Steinbaukästen im DDR-Comic MOSAIK - gbg-monteverdi.de
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Me<strong>de</strong><strong>de</strong>lingenblad Club van Ankervrien<strong>de</strong>n, Jahrgang 32, Nr. 1, 2011 13<br />
<strong>Steinbaukästen</strong> <strong>im</strong> <strong>DDR</strong>-<strong>Comic</strong> <strong>MOSAIK</strong><br />
von Detlev Wehning<br />
In <strong>de</strong>r <strong>DDR</strong> erschien von 1957 bis 1975 <strong>im</strong> Verlag Junge<br />
Welt das <strong>Comic</strong>magazin <strong>MOSAIK</strong> mit <strong>de</strong>n<br />
knollennasigen Hauptpersonen Dig und Dag, <strong>de</strong>n<br />
Digedags. Diese Serie begeisterte in <strong>de</strong>r damaligen Zeit<br />
die Leser und hat heute Kultstatus erlangt. Bei <strong>de</strong>n West<strong>de</strong>utschen<br />
ist sie kaum bekannt. Auf humorvolle, kindgerechte<br />
Weise wur<strong>de</strong>n kulturhistorische und geographische<br />
Kenntnisse vermittelt. Das Wochenmagazin ZEIT schrieb<br />
<strong>im</strong> Dezember 2010: „Wer Neo Rauch, wer Uwe<br />
Tellkamp verstehen will, muss es kennen“ und weiter:<br />
„Sie [die Digedags] waren <strong>im</strong> alten Ägypten, <strong>im</strong> Russland<br />
Katharinas <strong>de</strong>r Großen, am Hofe <strong>de</strong>s Sonnenkönigs Ludwig<br />
XIV. Auch das Berlin Friedrich Wilhelm IV. kannten sie bestens, als Reporter <strong>de</strong>r Vossischen<br />
Zeitung. Sie erlebten die Entwicklung <strong>de</strong>r Dampfmaschine, sie erklärten Weltall, Er<strong>de</strong>,<br />
Mensch. Zuverlässig halfen sie <strong>de</strong>n kleinen Leuten und sabotierten die Staatsgewalt. Am<br />
liebsten verulkten sie das Militär.“ Die Originalhefte wer<strong>de</strong>n inzwischen zu hohen Preisen<br />
gehan<strong>de</strong>lt, Nachdrucke in Buchform erscheinen <strong>im</strong> BVJW, <strong>de</strong>r zum Tessloff-Verlag gehört.<br />
Nicht erst heute, son<strong>de</strong>rn bereits zu Zeiten <strong>de</strong>r <strong>DDR</strong> waren sie äußerst begehrt. Die Auflage,<br />
die zuletzt knapp eine Million betrug, reichte nicht aus, um die Nachfrage zu bedienen und so<br />
wur<strong>de</strong> das Magazin zur „Bückware“. Es war schwer zu bekommen, wur<strong>de</strong> unter <strong>de</strong>m La<strong>de</strong>ntisch<br />
gehan<strong>de</strong>lt und gerne gegen westliche Luxusgüter wie Matchbox-Autos o<strong>de</strong>r Disney-<br />
Produkte getauscht. Der Autor und Zeichner Hannes Hegen (eigentlich Johannes Hegenbarth)<br />
erhielt 12000 Mark für ein Heft, das anfangs vierteljährlich, dann monatlich erschien. Viel<br />
Geld <strong>im</strong> Vergleich zum Monatslohn eines <strong>DDR</strong>-Arbeiters, <strong>de</strong>r bei 400 Mark lag.<br />
Die 223 Hefte <strong>de</strong>r Digedags spielten in 23 Jahrhun<strong>de</strong>rten Menschheitsgeschichte. Als Teil <strong>de</strong>r<br />
Erfin<strong>de</strong>rserie erschien <strong>im</strong> Oktober 1963 die Nummer 83 unter <strong>de</strong>m Titel Der Fall Meinrath.<br />
In dieser Ausgabe geht es auch um <strong>Steinbaukästen</strong>, die Digedags entwerfen Mo<strong>de</strong>lle. Das<br />
Online-Nachschlagewerk MosaPedia fasst <strong>de</strong>n Inhalt zusammen:<br />
Bei einer Lagebesprechung<br />
<strong>de</strong>s österreichischenGeneralstabs<br />
in <strong>de</strong>r Wiener<br />
Hofburg soll Oberst<br />
Meinrath als Chef<br />
<strong>de</strong>r Spionageabteilung<br />
über <strong>de</strong>n Ausbau<br />
