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Für eine gemeinsame Schule in Niedersachsen - Bibliothek der ...

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<strong>Für</strong> <strong>e<strong>in</strong>e</strong> Geme<strong>in</strong>same <strong>Schule</strong><br />

<strong>in</strong> <strong>Nie<strong>der</strong>sachsen</strong><br />

Gegen den deutschen Son<strong>der</strong>weg<br />

<strong>in</strong> Europa<br />

Die Autoren:<br />

Renate Jürgens-Pieper<br />

Andreas Meisner<br />

Wilhelm Pieper<br />

Karl-He<strong>in</strong>z Uflerbäumer<br />

1


© Friedrich-Ebert-Stiftung<br />

Büro <strong>Nie<strong>der</strong>sachsen</strong><br />

Rathenaustraße 16 A<br />

30159 Hannover<br />

Tel.: 0511 306622<br />

Fax: 0511 306133<br />

e-mail: hannover@fes.de<br />

Internet: www.fes.de<br />

April 2007<br />

ISBN 987-3-89892-638-6<br />

Gesamtherstellung: ZeitDruck Hannover<br />

2


Inhaltsverzeichnis<br />

Vorwort von Wolfgang Jüttner 5<br />

1 „Wer lebt, muss auf Wechsel gefasst se<strong>in</strong>“ 6<br />

2 Die Geme<strong>in</strong>same <strong>Schule</strong> <strong>in</strong> <strong>Nie<strong>der</strong>sachsen</strong> 9<br />

3 Geme<strong>in</strong>same <strong>Schule</strong> – Gesamtschule – Geme<strong>in</strong>schaftsschule – E<strong>in</strong>heitsschule – Regionalschule –<br />

Welcher Name ist s<strong>in</strong>nvoll? 11<br />

4 Der lange deutsche Streit um <strong>e<strong>in</strong>e</strong> <strong>geme<strong>in</strong>same</strong> <strong>Schule</strong> 12<br />

4.1 Das strukturell separierende deutsche Schulsystem 12<br />

4.2 Die gespaltene Lehrerausbildung 14<br />

5 Erfolge und Fehlschläge auf dem Weg zu <strong>e<strong>in</strong>e</strong>r <strong>geme<strong>in</strong>same</strong>n <strong>Schule</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Mittelstufe 15<br />

5.1 Die Reichsschulkonferenz von 1920 und die Grundschule 15<br />

5.2 Erfolglose westliche Siegermächte nach 1945: Kont<strong>in</strong>uität des Schulsystems 15<br />

5.3 Ende <strong>der</strong> 60er Jahre: Der Neuansatz für <strong>e<strong>in</strong>e</strong> längere <strong>geme<strong>in</strong>same</strong> Schulzeit 16<br />

5.4 Die nie<strong>der</strong>sächsische Orientierungsstufe 16<br />

5.5 Die nie<strong>der</strong>sächsische Gesamtschule 17<br />

5.6 Die bildungspolitischen Gesamtschulperioden: 1971 - 1976 und 1990 - 2003 18<br />

5.7 E<strong>in</strong> Meilenste<strong>in</strong> für die Gesamtschulentwicklung 1996:<br />

– Die Klage <strong>der</strong> CDU gegen die Gleichstellung <strong>der</strong> Gesamtschulen 19<br />

5.8 Gesamtschulen s<strong>in</strong>d lernende Systeme: 35 Jahre Gesamtschulentwicklung 19<br />

6 E<strong>in</strong> Vorbild aus <strong>der</strong> Praxis – die IGS Franzsches Feld als Träger<strong>in</strong> des Deutschen Schulpreises 2006 21<br />

7 E<strong>in</strong>e pädagogische Zielkonzeption für die Geme<strong>in</strong>same <strong>Schule</strong> 24<br />

8 E<strong>in</strong> Blick <strong>in</strong> die Zukunft: Überlegungen und Ansätze zur Weiterentwicklung des <strong>in</strong>dividuellen Lernens 25<br />

9 Mit welchen Maßnahmen lässt sich die Geme<strong>in</strong>same <strong>Schule</strong> <strong>in</strong> <strong>Nie<strong>der</strong>sachsen</strong> verwirklichen? 34<br />

10 Schlussbemerkungen 36<br />

Die Autoren 38<br />

Anhang 40<br />

3


Vorwort von Wolfgang Jüttner<br />

<strong>der</strong>sachsen beitragen wird.<br />

Ich freue mich, dass das Lan-<br />

desbüro <strong>der</strong> Friedrich-Ebert-<br />

Stiftung <strong>e<strong>in</strong>e</strong> Broschüre „<strong>Für</strong><br />

<strong>e<strong>in</strong>e</strong> Geme<strong>in</strong>same <strong>Schule</strong>“<br />

vorlegt, die zur weiteren<br />

Information und Belebung<br />

<strong>der</strong> Diskussion über das richti-<br />

ge Bildungskonzept für Nie-<br />

Die SPD <strong>Nie<strong>der</strong>sachsen</strong> hat mit ihrem Parteitags-<br />

beschluss vom 10. Juli 2006 unser Konzept „Zukunft<br />

<strong>der</strong> Bildung“ <strong>der</strong> Öffentlichkeit vorgestellt, weil sie <strong>der</strong><br />

Me<strong>in</strong>ung war, <strong>in</strong> <strong>Nie<strong>der</strong>sachsen</strong> s<strong>in</strong>d nicht die richtigen<br />

Konsequenzen aus den <strong>in</strong>ternationalen Leistungsver-<br />

gleichen wie PISA und IGLU gezogen worden.<br />

Auch die zweite PISA-Studie hat uns wie<strong>der</strong>um<br />

gezeigt, dass unser bestehendes Schulsystem nicht<br />

begabungsgerecht ist. Niemand kann zudem bestrei-<br />

ten, dass es <strong>in</strong> s<strong>e<strong>in</strong>e</strong>r Wirkung zu <strong>e<strong>in</strong>e</strong>r sozialen Ausle-<br />

se führt, die <strong>e<strong>in</strong>e</strong>n Teil unserer Jugendlichen we<strong>der</strong> zu<br />

Schulabschlüssen führt, noch zu Leistungen, die für ihr<br />

Alter angemessen s<strong>in</strong>d.<br />

Wir wollen das nicht weiter beklagen o<strong>der</strong> mit<br />

Konzepten von gestern, wie noch früheres Sortieren<br />

von K<strong>in</strong><strong>der</strong>n reagieren, son<strong>der</strong>n wollen handeln.<br />

Die Autoren <strong>der</strong> Broschüre zeigen auf <strong>der</strong> Basis<br />

des SPD-Beschlusses, wie e<strong>in</strong> Qualitätskonzept für die<br />

<strong>Schule</strong>n <strong>in</strong> <strong>Nie<strong>der</strong>sachsen</strong> aussehen könnte. Der<br />

Begriff <strong>der</strong> „Geme<strong>in</strong>same <strong>Schule</strong>“ wird mit pädagogi-<br />

schem Leben gefüllt. Dabei haben sie sich an den Kri-<br />

terien des deutschen Schulpreises, <strong>der</strong> die Leistungen<br />

<strong>der</strong> Schüler<strong>in</strong>nen und Schüler, den Umgang mit <strong>der</strong><br />

Vielfalt, die Unterrichtsqualität, die Übernahme von<br />

Verantwortung, das Schulklima, das Schulleben und<br />

die <strong>Schule</strong> als lernende Institution <strong>in</strong> den Fokus<br />

genommen hat, orientiert. Sie führen uns damit vor<br />

Augen, wie <strong>e<strong>in</strong>e</strong> gute Schulpraxis aussehen könnte<br />

und wie <strong>e<strong>in</strong>e</strong> Lernorganisation darüber h<strong>in</strong>aus ausse-<br />

hen müsste, um den Weg <strong>der</strong> <strong>in</strong>dividuellen För<strong>der</strong>ung<br />

so weiter zu gehen, wie es uns <strong>in</strong>ternational die besten<br />

Nationen vormachen.<br />

Ich bedanke mich für diese Anregungen und<br />

hoffe auf <strong>e<strong>in</strong>e</strong> Debatte, die nicht ideologisch geführt<br />

wird, son<strong>der</strong>n an den Defiziten unseres nicht bega-<br />

bungsgerechten Schulsystems ansetzt, das augenblick-<br />

lich die guten Schüler nicht gut genug und die schwä-<br />

cheren Schüler unzureichend för<strong>der</strong>t.<br />

Wolfgang Jüttner<br />

Vorsitzen<strong>der</strong> <strong>der</strong> SPD-Landtagsfraktion<br />

5


1. „Wer lebt, muss auf Wechsel<br />

gefasst se<strong>in</strong>“<br />

Johann Wolfgang von Goethe <strong>in</strong> „Wilhelm Meis-<br />

ters Wan<strong>der</strong>jahre“<br />

Diese Broschüre richtet sich an alle, die befürchten,<br />

dass unser deutsches Schulsystem und unsere deut-<br />

sche Gleichschrittpädagogik die falschen Antworten<br />

auf die unterschiedliche Lernentwicklung unserer K<strong>in</strong>-<br />

<strong>der</strong> geben.<br />

Bei vielen Menschen ist ihr „Weltbild vom be-<br />

son<strong>der</strong>s guten und erfolgreichen deutschen Schulsy-<br />

stem“ durch die <strong>in</strong>ternationalen Studien <strong>in</strong>s Wanken<br />

gekommen. Sie hätten nicht gedacht, dass das frühe<br />

Sortieren <strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong> <strong>in</strong> Deutschland dazu führt, dass das<br />

geglie<strong>der</strong>te Schulsystem im <strong>in</strong>ternationalen Vergleich<br />

nur mittelmäßige Bildungsergebnisse hervorbr<strong>in</strong>gt, dass<br />

wir nicht nur die leistungsstarken Schüler schlecht för-<br />

<strong>der</strong>n, son<strong>der</strong>n die Schere zwischen den Leistungsstar-<br />

ken und den Leistungsschwächeren so groß wie <strong>in</strong> kei-<br />

nem an<strong>der</strong>en Land ist. Und zu allem Überfluss wurde<br />

uns gezeigt, dass <strong>der</strong> <strong>Schule</strong>rfolg unserer K<strong>in</strong><strong>der</strong>n unak-<br />

zeptabel stark abhängig ist vom sozialen Status des<br />

Elternhauses. Dass <strong>in</strong> unserem Schulsystem 25% <strong>der</strong><br />

Fünfzehnjährigen lediglich die niedrigste PISA-Kompe-<br />

tenzstufe erreichen, haben viele nicht für möglich<br />

gehalten. Im Klartext heißt das, e<strong>in</strong> Viertel unserer Schü-<br />

ler<strong>in</strong>nen und Schüler im Alter von fünfzehn Jahren<br />

erbr<strong>in</strong>gt Leistungen auf dem Grundschulniveau.<br />

Wer jetzt noch glaubt, dass es erfolgreich ist,<br />

unsere K<strong>in</strong><strong>der</strong> möglichst früh nach irgendwie progno-<br />

stizierter schulischer Leistungsfähigkeit zu trennen<br />

o<strong>der</strong> wer glaubt, dass allen K<strong>in</strong><strong>der</strong>n <strong>e<strong>in</strong>e</strong>r Lerngruppe<br />

<strong>der</strong> gleiche Unterricht mit gleichen Anfor<strong>der</strong>ungen<br />

angeboten werden sollte, gehört nach alledem zu den<br />

ewig Gestrigen. Er vermag nicht zu erkennen, woran<br />

das deutsche Schulsystem im <strong>in</strong>ternationalen Vergleich<br />

wirklich scheitert, nämlich an <strong>e<strong>in</strong>e</strong>r Pädagogik, die<br />

durch zu frühes Sortieren ständig vergeblich versucht,<br />

homogene Lerngruppen zu erzeugen, die dann im<br />

Gleichschritt unterrichtet werden sollen.<br />

6<br />

Wer dieses „deutsche Sortiersystem“ nach wie<br />

vor für richtig hält, sollte die Broschüre zur Seite legen<br />

und bis zur nächsten PISA- Studie weiter daran glau-<br />

ben, dass die richtige Antwort auf die schlechten Bil-<br />

dungsergebnisse des geglie<strong>der</strong>ten Schulsystems nach<br />

wie vor ihre Aufteilung auf unterschiedliche Schulty-<br />

pen ist, <strong>in</strong> denen sie unterschiedlich ausgebildete Leh-<br />

rer unterrichten werden. Wer so denkt, sollte sich<br />

dann aber nicht lauthals beklagen, dass wir <strong>in</strong>terna-<br />

tional im Wettlauf um hochqualifizierte Arbeitskräfte<br />

abgehängt werden, weil wir 10 % von Schülern ohne<br />

Abschluss haben, weil wir nicht genügend Abiturienten<br />

und Facharbeitskräfte haben und weil uns die Exzellenz<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> Hochschule und Forschung verloren geht.<br />

Die Broschüre möchte <strong>in</strong>formieren, sie möchte<br />

Politiker, Eltern und Lehrer und ihre Interessenvertre-<br />

tungen überzeugen, dass unser schlechtes Abschnei-<br />

den im <strong>in</strong>ternationalen Vergleich nicht an e<strong>in</strong>zelnen<br />

schlechten <strong>Schule</strong>n, unfähigen K<strong>in</strong><strong>der</strong>n und Eltern<br />

o<strong>der</strong> gar faulen Lehrern liegt, son<strong>der</strong>n am System. E<strong>in</strong><br />

System das unterschiedliches Lernvermögen mit Auf-<br />

teilung, Sitzen bleiben und Abschulung beantwortet<br />

und diese Beschämung von K<strong>in</strong><strong>der</strong>n auch noch zu För-<br />

<strong>der</strong>maßnahmen erklärt.<br />

„Lernen ist doch das Aller<strong>in</strong>dividuellste auf <strong>der</strong><br />

ganzen Welt, es ist genauso <strong>in</strong>dividuell wie die Liebe“,<br />

sagt wie immer sehr treffend unser pädagogischer<br />

Nestor Hartmut von Hentig.<br />

Diese Broschüre möchte Mitstreiter und Mit-<br />

streiter<strong>in</strong>nen gew<strong>in</strong>nen, den Gegenentwurf breit <strong>in</strong><br />

<strong>Nie<strong>der</strong>sachsen</strong> zu diskutieren. Um e<strong>in</strong> Schulsystem zu<br />

entwickeln, das auf frühe För<strong>der</strong>ung setzt und mit <strong>der</strong><br />

Verschiedenheit unserer K<strong>in</strong><strong>der</strong> nicht als Problem, son-<br />

<strong>der</strong>n als Chance und Bereicherung umgeht, und zwar<br />

so erfolgreich, dass nicht die soziale Herkunft <strong>der</strong> K<strong>in</strong>-<br />

<strong>der</strong> den Schulabschluss bestimmt, son<strong>der</strong>n ihre Lern-<br />

entwicklung <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schule</strong>.<br />

Die beim deutschen Schulpreis ausgezeichneten<br />

<strong>Schule</strong>n s<strong>in</strong>d bis auf <strong>e<strong>in</strong>e</strong> Grundschule allesamt<br />

Gesamtschulen <strong>der</strong> zweiten Generation. Dies s<strong>in</strong>d<br />

Gesamtschulen, die ihre Systemqualität <strong>in</strong> Bezug auf<br />

Lernorganisation, Lern- und Schulkultur und Schulma-


nagement gegenüber dem Gesamtschultypus <strong>der</strong><br />

ersten Gründungsphase deutlich verbessert haben.<br />

Lange bekannte, mit den Grundhypothesen und<br />

<strong>der</strong> Praxis <strong>der</strong> Lernorganisation an den <strong>Schule</strong>n des<br />

geglie<strong>der</strong>ten Schulsystems schwer <strong>in</strong> E<strong>in</strong>klang zu br<strong>in</strong>-<br />

gende Erkenntnisse und Grundsätze <strong>der</strong> deutschen<br />

Reformpädagogik wurden Ausgangspunkt für die Ent-<br />

wicklung von begabungs- und schülergerechteren<br />

Lernangeboten und Lernformen an diesen Gesamt-<br />

schulen.<br />

Ihre pädagogische Konzeption haben wir als<br />

Grundlage genommen für e<strong>in</strong> pädagogisches Zielkon-<br />

zept <strong>der</strong> Geme<strong>in</strong>samen <strong>Schule</strong>, wie sie <strong>in</strong> Nie<strong>der</strong>sach-<br />

sen entstehen könnte, wenn die SPD wie<strong>der</strong> die Mehr-<br />

heit im Land gew<strong>in</strong>nt.<br />

Es ist schön, dass jetzt die Arbeit <strong>der</strong> Gesamt-<br />

schulen <strong>in</strong> <strong>Nie<strong>der</strong>sachsen</strong> durch die Auszeichnung <strong>der</strong><br />

IGS Franzsches Feld <strong>in</strong> Braunschweig mit dem deut-<br />

schen Schulpreis gewürdigt worden ist. Es gibt <strong>in</strong>zwi-<br />

schen <strong>e<strong>in</strong>e</strong> Reihe von Gesamtschulen, die mit Elemen-<br />

ten ihres Konzeptes arbeiten, das freut uns auch<br />

deshalb, weil die Gründung dieser <strong>Schule</strong> Ende <strong>der</strong><br />

80er Jahre gegen e<strong>in</strong> Gesamtschule<strong>in</strong>richtungsmora-<br />

torium mit <strong>e<strong>in</strong>e</strong>r Bürger<strong>in</strong>itiative mühsam politisch<br />

erkämpft werden musste. Es freut uns Autoren auch<br />

deshalb beson<strong>der</strong>s, weil die Qualität dieser und ande-<br />

rer Gesamtschulen von konservativer Seite bisher<br />

immer bestritten wurde. Jetzt liegt <strong>der</strong> gegenteilige<br />

Beweis vor und <strong>der</strong> amtierende Kultusm<strong>in</strong>ister, <strong>der</strong><br />

wie<strong>der</strong> e<strong>in</strong> Gesamtschulgründungsverbot zu verant-<br />

worten hat, musste sich bei <strong>der</strong> Preisverleihung anhö-<br />

ren, dass diese Gesamtschule und mit ihr vier an<strong>der</strong>e<br />

Leuchtturmfunktion für die an<strong>der</strong>en <strong>Schule</strong>n <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Bundesrepublik haben. Lei<strong>der</strong> werden solche <strong>Schule</strong>n<br />

auf absehbare Zeit tatsächlich ’nur’ Leuchttürme blei-<br />

ben, weil <strong>der</strong> politische Wille <strong>e<strong>in</strong>e</strong>r flächendeckenden<br />

E<strong>in</strong>führung ihrer pädagogischen Konzeption und<br />

Arbeitsweisen nicht <strong>in</strong> Sicht ist und weil diese Elemen-<br />

te untrennbar verknüpft s<strong>in</strong>d mit den Grundstrukturen<br />

von Gesamtschule.<br />

Die Heterogenität ihrer Schülerschaft ist das<br />

konstitutive Element für sie. Damit s<strong>in</strong>d diese <strong>Schule</strong>n<br />

gezwungen, e<strong>in</strong> pädagogisches Konzept zu ent-<br />

wickeln, dass auf die Verschiedenheit ihrer Schüler e<strong>in</strong>-<br />

geht. Beim deutschen Schulpreis werden richtigerwei-<br />

se die Schülerleistung, die Unterrichtsqualität, die Aus-<br />

gestaltung des Schullebens und auch <strong>der</strong> Umgang mit<br />

Vielfalt als wesentliche Qualitätskriterien <strong>der</strong> Bewer-<br />

tung von <strong>Schule</strong>n zugrundegelegt. Man kann sich<br />

leicht vorstellen, warum es k<strong>e<strong>in</strong>e</strong>s <strong>der</strong> <strong>in</strong> den Wettbe-<br />

werb gegangenen Gymnasien <strong>in</strong> die Gruppe <strong>der</strong> Preis-<br />

träger geschafft hat. Die deutschen <strong>Schule</strong>n des<br />

geglie<strong>der</strong>ten Systems, auch die guten, bef<strong>in</strong>den sich <strong>in</strong><br />

<strong>e<strong>in</strong>e</strong>m pädagogischen Teufelskreis, da das Lernange-<br />

bot für Schüler mit starken Unterschieden <strong>in</strong> den Lern-<br />

voraussetzungen nicht <strong>in</strong>nerhalb <strong>e<strong>in</strong>e</strong>r Schulform flexi-<br />

bel genug gestaltet werden kann.<br />

Es reicht deshalb nicht aus, die <strong>Schule</strong>n aufzu-<br />

for<strong>der</strong>n, es den Leuchttürmen gleich zu tun, son<strong>der</strong>n<br />

die konstitutiven Elemente des geglie<strong>der</strong>ten Systems<br />

müssen aufgehoben werden, um den <strong>Schule</strong>n bessere<br />

Entwicklungsmöglichkeiten zu geben.<br />

Die E<strong>in</strong>führung <strong>der</strong> Verlässlichen Grundschule <strong>in</strong><br />

<strong>Nie<strong>der</strong>sachsen</strong> hat gezeigt, das bei E<strong>in</strong>griffen <strong>in</strong> die<br />

Schulstruktur vom Ziel her, <strong>e<strong>in</strong>e</strong>r flächendeckenden<br />

E<strong>in</strong>führung, gedacht werden muss. Der alte Reforman-<br />

satz, bei dem sich wenige <strong>Schule</strong>n über <strong>e<strong>in</strong>e</strong>n begrenz-<br />

ten Zeitraum mit <strong>e<strong>in</strong>e</strong>r beson<strong>der</strong>en Zielsetzung und<br />

Ausstattung auf den Weg machen, war noch nie ziel-<br />

führend. Anspruchsvolle pädagogische wie strukturel-<br />

le Reformen, die von den <strong>Schule</strong>n neues Denken und<br />

umfassende Verän<strong>der</strong>ung abverlangen, bleiben dann<br />

zwischen 10 % bis max. 30 % <strong>der</strong> Gesamtzahl <strong>der</strong><br />

<strong>Schule</strong>n stecken o<strong>der</strong> werden, wie die historische<br />

Betrachtung zeigt, nach e<strong>in</strong>iger Zeit des Streits wie<strong>der</strong><br />

aufgegeben.<br />

E<strong>in</strong>e dieser bislang steckengebliebenen Refor-<br />

men ist die E<strong>in</strong>führung <strong>der</strong> Gesamtschule, erst als<br />

„Versuchsschule“, dann als „Angebotsschule“, immer<br />

jedoch als zusätzliches und das heißt auch randständi-<br />

ges Element neben dem geglie<strong>der</strong>ten Schulsystem.<br />

7


Schulreform ist k<strong>e<strong>in</strong>e</strong> Spielwiese und schon gar<br />

ke<strong>in</strong> Zuckerschlecken. Wer erfolgreich se<strong>in</strong> will, muss<br />

vor allem selbst überzeugt se<strong>in</strong> von <strong>der</strong> Richtigkeit sei-<br />

nes Tuns, verän<strong>der</strong>ungsbereit, aber nicht wankelmü-<br />

tig. Wer <strong>e<strong>in</strong>e</strong> an<strong>der</strong>e Schulstruktur will, muss selbst<br />

sicher <strong>in</strong> s<strong>e<strong>in</strong>e</strong>r Argumentation se<strong>in</strong> und über verlässli-<br />

che Mitstreitern verfügen, wenn geme<strong>in</strong>sam <strong>der</strong><br />

