Für eine gemeinsame Schule in Niedersachsen - Bibliothek der ...
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<strong>Für</strong> <strong>e<strong>in</strong>e</strong> Geme<strong>in</strong>same <strong>Schule</strong><br />
<strong>in</strong> <strong>Nie<strong>der</strong>sachsen</strong><br />
Gegen den deutschen Son<strong>der</strong>weg<br />
<strong>in</strong> Europa<br />
Die Autoren:<br />
Renate Jürgens-Pieper<br />
Andreas Meisner<br />
Wilhelm Pieper<br />
Karl-He<strong>in</strong>z Uflerbäumer<br />
1
© Friedrich-Ebert-Stiftung<br />
Büro <strong>Nie<strong>der</strong>sachsen</strong><br />
Rathenaustraße 16 A<br />
30159 Hannover<br />
Tel.: 0511 306622<br />
Fax: 0511 306133<br />
e-mail: hannover@fes.de<br />
Internet: www.fes.de<br />
April 2007<br />
ISBN 987-3-89892-638-6<br />
Gesamtherstellung: ZeitDruck Hannover<br />
2
Inhaltsverzeichnis<br />
Vorwort von Wolfgang Jüttner 5<br />
1 „Wer lebt, muss auf Wechsel gefasst se<strong>in</strong>“ 6<br />
2 Die Geme<strong>in</strong>same <strong>Schule</strong> <strong>in</strong> <strong>Nie<strong>der</strong>sachsen</strong> 9<br />
3 Geme<strong>in</strong>same <strong>Schule</strong> – Gesamtschule – Geme<strong>in</strong>schaftsschule – E<strong>in</strong>heitsschule – Regionalschule –<br />
Welcher Name ist s<strong>in</strong>nvoll? 11<br />
4 Der lange deutsche Streit um <strong>e<strong>in</strong>e</strong> <strong>geme<strong>in</strong>same</strong> <strong>Schule</strong> 12<br />
4.1 Das strukturell separierende deutsche Schulsystem 12<br />
4.2 Die gespaltene Lehrerausbildung 14<br />
5 Erfolge und Fehlschläge auf dem Weg zu <strong>e<strong>in</strong>e</strong>r <strong>geme<strong>in</strong>same</strong>n <strong>Schule</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Mittelstufe 15<br />
5.1 Die Reichsschulkonferenz von 1920 und die Grundschule 15<br />
5.2 Erfolglose westliche Siegermächte nach 1945: Kont<strong>in</strong>uität des Schulsystems 15<br />
5.3 Ende <strong>der</strong> 60er Jahre: Der Neuansatz für <strong>e<strong>in</strong>e</strong> längere <strong>geme<strong>in</strong>same</strong> Schulzeit 16<br />
5.4 Die nie<strong>der</strong>sächsische Orientierungsstufe 16<br />
5.5 Die nie<strong>der</strong>sächsische Gesamtschule 17<br />
5.6 Die bildungspolitischen Gesamtschulperioden: 1971 - 1976 und 1990 - 2003 18<br />
5.7 E<strong>in</strong> Meilenste<strong>in</strong> für die Gesamtschulentwicklung 1996:<br />
– Die Klage <strong>der</strong> CDU gegen die Gleichstellung <strong>der</strong> Gesamtschulen 19<br />
5.8 Gesamtschulen s<strong>in</strong>d lernende Systeme: 35 Jahre Gesamtschulentwicklung 19<br />
6 E<strong>in</strong> Vorbild aus <strong>der</strong> Praxis – die IGS Franzsches Feld als Träger<strong>in</strong> des Deutschen Schulpreises 2006 21<br />
7 E<strong>in</strong>e pädagogische Zielkonzeption für die Geme<strong>in</strong>same <strong>Schule</strong> 24<br />
8 E<strong>in</strong> Blick <strong>in</strong> die Zukunft: Überlegungen und Ansätze zur Weiterentwicklung des <strong>in</strong>dividuellen Lernens 25<br />
9 Mit welchen Maßnahmen lässt sich die Geme<strong>in</strong>same <strong>Schule</strong> <strong>in</strong> <strong>Nie<strong>der</strong>sachsen</strong> verwirklichen? 34<br />
10 Schlussbemerkungen 36<br />
Die Autoren 38<br />
Anhang 40<br />
3
Vorwort von Wolfgang Jüttner<br />
<strong>der</strong>sachsen beitragen wird.<br />
Ich freue mich, dass das Lan-<br />
desbüro <strong>der</strong> Friedrich-Ebert-<br />
Stiftung <strong>e<strong>in</strong>e</strong> Broschüre „<strong>Für</strong><br />
<strong>e<strong>in</strong>e</strong> Geme<strong>in</strong>same <strong>Schule</strong>“<br />
vorlegt, die zur weiteren<br />
Information und Belebung<br />
<strong>der</strong> Diskussion über das richti-<br />
ge Bildungskonzept für Nie-<br />
Die SPD <strong>Nie<strong>der</strong>sachsen</strong> hat mit ihrem Parteitags-<br />
beschluss vom 10. Juli 2006 unser Konzept „Zukunft<br />
<strong>der</strong> Bildung“ <strong>der</strong> Öffentlichkeit vorgestellt, weil sie <strong>der</strong><br />
Me<strong>in</strong>ung war, <strong>in</strong> <strong>Nie<strong>der</strong>sachsen</strong> s<strong>in</strong>d nicht die richtigen<br />
Konsequenzen aus den <strong>in</strong>ternationalen Leistungsver-<br />
gleichen wie PISA und IGLU gezogen worden.<br />
Auch die zweite PISA-Studie hat uns wie<strong>der</strong>um<br />
gezeigt, dass unser bestehendes Schulsystem nicht<br />
begabungsgerecht ist. Niemand kann zudem bestrei-<br />
ten, dass es <strong>in</strong> s<strong>e<strong>in</strong>e</strong>r Wirkung zu <strong>e<strong>in</strong>e</strong>r sozialen Ausle-<br />
se führt, die <strong>e<strong>in</strong>e</strong>n Teil unserer Jugendlichen we<strong>der</strong> zu<br />
Schulabschlüssen führt, noch zu Leistungen, die für ihr<br />
Alter angemessen s<strong>in</strong>d.<br />
Wir wollen das nicht weiter beklagen o<strong>der</strong> mit<br />
Konzepten von gestern, wie noch früheres Sortieren<br />
von K<strong>in</strong><strong>der</strong>n reagieren, son<strong>der</strong>n wollen handeln.<br />
Die Autoren <strong>der</strong> Broschüre zeigen auf <strong>der</strong> Basis<br />
des SPD-Beschlusses, wie e<strong>in</strong> Qualitätskonzept für die<br />
<strong>Schule</strong>n <strong>in</strong> <strong>Nie<strong>der</strong>sachsen</strong> aussehen könnte. Der<br />
Begriff <strong>der</strong> „Geme<strong>in</strong>same <strong>Schule</strong>“ wird mit pädagogi-<br />
schem Leben gefüllt. Dabei haben sie sich an den Kri-<br />
terien des deutschen Schulpreises, <strong>der</strong> die Leistungen<br />
<strong>der</strong> Schüler<strong>in</strong>nen und Schüler, den Umgang mit <strong>der</strong><br />
Vielfalt, die Unterrichtsqualität, die Übernahme von<br />
Verantwortung, das Schulklima, das Schulleben und<br />
die <strong>Schule</strong> als lernende Institution <strong>in</strong> den Fokus<br />
genommen hat, orientiert. Sie führen uns damit vor<br />
Augen, wie <strong>e<strong>in</strong>e</strong> gute Schulpraxis aussehen könnte<br />
und wie <strong>e<strong>in</strong>e</strong> Lernorganisation darüber h<strong>in</strong>aus ausse-<br />
hen müsste, um den Weg <strong>der</strong> <strong>in</strong>dividuellen För<strong>der</strong>ung<br />
so weiter zu gehen, wie es uns <strong>in</strong>ternational die besten<br />
Nationen vormachen.<br />
Ich bedanke mich für diese Anregungen und<br />
hoffe auf <strong>e<strong>in</strong>e</strong> Debatte, die nicht ideologisch geführt<br />
wird, son<strong>der</strong>n an den Defiziten unseres nicht bega-<br />
bungsgerechten Schulsystems ansetzt, das augenblick-<br />
lich die guten Schüler nicht gut genug und die schwä-<br />
cheren Schüler unzureichend för<strong>der</strong>t.<br />
Wolfgang Jüttner<br />
Vorsitzen<strong>der</strong> <strong>der</strong> SPD-Landtagsfraktion<br />
5
1. „Wer lebt, muss auf Wechsel<br />
gefasst se<strong>in</strong>“<br />
Johann Wolfgang von Goethe <strong>in</strong> „Wilhelm Meis-<br />
ters Wan<strong>der</strong>jahre“<br />
Diese Broschüre richtet sich an alle, die befürchten,<br />
dass unser deutsches Schulsystem und unsere deut-<br />
sche Gleichschrittpädagogik die falschen Antworten<br />
auf die unterschiedliche Lernentwicklung unserer K<strong>in</strong>-<br />
<strong>der</strong> geben.<br />
Bei vielen Menschen ist ihr „Weltbild vom be-<br />
son<strong>der</strong>s guten und erfolgreichen deutschen Schulsy-<br />
stem“ durch die <strong>in</strong>ternationalen Studien <strong>in</strong>s Wanken<br />
gekommen. Sie hätten nicht gedacht, dass das frühe<br />
Sortieren <strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong> <strong>in</strong> Deutschland dazu führt, dass das<br />
geglie<strong>der</strong>te Schulsystem im <strong>in</strong>ternationalen Vergleich<br />
nur mittelmäßige Bildungsergebnisse hervorbr<strong>in</strong>gt, dass<br />
wir nicht nur die leistungsstarken Schüler schlecht för-<br />
<strong>der</strong>n, son<strong>der</strong>n die Schere zwischen den Leistungsstar-<br />
ken und den Leistungsschwächeren so groß wie <strong>in</strong> kei-<br />
nem an<strong>der</strong>en Land ist. Und zu allem Überfluss wurde<br />
uns gezeigt, dass <strong>der</strong> <strong>Schule</strong>rfolg unserer K<strong>in</strong><strong>der</strong>n unak-<br />
zeptabel stark abhängig ist vom sozialen Status des<br />
Elternhauses. Dass <strong>in</strong> unserem Schulsystem 25% <strong>der</strong><br />
Fünfzehnjährigen lediglich die niedrigste PISA-Kompe-<br />
tenzstufe erreichen, haben viele nicht für möglich<br />
gehalten. Im Klartext heißt das, e<strong>in</strong> Viertel unserer Schü-<br />
ler<strong>in</strong>nen und Schüler im Alter von fünfzehn Jahren<br />
erbr<strong>in</strong>gt Leistungen auf dem Grundschulniveau.<br />
Wer jetzt noch glaubt, dass es erfolgreich ist,<br />
unsere K<strong>in</strong><strong>der</strong> möglichst früh nach irgendwie progno-<br />
stizierter schulischer Leistungsfähigkeit zu trennen<br />
o<strong>der</strong> wer glaubt, dass allen K<strong>in</strong><strong>der</strong>n <strong>e<strong>in</strong>e</strong>r Lerngruppe<br />
<strong>der</strong> gleiche Unterricht mit gleichen Anfor<strong>der</strong>ungen<br />
angeboten werden sollte, gehört nach alledem zu den<br />
ewig Gestrigen. Er vermag nicht zu erkennen, woran<br />
das deutsche Schulsystem im <strong>in</strong>ternationalen Vergleich<br />
wirklich scheitert, nämlich an <strong>e<strong>in</strong>e</strong>r Pädagogik, die<br />
durch zu frühes Sortieren ständig vergeblich versucht,<br />
homogene Lerngruppen zu erzeugen, die dann im<br />
Gleichschritt unterrichtet werden sollen.<br />
6<br />
Wer dieses „deutsche Sortiersystem“ nach wie<br />
vor für richtig hält, sollte die Broschüre zur Seite legen<br />
und bis zur nächsten PISA- Studie weiter daran glau-<br />
ben, dass die richtige Antwort auf die schlechten Bil-<br />
dungsergebnisse des geglie<strong>der</strong>ten Schulsystems nach<br />
wie vor ihre Aufteilung auf unterschiedliche Schulty-<br />
pen ist, <strong>in</strong> denen sie unterschiedlich ausgebildete Leh-<br />
rer unterrichten werden. Wer so denkt, sollte sich<br />
dann aber nicht lauthals beklagen, dass wir <strong>in</strong>terna-<br />
tional im Wettlauf um hochqualifizierte Arbeitskräfte<br />
abgehängt werden, weil wir 10 % von Schülern ohne<br />
Abschluss haben, weil wir nicht genügend Abiturienten<br />
und Facharbeitskräfte haben und weil uns die Exzellenz<br />
<strong>in</strong> <strong>der</strong> Hochschule und Forschung verloren geht.<br />
Die Broschüre möchte <strong>in</strong>formieren, sie möchte<br />
Politiker, Eltern und Lehrer und ihre Interessenvertre-<br />
tungen überzeugen, dass unser schlechtes Abschnei-<br />
den im <strong>in</strong>ternationalen Vergleich nicht an e<strong>in</strong>zelnen<br />
schlechten <strong>Schule</strong>n, unfähigen K<strong>in</strong><strong>der</strong>n und Eltern<br />
o<strong>der</strong> gar faulen Lehrern liegt, son<strong>der</strong>n am System. E<strong>in</strong><br />
System das unterschiedliches Lernvermögen mit Auf-<br />
teilung, Sitzen bleiben und Abschulung beantwortet<br />
und diese Beschämung von K<strong>in</strong><strong>der</strong>n auch noch zu För-<br />
<strong>der</strong>maßnahmen erklärt.<br />
„Lernen ist doch das Aller<strong>in</strong>dividuellste auf <strong>der</strong><br />
ganzen Welt, es ist genauso <strong>in</strong>dividuell wie die Liebe“,<br />
sagt wie immer sehr treffend unser pädagogischer<br />
Nestor Hartmut von Hentig.<br />
Diese Broschüre möchte Mitstreiter und Mit-<br />
streiter<strong>in</strong>nen gew<strong>in</strong>nen, den Gegenentwurf breit <strong>in</strong><br />
<strong>Nie<strong>der</strong>sachsen</strong> zu diskutieren. Um e<strong>in</strong> Schulsystem zu<br />
entwickeln, das auf frühe För<strong>der</strong>ung setzt und mit <strong>der</strong><br />
Verschiedenheit unserer K<strong>in</strong><strong>der</strong> nicht als Problem, son-<br />
<strong>der</strong>n als Chance und Bereicherung umgeht, und zwar<br />
so erfolgreich, dass nicht die soziale Herkunft <strong>der</strong> K<strong>in</strong>-<br />
<strong>der</strong> den Schulabschluss bestimmt, son<strong>der</strong>n ihre Lern-<br />
entwicklung <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schule</strong>.<br />
Die beim deutschen Schulpreis ausgezeichneten<br />
<strong>Schule</strong>n s<strong>in</strong>d bis auf <strong>e<strong>in</strong>e</strong> Grundschule allesamt<br />
Gesamtschulen <strong>der</strong> zweiten Generation. Dies s<strong>in</strong>d<br />
Gesamtschulen, die ihre Systemqualität <strong>in</strong> Bezug auf<br />
Lernorganisation, Lern- und Schulkultur und Schulma-
nagement gegenüber dem Gesamtschultypus <strong>der</strong><br />
ersten Gründungsphase deutlich verbessert haben.<br />
Lange bekannte, mit den Grundhypothesen und<br />
<strong>der</strong> Praxis <strong>der</strong> Lernorganisation an den <strong>Schule</strong>n des<br />
geglie<strong>der</strong>ten Schulsystems schwer <strong>in</strong> E<strong>in</strong>klang zu br<strong>in</strong>-<br />
gende Erkenntnisse und Grundsätze <strong>der</strong> deutschen<br />
Reformpädagogik wurden Ausgangspunkt für die Ent-<br />
wicklung von begabungs- und schülergerechteren<br />
Lernangeboten und Lernformen an diesen Gesamt-<br />
schulen.<br />
Ihre pädagogische Konzeption haben wir als<br />
Grundlage genommen für e<strong>in</strong> pädagogisches Zielkon-<br />
zept <strong>der</strong> Geme<strong>in</strong>samen <strong>Schule</strong>, wie sie <strong>in</strong> Nie<strong>der</strong>sach-<br />
sen entstehen könnte, wenn die SPD wie<strong>der</strong> die Mehr-<br />
heit im Land gew<strong>in</strong>nt.<br />
Es ist schön, dass jetzt die Arbeit <strong>der</strong> Gesamt-<br />
schulen <strong>in</strong> <strong>Nie<strong>der</strong>sachsen</strong> durch die Auszeichnung <strong>der</strong><br />
IGS Franzsches Feld <strong>in</strong> Braunschweig mit dem deut-<br />
schen Schulpreis gewürdigt worden ist. Es gibt <strong>in</strong>zwi-<br />
schen <strong>e<strong>in</strong>e</strong> Reihe von Gesamtschulen, die mit Elemen-<br />
ten ihres Konzeptes arbeiten, das freut uns auch<br />
deshalb, weil die Gründung dieser <strong>Schule</strong> Ende <strong>der</strong><br />
80er Jahre gegen e<strong>in</strong> Gesamtschule<strong>in</strong>richtungsmora-<br />
torium mit <strong>e<strong>in</strong>e</strong>r Bürger<strong>in</strong>itiative mühsam politisch<br />
erkämpft werden musste. Es freut uns Autoren auch<br />
deshalb beson<strong>der</strong>s, weil die Qualität dieser und ande-<br />
rer Gesamtschulen von konservativer Seite bisher<br />
immer bestritten wurde. Jetzt liegt <strong>der</strong> gegenteilige<br />
Beweis vor und <strong>der</strong> amtierende Kultusm<strong>in</strong>ister, <strong>der</strong><br />
wie<strong>der</strong> e<strong>in</strong> Gesamtschulgründungsverbot zu verant-<br />
worten hat, musste sich bei <strong>der</strong> Preisverleihung anhö-<br />
ren, dass diese Gesamtschule und mit ihr vier an<strong>der</strong>e<br />
Leuchtturmfunktion für die an<strong>der</strong>en <strong>Schule</strong>n <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />
Bundesrepublik haben. Lei<strong>der</strong> werden solche <strong>Schule</strong>n<br />
auf absehbare Zeit tatsächlich ’nur’ Leuchttürme blei-<br />
ben, weil <strong>der</strong> politische Wille <strong>e<strong>in</strong>e</strong>r flächendeckenden<br />
E<strong>in</strong>führung ihrer pädagogischen Konzeption und<br />
Arbeitsweisen nicht <strong>in</strong> Sicht ist und weil diese Elemen-<br />
te untrennbar verknüpft s<strong>in</strong>d mit den Grundstrukturen<br />
von Gesamtschule.<br />
Die Heterogenität ihrer Schülerschaft ist das<br />
konstitutive Element für sie. Damit s<strong>in</strong>d diese <strong>Schule</strong>n<br />
gezwungen, e<strong>in</strong> pädagogisches Konzept zu ent-<br />
wickeln, dass auf die Verschiedenheit ihrer Schüler e<strong>in</strong>-<br />
geht. Beim deutschen Schulpreis werden richtigerwei-<br />
se die Schülerleistung, die Unterrichtsqualität, die Aus-<br />
gestaltung des Schullebens und auch <strong>der</strong> Umgang mit<br />
Vielfalt als wesentliche Qualitätskriterien <strong>der</strong> Bewer-<br />
tung von <strong>Schule</strong>n zugrundegelegt. Man kann sich<br />
leicht vorstellen, warum es k<strong>e<strong>in</strong>e</strong>s <strong>der</strong> <strong>in</strong> den Wettbe-<br />
werb gegangenen Gymnasien <strong>in</strong> die Gruppe <strong>der</strong> Preis-<br />
träger geschafft hat. Die deutschen <strong>Schule</strong>n des<br />
geglie<strong>der</strong>ten Systems, auch die guten, bef<strong>in</strong>den sich <strong>in</strong><br />
<strong>e<strong>in</strong>e</strong>m pädagogischen Teufelskreis, da das Lernange-<br />
bot für Schüler mit starken Unterschieden <strong>in</strong> den Lern-<br />
voraussetzungen nicht <strong>in</strong>nerhalb <strong>e<strong>in</strong>e</strong>r Schulform flexi-<br />
bel genug gestaltet werden kann.<br />
Es reicht deshalb nicht aus, die <strong>Schule</strong>n aufzu-<br />
for<strong>der</strong>n, es den Leuchttürmen gleich zu tun, son<strong>der</strong>n<br />
die konstitutiven Elemente des geglie<strong>der</strong>ten Systems<br />
müssen aufgehoben werden, um den <strong>Schule</strong>n bessere<br />
Entwicklungsmöglichkeiten zu geben.<br />
Die E<strong>in</strong>führung <strong>der</strong> Verlässlichen Grundschule <strong>in</strong><br />
<strong>Nie<strong>der</strong>sachsen</strong> hat gezeigt, das bei E<strong>in</strong>griffen <strong>in</strong> die<br />
Schulstruktur vom Ziel her, <strong>e<strong>in</strong>e</strong>r flächendeckenden<br />
E<strong>in</strong>führung, gedacht werden muss. Der alte Reforman-<br />
satz, bei dem sich wenige <strong>Schule</strong>n über <strong>e<strong>in</strong>e</strong>n begrenz-<br />
ten Zeitraum mit <strong>e<strong>in</strong>e</strong>r beson<strong>der</strong>en Zielsetzung und<br />
Ausstattung auf den Weg machen, war noch nie ziel-<br />
führend. Anspruchsvolle pädagogische wie strukturel-<br />
le Reformen, die von den <strong>Schule</strong>n neues Denken und<br />
umfassende Verän<strong>der</strong>ung abverlangen, bleiben dann<br />
zwischen 10 % bis max. 30 % <strong>der</strong> Gesamtzahl <strong>der</strong><br />
<strong>Schule</strong>n stecken o<strong>der</strong> werden, wie die historische<br />
Betrachtung zeigt, nach e<strong>in</strong>iger Zeit des Streits wie<strong>der</strong><br />
aufgegeben.<br />
E<strong>in</strong>e dieser bislang steckengebliebenen Refor-<br />
men ist die E<strong>in</strong>führung <strong>der</strong> Gesamtschule, erst als<br />
„Versuchsschule“, dann als „Angebotsschule“, immer<br />
jedoch als zusätzliches und das heißt auch randständi-<br />
ges Element neben dem geglie<strong>der</strong>ten Schulsystem.<br />
7
Schulreform ist k<strong>e<strong>in</strong>e</strong> Spielwiese und schon gar<br />
ke<strong>in</strong> Zuckerschlecken. Wer erfolgreich se<strong>in</strong> will, muss<br />
vor allem selbst überzeugt se<strong>in</strong> von <strong>der</strong> Richtigkeit sei-<br />
nes Tuns, verän<strong>der</strong>ungsbereit, aber nicht wankelmü-<br />
tig. Wer <strong>e<strong>in</strong>e</strong> an<strong>der</strong>e Schulstruktur will, muss selbst<br />
sicher <strong>in</strong> s<strong>e<strong>in</strong>e</strong>r Argumentation se<strong>in</strong> und über verlässli-<br />
che Mitstreitern verfügen, wenn geme<strong>in</strong>sam <strong>der</strong><br />
Sturm <strong>der</strong> Entrüstung ausgehalten werden soll, den<br />
die Konservativen auszulösen versuchen. Halbe Schrit-<br />
te wie die För<strong>der</strong>stufe als Ersatz für die Orientierungs-<br />
stufe waren nicht überzeugend. Man wollte zwar zum<br />
alten Sortiersystem nicht zurückkehren, aber man<br />
konnte sich im eigenen Lager nicht auf e<strong>in</strong> überzeu-<br />
gendes, zukunftsweisendes Strukturkonzept e<strong>in</strong>igen.<br />
E<strong>in</strong> klares Zielkonzept, Überzeugungsarbeit,<br />
warum man die dar<strong>in</strong> aufgeführten Qualitätskriterien<br />
für nötig hält, und <strong>e<strong>in</strong>e</strong> klare Zeitschiene s<strong>in</strong>d am<br />
Anfang <strong>e<strong>in</strong>e</strong>r solchen Reform unverzichtbar.<br />
Und schließlich s<strong>in</strong>d Organisationsformen nur<br />
Hülsen, die gefüllt werden müssen, und zwar nicht<br />
beliebig, son<strong>der</strong>n unter dem Anspruch <strong>e<strong>in</strong>e</strong>r ständig<br />
zunehmenden Qualität <strong>der</strong> schulischen Arbeit. Mit<br />
strukturellen Verän<strong>der</strong>ungen müssen deshalb klare<br />
pädagogische Zielkonzeptionen verbunden werden.<br />
Es wird auch weiterh<strong>in</strong> Leuchttürme geben<br />
müssen, aber es muss zugleich je<strong>der</strong> <strong>Schule</strong> möglich<br />
se<strong>in</strong>, ihrer orientierenden Funktion auch zu folgen.<br />
Dazu bedarf es klarer Vorgaben m<strong>in</strong>destens seitens<br />
des M<strong>in</strong>isteriums, wenn nicht des Gesetzgebers.<br />
Die Autoren dieser Broschüre wissen, wovon sie<br />
reden. Sie haben <strong>in</strong> unterschiedlichen Funktionen <strong>in</strong><br />
den vergangenen 30 Jahren <strong>in</strong> und für die nie<strong>der</strong>säch-<br />
sischen Gesamtschulen gearbeitet. Sie haben ständig<br />
dazu gelernt, s<strong>in</strong>d immer wie<strong>der</strong> an Grenzen gestoßen<br />
und haben dennoch sehr erfolgreich <strong>Schule</strong> gestaltet.<br />
Sie wissen, dass unter bestimmten Bed<strong>in</strong>gungen <strong>e<strong>in</strong>e</strong><br />
<strong>geme<strong>in</strong>same</strong> <strong>Schule</strong> für alle K<strong>in</strong><strong>der</strong> und Jugendlichen<br />
e<strong>in</strong> Erfolgsprojekt se<strong>in</strong> kann. Sie wissen aber auch,<br />
dass die gute Arbeit <strong>e<strong>in</strong>e</strong>r e<strong>in</strong>zelnen <strong>Schule</strong> nicht zu<br />
<strong>e<strong>in</strong>e</strong>r Verän<strong>der</strong>ung des Gesamtsystems führen kann.<br />
Deshalb war <strong>in</strong> <strong>Nie<strong>der</strong>sachsen</strong> nicht die E<strong>in</strong>führung <strong>der</strong><br />
8<br />
Vollen Halbtagsschule mit <strong>e<strong>in</strong>e</strong>r begrenzten Anzahl<br />
beson<strong>der</strong>s ausgestatteter Grundschulen <strong>der</strong> Durch-<br />
bruch für die <strong>Schule</strong>ntwicklung im Grundschulbereich,<br />
son<strong>der</strong>n erst die flächendeckende E<strong>in</strong>führung <strong>der</strong> Ver-<br />
lässlichen Grundschule. Nach allen Wi<strong>der</strong>ständen war<br />
sie am Ende e<strong>in</strong> Erfolg, weil die Zielkonzeption für alle<br />
<strong>Schule</strong>n vorgegeben war und so <strong>e<strong>in</strong>e</strong> neue Qualität<br />
für die Grundschularbeit sichtbar für alle K<strong>in</strong><strong>der</strong>, Eltern<br />
und Lehrer entwickelt werden konnte.<br />
Mit dieser Broschüre wollen wir mithelfen, den<br />
bildungspolitischen Beschluss <strong>der</strong> SPD zur flächendek-<br />
kenden E<strong>in</strong>führung <strong>e<strong>in</strong>e</strong>r Geme<strong>in</strong>samen <strong>Schule</strong> zu<br />
<strong>e<strong>in</strong>e</strong>m ähnlichen Erfolg zu br<strong>in</strong>gen. Deshalb werden<br />
wir den historischen Kontext dieser Reform genauso<br />
aufzeigen wie das pädagogische Zielkonzept.<br />
Diese Broschüre soll deutlich machen, dass es<br />
sich bei <strong>der</strong> „Geme<strong>in</strong>samen <strong>Schule</strong>“ um <strong>e<strong>in</strong>e</strong>n Quali-<br />
tätsbegriff handelt, <strong>der</strong> durch das hier beschriebene<br />
Zielkonzept „<strong>Für</strong> alle K<strong>in</strong><strong>der</strong> <strong>e<strong>in</strong>e</strong> gute Bildung“ zu<br />
erreichen, näher def<strong>in</strong>iert werden soll und <strong>der</strong> den<br />
nicht erfolgreichen deutschen Son<strong>der</strong>weg, dieses mit<br />
verschiedenen Schultypen zu erreichen, beendet.<br />
Es gibt sicherlich <strong>Schule</strong>n, wie die mit dem<br />
deutschen Schulpreis ausgezeichnete IGS Franzsches<br />
Feld, die die Anfor<strong>der</strong>ungen des Zielkonzeptes bereits<br />
weitgehend erfüllen, doch viele hätten noch e<strong>in</strong> gehö-<br />
riges Stück Arbeit vor sich, wenn sie dieses qualitative<br />
Niveau erreichen wollten.<br />
Wir wollen Mut machen, dass man die Wi<strong>der</strong>-<br />
stände auf diesem Weg überw<strong>in</strong>den kann, wenn man<br />
selbst an den Erfolg glaubt.<br />
Wir wollen es deshalb für die kommenden<br />
Monate und Jahre nicht bei <strong>der</strong> Broschüre bewenden<br />
lassen, son<strong>der</strong>n stehen auch persönlich allen, die uns<br />
e<strong>in</strong>laden, für Vorträge und Beratungsgespräche zur<br />
Verfügung.