<strong>de</strong>r preußischen<br />
Festungen berichten.<br />
Er schil<strong>de</strong>rt, wie<br />
schwierig es gewor<strong>de</strong>n<br />
ist, in Preußen<br />
zu spionieren. Das<br />
Militärgehe<strong>im</strong>nis <strong>de</strong>r<br />
Zita<strong>de</strong>lle Mag<strong>de</strong>burg konnte <strong>de</strong>shalb noch nicht gelüftet wer<strong>de</strong>n. Bei einem Auftritt von Hof-
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ballmusikdirektor Johann Strauß und <strong>de</strong>r Reg<strong>im</strong>entskapelle <strong>de</strong>r Hoch- und Deutschmeister hat<br />
Oberst Meinrath eine I<strong>de</strong>e. Feldmarschall Ra<strong>de</strong>tzky schickt ihn sofort auf eine gehe<strong>im</strong>e<br />
Dienstreise.<br />
Dig und Dag arbeiten <strong>im</strong> Konstruktionsbüro <strong>de</strong>r Bastei-Baukasten-Firma in Bad Schandau.<br />
Meinrath schließt dort einen Vertrag über die Lieferung von fünfzig vollständigen Serien<br />
<strong>de</strong>utscher Burgen ab, wenn die Pläne und das Mo<strong>de</strong>ll <strong>de</strong>r Zita<strong>de</strong>lle Mag<strong>de</strong>burg dabei sind.<br />
Dig und Dag übernehmen die gefährliche Aufgabe und reisen nach Mag<strong>de</strong>burg. Es gelingt<br />
ihnen, die militärisch gehe<strong>im</strong>e Festung zu vermessen und <strong>im</strong> Gasthof "Zur Zita<strong>de</strong>lle" als Mo<strong>de</strong>ll<br />
naturgetreu nachzubauen. Die Digedags lernen dabei Leutnant Siemens kennen, <strong>de</strong>r ihnen<br />
in seiner Gefängniszelle Exper<strong>im</strong>ente mit elektrischem Strom und Chemikalien zeigt.<br />
Bei einem Ausblick vom Mag<strong>de</strong>burger Dom auf die Zita<strong>de</strong>lle überre<strong>de</strong>t sie <strong>de</strong>r alte Glöckner,<br />
seinen Fle<strong>de</strong>rmaus-Flugapparat auszuprobieren. Während Leutnant Siemens bei einem Appell<br />
verkün<strong>de</strong>t wird, dass <strong>de</strong>r Rest seiner Strafe erlassen ist, überfliegen die Digedags <strong>de</strong>n Festungshof.<br />
Sie stürzen mit <strong>de</strong>m Flugapparat auf die versammelte Mannschaft und wer<strong>de</strong>n als<br />
Spione verhaftet. Der Kommandant <strong>de</strong>r Zita<strong>de</strong>lle, <strong>de</strong>r strafversetzte preußische Abwehrchef<br />
Major von Treskow, n<strong>im</strong>mt ihnen die Pläne <strong>de</strong>r Zita<strong>de</strong>lle ab und steckt sie in die Zelle von<br />
Siemens. Nach ihrer Flucht aus <strong>de</strong>r Festung sind sie entsetzt, was Fritz und Franz, die Söhne
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ihres Wirts, <strong>im</strong> Gasthof aus ihrem Baustein-Mo<strong>de</strong>ll gemacht haben. Oberst Meinrath reist<br />
enttäuscht nach Wien zurück, wo sich <strong>de</strong>rweil die Fuhrwerke mit <strong>de</strong>n fünfzig Serien <strong>de</strong>utscher<br />
Burgen stauen. Er muss seinen Enkeln über <strong>de</strong>n missglückten Fall Meinrath berichten.<br />
Die Anker-<strong>Steinbaukästen</strong> aus Rudolstadt wer<strong>de</strong>n in dieser Geschichte als Bastei-<br />
<strong>Steinbaukästen</strong> aus Bad Schandau eingeführt. Der Fabrikant heißt hier nicht Richter son<strong>de</strong>rn<br />
trägt <strong>de</strong>n sprechen<strong>de</strong>n Namen Bruch. Sein Ziel ist es, je<strong>de</strong> <strong>de</strong>utsche Familie mit einem Steinbaukasten<br />
zu beglücken. Zur Deckung <strong>de</strong>s Rohstoffbedarfs will er dazu <strong>de</strong>n Lilienstein abtragen.<br />