Sturm <strong>der</strong> Entrüstung ausgehalten werden soll, den<br />

die Konservativen auszulösen versuchen. Halbe Schrit-<br />

te wie die För<strong>der</strong>stufe als Ersatz für die Orientierungs-<br />

stufe waren nicht überzeugend. Man wollte zwar zum<br />

alten Sortiersystem nicht zurückkehren, aber man<br />

konnte sich im eigenen Lager nicht auf e<strong>in</strong> überzeu-<br />

gendes, zukunftsweisendes Strukturkonzept e<strong>in</strong>igen.<br />

E<strong>in</strong> klares Zielkonzept, Überzeugungsarbeit,<br />

warum man die dar<strong>in</strong> aufgeführten Qualitätskriterien<br />

für nötig hält, und <strong>e<strong>in</strong>e</strong> klare Zeitschiene s<strong>in</strong>d am<br />

Anfang <strong>e<strong>in</strong>e</strong>r solchen Reform unverzichtbar.<br />

Und schließlich s<strong>in</strong>d Organisationsformen nur<br />

Hülsen, die gefüllt werden müssen, und zwar nicht<br />

beliebig, son<strong>der</strong>n unter dem Anspruch <strong>e<strong>in</strong>e</strong>r ständig<br />

zunehmenden Qualität <strong>der</strong> schulischen Arbeit. Mit<br />

strukturellen Verän<strong>der</strong>ungen müssen deshalb klare<br />

pädagogische Zielkonzeptionen verbunden werden.<br />

Es wird auch weiterh<strong>in</strong> Leuchttürme geben<br />

müssen, aber es muss zugleich je<strong>der</strong> <strong>Schule</strong> möglich<br />

se<strong>in</strong>, ihrer orientierenden Funktion auch zu folgen.<br />

Dazu bedarf es klarer Vorgaben m<strong>in</strong>destens seitens<br />

des M<strong>in</strong>isteriums, wenn nicht des Gesetzgebers.<br />

Die Autoren dieser Broschüre wissen, wovon sie<br />

reden. Sie haben <strong>in</strong> unterschiedlichen Funktionen <strong>in</strong><br />

den vergangenen 30 Jahren <strong>in</strong> und für die nie<strong>der</strong>säch-<br />

sischen Gesamtschulen gearbeitet. Sie haben ständig<br />

dazu gelernt, s<strong>in</strong>d immer wie<strong>der</strong> an Grenzen gestoßen<br />

und haben dennoch sehr erfolgreich <strong>Schule</strong> gestaltet.<br />

Sie wissen, dass unter bestimmten Bed<strong>in</strong>gungen <strong>e<strong>in</strong>e</strong><br />

<strong>geme<strong>in</strong>same</strong> <strong>Schule</strong> für alle K<strong>in</strong><strong>der</strong> und Jugendlichen<br />

e<strong>in</strong> Erfolgsprojekt se<strong>in</strong> kann. Sie wissen aber auch,<br />

dass die gute Arbeit <strong>e<strong>in</strong>e</strong>r e<strong>in</strong>zelnen <strong>Schule</strong> nicht zu<br />

<strong>e<strong>in</strong>e</strong>r Verän<strong>der</strong>ung des Gesamtsystems führen kann.<br />

Deshalb war <strong>in</strong> <strong>Nie<strong>der</strong>sachsen</strong> nicht die E<strong>in</strong>führung <strong>der</strong><br />

8<br />

Vollen Halbtagsschule mit <strong>e<strong>in</strong>e</strong>r begrenzten Anzahl<br />

beson<strong>der</strong>s ausgestatteter Grundschulen <strong>der</strong> Durch-<br />

bruch für die <strong>Schule</strong>ntwicklung im Grundschulbereich,<br />

son<strong>der</strong>n erst die flächendeckende E<strong>in</strong>führung <strong>der</strong> Ver-<br />

lässlichen Grundschule. Nach allen Wi<strong>der</strong>ständen war<br />

sie am Ende e<strong>in</strong> Erfolg, weil die Zielkonzeption für alle<br />

<strong>Schule</strong>n vorgegeben war und so <strong>e<strong>in</strong>e</strong> neue Qualität<br />

für die Grundschularbeit sichtbar für alle K<strong>in</strong><strong>der</strong>, Eltern<br />

und Lehrer entwickelt werden konnte.<br />

Mit dieser Broschüre wollen wir mithelfen, den<br />

bildungspolitischen Beschluss <strong>der</strong> SPD zur flächendek-<br />

kenden E<strong>in</strong>führung <strong>e<strong>in</strong>e</strong>r Geme<strong>in</strong>samen <strong>Schule</strong> zu<br />

<strong>e<strong>in</strong>e</strong>m ähnlichen Erfolg zu br<strong>in</strong>gen. Deshalb werden<br />

wir den historischen Kontext dieser Reform genauso<br />

aufzeigen wie das pädagogische Zielkonzept.<br />

Diese Broschüre soll deutlich machen, dass es<br />

sich bei <strong>der</strong> „Geme<strong>in</strong>samen <strong>Schule</strong>“ um <strong>e<strong>in</strong>e</strong>n Quali-<br />

tätsbegriff handelt, <strong>der</strong> durch das hier beschriebene<br />

Zielkonzept „<strong>Für</strong> alle K<strong>in</strong><strong>der</strong> <strong>e<strong>in</strong>e</strong> gute Bildung“ zu<br />

erreichen, näher def<strong>in</strong>iert werden soll und <strong>der</strong> den<br />

nicht erfolgreichen deutschen Son<strong>der</strong>weg, dieses mit<br />

verschiedenen Schultypen zu erreichen, beendet.<br />

Es gibt sicherlich <strong>Schule</strong>n, wie die mit dem<br />

deutschen Schulpreis ausgezeichnete IGS Franzsches<br />

Feld, die die Anfor<strong>der</strong>ungen des Zielkonzeptes bereits<br />

weitgehend erfüllen, doch viele hätten noch e<strong>in</strong> gehö-<br />

riges Stück Arbeit vor sich, wenn sie dieses qualitative<br />

Niveau erreichen wollten.<br />

Wir wollen Mut machen, dass man die Wi<strong>der</strong>-<br />

stände auf diesem Weg überw<strong>in</strong>den kann, wenn man<br />

selbst an den Erfolg glaubt.<br />

Wir wollen es deshalb für die kommenden<br />

Monate und Jahre nicht bei <strong>der</strong> Broschüre bewenden<br />

lassen, son<strong>der</strong>n stehen auch persönlich allen, die uns<br />

e<strong>in</strong>laden, für Vorträge und Beratungsgespräche zur<br />

Verfügung.


2. Die Geme<strong>in</strong>same <strong>Schule</strong> <strong>in</strong><br />

<strong>Nie<strong>der</strong>sachsen</strong><br />

Am 10. Juni 2006 hat die nie<strong>der</strong>sächsische SPD den<br />

wegweisenden Beschluss zur Geme<strong>in</strong>samen <strong>Schule</strong><br />

auf ihrem Landesparteitag <strong>in</strong> Wolfsburg gefasst. Damit<br />

fand e<strong>in</strong> zweijähriger Prozess <strong>der</strong> Selbstverständigung<br />

s<strong>e<strong>in</strong>e</strong>n Abschluss.<br />

Im Vorfeld hatte <strong>e<strong>in</strong>e</strong> <strong>in</strong>nerparteiliche Arbeits-<br />

gruppe, <strong>in</strong> die alle Glie<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> Partei Mitglie<strong>der</strong><br />

entsandt hatten, e<strong>in</strong> umfassendes Bildungskonzept<br />

unter dem Titel „Zukunft <strong>der</strong> Bildung“ erstellt. Mit <strong>der</strong><br />

von <strong>der</strong> Landtagsfraktion herausgegebenen gleichna-<br />

migen Broschüre „Zukunft <strong>der</strong> Bildung – Perspektiven<br />

zur Bildungspolitik <strong>in</strong> <strong>Nie<strong>der</strong>sachsen</strong>“ wurden die Vor-<br />

schläge bis zum Landesparteitag <strong>in</strong> die öffentliche Dis-<br />

kussion gegeben.<br />

Wenn man den Beschluss auf den Kern redu-<br />

ziert, dann ist die Geme<strong>in</strong>same <strong>Schule</strong> <strong>e<strong>in</strong>e</strong> <strong>Schule</strong>, die<br />

• <strong>in</strong> Klasse 5 bis 10 alle K<strong>in</strong><strong>der</strong> aufnimmt,<br />

• mit <strong>e<strong>in</strong>e</strong>m Budget für För<strong>der</strong>unterricht, Fachperso-<br />

nal und Fortbildung arbeitet,<br />

• <strong>e<strong>in</strong>e</strong> hohe Selbstständigkeit hat,<br />

• als Ganztagsschule, die K<strong>in</strong><strong>der</strong> auch an Nachmitta-<br />

gen beschult und<br />

• die Abschlüsse entsprechend den KMK-Rege-<br />

lungen vergibt.<br />

Als Begründung für <strong>e<strong>in</strong>e</strong> solche Umgestaltung<br />

unseres Schulwesens wird genannt, dass Deutschland<br />

s<strong>e<strong>in</strong>e</strong>n Son<strong>der</strong>weg <strong>in</strong> Europa und <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> OECD<br />

aufgeben sollte, da alle Län<strong>der</strong> außer Deutschland,<br />

Österreich und <strong>der</strong> Schweiz ihre K<strong>in</strong><strong>der</strong> länger geme<strong>in</strong>-<br />

sam beschulen und ihnen damit <strong>e<strong>in</strong>e</strong> bessere Förde-<br />

rung aller „Begabungen“ gel<strong>in</strong>gt, wie das <strong>in</strong> Deutsch-<br />

land heißt. Deshalb wird das frühe Aussortieren von<br />

K<strong>in</strong><strong>der</strong>n <strong>in</strong> dem SPD-Beschluss als falscher Weg<br />

bezeichnet.<br />

Der Weg, wie <strong>e<strong>in</strong>e</strong> solche Umgestaltung des<br />

Schulwesens aussehen könnte, wird wie folgt<br />

beschrieben.<br />

• Erster Schritt:<br />

Ab 2008 soll die <strong>geme<strong>in</strong>same</strong> <strong>Schule</strong> als Regelschu-<br />

le im Schulgesetz verankert werden und die ande-<br />

ren bestehende <strong>Schule</strong>n ohne Abschulung und<br />

ohne Sitzenbleiben arbeiten.<br />

• Zweiter Schritt:<br />

Bis 2013 strebt die SPD für jedes K<strong>in</strong>d wohnortnah<br />

<strong>e<strong>in</strong>e</strong>n Platz <strong>in</strong> <strong>e<strong>in</strong>e</strong>r Geme<strong>in</strong>samen <strong>Schule</strong> an.<br />

Beg<strong>in</strong>nend ab 2008 können dafür bestehende<br />

<strong>Schule</strong>n <strong>in</strong> Geme<strong>in</strong>same <strong>Schule</strong>n umgewandelt<br />

werden. Hierbei soll <strong>der</strong> Elternwille entscheiden.<br />

Soweit <strong>der</strong> auf den Kern <strong>der</strong> Umgestaltung<br />

reduzierte SPD-Beschluss.<br />

Vor dem H<strong>in</strong>tergrund <strong>der</strong> langen sozialdemo-<br />

kratischen Debatte, ob die <strong>in</strong> den 70er Jahren gegrün-<br />

deten Gesamtschulen auf die Dauer als e<strong>in</strong> ergänzen-<br />

des Parallelsystem o<strong>der</strong> ersetzend arbeiten sollen, ist<br />

dieser Beschluss nach langen Jahren <strong>der</strong> Sprachlosig-<br />

keit zu dieser Frage, <strong>e<strong>in</strong>e</strong> neue Positionierung <strong>in</strong> Rich-<br />

tung <strong>e<strong>in</strong>e</strong>r Anpassung an <strong>in</strong>ternationale Standards und<br />

Rücknahme des deutschen Son<strong>der</strong>wegs.<br />

Nach <strong>der</strong> für die SPD quälenden Diskussion um<br />

die Orientierungsstufe und dem Parteitagsbeschluss<br />

zur Abschaffung, ist dieser Beschluss folgerichtig und<br />

zukunftsweisend. Denn die E<strong>in</strong>richtung <strong>der</strong> Orientie-<br />

rungsstufe war zwar als Verlängerung <strong>e<strong>in</strong>e</strong>r geme<strong>in</strong>sa-<br />

men Schulzeit seitens <strong>der</strong> SPD geme<strong>in</strong>t, doch am Ende<br />

hat sie die Sortierungsfunktion für das geglie<strong>der</strong>te<br />

Schulwesen übernommen und sogar stabilisierend für<br />

die Hauptschule gewirkt. Das wissenschaftliche Gut-<br />

achten des Deutschen Instituts für <strong>in</strong>ternationale päd-<br />

agogische Forschung (DIPF) bestätigte ihr entspre-<br />

chend <strong>e<strong>in</strong>e</strong> nicht h<strong>in</strong>reichende För<strong>der</strong>ung und <strong>e<strong>in</strong>e</strong><br />

sozial selektierende Funktion.<br />

Nach Abschaffung dieser Schulform ist es des-<br />

halb folgerichtig, nicht zum Vorsortieren durch die<br />

Grundschule zurückzukehren, wie es jetzt <strong>in</strong> Nie<strong>der</strong>-<br />

sachsen geschieht, son<strong>der</strong>n sich die Län<strong>der</strong> zum Vor-<br />

bild zu nehmen, die <strong>in</strong> <strong>in</strong>ternationalen Vergleichen<br />

besser abschneiden.<br />

9


<strong>Für</strong> die nie<strong>der</strong>sächsische SPD ist damit <strong>e<strong>in</strong>e</strong> 40-<br />

jährige Debatte beendet, welchen Status die <strong>Schule</strong>n<br />

des geglie<strong>der</strong>ten Systems bzw. die Gesamtschulen<br />

haben sollen. Auf die Dauer möchte sie, dass sich alle<br />

<strong>Schule</strong>n zu Geme<strong>in</strong>samen <strong>Schule</strong>n umwandeln und<br />

zugleich Regelschulen werden.<br />

Die Benennung als Regelschulen nach <strong>der</strong> alten<br />

Schulgesetzsystematik ist dann nicht problematisch,<br />

wenn man politisch weiß, was man damit will. In <strong>der</strong><br />

Schulgesetznovelle von 1994 ist man von <strong>der</strong> Unter-<br />

scheidung zwischen Regelschule und Angebotsschule<br />

abgegangen, weil es die politische Absicht war, die<br />

Gesamtschule, die zu CDU-Zeiten Angebotsschule<br />

war, mit den an<strong>der</strong>en <strong>Schule</strong>n gleich zu stellen. Das<br />

94er Gesetz machte die Errichtung von Gesamtschu-<br />

len vom Elternwillen und <strong>der</strong> Leistungsfähigkeit des<br />

Schulträgers abhängig. Dabei g<strong>in</strong>g man von <strong>e<strong>in</strong>e</strong>r<br />

Koexistenz zwischen Gesamtschulen und <strong>Schule</strong>n des<br />

geglie<strong>der</strong>ten Schulwesens aus, wobei die Verpflich-<br />

tung des Schulträgers, die an<strong>der</strong>en <strong>Schule</strong>n anzubie-<br />

ten, höher war, als die Verpflichtung Gesamtschulen<br />

zu gründen. Wenn jetzt die Geme<strong>in</strong>same <strong>Schule</strong> als<br />

Regelschule entsprechend dem Elternwillen errichtet<br />

werden soll, so heißt das <strong>in</strong> dieser Gesetzessystematik,<br />

je<strong>der</strong> Schulträger ist verpflichtet sie dann e<strong>in</strong>zurichten,<br />

wenn genügend Eltern dies wollen. <strong>Für</strong> die bestehen-<br />

den <strong>Schule</strong>n müsste das im S<strong>in</strong>ne <strong>e<strong>in</strong>e</strong>r tatsächlichen<br />

Gleichbehandlung heißen, auch ihre Existenz wird<br />

gesetzlich vom Elternwillen abhängig gemacht.<br />

Das heißt, künftig wäre <strong>der</strong> Bestand je<strong>der</strong> Schu-<br />

le vom Eltern<strong>in</strong>teresse abhängig und damit von <strong>e<strong>in</strong>e</strong>r<br />

h<strong>in</strong>reichenden Nachfrage.<br />

Werden <strong>Schule</strong>n <strong>in</strong> <strong>e<strong>in</strong>e</strong>m festzulegenden Zeit-<br />

raum nicht genügend nachgefragt, müssten sie vom<br />

Schulträger mit an<strong>der</strong>en zusammengelegt o<strong>der</strong> aufge-<br />

löst werden. Aus demografischen Gründen werden die<br />

Schulträger <strong>in</strong> den nächsten Jahren vermehrt gezwun-<br />

gen se<strong>in</strong>, über ihr künftiges Schulangebot zu entschei-<br />

den. Dabei werden sie sich vermutlich eher zu Zusam-<br />

menlegungen entschließen müssen, um <strong>e<strong>in</strong>e</strong><br />

wohnortnahe Beschulung zu sichern. Das ist auch zur<br />

1 0<br />

Sicherung <strong>e<strong>in</strong>e</strong>s vollständigen Schulangebotes wün-<br />

schenswert, <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e im ländlichen Raum. Um<br />

mehr höherqualifizierende Abschlüsse zu erreichen,<br />

wird man auch etwas zur künftigen Größe, d.h. zur<br />

Zügigkeit <strong>der</strong> Geme<strong>in</strong>samen <strong>Schule</strong>n sagen müssen<br />

und zu den Voraussetzungen, um <strong>e<strong>in</strong>e</strong> gymnasiale<br />

Oberstufe zu führen. Es macht S<strong>in</strong>n, <strong>in</strong> beiden Fällen<br />

die Entscheidung aus <strong>der</strong> pädagogischen Zielkonzepti-<br />

on für die Geme<strong>in</strong>same <strong>Schule</strong> abzuleiten.<br />

Die Gretchenfrage jedoch bleibt: Wie lange soll<br />

das Nebene<strong>in</strong>an<strong>der</strong> von Geme<strong>in</strong>samen <strong>Schule</strong>n und<br />

<strong>Schule</strong>n des geglie<strong>der</strong>ten Systems dauern? Im Partei-<br />

tagsbeschluss f<strong>in</strong>det sich dazu die Aussage, dass „k<strong>e<strong>in</strong>e</strong><br />

erneute Schulreform“ „von oben“ verordnet wird und<br />

<strong>e<strong>in</strong>e</strong> „an den Bedürfnissen vor Ort ausgerichtete Weiter-<br />

entwicklung“ angestrebt wird.“ Das lässt Handlungs-<br />

spielräume, aber auch Interpretationsspielräume offen.<br />

E<strong>in</strong>e Schulgesetznovelle und Verordnungsände-<br />

rungen wird es jedoch <strong>in</strong> jedem Fall geben müssen,<br />

denn we<strong>der</strong> mit dem jetzigen Schulgesetz noch mit<br />

den jetzigen Verordnungen ist die beschlossene weit-<br />

reichende Umgestaltung des Schulwesens möglich.<br />

Alle<strong>in</strong> die Abschaffung <strong>der</strong> Überweisungsmöglichkeit<br />

auf <strong>e<strong>in</strong>e</strong> an<strong>der</strong>e Schulform und die Abschaffung des<br />

Sitzenbleibens gegen den Willen <strong>der</strong> Eltern an allen<br />

<strong>Schule</strong>n macht Verordnungsän<strong>der</strong>ungen nötig. Die<br />

Gesamtschulen haben seit über 30 Jahren bewiesen,<br />

dass es ohne Sitzen bleiben geht und die Wissenschaft<br />

hat wie<strong>der</strong>holt aufgezeigt, dass <strong>der</strong> angebliche För<strong>der</strong>-<br />

charakter des Sitzenbleibes nicht nachweisbar ist. Als<br />

Folge des deutschen Sitzenbleibens ist lediglich zu<br />

beobachten, dass unsere deutschen Schüler länger im<br />

Schulsystem verweilen, deshalb im <strong>in</strong>ternationalen<br />

Vergleich zwar älter s<strong>in</strong>d, aber qualitativ nicht besser<br />

abschneiden.<br />

Das Abschulverbot ist dagegen von an<strong>der</strong>er<br />

schulpolitischer Brisanz. Die <strong>Schule</strong>n des geglie<strong>der</strong>ten<br />

Schulwesens verlieren e<strong>in</strong> Kernstück ihres Handlungs-<br />

<strong>in</strong>strumentariums gegenüber Schülern, aber auch ihr<br />

konstitutives Dogma, den bei ihnen „falschen“ Schü-<br />

ler aussortieren zu können.


Jede <strong>Schule</strong> muss sich bei Aufnahme <strong>e<strong>in</strong>e</strong>s<br />

Schülers darauf e<strong>in</strong>stellen, sich selbst um dessen Schul-<br />

erfolg und Abschluss zu kümmern. Bei freier Schul-<br />

wahl für die Eltern und damit freiem Elternwillen liegt<br />

<strong>in</strong> diesem Beschluss das Herzstück <strong>der</strong> Umgestaltung<br />

des geglie<strong>der</strong>ten Schulwesens.<br />

Es erfor<strong>der</strong>t e<strong>in</strong> grundlegendes Umdenken <strong>der</strong><br />

Lehrerschaft sowie <strong>e<strong>in</strong>e</strong> för<strong>der</strong>nde Begleitung <strong>der</strong><br />

Schüler auf ihrem Weg durch die <strong>Schule</strong>.<br />

3. Geme<strong>in</strong>same <strong>Schule</strong> – Gesamtschule<br />

– Geme<strong>in</strong>schaftsschule –<br />

E<strong>in</strong>heitsschule – Regionalschule –<br />

Welcher Name ist s<strong>in</strong>nvoll?<br />

Die SPD wendet sich <strong>in</strong> ihren bildungspolitischen<br />

Beschlüssen <strong>in</strong> vielen Bundeslän<strong>der</strong>n vermehrt <strong>e<strong>in</strong>e</strong>r<br />

Verlängerung <strong>der</strong> <strong>geme<strong>in</strong>same</strong>n Schulzeit und damit<br />

wie<strong>der</strong> <strong>der</strong> Schulstrukturfrage zu. Die Str<strong>in</strong>genz dieser<br />

Zuwendung ist dabei unterschiedlich ausgeprägt und<br />

zeugt noch nicht von <strong>e<strong>in</strong>e</strong>r abgeschlossenen Verstän-<br />

digung <strong>in</strong> dieser Frage.<br />

In <strong>Nie<strong>der</strong>sachsen</strong> ist 2008 <strong>e<strong>in</strong>e</strong> politische Mehr-<br />

heit <strong>der</strong> SPD denkbar. Dann stünde <strong>der</strong> Wolfsburger<br />

Beschluss auf <strong>der</strong> Tagesordnung. Bisher zeigen sich<br />

Teile <strong>der</strong> Partei <strong>in</strong> <strong>der</strong> Frage <strong>e<strong>in</strong>e</strong>r zukünftigen Schul-<br />

entwicklung jedoch weniger kampfeslustig als das kon-<br />

servative Spektrum. Es ist gegen alle wissenschaftli-<br />

chen Erkenntnisse sehr sicher, was es will: die Gesamt-<br />

schule bekämpfen, das geglie<strong>der</strong>te Schulsystem erhal-<br />

ten, notfalls wenigstens die Son<strong>der</strong>stellung des<br />

Gymnasiums.<br />

E<strong>in</strong> Indiz für die <strong>in</strong>nere Unentschiedenheit ist die<br />

Suche nach <strong>e<strong>in</strong>e</strong>r neuen Bezeichnung für das bereits<br />

sehr alte Projekt. Eigentlich gibt man <strong>e<strong>in</strong>e</strong> <strong>der</strong>artig<br />

bekannte und lange e<strong>in</strong>geführte ‚Markenbezeich-<br />

nung’ nur auf, wenn man an ihrem Marktwert zwei-<br />

felt o<strong>der</strong> signalisieren will, wir wollen auch etwas<br />

an<strong>der</strong>es als es bisher gibt. Wenn man glaubt, dass mit<br />

dem Gesamtschulbegriff überwiegend negative Asso-<br />

ziationen verbunden werden, dann wird man mit<br />

<strong>e<strong>in</strong>e</strong>m neuen Begriff nur überzeugen können, wenn<br />

man klar sagt, was man am bisherigen Konzept <strong>der</strong><br />

Gesamtschulen richtig bzw. falsch f<strong>in</strong>det und was dar-<br />

über h<strong>in</strong>aus wünschenswert ist.<br />

Bisher kann man den E<strong>in</strong>druck gew<strong>in</strong>nen, die<br />

