Alpha-Scout-Schulung - Wege aus dem ... - ProGrundbildung
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<strong>Alpha</strong>-<strong>Scout</strong><br />
H A N D R E I C H U N G<br />
Konzeptionelle Grundlagen und<br />
praktische Umsetzung<br />
an der Münchner Volkshochschule
Her<strong>aus</strong>geber<br />
Münchner Volkshochschule GmbH<br />
Kellerstr. 6<br />
81667 München<br />
Autorinnen<br />
Andrea Kuhn-Bösch (MVHS), Tatjana von Rosenstiel (LMU)<br />
Kontakt<br />
Andrea Kuhn-Bösch<br />
Fachgebietsleitung <strong>Alpha</strong>betisierung/Grundbildung<br />
andrea.kuhn-boesch@mvhs.de<br />
www.progrundbildung.de<br />
Stand: Dezember 2010<br />
© Verbundprojekt <strong>ProGrundbildung</strong><br />
Druck<br />
Gallus Reprographische Betriebe Schmucker GmbH<br />
Lindwurmstraße 91<br />
80337 München<br />
www.gallus-repro.de<br />
Partner im Verbundprojekt<br />
Das dieser Publikation zugrundeliegende Vorhaben<br />
(Verbundprojekt <strong>ProGrundbildung</strong>) wurde mit Mitteln<br />
des Bundesministeriums für Bildung und Forschung<br />
unter <strong>dem</strong> Förderkennzeichen 01AB072401 und<br />
01AB072402 gefördert. Die Verantwortung für den<br />
Inhalt dieser Veröffentlichung liegt beim Autor.
<strong>Alpha</strong>-<strong>Scout</strong> - Handreichung<br />
INHALT<br />
0. Vorwort .................................................................................................. 3<br />
1. „<strong>Alpha</strong>-<strong>Scout</strong>“- Konzept: Theoretische Grundlagen und praktische<br />
Umsetzung an der Münchner Volkshochschule<br />
Tatjana von Rosenstiel und Andrea Kuhn-Bösch (LMU und MVHS)<br />
1.1 Ausgangssituation ........................................................................ 4<br />
1.2 Darstellung und Begründung sozialintegrativer<br />
<strong>Alpha</strong>betisierungsarbeit ............................................................... 5<br />
1.3 Konzeptionelle Überlegungen zum <strong>Alpha</strong>-<strong>Scout</strong><br />
und seinen Aufgaben ................................................................... 6<br />
1.4 <strong>Alpha</strong>-<strong>Scout</strong>-<strong>Schulung</strong>en ............................................................. 7<br />
1.5 Entwicklung von Sozialraumkonzepten mit der<br />
Unterstützung von <strong>Alpha</strong>-<strong>Scout</strong>s............................................... 10<br />
1.6 Praktische Umsetzung der Konzeption des <strong>Alpha</strong>-<strong>Scout</strong>s<br />
an der MVHS ............................................................................. 11<br />
1.7 Literatur ...................................................................................... 15<br />
2. <strong>Schulung</strong><br />
2.1 Infoblätter zur Ansprache von Fachkräften ................................ 16<br />
2.2 Kurzkonzept zur Durchführung der <strong>Schulung</strong> ............................ 18<br />
2.3 <strong>Alpha</strong>-<strong>Scout</strong>-<strong>Schulung</strong> (Powerpoint Präsentation) ..................... 20<br />
3. <strong>Schulung</strong>smaterialien<br />
3.1 Informationen zur Erwachsenen-<strong>Alpha</strong>betisierung in<br />
Deutschland ............................................................................... 40<br />
3.2 Fallbeispiele ............................................................................... 49<br />
3.3 Filmliste ...................................................................................... 51<br />
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<strong>Alpha</strong>-<strong>Scout</strong> - Handreichung<br />
0. Vorwort<br />
Das vorliegende Konzept zum <strong>Alpha</strong>-<strong>Scout</strong> ist im Rahmen einer entwicklungsorientierten<br />
Forschungsarbeit in enger Zusammenarbeit insbesondere mit <strong>dem</strong> Verbundpartner<br />
an der Ludwigs-Maximilians-Universität des Projekts <strong>ProGrundbildung</strong> im<br />
Zeitraum 2007 bis 2010 erstellt worden.<br />
Drei Aufgaben bereiche bildeten die Forschungs- und Entwicklungsschwerpunkte im<br />
Projekt <strong>ProGrundbildung</strong>. Ausgangspunkt war die gemeinsame Arbeitshypothese,<br />
dass effektive Grundbildungsarbeit von folgenden Grundpfeilern bestimmt wird:<br />
gut <strong>aus</strong>gebildete<br />
Kursleiter/innen<br />
<strong>Alpha</strong>-<strong>Scout</strong><br />
Multiplikatoren zur Teilnehmer-<br />
Gewinnung<br />
Die vorliegende Handreichung erläutert eine Strategie zur Gewinnung, Information<br />
und Sensibilisierung von Multiplikator/inn/en zur Teilnehmeransprache und zu Methoden<br />
der Initiierung und Koordinierung von Netzwerken, die <strong>Alpha</strong>betisierung und<br />
Grundbildung als gemeinsame gesamtgesellschaftliche Aufgabe definieren. Sie repräsentiert<br />
somit den ersten Grundpfeiler, „<strong>Alpha</strong>-<strong>Scout</strong>“.<br />
Das Konzept zur „Basisqualifizierung <strong>Alpha</strong>betisierung / Grundbildung“ für Lehrende<br />
und die Handreichung zur Konzeptionierung und Umsetzung einer Lernwerkstatt stehen<br />
exemplarisch für die zwei weiteren Grundpfeiler. Sie sind im Internet über die<br />
Adresse www.progrundbildung.de zu beziehen.<br />
Entwickelt wurde das Konzept der <strong>Alpha</strong>-<strong>Scout</strong>s von<br />
Tatjana von Rosenstiel (LMU), Barbara Lin<strong>dem</strong>ann(LMU), Annekathrin Schmid (MVHS) und Andrea Kuhn-Bösch (MVHS).<br />
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innovative Angebote
<strong>Alpha</strong>-<strong>Scout</strong> - Handreichung<br />
1. <strong>Alpha</strong>-<strong>Scout</strong> - Konzept:<br />
Theoretische Grundlagen und praktische Umsetzung<br />
an der Münchner Volkshochschule<br />
1.1 Ausgangssituation<br />
Eine wesentliche Zielsetzung im Rahmen des Projekts <strong>ProGrundbildung</strong> („Professionalisierung<br />
der <strong>Alpha</strong>betisierung/Grundbildung in der Weiterbildung“) betrifft die Gewinnung von<br />
Teilnehmer/inne/n für Bildungsmaßnahmen im Bereich der Grundbildung. Das Projekt zielt<br />
darauf ab, eine „stadtviertel- und milieubezogene Unterstützungs- und Beratungsstruktur<br />
durch sogenannte <strong>Alpha</strong>-<strong>Scout</strong>s“ (Projektantrag MVHS, S. 6) zu konzipieren, um die Probleme<br />
der oft zahlenmäßig noch geringen und unsystematischen Kontaktaufnahme mit Betroffenen<br />
lösen zu können. Die dahinter stehende Grundidee beinhaltet, dass es Personen<br />
gibt, die durch ihre Verbindungen zu unterschiedlichen Systemebenen und institutionellen<br />
Ausprägungen, die mit der Zielgruppe Kontakt haben, als Vermittler und Schlüsselpersonen<br />
über integrative Möglichkeiten verfügen, die strategisch genutzt werden können. Auf diese<br />
Weise soll das Ziel, mehr Teilnehmer/innen für Grundbildungsangebote und wachsende gesellschaftliche<br />
Teilhabe der Betroffenen systematisch und konzeptionell verfolgt werden. Die<br />
theoretischen Grundlagen und die Umsetzung des <strong>Alpha</strong>-<strong>Scout</strong>-Konzepts sollen im Folgenden<br />
genauer dargestellt werden. 1<br />
Die Anzahl der Teilnehmenden, die den Weg von sich <strong>aus</strong> in Bildungseinrichtungen findet, ist<br />
trotz vielfältiger Engagements wie Vernetzungen im kommunalen Umfeld und der Schaffung<br />
institutioneller Supportstrukturen wie z.B. Beratungsstellen überschaubar. Zur überwiegenden<br />
Mehrheit der Adressaten fehlt der direkte Kontakt, die Betroffenen haben oft keinen oder<br />
einen von Druck und Zwang und daher oft von Schwierigkeiten und Misstrauen geprägten<br />
Kontakt zu Ämtern, Beratungs- und Betreuungseinrichtungen.<br />
Das Problem der (Re-)Integration von Bildungsbenachteiligten und bildungsfernen Menschen<br />
in die Weiterbildung wird immer aktueller (Brüning/Kuwan 2002) und die massiven gesellschaftlichen<br />
Auswirkungen von Bildungsarmut sind unbestreitbar.<br />
Die Gruppe der Menschen mit Grundbildungsbedarf ist sehr heterogen, doch eint sie die<br />
Schwierigkeit, den Lebensalltag und/oder die Anforderungen am Arbeitsplatz angemessen<br />
und stressfrei zu bewältigen. Ein guter Teil der Betroffenen befindet sich zu<strong>dem</strong> in sozial<br />
1 Vgl. hierzu auch Schmid, A, 2009<br />
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<strong>Alpha</strong>-<strong>Scout</strong> - Handreichung<br />
schwierigen Lebenslagen. Arbeitslosigkeit, drohende Arbeitslosigkeit, Verschuldung oder<br />
Suchtprobleme sind oft Anlass zum Lernen aber gleichermaßen auch Begleitumstände des<br />
Lernprozesses. Die Situation der Vermischung von persönlichen Problemlagen und den<br />
praktischen Aspekten des Schriftsprachenerwerbs führt dazu, dass die Erwachsenenbildung<br />
in der <strong>Alpha</strong>betisierung bzw. Grundbildung eine besondere Her<strong>aus</strong>forderung ist. <strong>Alpha</strong>betisierung/<br />
Grundbildung ist somit eingebettet zwischen Bildungsarbeit und Sozialer Arbeit.<br />
1.2 Darstellung und Begründung sozialintegrativer <strong>Alpha</strong>betisierungsarbeit<br />
Konzeptionelle Überlegungen, was unter einem <strong>Alpha</strong>-<strong>Scout</strong> verstanden werden kann, basieren<br />
in den folgenden Ausführungen auf Arbeiten zu „sozialintegrativer <strong>Alpha</strong>betisierungsarbeit“<br />
(Schneider/Gintzel/Wagner 2008) bzw. „sozialarbeitsorientierter Erwachsenenbildung“<br />
(Miller 2003) stützen. Das mittlerweile abgeschlossene Projekt PASS alpha (an der Evangelischen<br />
Fachhochschule für Soziale Arbeit Dresden) hat den Begriff „sozialintegrativer <strong>Alpha</strong>betisierungsarbeit“<br />
in die Diskussion über <strong>Alpha</strong>betisierung und Grundbildung eingeführt.<br />
Die Ausführungen hierzu decken sich in vielerlei Hinsicht mit den Vorstellungen eines <strong>Alpha</strong>-<br />
<strong>Scout</strong>s und seines möglichen Aufgabenspektrums, das im Projekt <strong>ProGrundbildung</strong> vertreten<br />
wird. Insbesondere der Aspekt, dass Bildungsarbeit durch Vernetzung mit sozialer Arbeit und<br />
unter Nutzung der jeweiligen Infrastrukturen aktiv werden muss, wird auch vom Projekt vertreten.<br />
Der sozialintegrative Ansatz führt soziale Ungleichheit und Benachteiligung auf milieuspezifische<br />
Faktoren zurück, wie z. B. Mangel an finanziellen Möglichkeiten oder an Unterstützung<br />
beim Lernen. Grundbildung stellt eine Möglichkeit dar, die Ressourcen von Benachteiligten<br />
zu stärken. Somit, so der Grundgedanke, kann soziale Ungleichheit gemildert und gesellschaftliche<br />
Teilhabe der Betroffenen gefördert werden. Da Grundbildung zwischen sozialer<br />
und pädagogischer Arbeit angesiedelt ist, müssen die relevanten Akteure <strong>aus</strong> Grundbildungsarbeit<br />
und Sozialer Arbeit im Bereich <strong>Alpha</strong>betisierung und Grundbildung gemeinsam<br />
aktiv werden, um den genannten Her<strong>aus</strong>forderungen adäquat zu begegnen. Diese Strategie<br />
bringt den Vorteil mit sich, dass das jeweilige Know-How synergetisch genutzt werden kann,<br />
ebenso wie die jeweiligen, bereits bestehenden Infrastrukturen und Netzwerke.<br />
Die Ziele, die mit <strong>dem</strong> sozialintegrativen Vorgehen verfolgt werden, betreffen in erster Linie<br />
die Teilnehmergewinnung für Grundbildungsangebote durch Nutzung der genannten Vorteile.<br />
Diese Strategie bringt die Möglichkeit mit sich, gemeinsam integrative Konzepte und Angebote<br />
zu entwickeln. Dadurch können auf zwei Ebenen positive Effekte erzielt werden: Einerseits<br />
kann auf der individuellen Ebene der meist problematischen Lebenssituation der<br />
Betroffenen mit persönlichkeitsstärkenden, integrativen Angeboten begegnet werden. And-<br />
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<strong>Alpha</strong>-<strong>Scout</strong> - Handreichung<br />
rerseits stellt auf der gesellschaftlichen Ebene die Stärkung der Zielgruppe durch Förderung<br />
der Teilhabemöglichkeiten auch eine Stärkung der gesellschaftlichen Ressourcen dar.<br />
1.3 Konzeptionelle Überlegungen zum <strong>Alpha</strong>-<strong>Scout</strong> und seinen Aufgaben<br />
Der Begriff „<strong>Alpha</strong>-<strong>Scout</strong>“ war zunächst primär ein Arbeitstitel des Projekts, der sich mit den<br />
Fragen rund um die Teilnehmergewinnung für Angebote zur <strong>Alpha</strong>betisierung und Grundbildung<br />