Ein bemerkenswerter Zufall ist, dass in <strong>de</strong>r <strong>DDR</strong> die Produktion <strong>de</strong>r Anker-<br />
<strong>Steinbaukästen</strong> En<strong>de</strong> 1963 eingestellt wur<strong>de</strong>, <strong>im</strong> Erscheinungsjahr dieses Heftes. Interessant<br />
ist auch die Episo<strong>de</strong> mit Werner von Siemens, <strong>de</strong>r tatsächlich wegen eines Duells in <strong>de</strong>r Mag<strong>de</strong>burger<br />
Festung einsaß und sich dort mit elektrochemischen Exper<strong>im</strong>enten beschäftigte.<br />
1975 überwarf sich Hegen aus ungeklärten Grün<strong>de</strong>n mit <strong>de</strong>m Verlag. Da das Copyright für<br />
die Digedags bei ihm lag, wur<strong>de</strong> das Magazin mit neuen Figuren, <strong>de</strong>n Abrafaxen fortgesetzt<br />
und erscheint noch heute. Das Zeitgeschichtliche Forum in Leipzig, eines <strong>de</strong>r drei Standorte<br />
<strong>de</strong>s Hauses <strong>de</strong>r Geschichte <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>srepublik Deutschland, eröffnet <strong>im</strong> zweiten Halbjahr<br />
2011 eine große <strong>MOSAIK</strong>-Schau.<br />
Der Fall Meinrath ist eine von vielen Abenteuern <strong>de</strong>r Digedags. Die intensive Beschäftigung<br />
mit <strong>de</strong>n <strong>MOSAIK</strong>-<strong>Comic</strong>s hat Generationen von <strong>DDR</strong>-Kin<strong>de</strong>rn und Jugendlichen geprägt.<br />
Lean<strong>de</strong>r Haußmann, Regisseur <strong>de</strong>s Films Sonnenallee, antwortete <strong>im</strong> April 2000 auf die Frage,<br />
was er <strong>de</strong>nn aus <strong>DDR</strong>-Zeiten vermisse: „Die <strong>Comic</strong>s mit Dig, Dag & Digedag und Ritter<br />
Runkel von Rübenstein. Mein gesamtes technisches als auch kulturelles Wissen basiert auf<br />
diesen Heften.“<br />
Quellen:<br />
Christoph Diekmann: Im <strong>Comic</strong>-Reich <strong>de</strong>r <strong>DDR</strong>, Die ZEIT Nr. 51, 2010<br />
Online-Nachschlagewerk über <strong>MOSAIK</strong>-<strong>Comic</strong>s: www.mosapedia.<strong>de</strong> vom 30.1.2011<br />
Hannes Hegen in <strong>de</strong>r comiclopedia: www.lambiek.net/artists/h/hegen_hannes.htm<br />
Hilfen:<br />
Neo Rauch, geboren 1960 in Leipzig, Ost<strong>de</strong>utschland, Hauptkünstler <strong>de</strong>r Neuen Leipziger Schule.<br />
Rauchs Arbeiten sind <strong>im</strong> Museum of Mo<strong>de</strong>rn Arts, New York.<br />
Uwe Tellkamp, geboren 1968 in Dres<strong>de</strong>n, Ost<strong>de</strong>utschland, Schriftsteller <strong>de</strong>r 2008 <strong>de</strong>n Deutschen<br />
Buchpreis für seine Novelle ‚Der Turm‘ erhielt, welche das Leben in Ost<strong>de</strong>utschland während <strong>de</strong>r<br />
1980er Jahre beschreibt.<br />
Lean<strong>de</strong>r Haußmann, geboren 1959 in Quedlinburg, Ost<strong>de</strong>utschland, Theater- und Filmdirektor,<br />
Durchbruch mit ‚Sonnenallee‘, eine Filmkomödie von 1999 über das Leben in Ostberlin in <strong>de</strong>n späten<br />
1970er Jahren, Deutscher Filmpreis in Silber 2000.<br />
Die Vossische Zeitung (genauer: "[Königlich Privilegierte] Berlinische Zeitung von Staats- und Gelehrten<br />
Sachen") war die bekannte liberale <strong>de</strong>utsche Zeitung, die in Berlin (1721–1934) verlegt wur<strong>de</strong>.<br />
Bis ins zweite Jahr <strong>de</strong>s Dritten Reiches war sie eine überregional angesehene Berliner Zeitung.<br />
George Hardy