Bezeichnungen Geme<strong>in</strong>schaftsschule, Regionalschule,<br />

Stadtteilschule s<strong>in</strong>d von Bundesland zu Bundesland mit<br />

wechselnden Inhalten und Organisationen verbunden.<br />

Vorab muss deshalb geklärt werden, ob es um <strong>e<strong>in</strong>e</strong><br />

<strong>Schule</strong> für alle K<strong>in</strong><strong>der</strong> und Jugendlichen von Klasse 5 bis<br />

10 geht o<strong>der</strong> um das sogenannte Zwei-Säulen-Modell.<br />

Wer etwas durchsetzen will, wer <strong>e<strong>in</strong>e</strong> Mehrheit<br />

von Menschen gew<strong>in</strong>nen will, muss die Menschen<br />

spüren lassen, dass die angebotene Lösung klar und<br />

überzeugend ist.<br />

Und wer <strong>in</strong> <strong>e<strong>in</strong>e</strong>r <strong>geme<strong>in</strong>same</strong>n Mittelstufen-<br />

schule e<strong>in</strong> erfolgreiches Lösungsmodell für die bil-<br />

dungspolitischen und pädagogischen Probleme sieht,<br />

darf <strong>in</strong> k<strong>e<strong>in</strong>e</strong>m Fall glauben, dass <strong>der</strong> Weg zu dieser<br />

<strong>Schule</strong> im Konsens mit <strong>der</strong> konservativen Seite gegan-<br />

gen werden kann. Es geht nicht ohne Ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>set-<br />

zung und ohne Konflikte. Die Frage <strong>der</strong> <strong>Schule</strong>ntwick-<br />

lung ist <strong>e<strong>in</strong>e</strong> <strong>der</strong> wenigen, wirklich strittigen Frage<br />

zwischen den beiden großen politischen Lagern.<br />

Die für <strong>e<strong>in</strong>e</strong> <strong>geme<strong>in</strong>same</strong> <strong>Schule</strong> kennzeichnen-<br />

de Art, <strong>Schule</strong> zu gestalten, wird <strong>in</strong> dieser Gesellschaft<br />

gegenwärtig von etwa <strong>der</strong> Hälfte aller Eltern geschätzt<br />

und gewünscht.<br />

D.h. aber auch, dass <strong>e<strong>in</strong>e</strong> etwa gleich große<br />

Gruppe von Eltern <strong>e<strong>in</strong>e</strong> frühe Separierung <strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong><br />

auch mit schichtenspezifischen Auslesefolgen befür-<br />

wortet. Das geglie<strong>der</strong>te Schulsystem ist schließlich e<strong>in</strong><br />

System, mit dem Eltern aus privilegierten Schichten<br />

ihren privilegierten Status mit hoher Wahrsche<strong>in</strong>lich-<br />

keit an ihre K<strong>in</strong><strong>der</strong> weiter geben können. Diese Eltern-<br />

gruppe befürwortet grundsätzlich das geglie<strong>der</strong>te<br />

Schulsystem und fasst für die eigenen K<strong>in</strong><strong>der</strong> <strong>in</strong> jedem<br />

Fall das Gymnasium <strong>in</strong>s Auge. Die an<strong>der</strong>en Schulfor-<br />

men, <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e die Hauptschule, s<strong>in</strong>d für die K<strong>in</strong>-<br />

<strong>der</strong> <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Menschen.<br />

1 1


In diesem Konflikt geht es um größere o<strong>der</strong><br />

ger<strong>in</strong>gere Chancen für die K<strong>in</strong><strong>der</strong>, es geht um Privile-<br />

gien und Benachteiligungen.<br />

Viele engagierte Gesamtschulbefürworter <strong>in</strong><br />

<strong>Nie<strong>der</strong>sachsen</strong>, die im Streit um diese Schulform <strong>in</strong> den<br />

vergangenen 35 Jahren ihr beson<strong>der</strong>es berufliches<br />

Engagement <strong>der</strong> ständigen Weiterentwicklung <strong>der</strong><br />

nie<strong>der</strong>sächsischen Gesamtschulen gewidmet haben,<br />

die diesen <strong>Schule</strong>n ihre K<strong>in</strong><strong>der</strong> anvertraut und <strong>in</strong> ihnen<br />

als Eltern verantwortlich mitgearbeitet haben und<br />

schließlich die mehr als hun<strong>der</strong>ttausend erfolgreichen<br />

Absolventen dieser <strong>Schule</strong>n, diese Menschen zweifeln<br />

daran, dass es alle<strong>in</strong> deshalb voran geht, weil das Tür-<br />

schild ausgewechselt wird. Und sie wären auch ent-<br />

täuscht, wenn man sich von ihnen durch diesen<br />

Namenswechsel distanzieren will.<br />

Deshalb macht <strong>der</strong> Namenswechsel nur dann<br />

<strong>e<strong>in</strong>e</strong>n S<strong>in</strong>n, wenn er als Signal für <strong>e<strong>in</strong>e</strong> neue qualitati-<br />

ve Ausprägung, im S<strong>in</strong>ne <strong>e<strong>in</strong>e</strong>r Weiterentwicklung <strong>der</strong><br />

bestehenden Gesamtschulen und nicht als Distanzie-<br />

rung o<strong>der</strong> gar Diskreditierung <strong>der</strong> bisher geleisteten<br />

guten Arbeit <strong>in</strong> den nie<strong>der</strong>sächsischen Gesamtschulen<br />

verstanden werden wird.<br />

Wenn also das Signal heißt, dass es über die<br />

durchaus bewährten organisatorischen Strukturen h<strong>in</strong>-<br />

aus um e<strong>in</strong> pädagogisch anspruchsvolles Modell <strong>e<strong>in</strong>e</strong>r<br />

„<strong>Schule</strong> für alle K<strong>in</strong><strong>der</strong>“ geht, das aufgrund s<strong>e<strong>in</strong>e</strong>r<br />

qualitativen Vorzüge auf die Dauer mehrheitsfähig<br />

werden könnte, dann ist <strong>der</strong> Namenswechsel unter-<br />

stützenswert und kann auch nicht missverstanden<br />

werden.<br />

4. Der lange deutsche Streit um<br />

<strong>e<strong>in</strong>e</strong> <strong>geme<strong>in</strong>same</strong> <strong>Schule</strong><br />

Es ist durchaus beunruhigend, dass dieser Streit <strong>in</strong><br />

Deutschland schon so lange, so emotional und aus <strong>der</strong><br />

Sicht <strong>der</strong> Befürworter <strong>e<strong>in</strong>e</strong>r <strong>geme<strong>in</strong>same</strong>n <strong>Schule</strong> für<br />

die Schuljahre 5 – 10 mit nur ger<strong>in</strong>gen Erfolgen<br />

geführt worden ist. In den meisten europäischen Län-<br />

1 2<br />

<strong>der</strong>n, zum Beispiel <strong>in</strong> den skand<strong>in</strong>avischen Län<strong>der</strong>n<br />

o<strong>der</strong> <strong>in</strong> Frankreich, Italien etc. fand e<strong>in</strong> vergleichbarer<br />

bildungspolitischer Diskurs <strong>in</strong> <strong>der</strong> zweiten Hälfte des<br />

20. Jahrhun<strong>der</strong>ts bei allen jeweiligen <strong>in</strong>nenpolitischen<br />

Gegensätzen <strong>in</strong> sachlicher Form und mit dem Ergebnis<br />

statt, die <strong>geme<strong>in</strong>same</strong> Schulzeit zu verlängern und die<br />

neue <strong>Schule</strong> qualitativ ständig weiter zu entwickeln.<br />

Warum gehen die Uhren <strong>in</strong> Deutschland an<strong>der</strong>s, war-<br />

um bleibt Deutschland <strong>in</strong> dieser Frage so lange <strong>e<strong>in</strong>e</strong><br />

verspätete Nation?<br />

4.1 Das strukturell separierende deutsche<br />

Schulsystem<br />

Unser beson<strong>der</strong>es, auf frühes Sortieren <strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong> zie-<br />

lendes Schulsystem, das aus ständischer, vordemokrati-<br />

scher Zeit stammt, wird <strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel mit den drei unter-<br />

schiedlichen Begabungen <strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong> und Jugendlichen<br />

begründet und daher euphemistisch „begabungsge-<br />

rechtes Schulsystem“ genannt. Es gibt aber we<strong>der</strong> <strong>in</strong><br />

den deutschsprachigen Län<strong>der</strong>n, die als e<strong>in</strong>zige dieses<br />

angeblich begabungsgerechte, geglie<strong>der</strong>te Schulsystem<br />

haben, noch sonst nirgendwo <strong>in</strong> <strong>der</strong> Welt drei bzw. vier<br />

vone<strong>in</strong>an<strong>der</strong> klar zu trennende Begabungstypen.<br />

Es gibt k<strong>e<strong>in</strong>e</strong> wissenschaftliche Untersuchung,<br />

mit <strong>der</strong> diese belegt werden könnten.<br />

Im Gegenteil weiß man, dass die <strong>in</strong>dividuellen<br />

Begabungen für die beson<strong>der</strong>en Anfor<strong>der</strong>ungen des<br />

schulischen Lernens sehr stark gefächert und stets <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> Entwicklung s<strong>in</strong>d. Das Begabungsprofil <strong>e<strong>in</strong>e</strong>s e<strong>in</strong>-<br />

zelnen K<strong>in</strong>des entfaltet o<strong>der</strong> retardiert sich im Verlau-<br />

fe des Heranwachsens <strong>in</strong> Abhängigkeit von <strong>der</strong> Lern-<br />

umgebung, den Lernanreizen etc. sehr stark.<br />

Dem geglie<strong>der</strong>ten Schulsystem fehlt daher jede<br />

begabungstheoretische und entwicklungspsychologi-<br />

sche Fundierung. E<strong>in</strong>zig fest stehendes Untersu-<br />

chungsergebnis nach PISA ist: Der Lernerfolg <strong>der</strong><br />

Gesamtpopulation im geglie<strong>der</strong>ten Schulsystem ist<br />

wenig erfolgreich und sozial ungerecht.<br />

Die Verteidiger des geglie<strong>der</strong>ten deutschen<br />

Schulsystems verdunkeln diesen Sachverhalt mit fort-<br />

währen<strong>der</strong> aggressiver Verleumdung jedwe<strong>der</strong> Form<br />

<strong>der</strong> Gesamtschule o<strong>der</strong> E<strong>in</strong>heitsschule. Es geht ihnen


dabei im Kern nicht um <strong>e<strong>in</strong>e</strong> möglichst optimale Ent-<br />

wicklung aller vorhandenen, überaus vielfältigen, und<br />

<strong>in</strong> verschiedenen Lebensabschnitten sich jeweils unter-<br />

schiedlich entwickelnden Begabungen, wie sie immer<br />

und immerfort behaupten.<br />

Wäre es so, wäre die schwurformelartige<br />

öffentliche Rede vom begabungsgerechten deutschen<br />

Schulwesen nicht Ideologie, hätte es spätestens nach<br />

den verheerenden Ergebnissen <strong>der</strong> <strong>in</strong>ternationalen<br />

Vergleichsstudien <strong>e<strong>in</strong>e</strong> umfassende und ergebnisoffe-<br />

ne Suche nach zukunftsfähigen Schulstrukturen und<br />

Lernformen geben müssen. Stattdessen bleibt es bei<br />

<strong>e<strong>in</strong>e</strong>r verbissen geführten Verteidigung des geglie<strong>der</strong>-<br />

ten Schulsystems, die die hartnäckige Leugnung bzw.<br />

Ignorierung s<strong>e<strong>in</strong>e</strong>r nachgewiesenen sozialen Auslese<br />

e<strong>in</strong>schließt.<br />

In Wahrheit geht es <strong>in</strong> diesem nunmehr fast e<strong>in</strong>-<br />

hun<strong>der</strong>t Jahre alten deutschen Streit zum <strong>e<strong>in</strong>e</strong>n um die<br />

Interessen <strong>der</strong> eher bildungsbürgerlich orientierten<br />

Eltern, die e<strong>in</strong> System verteidigen, <strong>in</strong> dem ihre K<strong>in</strong><strong>der</strong><br />

<strong>in</strong> <strong>e<strong>in</strong>e</strong>m möglichst frühen Alter e<strong>in</strong> höherer gesell-<br />

schaftlicher Status als Gymnasiast/<strong>in</strong> o<strong>der</strong> Realschü-<br />

ler/<strong>in</strong> gegenüber an<strong>der</strong>en K<strong>in</strong><strong>der</strong>n zugewiesen wird.<br />

Zudem möchten viele von ihnen ihre K<strong>in</strong><strong>der</strong> von<br />

den K<strong>in</strong><strong>der</strong>n an<strong>der</strong>er Gruppen <strong>der</strong> Gesellschaft fern-<br />

halten, um ihren K<strong>in</strong><strong>der</strong>n <strong>in</strong> <strong>e<strong>in</strong>e</strong>m privilegierten Schul-<br />

milieu bessere Startchancen für <strong>e<strong>in</strong>e</strong> wirtschaftlich<br />

erfolgreiche berufliche Zukunft zu geben als an<strong>der</strong>en<br />

K<strong>in</strong><strong>der</strong>n. Es geht <strong>in</strong> diesem Kontext auch darum, die<br />

eigenen K<strong>in</strong><strong>der</strong>n vor dem ‚schlechten’ E<strong>in</strong>fluss <strong>der</strong><br />

Unterschicht o<strong>der</strong> – aktuell – <strong>der</strong> Migrantenk<strong>in</strong><strong>der</strong> zu<br />

schützen, d.h. es geht gleichermaßen um sehr ernst-<br />

zunehmende Elternsorgen vor abs<strong>in</strong>kenden schulische<br />

Leistungen ihrer K<strong>in</strong><strong>der</strong> durch ‚falsche’ Vorbil<strong>der</strong> und<br />

k<strong>e<strong>in</strong>e</strong>sfalls immer unbegründete Ängste vor Gewalt<br />

und Unterdrückung durch grobe und fremde K<strong>in</strong><strong>der</strong>.<br />

Derartige Besorgnisse, mit denen man sich<br />

ernsthaft ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzen muss und kann, werden<br />

im Schulsystemstreit aber so gut wie nie offen artiku-<br />

liert. Sie s<strong>in</strong>d unterschwellig vorhanden, während an<br />

<strong>der</strong> Oberfläche hochemotional <strong>e<strong>in</strong>e</strong> möglichst frühe,<br />

weil angeblich effektive Auslese nach schulischer Lei-<br />

stung gefor<strong>der</strong>t wird.<br />

Es ist außerordentlich schwierig über <strong>der</strong>artige<br />

Dispositionen <strong>e<strong>in</strong>e</strong>n sachlichen Diskurs zu führen, weil<br />

es um <strong>e<strong>in</strong>e</strong> komplexe Mischung von berechtigten<br />

Elternanliegen und antidemokratischem Denken geht.<br />

Vor vielen Jahren hat <strong>der</strong> Sänger Franz-Josef<br />

Degenhard <strong>in</strong> <strong>der</strong> Refra<strong>in</strong>- und Titelzeile <strong>e<strong>in</strong>e</strong>s Liedes<br />

sehr treffend den Herzenswunsch dieser Eltern an ihr<br />

K<strong>in</strong>d formuliert: „Spiel nicht mit den Schmuddelk<strong>in</strong>-<br />

<strong>der</strong>n!“.<br />

Es geht nicht primär um Begabung und Lei-<br />

stung, um angstfreies und erfolgreiches Lernen, son-<br />

<strong>der</strong>n eher um soziale Trennung. Angesichts <strong>der</strong> sozia-<br />

len Ungerechtigkeit kann das politische System jedoch<br />

nicht vollständig zur Tagesordnung übergehen. Da den<br />

Handelnden <strong>e<strong>in</strong>e</strong> Lösung, also e<strong>in</strong> Kompromiss <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Frage <strong>der</strong> Schulstruktur undenkbar ersche<strong>in</strong>t, haben<br />

sich die beiden politischen Lager auf den Ausbau <strong>der</strong><br />

frühk<strong>in</strong>dlichen För<strong>der</strong>ung im Elementarbereich quasi<br />

als Ersatzhandlung gee<strong>in</strong>igt.<br />

Der erste PISA-Koord<strong>in</strong>ator Prof. Baumert fass-<br />

te dies s<strong>in</strong>ngemäß zusammen unter dem Motto: Wenn<br />

man <strong>in</strong> Deutschland bereits nach <strong>der</strong> Grundschule auf-<br />

teilt und unterschiedlich för<strong>der</strong>nden Bed<strong>in</strong>gungen <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> Mittelstufe schafft, dann sollte man mit <strong>der</strong> Förde-<br />

rung im Elementarbereich möglichst früh anfangen.<br />

Dass die frühe Aufteilung zu Leistungsrückständen im<br />

<strong>in</strong>ternationalen Vergleich führt, ist spätestens anzu-<br />

nehmen, seit die <strong>in</strong>ternationalen Vergleichsstudien im<br />

Grundschulbereich gezeigt haben, dass die deutschen<br />

K<strong>in</strong><strong>der</strong> im Grundschulbereich nicht so deutliche Rück-<br />

stände haben, wie anschließend nach ihrer Aufteilung<br />

im Mittelstufenbereich <strong>in</strong> <strong>der</strong> Klasse 9.<br />

Unzweifelhaft nachgewiesen s<strong>in</strong>d <strong>in</strong>zwischen<br />

auch die unterschiedlich för<strong>der</strong>nden Bed<strong>in</strong>gungen <strong>in</strong><br />

den 3 Schultypen. Das heißt, Eltern s<strong>in</strong>d nach diesen<br />

Studien sehr gut beraten, ihr K<strong>in</strong>d im geglie<strong>der</strong>ten<br />

Schulsystem im Augenblick auf dem Gymnasium<br />

anzumelden, da es dort bei gleichem Leistungsvermö-<br />

gen besser geför<strong>der</strong>t wird als an <strong>der</strong> Real- o<strong>der</strong> Haupt-<br />

schule.<br />

1 3


4.2 Die gespaltene Lehrerausbildung<br />

Man darf allerd<strong>in</strong>gs nicht übersehen, dass es bei die-<br />

sem Streit um Schulstrukturen nicht nur um den Zeit-<br />

punkt geht, bis zu dem K<strong>in</strong><strong>der</strong> und Jugendliche <strong>in</strong> und<br />

für unsere Gesellschaft geme<strong>in</strong>sam erzogen und aus-<br />

gebildet werden sollen. Mit diesem Streit untrennbar<br />

verknüpft s<strong>in</strong>d die Fragen des gesellschaftlichen Status<br />

und des Rollen- und Selbstverständnisses <strong>der</strong> Lehrer<strong>in</strong>-<br />

nen und Lehrer und ihres Verhältnisses zu den Schülern<br />

und Eltern. Heftig umstritten ist, ob guter Unterricht<br />

grundsätzlich problemorientiert und schülerbezogen<br />

anzulegen und zu gestalten sei. Scharf kontrovers wer-<br />

den Fragen <strong>der</strong> Bewertung und Leistungskontrolle und<br />

das sogenannte Sitzenbleiben erörtert. In diesem Teil<br />

<strong>der</strong> Ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzung spielen Lehrkräfte bzw. die<br />

Lehrerverbände <strong>e<strong>in</strong>e</strong> gewichtigere öffentliche Rolle als<br />

Eltern und Elternverbände.<br />

Aus dieser spezifischen Verbändesicht lässt sich<br />

<strong>e<strong>in</strong>e</strong> wünschenswerte <strong>in</strong>nere Gestaltung <strong>der</strong> <strong>Schule</strong><br />

nur im Rahmen des geglie<strong>der</strong>ten Schulsystems ver-<br />

wirklichen. Es geht um mentale Strukturen und massi-<br />

ve Verbands<strong>in</strong>teressen, die erhalten und befriedigt<br />

bleiben sollen.<br />

So gilt <strong>in</strong> dieser schulischen Welt das <strong>in</strong>dividuel-<br />

le schulische Versagen <strong>e<strong>in</strong>e</strong>s Schülers nicht als Problem<br />

des Gesamtsystems <strong>Schule</strong>, son<strong>der</strong>n primär als <strong>in</strong>divi-<br />

duelles Problem des Versagenden, zum Beispiel durch<br />

die Wahl <strong>der</strong> ‚falschen’ Schulform.<br />

Viele Lehrkräfte wollen für den schulischen<br />

Misserfolg ihrer Schüler k<strong>e<strong>in</strong>e</strong> Mitverantwortung über-<br />

nehmen. Aus ihrer Sicht unterrichten sie gut, weil<br />

fachlich durch e<strong>in</strong> Studium qualifiziert und pädago-<br />

gisch-praktisch im Referendariat ausgebildet. Damit<br />

geben sie aus ihrer Sicht den Schüler<strong>in</strong>nen und Schü-<br />

lern alle Möglichkeiten, erfolgreich zu lernen. Gel<strong>in</strong>gt<br />

das aus <strong>der</strong> Sicht <strong>der</strong> Lehrkräfte nicht gut genug, ist<br />

Sitzenbleiben, also die Wie<strong>der</strong>holung <strong>e<strong>in</strong>e</strong>s Schuljahr-<br />

1 4<br />

ganges, o<strong>der</strong> möglicherweise e<strong>in</strong> Schulwechsel das<br />

Mittel <strong>der</strong> Wahl.<br />

Dieser Ansatz, dass lernschwache o<strong>der</strong> <strong>in</strong><br />

bestimmten Fächern o<strong>der</strong> zu bestimmten Zeiten lern-<br />

schwache Schüler nicht durch Lehrkräfte o<strong>der</strong> e<strong>in</strong> Team<br />

von Lehrkräften und Sozialpädagogen längerfristig<br />

begleitet und verantwortlich betreut werden, ist konsti-<br />

tutiv für die Grundstruktur, aber auch das Lehrerhan-<br />

deln im geglie<strong>der</strong>ten Schulsystem. Stattdessen werden<br />

die genannten Schüler und Schüler<strong>in</strong>nen weiter<br />

gereicht, bis sie <strong>in</strong> <strong>der</strong> Hauptschule im Kreise ihresglei-<br />

chen enttäuscht und verbittert, kaum noch zu motivie-<br />

ren s<strong>in</strong>d und <strong>in</strong> <strong>e<strong>in</strong>e</strong>r beängstigenden Größenordnung<br />

schulisch scheitern, also ohne Abschluss bleiben.<br />

Und diese Feststellung bleibt auch bestehen,<br />

wenn viele, heute sogar sehr viele Lehrer<strong>in</strong>nen und<br />

Lehrer <strong>in</strong> den Gymnasien und Realschulen darauf ver-<br />

weisen, dass sie sich um die ihnen anvertrauten Schü-<br />

ler<strong>in</strong>nen und Schüler bemühen. Das ist richtig und<br />

erfreulich, än<strong>der</strong>t jedoch strukturell zu wenig. Das<br />

zum<strong>in</strong>dest zeigen die Zahlen <strong>der</strong> jährlichen ‚Abschu-<br />

lungen’. Im Schuljahr 2005/2006 haben bezogen auf<br />

die Sekundarstufe I 3.860 K<strong>in</strong><strong>der</strong> <strong>in</strong> <strong>Nie<strong>der</strong>sachsen</strong> die<br />

Realschulen <strong>in</strong> Richtung Hauptschulen verlassen (müs-<br />

sen), 3554 s<strong>in</strong>d von den Gymnasien <strong>in</strong> die Realschule<br />

