter)<br />

1 großes Ei<br />

1 große reife Banane (mit dunklen Stellen!), mit der Gabel zerdrückt<br />

1/2 ausgekratze Vanilleschote oder notfalls 1/2 Päckchen Vanille-Aroma<br />

Mehl, Salz und Natron mischen. Haferflocken, Schokolade und Nüsse vermengen.<br />

Noch nicht zusammenmischen!<br />

Mit Rührbesen Butter in einer Schüssel weich und cremig rühren, bis sie<br />

anfängt, weiß zu werden.<br />

Zucker und Sirup dazugeben, weiterschlagen, bis die Masse locker und<br />

fluffig wird. Nicht aufhören zu rühren – das dauert eine ganze Weile!<br />

Ei, Banane und Vanille dazugeben, nochmals einige Minuten schlagen. Mit<br />

einem Metalllöffel oder Gummispachtel die Mehlmischung vorsichtig<br />

nachein-ander unterrühren, bis ein Teig entsteht.<br />

Dann erst die Haferflockenmischung unterrühren.<br />

Am besten nicht zu lange rühren, es sollten noch kleine Klumpen da sein.<br />

Den Teig mit zwei Teelöffeln auf das mit Backpapier ausgelegte<br />

Backblech geben, dabei ein wenig zu runden Teigfladen formen oder,<br />

wenn der Teig zu flüssig ist, auf das Blech tropfen lassen.<br />

Bleche nacheinander im vorgeheizten Backofen (E-Herd: 200 °C/ Umluft:<br />

185 °C/ Gas: Stufe 3) etwa 10-12 Minuten goldbraun backen. Achtung, sie<br />

brennen schnell an, also am besten in der letzten Phase vor dem Ofen<br />

warten!<br />

Guten Appetit!


Weihnachtspessimisten<br />

Eine Satire vob Tabea Petsch<br />

Wie wunderlich weihnachtlich einem doch aus jedem Fenster kürzlich grell<br />

blinkende Lichterketten entgegen strahlen. – Die Leute wollen halt einfach<br />

nicht kapieren, dass pinkfarbenes Neonlicht und Hartplastik-Weihnachtsmänner<br />

im Vorgarten eher zur Halloween-Deko zählen und nicht für die besinnliche<br />

Adventszeit missbraucht werden sollten.<br />

Irgendwie scheint es dann logisch, dass es gerade am 24.12. zu den meisten<br />

Selbstmorden kommt: Durch überbordende Lichteffekte hervorgerufene LSDähnliche<br />

Epilepsie-Anfälle bringen Jahr für Jahr immer mehr Menschen in<br />

unpässliche Situationen. Haufenweise sieht man verzweifelte Singles, überlastete<br />

Börsianer, kindergequälte Hausfrauen und ihre lieben Kleinen, die den<br />

Weihnachtsbaum samt Christschmuck anzünden, ihren sowieso schon vollkommen<br />

verstörten Hund überfüttern oder sich neuen Hobbys widmen - wie<br />

dem Hochhaus-Jumping.<br />

Ja, Kinderlein, lasset euch sagen: Alles Übel dieser Welt geht aus diesem einen<br />

Tag hervor!<br />

Nehmen wir nur die Erderwärmung – wir werden sie einfach nicht mehr los:<br />

Das fröhliche Schmücken des Tannenbaumes? - Sehr fatal, da er im Prinzip<br />

doch dafür zuständig wäre, CO2 aufzusaugen, anstatt abgeholzt zu werden!<br />

Auch blutige Familienfehden finden meist ihren Anfang (und unschönen<br />

Ausgang) unter eben jenem Baum. Doch macht das Fest im Krankenhaus ja<br />

doppelt so viel Spaß...<br />

Und denken wir nur an all die Weihnachtsleckereien: Spekulatius, Lebkuchen<br />

und Dominostein begrüßen uns nun schon am Ende des Sommers im Supermarkt<br />

- und halten ihre Stellung am Eingang bis zum Tag der Tage. Wie aber<br />

war das nochmal bei der Ernährungsberatung?<br />

Ach ja, Fresssucht und Konsumwahn – welch unseelige Mischung. - Fighting<br />

for the last Adventskalender: Brutale Mütter im Weihnachtsstress lichten die<br />

Kaufhausreihen. - So geht das wirklich nicht weiter!<br />

Jetzt kommt übrigens noch der vierte Horror-Winter in Folge auf uns zu. Aber<br />

Schneeschieben war ja schon immer des Deutschen zweitliebstes Hobby...<br />

Vorschläge für ein Gegenprogramm?<br />

Occupy Weihnachten!