mittels Vernetzung beschäftigte und sich schließlich verfestigte.<br />
Die verschiedenen Stufen der Annäherung an eine für das Projekt tragende Definition eines<br />
<strong>Alpha</strong>-<strong>Scout</strong>s lassen sich folgendermaßen beschreiben:<br />
Grundsätzlich wird von der Ursprungsbedeutung eines <strong>Scout</strong>s als Pfadfinder, Späher und<br />
Kundschafter <strong>aus</strong>gegangen. Der <strong>Alpha</strong>-<strong>Scout</strong> ist somit ein Pfadfinder im Grundbildungsbereich,<br />
der Menschen mit Grundbildungsbedarf identifizieren und in entsprechende Bildungsangebote<br />
weitervermitteln kann. Diese vereinfachte Definition simplifiziert selbstverständlich.<br />
Zwar gibt es sicherlich Situationen, in denen Personen in einem informellen Zusammenhang<br />
Menschen mit Grundbildungsbedarf „finden“ im Sinne eines „<strong>Scout</strong>s“ und sie in einen Lernzusammenhang<br />
weitervermitteln. Da es aber oft nicht <strong>aus</strong>reicht, Betroffenen einen Flyer in<br />
die Hand zu drücken, mit <strong>dem</strong> sie sich auf den Weg machen, um mit Eigeninitiative ihre Situation<br />
zu verändern und sich auf Lernen einzulassen, ist es notwendig, Werbung und das<br />
„Identifizieren von Betroffenen“ in einen größeren Kontext zu sehen.<br />
Im professionellen Kontext agiert der <strong>Alpha</strong>-<strong>Scout</strong> als Mittler und Vernetzer innerhalb und<br />
außerhalb von Institutionen, die mit der Zielgruppe direkten oder indirekten Kontakt hat, z. B.<br />
zwischen Arbeitsagenturen und Bildungseinrichtungen oder zwischen Schulen und Betrieben<br />
etc.<br />
Dieser Kontakt entsteht in der Regel nicht in einem pädagogischen Zusammenhang. Fachleute,<br />
die in ihrer täglichen Arbeit immer wieder auf Menschen mit Grundbildungsbedarf stoßen<br />
(in der Schuldnerberatung, in sozialen Einrichtungen, in Arztpraxen u.ä.) können<br />
Schlüsselpersonen und Multiplikator/inn/en sein und somit als <strong>Alpha</strong>-<strong>Scout</strong>s agieren. Der<br />
Grund des Kontakts zu den Betroffenen ist eben nicht mangelndes Lese-, Schreib- und Rechenvermögen,<br />
sondern andere, wie Arbeitslosigkeit, Sucht oder Schulden. Die Aufgabe<br />
dieser Fachleute, die nicht einer Bildungseinrichtung angehören, wird deshalb primär immer<br />
sein, Betroffene zu identifizieren, Kontakte herzustellen und weiter zu vermitteln.<br />
Im Projekt <strong>ProGrundbildung</strong> entwickelte sich sukzessive eine Sichtweise des <strong>Alpha</strong>-<strong>Scout</strong>s<br />
als strategisch eingesetzte Person, die, im Sinne des sozialintegrativen Ansatzes, durch ihre<br />
Arbeit in Kontakt mit der Zielgruppe steht und eine Schlüsselfunktion als Vermittlerin und<br />
Vernetzer einnimmt. Die Aufgabenfelder des <strong>Alpha</strong>-<strong>Scout</strong>s beinhalten direkte Ansprache und<br />
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<strong>Alpha</strong>-<strong>Scout</strong> - Handreichung<br />
(Weiter)Vermittlung von Betroffenen, <strong>Schulung</strong> und Information zum Thema Analphabetismus<br />
für Multiplikator/inn/en, den Aufbau von, das reguläre Kursangebot ergänzenden, (dezentralen)<br />
innovativen Lehr-/Lernangeboten in Kooperation mit Sozialeinrichtungen und<br />
Pflege von Netzwerken. Letztendlich verfolgt der <strong>Alpha</strong>-<strong>Scout</strong> mit seinen integrativen Möglichkeiten<br />
das Ziel, gesellschaftliche Teilhabe der Zielgruppe zu fördern.<br />
Die Idee, dezentrale Lehr-/Lernangebote in Kooperation mit Sozialeinrichtungen zu entwickeln,<br />
entstand <strong>aus</strong> der Tatsache her<strong>aus</strong>, dass die Anzahl der Teilnehmenden, die selbstständig<br />
den Weg in Bildungseinrichtungen findet, trotz vielfältigem Engagement überschaubar<br />
ist. Zur überwiegenden Mehrheit der Adressaten fehlt der direkte Kontakt, die Betroffenen<br />
haben oft keinen oder einen von Druck und Zwang und daher oft von Schwierigkeiten<br />
und Misstrauen geprägten Kontakt zu Ämtern, Beratungs- und Betreuungseinrichtungen.<br />
1.4 <strong>Alpha</strong>-<strong>Scout</strong>-<strong>Schulung</strong>en<br />
Um den genannten Aufgaben gerecht zu werden, benötigen „<strong>Alpha</strong>-<strong>Scout</strong>s“ <strong>Schulung</strong>en, die<br />
je nach ihrem Tätigkeitsfeld, unterschiedlich intensiv angelegt sein sollten von reinen Informationsveranstaltungen<br />
zum Thema bis hin zu fundierten <strong>Alpha</strong>-<strong>Scout</strong>-Qualifizierungen. Die<br />
Ausprägungen lassen sich folgendermaßen differenzieren (s. auch Abb. 1)<br />
� Multiplikator/inn/en in der Bevölkerung, wie Partner, Freunde, Arbeitskolleg/inn/en,<br />
Ausbilder/innen werden sensibilisiert und für die Entstigmatisierung und Enttabuisierung<br />
des Themas geworben. Dies entspricht <strong>dem</strong> <strong>Alpha</strong>-<strong>Scout</strong> 4, der primär durch<br />
allgemeine Medien erreicht wird, eventuell für Vorträge gewonnen werden kann, aber<br />
keine explizite <strong>Schulung</strong> durchläuft.<br />
� Multiplikator/inn/en und Fachkräfte in Institutionen brauchen zu<strong>dem</strong> praktische Orientierung,<br />
wie sie in ihrem Berufsalltag auf die spezifische Situation funktionaler Analphabeten<br />
kompetent eingehen können. Je nach Aufgabenfeld entsprechen sie <strong>dem</strong><br />
<strong>Alpha</strong>-<strong>Scout</strong> 2 oder 3 und benötigen entsprechende <strong>Schulung</strong>en. Besteht ihre Aufgabe<br />
nur darin, dass sie Betroffene, zu denen sie Kontakt haben, identifizieren können<br />
und in Beratung oder Angebote weitervermitteln, so ist eine Kurzschulung und entsprechendes<br />
Informationsmaterial <strong>aus</strong>reichend.<br />
Umfasst ihre Aufgabe aber auch die Beratung, so müssen sie nicht nur Hintergründe<br />
wissen und entsprechende Bildungsangebote kennen, sondern auch diagnostisch<br />
geschult sein. Dies erfordert eine <strong>aus</strong>führliche, intensive <strong>Schulung</strong><br />
� Multiplikator/inn/en in Beratungs-, Bildungs- und Unterstützungsnetzwerken, die als<br />
Werber und Initiatoren agieren und den Kontakt zu anderen Organisationen herstel-<br />
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<strong>Alpha</strong>-<strong>Scout</strong> - Handreichung<br />
len, Öffentlichkeitsarbeit machen, nach Finanzierungswegen suchen, Multiplikator/inn/en<br />
werben und tragfähige Kooperationen mit Einrichtungen der Sozialarbeit<br />
initiieren und pflegen, sowie adäquate Angebote entwickeln entsprechen <strong>dem</strong> <strong>Alpha</strong>-<br />
<strong>Scout</strong> 1 und müssen entsprechend intensiv angelegte Fortbildungen durchlaufen.<br />
Abb. 1: Grad der Professionalisierung von <strong>Alpha</strong>-<strong>Scout</strong>s<br />
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<strong>Alpha</strong>-<strong>Scout</strong> - Handreichung<br />
Kurzschulung<br />
Eine exemplarische Informationsveranstaltung/Kurzschulung von ein bis zwei Stunden kann<br />
folgende Themen beinhalten:<br />
� Definitionen, Daten, Fakten zum Thema Analphabetismus in Deutschland<br />
� Ursachen und Hintergründe,<br />
� Gesellschaftliche Auswirkungen,<br />
� Typische Verhaltensweisen der Betroffenen,<br />
� Muster des Verbergens der Defizite,<br />
� Argumente und <strong>Wege</strong>, das Thema anzusprechen<br />
� <strong>Wege</strong> der Weitervermittlung an Beratungsstellen<br />
Optional können exemplarische Biographien funktionaler Analphabeten, zur Illustration eingesetzt<br />
werden, ebenso Kurzfilme zum Thema Analphabetismus.<br />
Entsprechende, zielgruppenspezifisch angepasste <strong>Schulung</strong>en wurden in <strong>ProGrundbildung</strong><br />
entwickelt, durchgeführt und evaluiert. Die Evaluationsergebnisse zeigen, dass die <strong>Schulung</strong>en<br />
bei den Teilnehmenden gut ankamen. Die Materialien zu einer exemplarischen Kurzschulung<br />
finden sich im Anhang, ebenso wie eine Liste von einsetzbaren Kurzfilmen zum<br />
Thema.<br />
Ausführliche <strong>Schulung</strong><br />
Die <strong>aus</strong>führlichere <strong>Schulung</strong> dauert zwischen 4 Stunden bis 1,5 Tage und hat Workshop-<br />
Charakter. Thematisch ist sie entsprechend intensiver angelegt und enthält z.B. fundierte<br />
Anleitungen zur Feststellung unterschiedlicher Stufen von Lese-, Schreib- und Rechenkompetenzen<br />
mit modellhaft <strong>aus</strong>gearbeiteten <strong>Schulung</strong>sunterlagen. Das <strong>aus</strong>gegebene Material<br />
beinhaltet ein Handbuch zur Beratung und zur berufsspezifischen Kompetenzfeststellung<br />
und eine entsprechende Toolbox.<br />
Eine entsprechende <strong>Schulung</strong> wurde von <strong>dem</strong> Projekt <strong>Alpha</strong>-Z entwickelt und erprobt (Nähere<br />
Informationen finden sich unter www.alpha-z.de)<br />
<strong>Alpha</strong>-<strong>Scout</strong>-Workshop<br />
Im Projekt <strong>ProGrundbildung</strong> wurde ein Workshop für eine Basis-<strong>Schulung</strong> zum <strong>Alpha</strong>-<strong>Scout</strong><br />
konzipiert und mehrfach durchgeführt. Dieser beruht auf konkreten Erfahrungen <strong>aus</strong> Koope-<br />
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<strong>Alpha</strong>-<strong>Scout</strong> - Handreichung<br />
rationen mit Sozialeinrichtungen im Projektrahmen und gibt Hinweise zum Identifizieren relevanter<br />
Netzwerke und Kooperationspartner und zum Aufbau von Kooperationen (die entsprechende<br />
Power-Point-Präsentation findet sich im Anhang). Dieser Workshop richtet sich<br />
an Fachkräfte in Bildungseinrichtungen sowie sozialen Einrichtungen.<br />
1.5 Entwicklung von Sozialraumkonzepten mit der Unterstützung von<br />
<strong>Alpha</strong>-<strong>Scout</strong>s<br />
Die Funktion des <strong>Alpha</strong>-<strong>Scout</strong>s als Mittler und Vernetzer wurde bereits dargestellt, ebenso<br />
wie die Vorteile und die Notwendigkeit der sozialintegrativen Vernetzung von Bildungs- und<br />
Sozialeinrichtungen. Prinzipiell ist ein Netzwerk für einen Akteur interessant, wenn es ihm<br />
Vorteile bringt und ein Nutzen ersichtlich ist.<br />
Daher muss bereits im Vorfeld einer möglichen Kooperation transparent werden, was die<br />
Bildungseinrichtung einbringen kann, wie z.B.<br />
• Erfahrene, professionelle Dozent/inn/en<br />
• Erschließung der Inhalte der Lernangebote in Kooperation mit <strong>dem</strong> Team der Einrichtung<br />
• Flexibilität in der Anpassung der Curricula<br />
• Regelmäßiger Aust<strong>aus</strong>ch mit der Einrichtung<br />
• Textb<strong>aus</strong>teine und Vorlagen für gemeinsame Öffentlichkeitsarbeit<br />
• Professionalisierungsangebot für die Einrichtung<br />
• Unterstützung bei der Suche nach Finanzierungswegen<br />
Der Kooperationspartner kann im Gegenzug z.B. folgende Leistungen erbringen:<br />
• Bereitstellung der Infrastruktur (Räume, Medien..)<br />
• Zielgruppenansprache, Teilnehmergewinnung und –bindung<br />
• Erschließung von Netzwerken zu weiteren Schlüsselpersonen, Institutionen<br />
• Teilnahme an Teambesprechungen zur Evaluation und Qualitätsanpassung<br />
• Lerncoaches für Teamteaching zur Professionalitätsentwicklung in der Einrichtung<br />
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<strong>Alpha</strong>-<strong>Scout</strong> - Handreichung<br />
1.6 Praktische Umsetzung der Konzeption des <strong>Alpha</strong>-<strong>Scout</strong>s an der MVHS<br />
Die praktische Umsetzung der Konzeption des <strong>Alpha</strong>-<strong>Scout</strong>s erfolgte in folgenden Schritten:<br />
� Sozialraumanalyse<br />
Basierend auf Ergebnissen der Projektrecherchen von LMU und MVHS zu bestehenden<br />
<strong>Alpha</strong>betisierungsangeboten und Teilnehmerbedarfen bundesweit und in München und<br />
Erkenntnisse <strong>aus</strong> Projekten wie z.B. PASS alpha, Soziale Stadt und Analysen zentraler<br />
kommunaler Stellen, wie z.B. Sozialberichte zu bekannten sozialen Brennpunkten, wurden<br />
schon bestehende Netzwerkstrukturen und deren Bezug zur Zielgruppe identifiziert.<br />
Es wurde bewusst darauf verzichtet, neue Netzwerke aufzubauen, da ein Rückgriff auf<br />
die Vielzahl an bestehenden Netzwerken mit nutzbarer Kooperationserfahrung und Infrastruktur<br />
zielführender erscheint.<br />
� Planungsgespräche unter Einbezug wichtiger Akteure<br />