‚abgestiegen’, während gleichzeitig landesweit ledig-<br />

lich 571 Schüler<strong>in</strong>nen und Schüler aus den Hauptschu-<br />

len <strong>in</strong> die Realschulen wechselten und 492 den Auf-<br />

stieg von den Realschulen <strong>in</strong> die Gymnasien wagten.<br />

Zum Stichwort Durchlässigkeit ist die Hauptrich-<br />

tung <strong>in</strong> unserem Schulsystem <strong>der</strong> Abstieg 1.<br />

Und die entsprechenden Lehrerverbände fürch-<br />

ten, dass ihr Grundverständnis von <strong>der</strong> Schulform, das<br />

ihren beson<strong>der</strong>en Status rechtfertigt, nicht aushaltbar<br />

se<strong>in</strong> wird, wenn sie für die Schüler<strong>in</strong>nen und Schüler,<br />

die an ihrer <strong>Schule</strong> aufgenommen werden, bis zu<br />

<strong>e<strong>in</strong>e</strong>m ersten Abschluss die Verantwortung überneh-<br />

men und sie auf dem Weg zur <strong>geme<strong>in</strong>same</strong>n <strong>Schule</strong>,<br />

1 Die Zahlen stammen aus <strong>der</strong> Pressemitteilung zur Pressekonferenz des nie<strong>der</strong>sächsischen Kultusm<strong>in</strong>isters zum Schuljahresbeg<strong>in</strong>n 2006/2007<br />

am 30.08.2006


traditionelle Elemente <strong>der</strong> deutschen Reformpädago-<br />

gik übernehmen müssten. Sie sehen e<strong>in</strong> Leistungsver-<br />

mögen von Schüler<strong>in</strong>nen und Schülern <strong>in</strong> ihrer Schul-<br />

form unterhalb <strong>e<strong>in</strong>e</strong>r bestimmten Schwelle als e<strong>in</strong><br />

Problem an, für das sie nach ihrem Selbstverständnis<br />

nicht mehr zuständig s<strong>in</strong>d.<br />

Erfor<strong>der</strong>lich wäre e<strong>in</strong> Paradigmenwechsel <strong>in</strong> den<br />

Köpfen und <strong>in</strong> den Herzen.<br />

So etwas fällt aber immer sehr schwer. Die Aus-<br />

e<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzung mit dem Gegenmodell erfolgt auch<br />

deshalb seit Jahrzehnten mehr emotional als rational.<br />

Und Hoffnung auf den anstehenden Generations-<br />

wechsel <strong>der</strong> Lehrkräfte kann man kaum setzen, weil<br />

ihre getrennte Ausbildung <strong>in</strong> entscheiden<strong>der</strong> Weise<br />

zur Stabilisierung dieses Denkens beiträgt. Auf <strong>der</strong><br />

<strong>e<strong>in</strong>e</strong>n Seite werden die Volksschullehrer, heute die<br />

Grund- und Hauptschullehrer, ausgebildet, auf <strong>der</strong><br />

an<strong>der</strong>en Seite die Gymnasiallehrer. Zwischen beiden<br />

liegt die Gruppe <strong>der</strong> Mittelschullehrer, heute Real-<br />

schullehrer.<br />

Nicht nur die Schüler<strong>in</strong>nen und Schüler tragen<br />

<strong>in</strong> diesem Land Etiketten, nach denen sie „begabungs-<br />

gerecht“ auf die drei (vier) Schultypen verteilt wurden,<br />

son<strong>der</strong>n auch die Lehrkräfte, nach denen sie für die<br />

drei dazugehörigen Lehrämter ausgebildet wurden.<br />

Es ist deshalb k<strong>e<strong>in</strong>e</strong>swegs Zufall, dass die ent-<br />

sprechenden Lehrerverbände seit mehr als e<strong>in</strong>hun<strong>der</strong>t<br />

Jahren gegen jedwede Verlängerung <strong>e<strong>in</strong>e</strong>r geme<strong>in</strong>sa-<br />

men Schulzeit <strong>in</strong> Deutschland s<strong>in</strong>d und sich immer<br />

wie<strong>der</strong> erfolgreich bemühen, Ihre Positionen für e<strong>in</strong><br />

geglie<strong>der</strong>tes Schulsystem <strong>in</strong> den Programmen <strong>der</strong> kon-<br />

servativen Parteien zu verankern. <strong>Für</strong> sie ist <strong>der</strong> Erhalt<br />

<strong>der</strong> unterschiedlichen Schultypen und <strong>e<strong>in</strong>e</strong>r dazugehö-<br />

rigen unterschiedlich ausgebildeten Lehrerschaft, aus<br />

denen sie sich immer wie<strong>der</strong> rekrutieren, die eigentli-<br />

che Existenzfrage.<br />

5. Anläufe, Erfolge und<br />

Fehlschläge auf dem Weg zur<br />

<strong>e<strong>in</strong>e</strong>r <strong>geme<strong>in</strong>same</strong>n <strong>Schule</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Mittelstufe<br />

In den vergangenen mehr als 100 Jahren gab es nur<br />

kl<strong>e<strong>in</strong>e</strong> Fortschritte, aber auch viele Nie<strong>der</strong>lagen. Das ist<br />

e<strong>in</strong> Beweis dafür, dass die Wi<strong>der</strong>stände groß s<strong>in</strong>d. Es<br />

ist ke<strong>in</strong> Beweis, dass <strong>der</strong> Weg falsch ist. Es ist hier nicht<br />

<strong>der</strong> Raum, allen wichtigen, aber gescheiterten Ansät-<br />

zen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Weimarer Republik und <strong>in</strong> den ersten Jah-<br />

ren nach dem Zweiten Weltkrieg nachzugehen. Auf<br />

e<strong>in</strong>ige Stationen sei aber verwiesen.<br />

5.1 Die Reichsschulkonferenz von 1920<br />

und die Grundschule<br />

1920 gelang es, <strong>e<strong>in</strong>e</strong> <strong>geme<strong>in</strong>same</strong> Grundschule für<br />

alle K<strong>in</strong><strong>der</strong> zu erkämpfen und die unterschiedlichen<br />

privaten Vorschulen des Bürgertums aufzuheben. Das<br />

war e<strong>in</strong> wichtiger Schritt auf dem Weg, das Schulsy-<br />

stem <strong>in</strong> die Entwicklung <strong>e<strong>in</strong>e</strong>r demokratischen gesell-<br />

schaftlichen wie staatlichen Ordnung e<strong>in</strong>zub<strong>in</strong>den.<br />

Der weiterführende Auftrag <strong>der</strong> Weimarer Verfassung<br />

wurde bis 1933 nicht erfüllt. Alle Anläufe zu <strong>e<strong>in</strong>e</strong>m<br />

entsprechenden Reichsschulgesetz scheiterten. Von<br />

e<strong>in</strong>igen Schulversuchen abgesehen ist mehr als <strong>e<strong>in</strong>e</strong><br />

<strong>geme<strong>in</strong>same</strong> Grundschule nicht gelungen. Als wichti-<br />

ges Beispiel sei die <strong>Schule</strong> Fritz Karsens <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong>-Neu-<br />

kölln genannt, das Kaiser-Friedrich-Realgymnasium,<br />

das sich geme<strong>in</strong>sam mit <strong>e<strong>in</strong>e</strong>r Aufbauschule und <strong>e<strong>in</strong>e</strong>r<br />

‚weltlichen’ Volksschule <strong>in</strong> wichtigen E<strong>in</strong>zelelementen<br />

zu <strong>e<strong>in</strong>e</strong>r Gesamtschule weiterentwickelte. Dieses weg-<br />

weisende Reformprojekt wurde noch im Februar 1933<br />

von den Nationalsozialsten desorganisiert, se<strong>in</strong> Kolle-<br />

gium zerschlagen, zum erheblichen Teil entlassen.<br />

5.2 Erfolglose Siegermächte nach 1945:<br />

Kont<strong>in</strong>uität des Schulsystems<br />

1945 und <strong>in</strong> den Folgejahren hatten die Siegermächte<br />

<strong>in</strong> den Westzonen, <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e die Amerikaner, die<br />

Absicht, nachdem <strong>e<strong>in</strong>e</strong> US-Kommission aus Erzie-<br />

1 5


hungswissenschaftlern, die vom Präsidenten des<br />

‚American Council on Education’, George F. Zook,<br />

geleitet wurde, detaillierte Kritik sowohl an <strong>der</strong><br />

undurchlässigen Dreigliedrigkeit wie an undemokrati-<br />

schen Erziehungsstilen geübt hatte, dass geglie<strong>der</strong>te<br />

Schulsystem abzuschaffen.<br />

„Dieses System hat bei <strong>e<strong>in</strong>e</strong>r kl<strong>e<strong>in</strong>e</strong>n Gruppe <strong>e<strong>in</strong>e</strong><br />

überlegene Haltung und bei <strong>der</strong> Mehrzahl <strong>der</strong> Deut-<br />

schen e<strong>in</strong> M<strong>in</strong><strong>der</strong>wertigkeitsgefühl entwickelt, das<br />

jene Unterwürfigkeit und jenen Mangel an Selbstbe-<br />

stimmung möglich machte, auf denen das autoritäre<br />

Führerpr<strong>in</strong>zip gedieh.“<br />

Folgerichtig ordnete <strong>der</strong> US-Militärgouverneur Clay<br />

am 10.01.1947 an, das deutsche Schulsystem demo-<br />

kratisch umzugestalten (Kontrollratsdirektive 54). Ver-<br />

langt wurde hier e<strong>in</strong> nach Stufen geglie<strong>der</strong>ter Aufbau<br />

<strong>e<strong>in</strong>e</strong>s neuen Schulwesens, damit e<strong>in</strong> Verzicht parallel<br />

geführter Schulformen mit unterschiedlicher Wertig-<br />

keit sowie die Vermeidung jeglichen Zusammenhangs<br />

zwischen schulischem Erfolg und sozialer Herkunft.<br />

Mit Blick auf die Interessen <strong>e<strong>in</strong>e</strong>r bestimmten Eltern-<br />

gruppe und Lehrkräfte bzw. <strong>der</strong> Lehrerverbände <strong>der</strong><br />

mittleren und höheren <strong>Schule</strong>n wussten die deutschen<br />

Behörden nicht nur im Machtbereich <strong>der</strong> Amerikaner<br />

<strong>der</strong>artige Ans<strong>in</strong>nen so lange zu verzögern, bis ihnen<br />

die Zuständigkeit für die Schulpolitik wie<strong>der</strong> alle<strong>in</strong><br />

gehörte. In <strong>der</strong> folgenden restaurativen Phase <strong>der</strong> Bun-<br />

desrepublik Deutschland wurden vorhandene Ansätze<br />

<strong>e<strong>in</strong>e</strong>r längeren <strong>geme<strong>in</strong>same</strong>n Schulzeit wie <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong>,<br />

aber auch <strong>in</strong> <strong>Nie<strong>der</strong>sachsen</strong> (Nie<strong>der</strong>sächsische Erzie-<br />

hungsstätte, Differenzierter Mittelbau) spätestens <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> zweiten Hälfte <strong>der</strong> 50er Jahre gestoppt.<br />

5.3 Ende <strong>der</strong> 60er Jahre: Der Neuansatz<br />

für <strong>e<strong>in</strong>e</strong> längere <strong>geme<strong>in</strong>same</strong> Schulzeit<br />

E<strong>in</strong> Neuansatz für <strong>e<strong>in</strong>e</strong> längere <strong>geme<strong>in</strong>same</strong> Schulzeit<br />

erfolgte Ende <strong>der</strong> 60er, Anfang <strong>der</strong> 70er Jahre, durch-<br />

aus auch unter dem E<strong>in</strong>druck <strong>der</strong> ersten deutschen<br />

Wirtschaftskrise und <strong>e<strong>in</strong>e</strong>r umfassenden Debatte um<br />

<strong>e<strong>in</strong>e</strong> bessere Ausbildung von mehr jungen Menschen<br />

1 6<br />

als Voraussetzung für <strong>e<strong>in</strong>e</strong> weitere wirtschaftliche Pro-<br />

sperität. Es gab zu diesen Aufbruchzeiten <strong>der</strong> sozialli-<br />

beralen Koalition gleichzeitig <strong>e<strong>in</strong>e</strong> durchaus machtvol-<br />

le gesellschaftliche Strömung für die Demokratisierung<br />

sehr verschiedener staatlicher Strukturen und Hand-<br />

lungsfel<strong>der</strong>. Diese erfasste auch das Schulsystem, dessen<br />

traditionelle Glie<strong>der</strong>ung ständischen, also vordemokra-<br />

tischen Ursprungs war und etliche gesellschaftliche<br />

Gruppen nachweislich benachteiligte, wahrlich nicht<br />

nur das sprichwörtliche gewordene katholische Arbei-<br />

termädchen aus <strong>e<strong>in</strong>e</strong>m Dorf des bayrischen Waldes.<br />

Vor diesem H<strong>in</strong>tergrund waren die konservativen Kräf-<br />

te zeitweilig <strong>in</strong> <strong>der</strong> Defensive, sie mussten konstatie-<br />

ren, dass <strong>e<strong>in</strong>e</strong> Ausweitung <strong>der</strong> Bildungsbeteiligung<br />

und damit zwangsläufig <strong>e<strong>in</strong>e</strong> größere Chancengleich-<br />

heit nicht ohne Verän<strong>der</strong>ungen möglich war. Diese<br />

Ansätze <strong>e<strong>in</strong>e</strong>r Bildungsreform s<strong>in</strong>d u.a. durch <strong>e<strong>in</strong>e</strong><br />

bemerkenswerte und beängstigende Bewusstlosigkeit<br />

gegenüber ihren historischen Vorläufern gekennzeich-<br />

net. Man wollte von dem, was <strong>in</strong> Deutschland schon<br />

versucht worden war o<strong>der</strong> was im Ausland bereits<br />

erfolgreich praktiziert wurde, erstaunlich wenig wis-<br />

sen. Alles sollte nur an<strong>der</strong>s werden, als es gerade war.<br />

5.4 Die nie<strong>der</strong>sächsische<br />

Orientierungsstufe<br />

In <strong>Nie<strong>der</strong>sachsen</strong> ließ sich e<strong>in</strong> Teil dieser gesellschaftli-<br />

chen Kräfte auf <strong>e<strong>in</strong>e</strong>n bildungspolitischen Kompromiss<br />

mit <strong>der</strong> SPD e<strong>in</strong>, die <strong>geme<strong>in</strong>same</strong> Schulzeit um zwei<br />

Jahre, also um die Orientierungsstufe, zu verlängern,<br />

um die zu frühe und damit zu unzuverlässige Schul-<br />

laufbahnentscheidung im S<strong>in</strong>ne <strong>e<strong>in</strong>e</strong>r längeren und<br />

besseren <strong>geme<strong>in</strong>same</strong>n För<strong>der</strong>ung und zugunsten<br />

<strong>e<strong>in</strong>e</strong>r effektiveren Ausschöpfung des Begabungspo-<br />

tentials zu verschieben. Dieses Konzept stammte im<br />

Kern aus <strong>der</strong> Nachkriegszeit. Bereits <strong>der</strong> erste nie<strong>der</strong>-<br />

sächsische Kultusm<strong>in</strong>ister Adolf Grimme hatte 1946<br />

durch <strong>e<strong>in</strong>e</strong> Parallelisierung <strong>der</strong> ersten zu lernenden<br />

Fremdsprache <strong>in</strong> den 5. und 6. Klassen aller Schulfor-<br />

men, nämlich Englisch, den E<strong>in</strong>stieg <strong>in</strong> <strong>e<strong>in</strong>e</strong> längere<br />

<strong>geme<strong>in</strong>same</strong> Schulzeit o<strong>der</strong> wenigstens <strong>in</strong> <strong>e<strong>in</strong>e</strong> länge-<br />

re Phase <strong>der</strong> Durchlässigkeit zwischen den Schulfor-


men versucht, und war daran gescheitert. Die fort-<br />

währende Kritik an <strong>der</strong> Auswahlentscheidung nach<br />

<strong>der</strong> 4. Klasse, <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e an <strong>der</strong> Unzuverlässigkeit<br />

<strong>der</strong> Aufnahmeprüfungen an den sogenannten höhe-<br />

ren <strong>Schule</strong>n, hatte Mitte <strong>der</strong> 60er Jahre bereits zu Neu-<br />

auflagen dieses Ansatzes unter <strong>der</strong> Bezeichnung För-<br />

<strong>der</strong>stufe geführt, die allerd<strong>in</strong>gs das Problem nicht<br />

lösen konnte, weil sie nach bereits erfolgter Aufteilung<br />

<strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong> an den verschiedenen Schulformen unter-<br />

schiedlich gestaltet wurde.<br />

Die Geschichte des Orientierungsstufenkom-<br />

promisses ist ausgesprochen lehrhaft. Weil die SPD<br />

Anfang <strong>der</strong> 70er Jahre mit <strong>der</strong> Möglichkeit <strong>der</strong><br />

Gesamtschule als ersetzende Schulform von 5 – 10<br />

drohte, nahm die CDU zunächst die zweijährige Orien-<br />

tierungsstufe <strong>in</strong> Kauf. Und die SPD war stolz, zwar<br />

nicht die Gesamtschule als Regelschule, aber <strong>e<strong>in</strong>e</strong> ver-<br />

pflichtende <strong>geme<strong>in</strong>same</strong> <strong>Schule</strong> für alle <strong>in</strong> den Jahr-<br />

gängen 5 und 6 <strong>in</strong> <strong>Nie<strong>der</strong>sachsen</strong> durchgesetzt zu<br />

haben. Es zeigt sich, dass sich die Konservativen mit<br />

<strong>der</strong> Verlängerung <strong>der</strong> <strong>geme<strong>in</strong>same</strong>n Schulzeit um zwei<br />

Jahre nie richtig abf<strong>in</strong>den konnten. Aufgestachelt von<br />

den bereits genannten Lehrerverbänden, aber auch<br />

von konservativen Eltern hörte die Diskussion um die<br />

Orientierungsstufe nie auf.<br />

Der Orientierungsstufenkompromiss zeigt wei-<br />

terh<strong>in</strong>, dass e<strong>in</strong> klassischer, primär quantitativer Kom-<br />

promiss, grundlegenden pädagogischen wie schulpoliti-<br />

schen Anfor<strong>der</strong>ungen diametral entgegenlaufen kann.<br />

Es fehlte e<strong>in</strong> pädagogischer Zielkonzept und so<br />

entstanden je nach Arbeit <strong>der</strong> e<strong>in</strong>zelnen Kollegien e<strong>in</strong>i-<br />

ge sehr gute, aber auch viele Orientierungsstufen, die<br />

<strong>der</strong> ursprünglichen Zielsetzung <strong>e<strong>in</strong>e</strong>r Verbesserung <strong>der</strong><br />

Prognoseentscheidung für die Schullaufbahn des e<strong>in</strong>-<br />

zelnen K<strong>in</strong>des nicht gerecht wurden.<br />

Von <strong>der</strong> Sache her konnte man nach dieser Ent-<br />

wicklung und dem DIPF-Gutachten im Jahr 2001, das<br />

alle Probleme und Mängel dieser zweijährigen Schul-<br />

form schonungslos aufzeigte, zu dem Ergebnis kom-<br />

men die Orientierungsstufe als eigenständige Schul-<br />

form aufgeben zu wollen. Die Frage jedoch, was setzt<br />

man an ihre Stelle, war zu diesem Zeitpunkt politisch<br />

völlig ungeklärt und unvorbereitet. Die Rückkehr zur<br />

lediglich vierjährigen <strong>geme<strong>in</strong>same</strong>n Grundschulzeit und<br />

damit die Rückkehr zur so lange mit guten Gründen<br />

bekämpften schulischen Trennung <strong>der</strong> bereits Zehnjäh-<br />

rigen, konnte k<strong>e<strong>in</strong>e</strong> sozialdemokratische Lösung se<strong>in</strong>.<br />

5.5 Die nie<strong>der</strong>sächsischen Gesamtschule<br />

Mit Blick auf die zukünftige Geme<strong>in</strong>same <strong>Schule</strong> ist hier<br />

auch von <strong>e<strong>in</strong>e</strong>m Neuansatz <strong>der</strong> E<strong>in</strong>führung <strong>der</strong> nie<strong>der</strong>-<br />

sächsischen Gesamtschulen zu sprechen. Sie kommen<br />

<strong>in</strong> ihren zentralen pädagogischen wie politischen Ziel-<br />

setzungen an <strong>e<strong>in</strong>e</strong> <strong>geme<strong>in</strong>same</strong> <strong>Schule</strong>, d.h. <strong>e<strong>in</strong>e</strong> erfolg-<br />

reiche För<strong>der</strong>ung jedes e<strong>in</strong>zelnen K<strong>in</strong>des bis an die sich<br />

immer wie<strong>der</strong> verän<strong>der</strong>nden <strong>in</strong>dividuellen Leistungs-<br />

grenzen entsprechen können, und zwar unabhängig<br />

von <strong>der</strong> sozialen und ethnischen Herkunft <strong>der</strong> Schüler<strong>in</strong>-<br />

nen und Schüler, am nächsten. <strong>Für</strong> etliche Gesamtschu-<br />

len wäre allerd<strong>in</strong>gs <strong>e<strong>in</strong>e</strong> qualitative Weiterentwicklung<br />

<strong>der</strong> Unterrichtskonzepte erfor<strong>der</strong>lich, um beiden Zielen<br />

umfassend entsprechen zu können. Gesamtschulen ver-<br />

fügen zwar strukturell und konzeptionell über bessere<br />

Voraussetzungen als das geglie<strong>der</strong>te Schulsystem. Über<br />

die beson<strong>der</strong>e Qualität <strong>e<strong>in</strong>e</strong>r e<strong>in</strong>zelnen Gesamtschule ist<br />

damit jedoch noch k<strong>e<strong>in</strong>e</strong> Aussage gemacht. Die päd-<br />

agogische Qualität <strong>der</strong> nie<strong>der</strong>sächsischen Gesamt-<br />

schulen ist allerd<strong>in</strong>gs <strong>in</strong>sgesamt bee<strong>in</strong>druckend. Sie s<strong>in</strong>d<br />

besser aufgestellt als viele Gesamtschulen an<strong>der</strong>er Bun-<br />

deslän<strong>der</strong>n. Dennoch differieren ihre konzeptionellen<br />

und <strong>in</strong> <strong>der</strong> Praxis verwirklichten Entwicklungsstände.<br />

Unterschiede gibt es <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e im Grad <strong>der</strong> Lehrer-<br />

kooperation und <strong>der</strong> Unterrichtsentwicklung. Es gibt<br />

<strong>e<strong>in</strong>e</strong>rseits Gesamtschulen, die heute schon, trotz <strong>der</strong><br />

ungleichen Bed<strong>in</strong>gungen <strong>in</strong> <strong>e<strong>in</strong>e</strong>m Parallelsystem auf-<br />

grund ihrer Schülerpopulation und <strong>der</strong> Qualität ihrer<br />

Arbeit es mit jedem Gymnasium aufnehmen können,<br />

ja, wie man im Schulwettbewerb sieht, sogar obsiegen<br />

können. Es gibt aber auch Gesamtschulen, die sich eher<br />

<strong>in</strong> Richtung <strong>e<strong>in</strong>e</strong>r verbundenen Haupt- und Realschule<br />

entwickelt haben und die deshalb die potentiell gym-<br />

nasiale Schülerklientel nicht gew<strong>in</strong>nen können.<br />

1 7


5.6 Die bildungspolitischen<br />

Gesamtschulperioden: 1971-1976 und<br />

1990-2003<br />

Die ersten sechs <strong>in</strong>tegrierten Gesamtschulen wurden<br />

Ende <strong>der</strong> 60er Jahre noch <strong>in</strong> <strong>der</strong> Amtzeit des CDU-Kul-<br />

tusm<strong>in</strong>isters Langeh<strong>e<strong>in</strong>e</strong> geplant 2 .<br />