2. Die Geme<strong>in</strong>same <strong>Schule</strong> <strong>in</strong><br />
<strong>Nie<strong>der</strong>sachsen</strong><br />
Am 10. Juni 2006 hat die nie<strong>der</strong>sächsische SPD den<br />
wegweisenden Beschluss zur Geme<strong>in</strong>samen <strong>Schule</strong><br />
auf ihrem Landesparteitag <strong>in</strong> Wolfsburg gefasst. Damit<br />
fand e<strong>in</strong> zweijähriger Prozess <strong>der</strong> Selbstverständigung<br />
s<strong>e<strong>in</strong>e</strong>n Abschluss.<br />
Im Vorfeld hatte <strong>e<strong>in</strong>e</strong> <strong>in</strong>nerparteiliche Arbeits-<br />
gruppe, <strong>in</strong> die alle Glie<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> Partei Mitglie<strong>der</strong><br />
entsandt hatten, e<strong>in</strong> umfassendes Bildungskonzept<br />
unter dem Titel „Zukunft <strong>der</strong> Bildung“ erstellt. Mit <strong>der</strong><br />
von <strong>der</strong> Landtagsfraktion herausgegebenen gleichna-<br />
migen Broschüre „Zukunft <strong>der</strong> Bildung – Perspektiven<br />
zur Bildungspolitik <strong>in</strong> <strong>Nie<strong>der</strong>sachsen</strong>“ wurden die Vor-<br />
schläge bis zum Landesparteitag <strong>in</strong> die öffentliche Dis-<br />
kussion gegeben.<br />
Wenn man den Beschluss auf den Kern redu-<br />
ziert, dann ist die Geme<strong>in</strong>same <strong>Schule</strong> <strong>e<strong>in</strong>e</strong> <strong>Schule</strong>, die<br />
• <strong>in</strong> Klasse 5 bis 10 alle K<strong>in</strong><strong>der</strong> aufnimmt,<br />
• mit <strong>e<strong>in</strong>e</strong>m Budget für För<strong>der</strong>unterricht, Fachperso-<br />
nal und Fortbildung arbeitet,<br />
• <strong>e<strong>in</strong>e</strong> hohe Selbstständigkeit hat,<br />
• als Ganztagsschule, die K<strong>in</strong><strong>der</strong> auch an Nachmitta-<br />
gen beschult und<br />
• die Abschlüsse entsprechend den KMK-Rege-<br />
lungen vergibt.<br />
Als Begründung für <strong>e<strong>in</strong>e</strong> solche Umgestaltung<br />
unseres Schulwesens wird genannt, dass Deutschland<br />
s<strong>e<strong>in</strong>e</strong>n Son<strong>der</strong>weg <strong>in</strong> Europa und <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> OECD<br />
aufgeben sollte, da alle Län<strong>der</strong> außer Deutschland,<br />
Österreich und <strong>der</strong> Schweiz ihre K<strong>in</strong><strong>der</strong> länger geme<strong>in</strong>-<br />
sam beschulen und ihnen damit <strong>e<strong>in</strong>e</strong> bessere Förde-<br />
rung aller „Begabungen“ gel<strong>in</strong>gt, wie das <strong>in</strong> Deutsch-<br />
land heißt. Deshalb wird das frühe Aussortieren von<br />
K<strong>in</strong><strong>der</strong>n <strong>in</strong> dem SPD-Beschluss als falscher Weg<br />
bezeichnet.<br />
Der Weg, wie <strong>e<strong>in</strong>e</strong> solche Umgestaltung des<br />
Schulwesens aussehen könnte, wird wie folgt<br />
beschrieben.<br />
• Erster Schritt:<br />
Ab 2008 soll die <strong>geme<strong>in</strong>same</strong> <strong>Schule</strong> als Regelschu-<br />
le im Schulgesetz verankert werden und die ande-<br />
ren bestehende <strong>Schule</strong>n ohne Abschulung und<br />
ohne Sitzenbleiben arbeiten.<br />
• Zweiter Schritt:<br />
Bis 2013 strebt die SPD für jedes K<strong>in</strong>d wohnortnah<br />
<strong>e<strong>in</strong>e</strong>n Platz <strong>in</strong> <strong>e<strong>in</strong>e</strong>r Geme<strong>in</strong>samen <strong>Schule</strong> an.<br />
Beg<strong>in</strong>nend ab 2008 können dafür bestehende<br />
<strong>Schule</strong>n <strong>in</strong> Geme<strong>in</strong>same <strong>Schule</strong>n umgewandelt<br />
werden. Hierbei soll <strong>der</strong> Elternwille entscheiden.<br />
Soweit <strong>der</strong> auf den Kern <strong>der</strong> Umgestaltung<br />
reduzierte SPD-Beschluss.<br />
Vor dem H<strong>in</strong>tergrund <strong>der</strong> langen sozialdemo-<br />
kratischen Debatte, ob die <strong>in</strong> den 70er Jahren gegrün-<br />
deten Gesamtschulen auf die Dauer als e<strong>in</strong> ergänzen-<br />
des Parallelsystem o<strong>der</strong> ersetzend arbeiten sollen, ist<br />
dieser Beschluss nach langen Jahren <strong>der</strong> Sprachlosig-<br />
keit zu dieser Frage, <strong>e<strong>in</strong>e</strong> neue Positionierung <strong>in</strong> Rich-<br />
tung <strong>e<strong>in</strong>e</strong>r Anpassung an <strong>in</strong>ternationale Standards und<br />
Rücknahme des deutschen Son<strong>der</strong>wegs.<br />
Nach <strong>der</strong> für die SPD quälenden Diskussion um<br />
die Orientierungsstufe und dem Parteitagsbeschluss<br />
zur Abschaffung, ist dieser Beschluss folgerichtig und<br />
zukunftsweisend. Denn die E<strong>in</strong>richtung <strong>der</strong> Orientie-<br />
rungsstufe war zwar als Verlängerung <strong>e<strong>in</strong>e</strong>r geme<strong>in</strong>sa-<br />
men Schulzeit seitens <strong>der</strong> SPD geme<strong>in</strong>t, doch am Ende<br />
hat sie die Sortierungsfunktion für das geglie<strong>der</strong>te<br />
Schulwesen übernommen und sogar stabilisierend für<br />
die Hauptschule gewirkt. Das wissenschaftliche Gut-<br />
achten des Deutschen Instituts für <strong>in</strong>ternationale päd-<br />
agogische Forschung (DIPF) bestätigte ihr entspre-<br />
chend <strong>e<strong>in</strong>e</strong> nicht h<strong>in</strong>reichende För<strong>der</strong>ung und <strong>e<strong>in</strong>e</strong><br />
sozial selektierende Funktion.<br />
Nach Abschaffung dieser Schulform ist es des-<br />
halb folgerichtig, nicht zum Vorsortieren durch die<br />
Grundschule zurückzukehren, wie es jetzt <strong>in</strong> Nie<strong>der</strong>-<br />
sachsen geschieht, son<strong>der</strong>n sich die Län<strong>der</strong> zum Vor-<br />
bild zu nehmen, die <strong>in</strong> <strong>in</strong>ternationalen Vergleichen<br />
besser abschneiden.<br />
9
<strong>Für</strong> die nie<strong>der</strong>sächsische SPD ist damit <strong>e<strong>in</strong>e</strong> 40-<br />
jährige Debatte beendet, welchen Status die <strong>Schule</strong>n<br />
des geglie<strong>der</strong>ten Systems bzw. die Gesamtschulen<br />
haben sollen. Auf die Dauer möchte sie, dass sich alle<br />
<strong>Schule</strong>n zu Geme<strong>in</strong>samen <strong>Schule</strong>n umwandeln und<br />
zugleich Regelschulen werden.<br />
Die Benennung als Regelschulen nach <strong>der</strong> alten<br />
Schulgesetzsystematik ist dann nicht problematisch,<br />
wenn man politisch weiß, was man damit will. In <strong>der</strong><br />
Schulgesetznovelle von 1994 ist man von <strong>der</strong> Unter-<br />
scheidung zwischen Regelschule und Angebotsschule<br />
abgegangen, weil es die politische Absicht war, die<br />
Gesamtschule, die zu CDU-Zeiten Angebotsschule<br />
war, mit den an<strong>der</strong>en <strong>Schule</strong>n gleich zu stellen. Das<br />
94er Gesetz machte die Errichtung von Gesamtschu-<br />
len vom Elternwillen und <strong>der</strong> Leistungsfähigkeit des<br />
Schulträgers abhängig. Dabei g<strong>in</strong>g man von <strong>e<strong>in</strong>e</strong>r<br />
Koexistenz zwischen Gesamtschulen und <strong>Schule</strong>n des<br />
geglie<strong>der</strong>ten Schulwesens aus, wobei die Verpflich-<br />
tung des Schulträgers, die an<strong>der</strong>en <strong>Schule</strong>n anzubie-<br />
ten, höher war, als die Verpflichtung Gesamtschulen<br />
zu gründen. Wenn jetzt die Geme<strong>in</strong>same <strong>Schule</strong> als<br />
Regelschule entsprechend dem Elternwillen errichtet<br />
werden soll, so heißt das <strong>in</strong> dieser Gesetzessystematik,<br />
je<strong>der</strong> Schulträger ist verpflichtet sie dann e<strong>in</strong>zurichten,<br />
wenn genügend Eltern dies wollen. <strong>Für</strong> die bestehen-<br />
den <strong>Schule</strong>n müsste das im S<strong>in</strong>ne <strong>e<strong>in</strong>e</strong>r tatsächlichen<br />
Gleichbehandlung heißen, auch ihre Existenz wird<br />
gesetzlich vom Elternwillen abhängig gemacht.<br />
Das heißt, künftig wäre <strong>der</strong> Bestand je<strong>der</strong> Schu-<br />
le vom Eltern<strong>in</strong>teresse abhängig und damit von <strong>e<strong>in</strong>e</strong>r<br />
h<strong>in</strong>reichenden Nachfrage.<br />
Werden <strong>Schule</strong>n <strong>in</strong> <strong>e<strong>in</strong>e</strong>m festzulegenden Zeit-<br />
raum nicht genügend nachgefragt, müssten sie vom<br />
Schulträger mit an<strong>der</strong>en zusammengelegt o<strong>der</strong> aufge-<br />
löst werden. Aus demografischen Gründen werden die<br />
Schulträger <strong>in</strong> den nächsten Jahren vermehrt gezwun-<br />
gen se<strong>in</strong>, über ihr künftiges Schulangebot zu entschei-<br />
den. Dabei werden sie sich vermutlich eher zu Zusam-<br />
menlegungen entschließen müssen, um <strong>e<strong>in</strong>e</strong><br />
wohnortnahe Beschulung zu sichern. Das ist auch zur<br />
1 0<br />
Sicherung <strong>e<strong>in</strong>e</strong>s vollständigen Schulangebotes wün-<br />
schenswert, <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e im ländlichen Raum. Um<br />
mehr höherqualifizierende Abschlüsse zu erreichen,<br />
wird man auch etwas zur künftigen Größe, d.h. zur<br />
Zügigkeit <strong>der</strong> Geme<strong>in</strong>samen <strong>Schule</strong>n sagen müssen<br />
und zu den Voraussetzungen, um <strong>e<strong>in</strong>e</strong> gymnasiale<br />
Oberstufe zu führen. Es macht S<strong>in</strong>n, <strong>in</strong> beiden Fällen<br />
die Entscheidung aus <strong>der</strong> pädagogischen Zielkonzepti-<br />
on für die Geme<strong>in</strong>same <strong>Schule</strong> abzuleiten.<br />
Die Gretchenfrage jedoch bleibt: Wie lange soll<br />
das Nebene<strong>in</strong>an<strong>der</strong> von Geme<strong>in</strong>samen <strong>Schule</strong>n und<br />
<strong>Schule</strong>n des geglie<strong>der</strong>ten Systems dauern? Im Partei-<br />
tagsbeschluss f<strong>in</strong>det sich dazu die Aussage, dass „k<strong>e<strong>in</strong>e</strong><br />
erneute Schulreform“ „von oben“ verordnet wird und<br />
<strong>e<strong>in</strong>e</strong> „an den Bedürfnissen vor Ort ausgerichtete Weiter-<br />
entwicklung“ angestrebt wird.“ Das lässt Handlungs-<br />
spielräume, aber auch Interpretationsspielräume offen.<br />
E<strong>in</strong>e Schulgesetznovelle und Verordnungsände-<br />
rungen wird es jedoch <strong>in</strong> jedem Fall geben müssen,<br />
denn we<strong>der</strong> mit dem jetzigen Schulgesetz noch mit<br />
den jetzigen Verordnungen ist die beschlossene weit-<br />
reichende Umgestaltung des Schulwesens möglich.<br />
Alle<strong>in</strong> die Abschaffung <strong>der</strong> Überweisungsmöglichkeit<br />
auf <strong>e<strong>in</strong>e</strong> an<strong>der</strong>e Schulform und die Abschaffung des<br />
Sitzenbleibens gegen den Willen <strong>der</strong> Eltern an allen<br />
<strong>Schule</strong>n macht Verordnungsän<strong>der</strong>ungen nötig. Die<br />
Gesamtschulen haben seit über 30 Jahren bewiesen,<br />
dass es ohne Sitzen bleiben geht und die Wissenschaft<br />
hat wie<strong>der</strong>holt aufgezeigt, dass <strong>der</strong> angebliche För<strong>der</strong>-<br />
charakter des Sitzenbleibes nicht nachweisbar ist. Als<br />
Folge des deutschen Sitzenbleibens ist lediglich zu<br />
beobachten, dass unsere deutschen Schüler länger im<br />
Schulsystem verweilen, deshalb im <strong>in</strong>ternationalen<br />
Vergleich zwar älter s<strong>in</strong>d, aber qualitativ nicht besser<br />
abschneiden.<br />
Das Abschulverbot ist dagegen von an<strong>der</strong>er<br />
schulpolitischer Brisanz. Die <strong>Schule</strong>n des geglie<strong>der</strong>ten<br />
Schulwesens verlieren e<strong>in</strong> Kernstück ihres Handlungs-<br />
<strong>in</strong>strumentariums gegenüber Schülern, aber auch ihr<br />
konstitutives Dogma, den bei ihnen „falschen“ Schü-<br />
ler aussortieren zu können.
Jede <strong>Schule</strong> muss sich bei Aufnahme <strong>e<strong>in</strong>e</strong>s<br />
Schülers darauf e<strong>in</strong>stellen, sich selbst um dessen Schul-<br />
erfolg und Abschluss zu kümmern. Bei freier Schul-<br />
wahl für die Eltern und damit freiem Elternwillen liegt<br />
<strong>in</strong> diesem Beschluss das Herzstück <strong>der</strong> Umgestaltung<br />
des geglie<strong>der</strong>ten Schulwesens.<br />
Es erfor<strong>der</strong>t e<strong>in</strong> grundlegendes Umdenken <strong>der</strong><br />
Lehrerschaft sowie <strong>e<strong>in</strong>e</strong> för<strong>der</strong>nde Begleitung <strong>der</strong><br />
Schüler auf ihrem Weg durch die <strong>Schule</strong>.<br />
3. Geme<strong>in</strong>same <strong>Schule</strong> – Gesamtschule<br />
– Geme<strong>in</strong>schaftsschule –<br />
E<strong>in</strong>heitsschule – Regionalschule –<br />
Welcher Name ist s<strong>in</strong>nvoll?<br />
Die SPD wendet sich <strong>in</strong> ihren bildungspolitischen<br />
Beschlüssen <strong>in</strong> vielen Bundeslän<strong>der</strong>n vermehrt <strong>e<strong>in</strong>e</strong>r<br />
Verlängerung <strong>der</strong> <strong>geme<strong>in</strong>same</strong>n Schulzeit und damit<br />
wie<strong>der</strong> <strong>der</strong> Schulstrukturfrage zu. Die Str<strong>in</strong>genz dieser<br />
Zuwendung ist dabei unterschiedlich ausgeprägt und<br />
zeugt noch nicht von <strong>e<strong>in</strong>e</strong>r abgeschlossenen Verstän-<br />
digung <strong>in</strong> dieser Frage.<br />
In <strong>Nie<strong>der</strong>sachsen</strong> ist 2008 <strong>e<strong>in</strong>e</strong> politische Mehr-<br />
heit <strong>der</strong> SPD denkbar. Dann stünde <strong>der</strong> Wolfsburger<br />
Beschluss auf <strong>der</strong> Tagesordnung. Bisher zeigen sich<br />
Teile <strong>der</strong> Partei <strong>in</strong> <strong>der</strong> Frage <strong>e<strong>in</strong>e</strong>r zukünftigen Schul-<br />
entwicklung jedoch weniger kampfeslustig als das kon-<br />
servative Spektrum. Es ist gegen alle wissenschaftli-<br />
chen Erkenntnisse sehr sicher, was es will: die Gesamt-<br />
schule bekämpfen, das geglie<strong>der</strong>te Schulsystem erhal-<br />
ten, notfalls wenigstens die Son<strong>der</strong>stellung des<br />
Gymnasiums.<br />
E<strong>in</strong> Indiz für die <strong>in</strong>nere Unentschiedenheit ist die<br />
Suche nach <strong>e<strong>in</strong>e</strong>r neuen Bezeichnung für das bereits<br />
sehr alte Projekt. Eigentlich gibt man <strong>e<strong>in</strong>e</strong> <strong>der</strong>artig<br />
bekannte und lange e<strong>in</strong>geführte ‚Markenbezeich-<br />
nung’ nur auf, wenn man an ihrem Marktwert zwei-<br />
felt o<strong>der</strong> signalisieren will, wir wollen auch etwas<br />
an<strong>der</strong>es als es bisher gibt. Wenn man glaubt, dass mit<br />
dem Gesamtschulbegriff überwiegend negative Asso-<br />
ziationen verbunden werden, dann wird man mit<br />
<strong>e<strong>in</strong>e</strong>m neuen Begriff nur überzeugen können, wenn<br />
man klar sagt, was man am bisherigen Konzept <strong>der</strong><br />
Gesamtschulen richtig bzw. falsch f<strong>in</strong>det und was dar-<br />
über h<strong>in</strong>aus wünschenswert ist.<br />
Bisher kann man den E<strong>in</strong>druck gew<strong>in</strong>nen, die<br />
Bezeichnungen Geme<strong>in</strong>schaftsschule, Regionalschule,<br />
Stadtteilschule s<strong>in</strong>d von Bundesland zu Bundesland mit<br />
wechselnden Inhalten und Organisationen verbunden.<br />
Vorab muss deshalb geklärt werden, ob es um <strong>e<strong>in</strong>e</strong><br />
<strong>Schule</strong> für alle K<strong>in</strong><strong>der</strong> und Jugendlichen von Klasse 5 bis<br />
10 geht o<strong>der</strong> um das sogenannte Zwei-Säulen-Modell.<br />
Wer etwas durchsetzen will, wer <strong>e<strong>in</strong>e</strong> Mehrheit<br />
von Menschen gew<strong>in</strong>nen will, muss die Menschen<br />
spüren lassen, dass die angebotene Lösung klar und<br />
überzeugend ist.<br />
Und wer <strong>in</strong> <strong>e<strong>in</strong>e</strong>r <strong>geme<strong>in</strong>same</strong>n Mittelstufen-<br />
schule e<strong>in</strong> erfolgreiches Lösungsmodell für die bil-<br />
dungspolitischen und pädagogischen Probleme sieht,<br />
darf <strong>in</strong> k<strong>e<strong>in</strong>e</strong>m Fall glauben, dass <strong>der</strong> Weg zu dieser<br />
<strong>Schule</strong> im Konsens mit <strong>der</strong> konservativen Seite gegan-<br />
gen werden kann. Es geht nicht ohne Ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>set-<br />
zung und ohne Konflikte. Die Frage <strong>der</strong> <strong>Schule</strong>ntwick-<br />
lung ist <strong>e<strong>in</strong>e</strong> <strong>der</strong> wenigen, wirklich strittigen Frage<br />
zwischen den beiden großen politischen Lagern.<br />
Die für <strong>e<strong>in</strong>e</strong> <strong>geme<strong>in</strong>same</strong> <strong>Schule</strong> kennzeichnen-<br />
de Art, <strong>Schule</strong> zu gestalten, wird <strong>in</strong> dieser Gesellschaft<br />
gegenwärtig von etwa <strong>der</strong> Hälfte aller Eltern geschätzt<br />
und gewünscht.<br />
D.h. aber auch, dass <strong>e<strong>in</strong>e</strong> etwa gleich große<br />
Gruppe von Eltern <strong>e<strong>in</strong>e</strong> frühe Separierung <strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong><br />
auch mit schichtenspezifischen Auslesefolgen befür-<br />
wortet. Das geglie<strong>der</strong>te Schulsystem ist schließlich e<strong>in</strong><br />
System, mit dem Eltern aus privilegierten Schichten<br />
ihren privilegierten Status mit hoher Wahrsche<strong>in</strong>lich-<br />
keit an ihre K<strong>in</strong><strong>der</strong> weiter geben können. Diese Eltern-<br />
gruppe befürwortet grundsätzlich das geglie<strong>der</strong>te<br />
Schulsystem und fasst für die eigenen K<strong>in</strong><strong>der</strong> <strong>in</strong> jedem<br />
Fall das Gymnasium <strong>in</strong>s Auge. Die an<strong>der</strong>en Schulfor-<br />
men, <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e die Hauptschule, s<strong>in</strong>d für die K<strong>in</strong>-<br />
<strong>der</strong> <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Menschen.<br />
1 1
In diesem Konflikt geht es um größere o<strong>der</strong><br />
ger<strong>in</strong>gere Chancen für die K<strong>in</strong><strong>der</strong>, es geht um Privile-<br />
gien und Benachteiligungen.<br />
Viele engagierte Gesamtschulbefürworter <strong>in</strong><br />
<strong>Nie<strong>der</strong>sachsen</strong>, die im Streit um diese Schulform <strong>in</strong> den<br />
vergangenen 35 Jahren ihr beson<strong>der</strong>es berufliches<br />
Engagement <strong>der</strong> ständigen Weiterentwicklung <strong>der</strong><br />
nie<strong>der</strong>sächsischen Gesamtschulen gewidmet haben,<br />
die diesen <strong>Schule</strong>n ihre K<strong>in</strong><strong>der</strong> anvertraut und <strong>in</strong> ihnen<br />
als Eltern verantwortlich mitgearbeitet haben und<br />
schließlich die mehr als hun<strong>der</strong>ttausend erfolgreichen<br />
Absolventen dieser <strong>Schule</strong>n, diese Menschen zweifeln<br />
daran, dass es alle<strong>in</strong> deshalb voran geht, weil das Tür-<br />
schild ausgewechselt wird. Und sie wären auch ent-<br />
täuscht, wenn man sich von ihnen durch diesen<br />
Namenswechsel distanzieren will.<br />
Deshalb macht <strong>der</strong> Namenswechsel nur dann<br />
<strong>e<strong>in</strong>e</strong>n S<strong>in</strong>n, wenn er als Signal für <strong>e<strong>in</strong>e</strong> neue qualitati-<br />
ve Ausprägung, im S<strong>in</strong>ne <strong>e<strong>in</strong>e</strong>r Weiterentwicklung <strong>der</strong><br />
bestehenden Gesamtschulen und nicht als Distanzie-<br />
rung o<strong>der</strong> gar Diskreditierung <strong>der</strong> bisher geleisteten<br />
guten Arbeit <strong>in</strong> den nie<strong>der</strong>sächsischen Gesamtschulen<br />
verstanden werden wird.<br />
Wenn also das Signal heißt, dass es über die<br />
durchaus bewährten organisatorischen Strukturen h<strong>in</strong>-<br />
aus um e<strong>in</strong> pädagogisch anspruchsvolles Modell <strong>e<strong>in</strong>e</strong>r<br />
„<strong>Schule</strong> für alle K<strong>in</strong><strong>der</strong>“ geht, das aufgrund s<strong>e<strong>in</strong>e</strong>r<br />
qualitativen Vorzüge auf die Dauer mehrheitsfähig<br />
werden könnte, dann ist <strong>der</strong> Namenswechsel unter-<br />
stützenswert und kann auch nicht missverstanden<br />
werden.<br />
4. Der lange deutsche Streit um<br />
<strong>e<strong>in</strong>e</strong> <strong>geme<strong>in</strong>same</strong> <strong>Schule</strong><br />
Es ist durchaus beunruhigend, dass dieser Streit <strong>in</strong><br />
Deutschland schon so lange, so emotional und aus <strong>der</strong><br />
Sicht <strong>der</strong> Befürworter <strong>e<strong>in</strong>e</strong>r <strong>geme<strong>in</strong>same</strong>n <strong>Schule</strong> für<br />
die Schuljahre 5 – 10 mit nur ger<strong>in</strong>gen Erfolgen<br />
geführt worden ist. In den meisten europäischen Län-<br />
1 2<br />
<strong>der</strong>n, zum Beispiel <strong>in</strong> den skand<strong>in</strong>avischen Län<strong>der</strong>n<br />
o<strong>der</strong> <strong>in</strong> Frankreich, Italien etc. fand e<strong>in</strong> vergleichbarer<br />
bildungspolitischer Diskurs <strong>in</strong> <strong>der</strong> zweiten Hälfte des<br />
20. Jahrhun<strong>der</strong>ts bei allen jeweiligen <strong>in</strong>nenpolitischen<br />
Gegensätzen <strong>in</strong> sachlicher Form und mit dem Ergebnis<br />
statt, die <strong>geme<strong>in</strong>same</strong> Schulzeit zu verlängern und die<br />
neue <strong>Schule</strong> qualitativ ständig weiter zu entwickeln.<br />
Warum gehen die Uhren <strong>in</strong> Deutschland an<strong>der</strong>s, war-<br />
um bleibt Deutschland <strong>in</strong> dieser Frage so lange <strong>e<strong>in</strong>e</strong><br />
verspätete Nation?<br />
4.1 Das strukturell separierende deutsche<br />
Schulsystem<br />
Unser beson<strong>der</strong>es, auf frühes Sortieren <strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong> zie-<br />
lendes Schulsystem, das aus ständischer, vordemokrati-<br />
scher Zeit stammt, wird <strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel mit den drei unter-<br />
schiedlichen Begabungen <strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong> und Jugendlichen<br />
begründet und daher euphemistisch „begabungsge-<br />
rechtes Schulsystem“ genannt. Es gibt aber we<strong>der</strong> <strong>in</strong><br />
den deutschsprachigen Län<strong>der</strong>n, die als e<strong>in</strong>zige dieses<br />
angeblich begabungsgerechte, geglie<strong>der</strong>te Schulsystem<br />
haben, noch sonst nirgendwo <strong>in</strong> <strong>der</strong> Welt drei bzw. vier<br />
vone<strong>in</strong>an<strong>der</strong> klar zu trennende Begabungstypen.<br />
Es gibt k<strong>e<strong>in</strong>e</strong> wissenschaftliche Untersuchung,<br />
mit <strong>der</strong> diese belegt werden könnten.<br />
Im Gegenteil weiß man, dass die <strong>in</strong>dividuellen<br />
Begabungen für die beson<strong>der</strong>en Anfor<strong>der</strong>ungen des<br />
schulischen Lernens sehr stark gefächert und stets <strong>in</strong><br />
<strong>der</strong> Entwicklung s<strong>in</strong>d. Das Begabungsprofil <strong>e<strong>in</strong>e</strong>s e<strong>in</strong>-<br />
zelnen K<strong>in</strong>des entfaltet o<strong>der</strong> retardiert sich im Verlau-<br />
fe des Heranwachsens <strong>in</strong> Abhängigkeit von <strong>der</strong> Lern-<br />
umgebung, den Lernanreizen etc. sehr stark.<br />
Dem geglie<strong>der</strong>ten Schulsystem fehlt daher jede<br />
begabungstheoretische und entwicklungspsychologi-<br />
sche Fundierung. E<strong>in</strong>zig fest stehendes Untersu-<br />
chungsergebnis nach PISA ist: Der Lernerfolg <strong>der</strong><br />
Gesamtpopulation im geglie<strong>der</strong>ten Schulsystem ist<br />
wenig erfolgreich und sozial ungerecht.<br />
Die Verteidiger des geglie<strong>der</strong>ten deutschen<br />
Schulsystems verdunkeln diesen Sachverhalt mit fort-<br />
währen<strong>der</strong> aggressiver Verleumdung jedwe<strong>der</strong> Form<br />
<strong>der</strong> Gesamtschule o<strong>der</strong> E<strong>in</strong>heitsschule. Es geht ihnen
dabei im Kern nicht um <strong>e<strong>in</strong>e</strong> möglichst optimale Ent-<br />