In unterschiedlichen Aktionen zur Sensibilisierung und Öffentlichkeitsarbeit, wie z.B. <strong>dem</strong><br />
Werkstattgespräch „Bildung braucht Menschen“ oder der Mitarbeit an der Entwicklung<br />
der „Leitlinie Bildung“ für München, wurde die fachliche wie finanzielle Unterstützung für<br />
integrative Maßnahmen durch das Verbundprojekt angeboten und für Kooperationen<br />
zum trägerübergreifenden Nutzen für den Einsatz mit der Zielgruppe geworben.<br />
� Ansprache von Schlüsselpersonen in sozialintegrativen Handlungsfeldern<br />
In einem weiteren Schritt wurden bestehende Netzwerke direkt angesprochen, wie z.B.<br />
das Netzwerk REGSAM (Regionale Netzwerke für Soziale Arbeit in München) und damit<br />
der Kontakt zu Sozialbürgerhäusern, ARGE und Arbeitsagentur, Integrations- und Beratungszentren,<br />
Jugendhilfeeinrichtungen, sozialen Einrichtungen, usw. aufgebaut und in<br />
den Planungs- und Steuerungstreffen und in Teamsitzungen für das Projektvorhaben<br />
geworben, insbesondere für Kooperationen mit sozialen Einrichtungen in sozialen<br />
Brennpunkten, mit <strong>dem</strong> Ziel, dort dezentrale Bildungsangebote durchzuführen. Damit<br />
war die Erwartung verbunden, Synergieeffekte durch die gelingende Zusammenarbeit<br />
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<strong>Alpha</strong>-<strong>Scout</strong> - Handreichung<br />
an Schnittstellen zu erreichen und sich auch bei der Öffentlichkeitsarbeit und politischen<br />
Wirkung zu unterstützen.<br />
� Gewinnung von Kooperationspartnern und gemeinsame Entwicklung von bedarfsgerechten,<br />
zielgruppenspezifischen Lernangeboten im Bereich Grundbildung<br />
In einem nächsten Schritt wurde der Fokus auf ein soziales Brennpunktgebiet im<br />
Münchner Norden gesetzt. Es konnten vier Einrichtungen unterschiedlicher Träger (Diakonie,<br />
Katholische Jugendfürsorge, Stadt München, Kreisjugendring) gewonnen werden,<br />
die daran interessiert waren, ihre Angebote zu erweitern und ihrer Klientel ein zusätzliches<br />
Angebot machen zu können. Konkret handelte es sich um<br />
� den „Club Hasenbergl“, einen offenen Bewohnertreff mit Nachbarschaftscafé,<br />
� die „Junge Arbeit Hasenbergl“, die tätig ist in der jugendbezogenen Sozialarbeit vor<br />
allem für Angehörige der Volksgruppen Sinti und Roma,<br />
� „Lichtblick“, ein Projekt zur Berufsbefähigung von benachteiligten Kindern und Jugendlichen,<br />
das die Elternarbeit mit Migrant/inn/en unterstützt und<br />
� das „Mehrgenerationen-H<strong>aus</strong>“, eine Kooperationseinrichtung, die u.a. unterschiedliche<br />
Qualifizierungs- und Bildungsangebote für alle Altersgruppen im Stadtteil anbietet.<br />
Daran gekoppelt war die Überlegung, dass potenziell Betroffene ohnehin im Kontakt zu<br />
diesen sozialen Einrichtungen und Initiativen stehen. Das bedeutet, dass die Gewinnung<br />
von Teilnehmenden dezentralisiert werden konnte und sozialpädagogische Mitarbeiter/innen<br />
bei der Werbung mit einbezogen werden können, z.B. durch die Nutzung der<br />
bestehenden Infrastruktur, niedrigschwellige Angebote, Mundpropaganda, wohnortnahe<br />
Angebote, Teilnehmer/innen als Mittler. Auch besitzen soziale Initiativen in der Regel ein<br />
eigenes Netzwerk mit eigenen persönlichen „Informanten“, die sie wiederum in den<br />
Werbeprozess mit integrieren können.<br />
Die dort durchgeführten Kurse wurden anfänglich alle im Bereich Lesen und Schreiben,<br />
Rechnen lernen konzipiert, berücksichtigten jedoch im Laufe der Durchführung immer<br />
mehr alltags- und lebensweltbezogene Fragestellungen der Teilnehmenden sowie auch<br />
Themenfelder, die insbesondere die Kommunikation und Zusammenarbeit mit den in<br />
den Projekten tätigen Sozialpädagog/inn/en verbessern konnten.<br />
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<strong>Alpha</strong>-<strong>Scout</strong> - Handreichung<br />
� Werbung von Kursleiter/inne/n mit Kompetenzen im Bereich Grundbildung/ Al-<br />
phabetisierung und Durchführung von Pilotmaßnahmen<br />
Vor<strong>aus</strong>setzung für ein professionelles, zielgruppengerechtes und kontextorientiertes Angebot<br />
sind qualifizierte, engagierte Dozent/inn/en, die nicht nur das Vermitteln von Lesen,<br />
Schreiben und Rechnen als ihre Aufgabe sehen, sondern auch die Bereitschaft mit sich<br />
bringen, sich auf die Teilnehmer/innen, ihre Kultur und Werte in ganz besonderem Maße<br />
einzulassen. Ohne das Engagement der Dozent/inn/en, auch zur Teilnehmer-Gewinnung<br />
beizutragen, ohne ein hohes Maß an Geduld und Ausdauer, kann ein solches Angebot<br />
nur schwer gelingen. Ebenso hat es sich bewährt, in Lernangeboten ein Dozententeam<br />
einzusetzen, das sich gegenseitig unterstützt und zusammenarbeitet. Zum einen kann<br />
auf die individuellen Bedürfnisse der sehr heterogenen Teilnehmer/innen im Tan<strong>dem</strong><br />
besser eingegangen werden und zum anderen können sich die Dozent/inn/en untereinander<br />
über die entstehenden Probleme <strong>aus</strong>t<strong>aus</strong>chen, gemeinsam nach Lösungen suchen<br />
und sich gegenseitig unterstützen.<br />
Als ideal erwies sich die Teamzusammensetzung <strong>aus</strong> einem <strong>Alpha</strong>betisierungs-<br />
Pädagogen/einer Pädagogin der MVHS und einem/einer sozialpädagogischen Mitarbeiter/in<br />
der Einrichtung, da dadurch eine enge Verzahnung und der Aust<strong>aus</strong>ch von sozialpädagogischen<br />
und bildungspädagogischen Aufgaben geleistet werden konnte. 2<br />
� Dokumentation und Evaluation der Kursangebote<br />
Erste Auswertungen der hinderlichen und förderlichen Faktoren zeigten, dass unter Einbezug<br />
der Erfahrungen der Dozent/inn/en und Sozialpädagog/inn/en der Einrichtungen<br />
sich u.a. folgende Empfehlungen nennen lassen: Notwendig ist die enge Zusammenarbeit<br />
mit den Verantwortlichen vor Ort, eine klare Definition der Kompetenzen und Aufgaben,<br />
ein gemeinsam festgelegtes, klar definiertes Angebot, Ansprechpartner/inn/en für<br />
die Kursleitenden, ein vielfältiges und flexibles Materialangebot, Kursangebote in räumlicher<br />
Nähe, wodurch die Wahrnehmung des Angebots und die Teilnahme gesteigert<br />
2 Für die Kurse konnten wir Kursleiter/innen gewinnen, die an der im Verbundprojekt <strong>ProGrundbildung</strong><br />
entwickelten Fortbildungsreihe „Basisqualifizierung <strong>Alpha</strong>betisierung / Grundbildung“ teilgenommen<br />
haben. In der Fortbildung wurden Erfahrungen <strong>aus</strong> der Lehrtätigkeit in Praxisaufgaben reflektiert und<br />
dokumentiert. Zur Fortbildungsreihe vgl. http://www.progrundbildung.de/<strong>aus</strong>-und-fortbildung.html.<br />
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<strong>Alpha</strong>-<strong>Scout</strong> - Handreichung<br />
wird, sowie qualifizierte, engagierte, kulturell sensible Dozent/inn/en mit großer Flexibilität,<br />
Empathie und Reflexionsbereitschaft. 3<br />
� Planung weiterer Zusammenarbeit - Verstetigung und nachhaltige Sicherung<br />
der Lernangebote<br />
Nach der Durchführung der ersten Pilotangebote für Betroffene wurde in Teamsitzungen<br />
mit den sozialen Einrichtungen die Durchführung gemeinsam reflektiert und die Verbesserungsbedarfe<br />
benannt.<br />
Alle bestätigten einen Zuwachs an Aufmerksamkeit für die Thematik fehlender Grundbildung,<br />
einen Gewinn für die Kommunikation und die Zusammenarbeit der Einrichtung<br />
mit der Zielgruppe und eine stärkere Unterstützung bei der Bearbeitung ihrer eigenen<br />
Aufgabenfelder. Vor allem die zu beobachtende steigende Resonanz von Interessenten<br />
an den nachfolgenden Kursen zeigen, dass lokale Bündnisse langsam und stetig wachsen.<br />
In beiden Einrichtungen stehen die Verantwortlichen mit den Mitarbeiter/inne/n der<br />
Arge in regelmäßigem Kontakt. Gleichermaßen t<strong>aus</strong>chen sich die Verantwortlichen der<br />
jeweiligen Einrichtungen <strong>aus</strong> und haben ihrerseits Kolleg/inn/en von Stadtteilinitiativen<br />
für Fragen zur Grundbildung sensibilisiert. Es gibt erste Anzeichen, dass die Mundpropaganda<br />
Früchte trägt und dass Teilnehmende von sich <strong>aus</strong> Interesse zeigen. Die Relevanz<br />
eines Umfelds, das Vertrauen schafft, wurde deutlich. Zu<strong>dem</strong> erkannten die in den<br />
Einrichtungen tätigen pädagogischen Mitarbeiter/innen, dass ihr momentaner Wissensstand<br />
zur nachholenden Grundbildung und den Schwierigkeiten des Lernens mit Erwachsenen<br />
nicht <strong>aus</strong>reicht und zeigten sich hoch motiviert, an der Fortbildung „Basisqualifizierung<br />
<strong>Alpha</strong>betisierung/Grundbildung“ bzw. einer <strong>Alpha</strong>-<strong>Scout</strong>-<strong>Schulung</strong> teilzunehmen.<br />
4 Ein weiterer Effekt ist die intensivere Verankerung des Themas Grundbildung<br />
in den stadtteilbezogenen Arbeitskreisen und Netzwerken der Mitarbeiter/innen. Auch<br />
weitere Einrichtungen fragen nach Unterstützung.<br />
3<br />
Die Kursangebote wurden durch den Verbundprojekt-Partner Ludwig-Maximilians-Universität München<br />
dokumentiert und evaluiert.<br />
4<br />
Vgl. auch eine Analyse der Fortbildungsinhalte der Angebote der Landesverbände (Dollinger/von<br />
Rosenstiel 2008)<br />
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<strong>Alpha</strong>-<strong>Scout</strong> - Handreichung<br />
1.7 Literatur<br />
Bronfenbrenner, U. (1981). Die Ökologie der menschlichen Entwicklung. Stuttgart: Klett-<br />
Cotta.<br />
Brüning, G./Kuwan, H. (2002). Benachteiligte und Bildungsferne – Empfehlungen für die<br />
Weiterbildung. Bielefeld: Bertelsmann.<br />
Dollinger, S./von Rosenstiel, T. (2008). Bericht über die Bestandsaufnahme im Projekt Pro-<br />
Grundbildung. Verfügbar unter: http://www.progrundbildung.de/fileadmin/Verwendung_<br />
MVHS/1._Verbundprojekt_Menue/Ergebnisse/Recherchebericht_April_2008_LMU_final.pdf<br />
(Stand: 15.12.2010).<br />
Gintzel, U. (2008). Beteiligte Institutionen und ihre Funktion bei der Verbesserung der <strong>Alpha</strong>betisierungsarbeit.<br />
In: Schneider, J./Gintzel, U./Wagner, H. (Hrsg.). Sozialintegrative <strong>Alpha</strong>betisierungsarbeit.<br />
Münster: Waxmann, S. 69-78.<br />
Howard, U. (2007). Wissenschaftliche Formen zur <strong>Alpha</strong>betisierung und Grundbildung. In:<br />
Knabe, F. (Hrsg.). Wissenschaft und Praxis in der <strong>Alpha</strong>betisierung und Grundbildung.<br />
Münster: Waxmann.<br />
Korfkamp, J. (2008). Erwachsenenalphabetisierung an Volkshochschulen – Institutionelle<br />
Innenansichten und bildungspolitische Aspekte. In: Schneider, J./Gintzel, U./Wagner, H.<br />
(Hrsg.). Sozialintegrative <strong>Alpha</strong>betisierungsarbeit. Münster: Waxmann, S. 79-86.<br />
Miller, T. (2003). Sozialarbeitsorientierte Erwachsenenbildung. Neuwied: Luchterhand.<br />
Schmid, A. (2009). Teilprojekt „<strong>Alpha</strong>-<strong>Scout</strong>“ – Theoretische Grundlagen und praktische Umsetzung<br />
an der Münchner Volkshochschule. (Projektinternes Dokument)<br />
Schneider, S./Gintzel, U./Wagner, H. (Hrsg.) (2008). Sozialintegrative <strong>Alpha</strong>betisierungsarbeit.<br />
Münster: Waxmann.<br />
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<strong>Alpha</strong>-<strong>Scout</strong> - Handreichung<br />
2. <strong>Schulung</strong><br />
2.1 Infoblätter zur Ansprache von Fachkräften<br />
Sie interessieren sich als Fachkraft für<br />
Qualifizierungsangebote im Bereich <strong>Alpha</strong>betisierung /<br />
Grundbildung?<br />
Im Rahmen des BMBF-geförderten Projektes <strong>ProGrundbildung</strong> bietet die Münchner<br />
Volkshochschule in Zusammenarbeit mit <strong>dem</strong> Bayerischen Volkshochschulverband<br />
folgende Fortbildungsmöglichkeiten an:<br />
<strong>Alpha</strong>-<strong>Scout</strong>-<strong>Schulung</strong><br />
- <strong>Wege</strong> <strong>aus</strong> <strong>dem</strong> Analphabetismus -<br />
Handlungsmöglichkeiten für Fachkräfte in<br />
Bildung, Beratung und Betreuung<br />
Mehr als 4 Millionen deutschsprachige Erwachsene in Deutschland können nicht<br />
oder nur wenig lesen und schreiben. Bei den betroffenen Menschen ist die Scham<br />
darüber häufig groß und sie möchten oft nicht über ihre Schwierigkeiten mit <strong>dem</strong><br />
Lesen, Schreiben oder auch Rechnen sprechen.<br />
Für Fachkräfte in Beratungs-, Betreuungs- und Bildungskontexten ist es deshalb<br />