Mit dem Beg<strong>in</strong>n des Schuljahres 1971/72 ent-<br />

standen dann die Integrierten Gesamtschulen Braun-<br />

schweig, <strong>Für</strong>stenau, Garbsen, Hannover-L<strong>in</strong>den, Hil-<br />

desheim, Langenhagen und Wolfsburg sowie die<br />

Kooperativen Gesamtschulen Osnabrück und Neuen-<br />

haus. Die damit e<strong>in</strong>setzende erste Gründungsperiode,<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> bis 1976 13 <strong>in</strong>tegrierte und 17 kooperative<br />

Gesamtschulen entstanden, umfasste vor allem die<br />

Regierungszeit <strong>der</strong> sozialdemokratischen Kultusm<strong>in</strong>i-<br />

ster von Oertzen und Mahrenholz.<br />

Die ersten Gesamtschulen wurden als Schulver-<br />

suche geführt. E<strong>in</strong>e flächendeckende E<strong>in</strong>führung war<br />

nicht geplant.<br />

Als das von <strong>der</strong> CDU-Opposition unterstellt<br />

wurde, versicherte ihr Kultusm<strong>in</strong>ister von Oertzen<br />

anlässlich <strong>der</strong> Debatte zum neuen Nie<strong>der</strong>sächsischen<br />

Schulgesetz im Landtag am 14.10.1973:<br />

„Die E<strong>in</strong>führung <strong>der</strong> Gesamtschule als Regel-<br />

schule ist <strong>in</strong> dem Entwurf nicht vorgesehen. Die<br />

Gesamtschule wird zwar als Schulform gesetzlich<br />

abgesichert, die Errichtung von weiteren Gesamtschu-<br />

len wird jedoch behutsam vorgenommen werden“ 3 .<br />

1976 wechselte die Regierungsmehrheit im<br />

Landtag zu <strong>e<strong>in</strong>e</strong>r CDU/FDP-Koalition, die <strong>in</strong> <strong>der</strong> 1978<br />

folgenden Landtagswahl bestätigt wurde. Der erste<br />

Kultusm<strong>in</strong>ister <strong>der</strong> CDU/FDP-Regierung Albrecht, Wer-<br />

ner Remmers, genehmigte zunächst noch die Grün-<br />

dung e<strong>in</strong>iger Kooperativer Gesamtschulen, <strong>der</strong>en Pla-<br />

nung weit fortgeschritten war, brachte dann aber e<strong>in</strong><br />

1 8<br />

erstes Gesamtschulmoratorium auf den Weg, das die<br />

weitere Gründung von Gesamtschulen bis auf Weite-<br />

res verbot. Es hatte be<strong>in</strong>ahe bis zum Ende <strong>der</strong> Regie-<br />

rungsperiode <strong>der</strong> CDU/FDP-Koalition Bestand. Sie wur-<br />

de nach 16 Jahre, also 1990 durch <strong>e<strong>in</strong>e</strong> rot-grüne<br />

Regierung abgelöst, hatte aber im Vorjahr bereits <strong>e<strong>in</strong>e</strong><br />

neue <strong>in</strong>tegrierte Gesamtschule genehmigt, die IGS<br />

Franzsches Feld <strong>in</strong> Braunschweig. In den folgenden 13<br />

Jahren <strong>e<strong>in</strong>e</strong>r SPD-geführten Regierung verdoppelte<br />

sich die Zahl <strong>der</strong> Gesamtschulen. Man kann angesichts<br />

<strong>der</strong> weit höheren Nachfrage nach Gesamtschulplätzen<br />

auf Elternseite allerd<strong>in</strong>gs nur von <strong>e<strong>in</strong>e</strong>r gebremsten<br />

Entwicklung sprechen.<br />

Formal wurden die Gesamtschulen 1994 zwar<br />

im Rahmen <strong>e<strong>in</strong>e</strong>r Schulgesetznovelle allen an<strong>der</strong>en all-<br />

geme<strong>in</strong>bildenden <strong>Schule</strong>n im Sekundarbereich gleich-<br />

gestellt.<br />

Die kommunalen Schulträger wären also<br />

eigentlich verpflichtet gewesen, entsprechend dem<br />

Bedarf, also <strong>der</strong> Elternnachfrage Gesamtschulen zu<br />

erweitern o<strong>der</strong> neue Gesamtschulen zu gründen.<br />

Allerd<strong>in</strong>gs wurde diese Verpflichtung durch <strong>e<strong>in</strong>e</strong> E<strong>in</strong>-<br />

schränkung relativiert. Wenn die Kommunen im<br />

Sekundarbereich I bereits alle Bildungsgänge <strong>in</strong> vor-<br />

handenen <strong>Schule</strong>n vorhielten – und das war immer <strong>der</strong><br />

Fall –, musste sie k<strong>e<strong>in</strong>e</strong> Gesamtschulen gründen, auch<br />

wenn h<strong>in</strong>reichend viele Eltern dies wünschten. Sie<br />

konnten es jedoch tun, wenn <strong>der</strong> beson<strong>der</strong>e Bedarf<br />

nachgewiesen und ihre f<strong>in</strong>anzielle Leistungsfähigkeit<br />

für <strong>e<strong>in</strong>e</strong> zusätzliche Schulgründung h<strong>in</strong>reichend groß<br />

und das vollständiges Angebot im Bereich des geglie-<br />

<strong>der</strong>ten Schulsystem durch die Neugründung nicht<br />

gefährdet wurde. Diese Regelung hatte zur Folge, dass<br />

<strong>in</strong> vielen Kommunen, nicht nur mit konservativen<br />

Mehrheiten, die Frage <strong>der</strong> f<strong>in</strong>anziellen Leistungsfähig-<br />

keit negativ beantwortet wurde. Den 63 Gesamtschu-<br />

len <strong>in</strong> <strong>Nie<strong>der</strong>sachsen</strong> stehen im Sekundarbereich I<br />

jeweils etwa 250 Hauptschulen, Realschulen und<br />

2 siehe Klages,H./Scheckenhofer,H., Zur Planung <strong>der</strong> Integrierten Gesamtschulen <strong>in</strong> <strong>Nie<strong>der</strong>sachsen</strong> – Standorte, Planungsprobleme, Planungsablauf,<br />

<strong>in</strong>: MK (Hrsg.), Schulversuche und Schulreform 1/2, Hannover 1972, S. 32ff.<br />

3 zitiert nach SVBl 11/1973, S. 319


Gymnasien gegenüber. Sie bilden damit <strong>e<strong>in</strong>e</strong> M<strong>in</strong><strong>der</strong>-<br />

heit. Ihre Bedeutung als Gegenmodell zum geglie<strong>der</strong>-<br />

ten Schulsystem ist jedoch größer als die Zahl vermu-<br />

ten lässt.<br />

5.7 E<strong>in</strong> Meilenste<strong>in</strong> für die<br />

Gesamtschulentwicklung 1996: Die Klage<br />

<strong>der</strong> CDU und das Staatsgerichtshofurteil<br />

zur die Gleichstellung <strong>der</strong> Gesamtschulen<br />

Gegen die beschriebene schulgesetzliche Regelung<br />

klagte 1996 die Landtagsfraktion <strong>der</strong> CDU vor dem<br />

nie<strong>der</strong>sächsischen Staatsgerichtshof <strong>in</strong> Bückeburg. Sie<br />

beantragte festzustellen, dass die rechtliche Gleichstel-<br />

lung <strong>der</strong> Gesamtschulen mit den übrigen allgeme<strong>in</strong>bil-<br />

denden <strong>Schule</strong>n gegen die nie<strong>der</strong>sächsische Verfas-<br />

sung bzw. gegen das im Grundgesetz festgelegte<br />

Recht <strong>der</strong> Eltern verstoße, über Erziehung und Bil-<br />

dungsgang ihrer K<strong>in</strong><strong>der</strong> zu bestimmen.<br />

Die CDU-Fraktion, die <strong>in</strong> ihrer Klage gleichzeitig neue<br />

Regelungen zur erweiterten Mitbestimmung von<br />

Eltern und Schülern sowie die Vergabe höherwertiger<br />

Ämter auf Zeit als verfassungswidrig erklären lassen<br />

wollte, unterlag vollständig.<br />

Der Staatsgerichtshof stellte <strong>in</strong> s<strong>e<strong>in</strong>e</strong>m Urteil<br />

fest, dass es <strong>in</strong> <strong>der</strong> Entscheidung des Landtags liege,<br />

neue Schulformen e<strong>in</strong>zuführen und vorzugeben, wel-<br />

che Auswirkungen sich daraus auf den Fortbestand<br />

an<strong>der</strong>er Schultypen ergeben. Die Nie<strong>der</strong>sächsische<br />

Verfassung enthalte k<strong>e<strong>in</strong>e</strong> Bestimmungen, aus denen<br />

sich <strong>e<strong>in</strong>e</strong> <strong>in</strong>stitutionelle Garantie bestimmter Schulfor-<br />

men herleiten ließe, heißt es weiter. Die Nie<strong>der</strong>sächsi-<br />

sche Verfassung weist <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung mit dem Grund-<br />

gesetz dem Staat die Planung und E<strong>in</strong>richtung des<br />

Schulwesens zu mit dem Ziel, e<strong>in</strong> Bildungssystem zu<br />

gewährleisten, das allen jungen Bürgern gemäß ihren<br />

Fähigkeiten die dem heutigen Leben entsprechenden<br />

Entwicklungsmöglichkeiten eröffnet. Grenzen <strong>der</strong><br />

Regelungsbefugnis des Landtages sahen die Richter<br />

nur <strong>in</strong> übergeordneten Verfassungsnormen. Danach<br />

muss den Eltern <strong>e<strong>in</strong>e</strong> <strong>der</strong> Begabung ihres K<strong>in</strong>des sub-<br />

stantielle Schullaufbahnentscheidung möglich se<strong>in</strong>,<br />

was die Gesamtschulen nach dieser Entscheidung<br />

gewährleisten.<br />

Im Wortlaut heißt es da unter Bezug auf den<br />

Normenkontrollantrag zum Nie<strong>der</strong>sächsischen Schul-<br />

gesetz vom 27.9.1993:<br />

Der Gesetzgeber hat <strong>in</strong> § 12 Abs.1 Satz 2 des<br />

Nie<strong>der</strong>sächsischen Schulgesetzes die B<strong>in</strong>nenstruktur<br />

<strong>der</strong> Integrierten Gesamtschule (IGS) so ausgestaltet,<br />

dass Ausbildungsgänge sichergestellt s<strong>in</strong>d, die nach<br />

Differenzierung, Inhalt und Wertigkeit denen an<br />

Hauptschulen, Realschulen und Gymnasien vergleich-<br />

bar s<strong>in</strong>d. Danach müssen <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e im Sekundar-<br />

bereich I <strong>e<strong>in</strong>e</strong>r IGS Differenzierungen am Maßstab <strong>der</strong><br />

Leistungsfähigkeit erfolgen, die für Schüler die not-<br />

wendige Voraussetzung für <strong>e<strong>in</strong>e</strong> erfolgreiche Fortset-<br />

zung <strong>der</strong> Schulausbildung <strong>in</strong> <strong>der</strong> Sekundarstufe II<br />

schaffen. Auf dieser Grundlage bietet die IGS e<strong>in</strong> Bil-<br />

dungsangebot, das den verschiedenen Begabungen<br />

den erfor<strong>der</strong>lichen Raum zur Entfaltung lässt und <strong>in</strong>so-<br />

weit dem Recht <strong>der</strong> Eltern und Schüler aus Art. 3<br />

Abs.2 Satz 1 <strong>der</strong> Nie<strong>der</strong>sächsischen Verfassung (NV)<br />

i.V. mit Art. 6 Abs.2 Satz 1, Art.2 Abs.1 GG Rechnung<br />

trägt, den Bildungsweg selbst zu bestimmen. Deshalb<br />

verstößt es nicht gegen die Nie<strong>der</strong>sächsische Verfas-<br />

sung, wenn <strong>in</strong> zumutbarer Entfernung von <strong>der</strong> Woh-<br />

nung nur <strong>e<strong>in</strong>e</strong> IGS erreichbar ist.<br />

5.8 Gesamtschulen s<strong>in</strong>d lernende Systeme<br />

– 35 Jahre Gesamtschulentwicklung <strong>in</strong><br />

<strong>Nie<strong>der</strong>sachsen</strong><br />

Der Fokus <strong>der</strong> folgenden darstellenden und wertenden<br />

Skizze 4 richtet sich auf die <strong>in</strong>tegrierten Gesamtschulen,<br />

weil sie den Überlegungen für <strong>e<strong>in</strong>e</strong> Geme<strong>in</strong>same Schu-<br />

le am nächsten stehen.<br />

4 Die folgenden Beobachtungen und Wertungen s<strong>in</strong>d durchaus subjektiver Natur. Sie stützen sich allerd<strong>in</strong>gs auf <strong>e<strong>in</strong>e</strong> langjährige berufliche<br />

Tätigkeit <strong>in</strong> und für nie<strong>der</strong>sächsische Gesamtschulen. Natürlich gelten die skizzierten Aspekte nicht für alle nie<strong>der</strong>sächsischen Gesamtschulen<br />

gleichermaßen.<br />

1 9


In <strong>der</strong> Schulversuchsphase entstand die Mehr-<br />

heit <strong>der</strong> Gesamtschulen als Neugründungen 5 , und<br />

zwar <strong>in</strong> vielen Fällen an den Rän<strong>der</strong>n größerer Städte<br />

und <strong>in</strong> Stadtteilen, die gerade neu gebaut wurde und<br />

sich aufgrund ihrer architektonischen und städtebauli-<br />

chen Strukturen zu sozialen Brennpunkten entwickel-<br />

ten. Das prägte längere Zeit das Schülerklientel <strong>der</strong><br />

neuen <strong>Schule</strong>n. An den <strong>Schule</strong>n wurden vorwiegend<br />

K<strong>in</strong><strong>der</strong> aus bildungsferneren Schichten angemeldet.<br />

K<strong>in</strong><strong>der</strong> aus bürgerlichen, bildungsorientierten Familien<br />

wurden seltener angemeldet. Die neuen <strong>Schule</strong>n wur-<br />

den wegen des großen Bedarfes m<strong>in</strong>destens achtzü-<br />

gig, zum Teil deutlich größer geplant, d.h. für Schüler-<br />

zahlen zwischen 1500 und 2500. Damit handelten sie<br />

sich sehr schnell den Vorwurf des Massenbetriebs und<br />

<strong>der</strong> anonymen Lernfabriken e<strong>in</strong>. Sehr viel Energie<br />

haben die Kollegien im ersten Jahrzehnt darauf ver-<br />

wenden müssen, die Nachteile dieser Systemgröße<br />

durch school-<strong>in</strong>-school-Konzepte auszugleichen. Die<br />

mit Blick auf Differenzierungsmöglichkeiten und <strong>e<strong>in</strong>e</strong><br />

Vielfalt <strong>der</strong> Kurse und Arbeitsgeme<strong>in</strong>schaften anfangs<br />

gepriesenen Vorzüge solch großer <strong>Schule</strong>n hielten sich<br />

vor dem H<strong>in</strong>tergrund vielfältiger pädagogischer Pro-<br />

bleme <strong>in</strong> Grenzen 6 .<br />

Trotz vieler Anfangsprobleme entwickelten sich<br />

die nie<strong>der</strong>sächsischen Gesamtschulen zu <strong>e<strong>in</strong>e</strong>m<br />

Erfolgsprojekt. Zu k<strong>e<strong>in</strong>e</strong>m Zeitpunkt <strong>in</strong> den vergange-<br />

nen 35 Jahren haben die vorhandenen Kapazitäten<br />

ausgereicht. Jahr für Jahr haben mehr Eltern ihre K<strong>in</strong>-<br />

<strong>der</strong>n an diesen <strong>Schule</strong>n anmelden wollen, als Plätze<br />

vorhanden waren.<br />

Sie mussten e<strong>in</strong> Losverfahren akzeptieren, dass<br />

jedes Jahr die Schulwahl von K<strong>in</strong><strong>der</strong>n und Eltern nicht<br />

von ihrer Entscheidung, son<strong>der</strong>n von ihrem Losglück<br />

2 0<br />

abhängig macht. K<strong>e<strong>in</strong>e</strong> Regierungsmehrheit würde<br />

das Eltern zumuten, die für ihre K<strong>in</strong><strong>der</strong> <strong>e<strong>in</strong>e</strong>n Platz an<br />

<strong>e<strong>in</strong>e</strong>m Gymnasium haben wollen.<br />

Die enorme Elternnachfrage kann vor allem mit<br />

<strong>der</strong> Lernfähigkeit <strong>der</strong> <strong>Schule</strong>n bzw. <strong>der</strong> Schulform<br />

begründet werden. Es ist zwar nicht falsch, wenn heu-<br />

te noch gegen die Gesamtschulen angeführt wird,<br />

dass <strong>in</strong> den ersten Jahren ihrer Gesamtkonferenzen<br />

auch über Abrüstungsfragen, über Atomenergie und<br />

Berufsverbote heftig debattiert worden ist, aber immer<br />

haben Fragen <strong>der</strong> <strong>Schule</strong>ntwicklung, <strong>der</strong> Unterrichts-<br />

gestaltung und des Schullebens auf <strong>der</strong> Tagesordnung<br />

gestanden und <strong>e<strong>in</strong>e</strong>n hohen Stellenwert gehabt.<br />

Deshalb haben sich Gesamtschulen auch gegen<br />

<strong>in</strong>nere und äußere Wi<strong>der</strong>stände weiterentwickelt, nur<br />

ihre Kritiker s<strong>in</strong>d auf dem Ausgangsniveau geblieben.<br />

Im Verlauf <strong>der</strong> ersten Gründungsperiode bis<br />

1976 wird die Lernfähigkeit <strong>der</strong> Systeme beson<strong>der</strong>s<br />

deutlich an konzeptionellen Fortschritten <strong>der</strong> jeweils<br />

nächsten Schulgründung. <strong>Für</strong> die vorläufig letzte Inte-<br />

grierte Gesamtschule, die 1975 <strong>in</strong> Gött<strong>in</strong>gen ihre<br />

Arbeit aufnahm, hatte die Planungsgruppe ihre Zeit <strong>in</strong><br />

so ausgezeichneter Weise genutzt, dass man mit Blick<br />

auf diese Georg-Christoph-Lichtenberg-Gesamtschule<br />

schon von <strong>e<strong>in</strong>e</strong>r Gesamtschule <strong>der</strong> zweiten Generation<br />

sprechen kann. Sie arbeitete <strong>in</strong> <strong>der</strong> Mittelstufe bereits<br />

konsequent als Jahrgangsteamschule, d.h. ausgerich-<br />

tet auf <strong>e<strong>in</strong>e</strong> verb<strong>in</strong>dliche Lehrerkooperation, sie fokus-<br />

sierte die Zusammenarbeit zwischen Lehrkräften,<br />

Eltern und Schülern <strong>in</strong> bee<strong>in</strong>drucken<strong>der</strong> Weise auf den<br />

Unterricht und die Erziehung, <strong>in</strong>dem regelmäßige<br />

Tischgruppenabende noch heute stattf<strong>in</strong>den, sie ent-<br />

wickelte e<strong>in</strong> schülerorientiertes Unterrichtskonzept,<br />

das mit fortgeschriebenen Elemente auch heute noch<br />

5 E<strong>in</strong>e Ausnahme bildete neben <strong>der</strong> IGS <strong>Für</strong>stenau z.B. die IGS Wolfsburg (He<strong>in</strong>rich-Nordhoff-Gesamtschule), die sich <strong>in</strong> und aus <strong>e<strong>in</strong>e</strong>m Schulzentrum<br />

mit Gymnasium, Realschule und Hauptschule entwickelte und wenigstens <strong>in</strong> Teilen auf vorhandene Kollegien zurück greifen konnte.<br />

Von <strong>der</strong> Lage im Stadtteil Wolfsburg-Westhagen unterschied sie sich allerd<strong>in</strong>gs wenig von <strong>der</strong> IGS Braunschweig-Weststadt (Wilhelm-Bracke-<br />

Gesamtschule) o<strong>der</strong> <strong>der</strong> IGS Hannover-Ro<strong>der</strong>bruch, <strong>der</strong> IGS Garbsen etc..<br />

6 Der für die Systemgrößenentscheidung ab 1970 verantwortliche Kultusm<strong>in</strong>ister Peter von Oertzen war im Nachh<strong>in</strong>e<strong>in</strong>, d.h. Ende <strong>der</strong> 80er Jahre,<br />

nicht <strong>in</strong> <strong>der</strong> Lage, die Gründe zu nennen. Auf <strong>e<strong>in</strong>e</strong>r Veranstaltung <strong>der</strong> Initiative für <strong>e<strong>in</strong>e</strong> zweite Gesamtschule <strong>in</strong> Braunschweig am 12.10.1988<br />

erläuterte er, er habe damals s<strong>e<strong>in</strong>e</strong>n Fachleuten im M<strong>in</strong>isterium vertraut, die die Achtzügigkeit, also acht Parallelklassen als M<strong>in</strong>destgröße für<br />

<strong>e<strong>in</strong>e</strong> kostenneutrale und dennoch ausgefächerte Leistungs- wie Neigungsdifferenzierung angesehen hätten.<br />

7 Um Missverständnisse zu vermeiden, sei betont, dass weitere <strong>in</strong>tegrierte Gesamtschulen <strong>in</strong> <strong>Nie<strong>der</strong>sachsen</strong> nach <strong>e<strong>in</strong>e</strong>m ähnlichen Konzept<br />

arbeiten und <strong>der</strong> IGS Franzsches Feld <strong>in</strong> vielen Bereichen qualitativ wenig nachstehen.


vorbildlich ersche<strong>in</strong>t. Die Erfolge <strong>der</strong> Gött<strong>in</strong>ger<br />

Gesamtschul-Schüler, z.B. hoher Anteil an höherwerti-<br />

gen Abschlüssen, s<strong>in</strong>d durch diese Konzeption und<br />

durch die für sie geschaffenen Rahmenbed<strong>in</strong>gungen<br />

(baulich und personell) zu erklären.<br />

Mit dem Regierungswechsel von 1976 und dem<br />

folgenden ersten Gesamtschulmoratorium wurde die-<br />

se positive Entwicklung gestoppt. Die vorhandenen<br />

Gesamtschulen blieben bestehen, erhielten jedoch im<br />

Rahmen <strong>e<strong>in</strong>e</strong>r Schulgesetznovelle neben den soge-<br />

nannten Regelschulen den zweitrangigen Status von<br />

Angebotsschulen. Die weitere quantitative Entwick-<br />

lung kam zum Erliegen.<br />

Die vorhandenen <strong>Schule</strong>n ließen sich jedoch<br />

von diesem Versuch <strong>e<strong>in</strong>e</strong>r Marg<strong>in</strong>alisierung wenig<br />

bee<strong>in</strong>druckend. Sie entwickelten sich weiter, steiger-<br />

ten damit die Nachfrage nach Gesamtschulplätzen<br />

und erzeugten so <strong>e<strong>in</strong>e</strong>n politischen Druck, <strong>der</strong> 1989,<br />

also vierzehn Jahre nach <strong>der</strong> Gründung des IGS Gött<strong>in</strong>-<br />

gen noch zu Zeiten <strong>der</strong> Albrecht-Regierung wie<strong>der</strong> zu<br />