wicklung aller vorhandenen, überaus vielfältigen, und<br />
<strong>in</strong> verschiedenen Lebensabschnitten sich jeweils unter-<br />
schiedlich entwickelnden Begabungen, wie sie immer<br />
und immerfort behaupten.<br />
Wäre es so, wäre die schwurformelartige<br />
öffentliche Rede vom begabungsgerechten deutschen<br />
Schulwesen nicht Ideologie, hätte es spätestens nach<br />
den verheerenden Ergebnissen <strong>der</strong> <strong>in</strong>ternationalen<br />
Vergleichsstudien <strong>e<strong>in</strong>e</strong> umfassende und ergebnisoffe-<br />
ne Suche nach zukunftsfähigen Schulstrukturen und<br />
Lernformen geben müssen. Stattdessen bleibt es bei<br />
<strong>e<strong>in</strong>e</strong>r verbissen geführten Verteidigung des geglie<strong>der</strong>-<br />
ten Schulsystems, die die hartnäckige Leugnung bzw.<br />
Ignorierung s<strong>e<strong>in</strong>e</strong>r nachgewiesenen sozialen Auslese<br />
e<strong>in</strong>schließt.<br />
In Wahrheit geht es <strong>in</strong> diesem nunmehr fast e<strong>in</strong>-<br />
hun<strong>der</strong>t Jahre alten deutschen Streit zum <strong>e<strong>in</strong>e</strong>n um die<br />
Interessen <strong>der</strong> eher bildungsbürgerlich orientierten<br />
Eltern, die e<strong>in</strong> System verteidigen, <strong>in</strong> dem ihre K<strong>in</strong><strong>der</strong><br />
<strong>in</strong> <strong>e<strong>in</strong>e</strong>m möglichst frühen Alter e<strong>in</strong> höherer gesell-<br />
schaftlicher Status als Gymnasiast/<strong>in</strong> o<strong>der</strong> Realschü-<br />
ler/<strong>in</strong> gegenüber an<strong>der</strong>en K<strong>in</strong><strong>der</strong>n zugewiesen wird.<br />
Zudem möchten viele von ihnen ihre K<strong>in</strong><strong>der</strong> von<br />
den K<strong>in</strong><strong>der</strong>n an<strong>der</strong>er Gruppen <strong>der</strong> Gesellschaft fern-<br />
halten, um ihren K<strong>in</strong><strong>der</strong>n <strong>in</strong> <strong>e<strong>in</strong>e</strong>m privilegierten Schul-<br />
milieu bessere Startchancen für <strong>e<strong>in</strong>e</strong> wirtschaftlich<br />
erfolgreiche berufliche Zukunft zu geben als an<strong>der</strong>en<br />
K<strong>in</strong><strong>der</strong>n. Es geht <strong>in</strong> diesem Kontext auch darum, die<br />
eigenen K<strong>in</strong><strong>der</strong>n vor dem ‚schlechten’ E<strong>in</strong>fluss <strong>der</strong><br />
Unterschicht o<strong>der</strong> – aktuell – <strong>der</strong> Migrantenk<strong>in</strong><strong>der</strong> zu<br />
schützen, d.h. es geht gleichermaßen um sehr ernst-<br />
zunehmende Elternsorgen vor abs<strong>in</strong>kenden schulische<br />
Leistungen ihrer K<strong>in</strong><strong>der</strong> durch ‚falsche’ Vorbil<strong>der</strong> und<br />
k<strong>e<strong>in</strong>e</strong>sfalls immer unbegründete Ängste vor Gewalt<br />
und Unterdrückung durch grobe und fremde K<strong>in</strong><strong>der</strong>.<br />
Derartige Besorgnisse, mit denen man sich<br />
ernsthaft ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzen muss und kann, werden<br />
im Schulsystemstreit aber so gut wie nie offen artiku-<br />
liert. Sie s<strong>in</strong>d unterschwellig vorhanden, während an<br />
<strong>der</strong> Oberfläche hochemotional <strong>e<strong>in</strong>e</strong> möglichst frühe,<br />
weil angeblich effektive Auslese nach schulischer Lei-<br />
stung gefor<strong>der</strong>t wird.<br />
Es ist außerordentlich schwierig über <strong>der</strong>artige<br />
Dispositionen <strong>e<strong>in</strong>e</strong>n sachlichen Diskurs zu führen, weil<br />
es um <strong>e<strong>in</strong>e</strong> komplexe Mischung von berechtigten<br />
Elternanliegen und antidemokratischem Denken geht.<br />
Vor vielen Jahren hat <strong>der</strong> Sänger Franz-Josef<br />
Degenhard <strong>in</strong> <strong>der</strong> Refra<strong>in</strong>- und Titelzeile <strong>e<strong>in</strong>e</strong>s Liedes<br />
sehr treffend den Herzenswunsch dieser Eltern an ihr<br />
K<strong>in</strong>d formuliert: „Spiel nicht mit den Schmuddelk<strong>in</strong>-<br />
<strong>der</strong>n!“.<br />
Es geht nicht primär um Begabung und Lei-<br />
stung, um angstfreies und erfolgreiches Lernen, son-<br />
<strong>der</strong>n eher um soziale Trennung. Angesichts <strong>der</strong> sozia-<br />
len Ungerechtigkeit kann das politische System jedoch<br />
nicht vollständig zur Tagesordnung übergehen. Da den<br />
Handelnden <strong>e<strong>in</strong>e</strong> Lösung, also e<strong>in</strong> Kompromiss <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />
Frage <strong>der</strong> Schulstruktur undenkbar ersche<strong>in</strong>t, haben<br />
sich die beiden politischen Lager auf den Ausbau <strong>der</strong><br />
frühk<strong>in</strong>dlichen För<strong>der</strong>ung im Elementarbereich quasi<br />
als Ersatzhandlung gee<strong>in</strong>igt.<br />
Der erste PISA-Koord<strong>in</strong>ator Prof. Baumert fass-<br />
te dies s<strong>in</strong>ngemäß zusammen unter dem Motto: Wenn<br />
man <strong>in</strong> Deutschland bereits nach <strong>der</strong> Grundschule auf-<br />
teilt und unterschiedlich för<strong>der</strong>nden Bed<strong>in</strong>gungen <strong>in</strong><br />
<strong>der</strong> Mittelstufe schafft, dann sollte man mit <strong>der</strong> Förde-<br />
rung im Elementarbereich möglichst früh anfangen.<br />
Dass die frühe Aufteilung zu Leistungsrückständen im<br />
<strong>in</strong>ternationalen Vergleich führt, ist spätestens anzu-<br />
nehmen, seit die <strong>in</strong>ternationalen Vergleichsstudien im<br />
Grundschulbereich gezeigt haben, dass die deutschen<br />
K<strong>in</strong><strong>der</strong> im Grundschulbereich nicht so deutliche Rück-<br />
stände haben, wie anschließend nach ihrer Aufteilung<br />
im Mittelstufenbereich <strong>in</strong> <strong>der</strong> Klasse 9.<br />
Unzweifelhaft nachgewiesen s<strong>in</strong>d <strong>in</strong>zwischen<br />
auch die unterschiedlich för<strong>der</strong>nden Bed<strong>in</strong>gungen <strong>in</strong><br />
den 3 Schultypen. Das heißt, Eltern s<strong>in</strong>d nach diesen<br />
Studien sehr gut beraten, ihr K<strong>in</strong>d im geglie<strong>der</strong>ten<br />
Schulsystem im Augenblick auf dem Gymnasium<br />
anzumelden, da es dort bei gleichem Leistungsvermö-<br />
gen besser geför<strong>der</strong>t wird als an <strong>der</strong> Real- o<strong>der</strong> Haupt-<br />
schule.<br />
1 3
4.2 Die gespaltene Lehrerausbildung<br />
Man darf allerd<strong>in</strong>gs nicht übersehen, dass es bei die-<br />
sem Streit um Schulstrukturen nicht nur um den Zeit-<br />
punkt geht, bis zu dem K<strong>in</strong><strong>der</strong> und Jugendliche <strong>in</strong> und<br />
für unsere Gesellschaft geme<strong>in</strong>sam erzogen und aus-<br />
gebildet werden sollen. Mit diesem Streit untrennbar<br />
verknüpft s<strong>in</strong>d die Fragen des gesellschaftlichen Status<br />
und des Rollen- und Selbstverständnisses <strong>der</strong> Lehrer<strong>in</strong>-<br />
nen und Lehrer und ihres Verhältnisses zu den Schülern<br />
und Eltern. Heftig umstritten ist, ob guter Unterricht<br />
grundsätzlich problemorientiert und schülerbezogen<br />
anzulegen und zu gestalten sei. Scharf kontrovers wer-<br />
den Fragen <strong>der</strong> Bewertung und Leistungskontrolle und<br />
das sogenannte Sitzenbleiben erörtert. In diesem Teil<br />
<strong>der</strong> Ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzung spielen Lehrkräfte bzw. die<br />
Lehrerverbände <strong>e<strong>in</strong>e</strong> gewichtigere öffentliche Rolle als<br />
Eltern und Elternverbände.<br />
Aus dieser spezifischen Verbändesicht lässt sich<br />
<strong>e<strong>in</strong>e</strong> wünschenswerte <strong>in</strong>nere Gestaltung <strong>der</strong> <strong>Schule</strong><br />
nur im Rahmen des geglie<strong>der</strong>ten Schulsystems ver-<br />
wirklichen. Es geht um mentale Strukturen und massi-<br />
ve Verbands<strong>in</strong>teressen, die erhalten und befriedigt<br />
bleiben sollen.<br />
So gilt <strong>in</strong> dieser schulischen Welt das <strong>in</strong>dividuel-<br />
le schulische Versagen <strong>e<strong>in</strong>e</strong>s Schülers nicht als Problem<br />
des Gesamtsystems <strong>Schule</strong>, son<strong>der</strong>n primär als <strong>in</strong>divi-<br />
duelles Problem des Versagenden, zum Beispiel durch<br />
die Wahl <strong>der</strong> ‚falschen’ Schulform.<br />
Viele Lehrkräfte wollen für den schulischen<br />
Misserfolg ihrer Schüler k<strong>e<strong>in</strong>e</strong> Mitverantwortung über-<br />
nehmen. Aus ihrer Sicht unterrichten sie gut, weil<br />
fachlich durch e<strong>in</strong> Studium qualifiziert und pädago-<br />
gisch-praktisch im Referendariat ausgebildet. Damit<br />
geben sie aus ihrer Sicht den Schüler<strong>in</strong>nen und Schü-<br />
lern alle Möglichkeiten, erfolgreich zu lernen. Gel<strong>in</strong>gt<br />
das aus <strong>der</strong> Sicht <strong>der</strong> Lehrkräfte nicht gut genug, ist<br />
Sitzenbleiben, also die Wie<strong>der</strong>holung <strong>e<strong>in</strong>e</strong>s Schuljahr-<br />
1 4<br />
ganges, o<strong>der</strong> möglicherweise e<strong>in</strong> Schulwechsel das<br />
Mittel <strong>der</strong> Wahl.<br />
Dieser Ansatz, dass lernschwache o<strong>der</strong> <strong>in</strong><br />
bestimmten Fächern o<strong>der</strong> zu bestimmten Zeiten lern-<br />
schwache Schüler nicht durch Lehrkräfte o<strong>der</strong> e<strong>in</strong> Team<br />
von Lehrkräften und Sozialpädagogen längerfristig<br />
begleitet und verantwortlich betreut werden, ist konsti-<br />
tutiv für die Grundstruktur, aber auch das Lehrerhan-<br />
deln im geglie<strong>der</strong>ten Schulsystem. Stattdessen werden<br />
die genannten Schüler und Schüler<strong>in</strong>nen weiter<br />
gereicht, bis sie <strong>in</strong> <strong>der</strong> Hauptschule im Kreise ihresglei-<br />
chen enttäuscht und verbittert, kaum noch zu motivie-<br />
ren s<strong>in</strong>d und <strong>in</strong> <strong>e<strong>in</strong>e</strong>r beängstigenden Größenordnung<br />
schulisch scheitern, also ohne Abschluss bleiben.<br />
Und diese Feststellung bleibt auch bestehen,<br />
wenn viele, heute sogar sehr viele Lehrer<strong>in</strong>nen und<br />
Lehrer <strong>in</strong> den Gymnasien und Realschulen darauf ver-<br />
weisen, dass sie sich um die ihnen anvertrauten Schü-<br />
ler<strong>in</strong>nen und Schüler bemühen. Das ist richtig und<br />
erfreulich, än<strong>der</strong>t jedoch strukturell zu wenig. Das<br />
zum<strong>in</strong>dest zeigen die Zahlen <strong>der</strong> jährlichen ‚Abschu-<br />
lungen’. Im Schuljahr 2005/2006 haben bezogen auf<br />
die Sekundarstufe I 3.860 K<strong>in</strong><strong>der</strong> <strong>in</strong> <strong>Nie<strong>der</strong>sachsen</strong> die<br />
Realschulen <strong>in</strong> Richtung Hauptschulen verlassen (müs-<br />
sen), 3554 s<strong>in</strong>d von den Gymnasien <strong>in</strong> die Realschule<br />
‚abgestiegen’, während gleichzeitig landesweit ledig-<br />
lich 571 Schüler<strong>in</strong>nen und Schüler aus den Hauptschu-<br />
len <strong>in</strong> die Realschulen wechselten und 492 den Auf-<br />
stieg von den Realschulen <strong>in</strong> die Gymnasien wagten.<br />
Zum Stichwort Durchlässigkeit ist die Hauptrich-<br />
tung <strong>in</strong> unserem Schulsystem <strong>der</strong> Abstieg 1.<br />
Und die entsprechenden Lehrerverbände fürch-<br />
ten, dass ihr Grundverständnis von <strong>der</strong> Schulform, das<br />
ihren beson<strong>der</strong>en Status rechtfertigt, nicht aushaltbar<br />
se<strong>in</strong> wird, wenn sie für die Schüler<strong>in</strong>nen und Schüler,<br />
die an ihrer <strong>Schule</strong> aufgenommen werden, bis zu<br />
<strong>e<strong>in</strong>e</strong>m ersten Abschluss die Verantwortung überneh-<br />
men und sie auf dem Weg zur <strong>geme<strong>in</strong>same</strong>n <strong>Schule</strong>,<br />
1 Die Zahlen stammen aus <strong>der</strong> Pressemitteilung zur Pressekonferenz des nie<strong>der</strong>sächsischen Kultusm<strong>in</strong>isters zum Schuljahresbeg<strong>in</strong>n 2006/2007<br />
am 30.08.2006
traditionelle Elemente <strong>der</strong> deutschen Reformpädago-<br />
gik übernehmen müssten. Sie sehen e<strong>in</strong> Leistungsver-<br />
mögen von Schüler<strong>in</strong>nen und Schülern <strong>in</strong> ihrer Schul-<br />
form unterhalb <strong>e<strong>in</strong>e</strong>r bestimmten Schwelle als e<strong>in</strong><br />
Problem an, für das sie nach ihrem Selbstverständnis<br />
nicht mehr zuständig s<strong>in</strong>d.<br />
Erfor<strong>der</strong>lich wäre e<strong>in</strong> Paradigmenwechsel <strong>in</strong> den<br />
Köpfen und <strong>in</strong> den Herzen.<br />
So etwas fällt aber immer sehr schwer. Die Aus-<br />
e<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzung mit dem Gegenmodell erfolgt auch<br />
deshalb seit Jahrzehnten mehr emotional als rational.<br />
Und Hoffnung auf den anstehenden Generations-<br />
wechsel <strong>der</strong> Lehrkräfte kann man kaum setzen, weil<br />
ihre getrennte Ausbildung <strong>in</strong> entscheiden<strong>der</strong> Weise<br />
zur Stabilisierung dieses Denkens beiträgt. Auf <strong>der</strong><br />
<strong>e<strong>in</strong>e</strong>n Seite werden die Volksschullehrer, heute die<br />
Grund- und Hauptschullehrer, ausgebildet, auf <strong>der</strong><br />
an<strong>der</strong>en Seite die Gymnasiallehrer. Zwischen beiden<br />
liegt die Gruppe <strong>der</strong> Mittelschullehrer, heute Real-<br />
schullehrer.<br />
Nicht nur die Schüler<strong>in</strong>nen und Schüler tragen<br />
<strong>in</strong> diesem Land Etiketten, nach denen sie „begabungs-<br />
gerecht“ auf die drei (vier) Schultypen verteilt wurden,<br />
son<strong>der</strong>n auch die Lehrkräfte, nach denen sie für die<br />
drei dazugehörigen Lehrämter ausgebildet wurden.<br />
Es ist deshalb k<strong>e<strong>in</strong>e</strong>swegs Zufall, dass die ent-<br />
sprechenden Lehrerverbände seit mehr als e<strong>in</strong>hun<strong>der</strong>t<br />
Jahren gegen jedwede Verlängerung <strong>e<strong>in</strong>e</strong>r geme<strong>in</strong>sa-<br />
men Schulzeit <strong>in</strong> Deutschland s<strong>in</strong>d und sich immer<br />
wie<strong>der</strong> erfolgreich bemühen, Ihre Positionen für e<strong>in</strong><br />
geglie<strong>der</strong>tes Schulsystem <strong>in</strong> den Programmen <strong>der</strong> kon-<br />
servativen Parteien zu verankern. <strong>Für</strong> sie ist <strong>der</strong> Erhalt<br />
<strong>der</strong> unterschiedlichen Schultypen und <strong>e<strong>in</strong>e</strong>r dazugehö-<br />
rigen unterschiedlich ausgebildeten Lehrerschaft, aus<br />
denen sie sich immer wie<strong>der</strong> rekrutieren, die eigentli-<br />
che Existenzfrage.<br />
5. Anläufe, Erfolge und<br />
Fehlschläge auf dem Weg zur<br />
<strong>e<strong>in</strong>e</strong>r <strong>geme<strong>in</strong>same</strong>n <strong>Schule</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />
Mittelstufe<br />
In den vergangenen mehr als 100 Jahren gab es nur<br />
kl<strong>e<strong>in</strong>e</strong> Fortschritte, aber auch viele Nie<strong>der</strong>lagen. Das ist<br />
e<strong>in</strong> Beweis dafür, dass die Wi<strong>der</strong>stände groß s<strong>in</strong>d. Es<br />
ist ke<strong>in</strong> Beweis, dass <strong>der</strong> Weg falsch ist. Es ist hier nicht<br />
<strong>der</strong> Raum, allen wichtigen, aber gescheiterten Ansät-<br />
zen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Weimarer Republik und <strong>in</strong> den ersten Jah-<br />
ren nach dem Zweiten Weltkrieg nachzugehen. Auf<br />
e<strong>in</strong>ige Stationen sei aber verwiesen.<br />
5.1 Die Reichsschulkonferenz von 1920<br />
und die Grundschule<br />
1920 gelang es, <strong>e<strong>in</strong>e</strong> <strong>geme<strong>in</strong>same</strong> Grundschule für<br />
alle K<strong>in</strong><strong>der</strong> zu erkämpfen und die unterschiedlichen<br />
privaten Vorschulen des Bürgertums aufzuheben. Das<br />
war e<strong>in</strong> wichtiger Schritt auf dem Weg, das Schulsy-<br />
stem <strong>in</strong> die Entwicklung <strong>e<strong>in</strong>e</strong>r demokratischen gesell-<br />
schaftlichen wie staatlichen Ordnung e<strong>in</strong>zub<strong>in</strong>den.<br />
Der weiterführende Auftrag <strong>der</strong> Weimarer Verfassung<br />
wurde bis 1933 nicht erfüllt. Alle Anläufe zu <strong>e<strong>in</strong>e</strong>m<br />
entsprechenden Reichsschulgesetz scheiterten. Von<br />
e<strong>in</strong>igen Schulversuchen abgesehen ist mehr als <strong>e<strong>in</strong>e</strong><br />
<strong>geme<strong>in</strong>same</strong> Grundschule nicht gelungen. Als wichti-<br />
ges Beispiel sei die <strong>Schule</strong> Fritz Karsens <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong>-Neu-<br />
kölln genannt, das Kaiser-Friedrich-Realgymnasium,<br />
das sich geme<strong>in</strong>sam mit <strong>e<strong>in</strong>e</strong>r Aufbauschule und <strong>e<strong>in</strong>e</strong>r<br />
‚weltlichen’ Volksschule <strong>in</strong> wichtigen E<strong>in</strong>zelelementen<br />
zu <strong>e<strong>in</strong>e</strong>r Gesamtschule weiterentwickelte. Dieses weg-<br />
weisende Reformprojekt wurde noch im Februar 1933<br />
von den Nationalsozialsten desorganisiert, se<strong>in</strong> Kolle-<br />
gium zerschlagen, zum erheblichen Teil entlassen.<br />
5.2 Erfolglose Siegermächte nach 1945:<br />
Kont<strong>in</strong>uität des Schulsystems<br />
1945 und <strong>in</strong> den Folgejahren hatten die Siegermächte<br />
<strong>in</strong> den Westzonen, <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e die Amerikaner, die<br />
Absicht, nachdem <strong>e<strong>in</strong>e</strong> US-Kommission aus Erzie-<br />
1 5
hungswissenschaftlern, die vom Präsidenten des<br />
‚American Council on Education’, George F. Zook,<br />
geleitet wurde, detaillierte Kritik sowohl an <strong>der</strong><br />
undurchlässigen Dreigliedrigkeit wie an undemokrati-<br />
schen Erziehungsstilen geübt hatte, dass geglie<strong>der</strong>te<br />
Schulsystem abzuschaffen.<br />
„Dieses System hat bei <strong>e<strong>in</strong>e</strong>r kl<strong>e<strong>in</strong>e</strong>n Gruppe <strong>e<strong>in</strong>e</strong><br />
überlegene Haltung und bei <strong>der</strong> Mehrzahl <strong>der</strong> Deut-<br />
schen e<strong>in</strong> M<strong>in</strong><strong>der</strong>wertigkeitsgefühl entwickelt, das<br />
jene Unterwürfigkeit und jenen Mangel an Selbstbe-<br />
stimmung möglich machte, auf denen das autoritäre<br />
Führerpr<strong>in</strong>zip gedieh.“<br />
Folgerichtig ordnete <strong>der</strong> US-Militärgouverneur Clay<br />
am 10.01.1947 an, das deutsche Schulsystem demo-<br />
kratisch umzugestalten (Kontrollratsdirektive 54). Ver-<br />
langt wurde hier e<strong>in</strong> nach Stufen geglie<strong>der</strong>ter Aufbau<br />
<strong>e<strong>in</strong>e</strong>s neuen Schulwesens, damit e<strong>in</strong> Verzicht parallel<br />
geführter Schulformen mit unterschiedlicher Wertig-<br />
keit sowie die Vermeidung jeglichen Zusammenhangs<br />
zwischen schulischem Erfolg und sozialer Herkunft.<br />
Mit Blick auf die Interessen <strong>e<strong>in</strong>e</strong>r bestimmten Eltern-<br />
gruppe und Lehrkräfte bzw. <strong>der</strong> Lehrerverbände <strong>der</strong><br />
mittleren und höheren <strong>Schule</strong>n wussten die deutschen<br />
Behörden nicht nur im Machtbereich <strong>der</strong> Amerikaner<br />
<strong>der</strong>artige Ans<strong>in</strong>nen so lange zu verzögern, bis ihnen<br />
die Zuständigkeit für die Schulpolitik wie<strong>der</strong> alle<strong>in</strong><br />
gehörte. In <strong>der</strong> folgenden restaurativen Phase <strong>der</strong> Bun-<br />
desrepublik Deutschland wurden vorhandene Ansätze<br />
<strong>e<strong>in</strong>e</strong>r längeren <strong>geme<strong>in</strong>same</strong>n Schulzeit wie <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong>,<br />
aber auch <strong>in</strong> <strong>Nie<strong>der</strong>sachsen</strong> (Nie<strong>der</strong>sächsische Erzie-<br />
hungsstätte, Differenzierter Mittelbau) spätestens <strong>in</strong><br />
<strong>der</strong> zweiten Hälfte <strong>der</strong> 50er Jahre gestoppt.<br />
5.3 Ende <strong>der</strong> 60er Jahre: Der Neuansatz<br />
für <strong>e<strong>in</strong>e</strong> längere <strong>geme<strong>in</strong>same</strong> Schulzeit<br />
E<strong>in</strong> Neuansatz für <strong>e<strong>in</strong>e</strong> längere <strong>geme<strong>in</strong>same</strong> Schulzeit<br />
erfolgte Ende <strong>der</strong> 60er, Anfang <strong>der</strong> 70er Jahre, durch-<br />
aus auch unter dem E<strong>in</strong>druck <strong>der</strong> ersten deutschen<br />
Wirtschaftskrise und <strong>e<strong>in</strong>e</strong>r umfassenden Debatte um<br />
<strong>e<strong>in</strong>e</strong> bessere Ausbildung von mehr jungen Menschen<br />
1 6<br />
als Voraussetzung für <strong>e<strong>in</strong>e</strong> weitere wirtschaftliche Pro-<br />
sperität. Es gab zu diesen Aufbruchzeiten <strong>der</strong> sozialli-<br />
beralen Koalition gleichzeitig <strong>e<strong>in</strong>e</strong> durchaus machtvol-<br />
le gesellschaftliche Strömung für die Demokratisierung<br />
sehr verschiedener staatlicher Strukturen und Hand-<br />
lungsfel<strong>der</strong>. Diese erfasste auch das Schulsystem, dessen<br />
traditionelle Glie<strong>der</strong>ung ständischen, also vordemokra-<br />
tischen Ursprungs war und etliche gesellschaftliche<br />
Gruppen nachweislich benachteiligte, wahrlich nicht<br />
nur das sprichwörtliche gewordene katholische Arbei-<br />
termädchen aus <strong>e<strong>in</strong>e</strong>m Dorf des bayrischen Waldes.<br />
Vor diesem H<strong>in</strong>tergrund waren die konservativen Kräf-<br />
te zeitweilig <strong>in</strong> <strong>der</strong> Defensive, sie mussten konstatie-<br />
ren, dass <strong>e<strong>in</strong>e</strong> Ausweitung <strong>der</strong> Bildungsbeteiligung<br />
und damit zwangsläufig <strong>e<strong>in</strong>e</strong> größere Chancengleich-<br />
heit nicht ohne Verän<strong>der</strong>ungen möglich war. Diese<br />
Ansätze <strong>e<strong>in</strong>e</strong>r Bildungsreform s<strong>in</strong>d u.a. durch <strong>e<strong>in</strong>e</strong><br />
bemerkenswerte und beängstigende Bewusstlosigkeit<br />
gegenüber ihren historischen Vorläufern gekennzeich-<br />
net. Man wollte von dem, was <strong>in</strong> Deutschland schon<br />
versucht worden war o<strong>der</strong> was im Ausland bereits<br />
erfolgreich praktiziert wurde, erstaunlich wenig wis-<br />
sen. Alles sollte nur an<strong>der</strong>s werden, als es gerade war.<br />
5.4 Die nie<strong>der</strong>sächsische<br />
Orientierungsstufe<br />
In <strong>Nie<strong>der</strong>sachsen</strong> ließ sich e<strong>in</strong> Teil dieser gesellschaftli-<br />
chen Kräfte auf <strong>e<strong>in</strong>e</strong>n bildungspolitischen Kompromiss<br />
mit <strong>der</strong> SPD e<strong>in</strong>, die <strong>geme<strong>in</strong>same</strong> Schulzeit um zwei<br />
Jahre, also um die Orientierungsstufe, zu verlängern,<br />
um die zu frühe und damit zu unzuverlässige Schul-<br />
laufbahnentscheidung im S<strong>in</strong>ne <strong>e<strong>in</strong>e</strong>r längeren und<br />
besseren <strong>geme<strong>in</strong>same</strong>n För<strong>der</strong>ung und zugunsten<br />
<strong>e<strong>in</strong>e</strong>r effektiveren Ausschöpfung des Begabungspo-<br />
tentials zu verschieben. Dieses Konzept stammte im<br />
Kern aus <strong>der</strong> Nachkriegszeit. Bereits <strong>der</strong> erste nie<strong>der</strong>-<br />
sächsische Kultusm<strong>in</strong>ister Adolf Grimme hatte 1946<br />
durch <strong>e<strong>in</strong>e</strong> Parallelisierung <strong>der</strong> ersten zu lernenden<br />
Fremdsprache <strong>in</strong> den 5. und 6. Klassen aller Schulfor-<br />
men, nämlich Englisch, den E<strong>in</strong>stieg <strong>in</strong> <strong>e<strong>in</strong>e</strong> längere<br />
<strong>geme<strong>in</strong>same</strong> Schulzeit o<strong>der</strong> wenigstens <strong>in</strong> <strong>e<strong>in</strong>e</strong> länge-<br />
re Phase <strong>der</strong> Durchlässigkeit zwischen den Schulfor-
men versucht, und war daran gescheitert. Die fort-<br />
währende Kritik an <strong>der</strong> Auswahlentscheidung nach<br />