manchmal schwierig, dieses „Tabu-Thema“ zu erkennen und dann offen und sensibel<br />
anzusprechen.<br />
Wie spreche ich Menschen an, die nicht oder nur wenig lesen und schreiben können?<br />
Wie ermutige ich die Betroffenen, das Thema offen anzusprechen und wie kann<br />
ich sie motivieren, neu mit <strong>dem</strong> Lernen zu beginnen?<br />
Wo finde ich als Fachkraft Unterstützung?<br />
In <strong>dem</strong> Seminar werden Praxisbeispiele, wichtige Aspekte zur Ansprache, Methoden<br />
der Diagnostik von Grundbildungsdefiziten, Finanzierungswege und Möglichkeiten<br />
der Netzwerkarbeit behandelt.<br />
Die Teilnahme ist kostenlos! Telefonische Anmeldung erbeten unter:<br />
089 54847627 oder 089 54847615<br />
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<strong>Alpha</strong>-<strong>Scout</strong> - Handreichung<br />
Sie interessieren sich als Lehrkraft für Qualifizierungsan-<br />
gebote im Bereich <strong>Alpha</strong>betisierung / Grundbildung?<br />
Im Rahmen des BMBF-geförderten Projektes <strong>ProGrundbildung</strong> bietet die Münchner<br />
Volkshochschule folgende Fortbildungsmöglichkeiten für potentielle Multiplikatoren an:<br />
<strong>Alpha</strong>-<strong>Scout</strong>-<strong>Schulung</strong> <strong>Wege</strong> <strong>aus</strong> <strong>dem</strong> Analphabetismus<br />
Handlungsmöglichkeiten für Fachkräfte in<br />
Bildung, Beratung und Betreuung<br />
25% der Jugendlichen eines Altersjahrgangs wurden im Zusammenhang der PISA-<br />
Studien als potentielle „Risikogruppe“ mit unzureichenden Lese-, Schreib- und Mathematikkenntnissen<br />
identifiziert. Vergleicht man dies mit der Quote beim Übergang von der<br />
Schule in das berufliche Bildungssystem, wird deutlich, dass eine große Zahl an Jugendlichen<br />
an der ersten Schwelle beim Übergang in das Ausbildungssystem scheitert.<br />
Die Zahlen verweisen auf einen hohen Handlungsbedarf im Schulsystem sowie im Übergangssystem<br />
der beruflichen Bildung.<br />
Insbesondere Schüler/innen der Berufsvorbereitungsklassen kommen meist <strong>aus</strong> bildungsfernen<br />
Familien und weisen Defizite im Bereich der Grundbildung auf.<br />
Diese Schüler/innen brauchen neue Anreize, Methoden und Rahmenbedingungen.<br />
Für Fachkräfte in Beratungs-, Betreuungs- und Bildungskontexten ist es deshalb manchmal<br />
schwierig, dieses „Tabu-Thema“ zu erkennen und dann offen und sensibel anzusprechen.<br />
� Wie spreche ich Menschen an, die nicht oder nur wenig lesen und schreiben können?<br />
� Wie ermutige ich die Betroffenen, das Thema offen anzusprechen und wie kann<br />
ich sie motivieren, neu mit <strong>dem</strong> Lernen zu beginnen?<br />
� Wo finde ich als Fachkraft Unterstützung ?<br />
In den <strong>Schulung</strong>en werden Praxisbeispiele, wichtige Aspekte zur Ansprache, Methoden<br />
der Diagnostik von Grundbildungsdefiziten, Finanzierungswege und Möglichkeiten der<br />
Netzwerkarbeit behandelt.<br />
Im Rahmen des Verbundprojekts <strong>ProGrundbildung</strong> können wir Ihnen derzeit kostenlose<br />
<strong>Schulung</strong>en mit Ihrem Team anbieten, der <strong>Schulung</strong>sumfang ist variabel und wird den<br />
Anforderungen Ihrer Einrichtung angepasst.<br />
Für weitere Informationen und Terminvereinbarungen:<br />
Andrea Kuhn-Bösch, Münchner Volkshochschule<br />
Projektleitung <strong>ProGrundbildung</strong> und Fachgebiet <strong>Alpha</strong>betisierung/Grundbildung<br />
andrea.kuhn-boesch@mvhs.de oder Tel. 089 548476-27<br />
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<strong>Alpha</strong>-<strong>Scout</strong> – Handreichung<br />
Kurzkonzept zur Durchführung der <strong>Schulung</strong><br />
<strong>Alpha</strong>-<strong>Scout</strong>-<strong>Schulung</strong><br />
für Fachkräfte in Beratung, Bildung und Betreuung<br />
1. Vorbereitung Inhalte Materialien<br />
Multiplikatoren/ mögliche Netzwerkpartner<br />
Vorlage Informationsbrief für<br />
Anschreiben<br />
Visitenkarte des<br />
Programmverantwortlichen<br />
Flyer Kursangebote<br />
Einladung mit Kurzinfo<br />
Informationen über<br />
Analphabetismus/Grundbildung<br />
Allgemeine Information zu Kursen<br />
<strong>Alpha</strong>betisierung/Basiswissen der VHS/<br />
Bildungseinrichtung<br />
<strong>Schulung</strong> anpassen an jeweiligen<br />
Arbeitsschwerpunkt der Zielgruppe<br />
identifizieren<br />
<strong>Schulung</strong> anbieten /<br />
Kurzinfo Inhalt<br />
Mit welcher Gruppe, Team, in welchem<br />
Arbeitsfeld soll die <strong>Schulung</strong> durchgeführt<br />
werden?<br />
Anwesenheitsliste vorbereiten<br />
Informationsmappe zusammenstellen<br />
Definitionen<br />
Eventuell Folien mit Schrift- und<br />
Schreibbeispielen;<br />
Textbeispiele<br />
Organisatorische Fragen klären: Wie viele Mitarbeiter kommen?<br />
Wer lädt ein?<br />
Zeitdauer klären,<br />
Raum<strong>aus</strong>stattung, Medien? OHP....<br />
2. Durchführung der <strong>Schulung</strong><br />
Kurze Vorstellung Projekt, Fachgebiet, Zuständigkeit etc.<br />
Vorstellung der Teilnehmer, Arbeitsfelder,….<br />
Klärung der Zielgruppe:<br />
Fakten, Größenordnung,<br />
Von wem sprechen wir?<br />
Untersuchungsergebnisse zum<br />
Phänomen Analphabetismus in Deutschland<br />
Definitionen:<br />
primärer/funktionaler Analphabetismus<br />
Typisierungen/Kennzeichen<br />
Primärer, funktionaler Analphabeten<br />
Diskussion: Was ist Grundbildung?<br />
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<strong>Alpha</strong>-<strong>Scout</strong> - Handreichung<br />
Auf Fallbeispiele verweisen<br />
Evtl. Folie vorbereiten<br />
Abgrenzung DaF/DaZ<br />
Zielgruppen identifizieren<br />
Was sind die Ursachen und welche gesellschaftGrad<br />
der <strong>Alpha</strong>betisierung als<br />
chen Bedingungen beeinträchtigen die <strong>Alpha</strong>be kulturabhängig darstellen;<br />
sierung?<br />
individuelle, gesellschaftliche, soziale Ursachen<br />
Ursachenkreislauf erklären<br />
Auswirkungen und Folgen<br />
Evtl. auf begrenzte Möglichkeiten der Förderung<br />
hinweisen; Erfolg in der <strong>Alpha</strong>betisierung?<br />
Info <strong>aus</strong> Handreichung Pass-<strong>Alpha</strong><br />
Info <strong>aus</strong> Handreichung Pass-<strong>Alpha</strong><br />
Muster des Verbergens<br />
Schrift- und Sprachprobleme erkennen<br />
Wie Gesprächsanlässe finden<br />
Methodische Hinweise zum Ansprechen;<br />
Grundsätze im Gespräch<br />
Lösungswege wissen<br />
Kontaktaufnahme zu Bildungseinrichtung ermöglichen:,<br />
<strong>Alpha</strong>-Beratung, Info über Kursangeboten;(evtl.<br />
Anruf übernehmen)<br />
Wie kann man Grundbildungsdefizite erkennen<br />
und einschätzen?<br />
Was können Sie tun?<br />
Wie kann man das Thema ansprechen?<br />
Checklisten zur Einschätzung<br />
Infos, Flyer, Kontaktadressen etc.<br />
Diskussion und Aust<strong>aus</strong>ch Erfahrungen Wo sehen Sie Anknüpfungspunkt in<br />
Ihrem Bereich?<br />
Wo sind potentielle Partner?<br />
Welche Netzwerke existieren bereits,<br />
wie genutzt?<br />
Welche Unterstützung braucht Ihre Einrichtung?<br />
3. Kontakt halten! Regelmäßig Informationsmaterial zusenden E-Mail-Verteiler aufbauen!<br />
Seite 19 von 52
<strong>Alpha</strong>-<strong>Scout</strong> - Handreichung<br />
<strong>Alpha</strong>-<strong>Scout</strong>-<strong>Schulung</strong> (Powerpoint-Präsentation)<br />
Professionalisierung der <strong>Alpha</strong>betisierung und Grundbildung in der Weiterbildung<br />
<strong>ProGrundbildung</strong><br />
Verbundprojekt zur Professionalisierung in der<br />
<strong>Alpha</strong>betisierung / Grundbildung in der Weiterbildung<br />
Andrea Kuhn-Bösch, Leiterin Verbundprojekt <strong>ProGrundbildung</strong>,<br />
Fachgebietsleitung <strong>Alpha</strong>betisierung und Grundbildung an der<br />
Münchner Volkshochschule Seite 1<br />
„<strong>Alpha</strong>-<strong>Scout</strong>“ <strong>Schulung</strong><br />
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<strong>Alpha</strong>-<strong>Scout</strong> - Handreichung<br />
Professionalisierung der <strong>Alpha</strong>betisierung und Grundbildung in der Weiterbildung<br />
<strong>Alpha</strong>-<strong>Scout</strong> <strong>Schulung</strong><br />
„Analphabetismus und<br />
unzureichende Grundbildung“<br />
Andrea Kuhn-Bösch, Leiterin Verbundprojekt <strong>ProGrundbildung</strong>,<br />
Fachgebietsleitung <strong>Alpha</strong>betisierung und Grundbildung an der<br />
Münchner Volkshochschule Seite 2<br />
„<strong>Alpha</strong>-<strong>Scout</strong>“ <strong>Schulung</strong><br />
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<strong>Alpha</strong>-<strong>Scout</strong> - Handreichung<br />
Professionalisierung der <strong>Alpha</strong>betisierung und Grundbildung in der Weiterbildung<br />
Problemlage<br />
Analphabetismus und unzureichende<br />
Grundbildung<br />
Andrea Kuhn-Bösch, Leiterin Verbundprojekt <strong>ProGrundbildung</strong>,<br />
Fachgebietsleitung <strong>Alpha</strong>betisierung und Grundbildung an der<br />
Münchner Volkshochschule Seite 3<br />
„<strong>Alpha</strong>-<strong>Scout</strong>“ <strong>Schulung</strong><br />
Seite 22 von 52
<strong>Alpha</strong>-<strong>Scout</strong> - Handreichung<br />
Professionalisierung der <strong>Alpha</strong>betisierung und Grundbildung in der Weiterbildung<br />
Kennön Sie das Lseen?<br />
Das ist ernstlciauh, wo dcoh alle Bsthebcuan vliölg dahuenercindr<br />
snid. Enie sdiute an eienr eiglnsehn Uieävtinsrt hat eeegbrn, dsas<br />
liledcgih der ertse und ltztee Bbahsctue des Weorts an der rgiihcetn<br />
Sellte sein msus, dnan knan man es acuh lseen.<br />
Andrea Kuhn-Bösch, Leiterin Verbundprojekt <strong>ProGrundbildung</strong>,<br />
Fachgebietsleitung <strong>Alpha</strong>betisierung und Grundbildung an der<br />
Münchner Volkshochschule Seite 4<br />
„<strong>Alpha</strong>-<strong>Scout</strong>“ <strong>Schulung</strong><br />
Seite 23 von 52
<strong>Alpha</strong>-<strong>Scout</strong> - Handreichung<br />
Professionalisierung der <strong>Alpha</strong>betisierung und Grundbildung in der Weiterbildung<br />
Daten und Fakten<br />
• Ca. 4 Millionen Menschen in Deutschland<br />
• Ca. 60 000 Menschen in München<br />
• Jugendliche (ca. 8% eines Jahrgangs ohne Abschluss)<br />
• Jeder 2. Jugendliche mit HS-Abschluss findet keine<br />
Lehrstelle<br />
• Menschen mit Migrationshintergrund<br />
Andrea Kuhn-Bösch, Leiterin Verbundprojekt <strong>ProGrundbildung</strong>,<br />
Fachgebietsleitung <strong>Alpha</strong>betisierung und Grundbildung an der<br />
Münchner Volkshochschule Seite 5<br />
„<strong>Alpha</strong>-<strong>Scout</strong>“ <strong>Schulung</strong><br />
Seite 24 von 52
<strong>Alpha</strong>-<strong>Scout</strong> - Handreichung<br />
Professionalisierung der <strong>Alpha</strong>betisierung und Grundbildung in der Weiterbildung<br />
Definitionen<br />
Funktionaler Analphabetismus:<br />
• Einfache Wörter und Texte nur mühsam lesen und<br />
schreiben können<br />
• Relativ gut lesen und schreiben können, aber erhebliche<br />
Probleme beim Rechtschreiben, Grammatik.......<br />
Unzureichende Grundbildung:<br />
• geringes Zahlenverständnis, kein Zugang zu Medien,<br />
......<br />
Andrea Kuhn-Bösch, Leiterin Verbundprojekt <strong>ProGrundbildung</strong>,<br />
Fachgebietsleitung <strong>Alpha</strong>betisierung und Grundbildung an der<br />
Münchner Volkshochschule Seite 6<br />
„<strong>Alpha</strong>-<strong>Scout</strong>“ <strong>Schulung</strong><br />
Seite 25 von 52
<strong>Alpha</strong>-<strong>Scout</strong> - Handreichung<br />
Professionalisierung der <strong>Alpha</strong>betisierung und Grundbildung in der Weiterbildung<br />
Ursachen und Hintergründe<br />
• Persönliche Faktoren:<br />
Krankheit, häufige Schulwechsel...<br />
• Familiäre Faktoren:<br />
Hohe Anzahl Geschwister, Zeitnot, finanzielle Sorgen...<br />
• Schulische Faktoren:<br />
Prozess <strong>aus</strong> Lernmisserfolgen, Demotivation und<br />
Frustration<br />
• Gesellschaftliche Faktoren:<br />
Ausgrenzung, soziale Isolation, Stigmatisierung...<br />
Andrea Kuhn-Bösch, Leiterin Verbundprojekt <strong>ProGrundbildung</strong>,<br />
Fachgebietsleitung <strong>Alpha</strong>betisierung und Grundbildung an der<br />
Münchner Volkshochschule Seite 7<br />
„<strong>Alpha</strong>-<strong>Scout</strong>“ <strong>Schulung</strong><br />
Seite 26 von 52