Rats aktuell<br />

Lehrersprüche<br />

Herr Kresse: „Welches Haushaltsgerät frisst am meisten Strom?“<br />

Schülerin: „Atomkraftwerk!“<br />

Herr Kokoschka: „Ich habe mein Taschengeld verbraten und gehe jetzt zu<br />

Oma, um mich zu refinanzieren. Oma hat ein gutes Herz am rechten<br />

Fleck.“<br />

Herr Häger: „Diogenes in seiner Tonne sprach: ‚Geht mir aus der<br />

Sonne!‘ – Oh, das reimt sich!“<br />

Herr Kokoschka: „Dann können Sie entweder anrufen… oder aber Sie<br />

melden sich telefonisch.“<br />

Schülerin: „Aber ich möchte nicht Komponistin werden, weil das kein<br />

sicherer Beruf ist.“<br />

Frau Gerum: „Das ist kein Beruf, das ist eine Überzeugung.“<br />

Schülerin: „Bitte? Natürlich ist Komponieren ein Beruf!“<br />

Frau Gerum: „Ach so, ich hab ‚Kommunist‘ verstanden!“<br />

Herr Kortemeier im LK: „Playmobil hat jetzt ja auch die Steinzeit<br />

herausgebracht. Komplett mit Säbelzahntigern und Felsenhöhle und so. -<br />

Da musste ich doch glatt zuschlagen, ist ja pädagogisch wertvoll.“<br />

Kursgelächter<br />

Kortemeier:„Ja, hoffen wir, dass es ein Junge wird, sonst hilft nur Ebay.“<br />

Herr Häger: „Wie lautet das berühmteste Zitat Senecas? Das wissen Sie<br />

aber alle, oder?“<br />

Schüler: „Pappa ante portas!“<br />

Frau Havers im Französischunterricht: „Wir sind hier im Blödiland. Wir<br />

sprechen Blödisprache.“<br />

Schülerin: „Was macht eigentlich ihr Hund.“<br />

Herr Kortemeier: „Frisst, haart, schläft. - Alles ganz vorbildlich.“<br />

Herr Häger an der Tafel: „Wie sehe ich aus?“


Prosa am Rats<br />

„Das Puzzleteil“<br />

Eine Kurzgeschichte von Imke Horstmannshoff<br />

Sieh mal, dir geht es doch nicht gut, sagte die Tochter in den Raum, der erfüllt<br />

war von schaler Luft und gedämpftem Licht. Das Haus ist zu groß, die Balken<br />

zerfallen, der Garten verwildert, keiner kümmert sich.<br />

Klack, klack, machten die kleinen, gezahnten Kartonstücke auf dem morschen<br />

Holztisch. Die gebrechliche Hand fuhr zur Glasschüssel und durchwühlte zittrig<br />

die verbliebenen Teile. Vielleicht zehn.<br />

Alles geht seinen natürlichen Lauf, erwiderte die Puzzlerin.<br />

Und was ist mit dir, wer kümmert sich um dich, wenn du krank wirst?, fragte<br />

die hochgewachsene Frau neben ihr. Ein Geräusch, das beim Wechseln des<br />

überschlagenen Beins durch den Absatz ihres Schuhs entstanden war, verlor<br />

sich dumpf in den Dielen.<br />

Wenn mein Körper sterben will, werde ich mich ihm nicht verweigern, war die<br />

leise Antwort. Und dann: Klack, klack, klack.<br />

Ein Quietschen, als die Tochter ihre Position im Sessel änderte. Die rostigen<br />

Federn drückten gegen ihren Oberschenkel. Eigentlich sollte es sie erschrecken,<br />

aber sie hatte zu oft daran gedacht. Ich denke, wir sollten über ein Pflegeheim<br />

nachdenken, was meinst du, dort wirst du versorgt, regelmäßige Mahlzeiten,<br />

regelmäßiger Schlaf.<br />

Schweigen. Klack, klack.<br />

Und: Das Haus ist alles, was ich noch habe. Klack.<br />

Diese Pflegeheime sind wunderschön gelegen, alte Herrenhäuser, riesige Gärten<br />

oder Parks, sie achten auf die individuellen Bedürfnisse, du könntest ein Fenster<br />

nach Osten haben, würdest von der Sonne geweckt. Der Blick fiel auf die<br />

schweren Vorhänge, die das Tageslicht draußen hielten, durch sie hindurch. Sie<br />

schloss kurz die Augen und horchte auf das Wühlen in der Glasschüssel. Dann<br />

öffnete sie sie wieder. Henry und ich haben uns vor kurzem so ein Heim<br />

angeschaut, es liegt mitten im Stadtpark, du kennst es vielleicht.<br />

Wieder das Wühlen. Klack.<br />

Sie bieten Aktivitäten an, malen, nähen, Sport, die Leute sind sehr nett.<br />

Wühlen. Klack, klack.<br />

Es wäre nicht allzu teuer und einige Zimmer sind zur Zeit frei, schöne Zimmer,<br />

ich habe gleich gedacht, das passt zu dir. Wieder wechselte die Tochter das<br />

Bein. Was hatte dieser Stuhl nur gegen sie.<br />

Klack. Die Hand fuhr zur Schüssel, wühlte, fand – nichts. Zum ersten Mal<br />

schaute die Frau vor ihr auf und hoffnungsvoll versuchte die Tochter zu lächeln.<br />

Ein Teil fehlt, stellte die Stimme heiser fest.<br />

Die Tochter ließ die Schultern sinken. Du wirst es irgendwo verloren haben,<br />

siehst du, das meine ich, dieses Leben hier, so allein, es macht dich vergesslich


und krank.<br />

Es fehlt. Das letzte Teil.<br />

Ja, sehe ich, das ist nun mal so beim Puzzlen, reg dich nicht auf.<br />

Du hast es genommen.<br />

Was?, fragte die Tochter und sie schauten einander entsetzt an.<br />

Es ist nicht da, sagte die andere nach kurzem Zögern, du hast es genommen.<br />

Willst mir weismachen, ich sei alt und dumm, könnte nicht einmal ein Puzzle<br />

beenden. Willst mich aus meinem...Haus vertreiben!<br />

Ich will dich nicht -<br />

Eine alte Frau so zu betrügen!<br />

Mutter! Du bist ja vollkommen verrückt!<br />

Die Tochter stand auf und die alten Stahlfedern drückten sie geradezu aus dem<br />

Sessel. Ihr Oberschenkel schmerzte auf.<br />

Du hast es genommen! Hysterie durchdrang die alte Stimme. Lange macht es<br />

das nicht mehr mit, mein Herz!<br />

Tränen in den Augen. Als die Tür hinter der Tochter zuschlug, beruhigte sich<br />

die alte Frau. Ihre Hand fuhr in den Stoff ihrer Rocktasche und zum kühlen<br />

Holz des Tisches.<br />

Klack.<br />

________________________________________________________________<br />

Lyrik am Rats Das Meer - von Johan Pflanz<br />

Unendlich strömt das Meer,<br />

wie ein Fluss sind die Gezeiten.<br />

Hoch ragt er auf,<br />

der Dom des Wassers in der Tiefe.<br />

Geheimnisvoll kannst du reiten,<br />

durch schier unendliche Weiten.<br />

Schätze harren im Sand, Schiffe und Algen.<br />

Pass auf, sonst landest du an Wassers Galgen.<br />

Himmel und Wasser wie Brüder,<br />

reißende Ströme, schreiende Stürme,<br />

singende Wolken, Wellen wie Pferde.<br />

Einsam seufzt das Meer.<br />

_______________________________________________________________________________<br />

Entstanden im Deutschunterricht der Klasse 6d im Juni <strong>2011</strong>, von der Redaktion<br />

bearbeitet u. gekürzt.