<strong>der</strong> 4. Klasse, <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e an <strong>der</strong> Unzuverlässigkeit<br />
<strong>der</strong> Aufnahmeprüfungen an den sogenannten höhe-<br />
ren <strong>Schule</strong>n, hatte Mitte <strong>der</strong> 60er Jahre bereits zu Neu-<br />
auflagen dieses Ansatzes unter <strong>der</strong> Bezeichnung För-<br />
<strong>der</strong>stufe geführt, die allerd<strong>in</strong>gs das Problem nicht<br />
lösen konnte, weil sie nach bereits erfolgter Aufteilung<br />
<strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong> an den verschiedenen Schulformen unter-<br />
schiedlich gestaltet wurde.<br />
Die Geschichte des Orientierungsstufenkom-<br />
promisses ist ausgesprochen lehrhaft. Weil die SPD<br />
Anfang <strong>der</strong> 70er Jahre mit <strong>der</strong> Möglichkeit <strong>der</strong><br />
Gesamtschule als ersetzende Schulform von 5 – 10<br />
drohte, nahm die CDU zunächst die zweijährige Orien-<br />
tierungsstufe <strong>in</strong> Kauf. Und die SPD war stolz, zwar<br />
nicht die Gesamtschule als Regelschule, aber <strong>e<strong>in</strong>e</strong> ver-<br />
pflichtende <strong>geme<strong>in</strong>same</strong> <strong>Schule</strong> für alle <strong>in</strong> den Jahr-<br />
gängen 5 und 6 <strong>in</strong> <strong>Nie<strong>der</strong>sachsen</strong> durchgesetzt zu<br />
haben. Es zeigt sich, dass sich die Konservativen mit<br />
<strong>der</strong> Verlängerung <strong>der</strong> <strong>geme<strong>in</strong>same</strong>n Schulzeit um zwei<br />
Jahre nie richtig abf<strong>in</strong>den konnten. Aufgestachelt von<br />
den bereits genannten Lehrerverbänden, aber auch<br />
von konservativen Eltern hörte die Diskussion um die<br />
Orientierungsstufe nie auf.<br />
Der Orientierungsstufenkompromiss zeigt wei-<br />
terh<strong>in</strong>, dass e<strong>in</strong> klassischer, primär quantitativer Kom-<br />
promiss, grundlegenden pädagogischen wie schulpoliti-<br />
schen Anfor<strong>der</strong>ungen diametral entgegenlaufen kann.<br />
Es fehlte e<strong>in</strong> pädagogischer Zielkonzept und so<br />
entstanden je nach Arbeit <strong>der</strong> e<strong>in</strong>zelnen Kollegien e<strong>in</strong>i-<br />
ge sehr gute, aber auch viele Orientierungsstufen, die<br />
<strong>der</strong> ursprünglichen Zielsetzung <strong>e<strong>in</strong>e</strong>r Verbesserung <strong>der</strong><br />
Prognoseentscheidung für die Schullaufbahn des e<strong>in</strong>-<br />
zelnen K<strong>in</strong>des nicht gerecht wurden.<br />
Von <strong>der</strong> Sache her konnte man nach dieser Ent-<br />
wicklung und dem DIPF-Gutachten im Jahr 2001, das<br />
alle Probleme und Mängel dieser zweijährigen Schul-<br />
form schonungslos aufzeigte, zu dem Ergebnis kom-<br />
men die Orientierungsstufe als eigenständige Schul-<br />
form aufgeben zu wollen. Die Frage jedoch, was setzt<br />
man an ihre Stelle, war zu diesem Zeitpunkt politisch<br />
völlig ungeklärt und unvorbereitet. Die Rückkehr zur<br />
lediglich vierjährigen <strong>geme<strong>in</strong>same</strong>n Grundschulzeit und<br />
damit die Rückkehr zur so lange mit guten Gründen<br />
bekämpften schulischen Trennung <strong>der</strong> bereits Zehnjäh-<br />
rigen, konnte k<strong>e<strong>in</strong>e</strong> sozialdemokratische Lösung se<strong>in</strong>.<br />
5.5 Die nie<strong>der</strong>sächsischen Gesamtschule<br />
Mit Blick auf die zukünftige Geme<strong>in</strong>same <strong>Schule</strong> ist hier<br />
auch von <strong>e<strong>in</strong>e</strong>m Neuansatz <strong>der</strong> E<strong>in</strong>führung <strong>der</strong> nie<strong>der</strong>-<br />
sächsischen Gesamtschulen zu sprechen. Sie kommen<br />
<strong>in</strong> ihren zentralen pädagogischen wie politischen Ziel-<br />
setzungen an <strong>e<strong>in</strong>e</strong> <strong>geme<strong>in</strong>same</strong> <strong>Schule</strong>, d.h. <strong>e<strong>in</strong>e</strong> erfolg-<br />
reiche För<strong>der</strong>ung jedes e<strong>in</strong>zelnen K<strong>in</strong>des bis an die sich<br />
immer wie<strong>der</strong> verän<strong>der</strong>nden <strong>in</strong>dividuellen Leistungs-<br />
grenzen entsprechen können, und zwar unabhängig<br />
von <strong>der</strong> sozialen und ethnischen Herkunft <strong>der</strong> Schüler<strong>in</strong>-<br />
nen und Schüler, am nächsten. <strong>Für</strong> etliche Gesamtschu-<br />
len wäre allerd<strong>in</strong>gs <strong>e<strong>in</strong>e</strong> qualitative Weiterentwicklung<br />
<strong>der</strong> Unterrichtskonzepte erfor<strong>der</strong>lich, um beiden Zielen<br />
umfassend entsprechen zu können. Gesamtschulen ver-<br />
fügen zwar strukturell und konzeptionell über bessere<br />
Voraussetzungen als das geglie<strong>der</strong>te Schulsystem. Über<br />
die beson<strong>der</strong>e Qualität <strong>e<strong>in</strong>e</strong>r e<strong>in</strong>zelnen Gesamtschule ist<br />
damit jedoch noch k<strong>e<strong>in</strong>e</strong> Aussage gemacht. Die päd-<br />
agogische Qualität <strong>der</strong> nie<strong>der</strong>sächsischen Gesamt-<br />
schulen ist allerd<strong>in</strong>gs <strong>in</strong>sgesamt bee<strong>in</strong>druckend. Sie s<strong>in</strong>d<br />
besser aufgestellt als viele Gesamtschulen an<strong>der</strong>er Bun-<br />
deslän<strong>der</strong>n. Dennoch differieren ihre konzeptionellen<br />
und <strong>in</strong> <strong>der</strong> Praxis verwirklichten Entwicklungsstände.<br />
Unterschiede gibt es <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e im Grad <strong>der</strong> Lehrer-<br />
kooperation und <strong>der</strong> Unterrichtsentwicklung. Es gibt<br />
<strong>e<strong>in</strong>e</strong>rseits Gesamtschulen, die heute schon, trotz <strong>der</strong><br />
ungleichen Bed<strong>in</strong>gungen <strong>in</strong> <strong>e<strong>in</strong>e</strong>m Parallelsystem auf-<br />
grund ihrer Schülerpopulation und <strong>der</strong> Qualität ihrer<br />
Arbeit es mit jedem Gymnasium aufnehmen können,<br />
ja, wie man im Schulwettbewerb sieht, sogar obsiegen<br />
können. Es gibt aber auch Gesamtschulen, die sich eher<br />
<strong>in</strong> Richtung <strong>e<strong>in</strong>e</strong>r verbundenen Haupt- und Realschule<br />
entwickelt haben und die deshalb die potentiell gym-<br />
nasiale Schülerklientel nicht gew<strong>in</strong>nen können.<br />
1 7
5.6 Die bildungspolitischen<br />
Gesamtschulperioden: 1971-1976 und<br />
1990-2003<br />
Die ersten sechs <strong>in</strong>tegrierten Gesamtschulen wurden<br />
Ende <strong>der</strong> 60er Jahre noch <strong>in</strong> <strong>der</strong> Amtzeit des CDU-Kul-<br />
tusm<strong>in</strong>isters Langeh<strong>e<strong>in</strong>e</strong> geplant 2 .<br />
Mit dem Beg<strong>in</strong>n des Schuljahres 1971/72 ent-<br />
standen dann die Integrierten Gesamtschulen Braun-<br />
schweig, <strong>Für</strong>stenau, Garbsen, Hannover-L<strong>in</strong>den, Hil-<br />
desheim, Langenhagen und Wolfsburg sowie die<br />
Kooperativen Gesamtschulen Osnabrück und Neuen-<br />
haus. Die damit e<strong>in</strong>setzende erste Gründungsperiode,<br />
<strong>in</strong> <strong>der</strong> bis 1976 13 <strong>in</strong>tegrierte und 17 kooperative<br />
Gesamtschulen entstanden, umfasste vor allem die<br />
Regierungszeit <strong>der</strong> sozialdemokratischen Kultusm<strong>in</strong>i-<br />
ster von Oertzen und Mahrenholz.<br />
Die ersten Gesamtschulen wurden als Schulver-<br />
suche geführt. E<strong>in</strong>e flächendeckende E<strong>in</strong>führung war<br />
nicht geplant.<br />
Als das von <strong>der</strong> CDU-Opposition unterstellt<br />
wurde, versicherte ihr Kultusm<strong>in</strong>ister von Oertzen<br />
anlässlich <strong>der</strong> Debatte zum neuen Nie<strong>der</strong>sächsischen<br />
Schulgesetz im Landtag am 14.10.1973:<br />
„Die E<strong>in</strong>führung <strong>der</strong> Gesamtschule als Regel-<br />
schule ist <strong>in</strong> dem Entwurf nicht vorgesehen. Die<br />
Gesamtschule wird zwar als Schulform gesetzlich<br />
abgesichert, die Errichtung von weiteren Gesamtschu-<br />
len wird jedoch behutsam vorgenommen werden“ 3 .<br />
1976 wechselte die Regierungsmehrheit im<br />
Landtag zu <strong>e<strong>in</strong>e</strong>r CDU/FDP-Koalition, die <strong>in</strong> <strong>der</strong> 1978<br />
folgenden Landtagswahl bestätigt wurde. Der erste<br />
Kultusm<strong>in</strong>ister <strong>der</strong> CDU/FDP-Regierung Albrecht, Wer-<br />
ner Remmers, genehmigte zunächst noch die Grün-<br />
dung e<strong>in</strong>iger Kooperativer Gesamtschulen, <strong>der</strong>en Pla-<br />
nung weit fortgeschritten war, brachte dann aber e<strong>in</strong><br />
1 8<br />
erstes Gesamtschulmoratorium auf den Weg, das die<br />
weitere Gründung von Gesamtschulen bis auf Weite-<br />
res verbot. Es hatte be<strong>in</strong>ahe bis zum Ende <strong>der</strong> Regie-<br />
rungsperiode <strong>der</strong> CDU/FDP-Koalition Bestand. Sie wur-<br />
de nach 16 Jahre, also 1990 durch <strong>e<strong>in</strong>e</strong> rot-grüne<br />
Regierung abgelöst, hatte aber im Vorjahr bereits <strong>e<strong>in</strong>e</strong><br />
neue <strong>in</strong>tegrierte Gesamtschule genehmigt, die IGS<br />
Franzsches Feld <strong>in</strong> Braunschweig. In den folgenden 13<br />
Jahren <strong>e<strong>in</strong>e</strong>r SPD-geführten Regierung verdoppelte<br />
sich die Zahl <strong>der</strong> Gesamtschulen. Man kann angesichts<br />
<strong>der</strong> weit höheren Nachfrage nach Gesamtschulplätzen<br />
auf Elternseite allerd<strong>in</strong>gs nur von <strong>e<strong>in</strong>e</strong>r gebremsten<br />
Entwicklung sprechen.<br />
Formal wurden die Gesamtschulen 1994 zwar<br />
im Rahmen <strong>e<strong>in</strong>e</strong>r Schulgesetznovelle allen an<strong>der</strong>en all-<br />
geme<strong>in</strong>bildenden <strong>Schule</strong>n im Sekundarbereich gleich-<br />
gestellt.<br />
Die kommunalen Schulträger wären also<br />
eigentlich verpflichtet gewesen, entsprechend dem<br />
Bedarf, also <strong>der</strong> Elternnachfrage Gesamtschulen zu<br />
erweitern o<strong>der</strong> neue Gesamtschulen zu gründen.<br />
Allerd<strong>in</strong>gs wurde diese Verpflichtung durch <strong>e<strong>in</strong>e</strong> E<strong>in</strong>-<br />
schränkung relativiert. Wenn die Kommunen im<br />
Sekundarbereich I bereits alle Bildungsgänge <strong>in</strong> vor-<br />
handenen <strong>Schule</strong>n vorhielten – und das war immer <strong>der</strong><br />
Fall –, musste sie k<strong>e<strong>in</strong>e</strong> Gesamtschulen gründen, auch<br />
wenn h<strong>in</strong>reichend viele Eltern dies wünschten. Sie<br />
konnten es jedoch tun, wenn <strong>der</strong> beson<strong>der</strong>e Bedarf<br />
nachgewiesen und ihre f<strong>in</strong>anzielle Leistungsfähigkeit<br />
für <strong>e<strong>in</strong>e</strong> zusätzliche Schulgründung h<strong>in</strong>reichend groß<br />
und das vollständiges Angebot im Bereich des geglie-<br />
<strong>der</strong>ten Schulsystem durch die Neugründung nicht<br />
gefährdet wurde. Diese Regelung hatte zur Folge, dass<br />
<strong>in</strong> vielen Kommunen, nicht nur mit konservativen<br />
Mehrheiten, die Frage <strong>der</strong> f<strong>in</strong>anziellen Leistungsfähig-<br />
keit negativ beantwortet wurde. Den 63 Gesamtschu-<br />
len <strong>in</strong> <strong>Nie<strong>der</strong>sachsen</strong> stehen im Sekundarbereich I<br />
jeweils etwa 250 Hauptschulen, Realschulen und<br />
2 siehe Klages,H./Scheckenhofer,H., Zur Planung <strong>der</strong> Integrierten Gesamtschulen <strong>in</strong> <strong>Nie<strong>der</strong>sachsen</strong> – Standorte, Planungsprobleme, Planungsablauf,<br />
<strong>in</strong>: MK (Hrsg.), Schulversuche und Schulreform 1/2, Hannover 1972, S. 32ff.<br />
3 zitiert nach SVBl 11/1973, S. 319
Gymnasien gegenüber. Sie bilden damit <strong>e<strong>in</strong>e</strong> M<strong>in</strong><strong>der</strong>-<br />
heit. Ihre Bedeutung als Gegenmodell zum geglie<strong>der</strong>-<br />
ten Schulsystem ist jedoch größer als die Zahl vermu-<br />
ten lässt.<br />
5.7 E<strong>in</strong> Meilenste<strong>in</strong> für die<br />
Gesamtschulentwicklung 1996: Die Klage<br />
<strong>der</strong> CDU und das Staatsgerichtshofurteil<br />
zur die Gleichstellung <strong>der</strong> Gesamtschulen<br />
Gegen die beschriebene schulgesetzliche Regelung<br />
klagte 1996 die Landtagsfraktion <strong>der</strong> CDU vor dem<br />
nie<strong>der</strong>sächsischen Staatsgerichtshof <strong>in</strong> Bückeburg. Sie<br />
beantragte festzustellen, dass die rechtliche Gleichstel-<br />
lung <strong>der</strong> Gesamtschulen mit den übrigen allgeme<strong>in</strong>bil-<br />
denden <strong>Schule</strong>n gegen die nie<strong>der</strong>sächsische Verfas-<br />
sung bzw. gegen das im Grundgesetz festgelegte<br />
Recht <strong>der</strong> Eltern verstoße, über Erziehung und Bil-<br />
dungsgang ihrer K<strong>in</strong><strong>der</strong> zu bestimmen.<br />
Die CDU-Fraktion, die <strong>in</strong> ihrer Klage gleichzeitig neue<br />
Regelungen zur erweiterten Mitbestimmung von<br />
Eltern und Schülern sowie die Vergabe höherwertiger<br />
Ämter auf Zeit als verfassungswidrig erklären lassen<br />
wollte, unterlag vollständig.<br />
Der Staatsgerichtshof stellte <strong>in</strong> s<strong>e<strong>in</strong>e</strong>m Urteil<br />
fest, dass es <strong>in</strong> <strong>der</strong> Entscheidung des Landtags liege,<br />
neue Schulformen e<strong>in</strong>zuführen und vorzugeben, wel-<br />
che Auswirkungen sich daraus auf den Fortbestand<br />
an<strong>der</strong>er Schultypen ergeben. Die Nie<strong>der</strong>sächsische<br />
Verfassung enthalte k<strong>e<strong>in</strong>e</strong> Bestimmungen, aus denen<br />
sich <strong>e<strong>in</strong>e</strong> <strong>in</strong>stitutionelle Garantie bestimmter Schulfor-<br />
men herleiten ließe, heißt es weiter. Die Nie<strong>der</strong>sächsi-<br />
sche Verfassung weist <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung mit dem Grund-<br />
gesetz dem Staat die Planung und E<strong>in</strong>richtung des<br />
Schulwesens zu mit dem Ziel, e<strong>in</strong> Bildungssystem zu<br />
gewährleisten, das allen jungen Bürgern gemäß ihren<br />
Fähigkeiten die dem heutigen Leben entsprechenden<br />
Entwicklungsmöglichkeiten eröffnet. Grenzen <strong>der</strong><br />
Regelungsbefugnis des Landtages sahen die Richter<br />
nur <strong>in</strong> übergeordneten Verfassungsnormen. Danach<br />
muss den Eltern <strong>e<strong>in</strong>e</strong> <strong>der</strong> Begabung ihres K<strong>in</strong>des sub-<br />
stantielle Schullaufbahnentscheidung möglich se<strong>in</strong>,<br />
was die Gesamtschulen nach dieser Entscheidung<br />
gewährleisten.<br />
Im Wortlaut heißt es da unter Bezug auf den<br />
Normenkontrollantrag zum Nie<strong>der</strong>sächsischen Schul-<br />
gesetz vom 27.9.1993:<br />
Der Gesetzgeber hat <strong>in</strong> § 12 Abs.1 Satz 2 des<br />
Nie<strong>der</strong>sächsischen Schulgesetzes die B<strong>in</strong>nenstruktur<br />
<strong>der</strong> Integrierten Gesamtschule (IGS) so ausgestaltet,<br />
dass Ausbildungsgänge sichergestellt s<strong>in</strong>d, die nach<br />
Differenzierung, Inhalt und Wertigkeit denen an<br />
Hauptschulen, Realschulen und Gymnasien vergleich-<br />
bar s<strong>in</strong>d. Danach müssen <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e im Sekundar-<br />
bereich I <strong>e<strong>in</strong>e</strong>r IGS Differenzierungen am Maßstab <strong>der</strong><br />
Leistungsfähigkeit erfolgen, die für Schüler die not-<br />
wendige Voraussetzung für <strong>e<strong>in</strong>e</strong> erfolgreiche Fortset-<br />
zung <strong>der</strong> Schulausbildung <strong>in</strong> <strong>der</strong> Sekundarstufe II<br />
schaffen. Auf dieser Grundlage bietet die IGS e<strong>in</strong> Bil-<br />
dungsangebot, das den verschiedenen Begabungen<br />
den erfor<strong>der</strong>lichen Raum zur Entfaltung lässt und <strong>in</strong>so-<br />
weit dem Recht <strong>der</strong> Eltern und Schüler aus Art. 3<br />
Abs.2 Satz 1 <strong>der</strong> Nie<strong>der</strong>sächsischen Verfassung (NV)<br />
i.V. mit Art. 6 Abs.2 Satz 1, Art.2 Abs.1 GG Rechnung<br />
trägt, den Bildungsweg selbst zu bestimmen. Deshalb<br />
verstößt es nicht gegen die Nie<strong>der</strong>sächsische Verfas-<br />
sung, wenn <strong>in</strong> zumutbarer Entfernung von <strong>der</strong> Woh-<br />
nung nur <strong>e<strong>in</strong>e</strong> IGS erreichbar ist.<br />
5.8 Gesamtschulen s<strong>in</strong>d lernende Systeme<br />
– 35 Jahre Gesamtschulentwicklung <strong>in</strong><br />
<strong>Nie<strong>der</strong>sachsen</strong><br />
Der Fokus <strong>der</strong> folgenden darstellenden und wertenden<br />
Skizze 4 richtet sich auf die <strong>in</strong>tegrierten Gesamtschulen,<br />
weil sie den Überlegungen für <strong>e<strong>in</strong>e</strong> Geme<strong>in</strong>same Schu-<br />
le am nächsten stehen.<br />
4 Die folgenden Beobachtungen und Wertungen s<strong>in</strong>d durchaus subjektiver Natur. Sie stützen sich allerd<strong>in</strong>gs auf <strong>e<strong>in</strong>e</strong> langjährige berufliche<br />
Tätigkeit <strong>in</strong> und für nie<strong>der</strong>sächsische Gesamtschulen. Natürlich gelten die skizzierten Aspekte nicht für alle nie<strong>der</strong>sächsischen Gesamtschulen<br />
gleichermaßen.<br />
1 9
In <strong>der</strong> Schulversuchsphase entstand die Mehr-<br />
heit <strong>der</strong> Gesamtschulen als Neugründungen 5 , und<br />
zwar <strong>in</strong> vielen Fällen an den Rän<strong>der</strong>n größerer Städte<br />
und <strong>in</strong> Stadtteilen, die gerade neu gebaut wurde und<br />
sich aufgrund ihrer architektonischen und städtebauli-<br />
chen Strukturen zu sozialen Brennpunkten entwickel-<br />
ten. Das prägte längere Zeit das Schülerklientel <strong>der</strong><br />
neuen <strong>Schule</strong>n. An den <strong>Schule</strong>n wurden vorwiegend<br />
K<strong>in</strong><strong>der</strong> aus bildungsferneren Schichten angemeldet.<br />
K<strong>in</strong><strong>der</strong> aus bürgerlichen, bildungsorientierten Familien<br />
wurden seltener angemeldet. Die neuen <strong>Schule</strong>n wur-<br />
den wegen des großen Bedarfes m<strong>in</strong>destens achtzü-<br />
gig, zum Teil deutlich größer geplant, d.h. für Schüler-<br />
zahlen zwischen 1500 und 2500. Damit handelten sie<br />
sich sehr schnell den Vorwurf des Massenbetriebs und<br />
<strong>der</strong> anonymen Lernfabriken e<strong>in</strong>. Sehr viel Energie<br />
haben die Kollegien im ersten Jahrzehnt darauf ver-<br />
wenden müssen, die Nachteile dieser Systemgröße<br />
durch school-<strong>in</strong>-school-Konzepte auszugleichen. Die<br />
mit Blick auf Differenzierungsmöglichkeiten und <strong>e<strong>in</strong>e</strong><br />
Vielfalt <strong>der</strong> Kurse und Arbeitsgeme<strong>in</strong>schaften anfangs<br />
gepriesenen Vorzüge solch großer <strong>Schule</strong>n hielten sich<br />
vor dem H<strong>in</strong>tergrund vielfältiger pädagogischer Pro-<br />
bleme <strong>in</strong> Grenzen 6 .<br />
Trotz vieler Anfangsprobleme entwickelten sich<br />
die nie<strong>der</strong>sächsischen Gesamtschulen zu <strong>e<strong>in</strong>e</strong>m<br />
Erfolgsprojekt. Zu k<strong>e<strong>in</strong>e</strong>m Zeitpunkt <strong>in</strong> den vergange-<br />
nen 35 Jahren haben die vorhandenen Kapazitäten<br />
ausgereicht. Jahr für Jahr haben mehr Eltern ihre K<strong>in</strong>-<br />
<strong>der</strong>n an diesen <strong>Schule</strong>n anmelden wollen, als Plätze<br />
vorhanden waren.<br />
Sie mussten e<strong>in</strong> Losverfahren akzeptieren, dass<br />
jedes Jahr die Schulwahl von K<strong>in</strong><strong>der</strong>n und Eltern nicht<br />
von ihrer Entscheidung, son<strong>der</strong>n von ihrem Losglück<br />
2 0<br />
abhängig macht. K<strong>e<strong>in</strong>e</strong> Regierungsmehrheit würde<br />
das Eltern zumuten, die für ihre K<strong>in</strong><strong>der</strong> <strong>e<strong>in</strong>e</strong>n Platz an<br />
<strong>e<strong>in</strong>e</strong>m Gymnasium haben wollen.<br />
Die enorme Elternnachfrage kann vor allem mit<br />
<strong>der</strong> Lernfähigkeit <strong>der</strong> <strong>Schule</strong>n bzw. <strong>der</strong> Schulform<br />
begründet werden. Es ist zwar nicht falsch, wenn heu-<br />
te noch gegen die Gesamtschulen angeführt wird,<br />
dass <strong>in</strong> den ersten Jahren ihrer Gesamtkonferenzen<br />
auch über Abrüstungsfragen, über Atomenergie und<br />
Berufsverbote heftig debattiert worden ist, aber immer<br />
haben Fragen <strong>der</strong> <strong>Schule</strong>ntwicklung, <strong>der</strong> Unterrichts-<br />
gestaltung und des Schullebens auf <strong>der</strong> Tagesordnung<br />
gestanden und <strong>e<strong>in</strong>e</strong>n hohen Stellenwert gehabt.<br />
Deshalb haben sich Gesamtschulen auch gegen<br />
<strong>in</strong>nere und äußere Wi<strong>der</strong>stände weiterentwickelt, nur<br />
ihre Kritiker s<strong>in</strong>d auf dem Ausgangsniveau geblieben.<br />
Im Verlauf <strong>der</strong> ersten Gründungsperiode bis<br />
1976 wird die Lernfähigkeit <strong>der</strong> Systeme beson<strong>der</strong>s<br />
deutlich an konzeptionellen Fortschritten <strong>der</strong> jeweils<br />
nächsten Schulgründung. <strong>Für</strong> die vorläufig letzte Inte-<br />
grierte Gesamtschule, die 1975 <strong>in</strong> Gött<strong>in</strong>gen ihre<br />
Arbeit aufnahm, hatte die Planungsgruppe ihre Zeit <strong>in</strong><br />
so ausgezeichneter Weise genutzt, dass man mit Blick<br />
auf diese Georg-Christoph-Lichtenberg-Gesamtschule<br />
schon von <strong>e<strong>in</strong>e</strong>r Gesamtschule <strong>der</strong> zweiten Generation<br />
sprechen kann. Sie arbeitete <strong>in</strong> <strong>der</strong> Mittelstufe bereits<br />
konsequent als Jahrgangsteamschule, d.h. ausgerich-<br />
tet auf <strong>e<strong>in</strong>e</strong> verb<strong>in</strong>dliche Lehrerkooperation, sie fokus-<br />
sierte die Zusammenarbeit zwischen Lehrkräften,<br />
Eltern und Schülern <strong>in</strong> bee<strong>in</strong>drucken<strong>der</strong> Weise auf den<br />
Unterricht und die Erziehung, <strong>in</strong>dem regelmäßige<br />
Tischgruppenabende noch heute stattf<strong>in</strong>den, sie ent-<br />
wickelte e<strong>in</strong> schülerorientiertes Unterrichtskonzept,<br />
das mit fortgeschriebenen Elemente auch heute noch<br />
5 E<strong>in</strong>e Ausnahme bildete neben <strong>der</strong> IGS <strong>Für</strong>stenau z.B. die IGS Wolfsburg (He<strong>in</strong>rich-Nordhoff-Gesamtschule), die sich <strong>in</strong> und aus <strong>e<strong>in</strong>e</strong>m Schulzentrum<br />
mit Gymnasium, Realschule und Hauptschule entwickelte und wenigstens <strong>in</strong> Teilen auf vorhandene Kollegien zurück greifen konnte.<br />
Von <strong>der</strong> Lage im Stadtteil Wolfsburg-Westhagen unterschied sie sich allerd<strong>in</strong>gs wenig von <strong>der</strong> IGS Braunschweig-Weststadt (Wilhelm-Bracke-<br />
Gesamtschule) o<strong>der</strong> <strong>der</strong> IGS Hannover-Ro<strong>der</strong>bruch, <strong>der</strong> IGS Garbsen etc..<br />
6 Der für die Systemgrößenentscheidung ab 1970 verantwortliche Kultusm<strong>in</strong>ister Peter von Oertzen war im Nachh<strong>in</strong>e<strong>in</strong>, d.h. Ende <strong>der</strong> 80er Jahre,<br />
nicht <strong>in</strong> <strong>der</strong> Lage, die Gründe zu nennen. Auf <strong>e<strong>in</strong>e</strong>r Veranstaltung <strong>der</strong> Initiative für <strong>e<strong>in</strong>e</strong> zweite Gesamtschule <strong>in</strong> Braunschweig am 12.10.1988<br />
erläuterte er, er habe damals s<strong>e<strong>in</strong>e</strong>n Fachleuten im M<strong>in</strong>isterium vertraut, die die Achtzügigkeit, also acht Parallelklassen als M<strong>in</strong>destgröße für<br />
<strong>e<strong>in</strong>e</strong> kostenneutrale und dennoch ausgefächerte Leistungs- wie Neigungsdifferenzierung angesehen hätten.<br />
7 Um Missverständnisse zu vermeiden, sei betont, dass weitere <strong>in</strong>tegrierte Gesamtschulen <strong>in</strong> <strong>Nie<strong>der</strong>sachsen</strong> nach <strong>e<strong>in</strong>e</strong>m ähnlichen Konzept<br />
arbeiten und <strong>der</strong> IGS Franzsches Feld <strong>in</strong> vielen Bereichen qualitativ wenig nachstehen.