<strong>e<strong>in</strong>e</strong>r Neugründung <strong>in</strong> Braunschweig führte, zur Grün-<br />

dung <strong>der</strong> IGS Franzsches Feld, die nun 18 Jahre später<br />

für ihr pädagogisches Konzept mit dem deutschen<br />

Schulpreis geehrt wird.<br />

6. E<strong>in</strong> Vorbild aus <strong>der</strong> Praxis – die<br />

IGS Franzsches Feld als Träger<strong>in</strong><br />

des Deutschen Schulpreises 2006<br />

Die IGS Franzsches Feld wird hier als Beispiel für den<br />

Stand <strong>der</strong> nie<strong>der</strong>sächsischen Gesamtschulentwicklung<br />

vorgestellt, an die die Geme<strong>in</strong>same <strong>Schule</strong> anknüpfen<br />

sollte 7 .<br />

Der deutsche Schulpreis bewertet nach den folgenden<br />

sechs Kriterien die Güte <strong>e<strong>in</strong>e</strong>r <strong>Schule</strong>:<br />

1. die Leistungen <strong>der</strong> Schüler<strong>in</strong>nen und Schüler<br />

2. <strong>der</strong> Umgang mit <strong>der</strong> Vielfalt<br />

3. die Unterrichtsqualität<br />

4. Verantwortung übernehmen<br />

5. das Schulklima, Schulleben und außerschulische<br />

Partner<br />

6. die <strong>Schule</strong> als lernende Institution.<br />

Diese Kriterien wurden von <strong>e<strong>in</strong>e</strong>r Jury bei<br />

Inspektionsbesuchen überprüft und die Zielerreichung<br />

bewertet.<br />

Sie genießt aufgrund ihres Konzeptes sowie des<br />

beson<strong>der</strong>s engagierten Kollegiums <strong>e<strong>in</strong>e</strong>n außerordent-<br />

lich guten Ruf. Es ist deshalb ke<strong>in</strong> Zufall, dass sie 2006<br />

als e<strong>in</strong>zige nie<strong>der</strong>sächsische <strong>Schule</strong> durch den Bundes-<br />

präsidenten mit dem Deutschen Schulpreis geehrt<br />

wurde. In <strong>der</strong> Laudatio hieß es u.a.:<br />

„Die IGS Franzsches Feld bietet lebendige<br />

Anschauung dafür, wie <strong>e<strong>in</strong>e</strong> humane Leistungsgesell-<br />

schaft aussehen könnte, und wie gut es Jung und Alt<br />

dabei geht, weil es gel<strong>in</strong>gt, unterschiedliche anspruchs-<br />

volle Ziele zugleich zu verfolgen: Die Entfaltung <strong>in</strong>divi-<br />

dueller Fähigkeiten, aber auch Verantwortung für<br />

<strong>geme<strong>in</strong>same</strong> Aufgaben, für Schwächere o<strong>der</strong> Jüngere,<br />

entschiedenes Leistungsstreben, aber auch die tätige<br />

Sorge dafür, dass niemand verloren geht und dass nicht<br />

durch die Herkunft über die Zukunft entschieden wird.<br />

Wie das geht? Durch <strong>e<strong>in</strong>e</strong> ausbalancierte<br />

Mischung aus <strong>in</strong>nerer und äußerer Differenzierung,<br />

durch lerndiagnostische Begleitung und För<strong>der</strong>ung,<br />

durch regelmäßige Evaluation, durch ausgewogene<br />

Arbeitse<strong>in</strong>heiten. Dazu gehören aber auch die Lehrer-<br />

fortbildung, die Partnerschaft mit an<strong>der</strong>en pädagogi-<br />

schen Experten und mit Spitzenleuten und Institutio-<br />

nen aus Wirtschaft, Sport, Kunst o<strong>der</strong> Wissenschaft.<br />

Die IGS Franzsches Feld ersche<strong>in</strong>t auf so selbst-<br />

verständliche und grundlegende Weise leistungsstark<br />

und demokratisch, dass man übersehen könnte, was<br />

dah<strong>in</strong>ter steckt: pädagogische Professionalität.“<br />

Die Entstehung dieser <strong>Schule</strong> kann im Vergleich<br />

zu den landesseitig betriebenen Gesamtschulgründun-<br />

gen <strong>der</strong> 70er Jahre ungewöhnlich genannt werden.<br />

Wurde zum Beispiel 1973 bis 1975 <strong>in</strong> Gött<strong>in</strong>gen die<br />

Planungsgruppe <strong>der</strong> IGS außerordentlich großzügig<br />

mit Personalmitteln ausgestattet und zudem von <strong>e<strong>in</strong>e</strong>r<br />

landesseitig f<strong>in</strong>anzierten wissenschaftlichen Arbeits-<br />

gruppe unter Prof. Herrlitz nachhaltig unterstützt, g<strong>in</strong>g<br />

<strong>der</strong> Gründung <strong>der</strong> IGS Franzsches Feld <strong>e<strong>in</strong>e</strong> dreijährige<br />

Vorbereitung durch <strong>e<strong>in</strong>e</strong> Bürger<strong>in</strong>itiative voraus. In ihr<br />

2 1


wirkten, ehrenamtlich, erfahrene Lehrkräfte aller<br />

Schulformen, auch <strong>der</strong> bereits vorhandener Gesamt-<br />

schulen sowie engagierte Eltern mit, die <strong>e<strong>in</strong>e</strong>n<br />

Gesamtschulplatz für ihre K<strong>in</strong><strong>der</strong> erkämpfen wollten.<br />

Den ersten Schwerpunkt <strong>der</strong> Arbeit bildete <strong>e<strong>in</strong>e</strong><br />

Bestandsaufnahme <strong>der</strong> Gesamtschulentwicklung <strong>in</strong><br />

<strong>Nie<strong>der</strong>sachsen</strong> und im Bundesgebiet, die mit mehreren<br />

Exkursionen (u.a. Helene-Lange-<strong>Schule</strong> <strong>in</strong> Wiesbaden,<br />

Offene <strong>Schule</strong> Kassel-Waldau, Georg-Christoph-Lich-<br />

tenberg-Gesamtschule <strong>in</strong> Kassel, IGS Köln-Holweide)<br />

verbunden war.<br />

Aus <strong>der</strong> Bestandsaufnahme abgeleitet wurde<br />

e<strong>in</strong> pädagogisches Konzept, <strong>in</strong> das auch Elemente <strong>der</strong><br />

deutschen Reformpädagogik e<strong>in</strong>flossen. Sie f<strong>in</strong>den<br />

sich zum Beispiel <strong>in</strong> <strong>der</strong> Tages- und Wochenstruktur<br />

Baust<strong>e<strong>in</strong>e</strong> <strong>der</strong> Jenaplan-<strong>Schule</strong> Peter Petersens wie<strong>der</strong>.<br />

Das Konzept wurde 1988 <strong>in</strong> Broschürenform vorgelegt<br />

wurde. Da mehrere Mitglie<strong>der</strong> <strong>der</strong> Bürger<strong>in</strong>itiative ab<br />

1989 <strong>in</strong> Schulleitung und Kollegium o<strong>der</strong> als Elternver-<br />

treter Verantwortung übernahmen, gelang <strong>e<strong>in</strong>e</strong> sehr<br />

weitgehende Realisierung des geme<strong>in</strong>sam erarbeite-<br />

ten Konzeptes mit dem jährlich wachsenden Kollegi-<br />

um, das sich an<strong>der</strong>s als bei den ersten Gesamtschul-<br />

gründungen aus durchweg erfahrenen Lehrkräften<br />

aller Schulformen zusammensetzte.<br />

Als konzeptionell-konstitutive Elemente <strong>der</strong><br />

<strong>Schule</strong> können heute folgende Punkte genannt wer-<br />

den, wobei <strong>der</strong> Vollständigkeit halber erwähnt wird,<br />

dass die IGS Franzsches Feld wie alle <strong>in</strong>tegrierten<br />

Gesamtschulen <strong>in</strong> <strong>Nie<strong>der</strong>sachsen</strong> auf das Instrument<br />

des Sitzenbleibens ebenso verzichtet wie auf das soge-<br />

nannte Abschulen, also die ‚Überweisung’ <strong>e<strong>in</strong>e</strong>s Schü-<br />

lers an <strong>e<strong>in</strong>e</strong> an<strong>der</strong>e Schulform aufgrund schlechter<br />

schulischer Leistungen.<br />

• Die Grundorganisation <strong>der</strong> <strong>Schule</strong> erfolgt als vier-<br />

2 2<br />

zügige Jahrgangsteamschule. Jeweils 4 Klassen<br />

bilden <strong>e<strong>in</strong>e</strong> pädagogische E<strong>in</strong>heit, die von <strong>e<strong>in</strong>e</strong>m<br />

Lehrerteam von Klasse 5 – Klasse 10 verantwortlich<br />

begleitet wird. Kern <strong>e<strong>in</strong>e</strong>s Jahrgangsteams s<strong>in</strong>d<br />

jeweils zwei Tutoren je Klasse (möglichst <strong>e<strong>in</strong>e</strong><br />

Lehrer<strong>in</strong> und e<strong>in</strong> Lehrer). H<strong>in</strong>zutreten Fachlehrkräf-<br />

te, die mit Vorrang <strong>in</strong> diesem Jahrgang unterrich-<br />

ten und <strong>in</strong> die <strong>geme<strong>in</strong>same</strong> Planung (Jahresarbeits-<br />

plan siehe Anhang A) ebenfalls e<strong>in</strong>gebunden s<strong>in</strong>d.<br />

Die Jahrgangsteams werden durch <strong>e<strong>in</strong>e</strong>n Jahr-<br />

gangsleiter bzw. <strong>e<strong>in</strong>e</strong> Jahrgangsleiter<strong>in</strong> geleitet.<br />

• Intensive Lehrerkooperation durch regelmäßige<br />

Planungsarbeit <strong>der</strong> Jahrgangsteams am Freitag-<br />

nachmittag.<br />

• Unterstützung <strong>der</strong> Lehrkräfte durch pädagogi-<br />

sche Mitarbeiter (Sozialpädagoge, Erzieher<strong>in</strong>),<br />

<strong>der</strong>en Kompetenz und Mitarbeit im Bereich des<br />

sozialen Lernens sowie <strong>in</strong>dividueller Beratung<br />

außerordentlich geschätzt wird.<br />

• Die <strong>Schule</strong> wird durch <strong>e<strong>in</strong>e</strong> vierköpfige kollegiale<br />

Schulleitung (Schulleiter, stellv. Schulleiter<strong>in</strong>,<br />

didaktische Leiter<strong>in</strong>, Leiter<strong>in</strong> <strong>der</strong> gymnasialen Ober-<br />

stufe) geführt. Bei durchaus herausgehobener<br />

Schulleiterfunktion wird Delegation von Verantwor-<br />

tung <strong>in</strong> vertrauensvoller Kooperation praktiziert.<br />

• E<strong>in</strong>en Schwerpunkt <strong>der</strong> Unterrichtsarbeit bilden die<br />

fächerübergreifenden Vorhaben (siehe Anhang A).<br />

Das s<strong>in</strong>d themen- und schülerorientierte Unter-<br />

richtsphasen, <strong>in</strong> denen die beteiligten Fächer eng<br />

zusammenarbeiten und die Fachgrenzen auch<br />

organisatorisch zum Teil aufgehoben werden. In<br />

jedem Jahrgang wird pro Schulhalbjahr e<strong>in</strong> fächer-<br />

übergreifendes Vorhaben realisiert, das <strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel<br />

mehrere Wochen dauert.<br />

• Die <strong>Schule</strong> wird als Ganztagsschule geführt und<br />

zwar an 3 Tagen <strong>der</strong> Woche (Montag, Mittwoch,<br />

Donnerstag) mit verpflichtendem ganztägigen<br />

Unterricht zwischen 07.45 und 15.45 Uhr. Am<br />

Dienstagnachmittag werden Arbeitsgeme<strong>in</strong>schaf-<br />

ten angeboten. Am Freitag endet die <strong>Schule</strong> mit-<br />

tags. Die <strong>Schule</strong> wird mit <strong>e<strong>in</strong>e</strong>m Klassenrat <strong>in</strong> <strong>e<strong>in</strong>e</strong>r<br />

Tutoren-Stunde e<strong>in</strong>geleitet und am Freitagmittag<br />

mit <strong>e<strong>in</strong>e</strong>m Klassenrat beendet. In <strong>der</strong> Mittagspause<br />

wird das Essen <strong>in</strong> den Jahrgängen 5 – 7, d.h. im<br />

Klassenverband geme<strong>in</strong>sam mit <strong>e<strong>in</strong>e</strong>r Lehrkraft e<strong>in</strong>-<br />

genommen. In den Jahrgängen 8-10 ist die Teilnah-<br />

me am Essen freiwillig. Das <strong>geme<strong>in</strong>same</strong> Essen hat<br />

<strong>e<strong>in</strong>e</strong>n hohen Stellenwert im sozialen Leben <strong>der</strong>


<strong>Schule</strong>, weshalb geme<strong>in</strong>sam aufgedeckt, gegessen<br />

und anschließend abgeräumt wird. Die Mensa wird<br />

kostendeckend durch <strong>e<strong>in</strong>e</strong>m ‚Eigenbetrieb’ (Essens-<br />

vere<strong>in</strong>) <strong>der</strong> <strong>Schule</strong> geführt.<br />

Im Rahmen des Ganztagsbetriebes wird e<strong>in</strong> För-<br />

<strong>der</strong>konzept realisiert, <strong>in</strong> dem <strong>in</strong> sogenannten<br />

Arbeits- und Übungsstunden unterschiedliche<br />

Aufgabenstellungen des übenden Lernens sowie<br />

<strong>der</strong> Schülerfreiarbeit ihren Raum f<strong>in</strong>den (siehe<br />

Anhang B).<br />

• Die <strong>Schule</strong> verfügt über e<strong>in</strong> beson<strong>der</strong>es Konzept<br />

<strong>der</strong> Differenzierung (siehe Anhang C), <strong>in</strong>dem mit<br />

Zustimmung <strong>der</strong> Kultusm<strong>in</strong>isterkonferenz die<br />

äußere Leistungsdifferenzierung <strong>in</strong> den Fächern<br />

Mathematik, Englisch und <strong>in</strong> den Naturwissen-<br />

schaften flexibel gehandhabt wird, d.h. es gibt<br />

neben Phasen des Lernens <strong>in</strong> leistungsdifferenzier-<br />

ten Kursen auch Phasen des <strong>geme<strong>in</strong>same</strong>n Lernens<br />

im Klassenverband. Im Fach Deutsch f<strong>in</strong>det die Lei-<br />

stungsdifferenzierung klassen<strong>in</strong>tern statt, es wer-<br />

den unterschiedliche Anfor<strong>der</strong>ungen gestellt, die<br />

auch <strong>in</strong> verschiedenen Klassenarbeiten mit unter-<br />

schiedlichen Anfor<strong>der</strong>ungen münden. Die Bewer-<br />

tung orientiert sich hier am gewählten Anforde-<br />

rungsniveau.<br />

• Neben den herkömmlichen und vorgeschriebenen<br />

Formen <strong>der</strong> Leistungskontrolle durch Klassenarbei-<br />

ten werden weitere Formen <strong>der</strong> Leistungsüber-<br />

prüfung praktiziert und entwickelt. Die Schüler<strong>in</strong>-<br />

nen und Schüler sowie ihre Eltern erhalten<br />

halbjährlich detaillierte Rückmeldungen zu Lern-<br />

fortschritten und -defiziten <strong>in</strong> den e<strong>in</strong>zelnen<br />

Fächern <strong>in</strong> Form <strong>e<strong>in</strong>e</strong>s umfangreichen Lernent-<br />

wicklungsberichtes (siehe Anhänge D, E, F), <strong>der</strong><br />

aus Lehrerbrief an den Schüler, Antwortbrief des<br />

Schülers sowie den Fachbögen besteht.<br />

• Die Selbste<strong>in</strong>schätzung <strong>der</strong> Schüler<strong>in</strong>nen und Schü-<br />

ler ist e<strong>in</strong> zentraler Bestandteil auf dem Weg zum<br />

selbstgesteuerten Lernen. Von <strong>der</strong> Auswahl von<br />

Aufgaben, über Selbste<strong>in</strong>stufung zu Kursen <strong>in</strong> den<br />

flexiblen Differenzierungsphasen bis zur Eigenbeur-<br />

teilung sogar <strong>in</strong> Lernentwicklungsberichten (siehe<br />

Anhänge G, H, I) s<strong>in</strong>d die Selbste<strong>in</strong>schätzungen<br />

von hoher Bedeutung beim <strong>in</strong>dividuellen Lernpro-<br />

zess und dienen zur Stärkung <strong>der</strong> eigenen Persön-<br />

lichkeit.<br />

• Eltern und Schüler s<strong>in</strong>d über e<strong>in</strong> Modell <strong>der</strong> erwei-<br />

terten Mitbestimmung e<strong>in</strong>gebunden. In <strong>der</strong><br />

Gesamtkonferenz bilden die Lehrkräfte <strong>e<strong>in</strong>e</strong> Grup-<br />

pe mit 50% <strong>der</strong> Stimmen. Jeweils weitere 25% ste-<br />

hen den Eltern- bzw. Schülervertretern zu. Jede<br />

Klasse entsendet <strong>e<strong>in</strong>e</strong>n Elternvertreter und <strong>e<strong>in</strong>e</strong>n<br />

Schülervertreter <strong>in</strong> die Gesamtkonferenz.<br />

• Die gymnasiale Oberstufe <strong>der</strong> <strong>Schule</strong> wird als vier-<br />

zügige themenbezogene Profiloberstufe geführt.<br />

Etwa 60% ihrer Schüler<strong>in</strong>nen und Schüler wech-<br />

seln am Ende <strong>der</strong> 10. Klasse <strong>in</strong> diese Schulstufe.<br />

Zusätzlich werden erfolgreiche Absolventen ande-<br />

rer <strong>Schule</strong>n aufgenommen.<br />

<strong>Für</strong> die 120 Schülerplätze <strong>e<strong>in</strong>e</strong>s jeden neuen 5.<br />

Jahrgangs bewerben sich seit nunmehr 15 Jahren jähr-<br />

lich zwischen 250 und 300 Eltern. Die IGS Franzsches<br />

Feld ist <strong>e<strong>in</strong>e</strong> Gesamtschule im wahrsten S<strong>in</strong>ne des<br />

Wortes, d.h. sie wird <strong>in</strong> den Jahrgängen 5 – 13 von<br />

K<strong>in</strong><strong>der</strong>n und Jugendlichen aller sozialen Schichten<br />

besucht, die Anteile schulisch leistungsstarker und lei-<br />

stungsschwacher Schüler<strong>in</strong>nen und Schüler s<strong>in</strong>d reprä-<br />

sentativ für den jeweiligen Gesamtjahrgang <strong>der</strong> Stadt.<br />

Solche maximal vierzügigen Gesamtschulen <strong>der</strong><br />

zweiten Generation, von denen es <strong>in</strong> <strong>Nie<strong>der</strong>sachsen</strong><br />

mehrere gibt, sollten <strong>der</strong> Ausgangspunkt für zukünfti-<br />

ge Weiterentwicklungen se<strong>in</strong>.<br />

Nur solche <strong>Schule</strong>n, die die reformpädagogi-<br />

schen Traditionen weiterführen und gleichzeitig nach<br />

fachlicher Brillanz und Spitzenleistungen streben,<br />

haben die Chance <strong>e<strong>in</strong>e</strong> Alternative zu den <strong>Schule</strong>n des<br />

geglie<strong>der</strong>ten Systems zu se<strong>in</strong>.<br />

Die zukünftige Geme<strong>in</strong>same <strong>Schule</strong> muss,<br />

beson<strong>der</strong>s aus <strong>der</strong> Sicht <strong>der</strong> Eltern, die positiven gym-<br />

nasialen Qualitäten realisieren und zugleich auf <strong>e<strong>in</strong>e</strong><br />

frühe Auslese, auf eher stigmatisierende als analysie-<br />

rende Ziffernzeugnisse und das überholte Instrument<br />

des Sitzenbleibens und Abschulens verzichten. Sie hat<br />

2 3


sich, wie diese Gesamtschulen es tun, <strong>der</strong> Heterogeni-<br />

tät ihrer Schüler anzunehmen und die Vielfalt nicht als<br />

Belastung, son<strong>der</strong>n als <strong>e<strong>in</strong>e</strong> Bereicherung anzusehen.<br />

So könnten die Geme<strong>in</strong>samen <strong>Schule</strong>n neuzeitliche<br />

Reformschulen werden, <strong>der</strong>en Lehrkräfte <strong>in</strong> <strong>der</strong> Lage<br />

s<strong>in</strong>d, diesem Anfor<strong>der</strong>ungsprofil zu entsprechen.<br />

Wenn man <strong>e<strong>in</strong>e</strong> Geme<strong>in</strong>same <strong>Schule</strong> als erset-<br />

zende <strong>Schule</strong> langfristig wirklich will, ist es auch unab-<br />

d<strong>in</strong>gbar, die Lehrerausbildung zu verän<strong>der</strong>n.<br />

Die gegenwärtigen Ausbildungsgänge s<strong>in</strong>d auf<br />

die Unterrichtstätigkeit an den <strong>Schule</strong>n des geglie<strong>der</strong>-<br />

ten Schulsystems ausgerichtet. Viele frisch ausgebilde-<br />

te Gymnasial- und Realschullehrer/-<strong>in</strong>nen lehnen des-<br />

halb zurzeit die Arbeit an <strong>e<strong>in</strong>e</strong>r Integrierten<br />

Gesamtschule. Die Tätigkeit an <strong>e<strong>in</strong>e</strong>r Geme<strong>in</strong>samen<br />

<strong>Schule</strong> stellt an die Lehrkräfte weitergehende Kompe-<br />

tenzen im H<strong>in</strong>blick auf Kooperation, Lerndiagnostik,<br />

Beratung, Lernorganisation und an den Umgang mit<br />

unterschiedlich befähigten Schüler/-<strong>in</strong>nen und Schü-<br />

lergruppen als die <strong>der</strong>zeitige Ausbildung von Lehrkräf-<br />

ten <strong>in</strong> <strong>der</strong> 1. und 2. Ausbildungsphase vorsieht. Wich-<br />

tige Voraussetzung bleiben nach wie vor brillante<br />

fachliche und fachdidaktische Kompetenzen.<br />

Vor allem aber müssen die Lehrkräfte erfüllt se<strong>in</strong><br />

von <strong>e<strong>in</strong>e</strong>r großen und anhaltenden Begeisterung für<br />

die von ihnen zu behandelnden Probleme und Fragen.<br />

Nur dann können sie erfolgreich se<strong>in</strong>.<br />

An den vergleichbaren Gesamtschulen arbeiten<br />

bereits heute solche Lehrer<strong>in</strong>nen und Lehrer. Lehrkräf-<br />

te, die sich freiwillig <strong>der</strong> Aufgabe stellen, auf die Viel-<br />

falt ihrer Schüler mit <strong>e<strong>in</strong>e</strong>m Unterricht zu antworten,<br />

<strong>der</strong> nicht den Gleichschritt, son<strong>der</strong>n die Lernentwick-<br />

lung des e<strong>in</strong>zelnen K<strong>in</strong>des <strong>in</strong> den Vor<strong>der</strong>grund stellt.<br />

Es gibt solche Lehrkräfte natürlich auch <strong>in</strong> den<br />

<strong>Schule</strong>n des geglie<strong>der</strong>ten Systems. Ihr pädagogisches<br />