<strong>Alpha</strong>-<strong>Scout</strong> - Handreichung<br />
Professionalisierung der <strong>Alpha</strong>betisierung und Grundbildung in der Weiterbildung<br />
Typische Berufsgruppen<br />
Männer:<br />
Baugewerbe<br />
Lagerarbeiter<br />
LKW-Fahrer<br />
Handwerksbetriebe<br />
Reinigungskraft<br />
Entsorgungsgewerbe<br />
Hilfskraft im Hotel-/<br />
Gaststättengewerbe<br />
Frauen:<br />
Reinigungskraft<br />
Fabrikarbeiterin<br />
H<strong>aus</strong>wirtschaftliche Arbeitsfelder<br />
Schneiderei<br />
Verkäuferin<br />
Hilfskraft im Hotel-/<br />
Gaststättengewerbe<br />
Andrea Kuhn-Bösch, Leiterin Verbundprojekt <strong>ProGrundbildung</strong>,<br />
Fachgebietsleitung <strong>Alpha</strong>betisierung und Grundbildung an der<br />
Münchner Volkshochschule Seite 8<br />
„<strong>Alpha</strong>-<strong>Scout</strong>“ <strong>Schulung</strong><br />
Seite 27 von 52
<strong>Alpha</strong>-<strong>Scout</strong> - Handreichung<br />
Professionalisierung der <strong>Alpha</strong>betisierung und Grundbildung in der Weiterbildung<br />
Typische Schulbesuche<br />
Hauptschule ohne Abschluss<br />
Hauptschule mit Abschluss<br />
Austritt <strong>aus</strong> der Schule in der 7./8. Klasse<br />
Förderschulen<br />
Berufsvorbereitende Schulen (BVJ)<br />
häufige Wechsel der Schularten<br />
Schlechte Abschlusszeugnisse<br />
Andrea Kuhn-Bösch, Leiterin Verbundprojekt <strong>ProGrundbildung</strong>,<br />
Fachgebietsleitung <strong>Alpha</strong>betisierung und Grundbildung an der<br />
Münchner Volkshochschule Seite 9<br />
„<strong>Alpha</strong>-<strong>Scout</strong>“ <strong>Schulung</strong><br />
Seite 28 von 52
<strong>Alpha</strong>-<strong>Scout</strong> - Handreichung<br />
Professionalisierung der <strong>Alpha</strong>betisierung und Grundbildung in der Weiterbildung<br />
Betroffene haben Einschränkungen!<br />
privat:<br />
eingeschränkte Kommunikationsmöglichkeiten<br />
Abhängigkeit von Vertrauenspersonen<br />
höhere gesundheitliche Risiken<br />
beruflich:<br />
Probleme bei Bewerbungen, am Arbeitsplatz<br />
Informationsdefizite<br />
erhöhte Risiken des Jobverlustes<br />
sowie:<br />
eingeschränkte Mobilität, Probleme der Durchsetzung von finanziellen und<br />
rechtlichen Ansprüchen, erschwerte Partizipation<br />
Andrea Kuhn-Bösch, Leiterin Verbundprojekt <strong>ProGrundbildung</strong>,<br />
Fachgebietsleitung <strong>Alpha</strong>betisierung und Grundbildung an der<br />
Münchner Volkshochschule Seite 10<br />
„<strong>Alpha</strong>-<strong>Scout</strong>“ <strong>Schulung</strong><br />
Seite 29 von 52
<strong>Alpha</strong>-<strong>Scout</strong> - Handreichung<br />
Professionalisierung der <strong>Alpha</strong>betisierung und Grundbildung in der Weiterbildung<br />
Gesellschaftliche Auswirkungen<br />
• Persönliche Konsequenzen für die Betroffenen<br />
Angst, Scham, geringes Selbstwertgefühl, Resignation,<br />
Wut, Selbstisolation ....<br />
• Gesellschaftliche Konsequenzen<br />
hohe soziale Kosten, Verstärkung der sozialen<br />
Unterschiede, mangelnde Ausbildungsreife und<br />
Berufsfähigkeit, keine Integration in Arbeitsmarkt....<br />
Andrea Kuhn-Bösch, Leiterin Verbundprojekt <strong>ProGrundbildung</strong>,<br />
Fachgebietsleitung <strong>Alpha</strong>betisierung und Grundbildung an der<br />
Münchner Volkshochschule Seite 11<br />
„<strong>Alpha</strong>-<strong>Scout</strong>“ <strong>Schulung</strong><br />
Seite 30 von 52
<strong>Alpha</strong>-<strong>Scout</strong> - Handreichung<br />
Professionalisierung der <strong>Alpha</strong>betisierung und Grundbildung in der Weiterbildung<br />
Typische Verhaltensweisen und Anzeichen<br />
• Brille vergessen, Hand verletzt<br />
• unterschreiben ohne Versuch zu lesen, was sie<br />
unterschreiben<br />
• füllen Formulare nicht <strong>aus</strong><br />
• lenken ab<br />
• vergessen Termine oder sind zu früh/zu spät<br />
• reagieren nicht auf schriftliche Verständigungen<br />
• nehmen Termine nur mit Freund, Partner wahr<br />
• Vorstellungstermine/Arbeitsangebote werden vermieden<br />
• können die Ausgaben für Miete, Telefon nicht einschätzen<br />
Andrea Kuhn-Bösch, Leiterin Verbundprojekt <strong>ProGrundbildung</strong>,<br />
Fachgebietsleitung <strong>Alpha</strong>betisierung und Grundbildung an der<br />
Münchner Volkshochschule Seite 12<br />
„<strong>Alpha</strong>-<strong>Scout</strong>“ <strong>Schulung</strong><br />
Seite 31 von 52
<strong>Alpha</strong>-<strong>Scout</strong> - Handreichung<br />
Professionalisierung der <strong>Alpha</strong>betisierung und Grundbildung in der Weiterbildung<br />
Weitere Hinweise auf Grundbildungsbedarf:<br />
• Ungelenke Handschrift<br />
• Hastiges, nicht flüssiges, beinahe unleserliches Schreiben<br />
von alltäglichen Informationen<br />
• Schreibgeräte sind nicht vertraut, liegen nicht in der Hand<br />
• Kann keine Blockbuchstaben<br />
• Qualifizierungsangebote werden abgelehnt<br />
• Arbeitsabbrüche sind nicht erklärbar<br />
• Sofortige Unterschrift ohne die Vorlage zu lesen<br />
Andrea Kuhn-Bösch, Leiterin Verbundprojekt <strong>ProGrundbildung</strong>,<br />
Fachgebietsleitung <strong>Alpha</strong>betisierung und Grundbildung an der<br />
Münchner Volkshochschule Seite 13<br />
„<strong>Alpha</strong>-<strong>Scout</strong>“ <strong>Schulung</strong><br />
Seite 32 von 52
<strong>Alpha</strong>-<strong>Scout</strong> - Handreichung<br />
Professionalisierung der <strong>Alpha</strong>betisierung und Grundbildung in der Weiterbildung<br />
Muster des Verbergens<br />
• Vermeiden:<br />
Unsichere Situationen vermeiden<br />
• Delegieren:<br />
Schreibanforderungen an Vertraute und Fremde<br />
delegieren<br />
• Täuschen:<br />
Über Schwierigkeiten hinweg täuschen<br />
Andrea Kuhn-Bösch, Leiterin Verbundprojekt <strong>ProGrundbildung</strong>,<br />
Fachgebietsleitung <strong>Alpha</strong>betisierung und Grundbildung an der<br />
Münchner Volkshochschule Seite 14<br />
„<strong>Alpha</strong>-<strong>Scout</strong>“ <strong>Schulung</strong><br />
Seite 33 von 52
<strong>Alpha</strong>-<strong>Scout</strong> - Handreichung<br />
Professionalisierung der <strong>Alpha</strong>betisierung und Grundbildung in der Weiterbildung<br />
Argumente für das Ansprechen der Probleme<br />
Kompetenzen in Lesen, Schreiben und Rechnen und z.B.<br />
Kenntnisse neuer Technologien, etc.<br />
bedeuten Teilhabe an der Gesellschaft!<br />
• Selbstbestimmung und Unabhängigkeit, persönliche<br />
Entwicklung<br />
• Geringeres Risiko an sozialer Ausgrenzung<br />
Andrea Kuhn-Bösch, Leiterin Verbundprojekt <strong>ProGrundbildung</strong>,<br />
Fachgebietsleitung <strong>Alpha</strong>betisierung und Grundbildung an der<br />
Münchner Volkshochschule Seite 15<br />
„<strong>Alpha</strong>-<strong>Scout</strong>“ <strong>Schulung</strong><br />
Seite 34 von 52
<strong>Alpha</strong>-<strong>Scout</strong> - Handreichung<br />
Professionalisierung der <strong>Alpha</strong>betisierung und Grundbildung in der Weiterbildung<br />
Was brauchen Analphabeten, um ihre<br />
Situation zu verbessern?<br />
Sie benötigen<br />
• Verständnisvolle Menschen, die sie in ihrem Vorhaben,<br />
lesen und schreiben lernen zu wollen, stärken und<br />
fördern<br />
• Professionelle, begleitende Beratung<br />
• Situationsgerechte und individuelle <strong>Alpha</strong>betisierungsund<br />
Grundbildungsangebote<br />
Andrea Kuhn-Bösch, Leiterin Verbundprojekt <strong>ProGrundbildung</strong>,<br />
Fachgebietsleitung <strong>Alpha</strong>betisierung und Grundbildung an der<br />
Münchner Volkshochschule Seite 16<br />
„<strong>Alpha</strong>-<strong>Scout</strong>“ <strong>Schulung</strong><br />
Seite 35 von 52
<strong>Alpha</strong>-<strong>Scout</strong> - Handreichung<br />
Professionalisierung der <strong>Alpha</strong>betisierung und Grundbildung in der Weiterbildung<br />
Was können Sie tun?<br />
• Die Situation offen, aber behutsam ansprechen<br />
• Lassen Sie den Betroffnen selbst entscheiden, ob er/sie<br />
aktiv werden möchte<br />
• Ermutigen Sie ihn/sie eine Beratung aufzusuchen!<br />
• Motivieren Sie ihn/sie einen Kurs zu besuchen!<br />
• Bauen Sie Brücken!<br />
Andrea Kuhn-Bösch, Leiterin Verbundprojekt <strong>ProGrundbildung</strong>,<br />
Fachgebietsleitung <strong>Alpha</strong>betisierung und Grundbildung an der<br />
Münchner Volkshochschule Seite 17<br />
„<strong>Alpha</strong>-<strong>Scout</strong>“ <strong>Schulung</strong><br />
Seite 36 von 52
<strong>Alpha</strong>-<strong>Scout</strong> - Handreichung<br />
Professionalisierung der <strong>Alpha</strong>betisierung und Grundbildung in der Weiterbildung<br />
Ins Gespräch kommen.......<br />
Vorschläge von Kursteilnehmern,<br />
wie Berater reagieren könnten:<br />
Tun Sie sich schwer? Kann ich helfen?<br />
Ist es recht, wenn ich das für Sie <strong>aus</strong>fülle?<br />
Soll ich das schreiben, ich merke Sie sind nervös!<br />
Wissen Sie, wie viele Leute es gibt, die sich mit <strong>dem</strong> Schreiben<br />
schwer tun?<br />
Es gibt Kurse, da können Sie auffrischen, was Sie brauchen!<br />
Möchte Sie, dass ich jetzt mit Ihnen die Kollegin von der <strong>Alpha</strong>-<br />
Beratungsstelle für einen Termin anrufe?<br />
Andrea Kuhn-Bösch, Leiterin Verbundprojekt <strong>ProGrundbildung</strong>,<br />
Fachgebietsleitung <strong>Alpha</strong>betisierung und Grundbildung an der<br />
Münchner Volkshochschule Seite 18<br />
„<strong>Alpha</strong>-<strong>Scout</strong>“ <strong>Schulung</strong><br />
Seite 37 von 52
<strong>Alpha</strong>-<strong>Scout</strong> - Handreichung<br />
Professionalisierung der <strong>Alpha</strong>betisierung und Grundbildung in der Weiterbildung<br />
Zielgruppengerechte Lernangebote<br />
Zielgruppen für <strong>Alpha</strong>betisierungs- und Grundbildungsangebote -> Werbung durch Öffentlichkeitsarbeit, z.B. Flyer, Plakate, Infomaterial etc.<br />
-> Ansprache und Gewinnung durch Multiplikatorenmodell „<strong>Alpha</strong>-<strong>Scout</strong>“<br />
B e r a t u n g<br />
dezentral<br />
zentral<br />
zentral / dezentral<br />
Zielgruppenspezifische Angebote<br />
„Klassische“ Angebote<br />
Nach <strong>dem</strong> sozialintegrativem Ansatz<br />
an der Münchner Volkshochschule<br />
in Kooperation mit<br />
L E R N W E R K S T A T T<br />
• Sozialen Einrichtungen<br />
an der Münchner Volkshochschule<br />
<strong>Alpha</strong>betisierungskurse<br />
• Beratungsstellen<br />
• ARGE, SBH, etc.<br />
Lernen neu entdecken - mein Tempo, meine<br />
Ziele!<br />
Grundbildungskurse<br />
• „Lernen vor Ort“<br />
• Kostenlos, ohne Anmeldung<br />
- in allen Fachgebieten<br />
- in allen Stadtteilbereichen<br />
z.B. für<br />
• Sinti und Roma<br />
• Elternarbeit mit Migrant/inn/en<br />
• Vielfältige Lernangebote und Lernmaterialien<br />
• Individuelle Betreuung und Lernstandserhebung<br />
• Mehrgenerationenhäuser<br />
• Jugendarbeit<br />
• Beratung und Weitervermittlung in geeignete<br />
Kurse<br />
Andrea Kuhn-Bösch, Leiterin Verbundprojekt <strong>ProGrundbildung</strong>,<br />
Fachgebietsleitung <strong>Alpha</strong>betisierung und Grundbildung an der<br />
Münchner Volkshochschule Seite 19<br />
„<strong>Alpha</strong>-<strong>Scout</strong>“ <strong>Schulung</strong><br />
Seite 38 von 52
<strong>Alpha</strong>-<strong>Scout</strong> - Handreichung<br />
Professionalisierung der <strong>Alpha</strong>betisierung und Grundbildung in der Weiterbildung<br />
Andrea Kuhn-Bösch, Leiterin Verbundprojekt <strong>ProGrundbildung</strong>,<br />
Fachgebietsleitung <strong>Alpha</strong>betisierung und Grundbildung an der<br />
Münchner Volkshochschule Seite 20<br />
„<strong>Alpha</strong>-<strong>Scout</strong>“ <strong>Schulung</strong><br />
Seite 39 von 52
<strong>Alpha</strong>-<strong>Scout</strong> – Handreichung<br />
3. <strong>Schulung</strong>smaterialien<br />
3.1 Informationen zur Erwachsenen-<strong>Alpha</strong>betisierung in Deutschland<br />
Erwachsenen-<strong>Alpha</strong>betisierung in Deutschland<br />
Hintergründe und Ausblicke<br />
Wer nicht gut Lesen, Schreiben und Rechnen kann, tut sich schwer im Alltag. Dieser Tatsache<br />
wird niemand widersprechen. Zugleich denken viele, dass Analphabeten vor allem in<br />
armen Ländern leben, in wenig entwickelten Gesellschaften. Da lässt eine Zahl aufhorchen:<br />
In Deutschland gibt es schätzungsweise vier Millionen Menschen, die grundlegende Kulturtechniken<br />