vorbildlich ersche<strong>in</strong>t. Die Erfolge <strong>der</strong> Gött<strong>in</strong>ger<br />
Gesamtschul-Schüler, z.B. hoher Anteil an höherwerti-<br />
gen Abschlüssen, s<strong>in</strong>d durch diese Konzeption und<br />
durch die für sie geschaffenen Rahmenbed<strong>in</strong>gungen<br />
(baulich und personell) zu erklären.<br />
Mit dem Regierungswechsel von 1976 und dem<br />
folgenden ersten Gesamtschulmoratorium wurde die-<br />
se positive Entwicklung gestoppt. Die vorhandenen<br />
Gesamtschulen blieben bestehen, erhielten jedoch im<br />
Rahmen <strong>e<strong>in</strong>e</strong>r Schulgesetznovelle neben den soge-<br />
nannten Regelschulen den zweitrangigen Status von<br />
Angebotsschulen. Die weitere quantitative Entwick-<br />
lung kam zum Erliegen.<br />
Die vorhandenen <strong>Schule</strong>n ließen sich jedoch<br />
von diesem Versuch <strong>e<strong>in</strong>e</strong>r Marg<strong>in</strong>alisierung wenig<br />
bee<strong>in</strong>druckend. Sie entwickelten sich weiter, steiger-<br />
ten damit die Nachfrage nach Gesamtschulplätzen<br />
und erzeugten so <strong>e<strong>in</strong>e</strong>n politischen Druck, <strong>der</strong> 1989,<br />
also vierzehn Jahre nach <strong>der</strong> Gründung des IGS Gött<strong>in</strong>-<br />
gen noch zu Zeiten <strong>der</strong> Albrecht-Regierung wie<strong>der</strong> zu<br />
<strong>e<strong>in</strong>e</strong>r Neugründung <strong>in</strong> Braunschweig führte, zur Grün-<br />
dung <strong>der</strong> IGS Franzsches Feld, die nun 18 Jahre später<br />
für ihr pädagogisches Konzept mit dem deutschen<br />
Schulpreis geehrt wird.<br />
6. E<strong>in</strong> Vorbild aus <strong>der</strong> Praxis – die<br />
IGS Franzsches Feld als Träger<strong>in</strong><br />
des Deutschen Schulpreises 2006<br />
Die IGS Franzsches Feld wird hier als Beispiel für den<br />
Stand <strong>der</strong> nie<strong>der</strong>sächsischen Gesamtschulentwicklung<br />
vorgestellt, an die die Geme<strong>in</strong>same <strong>Schule</strong> anknüpfen<br />
sollte 7 .<br />
Der deutsche Schulpreis bewertet nach den folgenden<br />
sechs Kriterien die Güte <strong>e<strong>in</strong>e</strong>r <strong>Schule</strong>:<br />
1. die Leistungen <strong>der</strong> Schüler<strong>in</strong>nen und Schüler<br />
2. <strong>der</strong> Umgang mit <strong>der</strong> Vielfalt<br />
3. die Unterrichtsqualität<br />
4. Verantwortung übernehmen<br />
5. das Schulklima, Schulleben und außerschulische<br />
Partner<br />
6. die <strong>Schule</strong> als lernende Institution.<br />
Diese Kriterien wurden von <strong>e<strong>in</strong>e</strong>r Jury bei<br />
Inspektionsbesuchen überprüft und die Zielerreichung<br />
bewertet.<br />
Sie genießt aufgrund ihres Konzeptes sowie des<br />
beson<strong>der</strong>s engagierten Kollegiums <strong>e<strong>in</strong>e</strong>n außerordent-<br />
lich guten Ruf. Es ist deshalb ke<strong>in</strong> Zufall, dass sie 2006<br />
als e<strong>in</strong>zige nie<strong>der</strong>sächsische <strong>Schule</strong> durch den Bundes-<br />
präsidenten mit dem Deutschen Schulpreis geehrt<br />
wurde. In <strong>der</strong> Laudatio hieß es u.a.:<br />
„Die IGS Franzsches Feld bietet lebendige<br />
Anschauung dafür, wie <strong>e<strong>in</strong>e</strong> humane Leistungsgesell-<br />
schaft aussehen könnte, und wie gut es Jung und Alt<br />
dabei geht, weil es gel<strong>in</strong>gt, unterschiedliche anspruchs-<br />
volle Ziele zugleich zu verfolgen: Die Entfaltung <strong>in</strong>divi-<br />
dueller Fähigkeiten, aber auch Verantwortung für<br />
<strong>geme<strong>in</strong>same</strong> Aufgaben, für Schwächere o<strong>der</strong> Jüngere,<br />
entschiedenes Leistungsstreben, aber auch die tätige<br />
Sorge dafür, dass niemand verloren geht und dass nicht<br />
durch die Herkunft über die Zukunft entschieden wird.<br />
Wie das geht? Durch <strong>e<strong>in</strong>e</strong> ausbalancierte<br />
Mischung aus <strong>in</strong>nerer und äußerer Differenzierung,<br />
durch lerndiagnostische Begleitung und För<strong>der</strong>ung,<br />
durch regelmäßige Evaluation, durch ausgewogene<br />
Arbeitse<strong>in</strong>heiten. Dazu gehören aber auch die Lehrer-<br />
fortbildung, die Partnerschaft mit an<strong>der</strong>en pädagogi-<br />
schen Experten und mit Spitzenleuten und Institutio-<br />
nen aus Wirtschaft, Sport, Kunst o<strong>der</strong> Wissenschaft.<br />
Die IGS Franzsches Feld ersche<strong>in</strong>t auf so selbst-<br />
verständliche und grundlegende Weise leistungsstark<br />
und demokratisch, dass man übersehen könnte, was<br />
dah<strong>in</strong>ter steckt: pädagogische Professionalität.“<br />
Die Entstehung dieser <strong>Schule</strong> kann im Vergleich<br />
zu den landesseitig betriebenen Gesamtschulgründun-<br />
gen <strong>der</strong> 70er Jahre ungewöhnlich genannt werden.<br />
Wurde zum Beispiel 1973 bis 1975 <strong>in</strong> Gött<strong>in</strong>gen die<br />
Planungsgruppe <strong>der</strong> IGS außerordentlich großzügig<br />
mit Personalmitteln ausgestattet und zudem von <strong>e<strong>in</strong>e</strong>r<br />
landesseitig f<strong>in</strong>anzierten wissenschaftlichen Arbeits-<br />
gruppe unter Prof. Herrlitz nachhaltig unterstützt, g<strong>in</strong>g<br />
<strong>der</strong> Gründung <strong>der</strong> IGS Franzsches Feld <strong>e<strong>in</strong>e</strong> dreijährige<br />
Vorbereitung durch <strong>e<strong>in</strong>e</strong> Bürger<strong>in</strong>itiative voraus. In ihr<br />
2 1
wirkten, ehrenamtlich, erfahrene Lehrkräfte aller<br />
Schulformen, auch <strong>der</strong> bereits vorhandener Gesamt-<br />
schulen sowie engagierte Eltern mit, die <strong>e<strong>in</strong>e</strong>n<br />
Gesamtschulplatz für ihre K<strong>in</strong><strong>der</strong> erkämpfen wollten.<br />
Den ersten Schwerpunkt <strong>der</strong> Arbeit bildete <strong>e<strong>in</strong>e</strong><br />
Bestandsaufnahme <strong>der</strong> Gesamtschulentwicklung <strong>in</strong><br />
<strong>Nie<strong>der</strong>sachsen</strong> und im Bundesgebiet, die mit mehreren<br />
Exkursionen (u.a. Helene-Lange-<strong>Schule</strong> <strong>in</strong> Wiesbaden,<br />
Offene <strong>Schule</strong> Kassel-Waldau, Georg-Christoph-Lich-<br />
tenberg-Gesamtschule <strong>in</strong> Kassel, IGS Köln-Holweide)<br />
verbunden war.<br />
Aus <strong>der</strong> Bestandsaufnahme abgeleitet wurde<br />
e<strong>in</strong> pädagogisches Konzept, <strong>in</strong> das auch Elemente <strong>der</strong><br />
deutschen Reformpädagogik e<strong>in</strong>flossen. Sie f<strong>in</strong>den<br />
sich zum Beispiel <strong>in</strong> <strong>der</strong> Tages- und Wochenstruktur<br />
Baust<strong>e<strong>in</strong>e</strong> <strong>der</strong> Jenaplan-<strong>Schule</strong> Peter Petersens wie<strong>der</strong>.<br />
Das Konzept wurde 1988 <strong>in</strong> Broschürenform vorgelegt<br />
wurde. Da mehrere Mitglie<strong>der</strong> <strong>der</strong> Bürger<strong>in</strong>itiative ab<br />
1989 <strong>in</strong> Schulleitung und Kollegium o<strong>der</strong> als Elternver-<br />
treter Verantwortung übernahmen, gelang <strong>e<strong>in</strong>e</strong> sehr<br />
weitgehende Realisierung des geme<strong>in</strong>sam erarbeite-<br />
ten Konzeptes mit dem jährlich wachsenden Kollegi-<br />
um, das sich an<strong>der</strong>s als bei den ersten Gesamtschul-<br />
gründungen aus durchweg erfahrenen Lehrkräften<br />
aller Schulformen zusammensetzte.<br />
Als konzeptionell-konstitutive Elemente <strong>der</strong><br />
<strong>Schule</strong> können heute folgende Punkte genannt wer-<br />
den, wobei <strong>der</strong> Vollständigkeit halber erwähnt wird,<br />
dass die IGS Franzsches Feld wie alle <strong>in</strong>tegrierten<br />
Gesamtschulen <strong>in</strong> <strong>Nie<strong>der</strong>sachsen</strong> auf das Instrument<br />
des Sitzenbleibens ebenso verzichtet wie auf das soge-<br />
nannte Abschulen, also die ‚Überweisung’ <strong>e<strong>in</strong>e</strong>s Schü-<br />
lers an <strong>e<strong>in</strong>e</strong> an<strong>der</strong>e Schulform aufgrund schlechter<br />
schulischer Leistungen.<br />
• Die Grundorganisation <strong>der</strong> <strong>Schule</strong> erfolgt als vier-<br />
2 2<br />
zügige Jahrgangsteamschule. Jeweils 4 Klassen<br />
bilden <strong>e<strong>in</strong>e</strong> pädagogische E<strong>in</strong>heit, die von <strong>e<strong>in</strong>e</strong>m<br />
Lehrerteam von Klasse 5 – Klasse 10 verantwortlich<br />
begleitet wird. Kern <strong>e<strong>in</strong>e</strong>s Jahrgangsteams s<strong>in</strong>d<br />
jeweils zwei Tutoren je Klasse (möglichst <strong>e<strong>in</strong>e</strong><br />
Lehrer<strong>in</strong> und e<strong>in</strong> Lehrer). H<strong>in</strong>zutreten Fachlehrkräf-<br />
te, die mit Vorrang <strong>in</strong> diesem Jahrgang unterrich-<br />
ten und <strong>in</strong> die <strong>geme<strong>in</strong>same</strong> Planung (Jahresarbeits-<br />
plan siehe Anhang A) ebenfalls e<strong>in</strong>gebunden s<strong>in</strong>d.<br />
Die Jahrgangsteams werden durch <strong>e<strong>in</strong>e</strong>n Jahr-<br />
gangsleiter bzw. <strong>e<strong>in</strong>e</strong> Jahrgangsleiter<strong>in</strong> geleitet.<br />
• Intensive Lehrerkooperation durch regelmäßige<br />
Planungsarbeit <strong>der</strong> Jahrgangsteams am Freitag-<br />
nachmittag.<br />
• Unterstützung <strong>der</strong> Lehrkräfte durch pädagogi-<br />
sche Mitarbeiter (Sozialpädagoge, Erzieher<strong>in</strong>),<br />
<strong>der</strong>en Kompetenz und Mitarbeit im Bereich des<br />
sozialen Lernens sowie <strong>in</strong>dividueller Beratung<br />
außerordentlich geschätzt wird.<br />
• Die <strong>Schule</strong> wird durch <strong>e<strong>in</strong>e</strong> vierköpfige kollegiale<br />
Schulleitung (Schulleiter, stellv. Schulleiter<strong>in</strong>,<br />
didaktische Leiter<strong>in</strong>, Leiter<strong>in</strong> <strong>der</strong> gymnasialen Ober-<br />
stufe) geführt. Bei durchaus herausgehobener<br />
Schulleiterfunktion wird Delegation von Verantwor-<br />
tung <strong>in</strong> vertrauensvoller Kooperation praktiziert.<br />
• E<strong>in</strong>en Schwerpunkt <strong>der</strong> Unterrichtsarbeit bilden die<br />
fächerübergreifenden Vorhaben (siehe Anhang A).<br />
Das s<strong>in</strong>d themen- und schülerorientierte Unter-<br />
richtsphasen, <strong>in</strong> denen die beteiligten Fächer eng<br />
zusammenarbeiten und die Fachgrenzen auch<br />
organisatorisch zum Teil aufgehoben werden. In<br />
jedem Jahrgang wird pro Schulhalbjahr e<strong>in</strong> fächer-<br />
übergreifendes Vorhaben realisiert, das <strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel<br />
mehrere Wochen dauert.<br />
• Die <strong>Schule</strong> wird als Ganztagsschule geführt und<br />
zwar an 3 Tagen <strong>der</strong> Woche (Montag, Mittwoch,<br />
Donnerstag) mit verpflichtendem ganztägigen<br />
Unterricht zwischen 07.45 und 15.45 Uhr. Am<br />
Dienstagnachmittag werden Arbeitsgeme<strong>in</strong>schaf-<br />
ten angeboten. Am Freitag endet die <strong>Schule</strong> mit-<br />
tags. Die <strong>Schule</strong> wird mit <strong>e<strong>in</strong>e</strong>m Klassenrat <strong>in</strong> <strong>e<strong>in</strong>e</strong>r<br />
Tutoren-Stunde e<strong>in</strong>geleitet und am Freitagmittag<br />
mit <strong>e<strong>in</strong>e</strong>m Klassenrat beendet. In <strong>der</strong> Mittagspause<br />
wird das Essen <strong>in</strong> den Jahrgängen 5 – 7, d.h. im<br />
Klassenverband geme<strong>in</strong>sam mit <strong>e<strong>in</strong>e</strong>r Lehrkraft e<strong>in</strong>-<br />
genommen. In den Jahrgängen 8-10 ist die Teilnah-<br />
me am Essen freiwillig. Das <strong>geme<strong>in</strong>same</strong> Essen hat<br />
<strong>e<strong>in</strong>e</strong>n hohen Stellenwert im sozialen Leben <strong>der</strong>
<strong>Schule</strong>, weshalb geme<strong>in</strong>sam aufgedeckt, gegessen<br />
und anschließend abgeräumt wird. Die Mensa wird<br />
kostendeckend durch <strong>e<strong>in</strong>e</strong>m ‚Eigenbetrieb’ (Essens-<br />
vere<strong>in</strong>) <strong>der</strong> <strong>Schule</strong> geführt.<br />
Im Rahmen des Ganztagsbetriebes wird e<strong>in</strong> För-<br />
<strong>der</strong>konzept realisiert, <strong>in</strong> dem <strong>in</strong> sogenannten<br />
Arbeits- und Übungsstunden unterschiedliche<br />
Aufgabenstellungen des übenden Lernens sowie<br />
<strong>der</strong> Schülerfreiarbeit ihren Raum f<strong>in</strong>den (siehe<br />
Anhang B).<br />
• Die <strong>Schule</strong> verfügt über e<strong>in</strong> beson<strong>der</strong>es Konzept<br />
<strong>der</strong> Differenzierung (siehe Anhang C), <strong>in</strong>dem mit<br />
Zustimmung <strong>der</strong> Kultusm<strong>in</strong>isterkonferenz die<br />
äußere Leistungsdifferenzierung <strong>in</strong> den Fächern<br />
Mathematik, Englisch und <strong>in</strong> den Naturwissen-<br />
schaften flexibel gehandhabt wird, d.h. es gibt<br />
neben Phasen des Lernens <strong>in</strong> leistungsdifferenzier-<br />
ten Kursen auch Phasen des <strong>geme<strong>in</strong>same</strong>n Lernens<br />
im Klassenverband. Im Fach Deutsch f<strong>in</strong>det die Lei-<br />
stungsdifferenzierung klassen<strong>in</strong>tern statt, es wer-<br />
den unterschiedliche Anfor<strong>der</strong>ungen gestellt, die<br />
auch <strong>in</strong> verschiedenen Klassenarbeiten mit unter-<br />
schiedlichen Anfor<strong>der</strong>ungen münden. Die Bewer-<br />
tung orientiert sich hier am gewählten Anforde-<br />
rungsniveau.<br />
• Neben den herkömmlichen und vorgeschriebenen<br />
Formen <strong>der</strong> Leistungskontrolle durch Klassenarbei-<br />
ten werden weitere Formen <strong>der</strong> Leistungsüber-<br />
prüfung praktiziert und entwickelt. Die Schüler<strong>in</strong>-<br />
nen und Schüler sowie ihre Eltern erhalten<br />
halbjährlich detaillierte Rückmeldungen zu Lern-<br />
fortschritten und -defiziten <strong>in</strong> den e<strong>in</strong>zelnen<br />
Fächern <strong>in</strong> Form <strong>e<strong>in</strong>e</strong>s umfangreichen Lernent-<br />
wicklungsberichtes (siehe Anhänge D, E, F), <strong>der</strong><br />
aus Lehrerbrief an den Schüler, Antwortbrief des<br />
Schülers sowie den Fachbögen besteht.<br />
• Die Selbste<strong>in</strong>schätzung <strong>der</strong> Schüler<strong>in</strong>nen und Schü-<br />
ler ist e<strong>in</strong> zentraler Bestandteil auf dem Weg zum<br />
selbstgesteuerten Lernen. Von <strong>der</strong> Auswahl von<br />
Aufgaben, über Selbste<strong>in</strong>stufung zu Kursen <strong>in</strong> den<br />
flexiblen Differenzierungsphasen bis zur Eigenbeur-<br />
teilung sogar <strong>in</strong> Lernentwicklungsberichten (siehe<br />
Anhänge G, H, I) s<strong>in</strong>d die Selbste<strong>in</strong>schätzungen<br />
von hoher Bedeutung beim <strong>in</strong>dividuellen Lernpro-<br />
zess und dienen zur Stärkung <strong>der</strong> eigenen Persön-<br />
lichkeit.<br />
• Eltern und Schüler s<strong>in</strong>d über e<strong>in</strong> Modell <strong>der</strong> erwei-<br />
terten Mitbestimmung e<strong>in</strong>gebunden. In <strong>der</strong><br />
Gesamtkonferenz bilden die Lehrkräfte <strong>e<strong>in</strong>e</strong> Grup-<br />
pe mit 50% <strong>der</strong> Stimmen. Jeweils weitere 25% ste-<br />
hen den Eltern- bzw. Schülervertretern zu. Jede<br />
Klasse entsendet <strong>e<strong>in</strong>e</strong>n Elternvertreter und <strong>e<strong>in</strong>e</strong>n<br />
Schülervertreter <strong>in</strong> die Gesamtkonferenz.<br />
• Die gymnasiale Oberstufe <strong>der</strong> <strong>Schule</strong> wird als vier-<br />
zügige themenbezogene Profiloberstufe geführt.<br />
Etwa 60% ihrer Schüler<strong>in</strong>nen und Schüler wech-<br />
seln am Ende <strong>der</strong> 10. Klasse <strong>in</strong> diese Schulstufe.<br />
Zusätzlich werden erfolgreiche Absolventen ande-<br />
rer <strong>Schule</strong>n aufgenommen.<br />
<strong>Für</strong> die 120 Schülerplätze <strong>e<strong>in</strong>e</strong>s jeden neuen 5.<br />
Jahrgangs bewerben sich seit nunmehr 15 Jahren jähr-<br />
lich zwischen 250 und 300 Eltern. Die IGS Franzsches<br />
Feld ist <strong>e<strong>in</strong>e</strong> Gesamtschule im wahrsten S<strong>in</strong>ne des<br />
Wortes, d.h. sie wird <strong>in</strong> den Jahrgängen 5 – 13 von<br />
K<strong>in</strong><strong>der</strong>n und Jugendlichen aller sozialen Schichten<br />
besucht, die Anteile schulisch leistungsstarker und lei-<br />
stungsschwacher Schüler<strong>in</strong>nen und Schüler s<strong>in</strong>d reprä-<br />
sentativ für den jeweiligen Gesamtjahrgang <strong>der</strong> Stadt.<br />
Solche maximal vierzügigen Gesamtschulen <strong>der</strong><br />
zweiten Generation, von denen es <strong>in</strong> <strong>Nie<strong>der</strong>sachsen</strong><br />
mehrere gibt, sollten <strong>der</strong> Ausgangspunkt für zukünfti-<br />
ge Weiterentwicklungen se<strong>in</strong>.<br />
Nur solche <strong>Schule</strong>n, die die reformpädagogi-<br />
schen Traditionen weiterführen und gleichzeitig nach<br />
fachlicher Brillanz und Spitzenleistungen streben,<br />
haben die Chance <strong>e<strong>in</strong>e</strong> Alternative zu den <strong>Schule</strong>n des<br />
geglie<strong>der</strong>ten Systems zu se<strong>in</strong>.<br />
Die zukünftige Geme<strong>in</strong>same <strong>Schule</strong> muss,<br />
beson<strong>der</strong>s aus <strong>der</strong> Sicht <strong>der</strong> Eltern, die positiven gym-<br />
nasialen Qualitäten realisieren und zugleich auf <strong>e<strong>in</strong>e</strong><br />
frühe Auslese, auf eher stigmatisierende als analysie-<br />
rende Ziffernzeugnisse und das überholte Instrument<br />
des Sitzenbleibens und Abschulens verzichten. Sie hat<br />
2 3
sich, wie diese Gesamtschulen es tun, <strong>der</strong> Heterogeni-<br />
tät ihrer Schüler anzunehmen und die Vielfalt nicht als<br />
Belastung, son<strong>der</strong>n als <strong>e<strong>in</strong>e</strong> Bereicherung anzusehen.<br />
So könnten die Geme<strong>in</strong>samen <strong>Schule</strong>n neuzeitliche<br />
Reformschulen werden, <strong>der</strong>en Lehrkräfte <strong>in</strong> <strong>der</strong> Lage<br />
s<strong>in</strong>d, diesem Anfor<strong>der</strong>ungsprofil zu entsprechen.<br />
Wenn man <strong>e<strong>in</strong>e</strong> Geme<strong>in</strong>same <strong>Schule</strong> als erset-<br />
zende <strong>Schule</strong> langfristig wirklich will, ist es auch unab-<br />
d<strong>in</strong>gbar, die Lehrerausbildung zu verän<strong>der</strong>n.<br />
Die gegenwärtigen Ausbildungsgänge s<strong>in</strong>d auf<br />
die Unterrichtstätigkeit an den <strong>Schule</strong>n des geglie<strong>der</strong>-<br />
ten Schulsystems ausgerichtet. Viele frisch ausgebilde-<br />
te Gymnasial- und Realschullehrer/-<strong>in</strong>nen lehnen des-<br />
halb zurzeit die Arbeit an <strong>e<strong>in</strong>e</strong>r Integrierten<br />
Gesamtschule. Die Tätigkeit an <strong>e<strong>in</strong>e</strong>r Geme<strong>in</strong>samen<br />
<strong>Schule</strong> stellt an die Lehrkräfte weitergehende Kompe-<br />
tenzen im H<strong>in</strong>blick auf Kooperation, Lerndiagnostik,<br />
Beratung, Lernorganisation und an den Umgang mit<br />
unterschiedlich befähigten Schüler/-<strong>in</strong>nen und Schü-<br />
lergruppen als die <strong>der</strong>zeitige Ausbildung von Lehrkräf-<br />
ten <strong>in</strong> <strong>der</strong> 1. und 2. Ausbildungsphase vorsieht. Wich-<br />
tige Voraussetzung bleiben nach wie vor brillante<br />
fachliche und fachdidaktische Kompetenzen.<br />
Vor allem aber müssen die Lehrkräfte erfüllt se<strong>in</strong><br />
von <strong>e<strong>in</strong>e</strong>r großen und anhaltenden Begeisterung für<br />
die von ihnen zu behandelnden Probleme und Fragen.<br />
Nur dann können sie erfolgreich se<strong>in</strong>.<br />
An den vergleichbaren Gesamtschulen arbeiten<br />
bereits heute solche Lehrer<strong>in</strong>nen und Lehrer. Lehrkräf-<br />
te, die sich freiwillig <strong>der</strong> Aufgabe stellen, auf die Viel-<br />
falt ihrer Schüler mit <strong>e<strong>in</strong>e</strong>m Unterricht zu antworten,<br />
<strong>der</strong> nicht den Gleichschritt, son<strong>der</strong>n die Lernentwick-<br />
lung des e<strong>in</strong>zelnen K<strong>in</strong>des <strong>in</strong> den Vor<strong>der</strong>grund stellt.<br />
Es gibt solche Lehrkräfte natürlich auch <strong>in</strong> den<br />
<strong>Schule</strong>n des geglie<strong>der</strong>ten Systems. Ihr pädagogisches<br />
Wirken wird jedoch durch die separierenden Struktu-<br />
ren begrenzt. Sie s<strong>in</strong>d dort häufig E<strong>in</strong>zelkämpfer, d.h.<br />
konzeptionell und systemisch nicht e<strong>in</strong>gebunden.<br />
2 4<br />
7. E<strong>in</strong>e pädagogische<br />
Zielkonzeption <strong>der</strong> Geme<strong>in</strong>samen<br />
<strong>Schule</strong><br />
Die Geme<strong>in</strong>same <strong>Schule</strong> gibt es noch nicht. Es ist<br />