Lyrik am Rats<br />

Vorurteil und Stolz<br />

von Carolin Lüders<br />

Seht, da kommt sie, beugt die Knie, kniet nieder,<br />

neigt zum Boden eure Stirnen,<br />

senkt die Arme auf und nieder,<br />

huldigt ihr mit lauten Stimmen,<br />

singet ihr die Lobpreislieder!<br />

Denn sie ist es, sie beglückt uns,<br />

mit dem Glanze ihrer Schönheit<br />

mit dem Flattern ihrer Haare<br />

und dem Wallen ihrer Kleider<br />

und dem Klimpern ihrer Wimpern!<br />

Ihr Atem ist’s, den wir verehren,<br />

ihre Meinung, die wir hören,<br />

ihre Wünsche sind Befehle<br />

ihre Worte sind Gesetze<br />

ihr, nur ihr horcht unsre Seele<br />

und sie weiß es und sie lächelt<br />

mit den Lippen, nicht den Augen,<br />

denn sie weiß, dass sie es wert ist,<br />

dass ihren Anblick wir aufsaugen<br />

wie den allerfeinsten Nektar<br />

aus rosig zarten Blüten quellend<br />

erquickend, labend und erhellend,<br />

dass wir ihr sind ganz und gar!<br />

Und so betritt sie auch die Klasse<br />

Wie ein Held antiker Dichtung<br />

- Die sie freilich nie gelesen –<br />

vor ihr weicht zurück die Masse<br />

bildet um sie eine Lichtung<br />

rein gefegt wie mit dem Besen.<br />

Und in den einzgen Lichtfleck sie sich stellt<br />

der durchs Fenster auf sie fällt<br />

dass eine goldne Aureole<br />

gleichend einer Königskrone<br />

ihr edles Haupt voll Glanz erhellt -<br />

reckt das Kinn und leckt die Lippen<br />

lässt die prallen Brüste wippen<br />

schwingt ihre edlen runden Hüften


verbreitet ihres Parfums Düfte<br />

und dann öffnet sie den Mund<br />

- ihren vollen zarten roten Mund -<br />

und tut ihre Botschaft kund!<br />

„Also Hüfthosen sind ja inzwischen voooll out! Das geht gar nicht!“<br />

Da! Unsre Herrin hat gesprochen!<br />

Ein Zeichen hat sie uns gegeben!<br />

Höret her und spitzt die Ohren!<br />

Hüfthosen haben hier nichts mehr verloren!<br />

Legt sie ab! Los schnell, verbrennt sie!<br />

Wer sie noch trägt, der hat verbrochen<br />

ein Verbrechen sondergleichen<br />

ihren Wunsch hat er missachtet<br />

ihr heilges Wort dreistenst verachtet,<br />

Frevler! Ketzer! Häresie!<br />

Unfriede seiner toten Leiche!<br />

Da! Noch einmal greift sie das Wort,<br />

um vor uns, die ihre Huld genießen,<br />

ihre erleuchteten Gedanken,<br />

ihr großes Wissen auszugießen!<br />

„Was diese Lisa wieder anhat! Der Pullover sieht ja aus wie von 2010! Das geht<br />

gar nicht!“<br />

Welche Gnade, so zu uns zu sprechen,<br />

uns Unwürdgen ihre Weisheit mitzuteilen,<br />

drum wollen wir uns auch beeilen,<br />

ihren Gesetzen zu entsprechen!<br />

Diese Lisa wolln wir schneiden<br />

jeglichen Kontakt vermeiden<br />

denn Kleidung von 2010<br />

wollen wir bei uns nicht sehn!<br />

Zwar fühl ich mich ein wenig schlecht<br />

- Lisa war doch immer nett -<br />

doch keine Gnade geht vor Recht!<br />

Und nun hebt sie erneut die Stimme<br />

wir öffnen alle unsre Sinne


und erwarten voller Spannung,<br />

was oder wer kommt in Verbannung!<br />

„Du!“<br />

Meint sie etwa mich?<br />

Zeigt auf mich ihr manikürter Finger?<br />

Ich erstarr, mein Herz schlägt schneller,<br />

Endlich! Endlich hat sie bemerkt<br />

nach Jahren, die ich sie verehre<br />

in meine Beine sinkt die Schwere<br />

langsam trete ich vor sie<br />

kann vor Erregung kaum noch atmen<br />

Schweiß perlt über meine Stirn-<br />

Was wird sie sagen, sie mich fragen?<br />

Etwas Gutes, etwas Schlechtes?<br />

Wird in den Himmel sie mich heben?<br />

Oder, und in mir wächst ein Beben –<br />

stoßen in den Tartarus?<br />

Den gesellschaftlichen Exitus?<br />

Die unterste Ebene der schulischen Hierarchie?<br />

Aus der ich dann niemals entkomme, nie?<br />

Was ist das, ihre Miene bewölkt sich,<br />

ich versuche ihre Meteorologie<br />

zu deuten, zu interpretieren,<br />

und nicht den Faden zu verlieren…<br />

Hat sie mich etwa gestern in der Stadt gesehen?<br />

Mit meiner Mutter durch die Straßen gehen?<br />

Meiner Mutter, alt, hässlich, fett…<br />

Nein, nein, das ist nicht nett,<br />

aber das ist es, was sie denken wird,<br />

und ich, bittend, flehend, werde sagen,<br />

nein, nur unsre Haushaltshilfe,<br />

unsre Putze, zu nichts nutze,<br />

ich muss ihr beim Einkauf helfen,<br />

denn sie weiß nichts, kann nicht mal richtig Deutsch,<br />

und dann muss ich immer übersetzen,<br />

und deshalb sahst du mich gestern mit ihr durch die Straßen hetzen…<br />

Doch was ist es, was ich da tue?<br />

Was ich da tue, in aller Ruhe,<br />

meine eigene Mutter zu verleugnen?