Wirken wird jedoch durch die separierenden Struktu-<br />

ren begrenzt. Sie s<strong>in</strong>d dort häufig E<strong>in</strong>zelkämpfer, d.h.<br />

konzeptionell und systemisch nicht e<strong>in</strong>gebunden.<br />

2 4<br />

7. E<strong>in</strong>e pädagogische<br />

Zielkonzeption <strong>der</strong> Geme<strong>in</strong>samen<br />

<strong>Schule</strong><br />

Die Geme<strong>in</strong>same <strong>Schule</strong> gibt es noch nicht. Es ist<br />

daher zu fragen, wie diese <strong>Schule</strong> aussehen sollte,<br />

damit sie überzeugen kann.<br />

Zwar existiert im Beschluss des Landesparteita-<br />

ges <strong>der</strong> SPD ke<strong>in</strong> Anfor<strong>der</strong>ungskatalog, aber <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Broschüre „Zukunft <strong>der</strong> Bildung“ <strong>der</strong> Landtagsfraktion<br />

werden organisatorische und <strong>in</strong>haltliche Anfor<strong>der</strong>un-<br />

gen formuliert, die deutlich machen, dass mit <strong>der</strong><br />

Geme<strong>in</strong>samen <strong>Schule</strong> e<strong>in</strong> klar def<strong>in</strong>iertes pädagogi-<br />

sches Konzept verbunden se<strong>in</strong> soll.<br />

Wenn wir <strong>in</strong> diesem Zusammenhang von den<br />

besten Gesamtschulkonzepten ausgehen, die <strong>in</strong> Nie<strong>der</strong>-<br />

sachsen existieren, so kann man sie als Grundlage für<br />

<strong>e<strong>in</strong>e</strong> solche Konzeption nehmen. Ihre konstitutiven Ele-<br />

mente wurden im vorigen Kapitel vorgestellt. Da sich nur<br />

<strong>e<strong>in</strong>e</strong> begrenzte Anzahl von <strong>Schule</strong>n <strong>in</strong> <strong>Nie<strong>der</strong>sachsen</strong><br />

auf diesem Entwicklungsstand bef<strong>in</strong>den, wird man Schu-<br />

len, die zur Geme<strong>in</strong>samen <strong>Schule</strong> entwickelt werden sol-<br />

len, verpflichten müssen, schrittweise die oben aufge-<br />

führten konstitutiven Elemente <strong>der</strong> Integrierten Ge-<br />

samtschulen Franzsches Feld, <strong>in</strong> die Praxis umzusetzen.<br />

<strong>Schule</strong>n, die sich <strong>in</strong> <strong>e<strong>in</strong>e</strong>r Zielvere<strong>in</strong>barung ver-<br />

pflichten, dieses Konzept Schritt für Schritt zu realisie-<br />

ren und weiter zu entwickeln, dürfen die Bezeichnung<br />

Geme<strong>in</strong>same <strong>Schule</strong> führen. Alle an<strong>der</strong>en <strong>Schule</strong>n blei-<br />

ben für <strong>e<strong>in</strong>e</strong>n nicht def<strong>in</strong>ierten Zeitraum das, was sie<br />

s<strong>in</strong>d: Hauptschule, Realschule, Gymnasium, Integrierte<br />

Gesamtschule, Kooperative Gesamtschule. Sie bleiben<br />

es zu den gesetzlich vorgegebenen Rahmenbed<strong>in</strong>gun-<br />

gen für alle <strong>Schule</strong>n. Und sie bleiben es, solange sie<br />

seitens <strong>der</strong> Eltern nachgefragt werden.<br />

Da für alle nie<strong>der</strong>sächsischen <strong>Schule</strong>n künftig<br />

Schulprogrammarbeit als wichtiges Element <strong>der</strong> Schul-<br />

entwicklung, Selbstevaluation, Inspektion, und die Ori-<br />

entierung des Unterrichts an den nationalen Bildungs-<br />

standards bereits ebenso gesetzlich verpflichtend s<strong>in</strong>d


wie die allmähliche Entwicklung zur eigenverantwort-<br />

lichen <strong>Schule</strong>, müssen diese Elemente, die bestehen<br />

bleiben bzw. verbessert werden, als Beson<strong>der</strong>heit <strong>der</strong><br />

Geme<strong>in</strong>samen <strong>Schule</strong> hier nicht noch e<strong>in</strong>mal genannt<br />

werden. Das gleiche gilt für die im Programmbeschluss<br />

<strong>der</strong> SPD genannte und für alle <strong>Schule</strong>n geplante Maß-<br />

nahme des Verbotes des Sitzensbleibens wie <strong>der</strong><br />

Abschulung.<br />

Die Geme<strong>in</strong>same <strong>Schule</strong>, die <strong>in</strong> jedem Fall als<br />

Ganztagsschule mit nachmittäglichem Pflichtunter-<br />

richt an m<strong>in</strong>destens zwei Tagen (2+2 Modell gem.<br />

Ganztagserlass vom März 2003) geführt wird, zeich-<br />

net sich demnach durch folgende konzeptionelle Ele-<br />

mente aus, die <strong>e<strong>in</strong>e</strong>n wichtigen Teil ihres Schulpro-<br />

gramms darstellen.<br />

Die Zielkonzeption:<br />

• Die Entwicklung verb<strong>in</strong>dlicher Strukturen <strong>der</strong><br />

Lehrerkooperation;<br />

• E<strong>in</strong> För<strong>der</strong>konzept, das neue Formen des <strong>in</strong>di-<br />

vidualisierten Lernens e<strong>in</strong>schließt;<br />

• E<strong>in</strong> Differenzierungskonzept, das unterschied-<br />

liche Formen <strong>der</strong> äußeren Differenzierung mit<br />

Wegen <strong>der</strong> Neigungs- und Wahldifferenzie-<br />

rung verb<strong>in</strong>det;<br />

• E<strong>in</strong> Unterrichtskonzept, das unterschiedliche<br />

Arbeitsformen vom Lehrgangsunterricht über<br />

Gruppenarbeit, Partnerarbeit, Projektunter-<br />

richt bis h<strong>in</strong> zu Arbeits- und Übungsstunden<br />

und freiem Arbeiten systematisch <strong>in</strong> alle<br />

Fächer und Jahrgänge e<strong>in</strong>bezieht;<br />

• Entwicklung <strong>e<strong>in</strong>e</strong>s schulischen Konzeptes zum<br />

sozialen Lernen, <strong>in</strong> dem die beson<strong>der</strong>e Kom-<br />

petenz pädagogischer Mitarbeiter gezielt e<strong>in</strong>-<br />

gesetzt wird;<br />

• Die Entwicklung neuer Formen <strong>der</strong> Leistungs-<br />

messung und Leistungsbewertung, <strong>in</strong> denen<br />

die Selbste<strong>in</strong>schätzung und Selbstreflexion<br />

<strong>der</strong> Schüler<strong>in</strong>nen und Schüler mit dem Alter<br />

zunehmend an Bedeutung gew<strong>in</strong>nt. Geme<strong>in</strong>-<br />

same <strong>Schule</strong>n verzichten auf das ungenaue<br />

Bewertungs<strong>in</strong>strument <strong>der</strong> Ziffer-noten und<br />

Ziffernzeugnisse;<br />

• Entwicklung <strong>e<strong>in</strong>e</strong>s Ganztagsschulkonzeptes<br />

mit <strong>e<strong>in</strong>e</strong>r pädagogisch begründeten Struktur<br />

<strong>der</strong> Schulwoche wie des Schultages und <strong>der</strong><br />

Gestaltung <strong>der</strong> <strong>Schule</strong> als Lebensraum;<br />

• Entwicklung <strong>e<strong>in</strong>e</strong>s schulischen Personalent-<br />

wicklungskonzept, das Fort- und Weiterbil-<br />

dungsbedarf e<strong>in</strong>schließt;<br />

• Erweiterte Mitbestimmung <strong>der</strong> Eltern und<br />

Schüler <strong>in</strong> den Schulgremien.<br />

Auf dem Weg zur Geme<strong>in</strong>samen <strong>Schule</strong> muss<br />

auf diesen Arbeitsfel<strong>der</strong>n das Rad nicht <strong>in</strong> je<strong>der</strong> Schu-<br />

le neu erfunden werden. Was <strong>in</strong> den „Gesamtschulen<br />

<strong>der</strong> 2. Generation“ bereits erarbeitet wurde, ist e<strong>in</strong><br />

gutes Fundament.<br />

Dieses Fundament zu gründen, wird <strong>in</strong> den mei-<br />

sten <strong>Schule</strong>n für Jahre Zeit und Kraft kosten. Gleichzei-<br />

tig muss ihnen die Möglichkeit gegeben werden,<br />

gefundene Lösungen nicht nur nachzuahmen, son-<br />

<strong>der</strong>n weiter zu entwickeln o<strong>der</strong> neue Lösungen zu f<strong>in</strong>-<br />

den. E<strong>in</strong> solcher Prozess erfor<strong>der</strong>t Geduld, Zeit und<br />

Unterstützung. Diese Unterstützung des Landes müs-<br />

sen die <strong>Schule</strong>n, die sich auf diesen Zukunftsweg<br />

machen deutlicher erfahren, als <strong>Schule</strong>n, die sich ihm<br />

verweigern.<br />

8. E<strong>in</strong> Blick <strong>in</strong> Zukunft:<br />

Überlegungen und Ansätze zur<br />

Weiterentwicklung des<br />

<strong>in</strong>dividuellen Lernens<br />

Die Überlegenheit <strong>der</strong> Organisation <strong>der</strong> Lernprozesse<br />

für Schüler<strong>in</strong>nen und Schüler <strong>in</strong> <strong>der</strong> Integrierten<br />

Gesamtschule gegenüber dem geglie<strong>der</strong>ten Schulsys-<br />

tem liegt dar<strong>in</strong>, dass für die e<strong>in</strong>zelne Schüler<strong>in</strong> und den<br />

e<strong>in</strong>zelnen Schüler <strong>e<strong>in</strong>e</strong> größere Vielfalt des Lernange-<br />

botes vom Inhalt und Anfor<strong>der</strong>ungsniveau her besteht<br />

als am Gymnasium, <strong>der</strong> Realschule und <strong>der</strong> Haupt-<br />

schule. <strong>Für</strong> jede e<strong>in</strong>zelne Schüler<strong>in</strong> und jeden Schüler<br />

ist dadurch <strong>e<strong>in</strong>e</strong> <strong>in</strong>dividuell besser angepasste Schul-<br />

laufbahn möglich als an den <strong>Schule</strong>n des geglie<strong>der</strong>ten<br />

Schulsystems.<br />

2 5


Dies wird nach den gültigen Organisationserlas-<br />

sen für die Integrierten Gesamtschulen <strong>in</strong> Nie<strong>der</strong>sach-<br />

sen nicht nur durch die Wahlmöglichkeit von verschie-<br />

denen Fremdsprachen, von Technik auch für Leis-<br />

tungsstarke, durch die Wahl von Wahlpflichtbereichs-<br />

schwerpunkten möglich, son<strong>der</strong>n auch dadurch, dass<br />

<strong>in</strong> den Fächern Deutsch, Englisch, Mathematik und<br />

Naturwissenschaften Fachleistungskurse unterschiedli-<br />

chen Anfor<strong>der</strong>ungsniveaus besucht werden können,<br />

wobei das Anfor<strong>der</strong>ungsniveau bei den e<strong>in</strong>zelnen<br />

Fächern unterschiedlich gewählt werden kann. Dies ist<br />

an Gymnasium und <strong>der</strong> Realschule nicht möglich.<br />

Dadurch dass an <strong>der</strong> Integrierten Gesamtschule<br />

an die Schüler<strong>in</strong>nen und Schüler <strong>in</strong> verschiedenen Lern-<br />

bereichen unterschiedliche hohe Anfor<strong>der</strong>ungen ge-<br />

stellt werden können, haben sie größere Chancen,<br />

bestätigende Lernerfolge zu erreichen. Wenn die an die<br />

Schüler<strong>in</strong>nen und Schüler gestellten Lernanfor<strong>der</strong>ungen<br />

eher ihrem Lernfortschritt folgen, besteht die Möglich-<br />

keit, dass Kenntnisse, Fertigkeiten und Fähigkeiten bes-<br />

ser aufe<strong>in</strong>an<strong>der</strong> aufbauend erworben werden und auf<br />

diese Weise nachhaltigeres Lernen stattf<strong>in</strong>det.<br />

Schüler<strong>in</strong>nen und Schüler am Gymnasium und<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> Realschule müssen i. d. R. die Schulform wech-<br />

seln, wenn sie <strong>in</strong> zwei o<strong>der</strong> mehr Fächern über mehre-<br />

re Schuljahre h<strong>in</strong>weg das gymnasiale o<strong>der</strong> realschulre-<br />

levante M<strong>in</strong>destanfor<strong>der</strong>ungsniveau nicht erfüllen<br />

können (mehrfache Klassenwie<strong>der</strong>holung, Abschu-<br />

lung). Nach dem Wechsel <strong>der</strong> Schulform vom Gymna-<br />

sium <strong>in</strong> die Realschule o<strong>der</strong> von <strong>der</strong> Real- <strong>in</strong> die Haupt-<br />

schule werden sie dann auch <strong>in</strong> Fächern auf dem<br />

niedrigeren Anfor<strong>der</strong>ungsniveau unterrichtet, <strong>in</strong> denen<br />

sie jedoch zuvor die gymnasialen o<strong>der</strong> realschulrele-<br />

vanten Anfor<strong>der</strong>ungen erfüllt haben.<br />

Auch dass das Fehlen bestimmter Basiskompe-<br />

tenzen (z. B. sich mündlich nicht beteiligen können,<br />

Aufmerksamkeitsstörungen, Störungen im Gruppen-<br />

und Arbeitsverhalten – dauerhaft o<strong>der</strong> temporär –)<br />

führt trotz vorhandener ausreichen<strong>der</strong> <strong>in</strong>tellektueller<br />

Fähigkeiten nicht selten zum Wechsel vom Gymnasi-<br />

um <strong>in</strong> die Realschule und /o<strong>der</strong> von <strong>der</strong> Realschule <strong>in</strong><br />

die Hauptschule.<br />

2 6<br />

<strong>Für</strong> den Unterricht an den Integrierten Gesamt-<br />

schulen, <strong>der</strong> nicht <strong>in</strong> Form von Fachleistungskursen<br />

stattf<strong>in</strong>det, wurden <strong>in</strong> <strong>der</strong> Vergangenheit auf Grund<br />

<strong>der</strong> offensichtlich vorhandenen Heterogenität <strong>der</strong><br />

Lerngruppen vielfältige b<strong>in</strong>nendifferenzierende For-<br />

men entwickelt, e<strong>in</strong>geführt und laufend weiter ent-<br />

wickelt. Diese wurden <strong>in</strong>zwischen an vielen <strong>in</strong>tegrier-<br />

ten Gesamtschulen auf fast alle Lernbereiche (Fächer,<br />

fachübergreifende Angebote, Projektunterricht) aus-<br />

gedehnt.<br />

In vielen Lernfel<strong>der</strong>n werden so Schüler<strong>in</strong>nen<br />

und Schüler <strong>in</strong>nerhalb <strong>e<strong>in</strong>e</strong>r Lerngruppe bezogen auf<br />

den gleichen Themenbereich unterschiedliche Lern-<br />

aufgaben gestellt (Innere Differenzierung).<br />

Dabei wird nicht nur zwischen Anspruchsniveau,<br />

Lerntempo, unterschiedlichen Lernzugängen son<strong>der</strong>n<br />

auch den allgem<strong>e<strong>in</strong>e</strong>n Lernvoraussetzungen wie Kon-<br />

zentrationsfähigkeit, Kompetenzen im Gruppenverhal-<br />

ten, Motivationsfähigkeit, Zuwendungsbedürftigkeit<br />

und an<strong>der</strong>en Gesichtspunkten unterschieden.<br />

Viele dieser Unterrichtsformen wurden <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Grundschule entwickelt und für die Sekundarstufe I<br />

angepasst. Zu solchen an den Integrierten Gesamt-<br />

schulen praktizierten Unterrichtsformen zählt die sog.<br />

„Freiarbeit“, Wochenplanarbeit, Themenplanarbeit,<br />

Werkstattunterricht usw.. Diese Unterrichtsformen<br />

ermöglichen für viele Schüler <strong>in</strong>dividuell zugeschnitte-<br />

ne Anfor<strong>der</strong>ungsniveaus und Lernformen, die über-<br />

wiegend <strong>in</strong> Formen des kooperativen Lernens prakti-<br />

ziert werden.<br />

Wichtige Gel<strong>in</strong>gensbed<strong>in</strong>gungen dafür s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> vielen<br />

Gesamtschulen weit entwickelt:<br />

• gute Kenntnisse <strong>der</strong> Lehrkräfte über die e<strong>in</strong>zelnen<br />

Schüler<strong>in</strong>nen und Schüler, ihres Lernstandes und<br />

ihrer Lernentwicklung durch mehr Stunden <strong>der</strong><br />

Lehrkräfte <strong>in</strong> <strong>der</strong> Woche über <strong>e<strong>in</strong>e</strong>n längeren Zeit-<br />

raum;<br />

• <strong>e<strong>in</strong>e</strong> gute Kooperation im H<strong>in</strong>blick auf den Aus-<br />

tausch und regelmäßig Reflexion des Wissens über<br />

die Schüler<strong>in</strong>nen und Schüler, ihre Lernvorausset-


zungen und über die Erfolg versprechenden Ler-<br />

nanfor<strong>der</strong>ungen und Lernformen;<br />

• E<strong>in</strong>e gut organisierte Zusammenarbeit bei <strong>der</strong><br />

arbeitsteiligen Planung und Erarbeitung differen-<br />

zieren<strong>der</strong> Arbeitsmaterialien und Lernformen im<br />

Kollegium;<br />

• Praxis zur Entwicklung tragfähiger Beziehungen <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> Gruppe gleichaltriger Mitschüler<strong>in</strong>nen und Mit-<br />

schüler, um wechselnde Lernteams und Lernpart-<br />

nerschaften <strong>in</strong> den verschiedenen Lernbereichen<br />

erfolgreich bilden zu können;<br />

• die systematische Vermittlung von Fähigkeiten an<br />

Schüler<strong>in</strong>nen und Schüler, zunehmend selbststän-<br />

dig alle<strong>in</strong>, zu zweit o<strong>der</strong> <strong>in</strong> <strong>e<strong>in</strong>e</strong>r kl<strong>e<strong>in</strong>e</strong>n Gruppe<br />

<strong>e<strong>in</strong>e</strong>n Lerngegenstand erarbeiten zu können.<br />

Die oben genannten b<strong>in</strong>nen differenzierenden<br />

Unterrichtsformen bedürfen <strong>e<strong>in</strong>e</strong>s großen Vorberei-<br />

tungsaufwandes, <strong>der</strong> nur arbeitsteilig <strong>in</strong> Kooperation<br />

<strong>der</strong> Lehrkräfte geleistet werden kann. Dieses war<br />

neben an<strong>der</strong>en Gründen ausschlaggebend dafür, dass<br />

sich an den Integrierten Gesamtschulen die Kooperati-<br />

on von Lehrkräften <strong>in</strong> fachunabhängigen und fachbe-<br />

zogenen Teams sehr stark entwickelt und erhalten hat.<br />

Alle, die häufig analysierend E<strong>in</strong>blick <strong>in</strong> die Pra-<br />

xis <strong>der</strong> <strong>in</strong>neren Differenzierung an den Gesamtschulen<br />

nehmen konnten, wissen, dass diese Praxis im H<strong>in</strong>blick<br />

auf ihre durchgängig verlässliche Handhabung durch<br />

alle Lehrkräfte und <strong>in</strong> Bezug auf die <strong>in</strong>dividuelle Lern-<br />

planung für die e<strong>in</strong>zelne Schüler<strong>in</strong> und den e<strong>in</strong>zelnen<br />

Schüler noch verbessert werden kann. Ebenso könn-<br />

ten viele Lehrer<strong>in</strong>nen und Lehrer für Teile <strong>der</strong> Lern-<br />

gruppen durch <strong>e<strong>in</strong>e</strong> größere Anfor<strong>der</strong>ungsbreite im<br />

Rahmen <strong>der</strong> <strong>in</strong>neren Differenzierung die <strong>in</strong>dividuellen<br />

Lernanstrengungen noch stärker herausfor<strong>der</strong>n.<br />

Welche Möglichkeiten gibt es für die Geme<strong>in</strong>sa-<br />

me <strong>Schule</strong> als weiter entwickelter Integrierter Gesamt-<br />

schule, den Systemvorteil <strong>e<strong>in</strong>e</strong>s <strong>in</strong>dividuell besser<br />

angepassten Lernangebotes auszubauen?<br />

Das könnte <strong>in</strong> drei wesentlichen Schritten geschehen:<br />

• Verbesserung <strong>der</strong> Lernbed<strong>in</strong>gungen durch den<br />

Wegfall <strong>der</strong> Pflicht zur äußeren Fachleistungs-<br />

differenzierung <strong>in</strong> Englisch, Mathematik,<br />

Deutsch und Naturwissenschaften<br />

Durch die <strong>in</strong> <strong>der</strong> KMK vere<strong>in</strong>barte Pflicht äußere<br />

Fachleistungskurse <strong>in</strong> den Fächern Englisch, Mathema-<br />

tik, Deutsch und Naturwissenschaften auf „m<strong>in</strong>de-<br />

stens zwei lehrplanbezogenen def<strong>in</strong>ierten Anspruchs-<br />

ebenen“ ab bestimmten Jahrgängen e<strong>in</strong>zurichten,<br />

geht e<strong>in</strong> Teil des im System <strong>der</strong> Geme<strong>in</strong>samen <strong>Schule</strong><br />

möglichen Vorteils wie<strong>der</strong> verloren. Die flexible<br />

Anpassung <strong>der</strong> Lernanfor<strong>der</strong>ungen und Lernformen<br />

an die <strong>in</strong>dividuellen Lernvoraussetzungen wird durch<br />

die <strong>der</strong> Kursart zugeschriebene „Anspruchsebene“<br />

e<strong>in</strong>geschränkt.<br />

Der Grundgedanke des Fachunterrichtes im<br />

geglie<strong>der</strong>ten Schulsystems, dieselben Fach- und Basi-<br />

sanfor<strong>der</strong>ungen mit <strong>e<strong>in</strong>e</strong>r def<strong>in</strong>ierten M<strong>in</strong>destanforde-<br />

rung gleichzeitig für alle Schüler<strong>in</strong>nen und Schüler<br />

<strong>e<strong>in</strong>e</strong>r Lerngruppe zur Grundlage des Unterrichtsange-<br />

botes zu machen, ist heute noch oft prägend für die<br />

Unterrichtsorganisation <strong>in</strong> Fachleistungskursen. Ähn-<br />

lich wie <strong>in</strong> den Jahrgangsklassen im geglie<strong>der</strong>ten<br />

Schulsystem kommt es deshalb noch zu oft nicht zu<br />

<strong>e<strong>in</strong>e</strong>r h<strong>in</strong>reichend flexiblen Anpassung <strong>der</strong> Anforde-<br />

rungen und Lernformen an die <strong>in</strong>dividuellen Lernvor-<br />

aussetzungen <strong>der</strong> Schüler<strong>in</strong>nen und Schüler.<br />

Letztlich darf als H<strong>in</strong>tergrund für das hartnäcki-<br />

ge Beibehalten <strong>e<strong>in</strong>e</strong>s eher gleichschrittigen Unterrich-<br />

tes gesehen werden, dass man es bisher nicht für<br />

möglich hält, speziell den eher lehrgangsmäßigen<br />

Unterricht <strong>in</strong> den Differenzierungsfächern zu <strong>in</strong>divi-<br />

dualisieren. Dazu wäre es z.B. notwendig, Schüler<strong>in</strong>-<br />

nen und Schülern mit unterschiedlichen Lernge-<br />

schw<strong>in</strong>digkeiten auch unterschiedlich viel Zeit für den<br />

Erwerb <strong>der</strong> für notwendig gehaltenen Kenntnisse <strong>in</strong><br />