nicht <strong>aus</strong>reichend beherrschen. Das ist jeder Zwanzigste im Land und ergibt – auf<br />
eine Stadt wie München bezogen - rund 60.000 Frauen und Männer.<br />
Für die Forschung steht fest: Die Gruppe sog. „funktionaler Analphabeten“ zeigt, dass es<br />
auch in diesem reichen und entwickelten Land Armut gibt, ökonomische, soziale, pädagogische<br />
und politische. Das heißt, dass viele Menschen mit Lese-, Schreib- und Rechenproblemen<br />
<strong>aus</strong> wirtschaftlich schwachen Schichten kommen und dass ihnen oft von klein auf<br />
Anregungen fürs Reden, Spielen und Lernen fehlen. Gemeint ist damit aber auch, dass es<br />
die Schule häufig nicht schafft, Kindern und Jugendlichen <strong>aus</strong> solchen Familien zu helfen<br />
und dass die Politik bisher versäumt hat, für Bildungsstrukturen zu sorgen, die Analphabetismus<br />
verhindern.<br />
In der Schweiz nennt man die Zielgruppe „Illiteraten“, hierzulande wurde der Begriff „funktionale<br />
Analphabeten“ eingeführt, doch richtig glücklich ist niemand mit diesen Bezeichnungen.<br />
Es geht um Menschen, die in der Regel die Kulturtechniken Lesen, Schreiben und<br />
Rechnen zwar einmal gelernt haben, die sie aber nur unzureichend einsetzen können. Die<br />
Definition muss so unpräzise bleiben, weil die Frage, was jemand beherrschen muss, um<br />
noch mithalten zu können, stark vom gesellschaftlichen Umfeld und von der technologischwirtschaftlichen<br />
Dynamik abhängt.<br />
Durch Automatisierung und Rationalisierung sind in Deutschland in den vergangenen Jahren<br />
viele einfache Tätigkeiten weggefallen. In den verbliebenen Jobs reicht es nicht mehr,<br />
manuell geschickt, schnell und zuverlässig zu sein. Der Lagerarbeiter muss mit der Warenverwaltung<br />
am PC umgehen können; von der Putzfrau im Seniorenheim wird verlangt, dass<br />
sie penible Hygienevorschriften einhält und dies laufend dokumentiert.<br />
Gewachsen sind die Anforderungen im Umgang mit der Schrift nicht nur in der Arbeitswelt,<br />
sondern auch im Alltag: Wer einen Fahrkartenautomaten richtig bedienen, wer im Internet<br />
etwas finden oder wer am Computer schreiben will, muss nicht nur neue Handgriffe beherrschen,<br />
sondern benötigt auch ein geschultes Abstraktionsvermögen.<br />
All das führt dazu, dass Menschen, die im Umgang mit Ziffern und Buchstaben nicht sicher<br />
sind, stärker als früher auffallen und dass die Gefahr für sie wächst, <strong>aus</strong> beruflichen und<br />
gesellschaftlichen Zusammenhängen her<strong>aus</strong> zu fallen. Zugleich steigt die Zahl der Gefährdeten<br />
mit unzureichender Grundbildung.<br />
Beispiel München: Jedes Jahr verlassen etwa zehn Prozent der Jugendlichen die Hauptschule<br />
ohne Abschluss. Jede/r Zehnte verfügt also nicht über die Basisqualifikationen, die<br />
heute für den Start einer Ausbildung unverzichtbar sind. Viele der Betroffenen besuchen von<br />
der Arbeitsagentur finanzierte Berufsbildungsmaßnahmen. Einige entziehen sich weiterer<br />
Beschulung und schlagen sich irgendwie durch. Andere machen - beispielsweise an der<br />
Volkshochschule – den Hauptschulabschluss nach, finden als Spätzünder Geschmack am<br />
Lernen und kommen weiter.<br />
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<strong>Alpha</strong>-<strong>Scout</strong> - Handreichung<br />
Unter den „Abgetauchten“ lassen sich vermutlich viele finden, für die das Etikett „funktionale<br />
Analphabeten“ passt. Aber auch in den <strong>Schulung</strong>en sitzen oft junge Frauen und Männer, die<br />
so große Schwierigkeiten mit <strong>dem</strong> Schreiben, Lesen und Rechnen haben, dass der vermittelte<br />
Stoff gar nicht verdaut werden kann. Dies gilt ebenso für manchen Kurs, in den Arbeitslose<br />
vermittelt werden: Weil sie die Kulturtechniken nur ungenügend beherrschen, ist ihr<br />
Scheitern programmiert.<br />
Für das Verbundprojekt <strong>Alpha</strong>betisierung/Grundbildung der Münchner Volkshochschule<br />
(MVHS) ergeben sich dar<strong>aus</strong> zwei Arbeitsschwerpunkte: Die Sensibilisierung und Fortbildung<br />
derer, die in ihrem Arbeitszusammenhang auf funktionale Analphabeten stoßen können<br />
sowie die Entwicklung eines zielgruppenspezifischen Bildungswegs. Der Ausgangspunkt<br />
ist klar: So unterschiedlich die Erscheinungsformen von Analphabetismus und fehlender<br />
Grundbildung sind, so differenziert und auf die einzelne Person zugeschnitten muss das<br />
Angebot sein. Ziel ist, Beratungs- und Lernschleifen laufend aneinander zu koppeln.<br />
Wer braucht Grundbildung als Zweite Chance?<br />
Biografische Annäherung<br />
Herr W. (32) arbeitet viele Jahre als Druckerhelfer in einem Zeitungsverlag. Dann plant die<br />
Firma, neue Rotationsmaschinen anzuschaffen, die viele bisherige Helfertätigkeiten automatisch<br />
erledigen. Herr W. und seine Kollegen bangen um ihren Job. Der Betriebsrat handelt<br />
mit <strong>dem</strong> Arbeitgeber <strong>aus</strong>, dass sich jeder interessierte Helfer berufsbegleitend zum<br />
Drucker weiterqualifizieren kann. Herr W. kneift. Die Kollegen reden ihm gut zu: Er begreife<br />
doch so schnell; ihm müsse man bloß einmal nötige Handgriffe vormachen und schon wisse<br />
er sich zu helfen! Sie ahnen nicht, wie wenig er das Schreiben, Lesen und Rechnen beherrscht.<br />
Herr W. fürchtet um sein Ansehen - andererseits darf er keinesfalls die Arbeitsstelle<br />
verlieren. Er steckt in der Zwickmühle.<br />
Türgüt, Daniella und Georgios haben die Schule ohne Abschluss verlassen und arbeiten bei<br />
einer großen Imbisskette im Stadtzentrum. Den Job erhielten die knapp 20Jährigen, weil sie<br />
mühelos zwischen deutsch und ihrer jeweiligen Muttersprache – türkisch, kroatisch und<br />
griechisch – wechseln können. Das lockt vor allem junge Kunden und Kundinnen <strong>aus</strong> <strong>dem</strong>selben<br />
Kulturkreis – ein Wettbewerbsvorteil für den Arbeitgeber. Doch dieser Vorteil hat seinen<br />
Preis: Denn oft stimmt am Abend die Kasse nicht und es wird offensichtlich, dass die<br />
Rechenkenntnisse der Drei wirklich mangelhaft sind. Das Unternehmen sucht Kontakt mit<br />
der Volkshochschule und bestellt passgenaue, berufsbegleitende <strong>Schulung</strong>en für sie.<br />
Swetlana (37) ist Russlanddeutsche. Sie hat in ihrer alten Heimat ein geisteswissenschaftliches<br />
Studium abgeschlossen, das ihr in Deutschland nicht weiter hilft. Sie kann sich mündlich<br />
ganz gut <strong>aus</strong>drücken. Doch die deutsche Schriftsprache und der Umgang mit Zahlen<br />
bereiten ihr Mühe. Der Sachbearbeiter bei der Arbeitsagentur hat Swetlana in ein Bewerbungstraining<br />
vermittelt. Sie fühlt sich dort einmal unter- und einmal überfordert und reagiert<br />
genervt. Sie erfährt von speziellen Deutschkursen bei der VHS für Leute wie sie. Jetzt muss<br />
abgeklärt werden, ob sie wechseln darf.<br />
Lagerarbeiter P. (46) hat jahrzehntelang am Tresen Bestellungen für B<strong>aus</strong>toffe entgegen<br />
genommen und sie dann herbei geschafft. Dann führt der Arbeitgeber die computergestützte<br />
Lagerhaltung ein. P. muss nun Anzahl und Beschaffenheit der <strong>aus</strong>gehändigten Waren in<br />
PC-Tabellen eintragen und so auch den Bestand kontrollieren. Bald fällt auf, dass P. sich<br />
nicht nur im Umgang mit der ungewohnten Computertastatur schwer tut – er kann nicht richtig<br />
lesen und schreiben. Zuh<strong>aus</strong>e erledigt die Frau alles Schriftliche. Jetzt aber steht der Job<br />
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<strong>Alpha</strong>-<strong>Scout</strong> - Handreichung<br />
auf <strong>dem</strong> Spiel. Er ringt sich zu einem VHS-Kurs in der Freizeit durch und lernt dort speziell<br />
die Fertigkeiten, die er im Beruf braucht.<br />
Nurgül (17) ist in Deutschland geboren, kurz nach<strong>dem</strong> ihre Eltern <strong>aus</strong> der Türkei einwanderten.<br />
Die Mutter hat selbst nie eine Schule besucht und konnte Nurgül und ihren fünf Geschwistern<br />
auch nicht bei den H<strong>aus</strong>aufgaben helfen. Nurgül spricht fließend Deutsch und<br />
Türkisch – aber das Schreiben fällt ihr in beiden Sprachen schwer. Sie verlässt die Schule<br />
ohne Abschluss, weiß nicht, was sie machen soll und landet in einem Berufsfindungskurs.<br />
Der Anmeldebogen macht ihr zu schaffen. Schließlich hilft ihr die Sozialpädagogin beim<br />
Ausfüllen.<br />
Frau L. (27) arbeitet in der Küche eines Restaurants. Die Familienverhältnisse, unter denen<br />
sie aufwuchs, waren zerrüttet. Sie schwänzte oft die Schule, besuchte eine Zeitlang eine<br />
Förderklasse, kam immer mal wieder in ein Heim. Sie tut sich schwer mit <strong>dem</strong> Lernen, hat<br />
Angst vor <strong>dem</strong> Lesen und Schreiben. Sobald sie volljährig ist, wechselt sie in die Großstadt<br />
und sucht sich den Job in der Gastronomie. Nach einigen Jahren merkt sie, dass sie nicht<br />
so weiter machen, dass sie ihr Metier richtig lernen will. In der Berufsberatung erfährt sie<br />
von <strong>dem</strong> VHS-Kurs, in <strong>dem</strong> sie sich zunächst die Kulturtechniken richtig aneignet.<br />
Neue Ziele, neue <strong>Wege</strong><br />
Was im Projekt <strong>ProGrundbildung</strong> erprobt wird und<br />
wie es umgesetzt werden kann<br />
Herr Ch. will sein Recht auf Elternzeit wahrnehmen und zeitreduziert arbeiten. Den Antrag<br />
formuliert er im Aufbaukurs Lesen und Schreiben, angeleitet von seiner Dozentin. Am Ende<br />
kommt ein flüssig formulierter, fehlerfreier Brief her<strong>aus</strong>. Das beflügelt Ch. Er erinnert sich,<br />
dass er in früheren Kursen diese Möglichkeit noch nicht hatte. Da gab es einfach Rechtschreib-,<br />
Grammatik- und Leseübungen für alle.<br />
Ähnliche Erfahrungen machen inzwischen viele Teilnehmerinnen und Teilnehmer von<br />
Grundbildungskursen. Das ehrgeizige Ziel heißt, beim Lernen sehr differenziert auf die individuellen<br />
Bedürfnisse derer einzugehen, die sich in Alltag und Beruf mit <strong>dem</strong> Lesen, Schreiben<br />
und Rechnen schwer tun.<br />
Nun wird auf mehreren Ebenen experimentiert, wie man besser an die Zielgruppe herankommt<br />
und ihren Bedarf an Grundbildung deckt. Dazu gehören die gezieltere und breitere<br />
Werbung, die Verzahnung von Beraten und Lernen sowie die Vorbereitung der Dozent/innen<br />
auf ihre neue Rolle.<br />
1. <strong>Alpha</strong>-<strong>Scout</strong>s – Mittler und Profis bei der Zielgruppenansprache<br />
Das Projekt <strong>ProGrundbildung</strong> der MVHS hat zwei Aufgaben: Die eine ist, Multiplikator/inn/en<br />
<strong>aus</strong>findig zu machen, sie mit Basisinformationen über die Beratungs- und Lernangebote für<br />
„funktionale Analphabet/innen“ zu versorgen und ihre Sensibilität zu schulen, damit sie die<br />
potenzielle Zielgruppe leichter erkennen. Solche Mittler/innen arbeiten in Sozialbürgerhäusern<br />
oder Arbeitsagenturen, bei Kirchen oder Gewerkschaften, in Integrations- und Beratungszentren<br />
oder Kammern. Ein Beispiel:<br />
Schuldnerberater V. bespricht mit einem Klienten die nächsten Schritte. Diesmal bestätigt<br />
sich sein Verdacht, dass der Klient das Addieren, Multiplizieren und Prozentrechnen nicht<br />
richtig beherrscht und auch deshalb schlecht h<strong>aus</strong>halten kann. Herr V. bringt ganz vorsichtig<br />
die Möglichkeit ins Gespräch, in einem Kurs den besseren Umgang mit Zahlen und Geld zu<br />
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<strong>Alpha</strong>-<strong>Scout</strong> - Handreichung<br />
üben und informiert über die Grundbildungsangebote und die Möglichkeit zur individuellen<br />
Beratung.<br />
Die zweite Aufgabe des Projekt <strong>ProGrundbildung</strong> besteht darin, „<strong>Alpha</strong>-<strong>Scout</strong>s“ zu qualifizieren,<br />
die Kontakte zu Multiplikator/inn/en und Institutionen aufbauen, Netzwerke knüpfen,<br />
den Informations<strong>aus</strong>t<strong>aus</strong>ch sicherstellen und auch Erstberatungen bei potenziellen Kursteilnehmer/innen<br />
übernehmen.<br />
2. Lernwerkstatt – Gut angeleitet und begleitet Wissen erwerben<br />
Frau L. leidet unter starken Rückenschmerzen. Die Dozentin im <strong>Alpha</strong>kurs zeigt ihr, wie sie<br />
im Internet brauchbare Informationen findet und was sie tun muss, um eine Arztadresse im<br />
Stadtplan <strong>aus</strong>findig zu machen und den Weg mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu planen.<br />