Das ist doch gemein, so was tut man doch nicht,<br />

auch nicht für den schönen Schein,<br />

Und was kann sie dafür, dass sie den Schein nicht erfüllt,<br />

dass sie nicht mehr die jüngste ist,<br />

und nicht mehr die dünnste ist,<br />

und nicht so ist, wie ihr wisst,<br />

wie ihr wollt, wie ich wollte,<br />

dass eine Frau aussehen sollte?<br />

Nein, das werde ich nicht tun.<br />

Wenn du mich das wirst fragen, dann werde ich es wagen und sagen,<br />

Ja, das war meine Mutter. Und?<br />

Und wenn du mich dann anstarrst,<br />

und ihn aufreißt,<br />

deinen kleinen zarten roten affektierten Mund<br />

und mich versenkst und verbrennst<br />

dann ist das kein Grund,<br />

mich schlecht zu fühlen,<br />

dann stehe ich halt zwischen den Stühlen,<br />

und ich schreie: „Was du denkst,<br />

das ist mir scheißegal!“<br />

Und ihr starrt mich an,<br />

und ich stürme aus dem Saal,<br />

mit hoch erhobenem Kopf und ohne jede Scham<br />

und ihr alle, und vor allem du,<br />

eingebildete Kuh,<br />

oberflächlich, gedankenarm,<br />

ihr alle, ihr alle könnt mich mal!<br />

Zum Zeitgeschehen:<br />

„Die Gier<br />

ist immer das Ergebnis einer<br />

inneren Leere.“<br />

Erich Fromm


Nichts wie weg: Das Aussteigertum<br />

Ein Essay von Imke Horstmannshoff<br />

Die meisten Menschen haben Träume. Man träumt gewöhnlich vom großen<br />

Geld, von Ruhm, Ansehen – Dingen, die uns gesellschaftlich besser dastehen<br />

lassen. Ein junger Mann namens Christopher McCandless gehörte nicht dazu.<br />

Er träumte schon früh davon, den Zwängen der Gesellschaft zu entfliehen und<br />

sich selbst zu finden, zuerst als Tramper auf der Straße, dann in der Wildnis<br />

Alaskas – und setzte das Vorhaben in die Tat um.<br />

Die dramatische Geschichte dieses Mannes, der sich vor beinahe 20 Jahren in<br />

den Norden Amerikas absetzte, wurde von dem amerikanischen Bestseller-<br />

Autor und Bergsteiger Jon Krakauer bis zu den Anfängen zurückverfolgt und<br />

1996 in Form des Buches In die Wildnis. Allein nach Alaska veröffentlicht<br />

(2007 folgte unter dem Namen Into the Wild eine Verfilmung von Sean Penn).<br />

Im Buch finden sich zahlreiche Bezüge zu dem amerikanischen Philosophen<br />

Henry David Thoreau, dessen Schriften McCandless nicht geringfügig<br />

beeindruckt zu haben scheinen. Doch wie lauteten Thoreaus Ideale, und wie<br />

hätten sie McCandless in seinem Vorhaben und dessen Umsetzung beeinflussen<br />

können?<br />

Der am 12. Juli 1817 geborene Henry David Thoreau machte an seinem<br />

Geburtsort, der kleinen Stadt Concord in Massachusetts, die das kulturelle<br />

Zentrum der damaligen neuen Welt repräsentierte, früh Bekanntschaft mit dem<br />

bedeutenden Schriftsteller Ralph Waldo Emerson, welcher ihn in den Kreis der<br />

„Neuengland-Transzendentalisten“ einführte. Die Vertreter dieser Philosophie,<br />

mit denen Thoreau sich schon bald mehrmals die Woche traf, kennzeichnete<br />

der Glaube an eine höhere Wahrheit, deren Erkenntnis nicht durch die<br />

Sinne und Wahrnehmungen, sondern durch direkte übersinnliche Erfahrungen<br />

in der Natur möglich ist. Sie forderten die Menschen auf, sich von ihrer<br />

kapitalistisch-rationalen Denkweise abzuwenden, und sich stattdessen zu transzendieren.<br />

Auch spielte in Thoreaus Philosophie der Widerstand gegenüber den Zwängen<br />

der Kirche und der sich industrialisierenden Gesellschaft eine Rolle. Noch im<br />

Aufschwung des Schienennetzbaus und im Rausch des Wild-West-Goldes<br />

begriffen, litt diese nach transzendentalistischer Auffassung an einer „geistigmoralischen<br />

Krankheit“ und hatte sich einer skrupellosen Habgier verschrieben.<br />

„Wenn keine Eisenbahnen gebaut werden, wie wollen wir zur rechten Zeit in<br />

den Himmel kommen?“, gibt Thoreau in seiner Schrift Walden mit der ihm<br />

eigenen Ironie zu Bedenken. Doch er meinte es durchaus ernst: „Während die<br />

Zivilisation unsere Häuser verbessert hat, hat sie nicht in gleicher Weise auch<br />

die Menschen verbessert, die darin wohnen.“ Der „Wildheit“ gab er den klaren<br />

Vorzug.