daher zu fragen, wie diese <strong>Schule</strong> aussehen sollte,<br />
damit sie überzeugen kann.<br />
Zwar existiert im Beschluss des Landesparteita-<br />
ges <strong>der</strong> SPD ke<strong>in</strong> Anfor<strong>der</strong>ungskatalog, aber <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />
Broschüre „Zukunft <strong>der</strong> Bildung“ <strong>der</strong> Landtagsfraktion<br />
werden organisatorische und <strong>in</strong>haltliche Anfor<strong>der</strong>un-<br />
gen formuliert, die deutlich machen, dass mit <strong>der</strong><br />
Geme<strong>in</strong>samen <strong>Schule</strong> e<strong>in</strong> klar def<strong>in</strong>iertes pädagogi-<br />
sches Konzept verbunden se<strong>in</strong> soll.<br />
Wenn wir <strong>in</strong> diesem Zusammenhang von den<br />
besten Gesamtschulkonzepten ausgehen, die <strong>in</strong> Nie<strong>der</strong>-<br />
sachsen existieren, so kann man sie als Grundlage für<br />
<strong>e<strong>in</strong>e</strong> solche Konzeption nehmen. Ihre konstitutiven Ele-<br />
mente wurden im vorigen Kapitel vorgestellt. Da sich nur<br />
<strong>e<strong>in</strong>e</strong> begrenzte Anzahl von <strong>Schule</strong>n <strong>in</strong> <strong>Nie<strong>der</strong>sachsen</strong><br />
auf diesem Entwicklungsstand bef<strong>in</strong>den, wird man Schu-<br />
len, die zur Geme<strong>in</strong>samen <strong>Schule</strong> entwickelt werden sol-<br />
len, verpflichten müssen, schrittweise die oben aufge-<br />
führten konstitutiven Elemente <strong>der</strong> Integrierten Ge-<br />
samtschulen Franzsches Feld, <strong>in</strong> die Praxis umzusetzen.<br />
<strong>Schule</strong>n, die sich <strong>in</strong> <strong>e<strong>in</strong>e</strong>r Zielvere<strong>in</strong>barung ver-<br />
pflichten, dieses Konzept Schritt für Schritt zu realisie-<br />
ren und weiter zu entwickeln, dürfen die Bezeichnung<br />
Geme<strong>in</strong>same <strong>Schule</strong> führen. Alle an<strong>der</strong>en <strong>Schule</strong>n blei-<br />
ben für <strong>e<strong>in</strong>e</strong>n nicht def<strong>in</strong>ierten Zeitraum das, was sie<br />
s<strong>in</strong>d: Hauptschule, Realschule, Gymnasium, Integrierte<br />
Gesamtschule, Kooperative Gesamtschule. Sie bleiben<br />
es zu den gesetzlich vorgegebenen Rahmenbed<strong>in</strong>gun-<br />
gen für alle <strong>Schule</strong>n. Und sie bleiben es, solange sie<br />
seitens <strong>der</strong> Eltern nachgefragt werden.<br />
Da für alle nie<strong>der</strong>sächsischen <strong>Schule</strong>n künftig<br />
Schulprogrammarbeit als wichtiges Element <strong>der</strong> Schul-<br />
entwicklung, Selbstevaluation, Inspektion, und die Ori-<br />
entierung des Unterrichts an den nationalen Bildungs-<br />
standards bereits ebenso gesetzlich verpflichtend s<strong>in</strong>d
wie die allmähliche Entwicklung zur eigenverantwort-<br />
lichen <strong>Schule</strong>, müssen diese Elemente, die bestehen<br />
bleiben bzw. verbessert werden, als Beson<strong>der</strong>heit <strong>der</strong><br />
Geme<strong>in</strong>samen <strong>Schule</strong> hier nicht noch e<strong>in</strong>mal genannt<br />
werden. Das gleiche gilt für die im Programmbeschluss<br />
<strong>der</strong> SPD genannte und für alle <strong>Schule</strong>n geplante Maß-<br />
nahme des Verbotes des Sitzensbleibens wie <strong>der</strong><br />
Abschulung.<br />
Die Geme<strong>in</strong>same <strong>Schule</strong>, die <strong>in</strong> jedem Fall als<br />
Ganztagsschule mit nachmittäglichem Pflichtunter-<br />
richt an m<strong>in</strong>destens zwei Tagen (2+2 Modell gem.<br />
Ganztagserlass vom März 2003) geführt wird, zeich-<br />
net sich demnach durch folgende konzeptionelle Ele-<br />
mente aus, die <strong>e<strong>in</strong>e</strong>n wichtigen Teil ihres Schulpro-<br />
gramms darstellen.<br />
Die Zielkonzeption:<br />
• Die Entwicklung verb<strong>in</strong>dlicher Strukturen <strong>der</strong><br />
Lehrerkooperation;<br />
• E<strong>in</strong> För<strong>der</strong>konzept, das neue Formen des <strong>in</strong>di-<br />
vidualisierten Lernens e<strong>in</strong>schließt;<br />
• E<strong>in</strong> Differenzierungskonzept, das unterschied-<br />
liche Formen <strong>der</strong> äußeren Differenzierung mit<br />
Wegen <strong>der</strong> Neigungs- und Wahldifferenzie-<br />
rung verb<strong>in</strong>det;<br />
• E<strong>in</strong> Unterrichtskonzept, das unterschiedliche<br />
Arbeitsformen vom Lehrgangsunterricht über<br />
Gruppenarbeit, Partnerarbeit, Projektunter-<br />
richt bis h<strong>in</strong> zu Arbeits- und Übungsstunden<br />
und freiem Arbeiten systematisch <strong>in</strong> alle<br />
Fächer und Jahrgänge e<strong>in</strong>bezieht;<br />
• Entwicklung <strong>e<strong>in</strong>e</strong>s schulischen Konzeptes zum<br />
sozialen Lernen, <strong>in</strong> dem die beson<strong>der</strong>e Kom-<br />
petenz pädagogischer Mitarbeiter gezielt e<strong>in</strong>-<br />
gesetzt wird;<br />
• Die Entwicklung neuer Formen <strong>der</strong> Leistungs-<br />
messung und Leistungsbewertung, <strong>in</strong> denen<br />
die Selbste<strong>in</strong>schätzung und Selbstreflexion<br />
<strong>der</strong> Schüler<strong>in</strong>nen und Schüler mit dem Alter<br />
zunehmend an Bedeutung gew<strong>in</strong>nt. Geme<strong>in</strong>-<br />
same <strong>Schule</strong>n verzichten auf das ungenaue<br />
Bewertungs<strong>in</strong>strument <strong>der</strong> Ziffer-noten und<br />
Ziffernzeugnisse;<br />
• Entwicklung <strong>e<strong>in</strong>e</strong>s Ganztagsschulkonzeptes<br />
mit <strong>e<strong>in</strong>e</strong>r pädagogisch begründeten Struktur<br />
<strong>der</strong> Schulwoche wie des Schultages und <strong>der</strong><br />
Gestaltung <strong>der</strong> <strong>Schule</strong> als Lebensraum;<br />
• Entwicklung <strong>e<strong>in</strong>e</strong>s schulischen Personalent-<br />
wicklungskonzept, das Fort- und Weiterbil-<br />
dungsbedarf e<strong>in</strong>schließt;<br />
• Erweiterte Mitbestimmung <strong>der</strong> Eltern und<br />
Schüler <strong>in</strong> den Schulgremien.<br />
Auf dem Weg zur Geme<strong>in</strong>samen <strong>Schule</strong> muss<br />
auf diesen Arbeitsfel<strong>der</strong>n das Rad nicht <strong>in</strong> je<strong>der</strong> Schu-<br />
le neu erfunden werden. Was <strong>in</strong> den „Gesamtschulen<br />
<strong>der</strong> 2. Generation“ bereits erarbeitet wurde, ist e<strong>in</strong><br />
gutes Fundament.<br />
Dieses Fundament zu gründen, wird <strong>in</strong> den mei-<br />
sten <strong>Schule</strong>n für Jahre Zeit und Kraft kosten. Gleichzei-<br />
tig muss ihnen die Möglichkeit gegeben werden,<br />
gefundene Lösungen nicht nur nachzuahmen, son-<br />
<strong>der</strong>n weiter zu entwickeln o<strong>der</strong> neue Lösungen zu f<strong>in</strong>-<br />
den. E<strong>in</strong> solcher Prozess erfor<strong>der</strong>t Geduld, Zeit und<br />
Unterstützung. Diese Unterstützung des Landes müs-<br />
sen die <strong>Schule</strong>n, die sich auf diesen Zukunftsweg<br />
machen deutlicher erfahren, als <strong>Schule</strong>n, die sich ihm<br />
verweigern.<br />
8. E<strong>in</strong> Blick <strong>in</strong> Zukunft:<br />
Überlegungen und Ansätze zur<br />
Weiterentwicklung des<br />
<strong>in</strong>dividuellen Lernens<br />
Die Überlegenheit <strong>der</strong> Organisation <strong>der</strong> Lernprozesse<br />
für Schüler<strong>in</strong>nen und Schüler <strong>in</strong> <strong>der</strong> Integrierten<br />
Gesamtschule gegenüber dem geglie<strong>der</strong>ten Schulsys-<br />
tem liegt dar<strong>in</strong>, dass für die e<strong>in</strong>zelne Schüler<strong>in</strong> und den<br />
e<strong>in</strong>zelnen Schüler <strong>e<strong>in</strong>e</strong> größere Vielfalt des Lernange-<br />
botes vom Inhalt und Anfor<strong>der</strong>ungsniveau her besteht<br />
als am Gymnasium, <strong>der</strong> Realschule und <strong>der</strong> Haupt-<br />
schule. <strong>Für</strong> jede e<strong>in</strong>zelne Schüler<strong>in</strong> und jeden Schüler<br />
ist dadurch <strong>e<strong>in</strong>e</strong> <strong>in</strong>dividuell besser angepasste Schul-<br />
laufbahn möglich als an den <strong>Schule</strong>n des geglie<strong>der</strong>ten<br />
Schulsystems.<br />
2 5
Dies wird nach den gültigen Organisationserlas-<br />
sen für die Integrierten Gesamtschulen <strong>in</strong> Nie<strong>der</strong>sach-<br />
sen nicht nur durch die Wahlmöglichkeit von verschie-<br />
denen Fremdsprachen, von Technik auch für Leis-<br />
tungsstarke, durch die Wahl von Wahlpflichtbereichs-<br />
schwerpunkten möglich, son<strong>der</strong>n auch dadurch, dass<br />
<strong>in</strong> den Fächern Deutsch, Englisch, Mathematik und<br />
Naturwissenschaften Fachleistungskurse unterschiedli-<br />
chen Anfor<strong>der</strong>ungsniveaus besucht werden können,<br />
wobei das Anfor<strong>der</strong>ungsniveau bei den e<strong>in</strong>zelnen<br />
Fächern unterschiedlich gewählt werden kann. Dies ist<br />
an Gymnasium und <strong>der</strong> Realschule nicht möglich.<br />
Dadurch dass an <strong>der</strong> Integrierten Gesamtschule<br />
an die Schüler<strong>in</strong>nen und Schüler <strong>in</strong> verschiedenen Lern-<br />
bereichen unterschiedliche hohe Anfor<strong>der</strong>ungen ge-<br />
stellt werden können, haben sie größere Chancen,<br />
bestätigende Lernerfolge zu erreichen. Wenn die an die<br />
Schüler<strong>in</strong>nen und Schüler gestellten Lernanfor<strong>der</strong>ungen<br />
eher ihrem Lernfortschritt folgen, besteht die Möglich-<br />
keit, dass Kenntnisse, Fertigkeiten und Fähigkeiten bes-<br />
ser aufe<strong>in</strong>an<strong>der</strong> aufbauend erworben werden und auf<br />
diese Weise nachhaltigeres Lernen stattf<strong>in</strong>det.<br />
Schüler<strong>in</strong>nen und Schüler am Gymnasium und<br />
<strong>in</strong> <strong>der</strong> Realschule müssen i. d. R. die Schulform wech-<br />
seln, wenn sie <strong>in</strong> zwei o<strong>der</strong> mehr Fächern über mehre-<br />
re Schuljahre h<strong>in</strong>weg das gymnasiale o<strong>der</strong> realschulre-<br />
levante M<strong>in</strong>destanfor<strong>der</strong>ungsniveau nicht erfüllen<br />
können (mehrfache Klassenwie<strong>der</strong>holung, Abschu-<br />
lung). Nach dem Wechsel <strong>der</strong> Schulform vom Gymna-<br />
sium <strong>in</strong> die Realschule o<strong>der</strong> von <strong>der</strong> Real- <strong>in</strong> die Haupt-<br />
schule werden sie dann auch <strong>in</strong> Fächern auf dem<br />
niedrigeren Anfor<strong>der</strong>ungsniveau unterrichtet, <strong>in</strong> denen<br />
sie jedoch zuvor die gymnasialen o<strong>der</strong> realschulrele-<br />
vanten Anfor<strong>der</strong>ungen erfüllt haben.<br />
Auch dass das Fehlen bestimmter Basiskompe-<br />
tenzen (z. B. sich mündlich nicht beteiligen können,<br />
Aufmerksamkeitsstörungen, Störungen im Gruppen-<br />
und Arbeitsverhalten – dauerhaft o<strong>der</strong> temporär –)<br />
führt trotz vorhandener ausreichen<strong>der</strong> <strong>in</strong>tellektueller<br />
Fähigkeiten nicht selten zum Wechsel vom Gymnasi-<br />
um <strong>in</strong> die Realschule und /o<strong>der</strong> von <strong>der</strong> Realschule <strong>in</strong><br />
die Hauptschule.<br />
2 6<br />
<strong>Für</strong> den Unterricht an den Integrierten Gesamt-<br />
schulen, <strong>der</strong> nicht <strong>in</strong> Form von Fachleistungskursen<br />
stattf<strong>in</strong>det, wurden <strong>in</strong> <strong>der</strong> Vergangenheit auf Grund<br />
<strong>der</strong> offensichtlich vorhandenen Heterogenität <strong>der</strong><br />
Lerngruppen vielfältige b<strong>in</strong>nendifferenzierende For-<br />
men entwickelt, e<strong>in</strong>geführt und laufend weiter ent-<br />
wickelt. Diese wurden <strong>in</strong>zwischen an vielen <strong>in</strong>tegrier-<br />
ten Gesamtschulen auf fast alle Lernbereiche (Fächer,<br />
fachübergreifende Angebote, Projektunterricht) aus-<br />
gedehnt.<br />
In vielen Lernfel<strong>der</strong>n werden so Schüler<strong>in</strong>nen<br />
und Schüler <strong>in</strong>nerhalb <strong>e<strong>in</strong>e</strong>r Lerngruppe bezogen auf<br />
den gleichen Themenbereich unterschiedliche Lern-<br />
aufgaben gestellt (Innere Differenzierung).<br />
Dabei wird nicht nur zwischen Anspruchsniveau,<br />
Lerntempo, unterschiedlichen Lernzugängen son<strong>der</strong>n<br />
auch den allgem<strong>e<strong>in</strong>e</strong>n Lernvoraussetzungen wie Kon-<br />
zentrationsfähigkeit, Kompetenzen im Gruppenverhal-<br />
ten, Motivationsfähigkeit, Zuwendungsbedürftigkeit<br />
und an<strong>der</strong>en Gesichtspunkten unterschieden.<br />
Viele dieser Unterrichtsformen wurden <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />
Grundschule entwickelt und für die Sekundarstufe I<br />
angepasst. Zu solchen an den Integrierten Gesamt-<br />
schulen praktizierten Unterrichtsformen zählt die sog.<br />
„Freiarbeit“, Wochenplanarbeit, Themenplanarbeit,<br />
Werkstattunterricht usw.. Diese Unterrichtsformen<br />
ermöglichen für viele Schüler <strong>in</strong>dividuell zugeschnitte-<br />
ne Anfor<strong>der</strong>ungsniveaus und Lernformen, die über-<br />
wiegend <strong>in</strong> Formen des kooperativen Lernens prakti-<br />
ziert werden.<br />
Wichtige Gel<strong>in</strong>gensbed<strong>in</strong>gungen dafür s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> vielen<br />
Gesamtschulen weit entwickelt:<br />
• gute Kenntnisse <strong>der</strong> Lehrkräfte über die e<strong>in</strong>zelnen<br />
Schüler<strong>in</strong>nen und Schüler, ihres Lernstandes und<br />
ihrer Lernentwicklung durch mehr Stunden <strong>der</strong><br />
Lehrkräfte <strong>in</strong> <strong>der</strong> Woche über <strong>e<strong>in</strong>e</strong>n längeren Zeit-<br />
raum;<br />
• <strong>e<strong>in</strong>e</strong> gute Kooperation im H<strong>in</strong>blick auf den Aus-<br />
tausch und regelmäßig Reflexion des Wissens über<br />
die Schüler<strong>in</strong>nen und Schüler, ihre Lernvorausset-
zungen und über die Erfolg versprechenden Ler-<br />
nanfor<strong>der</strong>ungen und Lernformen;<br />
• E<strong>in</strong>e gut organisierte Zusammenarbeit bei <strong>der</strong><br />
arbeitsteiligen Planung und Erarbeitung differen-<br />
zieren<strong>der</strong> Arbeitsmaterialien und Lernformen im<br />
Kollegium;<br />
• Praxis zur Entwicklung tragfähiger Beziehungen <strong>in</strong><br />
<strong>der</strong> Gruppe gleichaltriger Mitschüler<strong>in</strong>nen und Mit-<br />
schüler, um wechselnde Lernteams und Lernpart-<br />
nerschaften <strong>in</strong> den verschiedenen Lernbereichen<br />
erfolgreich bilden zu können;<br />
• die systematische Vermittlung von Fähigkeiten an<br />
Schüler<strong>in</strong>nen und Schüler, zunehmend selbststän-<br />
dig alle<strong>in</strong>, zu zweit o<strong>der</strong> <strong>in</strong> <strong>e<strong>in</strong>e</strong>r kl<strong>e<strong>in</strong>e</strong>n Gruppe<br />
<strong>e<strong>in</strong>e</strong>n Lerngegenstand erarbeiten zu können.<br />
Die oben genannten b<strong>in</strong>nen differenzierenden<br />
Unterrichtsformen bedürfen <strong>e<strong>in</strong>e</strong>s großen Vorberei-<br />
tungsaufwandes, <strong>der</strong> nur arbeitsteilig <strong>in</strong> Kooperation<br />
<strong>der</strong> Lehrkräfte geleistet werden kann. Dieses war<br />
neben an<strong>der</strong>en Gründen ausschlaggebend dafür, dass<br />
sich an den Integrierten Gesamtschulen die Kooperati-<br />
on von Lehrkräften <strong>in</strong> fachunabhängigen und fachbe-<br />
zogenen Teams sehr stark entwickelt und erhalten hat.<br />
Alle, die häufig analysierend E<strong>in</strong>blick <strong>in</strong> die Pra-<br />
xis <strong>der</strong> <strong>in</strong>neren Differenzierung an den Gesamtschulen<br />
nehmen konnten, wissen, dass diese Praxis im H<strong>in</strong>blick<br />
auf ihre durchgängig verlässliche Handhabung durch<br />
alle Lehrkräfte und <strong>in</strong> Bezug auf die <strong>in</strong>dividuelle Lern-<br />
planung für die e<strong>in</strong>zelne Schüler<strong>in</strong> und den e<strong>in</strong>zelnen<br />
Schüler noch verbessert werden kann. Ebenso könn-<br />
ten viele Lehrer<strong>in</strong>nen und Lehrer für Teile <strong>der</strong> Lern-<br />
gruppen durch <strong>e<strong>in</strong>e</strong> größere Anfor<strong>der</strong>ungsbreite im<br />
Rahmen <strong>der</strong> <strong>in</strong>neren Differenzierung die <strong>in</strong>dividuellen<br />
Lernanstrengungen noch stärker herausfor<strong>der</strong>n.<br />
Welche Möglichkeiten gibt es für die Geme<strong>in</strong>sa-<br />
me <strong>Schule</strong> als weiter entwickelter Integrierter Gesamt-<br />
schule, den Systemvorteil <strong>e<strong>in</strong>e</strong>s <strong>in</strong>dividuell besser<br />
angepassten Lernangebotes auszubauen?<br />
Das könnte <strong>in</strong> drei wesentlichen Schritten geschehen:<br />
• Verbesserung <strong>der</strong> Lernbed<strong>in</strong>gungen durch den<br />
Wegfall <strong>der</strong> Pflicht zur äußeren Fachleistungs-<br />
differenzierung <strong>in</strong> Englisch, Mathematik,<br />
Deutsch und Naturwissenschaften<br />
Durch die <strong>in</strong> <strong>der</strong> KMK vere<strong>in</strong>barte Pflicht äußere<br />
Fachleistungskurse <strong>in</strong> den Fächern Englisch, Mathema-<br />
tik, Deutsch und Naturwissenschaften auf „m<strong>in</strong>de-<br />
stens zwei lehrplanbezogenen def<strong>in</strong>ierten Anspruchs-<br />
ebenen“ ab bestimmten Jahrgängen e<strong>in</strong>zurichten,<br />
geht e<strong>in</strong> Teil des im System <strong>der</strong> Geme<strong>in</strong>samen <strong>Schule</strong><br />
möglichen Vorteils wie<strong>der</strong> verloren. Die flexible<br />
Anpassung <strong>der</strong> Lernanfor<strong>der</strong>ungen und Lernformen<br />
an die <strong>in</strong>dividuellen Lernvoraussetzungen wird durch<br />
die <strong>der</strong> Kursart zugeschriebene „Anspruchsebene“<br />
e<strong>in</strong>geschränkt.<br />
Der Grundgedanke des Fachunterrichtes im<br />
geglie<strong>der</strong>ten Schulsystems, dieselben Fach- und Basi-<br />
sanfor<strong>der</strong>ungen mit <strong>e<strong>in</strong>e</strong>r def<strong>in</strong>ierten M<strong>in</strong>destanforde-<br />
rung gleichzeitig für alle Schüler<strong>in</strong>nen und Schüler<br />
<strong>e<strong>in</strong>e</strong>r Lerngruppe zur Grundlage des Unterrichtsange-<br />
botes zu machen, ist heute noch oft prägend für die<br />
Unterrichtsorganisation <strong>in</strong> Fachleistungskursen. Ähn-<br />
lich wie <strong>in</strong> den Jahrgangsklassen im geglie<strong>der</strong>ten<br />
Schulsystem kommt es deshalb noch zu oft nicht zu<br />
<strong>e<strong>in</strong>e</strong>r h<strong>in</strong>reichend flexiblen Anpassung <strong>der</strong> Anforde-<br />
rungen und Lernformen an die <strong>in</strong>dividuellen Lernvor-<br />
aussetzungen <strong>der</strong> Schüler<strong>in</strong>nen und Schüler.<br />
Letztlich darf als H<strong>in</strong>tergrund für das hartnäcki-<br />
ge Beibehalten <strong>e<strong>in</strong>e</strong>s eher gleichschrittigen Unterrich-<br />
tes gesehen werden, dass man es bisher nicht für<br />
möglich hält, speziell den eher lehrgangsmäßigen<br />
Unterricht <strong>in</strong> den Differenzierungsfächern zu <strong>in</strong>divi-<br />
dualisieren. Dazu wäre es z.B. notwendig, Schüler<strong>in</strong>-<br />
nen und Schülern mit unterschiedlichen Lernge-<br />
schw<strong>in</strong>digkeiten auch unterschiedlich viel Zeit für den<br />
Erwerb <strong>der</strong> für notwendig gehaltenen Kenntnisse <strong>in</strong><br />
<strong>e<strong>in</strong>e</strong>r Unterrichtssequenz e<strong>in</strong>zuräumen. Damit entfie-<br />
le auch die Möglichkeit, die erworbenen Kenntnisse,<br />
Fertig- und Fähigkeiten aller Schüler<strong>in</strong>nen und Schüler<br />
bezogen auf <strong>e<strong>in</strong>e</strong>n Lernstoff zum gleichen Zeitpunkt<br />
zu messen, zu vergleichen und zu bewerten, um über<br />
den Zugang zur nächsten Jahrgangs-Leistungsgruppe<br />
2 7
<strong>in</strong> <strong>der</strong> Gesamtschule und über den Zugang zur Klasse<br />
im nächsten Jahrgang des Gymnasiums bzw. <strong>der</strong> Real-<br />
schule zu entscheiden.<br />
• Individuelle Lernplanung mit Hilfe von Kompe-<br />
tenzrastern für alle Lernbereiche (Fach- und<br />
Basiskompetenzen, Methoden- und Sozial-<br />
kompetenzen)<br />
E<strong>in</strong>führung von Kompetenzrastern<br />
Als unterstützende und orientierende Struktur sollten<br />
für die <strong>in</strong>dividuelle Lernplanung für alle Lernbereiche<br />
aus den Bildungsstandards <strong>der</strong> KMK die Kompetenzen<br />
für die Sekundarstufe I abgeleitet und ausformuliert<br />
werden, durch die das Erreichen dieser Standards<br />
gewährleistet werden kann. Fehlen solche Bildungs-<br />
standards auf KMK-Ebene für schulisch relevante Lern-<br />