Herr W. schreibt derweil einen kurzen Antwortbrief auf eine Jobofferte. Als die Dozentin<br />
sieht, dass er „ä“ und „ö“ schlecht <strong>aus</strong>einanderhalten kann, erhält er ein Übungsblatt dazu.<br />
Am Ende der Kursstunde berichten Frau L. und Herr W. den vier anderen Teilnehmer/innen,<br />
wie weit sie heute vorangekommen sind und welche Lerntechniken sie erprobt haben.<br />
So könnte eine Lernwerkstatt künftig <strong>aus</strong>sehen: Ein Ort, an <strong>dem</strong> im Wechsel mal jede/r für<br />
sich und mal alle zusammen lernen, an <strong>dem</strong> die Dozent/innen beraten und begleiten, motivieren<br />
und strukturieren. Lernen in einer kleinen Gruppe, an einem Thema, an <strong>dem</strong> großes<br />
Eigeninteresse besteht, unter fachkundiger Anleitung und mit wachsender Selbstverantwortung.<br />
Die pädagogische Forschung hat neue Erkenntnisse gewonnen, welche Ängste, Blockaden<br />
und Widerstände das Lernenmüssen <strong>aus</strong>lösen kann. Menschen, die grundlegende Kulturtechniken<br />
nicht richtig beherrschen, haben meist dramatische bis traumatische Schulerfahrungen<br />
hinter sich. Mit List und Einfallsreichtum meiden sie seither Situationen, in denen<br />
neuerliches Scheitern droht.<br />
Mit oft weitreichenden Folgen: Sie verdrängen, dass sie viele Dinge gut können. Sie entwickeln<br />
sich zu Einzelgängern, um <strong>dem</strong> Gemessenwerden in der Gruppe zu entgehen. Sie<br />
schrecken vor Neuem und Ungewohntem zurück, stellen keine Fragen, wollen bloß nicht<br />
auffallen. Erst wenn dieser Ballast, der die zum Lernen nötige Neugierde zu ersticken droht,<br />
beseitigt ist, kann’s richtig losgehen.<br />
Nicht nur Menschen mit problematischen Lerngeschichten brauchen als Erwachsene<br />
Grundbildung. Jeder Fall ist anders gelagert. Wichtig ist, dass sich Dozent/innen auf die<br />
Lernbiografie des Einzelnen einlassen und den sensiblen Punkt her<strong>aus</strong>finden, wie ein neuer<br />
Lernanlauf gelingen kann. Um die Schwellenangst der Angesprochenen möglichst klein zu<br />
halten, wird erwogen, ehemalige <strong>Alpha</strong>-Teilnehmer/innen an der Einstiegsberatung zu beteiligen.<br />
Weil sie beides kennen: den Fluchtreflex vor Lernsituationen und das Erfolgerlebnis,<br />
wenn endlich der Knoten platzt.<br />
3. Dozent/inn/en-Fortbildung – Vorbereitung auf die neue Rolle<br />
Lernungewohnten Menschen die Angst vor der befürchteten Blamage zu nehmen, sie<br />
Schritt für Schritt zum individuellen, selbstgesteuerten Lernen zu führen und gleichzeitig ihre<br />
Fähigkeit zu entwickeln, in einer Gruppe zu arbeiten – das will gelernt sein. Im Verbundprojekt<br />
<strong>Alpha</strong>betisierung/Grundbildung entwickelt die Münchner Volkshochschule gemeinsam<br />
mit der Ludwig-Maximilians-Universität und <strong>dem</strong> Bayerischen Volkshochschulverband ein<br />
Fortbildungskonzept für Dozent/innen.<br />
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<strong>Alpha</strong>-<strong>Scout</strong> - Handreichung<br />
Das Fortbildungskonzept besteht <strong>aus</strong> 5 Modulen zu Themen wie: Grundlagenwissen über<br />
die Entstehung von Funktionalem Analphabetismus bei Erwachsenen, pädagogische Ansätze<br />
in der Grundbildungsarbeit, Grundlagenwissen über Lernberatung, Lernbegleitung und<br />
Förderdiagnostik, Unterstützung Einzelner in heterogenen Gruppen, Einsatz kreativer Methoden<br />
in der Grundbildung.<br />
Für jede/n der richtige Mix<br />
Wie Lernen endlich gelingen kann<br />
Experimentieren, Erfahrungen sammeln, Entwicklungen Einzelner beobachten, professionelle<br />
Kursangebote entwickeln – das ist die aktuelle Situation bei den <strong>Alpha</strong>betisierungs-<br />
und Grundbildungsangeboten der MVHS. Ein Ausloten der Möglichkeiten, durch laufende<br />
Beratung und passende Lernarrangements den individuellen Bedürfnissen derer entgegenzukommen,<br />
die sich in Alltag und Beruf mit <strong>dem</strong> Lesen, Schreiben und Rechnen schwer tun.<br />
Ein wichtige Orientierungshilfe ist die Selbstwahrnehmung der Teilnehmer und Teilnehmerinnen:<br />
Wann und warum ist meine Lerngeschichte in die falsche Richtung gelaufen? Wo<br />
will ich jetzt hin? Was motiviert mich, was hilft mir über Durststrecken hinweg? Drei Beispiele.<br />
Selbstbild Analphabet: Wie es entsteht und langsam verschwindet<br />
Herr Ch. besuchte in München die Schule, hatte von Anfang an Lese- und Schreibprobleme<br />
und niemand in der Familie, der Verständnis hatte oder helfen konnte. „Das Problem habe<br />
ich mein ganzes bisheriges Leben mitgezogen,“ sagt er. Er schlug sich zunächst mit Hilfsarbeiten<br />
durch, bekam dann die Chance, Bäcker zu werden. Berufsschullehrkräfte unterstützten<br />
ihn und Ch. schaffte die Prüfung. „Zum ersten Mal merkte ich, dass ich für mich lerne<br />
und für niemand sonst.“ Nach wenigen Berufsjahren brach eine Mehlstauballergie <strong>aus</strong>. Das<br />
war das Ende als Bäcker. „Als das schief ging, ließ ich wieder alles schleifen.“ In Ch. verfestigte<br />
sich das Bild, Analphabet zu sein. „Wenn ich etwas <strong>aus</strong>füllen sollte, während jemand<br />
neben mir stand, setzte mich das so unter Druck, dass gar nichts mehr ging.“ Außer<strong>dem</strong><br />
irritierten Ch. all die „ver-englischten“ Aufschriften und Werbebotschaften. „Die konnte ich<br />
nicht lesen.“ Ch. war ein guter Arbeiter, ob im Lager oder als H<strong>aus</strong>meister. Kritisch wurde<br />
es, wenn ihm mehr zugetraut wurde, eine Computerschulung etwa oder anspruchsvollere<br />
Tätigkeiten. Einmal stellte er sich einem neuen Chef als „Analphabet“ vor. Der empfahl ihm<br />
Kurse bei der Volkshochschule. „Der glaubte an mich.“ Beim Einstiegstest erfuhr er, dass er<br />
durch<strong>aus</strong> nicht „nichts“ konnte. Er glaubte es erst viel später. „Mich hat der erste Kurs soviel<br />
Überwindung gekostet. Ich kann jeden verstehen, der nicht hingeht. Aber wenn man etwas<br />
ändern will, muss man den Schritt machen.“ Und Ch. will etwas ändern in seinem Leben,<br />
um eine berufliche Perspektive zu haben und <strong>aus</strong> familiären Gründen. Der älteste Sohn<br />
kommt <strong>dem</strong>nächst in die Schule. „Wenn er Hilfe braucht, will ich nicht flüchten müssen.“<br />
Inzwischen, immer mal wieder mit P<strong>aus</strong>en, hat er mehrere Deutschkurse gemacht. Eine<br />
<strong>aus</strong>führliche Beratung und ein gründlicher Schreib- und Lesetest zur Einstufung ins richtige<br />
Kursniveau sind ihm wichtig. Im Kurs hat er nun nach Diktat und Üben von Doppellauten die<br />
Möglichkeit, eigene Aufgaben unter Anleitung erledigen zu können. Das schätzt Ch. Inzwischen<br />
kann er besser lesen als schreiben, sagt er: „Aber ein Buchleser werde ich nicht. Da<br />
schaue ich mir lieber einen Film an.“<br />
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<strong>Alpha</strong>-<strong>Scout</strong> - Handreichung<br />
Deutsch für Deutsche: Damit berufliche Weiterbildung gelingt<br />
Herr R. hat die Schule ohne Abschluss verlassen. Mit <strong>dem</strong> Rechnen hatte es zwar ganz gut<br />
geklappt, mit Lesen und Schreiben dagegen gar nicht. „Das Problem ist, das, was im Kopf<br />
ist, zu Papier zu bringen. Ich formuliere so lange herum, bis ich mich selbst blockiere. Dann<br />
verliere ich die Geduld und höre auf.“ Viele Jahre war R. bei einer großen Firma tätig, bis<br />
Personal abgebaut wurde. R. bekam eine Abfindung und ging. Das Arbeitsamt schickte ihn<br />
in eine Weiterbildung zur Lagerfachkraft. Er tat sich schwer und schloss den Kurs nicht ab.<br />
Heute sagt R.: „Das Arbeitsamt müsste in solchen Fällen Deutschkurse finanzieren – vor<br />
der Weiterbildung.“ Er fand wieder Arbeit und Jahre später ergab sich erneut die Möglichkeit,<br />
die IHK-Prüfung zur Lagerfachkraft zu machen, berufsbegleitend diesmal. Nun suchte<br />
er einen zusätzlichen Deutschkurs, den er selbst bezahlte. „Deutsch für Ausländer finanziert<br />
die Arbeitsagentur. Aber bei Deutschen setzt man einfach vor<strong>aus</strong>, dass sie gut genug lesen<br />
und schreiben können“, kritisiert er. Inzwischen hat er den Theorieteil der Prüfung geschafft<br />
und macht weiter im Aufbaukurs Deutsch der Volkshochschule. R. bedauert, dass es dort<br />
nicht schon früher möglich war, „die eigenen Sachen in den Kurs mitzubringen." So musste<br />
er sich zuh<strong>aus</strong>e alleine durch die mit Fremd- und Fachwörter gespickten Prüfungsmaterialien<br />
durchkämpfen. „Es wäre mir leichter gefallen, wenn ich vorher im Deutschkurs gelernt<br />
hätte, wie ich eine solche Aufgabe lösen kann.“ R. ist sicher: Davon hätten auch ein paar<br />
andere im Kurs profitiert, weil er nicht der einzige ist, der im Lager arbeitet.<br />
Selbstzweck Bildung: Lernen, um sich die Welt zu erschließen<br />
Frau S. ist in der Türkei geboren und in München aufgewachsen. Hier heiratete sie, zog drei<br />
Kinder groß und erwarb die deutsche Staatsbürgerschaft. Sie hat die Schule nach der 8.<br />
Klasse ohne Abschluss verlassen. Ihre Eltern störte das nicht; sie konnten ihr nicht helfen<br />
und wollten ja ohnedies <strong>dem</strong>nächst zurück in die Heimat. Anders S.: „Ich wollte immer noch<br />
etwas lernen, aber durch die Heirat und die Kinder habe ich die Freiheit verloren.“ Seit zwei<br />
Jahren erfüllt sie sich nun einen Traum und besucht mehrere Grundbildungskurse. „Wenn<br />
ich ein Buch nehme, geht es mir besser.“ Selbst das Rechnen übte sie neu, trainierte das<br />
Einmaleins. Dabei weiß die seit Jahren Alleinerziehende sehr genau, wie viel Ausgaben sie<br />
sich mit <strong>dem</strong> als Halbtagskraft verdienten Geld leisten kann. S. geht zusätzlich Putzen, um<br />
die Kurse und das Drumherum bezahlen zu können. Ihr Hobby, ihr Luxus. Klassische Literatur<br />
und Musik kennt S. <strong>aus</strong> <strong>dem</strong> Radio. Gerade hat sie Goethes F<strong>aus</strong>t für einen Euro erstanden:<br />
„Das liebe ich.“ Das Reden und das Lesen einfacher Texte fällt S. nicht schwer. Im<br />
Deutschunterricht lernt sie, auch bei komplizierter gebauten Sätzen den Überblick nicht zu<br />
verlieren. Oder sie übt Begriffe und die dazu gehörigen Artikel. Weil Frau S. sich Dinge<br />
leichter merken kann, wenn sie etwas mit Kultur zu tun haben, prägt sie sich beispielsweise<br />
die Namen der Körperteile ein, in<strong>dem</strong> sie Botticellis Venus und Michelangelos David studiert.<br />
Ihr gefällt es auch, in der Gruppe Geschichten zu erfinden und sie dann korrekt niederzuschreiben,<br />
„auch wenn mein Sohn sagt, dass das kindisch ist.“ S. wünscht sich, dass<br />
zum Deutschkurs auch das Schreiben am PC gehört. „Im Beruf brauche ich den Computer<br />
nicht. Aber heute machen alle alles mit <strong>dem</strong> Computer und da fühle ich mich dann so klein.“<br />
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<strong>Alpha</strong>-<strong>Scout</strong> - Handreichung<br />
Von schlechten Sprachvorbildern und Lesefallen -<br />
Worüber Grundbildungsteilnehmer/innen stolpern<br />
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<strong>Alpha</strong>-<strong>Scout</strong> - Handreichung<br />
Kopf- und Handwerkszeug<br />
Über die Methodik und Wirkung der Grundbildung<br />
Wer von erfahrenen Lehrkräften in der <strong>Alpha</strong>betisierung wissen möchte, wie viele Semester<br />
oder Jahre ein Erwachsener braucht, um passabel lesen und schreiben zu lernen, wird nur<br />
Kopfschütteln ernten. Eine p<strong>aus</strong>chale Antwort kann es nicht geben. Zu verschieden sind<br />
beim Einstieg die Kenntnisse und Lücken der Kursteilnehmer; zu unterschiedlich ist ihre<br />
Leidensgeschichte mit Schule und Unterricht, als dass sich allgemeine Erfolgsprognosen<br />
ableiten ließen.<br />
„Diese Menschen haben in der Regel noch ganz andere Probleme, die ihnen Energie rauben.<br />
Da bleibt für das Lesen- und Schreibenlernen nicht so viel übrig“, sagt eine Dozentin.<br />
Die Erfahrungen, die hinter dieser Beobachtung stecken, lassen sich durch<strong>aus</strong> generalisieren:<br />
Viele (funktionale) Analphabeten arbeiten körperlich hart; da fällt das Lernen am Abend<br />
besonders schwer. Der Kampf mit Lauten und Buchstaben ist ein mühseliger Prozess – nur<br />
wenige schaffen es, sich ihm regelmäßig und kontinuierlich über Jahre hinweg zu stellen.<br />