Dem Ideal einer Art „Selbstreform“ in der Natur ließ er, ganz der widersprüchliche<br />

Querkopf, nicht ganz konsequente aber durchaus ernst gemeinte Taten<br />

folgen: Die Jahre 1845 bis 1847 verbrachte er in aller Bescheidenheit in einer<br />

selbstgebauten Holzhütte am Walden-See – allerdings nur wenige Meilen von<br />

seiner Heimatstadt entfernt. Es war, so behauptete er, ein ökonomisches<br />

Experiment, das ihm im Gegensatz zu seinen sinnlos arbeitenden Mitmenschen<br />

„Muße zu einer wahren Ganzheit“ 1 verschaffen sollte, und das er schriftlich in<br />

Walden oder Leben in den Wäldern verarbeitete. Er wollte sich vor der<br />

Gesellschaft in die „freiwillige Armut“ 2 retten – und wurde, weil er sich<br />

hartnäckig weigerte, seine Steuern zu bezahlen, im Sommer 1846 prompt<br />

festgenommen.<br />

Ideale Welt: Ein Leben in den Wäldern. Foto: Kortemeier.<br />

Genau eine Nacht verbrachte Thoreau im Gefängnis von Concord und fühlte<br />

sich dort, wie hätte es anders sein können, freier denn je. Dies war der Anlass<br />

zu seinem wohl berühmtesten Essay Vom Ungehorsam gegen den Staat, in dem<br />

er sich radikal für einen politischen Widerstand aus moralischer und<br />

patriotischer Überzeugung aussprach und jeden Mitbürger aufforderte, eine<br />

staatlich geförderte Ungerechtigkeit „wenn er schon nicht weiter darüber<br />

nachdenken will, [...] doch wenigstens nicht praktisch zu unterstützen.“<br />

Wichtige Anstoßpunkte waren dabei für ihn die Sklavenhaltung und der Krieg<br />

Nordamerikas gegen Mexiko. Zeit seines Lebens setzte er sich mit einiger<br />

Wortgewandtheit für einen möglichst freien, moralisch reinen, von Staat und<br />

1 Thoreau, Henry David: Walden oder Leben in den Wäldern.<br />

2 Ebd.


Geld unabhängigen Menschen ein, und für einen möglichst gewaltlosen<br />

Widerstand gegen alle Zwänge. Sein Wirken fand und findet – damals wie<br />

heute – einige Beachtung. So gilt er beispielsweise als eines der entscheidenden<br />

Vorbilder großer Reformer wie Mahatma Ghandi und Martin Luther King.<br />

Mehr als 100 Jahre später kehrte der aus Washington in Virginia stammende<br />

Christopher McCandless alias Alexander Supertramp seiner Familie und dem<br />

für ihn vorgesehenen Leben als Anwalt oder Arzt ohne ein Wort den Rücken<br />

und brach zu einer Reise quer durch Amerika auf. Seine Erlebnisse von 1990<br />

bis 1992 hielt er stichpunktartig in einem Tagebuch fest, anhand dessen das<br />

Leben des ‚Aussteigers’ später aufarbeitet werden konnte.<br />

McCandless spendete sein Erbe, verbrannte sein Bargeld und ließ seinen Wagen<br />

in der Wüste zurück: Ein Leben als „Extremreisender“ hatte für ihn begonnen.<br />

Er fuhr Richtung Westen, paddelte den Colorado River bis zum Golf von<br />

Kalifornien hinab und bereiste den Südwesten der USA, um schließlich im Mai<br />

1992, auf sich gestellt, nach Alaska zu trampen, nur von dem zu leben „was die<br />

Natur abwarf“ und „sich in der Wildnis zu verlieren.“ Auf seiner Reise hatte er<br />

bis dato zahlreiche Freundschaften geschlossen, sich jedoch stets am Rande der<br />

Gesellschaft aufgehalten. Die Zivilisation bezeichnete er als „Gift“ und, selbst<br />

aus guten Verhältnissen stammend, sprach er sich gegen Geld und Konsum aus.<br />

Also hatte er jeglichem Luxus entsagt, unter freiem Himmel oder in<br />

leerstehenden Wohnwagen geschlafen und sich so auf die Suche nach der<br />

„ungefilterten Erfahrung“ und nach einer Freiheit begeben, die er zuletzt nur in<br />

der unberührten Natur Alaskas zu finden können glaubte. Dort verbrachte er<br />

schließlich zwei Monate in der Wildnis um einen ausrangierten Omnibus und<br />

ernährte sich von der Jagd. Zur Rückkehr bereit, musste er feststellen, dass ein<br />

reißender Fluss ihm den Weg versperrte, und ihn zwang, beim Bus zu bleiben.<br />

Elchjäger fanden McCandless‘ Leichnam im September 1992. Er war<br />

verhungert, möglicherweise infolge einer Vergiftung an Alkaloiden.<br />

Mit den Schriften Thoreaus war McCandless weitestgehend vertraut: Möglicherweise<br />

hatte er bereits während seines Studiums den Essay Vom<br />

Ungehorsam gegen den Staat gelesen und sich von diesem stark beeinflussen<br />

lassen. Die Schrift Walden las er im Sommer 1992, als er sich schon in Alaska<br />

befand.<br />

Bei der Betrachtung von Christopher McCandless’ Idealen findet sich eine Fülle<br />

von Übereinstimmungen mit denen Thoreaus, was durch die Lektüre des<br />

letzteren, andererseits durch ähnliche Erfahrungen und eine verwandte<br />

Einstellung zum Leben bedingt sein mag. Beide sehnten sich nach einer<br />

uneingeschränkteren Freiheit als die von ihnen heftig kritisierte Gesellschaft,


der es Widerstand zu leisten galt, ihnen bieten konnte und flüchteten sich<br />

daraufhin in die Natur, die für sie den besten, ‚reinsten’ Weg zu ihren<br />

transzendentalen Zielen der Vollkommenheit und Selbsterkenntnis bedeutete.<br />

Um diese zu erreichen, genügte es aber ihrer Meinung nach nicht, ein<br />

anarchistisches Einsiedlerleben im Müßiggang zu führen. Stattdessen lebten sie<br />

nach strengen Regeln, deren beste Eigenschaft es offenbar war, nur vom<br />

eigenen Gewissen auferlegt worden zu sein: Ehrlichkeit, Enthaltsamkeit,<br />

Humanität, Bescheidenheit.<br />

Dabei wurden, wenn auch selten, durchaus Ausnahmen gemacht, solange diese<br />

im Rahmen des moralischen Ideals lagen. Zum Teil lässt sich sogar behaupten,<br />

dass McCandless einen heftigeren Verfechter von Thoreaus Theorien darstellte,<br />