bereiche, werden sie hilfsweise von Fachgremien auf<br />
Landesebene bestimmt. Entsprechend den Weiterent-<br />
wicklungen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Gesellschaft, <strong>der</strong> Wissenschaft und<br />
<strong>der</strong> Technik müssen Bildungsstandards und ebenso die<br />
sie kennzeichnenden Kompetenzen regelmäßig über-<br />
prüft und fortgeschrieben werden.<br />
Die <strong>in</strong> <strong>der</strong> Sekundarstufe I zu erwerbenden<br />
Kompetenzen <strong>in</strong> <strong>e<strong>in</strong>e</strong>m Lernbereich werden <strong>in</strong> <strong>e<strong>in</strong>e</strong>m<br />
Kompetenzraster so angeordnet, dass die Zusam-<br />
menhänge zwischen den Kompetenzen und ihrer Wer-<br />
tigkeit für die Kompetenzanfor<strong>der</strong>ungen im Sekundar-<br />
bereich I (z. B. im H<strong>in</strong>blick auf Abschlüsse) deutlich<br />
werden. Insbeson<strong>der</strong>e wird im Kompetenzraster deut-<br />
lich, <strong>in</strong> welcher Reihenfolge Kompetenzen aufe<strong>in</strong>an-<br />
<strong>der</strong> aufbauend bzw. nebene<strong>in</strong>an<strong>der</strong> erworben werden<br />
können.<br />
E<strong>in</strong> Beispiel <strong>e<strong>in</strong>e</strong>s solchen Kompetenzrasters<br />
stellt das Europäische Portfolio <strong>der</strong> Sprachen (EPS) dar.<br />
Vorschläge für Kompetenzraster <strong>in</strong> fast allen Fächern<br />
s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> Hessen zum<strong>in</strong>dest für die unteren Jahrgangs-<br />
stufen entwickelt worden. Weitere H<strong>in</strong>weise für die<br />
Konstruktion f<strong>in</strong>det man <strong>in</strong> vielfältigen Veröffentli-<br />
chungen von Andreas Müller vom Institut Beatenberg<br />
<strong>in</strong> <strong>der</strong> Schweiz.<br />
Raster zur Beschreibung zu erwerben<strong>der</strong> Kompe-<br />
tenzen s<strong>in</strong>d nicht nur für die e<strong>in</strong>zelnen Fächer, son<strong>der</strong>n<br />
2 8<br />
auch für die so genannten Basis- und Methodenkompe-<br />
tenzen – von Mappenführung bis zum selbstständigen<br />
Planen und Bearbeiten von komplexen Aufgaben alle<strong>in</strong>,<br />
zu zweit o<strong>der</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Gruppe zu entwickeln.<br />
Individuelle Lernplanung auf <strong>der</strong> Grundlage von<br />
Kompetenzrastern<br />
Die Erfassung <strong>der</strong> vorhandenen Kompetenzen jeden<br />
Schülers und je<strong>der</strong> Schüler<strong>in</strong> für alle Lernbereiche steht<br />
zu Beg<strong>in</strong>n <strong>der</strong> Sekundarstufe I am Anfang <strong>der</strong> <strong>in</strong>divi-<br />
duellen Lernplanung für jeden e<strong>in</strong>zelnen Schüler und<br />
jede e<strong>in</strong>zelne Schüler<strong>in</strong>. Die so festgestellte Lernaus-<br />
gangslage kann mit Hilfe <strong>der</strong> oben beschriebenen<br />
Kompetenzraster erfasst und auf entsprechend gestal-<br />
teten <strong>in</strong>dividuellen Kompetenzkarten für alle Lernbe-<br />
reiche festgehalten werden.<br />
Sowohl für die Lehrkraft wie vor allem auch für<br />
die Schüler<strong>in</strong>nen und Schüler und Eltern wird aus den<br />
Kompetenzrastern deutlich, welche Kompetenzen auf<br />
den bereits nachgewiesenen aufbauend als nächste<br />
erworben werden können. Hieraus ergeben sich klar<br />
beschreibbare Ziele für Schüler<strong>in</strong>nen und Schüler und<br />
Lehrkräfte. Entsprechend dem angestrebten Kompe-<br />
tenzerwerb werden die nächsten Lernaufgaben für<br />
jeden e<strong>in</strong>zelnen im <strong>in</strong> <strong>der</strong> Gesamtgruppe bearbeiteten<br />
Themenbereich ausgewählt.<br />
Hier erfolgt e<strong>in</strong> wichtiger Paradigmenwechsel:<br />
E<strong>in</strong>e Lernanfor<strong>der</strong>ung wird an <strong>e<strong>in</strong>e</strong> Schüler<strong>in</strong> bzw. <strong>e<strong>in</strong>e</strong>n<br />
Schüler erst dann gestellt, wenn festgestellt wurde, dass<br />
die Kompetenzen, die notwendige Voraussetzung für<br />
<strong>der</strong>en Bewältigung s<strong>in</strong>d, im Vorh<strong>in</strong>e<strong>in</strong> erworben wurden.<br />
Zu Beg<strong>in</strong>n erfolgt <strong>in</strong> unteren Jahrgängen die<br />
Auswahl <strong>der</strong> Aufgaben zunächst nach Vorgabe <strong>der</strong><br />
Lehrer<strong>in</strong>nen und Lehrern. Mit dem Älterwerden und<br />
mit zunehmen<strong>der</strong> Erfahrung erhalten die Schüler<strong>in</strong>nen<br />
und Schüler zunehmend mehr die Möglichkeit und die<br />
Pflicht, selbst über die Auswahl <strong>der</strong> im nächsten Zeit-<br />
abschnitt zu bearbeitenden Lernaufgaben zu entschei-<br />
den. Die Lehrkräfte erhaltend dagegen immer stärker<br />
<strong>e<strong>in</strong>e</strong> beratende und kontrollierende Funktion bei <strong>der</strong><br />
Auswahl.
Die Zeit, <strong>in</strong> <strong>der</strong> die Schüler<strong>in</strong>nen und Schüler<br />
<strong>e<strong>in</strong>e</strong>s Altersjahrganges die Kompetenzen <strong>in</strong> den e<strong>in</strong>zel-<br />
nen Fächern und an<strong>der</strong>en Lernbereichen erwerben,<br />
wird unterschiedlich lang se<strong>in</strong>. So muss es möglich<br />
se<strong>in</strong>, dass Schüler <strong>in</strong> Fächern die Kompetenzen <strong>der</strong><br />
Sekundarstufe I auf dem höchsten Niveau bereits <strong>in</strong><br />
weniger als 6 Jahren erworben haben, während ande-<br />
re die für <strong>e<strong>in</strong>e</strong>n Abschluss erfor<strong>der</strong>lichen Kompetenzen<br />
<strong>in</strong> <strong>e<strong>in</strong>e</strong>m Fach erst im siebten Jahr erreichen.<br />
<strong>Für</strong> die Umsetzung des Modells ist <strong>e<strong>in</strong>e</strong> hohe Fle-<br />
xibilität <strong>der</strong> Lernorganisation erfor<strong>der</strong>lich. Grundsätzlich<br />
sollte die Lernplanung für den e<strong>in</strong>zelnen ausgehend von<br />
s<strong>e<strong>in</strong>e</strong>r Jahrgangsgruppe erfolgen. Die Lernaufgaben für<br />
alle Schüler<strong>in</strong>nen und Schüler <strong>e<strong>in</strong>e</strong>r Jahrgangsgruppe<br />
sollen sich zur gleichen Zeit auf die gleichen Rahmen-<br />
themen beziehen, damit trotz <strong>in</strong>dividuell unterschiedli-<br />
cher Aufgabenstellung <strong>in</strong> Gruppen zusammengearbei-<br />
tet werden kann, Ergebnisse gegenseitig vorgestellt und<br />
ausgetauscht werden können. Vorherrschende Arbeits-<br />
formen sollten trotz <strong>der</strong> <strong>in</strong>dividualisierten Aufgabenaus-<br />
wahl kooperative Formen zu zweit o<strong>der</strong> <strong>in</strong> Gruppen<br />
se<strong>in</strong>, weil die Kommunikation über die jeweiligen Lern-<br />
<strong>in</strong>halte unter Schüler<strong>in</strong>nen und Schülern im Aneig-<br />
nungsprozess lernunterstützend wirkt.<br />
In Fächern mit schrittweise stark auf e<strong>in</strong>an<strong>der</strong><br />
aufbauenden Kenntnissen und Fertigkeiten s<strong>in</strong>d regel-<br />
mäßige temporär zusammengesetzte Intensivkurse<br />
von Fachlehrkräften für kl<strong>e<strong>in</strong>e</strong> Gruppen mit Schüler<strong>in</strong>-<br />
nen und Schülern mit gleichen Kompetenzentwick-<br />
lungszielen denkbar.<br />
S<strong>in</strong>nvoll s<strong>in</strong>d auch temporär jahrgangsübergrei-<br />
fende Lernteams, wenn die Lernausgangslagen und<br />
Zielsetzungen von Schüler<strong>in</strong>nen und Schülern ver-<br />
schiedener Jahrgänge dies als günstig ersch<strong>e<strong>in</strong>e</strong>n las-<br />
2 9
sen. Hier werden e<strong>in</strong>ige <strong>Schule</strong>n zunächst an die Gren-<br />
zen ihrer Organisationsmöglichkeiten stoßen.<br />
Der erfolgreiche Erwerb <strong>e<strong>in</strong>e</strong>r neuen bzw. <strong>der</strong><br />
erneute Nachweis <strong>e<strong>in</strong>e</strong>r Kompetenz ist durch unter-<br />
schiedliche Formen möglich: schriftliche Leistungs-<br />
nachweise (Tests (evtl. auch zentrale), eigenständige<br />
Ausarbeitungen), mündliche Prüfungen, Kolloquien,<br />
auch durch Lernbeobachtung von Lehrkräften. Wurde<br />
<strong>der</strong> Erwerb <strong>e<strong>in</strong>e</strong>r Kompetenz nachgewiesen, wird die-<br />
ses auf <strong>der</strong> <strong>in</strong>dividuellen Kompetenzkarte des Lernbe-<br />
reiches dokumentiert.<br />
Erarbeiten und Vorhalten von passenden Lern-<br />
aufgaben<br />
Es gibt bereits e<strong>in</strong>ige <strong>Schule</strong>n, die auf <strong>der</strong> Grundlage<br />
selbst erarbeiteter o<strong>der</strong> übernommener Kompetenz-<br />
raster geeignete Lernaufgaben für e<strong>in</strong>ige Fächer ent-<br />
wickeln und die Lernaufgaben für jeden e<strong>in</strong>zelnen<br />
Schüler und jede e<strong>in</strong>zelne Schüler<strong>in</strong> entsprechend dem<br />
erreichten Kompetenzstand planen. Den sehr hohen<br />
Aufwand zur Erarbeitung differenzierter Aufgaben<br />
können diese <strong>Schule</strong>n zurzeit nur für ausgewählte<br />
Lernbereiche <strong>in</strong> e<strong>in</strong>zelnen Jahrgängen leisten. E<strong>in</strong>e<br />
umfassende Erarbeitung von h<strong>in</strong>reichend differenzier-<br />
ten Lernaufgaben unter Nutzung aller möglichen<br />
Medien und Lernformen kann die E<strong>in</strong>zelschule nicht<br />
leisten, selbst dann nicht, wenn das gesamte Kollegi-<br />
um arbeitsteilig daran arbeiten würde.<br />
Die Organisation <strong>der</strong> beschriebenen <strong>in</strong>dividuell<br />
angepassten Lernarrangements erfor<strong>der</strong>t zudem <strong>e<strong>in</strong>e</strong>n<br />
hohen zeitlichen Aufwand an diagnostischer, beraten-<br />
<strong>der</strong>, betreuen<strong>der</strong> und koord<strong>in</strong>ieren<strong>der</strong> Arbeit.<br />
Das Konzept <strong>der</strong> Kompetenzraster gestützten<br />
<strong>in</strong>dividuellen Lernplanung kann von <strong>der</strong> zukünftigen<br />
Geme<strong>in</strong>samen <strong>Schule</strong> nur dann für alle Lernbereiche<br />
verwirklicht werden, wenn die E<strong>in</strong>zelschule auf fertige<br />
Kompetenzraster und <strong>e<strong>in</strong>e</strong>n großen Fundus h<strong>in</strong>rei-<br />
chend differenzierter Lernaufgaben zu allen mögli-<br />
chen Inhalten und Themen zurückgreifen kann, die sie<br />
höchstens leicht variieren o<strong>der</strong> anpassen muss.<br />
Daher ist es notwendig, auf Landesebene<br />
arbeitsteilig o<strong>der</strong> unterstützt durch e<strong>in</strong> öffentliches<br />
3 0<br />
Institut <strong>e<strong>in</strong>e</strong>n Fundus von Lernaufgaben multimedial<br />
zu entwickeln und für die <strong>Schule</strong>n bereit zu stellen, <strong>der</strong><br />
auf den Schulserver herunter geladen werden können.<br />
Dieser Fundus ist laufend zu aktualisieren und weiter<br />
zu entwickeln.<br />
Dokumentation <strong>der</strong> <strong>in</strong>dividuellen Lernentwick-<br />
lung und des erreichten Kompetenzstandes<br />
In <strong>e<strong>in</strong>e</strong>r Lernnachweismappe werden die erworbenen<br />
Kompetenzen dokumentiert durch<br />
• E<strong>in</strong>tragungen <strong>in</strong> <strong>in</strong>dividuell geführte Kompetenz-<br />
raster für alle Lernbereiche<br />
• Lerntagebücher<br />
• aussagekräftige Arbeitsergebnisse als Belege<br />
• Lösungen (zentral gestellter) schriftlicher Arbeiten<br />
• bestätigte Ergebnisse mündlicher Prüfungen<br />
Kurz- und mittelfristige Ziele, Zwischenzertifika-<br />
te für Schüler<strong>in</strong>nen und Schüler an <strong>der</strong> Geme<strong>in</strong>-<br />
samen <strong>Schule</strong><br />
Der Vorteil <strong>e<strong>in</strong>e</strong>r nicht frühzeitig fest gelegten Schul-<br />
laufbahn und des anzustrebenden bzw. erreichbaren<br />
Abschlusses hat für die Schüler<strong>in</strong>nen und Schüler an<br />
den Integrierten Gesamtschulen <strong>e<strong>in</strong>e</strong>n Nachteil. Das<br />
wesentliche Ziel, dass sie an den Integrierten Gesamt-<br />
schulen anstreben, erreichen sie an dieser Schulform<br />
am Ende des 10. Jahrganges, d.h. nach 6 Jahren<br />
Schulbesuch. Die Schüler verfolgen also im H<strong>in</strong>blick<br />
auf <strong>e<strong>in</strong>e</strong>n formalen, nach außen vorzeigbaren Erfolg<br />
e<strong>in</strong> Ziel über <strong>e<strong>in</strong>e</strong>n Zeitraum von 6 Jahren. Das<br />
ersche<strong>in</strong>t für Jugendliche e<strong>in</strong> zu langer Zeitraum.<br />
Im geglie<strong>der</strong>ten Schulsystem können die Schüle-<br />
r<strong>in</strong>nen und Schüler <strong>in</strong> <strong>e<strong>in</strong>e</strong>m Jahr vom Status Siebtkläss-<br />
ler zum Achtklässler am Gymnasium aufsteigen, ent-<br />
sprechend an <strong>der</strong> Realschule. Daraus ergibt sich e<strong>in</strong><br />
wichtiges Jahresziel für diese Schüler<strong>in</strong>nen und Schüler.<br />
Das geglie<strong>der</strong>te Schulsystem arbeitet mit <strong>der</strong><br />
Arbeitshypothese, dass e<strong>in</strong> Schüler, <strong>der</strong> auf Grund des<br />
Notenbildes auf dem Ganzjahreszeugnis <strong>in</strong> die nächste<br />
Klassenstufe versetzt wurde, die notwendigen Voraus-<br />
setzung für die Mitarbeit <strong>in</strong> <strong>der</strong> folgenden Klassenstu-<br />
fe erreicht hat. Dies wird allerd<strong>in</strong>gs <strong>in</strong>haltlich nicht<br />
genau überprüft o<strong>der</strong> dokumentiert, son<strong>der</strong>n letztlich
notenbasiert auf Grund formaler Versetzungsvorschrif-<br />
ten entschieden.<br />
Noten und Versetzung bilden im geglie<strong>der</strong>ten<br />
Schulsystem zurzeit die e<strong>in</strong>zige Grundlage für die<br />
Dokumentation für Erreichtes o<strong>der</strong> Nicht-Erreichtes.<br />
Aus den Noten kann jedoch nicht direkt auf die erwor-<br />
benen Kenntnisse, Fertigkeiten und Fähigkeiten<br />
geschlossen werden.<br />
Die äußeren Merkmale zwischenzeitlicher Erfol-<br />
ge bzw. Misserfolge an den Integrierten Gesamtschu-<br />
len s<strong>in</strong>d bisher:<br />
• Rückmeldungen zum Umfang <strong>der</strong> erreichten Lern-<br />
ziele <strong>in</strong> den Fächern und an<strong>der</strong>en Lernbereichen <strong>in</strong><br />
beschreiben<strong>der</strong> Form (nicht vergleichend bewertet,<br />
k<strong>e<strong>in</strong>e</strong> Zensuren) an vielen <strong>in</strong>tegrierten Gesamtschu-<br />
len bis Jahrgangsstufe 8.<br />
• Rückmeldungen zur Entwicklung von Lern-,<br />
Arbeits- und Sozialverhalten <strong>in</strong> beschreiben<strong>der</strong><br />
Form (nicht vergleichend bewertet, k<strong>e<strong>in</strong>e</strong> Zensuren).<br />
• Zugehörigkeit zu Fachleistungskursen.<br />
• Zugehörigkeit zu Fremdsprachenkursen und ande-<br />
ren Wahlpflichtbereichskursen im naturwissen-<br />
schaftlichen, gesellschaftlichen, musischen o<strong>der</strong><br />
technischen Bereich.<br />
In <strong>der</strong> Regel gibt es für die Leistungen späte-<br />
stens ab dem 9. Jahrgang Noten, <strong>in</strong> Fachleistungskur-<br />
sen auch A- o<strong>der</strong> B-Noten.<br />
Das <strong>in</strong>dividuelle Notenprofil ab Jahrgang 9 lässt<br />
sich mit den „M<strong>in</strong>destnotenprofilen“ für die Abschlüs-<br />
se am Ende <strong>der</strong> Sekundarstufe I vergleichen. Jede und<br />
je<strong>der</strong> kann sich um <strong>e<strong>in</strong>e</strong> gezielte Verbesserung im H<strong>in</strong>-<br />
blick auf den sich langsam herauskristallisierenden<br />
erreichbaren bestmöglichen Abschluss bemühen.<br />
Diese Praxis an den Integrierten Gesamtschulen<br />
stellt sicher <strong>e<strong>in</strong>e</strong>n qualitativen Fortschritt gegenüber<br />
dem Vorgehen im geglie<strong>der</strong>ten Schulsystem dar, weil<br />
hierbei <strong>der</strong> Lernfortschritt <strong>in</strong> den unterschiedlichen<br />
Lernbereichen sehr viel genauer kommuniziert und<br />
dokumentiert wird.<br />
Mit <strong>der</strong> E<strong>in</strong>führung <strong>in</strong>dividueller Kompetenzkar-<br />
ten für alle Lernbereiche können <strong>in</strong>dividuelle Kompe-<br />
tenzprofile zu jedem Zeitpunkt <strong>in</strong> <strong>der</strong> Sekundarstufe I<br />
dargestellt werden. Die am Ende von Stufe 5/6, 7/8<br />
und am Ende <strong>der</strong> Sekundarstufe I dokumentierten<br />
Kompetenzprofile für alle Lernbereiche – e<strong>in</strong>zeln und<br />
zusammen betrachtet – können mit Referenzprofilen<br />
verglichen werden, denen <strong>e<strong>in</strong>e</strong> bestimmte qualitative<br />
Stufe zugeordnet wird. So können Schüler<strong>in</strong>nen und<br />
Schülern im Laufe <strong>der</strong> Sekundarstufe I <strong>in</strong> jedem Lern-<br />
bereich Zwischenzertifikate erreichen, die ihnen <strong>e<strong>in</strong>e</strong>n<br />
gewissen Kompetenzstatus (analog den verschieden-<br />
farbigen Gürteln beim Judo) bestätigen. Dies könnte<br />
deutlich zur Bestätigung und Steigerung des Selbst-<br />
wertes und zur Steigerung <strong>der</strong> Anstrengungsbereit-<br />
schaft beitragen.<br />
Durch den je<strong>der</strong>zeit möglichen Vergleich ihrer<br />
persönlichen Kompetenzprofile mit veröffentlichten<br />
Referenzprofilen für Zertifikate o<strong>der</strong> Abschlüsse kön-<br />
nen Schüler/<strong>in</strong>nen bestimmen, welche Kompetenzen<br />
ihnen noch zur Erreichung <strong>e<strong>in</strong>e</strong>s bestimmten Kompe-<br />
tenzstatus fehlen.<br />
Die zu vergebenden Abschlüsse am Ende <strong>der</strong><br />
Sekundarstufe I können durch entsprechende M<strong>in</strong>-<br />
destkompetenzprofile def<strong>in</strong>iert werden. Ergänzend<br />
zum erworbenen Abschluss eignen sich die <strong>in</strong>dividuel-<br />
len Kompetenzprofile als sehr gute Grundlage für die<br />
Beratung und Entscheidung im H<strong>in</strong>blick auf die weite-<br />
re Ausbildung nach <strong>der</strong> Sekundarstufe I.<br />
Insgesamt weist die Kompetenzraster gestützte <strong>in</strong>divi-<br />
dualisierte Lernorganisation folgende Vorteile auf:<br />
• Die Lernanfor<strong>der</strong>ungen s<strong>in</strong>d schülergerechter als<br />
an bisherigen <strong>Schule</strong>n.<br />
• Die jeweiligen Lernanfor<strong>der</strong>ungen basieren auf<br />
bereits erreichten Kenntnissen und Fähigkeiten,<br />
dadurch ist die Chance für Selbstwert stärkende,<br />
bestätigende Lernerfolge wesentlich höher.<br />
• Mehr Lernlust bei allen durch mehr Lernerfolg für<br />
alle.<br />
3 1
Vorgaben für Lernaufgaben an <strong>der</strong> Geme<strong>in</strong>samen <strong>Schule</strong><br />
• <strong>in</strong>itiieren aktive Ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzungen mit <strong>e<strong>in</strong>e</strong>m komplexen Thema aus dem Lebensumfeld<br />
• för<strong>der</strong>n selbstständiges und eigenverantwortliches Lernen<br />
• geben genügend Raum für selbst<strong>in</strong>itiiertes und entdeckendes Lernen<br />
• enthalten Organisationshilfen durch Vorstrukturierung für Gruppen-, Partner- o<strong>der</strong> E<strong>in</strong>zelarbeit<br />
• weisen unterschiedliche Komplexitätsgrade auf, z. B. auch für die E<strong>in</strong>zelnen während <strong>e<strong>in</strong>e</strong>r <strong>geme<strong>in</strong>same</strong>n<br />
3 2<br />
Gruppenarbeit<br />
• setzen unterschiedliche Voraussetzungen bzgl. <strong>der</strong> Basiskompetenzen voraus<br />
• erfor<strong>der</strong>n kooperatives Lernen <strong>in</strong> Tischgruppen, Lernpartnerschaften, Lernteams fachbezogen, evtl. auch jahr-<br />
gangsübergreifend<br />
<strong>in</strong> Anlehnung an Andreas Müller, Dem Wissen auf <strong>der</strong> Spur, 2003
3 3
• Die Lernplanung für den E<strong>in</strong>zelnen ist nachvollzieh-<br />
bar entwicklungsorientiert.<br />
• För<strong>der</strong>ung bedeutet <strong>in</strong> diesem System: Helfen den<br />
nächst möglichen Lernschritt zu schaffen (im Gegen-<br />
satz zu festgestellte Defizite beseitigen).<br />
• Es entstehen <strong>in</strong>dividuelle Schulkarrieren ohne Sack-<br />
gasse mit Korrektur- und Ergänzungsmöglichkeiten.<br />
• Die <strong>in</strong>dividuelle Lernplanung kann zeitlich <strong>der</strong> <strong>in</strong>di-<br />
viduellen Lernentwicklung folgen.<br />
• Kurz- und mittelfristige Zielplanung bei <strong>der</strong> Lern-<br />
planung ist für alle Beteiligten (Schüler/<strong>in</strong>nen, Lehr-<br />
kräfte, Eltern) transparent.<br />
• Schüler<strong>in</strong>nen und Schüler haben zunehmend mit<br />
dem Älterwerden Verantwortung für ihre Schulkar-<br />
riere und <strong>e<strong>in</strong>e</strong> handhabbare Grundlage, eigene<br />
Lernerfolge zu planen.<br />
Insgesamt ist <strong>e<strong>in</strong>e</strong> größere Effizienz <strong>in</strong> Bezug<br />
auf Kompetenz- und Bildungserwerb zu erwarten (z.B.<br />
größerer Anteil an höheren Abschlüssen).<br />
9. Mit welchen Maßnahmen lässt<br />
sich die Geme<strong>in</strong>same <strong>Schule</strong> <strong>in</strong><br />
<strong>Nie<strong>der</strong>sachsen</strong> verwirklichen?<br />