Kaum jemand übt zwischen den Kursstunden. "So kommt es, dass oft das, was sie in einer<br />
Stunde verstanden haben, in der folgenden Woche bereits wieder vergessen ist," berichtet<br />
eine Dozentin. Das habe nichts mit Dummheit zu tun oder einem schwachen Erinnerungsvermögen.<br />
Ganz im Gegenteil: Analphabeten müssen alles für den Alltag Wichtige <strong>aus</strong>wendig<br />
im Kopf behalten. Da stehen die Schrift und ihre Regeln nicht ganz oben auf der Prioritätenliste.<br />
Aber plötzlich kann alles ganz anders sein: Dozent/inn/en berichten, wie bei manchen Teilnehmer/inne/n<br />
auf einmal der Knoten platzt, wie sie auf einmal einen Sprung nach vorne<br />
machen, korrekter sprechen, schreiben und lesen. Oft hängt das damit zusammen, dass<br />
sich ein persönliches Problem gelöst hat und der Kopf frei wird fürs Lernen. Manchmal trifft<br />
man auf „Begabungen“, wie eine Dozentin sie nennt, „Leute, die früher einfach nicht gefördert<br />
wurden und die relativ schnell fähig werden, selbstständig weiter zu machen – etwa im<br />
Internetportal ich-will-schreiben-lernen.“ Eine Erfahrung <strong>aus</strong> den Kursen ist allerdings auch,<br />
dass Lernblockaden – das Erbe einer schiefgelaufenen Schulkarriere – immer wieder auftauchen<br />
und das Weiterkommen empfindlich stören können.<br />
Aus all <strong>dem</strong> folgt: Die Teilnehmenden sollen ihre individuellen Lernziele her<strong>aus</strong>finden und<br />
sie - Schritt für Schritt und im eigenen Tempo - erreichen. Der Erfolg misst sich nicht allein<br />
daran, in welchem Maß schließlich fehlerfrei geschrieben, flüssig gelesen und korrekt gerechnet<br />
wird. Wirkung zeigt ein Kursbesuch auch dadurch, dass Teilnehmer/innen das Lernen<br />
selbst lernen, dass sie Mut fassen, sich in Alltag und Beruf ungewohnten Situationen zu<br />
stellen und dass sie ihre persönliche Entwicklung in die Hand nehmen. Eine Dozentin berichtet:<br />
„Eine türkische Frau hat gesagt, sie sei durch den Kurs ein anderer Mensch geworden.<br />
30 Jahre lang habe sie für andere gesorgt. Jetzt sei sie dran. Und das tue ihr so gut.“<br />
Lehrkräfte in der Erwachsenenalphabetisierung haben eine Art Hebammenrolle. Um das<br />
Potenzial der einzelnen Teilnehmer/innen ans Licht zu bringen, ist Methodenvielfalt geboten.<br />
So ist längst bekannt, dass der eine Mensch gut im Zuhören ist, ein anderer Neues vor<br />
allem übers Sehen aufnimmt und ein dritter am besten begreift, wenn etwas mit Händen zu<br />
fassen ist. Dozent/innen von Grundbildungskursen verfügen idealerweise über ein breites<br />
Repertoire an Methoden und Materialien, um die unterschiedlichen Lernkanäle zu öffnen<br />
und zu versorgen. Und sie bedienen sich der Erkenntnisse verschiedener Disziplinen wie<br />
Förder- und Sozialpädagogik sowie allgemeine Erwachsenenbildung und beziehen Erfah-<br />
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<strong>Alpha</strong>-<strong>Scout</strong> - Handreichung<br />
rungen mit ein, die beim Schriftspracherwerb von Kindern, im Umgang mit Legasthenie und<br />
in der <strong>Alpha</strong>betisierungsarbeit mit Migrant/inn/en gemacht werden.<br />
Im Verbundprojekt <strong>ProGrundbildung</strong> der Münchner Volkshochschule (MVHS) geht es in den<br />
kommenden Jahren auch darum, das didaktische und methodische Know-how, das die Dozent/inn/en<br />
bisher weitgehend auf sich selbst gestellt erworben haben, zu bündeln und gezielt<br />
weiter zu vermitteln.<br />
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<strong>Alpha</strong>-<strong>Scout</strong> - Handreichung<br />
3.2 Fallbeispiele<br />
Fünf Fallbeispiele für „besondere“ Lernbiografien 5<br />
Liane Guthart 6 27 Jahre, Restauranthilfskraft<br />
Schreibt sehr langsam, verkrampft, mit vielen Fehlern<br />
Sozialisation bis zum 18.Lebensjahr in der DDR. Als sie 6 Jahre alt ist, wird es „öffentlich<br />
bekannt“, dass ihre Mutter Alkoholikerin ist. Die Eltern streiten sich viel. Sie<br />
fehlt in der Schule wiederholt für längere Zeit. Mit 7 Jahren wird sie durch die Behörde<br />
in einem Heim untergebracht. Der Vater kümmert sich um sie, kann sie aber nicht<br />
zu H<strong>aus</strong>e betreuen, weil er arbeitet. Sie hat Angst vor ihrer Lehrerin, kann „nicht lernen“<br />
und wird in eine Förderschule überwiesen. Freunde hat sie keine. Nach der<br />
Scheidung der Eltern lernt der Vater eine neue Frau kennen und kann sie aber auch<br />
dann nicht zu sich nehmen. Sie wechselt in ein anderes Heim, bleibt dort lange Zeit<br />
und lernt, verzögert, aber doch allmählich etwas rechnen und schreiben. Nach ihrem<br />
18. Geburtstag zieht sie auf eigene F<strong>aus</strong>t nach München und findet eine Stelle in der<br />
Gastronomie. Sie möchte jetzt <strong>aus</strong> eigener Kraft so gut schreiben lernen, dass sie<br />
eine Anlernstelle übernehmen kann.<br />
Günter Rollof, 48 Jahre alt, Pfarramtshelfer<br />
Gute Lesekenntnisse, schreibt phonetisch (so wie man es hört)<br />
Bereits in der Grundschule Probleme in Deutsch. Lernt erst spät in der 3. Klasse<br />
schreiben. Ärztliches Legasthenie-Attest. Lehrer, Familie und Freunde ignorieren<br />
seine Schreibhemmungen. Er beendet seine Schulzeit mit der Mittleren Reife. Anschließend<br />
absolviert er eine Lehre als Gärtner. Während der Berufstätigkeit besucht<br />
er zeitweilig das Studium Generale an der Universität als Schwarzhörer und liest viel.<br />
Vermeidet die Schreibschrift. Er bewirbt sich als Pfarramtshelfer. Der Pfarrer korrigiert<br />
alle am PC geschriebenen Briefe, die er schreiben muss. Das kränkt ihn. Heimlich<br />
lässt er die Briefe von seiner Frau korrigieren, ehe er sie <strong>dem</strong> Pfarrer vorlegt. Mit<br />
der Zeit wird dieser Zustand zu einem echten Dilemma für ihn. Er wird depressiv,<br />
erkundigt sich aber in der Beratung für einen Deutsch Kurs an der Volkshochschule.<br />
Zu Kursbeginn ist er noch nicht registriert, am Telefon erklärt er, dass seine Frau gegen<br />
den Kursbesuch ist, er ihn aber trotz<strong>dem</strong> belegen möchte. Seine Frau ruft in der<br />
`Anmeldung´ an und versucht seine heimliche Anmeldung zu verhindern. Kurze Zeit<br />
später ist er zwar eingetragen, erscheint aber zu Kursbeginn nicht. Telefonisch erklärt<br />
er, seine Frau habe einen Nervenzusammenbruch erlitten, weil sie glaube, er<br />
benötige ihre Hilfe nicht mehr.<br />
Vermutung: <strong>Alpha</strong>betismus-Co-Abhängigkeit der Ehepartnerin, Kursbesuch ohne<br />
Einbezug des Ehepartners nicht möglich. In diesem Fall: Partnerin weigert sich und<br />
Ehemann besucht den Kurs nicht.<br />
5<br />
Erhoben in der Einstiegsberatung an der Münchner Volkshochschule<br />
6<br />
Alle Namen geändert<br />
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<strong>Alpha</strong>-<strong>Scout</strong> - Handreichung<br />
Dietmar Framm, 20 Jahre alt, arbeitslos<br />
Ist völlig schreib- und leseunkundig<br />
Nach langem Heimaufenthalt in Köln, lebt er seit einem Jahr in „Betreutem Wohnen“.<br />
Seine Schulzeit erinnert er als Horrorzeit.<br />
Eltern sind getrennt und er wächst im Heim auf. Mutter besucht ihn. Als Kind im Heim<br />
trägt er Schneehandschuhe, die er anbehalten will, trotz wiederholt schwerer Strafen.<br />
Wenn er keine Handschuhe tragen kann, ballt er die Fäuste, um keinen Stift anfassen<br />
zu müssen. Ab <strong>dem</strong> 10 Lebensjahr bessert sich sein Verhalten. Er nimmt disziplinierter<br />
am Unterricht teil, lernt aber kaum lesen. Wird vorzeitig <strong>aus</strong> der Schule als<br />
nicht beschulbar entlassen. Umzug nach München. Lernt bei seinem Betreuer rechnen,<br />
weil er die Ziffern kennt und Zahlen lesen kann.<br />
In der Beratung ist er aufmerksam und zeigt großes Interesse am Schreiben lernen<br />
in einem Kurssystem. Beteuert, jetzt zu wissen, „worauf es ankommt“. Herr Framm<br />
ist für den Kurs angemeldet, erscheint aber nie. Ist mit Sch<strong>aus</strong>tellern fort gezogen.<br />
Achim Salib, 20 Jahre alt, arbeitslos<br />
Erkennt Buchstaben und einzelne Wörter, kann aber nicht sinnverstehend einen<br />
ganzen Satz lesen. Schreiben ist nicht möglich.<br />
Lebt in „Betreutem Wohnen“<br />
Die ersten Lebensjahren wächst er in Algerien bei den Eltern auf (Mutter Algerierin,<br />
Vater Deutscher). Nach der Scheidung der Eltern zieht sein Vater mit zwei älteren<br />
Geschwister nach Deutschland.<br />
Schulbesuch: 1. und 2. Klasse in Algerien, 3. bis 7. Klasse kein Schulbesuch (zwischen<br />
<strong>dem</strong> 7. und 12. Lebensjahr!). Grund unklar. 7. und 8. Klasse Schulbesuch in<br />
Deutschland nach Immigration der Mutter. In der 8. Klasse vorzeitige Entlassung wegen<br />
Fehlverhaltens. Ab der 8. Klasse kein Schulbesuch, kein Unterricht. Zweimal<br />
delinquent. Jugendarrest. Betreuer sucht für ihn Möglichkeit, Versäumtes nachzuholen.<br />
Heinrich Hube, 39 Jahre, Bankangestellter<br />
Schreibt flüssig aber mit gravierenden Lücken in allen orthografischen Feldern.<br />
Schreibt alles klein, um so die Groß- und Kleinschreibung zu umgehen. Gibt an, „nie<br />
richtig schreiben gelernt zu haben“. Er hasse es auch noch.<br />
Er benötige Unterstützung, da er neue Aufgaben am Arbeitsplatz übernehmen solle,<br />
die mit seiner Schreibschrift verbunden sein werden. Das Rechtschreibprogramm<br />
des PCs und die Korrekturen seiner Frau per e-mail, haben bisher seine Schwäche<br />
kaschieren können. Er hat sich entschlossen, einen Deutsch Kurs zu machen, da er<br />
seine Kollegen für „unberechenbar“ hält und er Angst hat, sich angreifbar zu machen.<br />
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<strong>Alpha</strong>-<strong>Scout</strong> - Handreichung<br />
Filmliste<br />
Übersicht Kurzfilme<br />
1. http://abc-projekt.de/?p=702 “Analphabeten kommen zu Wort”<br />
2. http://abc-projekt.de/?page_id=686 „Die ABC-Zeitung“<br />
3. http://abc-projekt.de/?page_id=686 „Hermann F. - Man kann es schaffen“<br />
4. http://www.alphabund.de/ „Eine zweite Chance“<br />
5. http://www.alphabetisierung.de/kampagne/tv.html<br />
6. http://www.youtube.com/user/<strong>Alpha</strong>betisierung iCHANCE - Nutze Deine Chance!<br />
Schau Dir an, was Promis zum Thema Lesen und Schreiben zu sagen haben...<br />
Kampagne: alpha musik z.B. mit: Peter Fox, MIA, Collien Fernandes, Samy Deluxe, Kurt<br />
Krömer<br />
7. http://www.br-online.de/br-alpha/das-kreuz-mit-der-schrift/index.xml<br />
(kleine Informationsfilme zur Serie „Das Kreuz mit der Schrift“ auf br-alpha)<br />
8. http://www.myvideo.de/watch/7105720/Analphabeten_in_Deutschland_Politik_Direkt<br />
9. http://www.clipfish.de/video/18470/analphabetismus/<br />
10. http://www.myvideo.de/watch/2892688/Analphabetismus_der_Vorleser<br />
11. http://www.zdf.de/ZDFmediathek/beitrag/video/836290/Millionen-Analphabeten-in-<br />
Deutschland#/beitrag/video/836290/Millionen-Analphabeten-in-Deutschland<br />
12. http://www.zdf.de/ZDFmediathek/beitrag/video/836120/Verloren-in-der-Welt-der-<br />
Buchstaben#/beitrag/video/836120/Verloren-in-der-Welt-der-Buchstaben<br />
13. http://mediathek.daserste.de/daserste/servlet/content/2589600?pageId=487872&<br />
moduleId=2589582&categoryId=&goto=1&show=<br />
14. http://www.ardmediathek.de/ard/servlet/content/3291678 LUDWIG-MAXIMILIANS-<br />
UNIVERSITÄT MÜNCHEN<br />
15. http://www.tvbvideo.de/video/iLyROoafIrI3.html Berlin News: Hauptstadt der<br />
Analphabeten<br />
16. http://www.myvideo.de/watch/1805675/ABC_Film ABC-Film (privates Video)<br />
17. http://www.youtube.com/watch?v=-R0u1P7iTPA Analphabetismus -2- (privates Video)<br />
18. http://www.suedsteiermark.tv/2009/09/18/analphabetismus-in-osterreich/<br />
Analphabetismus in Österreich (Passantenbefragung: mögliche Gründe für<br />
Analphabetismus)<br />
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<strong>Alpha</strong>-<strong>Scout</strong> - Handreichung<br />
19. http://www.wdr.de/mediathek/html/regional/2009/09/08/lokalzeit-bergisches-land-welt<br />
alphabetisierungstag.xml "Ich bin so glücklich!"<br />
20. http://www.wdr.de/mediathek/html/regional/2008/09/08/lokbi_01.xml Bücher für<br />
Analphabeten<br />
21. http://www.das-g-muss-weg.de/film2.html<br />
22. http://tagesschau.sf.tv/nachrichten/archiv/2009/06/02/schweiz/800_000_funktionale_<br />
analphabeten_in_der_schweiz 800.000 funktionale Analphabeten in der Schweiz<br />
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