als dieser selbst. Beispielsweise ließ er alles, was ihn hielt, hinter sich und zog<br />

aus zum Erleben eines „unsterblichen Abenteuers“ 3 , wie Thoreau es predigte,<br />

während dieser sich selbst während seines Experiments nie gern weiter als ein<br />

paar Meilen von seiner Heimatstadt entfernte.<br />

McCandless’ Traum, der Traum für den er starb, ist voller Irrationalitäten und<br />

erscheint grundlegend unverständlich: Ohne ausreichende Vorbereitung brach<br />

er nach Alaska auf, verließ Familie, alte und neue Freunde und ein Leben, das<br />

den meisten zur Zufriedenheit genügt hätte, und tauschte sie letztendlich<br />

gegen den Tod ein. Doch gerade das Streben nach Höherem ist Teil seines<br />

Traums – und selbst die Irrationalität an sich findet sich bei Thoreau<br />

gerechtfertigt:<br />

„Die wildesten Träume wilder Menschen sind nicht weniger wahr, nur weil sie<br />

vielleicht nicht der Vernunft entsprechen [...]. Nicht jede Wahrheit entspricht<br />

dem gesunden Menschenverstand.“ 4<br />

Krakauer erzählt in seinem Buch In die Wildnis zusätzlich auch die Geschichten<br />

anderer Aussteiger und Abenteurer, wie die der Papar. Diese Mönche,<br />

ursprünglich aus Irland kommend, ruderten schon im fünften Jahrhundert nach<br />

Christus in Unkenntnis dessen, was sie erwartete, und auf der Flucht vor der<br />

Zivilisation über den Nordatlantik, und landeten auf der Insel Papós und später<br />

in Grönland. Es lässt sich sagen, dass McCandless mit seinem Aussteigertum<br />

nicht nur einen Nachfolger Thoreaus darstellt, sondern außerdem in der<br />

Tradition einer immer wieder aufkeimenden Idee der Abkehr von der<br />

Gesellschaft steht. Die Tatsache, dass Radikalität polarisiert, ist dabei ein<br />

natürliches Phänomen. McCandless’ Traum stieß auf herbe Kritik, doch er<br />

setzte damit auch ein Zeichen: Er entschied sich für das Streben nach einem<br />

3 Thoreau: Vom Gehen durch die Natur.<br />

4 Ebd.


esseren Leben und gegen die Zwänge der Gesellschaft und der Gesetze, trat<br />

für eine unbedingte Wertschätzung der Natur und der Freiheit, die sie versprach,<br />

ein. Seinen tragischen und frühen Tod als letztendliches Scheitern dieser Idee zu<br />

werten, steht dabei jedem frei. Doch es ist mehr als unwahrscheinlich, dass er<br />

selbst dieser Meinung wäre. So schrieb er auf einen Zettel, mit dem er sich kurz<br />

vor seinem Tod fotografierte (s. Abb.):<br />

„I have had a happy life and thank the Lord. Goodbye and may God bless<br />

all!“<br />

Fest steht, dass die von Globalisierung, Umweltverschmutzung und Bürokratie<br />

geprägte Zeit, in der wir leben, sicherlich noch viele weitere solcher Menschen<br />

hervorbringen wird, die uns abseits vom Gewohnten Möglichkeiten aufzeigen,<br />

unser Leben zu gestalten. Henry David Thoreaus und Christopher McCandless‘<br />

Geschichten beweisen dabei zumindest, dass ein Einstehen für Ideale und<br />

Träume kein Ding der Unmöglichkeit ist – aber auch seine Schattenseiten haben<br />

kann.


Rats aktuell<br />

Tchau Alemanha, oi Brasil!<br />

Ein Schüleraustausch nach Brasilien in der Jgst. 9<br />

Von Svenja Stühmeier<br />

Endlich! Das Flugzeug durchbricht die Wolkendecke und viele Kilometer unter<br />

uns erstreckt sich die Millionenmetropole São Paulo. Unzählige kleine Lichter<br />

aus den gigantischen Hochhäusern strahlen in die Nacht hinein und hinterlassen<br />

einen unvergesslichen ersten Eindruck der Stadt, die sechs Wochen lang unsere<br />

Heimat sein würde. Denn wir (neun Schülerinnen und Schüler des ehemaligen<br />

neunten Jahrgangs) verbringen unsere Sommerferien im Rahmen des Schüleraustauschs<br />

mit dem brasilianischen „Colégio Visconde de Porto Seguro“ zu<br />

Hause bei unseren Austauschpartnern. Als wir uns schließlich nach vier<br />

Monaten das erste Mal am Flughafen wiedersehen, ist die Freude riesig – und<br />

gleichzeitig macht sich auch wieder Unsicherheit, die besonders in den letzten<br />

Tagen mein ständiger Begleiter war, breit: werde ich mich gut mit meiner<br />

Gastfamilie verstehen? Komme ich mit einem „brasilianischen Alltag“ zurecht<br />

( … und wie sieht der überhaupt aus???)? Und werde ich mich überhaupt<br />

verständigen können?<br />

Nach unserer Ankunft heißt es die nächsten zwei Wochen erst einmal: Ferien!<br />

Wir unternehmen verschiedenste Dinge in den Familien, die sich unglaublich<br />

viel Mühe geben, uns einen Eindruck von São Paulo und der brasilianischen<br />

Kultur zu verschaffen. Sehr schnell lerne ich einen sehr wichtigen Bestandteil<br />

des brasilianischen Daseins zu schätzen: das Essen. Von typisch Brasilianischem<br />

wie Feijoada, Brigadeiro oder Farofa über Italienisches auf etwas<br />

andere Art (Eis-Pizza lässt grüßen!) bis hin zu den geschmackvollsten und<br />

exotischsten Früchten, die mir je unterlaufen sind, probiere ich während meines<br />

gesamten Aufenthalts eine Menge.<br />

Doch natürlich verbringe ich meine Ferien nicht nur mit Essen: unter anderem<br />

gehen wir ins Kino, den Zoo, den Freizeitpark, besuchen diverse andere Plätze<br />