Der Beschluss <strong>der</strong> SPD schlägt für die Erreichung des<br />
Ziels das Jahr 2013 vor. Dann soll wohnortnah für<br />
jedes K<strong>in</strong>d e<strong>in</strong> Platz an <strong>e<strong>in</strong>e</strong>r Geme<strong>in</strong>samen <strong>Schule</strong> vor-<br />
handen se<strong>in</strong>.<br />
Folgende grundsätzliche Maßnahmen s<strong>in</strong>d nach Auf-<br />
fassung <strong>der</strong> Autoren im Rahmen <strong>e<strong>in</strong>e</strong>r Schulgesetzno-<br />
velle und entsprechen<strong>der</strong> Än<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> e<strong>in</strong>schlägi-<br />
gen Verordnungen und Erlasse nötig, um dieses Ziel zu<br />
erreichen:<br />
• Alle Eltern erhalten e<strong>in</strong> une<strong>in</strong>geschränktes Recht<br />
zur Wahl <strong>e<strong>in</strong>e</strong>r <strong>Schule</strong> für ihr K<strong>in</strong>d. Das kann <strong>e<strong>in</strong>e</strong><br />
bereits vorhandene Geme<strong>in</strong>same <strong>Schule</strong> se<strong>in</strong>, aber<br />
auch jede <strong>Schule</strong> bzw. Schulform des geglie<strong>der</strong>ten<br />
Systems.<br />
• Die aufnehmende <strong>Schule</strong> übernimmt die pädagogi-<br />
3 4<br />
sche Verantwortung für das K<strong>in</strong>d zum<strong>in</strong>dest bis<br />
zum ersten Schulabschluss. Bis dah<strong>in</strong> ist <strong>e<strong>in</strong>e</strong><br />
Abschulung nicht zulässig.<br />
• Das Sitzen bleiben wird an allen <strong>Schule</strong>n abge-<br />
schafft und durch <strong>e<strong>in</strong>e</strong> <strong>in</strong>dividuelle För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong><br />
K<strong>in</strong><strong>der</strong> und Jugendlichen ersetzt.<br />
• Die Größe <strong>der</strong> <strong>Schule</strong>n im Sekundarbereich I hängt<br />
von den regionalen Beson<strong>der</strong>heiten ab. Beson<strong>der</strong>e<br />
Konzepte für die Lernorganisation <strong>in</strong> <strong>der</strong> geme<strong>in</strong>-<br />
samen <strong>Schule</strong> ermöglichen, auch an Standorten<br />
mit ger<strong>in</strong>gen Schülerzahlen e<strong>in</strong> qualitativ hochwer-<br />
tiges Schulangebot für alle Schüler<strong>in</strong>nen und Schü-<br />
ler vorzuhalten, <strong>in</strong> dem alle Abschlüsse nach Jahr-<br />
gangsstufe 10 erreicht werden können. Die<br />
Obergrenze für alle <strong>Schule</strong>n sollte vernünftigerwei-<br />
se 6 Klassen pro Jahrgang nicht überschreiten.<br />
• <strong>Schule</strong>n, die bereit s<strong>in</strong>d, nach dem vorgegebenen<br />
pädagogischen Zielkonzept <strong>der</strong> Geme<strong>in</strong>samen Schu-<br />
le zu arbeiten, erhalten e<strong>in</strong> zusätzliches Budget.<br />
Mit diesen Maßnahmen muss gleichzeitig e<strong>in</strong><br />
Zeitrahmen gesetzt werden, <strong>der</strong> für alle Beteiligten<br />
Klarheit br<strong>in</strong>gt. Der Elternwille ist ausschlaggebend für<br />
die <strong>Schule</strong>ntwicklung. Die Eltern entscheiden letztlich<br />
durch ihre Schulanwahl, welche Standorte erhalten<br />
bleiben. <strong>Für</strong> den Schulträger entstehen k<strong>e<strong>in</strong>e</strong> zusätzli-<br />
chen Kosten, beson<strong>der</strong>s wenn man dem Vorschlag fol-<br />
gen würde, nur den Weg zur nächsterreichbaren<br />
Geme<strong>in</strong>samen <strong>Schule</strong> zu bezahlen. Im Gegenteil ist<br />
von E<strong>in</strong>spareffekten auszugehen, weil im Sekundarbe-<br />
reich I des geglie<strong>der</strong>ten Schulsystems gegenwärtig<br />
parallel Schulformen vorgehalten werden müssen, die<br />
zum Teil e<strong>in</strong>zügig geführt werden. Diese Größenord-<br />
nung ist jedoch pädagogisch selten s<strong>in</strong>nvoll und auf<br />
die Dauer kaum bezahlbar.<br />
E<strong>in</strong> Lehrerbildungsgesetz sollte <strong>in</strong> Abstimmung mit<br />
den Universitäten die Lehrerbildung zügig neu ordnen,<br />
mit dem Ziel:<br />
• e<strong>in</strong> Lehramt für die Grundschule,<br />
• e<strong>in</strong> Lehramt für die Sekundarstufe I und<br />
• <strong>e<strong>in</strong>e</strong> Erweiterung dieses Lehramtes für die gymna-<br />
siale Oberstufe zu schaffen
3 5
• Diese neue Struktur <strong>der</strong> Lehrämter ist mit dem<br />
Bologna-Prozess (E<strong>in</strong>führung von Bachelor- und<br />
Masterstudiengängen) zu verb<strong>in</strong>den.<br />
Die Erfahrungen mit <strong>der</strong> flächendeckenden E<strong>in</strong>-<br />
führung <strong>der</strong> Verlässlichen Grundschule haben außer-<br />
dem gezeigt, dass e<strong>in</strong> Bündel an Unterstützungsmaß-<br />
nahmen notwendig ist, um <strong>e<strong>in</strong>e</strong> gewisse Dynamik <strong>in</strong><br />
<strong>der</strong> E<strong>in</strong>führungsphase zu erreichen. Dafür könnte es<br />
hilfreich se<strong>in</strong>:<br />
• Netzwerke von je 10 <strong>Schule</strong>n, die durch Teams von<br />
Pädagogen, F<strong>in</strong>anz- und Beamtenrechtlern <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />
Praxis des Umstrukturierungsprozesses begleitet<br />
werden.<br />
• Landesweite Informationskampagne zur Erläute-<br />
rung <strong>der</strong> Zielkonzeption für Eltern, Lehrer, Schulträ-<br />
ger, Verbände etc. Begleitung durch Reformschu-<br />
len, die sich bereits erfolgreich auf den Weg<br />
gemacht haben.<br />
Kompetente <strong>Schule</strong>ntwicklungsberater des<br />
M<strong>in</strong>isteriums stehen den Schulträgern zur Verfügung,<br />
um die Umgestaltung <strong>der</strong> Strukturen im Rahmen <strong>der</strong><br />
neuen Schülerströme zu begleiten.<br />
Die langfristig generell zurückgehenden Schü-<br />
lerzahlen werden diesen Prozess zusätzlich außeror-<br />
dentlich erleichtern und beschleunigen.<br />
Möglichst viele verantwortliche Funktions- und<br />
Mandatsträger sollten Gesamtschulen wie die IGS<br />
Franzsches Feld <strong>in</strong> den kommenden Monaten und Jah-<br />
ren besuchen und sich dafür Zeit nehmen. Der übliche<br />
Politikerbesuch mit Rundgang durch das Gebäude und<br />
<strong>e<strong>in</strong>e</strong>r Tasse Kaffee im Schulleitungszimmer wird dafür<br />
nicht reichen. Sie sollten sich <strong>der</strong> Mühe unterziehen an<br />
<strong>e<strong>in</strong>e</strong>m ganzen Schultag vom Offenen Anfang am Mor-<br />
gen bis zur Tagesbesprechung des Jahrgangsteams am<br />
Nachmittag teilzunehmen. Nur so werden sie <strong>e<strong>in</strong>e</strong>n<br />
E<strong>in</strong>druck davon bekommen, dass es um <strong>e<strong>in</strong>e</strong> neue<br />
Qualität <strong>der</strong> Gestaltung von Unterricht und Schulleben<br />
geht, die sie selbst aus ihrer Schulzeit nicht kennen.<br />
<strong>Für</strong> den E<strong>in</strong>führungsprozess brauchen wir Politiker, die<br />
nicht nur vom Hörensagen für diese Schulform Partei<br />
3 6<br />
nehmen, son<strong>der</strong>n sie vertreten, weil sie selbst über-<br />
zeugt worden s<strong>in</strong>d, dass so <strong>e<strong>in</strong>e</strong> qualitativ bessere För-<br />
<strong>der</strong>ung unserer K<strong>in</strong><strong>der</strong> mit besseren Lernergebnissen<br />
gel<strong>in</strong>gen kann.<br />
Ohne offene und auch kritische Parte<strong>in</strong>ahme<br />
für das, was <strong>in</strong> den vergangenen mehr als 30 Jahren<br />
an den nie<strong>der</strong>sächsischen Gesamtschulen bereits<br />
erreicht worden ist, wird es nicht gehen. Denn, wenn<br />
die Verantwortlichen <strong>in</strong> <strong>der</strong> sozialdemokratischen Par-<br />
tei, ob Mitglie<strong>der</strong>, ehrenamtliche Funktionären o<strong>der</strong><br />
Abgeordneten <strong>in</strong> den kommunalen Gremien wie im<br />
Landtag nicht selbst an das Projekt <strong>e<strong>in</strong>e</strong>r Geme<strong>in</strong>sa-<br />
men <strong>Schule</strong> glauben, wird dieses ke<strong>in</strong> erfolgreiches<br />
Projekt werden können.<br />
Man beg<strong>in</strong>nt <strong>e<strong>in</strong>e</strong> schwierige Ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>set-<br />
zung nur, wenn man davon überzeugt ist und an<strong>der</strong>e<br />
dafür gew<strong>in</strong>nen will.<br />
10. Schlussbemerkungen<br />
Die E<strong>in</strong>führung <strong>der</strong> Geme<strong>in</strong>samen <strong>Schule</strong>, d.h. Verlän-<br />
gerung <strong>der</strong> <strong>geme<strong>in</strong>same</strong>n Schulzeit aller K<strong>in</strong><strong>der</strong> bis zur<br />
Klasse 10 wäre die größte Schulreform seit <strong>der</strong> E<strong>in</strong>füh-<br />
rung <strong>der</strong> <strong>geme<strong>in</strong>same</strong>n Grundschulzeit 1920 se<strong>in</strong>.<br />
Im Falle des Gel<strong>in</strong>gens wird <strong>der</strong> Bildungsfö<strong>der</strong>a-<br />
lismus lei<strong>der</strong> verh<strong>in</strong><strong>der</strong>n, dass dies <strong>e<strong>in</strong>e</strong> Reform für<br />
ganz Deutschland se<strong>in</strong> wird.<br />
Allerd<strong>in</strong>gs würde <strong>Nie<strong>der</strong>sachsen</strong> Vorreiter se<strong>in</strong><br />
für <strong>e<strong>in</strong>e</strong> <strong>in</strong>ternationale Anpassung s<strong>e<strong>in</strong>e</strong>s Schulsystems<br />
an die <strong>in</strong> an<strong>der</strong>en europäische Län<strong>der</strong>n und Aufgabe<br />
des Son<strong>der</strong>weges <strong>in</strong> Europa. Das wäre e<strong>in</strong> wichtiges<br />
Signal.<br />
Die Reform erfor<strong>der</strong>t politischen Mut und<br />
Beharrlichkeit. <strong>Für</strong> diese Reform muss deshalb mit<br />
Sachverstand und professioneller Kommunikation<br />
geworben werden. <strong>Für</strong> dieses bildungspolitisch wichti-<br />
ge und historisch überfällige Projekt lohnt es sich, die-<br />
se anspruchsvolle Überzeugungsarbeit zu leisten.<br />
Allerd<strong>in</strong>gs muss diese Reform durchgesetzt und durch-<br />
gekämpft werden, denn e<strong>in</strong> Konsens o<strong>der</strong> e<strong>in</strong> politi-<br />
scher Kompromiss mit den konservativen politischen
Kräften ist zum<strong>in</strong>dest <strong>in</strong> <strong>Nie<strong>der</strong>sachsen</strong> nicht <strong>in</strong> Sicht.<br />
Wenn man es mit <strong>e<strong>in</strong>e</strong>r gewonnenen politi-<br />
schen Mehrheit im Rücken tatsächlich versucht, dann<br />
machen Halbheiten k<strong>e<strong>in</strong>e</strong>n S<strong>in</strong>n. Dann kann und darf<br />
es nicht wie<strong>der</strong> um Schulversuche gehen.<br />
Und wenn man den freien Elternwillen wirklich<br />
Ernst nimmt und ihn zum Hebel <strong>der</strong> Verän<strong>der</strong>ung<br />
macht, dann heißt das nicht, <strong>e<strong>in</strong>e</strong> Schulreform dieser<br />
Größenordnung dem freien Spiel <strong>der</strong> Kräfte zu über-<br />
lassen.<br />
Deshalb bedarf es deutlicher Vorgaben <strong>in</strong><br />
Gestalt <strong>e<strong>in</strong>e</strong>r pädagogischen Zielkonzeption und <strong>e<strong>in</strong>e</strong>s<br />
klaren Maßnahmenplanes wie er <strong>in</strong> dieser Broschüre<br />
vorgeschlagen wird.<br />
Die E<strong>in</strong>führungsphase muss dabei dynamisch<br />
und flexibel gestaltet werden sowie Rückmeldungen<br />
und Ergänzungen aus <strong>der</strong> Schulpraxis zulassen können.<br />
Die Autoren s<strong>in</strong>d durch das Studium <strong>der</strong><br />
Geschichte <strong>der</strong> Schulreformen und aufgrund ihrer<br />
eigenen politischen und schulreformerischen Arbeit<br />
sicher, dass so die Entwicklung <strong>e<strong>in</strong>e</strong>r Geme<strong>in</strong>samen<br />
<strong>Schule</strong> gel<strong>in</strong>gen kann.<br />
Was schließlich die gegenwärtige Regierung<br />
angeht, so ist angesichts <strong>der</strong> Wirkungen ihres Han-<br />
delns anlässlich <strong>der</strong> Rückkehr <strong>der</strong> Aufteilung <strong>der</strong> K<strong>in</strong>-<br />
<strong>der</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Grundschule nach Klasse 4 von <strong>e<strong>in</strong>e</strong>m Pyr-<br />
rhussieg zu sprechen.<br />
Die konservative Seite hat das Rad um 40 Jahre<br />
zurück gedreht, aber sie wird die 50er Jahre des ver-<br />
gangenen Jahrhun<strong>der</strong>ts nicht wie<strong>der</strong>beleben können.<br />
Sie hat das geglie<strong>der</strong>te System destabilisiert, das sie<br />
erhalten sehen wollten. Das geglie<strong>der</strong>te System löst<br />
sich auf durch e<strong>in</strong> nicht mehr zu schließendes Nachfra-<br />
geloch <strong>in</strong> Richtung Hauptschule, durch die Schüler-<br />
ströme <strong>in</strong> Richtung Gymnasium und Realschule. Diese<br />
unabsichtlich und ungesteuert ausgelöste Entwicklung<br />
des Schulsystems läuft wildwüchsig auf e<strong>in</strong> 2-Säulen-<br />
Modell h<strong>in</strong>aus. Es bleiben das Gymnasium und die<br />
Realschule übrig, wenn man die För<strong>der</strong>schule außer<br />
Betracht lässt, weil sie nicht dem Elternwillen unter-<br />
liegt.<br />
In absehbarer Zeit und <strong>in</strong> Ansätzen schon jetzt<br />
hat die Realschule das Problem, das gegenwärtig die<br />
Hauptschule untergehen lässt. Die För<strong>der</strong>schule für<br />
Lernbeh<strong>in</strong><strong>der</strong>te würde dann endgültig zum Auffang-<br />
becken für alle Problemfälle und bekäme damit all<strong>e<strong>in</strong>e</strong><br />
die Rolle, die sie sich eben mit <strong>der</strong> Hauptschule teilt.<br />
Auch <strong>e<strong>in</strong>e</strong> bewusste, d.h. gesteuerte Schulre-<br />
form <strong>in</strong> die Richtung <strong>e<strong>in</strong>e</strong>s 2-Säulen-Modells, das s<strong>e<strong>in</strong>e</strong><br />
Anhänger seit Jahren zu Rettung <strong>der</strong> Son<strong>der</strong>stellung<br />
des Gymnasiums propagieren, würde an den grundle-<br />
genden strukturbed<strong>in</strong>gten Mängeln <strong>der</strong> geglie<strong>der</strong>ten<br />
Schulsystems nichts än<strong>der</strong>n und damit den Aufbau<br />
<strong>e<strong>in</strong>e</strong>r Lernorganisation <strong>in</strong> den <strong>Schule</strong>n verh<strong>in</strong><strong>der</strong>n.<br />
Das 2-Säulen-Modell ist nach Auffassung <strong>der</strong><br />
Autoren e<strong>in</strong> Irrweg, da die K<strong>in</strong><strong>der</strong> wie<strong>der</strong>um auf Schul-<br />
typen aufgeteilt werden, würden sie vom Gymnasi-<br />
um, über die Realschule bis zur För<strong>der</strong>schule durchge-<br />
reicht werden können. Das neue pädagogische<br />
Denken und Handeln, nämlich für e<strong>in</strong> e<strong>in</strong>mal aufge-<br />
nommenes K<strong>in</strong>d und s<strong>e<strong>in</strong>e</strong>n <strong>Schule</strong>rfolg zuständig zu<br />
se<strong>in</strong>, müsste <strong>in</strong> Deutschlands <strong>Schule</strong>n wie<strong>der</strong> nicht e<strong>in</strong>-<br />
ziehen.<br />
Die Autoren hoffen, dass diese Broschüre <strong>e<strong>in</strong>e</strong>n<br />
kl<strong>e<strong>in</strong>e</strong>n Beitrag dazu leisten kann, genügend Mitstrei-<br />
ter<strong>in</strong>nen und Mitstreiter zu gew<strong>in</strong>nen, <strong>in</strong> Nie<strong>der</strong>sach-<br />
sen viele Geme<strong>in</strong>same <strong>Schule</strong>n zu gründen, die diesen<br />
nicht erfolgreichen deutschen Son<strong>der</strong>weg des Sortie-<br />
rens von K<strong>in</strong><strong>der</strong>n auf verschiedene Schultypen endlich<br />
beenden.<br />
3 7
Die Autoren<br />
Renate Jürgens-Pieper, Jahrgang 1951, Staatsex-<br />
amen <strong>in</strong> Biologie und Chemie für das Lehramt an höhe-<br />
ren <strong>Schule</strong>n; 16 Jahre Schuldienst <strong>in</strong> Wolfsburg und<br />
Braunschweig an Gesamtschulen, 8 Jahre Staatssekre-<br />
tär<strong>in</strong> im Kultusm<strong>in</strong>isterium. In diese Zeit fiel u.a. die<br />
Schulgesetznovelle von 1993 mit <strong>der</strong> Gleichstellung <strong>der</strong><br />
Gesamtschulen, die positive Entscheidung des Nie<strong>der</strong>-<br />
sächsischen Staatsgerichtshofs dazu sowie 1997 die<br />
Auswahl des nationalen PISA-Konsortium und <strong>der</strong><br />
PISA-Verträge mit <strong>der</strong> OECD. Ebenfalls 1997 Vorsitzen-<br />
de <strong>der</strong> Amtschefkonferenz <strong>der</strong> Kultusm<strong>in</strong>isterkonfe-<br />
renz <strong>der</strong> Län<strong>der</strong>. Von 1998 bis 2003 Kultusm<strong>in</strong>ister<strong>in</strong>. In<br />
diese Zeit fiel die flächendeckende E<strong>in</strong>führung <strong>der</strong> Ver-<br />
lässlichen Grundschule, als Konsequenz aus <strong>der</strong> PISA-<br />
Studie, die Entwicklung <strong>e<strong>in</strong>e</strong>s Qualitätskonzepts für<br />
<strong>Schule</strong>n mit mehr Selbständigkeit und Eigenverantwor-<br />
tung sowie die E<strong>in</strong>führung <strong>der</strong> Schul<strong>in</strong>spektion und <strong>der</strong><br />
Aufbau <strong>e<strong>in</strong>e</strong>s flächendeckenden Netzes von Ganztags-<br />
schulen.<br />
Andreas Meisner, Jahrgang 1957, Staatsexamen <strong>in</strong><br />
den Fächern Mathematik und Physik für das Lehramt<br />
an höheren <strong>Schule</strong>n, bis 1991 Arbeit an verschiedenen<br />
Gymnasien, danach Fachbereichsleiter Mathematik an<br />
<strong>der</strong> IGS Franzsches Feld Braunschweig, seit 1995 nie-<br />
<strong>der</strong>sächsischer Fachmo<strong>der</strong>ator Mathematik für<br />
Gesamtschulen, seit 2002 Schulleiter <strong>der</strong> IGS Franz-<br />
sches Feld; 2006 ausgezeichnet mit dem Deutschen<br />
Schulpreis <strong>der</strong> Robert-Bosch-Stiftung unter <strong>der</strong> Schirm-<br />
herrschaft des Bundespräsidenten.<br />
Wilhelm Pieper, Jahrgang 1948, schulische Ausbil-<br />
dung am Gymnasium Carol<strong>in</strong>um <strong>in</strong> Osnabrück; Offi-<br />
ziersausbildung bei <strong>der</strong> Bundeswehr; Studium <strong>der</strong><br />
Fächer Geschichte und Germanistik an <strong>der</strong> Westfäli-<br />
schen-Wilhelms-Universität <strong>in</strong> Münster für das Lehr-<br />
amt an höheren <strong>Schule</strong>n; Referendariat <strong>in</strong> Braun-<br />
schweig am Gymnasium <strong>der</strong> Ina-Seidel-<strong>Schule</strong>;<br />
Assessorenzeit an <strong>der</strong> Wilhelm-Bracke-Gesamtschule<br />
und dem Gymnasium Neue Oberschule; Aufbau <strong>der</strong><br />
gymnasialen Oberstufe an <strong>der</strong> Wilhelm-Bracke-<br />
3 8<br />
Gesamtschule. 1986 geme<strong>in</strong>sam mit Renate Jürgens-<br />
Pieper u.a. Gründung <strong>e<strong>in</strong>e</strong>r Bürger<strong>in</strong>itiative „<strong>Für</strong> <strong>e<strong>in</strong>e</strong><br />
zweite Gesamtschule <strong>in</strong> Braunschweig“, Leiter des<br />
Gründungskollegiums; ab 1990 Aufbau <strong>der</strong> <strong>Schule</strong> als<br />
Jahrgangs-Teamschule mit gleiten<strong>der</strong> Differenzierung<br />
und Profiloberstufe, nach zwölfjähriger Tätigkeit als<br />
Schulleiter 2001 Wechsel <strong>in</strong> die Bezirksregierung<br />
Braunschweig, Dezernatsleiter Gesamtschulen mit den<br />
Generalien Ganztagsschule und Eigenverantwortliche<br />
<strong>Schule</strong>. Seit 1976 Mitglied des Landesvorstands und<br />
zeitweise Landesvorsitzen<strong>der</strong> <strong>der</strong> Geme<strong>in</strong>nützigen<br />
Gesellschaft Gesamtschule (GGG).<br />
Karl-He<strong>in</strong>z Uflerbäumer, Jahrgang 1948, Studium<br />
<strong>der</strong> Mathematik, Physik, Pädagogik und Philosophie<br />
für das Lehramt an höheren <strong>Schule</strong>n; von 1975 bis<br />
1990 Tätigkeit an <strong>der</strong> Georg-Christoph-Lichtenberg-<br />
Gesamtschule <strong>in</strong> Gött<strong>in</strong>gen als Tutor und Fachlehrer<br />
sowie <strong>in</strong> verschiedenen Funktionen. Dabei u.a. betei-<br />
ligt an <strong>der</strong> Entwicklung des Team-Kle<strong>in</strong>gruppen-<br />
Modells <strong>in</strong> Zusammenarbeit mit Prof. Herrlitz. E<strong>in</strong><br />
beson<strong>der</strong>er Arbeitsschwerpunkt war die Lerndiagno-<br />
stik, die Beschreibung von Lern- und Persönlichkeits-<br />
entwicklungen und die Entwicklung differenzieren<strong>der</strong><br />
Lernangebote. Von 1990 bis 2005 Leitung des Dezer-<br />
nats Gesamtschulen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Bezirksregierung Weser-<br />
Ems. Von 2001 bis 2004 Teilnahme an <strong>der</strong> Entwick-<br />
lung und Erprobung <strong>e<strong>in</strong>e</strong>s Instrumentariums zur<br />
Messung <strong>der</strong> Schulqualität für die im Mai 2005<br />
gegründete Schul<strong>in</strong>spektion <strong>in</strong> Rahmen <strong>e<strong>in</strong>e</strong>r Koope-<br />
ration mit <strong>der</strong> nie<strong>der</strong>ländischen Inspektion; Mitglied<br />
des Landesvorstands <strong>der</strong> Geme<strong>in</strong>nützigen Gesellschaft<br />
Gesamtschule.
3 9
Anhang A<br />
4 0
Anhang B<br />
4 1
Anhang C<br />
4 2
Anhang D<br />
4 3
Anhang E<br />
4 4
Anhang F<br />
4 5
Anhang G<br />
4 6
Anhang H<br />
4 7
Anhang I<br />
4 8