São Paulos und machen Urlaub auf Ilhabela, einer Ferieninsel „in der Nähe“.<br />

„In der Nähe“ heißt hierbei gut vier Stunden Autofahrt, aber da man als<br />

Paulistano an Fahrten von grundsätzlich einer knappen Stunde gewöhnt ist, hat<br />

man eine andere Einstellung zu diesem Thema. Ein paar Tage verbringen wir<br />

nun zusammen mit einigen anderen „Geschwistern“ in den Ferienhäusern<br />

zweier Familien. Obwohl Temperaturen von ungefähr 25 Grad herrschen, haben<br />

wir die wunderschönen Sandstrände fast für uns allein – schließlich ist ja<br />

Winter! Direkt nachdem meine Austauschschwester Flora und ich zurückgekehrt<br />

sind, steht schon wieder eine Familienfeier an, die gut vorbereitet<br />

werden muss! Als es nun soweit ist, zeigt sich für mich eine gute Gelegenheit,<br />

Tanten, Onkel, Omas und Opas kennenzulernen – bei Gesprächen mit ihnen


werde ich das erste Mal aktiv mit Sprachproblemen konfrontiert. Es wird also<br />

niemals langweilig, doch selbstverständlich gibt es auch Tage, an denen wir<br />

„nichts Besonderes“ machen – dann vertreiben wir uns die Zeit meistens mit<br />

Fernsehen, in einem Shoppingcenter oder im Fitness-Studio. Diese Aktivitäten<br />

sind hier äußerst beliebt, denn wenn man sich nicht gerade in einem Park oder<br />

in seinem Condominium (ein Wohnzusammenschluss mehrerer Hochhäuser, in<br />

welchem die meisten Bürger der besser-betuchten Oberschicht leben. Wer hier<br />

ein eigenes Haus besitzt, wird als sehr reich angesehen) aufhält, sind<br />

Unternehmungen an der frischen Luft praktisch unmöglich. Dadurch habe ich<br />

gemerkt, wie viele Freiheiten ich eigentlich in <strong>Minden</strong> genieße und dass das<br />

Radfahren, das ich immer eher als Mittel zum Zweck gesehen habe, eigentlich<br />

eine super Sache ist. Wenn wir hier etwas unternehmen wollen, sind wir immer<br />

darauf angewiesen, dass wir mit dem Auto gefahren werden.<br />

Die Ferieninsel Ilhabela, Foto: Stühmeier<br />

Die Ferien waren für mich also schon einmalig schön, doch danach geht es für<br />

uns Deutsche mit den wohl spektakulärsten zwei Wochen unserer Zeit in<br />

Brasilien weiter: die Reisen nach Ouro Preto, Rio de Janeiro, Salvador und<br />

Praia do Forte. Es geht am letzten Ferientag los in Richtung Minas Gerais, Ouro<br />

Preto. An sich eine kleine Stadt, ist sie dennoch historisch sehr wichtig – der<br />

Name der Stadt heißt übersetzt „schwarzes Gold“, welcher auf die enormen<br />

Goldvorkommen zurückzuführen ist. Generell ist sie aber auch wegen der<br />

fantastischen Altstadt wirklich sehenswert: wenn man die engen, gepflasterten<br />

Gassen auf- und abgeht, fühlt man sich zwischen den barocken Häusern<br />

wirklich, als befände man sich nicht in unserer Zeit.


Nach zwei Tagen geht die Fahrt schon weiter und wir erreichen abends voll<br />

freudiger Erwartung … Rio de Janeiro! Schon aus dem Bus heraus können wir<br />

einen ersten Blick auf den hell erleuchteten Cristo Redentor erhaschen. Folglich<br />

kehren wir gut gelaunt und äußerst gespannt auf die nächsten Tage in unser<br />

Hotel ein. Wir unternehmen sehr viel in dieser Weltstadt und sehen so viel von<br />

ihr, wie es uns in den paar Tagen, die zur Verfügung stehen, nur möglich ist.<br />

Wir machen eine wirklich gute Führung zu Fuß, sodass wir auch nicht ganz so<br />

bekannte Winkel sehen können, danach sind wir auf dem berühmten Zuckerhut<br />

und am nächsten Tag besuchen wir endlich die Christusstatue. Mir hat dieses<br />

Bauwerk unglaublich imponiert, aber wirklich realisieren kann ich die Tatsache,<br />

dass ich solch ein bedeutendes Monument wahrhaftig gesehen habe, erst später.<br />

Nachdem wir einige der Sehenswürdigkeiten in Rio bestaunt haben, können wir<br />

den Nachmittag an der Copacabana verbringen – glücklicherweise spielt das<br />

Wetter noch relativ gut mit und wir können im türkisfarbenen Meer<br />

schwimmen.<br />

Cristo Redentor; Foto: Stühmeier<br />

Nach einem Tag daheim geht es kurz nach der ersten Reise gleich wieder weg,<br />

dieses Mal sogar zum Flughafen: wir fliegen in die ungefähr 2.000 Kilometer<br />

entfernte Stadt Salvador da Bahia. Hier werden wir von einer Reiseführerin<br />

begleitet, unter anderem auf einem Acht-Stunden-Sightseeing-Marathon durch


die durchaus sehenswerte Stadt. Die Besonderheit an ihr ist, dass sie zwei<br />

geographische Schichten hat: die Ober- und die Unterstadt, die durch einen<br />

Aufzug miteinander verbunden sind. Da der Kampftanz Capoeira in Salvador<br />

seine Wurzeln hat, haben wir neben entspannten Stunden am Strand einen<br />

Vormittag lang an einer Capoeira- und damit verbunden auch Geschichtsstunde<br />

teilgenommen, die mir persönlich sehr gut gefallen und in einer Favela<br />

(Armenviertel) stattgefunden hat. Besonders hier bekommt man das, was auch<br />

in São Paulo ein offensichtliches Problem ist, hautnah vermittelt: die Schere<br />

zwischen arm und reich. Wer Geld hat, hat viel davon, der Rest lebt in Hütten,<br />

die wie unbewohnte Rohbau-Ruinen aussehen. Ich konnte mir nicht vorstellen,<br />

unter welchen Umständen Menschen wohnen können, bis ich es mit eigenen<br />

Augen gesehen habe. Was mich dabei sehr beeindruckt, ist die Lebensfreude,<br />

die – in Brasilien generell sehr ausgeprägt – selbst Menschen, die unter diesen<br />

Umständen leben, an den Tag legen. Man merkt wirklich enorm, dass man sich<br />

in einem anderen Land mit ganz anderer und viel herzlicherer Mentalität<br />

befindet als wir es aus Deutschland gewohnt sind.<br />

Abschließend ging es noch für drei Tage in das Urlaubsörtchen Praia do Forte,<br />

wo wir viel freie und ruhige Zeit hatten.<br />

Wie gerne wären wir alle noch länger geblieben, doch auch diese zwei Wochen<br />

sind viel zu schnell umgegangen – genau wie der Rest unseres Aufenthalts, wie<br />

mir zu diesem Zeitpunkt radikal auffällt. Waren wir nicht gestern noch auf<br />

Ilhabela?<br />

Sao Paolo von oben; Foto: Stühmeier


Aber noch liegen weitere zwei Wochen vor uns: wir absolvieren eine gelungene<br />

Mischung aus Unterrichtsbesuchen und Tagesausflügen. Was mich sehr<br />

verwundert, ist die Art und Weise des Unterrichts: der Lehrer hält einen strikten<br />

45-Minuten-Vortrag, wobei die Schüler sich (sehr lautstark!) untereinander<br />

beschäftigen oder mit ihren Blackberrys die neusten Neuigkeiten auf Facebook<br />

nachlesen. Dafür haben sie zu Hause viel zu tun, schließlich müssen sie neben<br />

haufenweise Hausaufgaben noch den ganzen Stoff wiederholen, den sie in der<br />

Stunde verpasst haben. Für uns Deutsche ist das der eher unspektakuläre Teil<br />

unserer Ferien, da in unserer Familie nun alles wieder im alten Trott läuft und<br />

wenn wir nicht gerade in der Schule oder unterwegs sind, verbringen wir die<br />

Nachmittage mit „normalen“ Tätigkeiten.<br />

Die Tage vergehen und langsam wird mir bewusst, dass ich bald WIRKLICH<br />

zurück nach <strong>Minden</strong> fliege – ins kalte, unfreundliche, langweilige Deutschland.<br />

War das schon mein Austausch? Es ist nur noch so wenig Zeit für die Sachen,<br />

die ich gerne noch machen möchte! Hilfe, weitere sechs, sieben, acht …<br />

Wochen müssen her! Doch es nützt alles nichts. Wie im Flug vergehen auch<br />

diese Tage und schon steht mein letzter Samstagabend bevor: wir gehen auf<br />

den 15. Geburtstag einer Freundin, der in Brasilien traditionell fast so groß wie<br />

eine Hochzeit gefeiert wird. Für mich ein wunderbarer Abschied, bevor es am<br />

Sonntagabend tränenreich und äußerst niedergeschlagen wieder gen<br />

Deutschland geht.<br />

In der Capoeira-Stunde; Foto: Stühmeier


DVD-Ecke Lola rennt<br />

Eine Filmkritik von Theresa Guth<br />

Berlin, heute. Lola und Manni sind ein Paar. Manni ist ein Kleinkrimineller, der<br />

seinem skrupellosen Chef als Vertrauenstest eine Tasche mit 100.000 DM überbringen<br />

soll. Durch einen unglücklichen Zufall verliert er die Tasche in der U-Bahn,<br />

wo sie ein Obdachloser findet und mitnimmt. Manni ruft völlig verzweifelt bei Lola<br />

an. Ihnen bleiben 20 Minuten, um das Geld wieder-zubekommen. 20 Minuten, die ihr<br />

Leben verändern werden. Und Lola rennt...<br />

Mit „Lola rennt“ mit Franka Potente und Moritz Bleibtreu in den Hauptrollen landete<br />

Regisseur Tom Tykwer 1998 einen Überraschungserfolg.<br />

Der Film befasst sich mit der Frage nach dem Zufall – könnte nicht alles ganz anders<br />

passieren, wenn nur eine winzige Änderung vorliegt? Ist unser Leben<br />

vorherbestimmt, oder leben wir nur „zufällig“ so, wie wir leben? Manche meinen<br />

auch, der Film sei eigentlich gar kein Film, sondern ein Computerspiel: Drei<br />

Versuche, drei Leben...! Denn: Zahlreiche ineinander verflochtene Handlungsstränge<br />

und Schicksale werden aufgezeigt. Bei jeder Person, der Lola flüchtig begegnet, wird<br />

in einer schnellen Bilderabfolge das weitere Leben dieses Menschen dargestellt. Und<br />

nicht nur das: Auch alternative „Enden“ werden angedacht und für fast jede Figur<br />

durchgespielt. Getreu der Logik: Was wäre, wenn das Leben an dieser Stelle eine<br />

andere Wendung genommen hätte?<br />

Passend zu der Frage nach der Bedeutung des Zufalls ist auch der Soundtrack des<br />

Films. Als Lola und Manni nach einem Supermarkt-Überfall durch die Straßen<br />

rennen, hört der Zuschauer das Lied „What a difference a day made, twenty-four little<br />

hours…“ von María Grever. In den Zwischensequenzen, in denen Manni und Lola<br />

Sicherheit ihrer Liebe suchen, erklingt die Komposition „The Unanswered Question“<br />

von Charles Ives.<br />

„Lola rennt“ ist ein sehr spannender Film mit überragenden Schauspielern und einem<br />

höchst nachdenklich machenden Drehbuch. Er gehört zu den deutschen Kultfilmen,<br />

die jeder gesehen haben sollte.


Von Carolin Lüders

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