<strong>e<strong>in</strong>e</strong>r Unterrichtssequenz e<strong>in</strong>zuräumen. Damit entfie-<br />

le auch die Möglichkeit, die erworbenen Kenntnisse,<br />

Fertig- und Fähigkeiten aller Schüler<strong>in</strong>nen und Schüler<br />

bezogen auf <strong>e<strong>in</strong>e</strong>n Lernstoff zum gleichen Zeitpunkt<br />

zu messen, zu vergleichen und zu bewerten, um über<br />

den Zugang zur nächsten Jahrgangs-Leistungsgruppe<br />

2 7


<strong>in</strong> <strong>der</strong> Gesamtschule und über den Zugang zur Klasse<br />

im nächsten Jahrgang des Gymnasiums bzw. <strong>der</strong> Real-<br />

schule zu entscheiden.<br />

• Individuelle Lernplanung mit Hilfe von Kompe-<br />

tenzrastern für alle Lernbereiche (Fach- und<br />

Basiskompetenzen, Methoden- und Sozial-<br />

kompetenzen)<br />

E<strong>in</strong>führung von Kompetenzrastern<br />

Als unterstützende und orientierende Struktur sollten<br />

für die <strong>in</strong>dividuelle Lernplanung für alle Lernbereiche<br />

aus den Bildungsstandards <strong>der</strong> KMK die Kompetenzen<br />

für die Sekundarstufe I abgeleitet und ausformuliert<br />

werden, durch die das Erreichen dieser Standards<br />

gewährleistet werden kann. Fehlen solche Bildungs-<br />

standards auf KMK-Ebene für schulisch relevante Lern-<br />

bereiche, werden sie hilfsweise von Fachgremien auf<br />

Landesebene bestimmt. Entsprechend den Weiterent-<br />

wicklungen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Gesellschaft, <strong>der</strong> Wissenschaft und<br />

<strong>der</strong> Technik müssen Bildungsstandards und ebenso die<br />

sie kennzeichnenden Kompetenzen regelmäßig über-<br />

prüft und fortgeschrieben werden.<br />

Die <strong>in</strong> <strong>der</strong> Sekundarstufe I zu erwerbenden<br />

Kompetenzen <strong>in</strong> <strong>e<strong>in</strong>e</strong>m Lernbereich werden <strong>in</strong> <strong>e<strong>in</strong>e</strong>m<br />

Kompetenzraster so angeordnet, dass die Zusam-<br />

menhänge zwischen den Kompetenzen und ihrer Wer-<br />

tigkeit für die Kompetenzanfor<strong>der</strong>ungen im Sekundar-<br />

bereich I (z. B. im H<strong>in</strong>blick auf Abschlüsse) deutlich<br />

werden. Insbeson<strong>der</strong>e wird im Kompetenzraster deut-<br />

lich, <strong>in</strong> welcher Reihenfolge Kompetenzen aufe<strong>in</strong>an-<br />

<strong>der</strong> aufbauend bzw. nebene<strong>in</strong>an<strong>der</strong> erworben werden<br />

können.<br />

E<strong>in</strong> Beispiel <strong>e<strong>in</strong>e</strong>s solchen Kompetenzrasters<br />

stellt das Europäische Portfolio <strong>der</strong> Sprachen (EPS) dar.<br />

Vorschläge für Kompetenzraster <strong>in</strong> fast allen Fächern<br />

s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> Hessen zum<strong>in</strong>dest für die unteren Jahrgangs-<br />

stufen entwickelt worden. Weitere H<strong>in</strong>weise für die<br />

Konstruktion f<strong>in</strong>det man <strong>in</strong> vielfältigen Veröffentli-<br />

chungen von Andreas Müller vom Institut Beatenberg<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> Schweiz.<br />

Raster zur Beschreibung zu erwerben<strong>der</strong> Kompe-<br />

tenzen s<strong>in</strong>d nicht nur für die e<strong>in</strong>zelnen Fächer, son<strong>der</strong>n<br />

2 8<br />

auch für die so genannten Basis- und Methodenkompe-<br />

tenzen – von Mappenführung bis zum selbstständigen<br />

Planen und Bearbeiten von komplexen Aufgaben alle<strong>in</strong>,<br />

zu zweit o<strong>der</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Gruppe zu entwickeln.<br />

Individuelle Lernplanung auf <strong>der</strong> Grundlage von<br />

Kompetenzrastern<br />

Die Erfassung <strong>der</strong> vorhandenen Kompetenzen jeden<br />

Schülers und je<strong>der</strong> Schüler<strong>in</strong> für alle Lernbereiche steht<br />

zu Beg<strong>in</strong>n <strong>der</strong> Sekundarstufe I am Anfang <strong>der</strong> <strong>in</strong>divi-<br />

duellen Lernplanung für jeden e<strong>in</strong>zelnen Schüler und<br />

jede e<strong>in</strong>zelne Schüler<strong>in</strong>. Die so festgestellte Lernaus-<br />

gangslage kann mit Hilfe <strong>der</strong> oben beschriebenen<br />

Kompetenzraster erfasst und auf entsprechend gestal-<br />

teten <strong>in</strong>dividuellen Kompetenzkarten für alle Lernbe-<br />

reiche festgehalten werden.<br />

Sowohl für die Lehrkraft wie vor allem auch für<br />

die Schüler<strong>in</strong>nen und Schüler und Eltern wird aus den<br />

Kompetenzrastern deutlich, welche Kompetenzen auf<br />

den bereits nachgewiesenen aufbauend als nächste<br />

erworben werden können. Hieraus ergeben sich klar<br />

beschreibbare Ziele für Schüler<strong>in</strong>nen und Schüler und<br />

Lehrkräfte. Entsprechend dem angestrebten Kompe-<br />

tenzerwerb werden die nächsten Lernaufgaben für<br />

jeden e<strong>in</strong>zelnen im <strong>in</strong> <strong>der</strong> Gesamtgruppe bearbeiteten<br />

Themenbereich ausgewählt.<br />

Hier erfolgt e<strong>in</strong> wichtiger Paradigmenwechsel:<br />

E<strong>in</strong>e Lernanfor<strong>der</strong>ung wird an <strong>e<strong>in</strong>e</strong> Schüler<strong>in</strong> bzw. <strong>e<strong>in</strong>e</strong>n<br />

Schüler erst dann gestellt, wenn festgestellt wurde, dass<br />

die Kompetenzen, die notwendige Voraussetzung für<br />

<strong>der</strong>en Bewältigung s<strong>in</strong>d, im Vorh<strong>in</strong>e<strong>in</strong> erworben wurden.<br />

Zu Beg<strong>in</strong>n erfolgt <strong>in</strong> unteren Jahrgängen die<br />

Auswahl <strong>der</strong> Aufgaben zunächst nach Vorgabe <strong>der</strong><br />

Lehrer<strong>in</strong>nen und Lehrern. Mit dem Älterwerden und<br />

mit zunehmen<strong>der</strong> Erfahrung erhalten die Schüler<strong>in</strong>nen<br />

und Schüler zunehmend mehr die Möglichkeit und die<br />

Pflicht, selbst über die Auswahl <strong>der</strong> im nächsten Zeit-<br />

abschnitt zu bearbeitenden Lernaufgaben zu entschei-<br />

den. Die Lehrkräfte erhaltend dagegen immer stärker<br />

<strong>e<strong>in</strong>e</strong> beratende und kontrollierende Funktion bei <strong>der</strong><br />

Auswahl.


Die Zeit, <strong>in</strong> <strong>der</strong> die Schüler<strong>in</strong>nen und Schüler<br />

<strong>e<strong>in</strong>e</strong>s Altersjahrganges die Kompetenzen <strong>in</strong> den e<strong>in</strong>zel-<br />

nen Fächern und an<strong>der</strong>en Lernbereichen erwerben,<br />

wird unterschiedlich lang se<strong>in</strong>. So muss es möglich<br />

se<strong>in</strong>, dass Schüler <strong>in</strong> Fächern die Kompetenzen <strong>der</strong><br />

Sekundarstufe I auf dem höchsten Niveau bereits <strong>in</strong><br />

weniger als 6 Jahren erworben haben, während ande-<br />

re die für <strong>e<strong>in</strong>e</strong>n Abschluss erfor<strong>der</strong>lichen Kompetenzen<br />

<strong>in</strong> <strong>e<strong>in</strong>e</strong>m Fach erst im siebten Jahr erreichen.<br />

<strong>Für</strong> die Umsetzung des Modells ist <strong>e<strong>in</strong>e</strong> hohe Fle-<br />

xibilität <strong>der</strong> Lernorganisation erfor<strong>der</strong>lich. Grundsätzlich<br />

sollte die Lernplanung für den e<strong>in</strong>zelnen ausgehend von<br />

s<strong>e<strong>in</strong>e</strong>r Jahrgangsgruppe erfolgen. Die Lernaufgaben für<br />

alle Schüler<strong>in</strong>nen und Schüler <strong>e<strong>in</strong>e</strong>r Jahrgangsgruppe<br />

sollen sich zur gleichen Zeit auf die gleichen Rahmen-<br />

themen beziehen, damit trotz <strong>in</strong>dividuell unterschiedli-<br />

cher Aufgabenstellung <strong>in</strong> Gruppen zusammengearbei-<br />

tet werden kann, Ergebnisse gegenseitig vorgestellt und<br />

ausgetauscht werden können. Vorherrschende Arbeits-<br />

formen sollten trotz <strong>der</strong> <strong>in</strong>dividualisierten Aufgabenaus-<br />

wahl kooperative Formen zu zweit o<strong>der</strong> <strong>in</strong> Gruppen<br />

se<strong>in</strong>, weil die Kommunikation über die jeweiligen Lern-<br />

<strong>in</strong>halte unter Schüler<strong>in</strong>nen und Schülern im Aneig-<br />

nungsprozess lernunterstützend wirkt.<br />

In Fächern mit schrittweise stark auf e<strong>in</strong>an<strong>der</strong><br />

aufbauenden Kenntnissen und Fertigkeiten s<strong>in</strong>d regel-<br />

mäßige temporär zusammengesetzte Intensivkurse<br />

von Fachlehrkräften für kl<strong>e<strong>in</strong>e</strong> Gruppen mit Schüler<strong>in</strong>-<br />

nen und Schülern mit gleichen Kompetenzentwick-<br />

lungszielen denkbar.<br />

S<strong>in</strong>nvoll s<strong>in</strong>d auch temporär jahrgangsübergrei-<br />

fende Lernteams, wenn die Lernausgangslagen und<br />

Zielsetzungen von Schüler<strong>in</strong>nen und Schülern ver-<br />

schiedener Jahrgänge dies als günstig ersch<strong>e<strong>in</strong>e</strong>n las-<br />

2 9


sen. Hier werden e<strong>in</strong>ige <strong>Schule</strong>n zunächst an die Gren-<br />

zen ihrer Organisationsmöglichkeiten stoßen.<br />

Der erfolgreiche Erwerb <strong>e<strong>in</strong>e</strong>r neuen bzw. <strong>der</strong><br />

erneute Nachweis <strong>e<strong>in</strong>e</strong>r Kompetenz ist durch unter-<br />

schiedliche Formen möglich: schriftliche Leistungs-<br />

nachweise (Tests (evtl. auch zentrale), eigenständige<br />

Ausarbeitungen), mündliche Prüfungen, Kolloquien,<br />

auch durch Lernbeobachtung von Lehrkräften. Wurde<br />

<strong>der</strong> Erwerb <strong>e<strong>in</strong>e</strong>r Kompetenz nachgewiesen, wird die-<br />

ses auf <strong>der</strong> <strong>in</strong>dividuellen Kompetenzkarte des Lernbe-<br />

reiches dokumentiert.<br />

Erarbeiten und Vorhalten von passenden Lern-<br />

aufgaben<br />

Es gibt bereits e<strong>in</strong>ige <strong>Schule</strong>n, die auf <strong>der</strong> Grundlage<br />

selbst erarbeiteter o<strong>der</strong> übernommener Kompetenz-<br />

raster geeignete Lernaufgaben für e<strong>in</strong>ige Fächer ent-<br />

wickeln und die Lernaufgaben für jeden e<strong>in</strong>zelnen<br />

Schüler und jede e<strong>in</strong>zelne Schüler<strong>in</strong> entsprechend dem<br />

erreichten Kompetenzstand planen. Den sehr hohen<br />

Aufwand zur Erarbeitung differenzierter Aufgaben<br />

können diese <strong>Schule</strong>n zurzeit nur für ausgewählte<br />

Lernbereiche <strong>in</strong> e<strong>in</strong>zelnen Jahrgängen leisten. E<strong>in</strong>e<br />

umfassende Erarbeitung von h<strong>in</strong>reichend differenzier-<br />

ten Lernaufgaben unter Nutzung aller möglichen<br />

Medien und Lernformen kann die E<strong>in</strong>zelschule nicht<br />

leisten, selbst dann nicht, wenn das gesamte Kollegi-<br />

um arbeitsteilig daran arbeiten würde.<br />

Die Organisation <strong>der</strong> beschriebenen <strong>in</strong>dividuell<br />

angepassten Lernarrangements erfor<strong>der</strong>t zudem <strong>e<strong>in</strong>e</strong>n<br />

hohen zeitlichen Aufwand an diagnostischer, beraten-<br />

<strong>der</strong>, betreuen<strong>der</strong> und koord<strong>in</strong>ieren<strong>der</strong> Arbeit.<br />

Das Konzept <strong>der</strong> Kompetenzraster gestützten<br />

<strong>in</strong>dividuellen Lernplanung kann von <strong>der</strong> zukünftigen<br />

Geme<strong>in</strong>samen <strong>Schule</strong> nur dann für alle Lernbereiche<br />

verwirklicht werden, wenn die E<strong>in</strong>zelschule auf fertige<br />

Kompetenzraster und <strong>e<strong>in</strong>e</strong>n großen Fundus h<strong>in</strong>rei-<br />

chend differenzierter Lernaufgaben zu allen mögli-<br />

chen Inhalten und Themen zurückgreifen kann, die sie<br />

höchstens leicht variieren o<strong>der</strong> anpassen muss.<br />

Daher ist es notwendig, auf Landesebene<br />

arbeitsteilig o<strong>der</strong> unterstützt durch e<strong>in</strong> öffentliches<br />

3 0<br />

Institut <strong>e<strong>in</strong>e</strong>n Fundus von Lernaufgaben multimedial<br />

zu entwickeln und für die <strong>Schule</strong>n bereit zu stellen, <strong>der</strong><br />

auf den Schulserver herunter geladen werden können.<br />

Dieser Fundus ist laufend zu aktualisieren und weiter<br />

zu entwickeln.<br />

Dokumentation <strong>der</strong> <strong>in</strong>dividuellen Lernentwick-<br />

lung und des erreichten Kompetenzstandes<br />

In <strong>e<strong>in</strong>e</strong>r Lernnachweismappe werden die erworbenen<br />

Kompetenzen dokumentiert durch<br />

• E<strong>in</strong>tragungen <strong>in</strong> <strong>in</strong>dividuell geführte Kompetenz-<br />

raster für alle Lernbereiche<br />

• Lerntagebücher<br />

• aussagekräftige Arbeitsergebnisse als Belege<br />

• Lösungen (zentral gestellter) schriftlicher Arbeiten<br />

• bestätigte Ergebnisse mündlicher Prüfungen<br />

Kurz- und mittelfristige Ziele, Zwischenzertifika-<br />

te für Schüler<strong>in</strong>nen und Schüler an <strong>der</strong> Geme<strong>in</strong>-<br />

samen <strong>Schule</strong><br />

Der Vorteil <strong>e<strong>in</strong>e</strong>r nicht frühzeitig fest gelegten Schul-<br />

laufbahn und des anzustrebenden bzw. erreichbaren<br />

Abschlusses hat für die Schüler<strong>in</strong>nen und Schüler an<br />

den Integrierten Gesamtschulen <strong>e<strong>in</strong>e</strong>n Nachteil. Das<br />

wesentliche Ziel, dass sie an den Integrierten Gesamt-<br />

schulen anstreben, erreichen sie an dieser Schulform<br />

am Ende des 10. Jahrganges, d.h. nach 6 Jahren<br />

Schulbesuch. Die Schüler verfolgen also im H<strong>in</strong>blick<br />

auf <strong>e<strong>in</strong>e</strong>n formalen, nach außen vorzeigbaren Erfolg<br />

e<strong>in</strong> Ziel über <strong>e<strong>in</strong>e</strong>n Zeitraum von 6 Jahren. Das<br />

ersche<strong>in</strong>t für Jugendliche e<strong>in</strong> zu langer Zeitraum.<br />

Im geglie<strong>der</strong>ten Schulsystem können die Schüle-<br />

r<strong>in</strong>nen und Schüler <strong>in</strong> <strong>e<strong>in</strong>e</strong>m Jahr vom Status Siebtkläss-<br />

ler zum Achtklässler am Gymnasium aufsteigen, ent-<br />

sprechend an <strong>der</strong> Realschule. Daraus ergibt sich e<strong>in</strong><br />

wichtiges Jahresziel für diese Schüler<strong>in</strong>nen und Schüler.<br />

Das geglie<strong>der</strong>te Schulsystem arbeitet mit <strong>der</strong><br />

Arbeitshypothese, dass e<strong>in</strong> Schüler, <strong>der</strong> auf Grund des<br />

Notenbildes auf dem Ganzjahreszeugnis <strong>in</strong> die nächste<br />

Klassenstufe versetzt wurde, die notwendigen Voraus-<br />

setzung für die Mitarbeit <strong>in</strong> <strong>der</strong> folgenden Klassenstu-<br />

fe erreicht hat. Dies wird allerd<strong>in</strong>gs <strong>in</strong>haltlich nicht<br />

genau überprüft o<strong>der</strong> dokumentiert, son<strong>der</strong>n letztlich


notenbasiert auf Grund formaler Versetzungsvorschrif-<br />

ten entschieden.<br />

Noten und Versetzung bilden im geglie<strong>der</strong>ten<br />

Schulsystem zurzeit die e<strong>in</strong>zige Grundlage für die<br />

Dokumentation für Erreichtes o<strong>der</strong> Nicht-Erreichtes.<br />

Aus den Noten kann jedoch nicht direkt auf die erwor-<br />

benen Kenntnisse, Fertigkeiten und Fähigkeiten<br />

geschlossen werden.<br />

Die äußeren Merkmale zwischenzeitlicher Erfol-<br />

ge bzw. Misserfolge an den Integrierten Gesamtschu-<br />

len s<strong>in</strong>d bisher:<br />

• Rückmeldungen zum Umfang <strong>der</strong> erreichten Lern-<br />

ziele <strong>in</strong> den Fächern und an<strong>der</strong>en Lernbereichen <strong>in</strong><br />

beschreiben<strong>der</strong> Form (nicht vergleichend bewertet,<br />

k<strong>e<strong>in</strong>e</strong> Zensuren) an vielen <strong>in</strong>tegrierten Gesamtschu-<br />

len bis Jahrgangsstufe 8.<br />

• Rückmeldungen zur Entwicklung von Lern-,<br />

Arbeits- und Sozialverhalten <strong>in</strong> beschreiben<strong>der</strong><br />

Form (nicht vergleichend bewertet, k<strong>e<strong>in</strong>e</strong> Zensuren).<br />

• Zugehörigkeit zu Fachleistungskursen.<br />

• Zugehörigkeit zu Fremdsprachenkursen und ande-<br />

ren Wahlpflichtbereichskursen im naturwissen-<br />

schaftlichen, gesellschaftlichen, musischen o<strong>der</strong><br />

technischen Bereich.<br />

In <strong>der</strong> Regel gibt es für die Leistungen späte-<br />

stens ab dem 9. Jahrgang Noten, <strong>in</strong> Fachleistungskur-<br />

sen auch A- o<strong>der</strong> B-Noten.<br />

Das <strong>in</strong>dividuelle Notenprofil ab Jahrgang 9 lässt<br />

sich mit den „M<strong>in</strong>destnotenprofilen“ für die Abschlüs-<br />

se am Ende <strong>der</strong> Sekundarstufe I vergleichen. Jede und<br />

je<strong>der</strong> kann sich um <strong>e<strong>in</strong>e</strong> gezielte Verbesserung im H<strong>in</strong>-<br />

blick auf den sich langsam herauskristallisierenden<br />

erreichbaren bestmöglichen Abschluss bemühen.<br />

Diese Praxis an den Integrierten Gesamtschulen<br />

stellt sicher <strong>e<strong>in</strong>e</strong>n qualitativen Fortschritt gegenüber<br />

dem Vorgehen im geglie<strong>der</strong>ten Schulsystem dar, weil<br />

hierbei <strong>der</strong> Lernfortschritt <strong>in</strong> den unterschiedlichen<br />

Lernbereichen sehr viel genauer kommuniziert und<br />

dokumentiert wird.<br />

Mit <strong>der</strong> E<strong>in</strong>führung <strong>in</strong>dividueller Kompetenzkar-<br />

ten für alle Lernbereiche können <strong>in</strong>dividuelle Kompe-<br />

tenzprofile zu jedem Zeitpunkt <strong>in</strong> <strong>der</strong> Sekundarstufe I<br />

dargestellt werden. Die am Ende von Stufe 5/6, 7/8<br />

und am Ende <strong>der</strong> Sekundarstufe I dokumentierten<br />

Kompetenzprofile für alle Lernbereiche – e<strong>in</strong>zeln und<br />

zusammen betrachtet – können mit Referenzprofilen<br />

verglichen werden, denen <strong>e<strong>in</strong>e</strong> bestimmte qualitative<br />

Stufe zugeordnet wird. So können Schüler<strong>in</strong>nen und<br />

Schülern im Laufe <strong>der</strong> Sekundarstufe I <strong>in</strong> jedem Lern-<br />

bereich Zwischenzertifikate erreichen, die ihnen <strong>e<strong>in</strong>e</strong>n<br />

gewissen Kompetenzstatus (analog den verschieden-<br />

farbigen Gürteln beim Judo) bestätigen. Dies könnte<br />

deutlich zur Bestätigung und Steigerung des Selbst-<br />

wertes und zur Steigerung <strong>der</strong> Anstrengungsbereit-<br />

schaft beitragen.<br />

Durch den je<strong>der</strong>zeit möglichen Vergleich ihrer<br />

persönlichen Kompetenzprofile mit veröffentlichten<br />

Referenzprofilen für Zertifikate o<strong>der</strong> Abschlüsse kön-<br />

nen Schüler/<strong>in</strong>nen bestimmen, welche Kompetenzen<br />

ihnen noch zur Erreichung <strong>e<strong>in</strong>e</strong>s bestimmten Kompe-<br />

tenzstatus fehlen.<br />

Die zu vergebenden Abschlüsse am Ende <strong>der</strong><br />

Sekundarstufe I können durch entsprechende M<strong>in</strong>-<br />

destkompetenzprofile def<strong>in</strong>iert werden. Ergänzend<br />

zum erworbenen Abschluss eignen sich die <strong>in</strong>dividuel-<br />

len Kompetenzprofile als sehr gute Grundlage für die<br />

Beratung und Entscheidung im H<strong>in</strong>blick auf die weite-<br />

re Ausbildung nach <strong>der</strong> Sekundarstufe I.<br />

Insgesamt weist die Kompetenzraster gestützte <strong>in</strong>divi-<br />

dualisierte Lernorganisation folgende Vorteile auf:<br />

• Die Lernanfor<strong>der</strong>ungen s<strong>in</strong>d schülergerechter als<br />

an bisherigen <strong>Schule</strong>n.<br />

• Die jeweiligen Lernanfor<strong>der</strong>ungen basieren auf<br />

bereits erreichten Kenntnissen und Fähigkeiten,<br />

dadurch ist die Chance für Selbstwert stärkende,<br />

bestätigende Lernerfolge wesentlich höher.<br />

• Mehr Lernlust bei allen durch mehr Lernerfolg für<br />

alle.<br />

3 1


Vorgaben für Lernaufgaben an <strong>der</strong> Geme<strong>in</strong>samen <strong>Schule</strong><br />

• <strong>in</strong>itiieren aktive Ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzungen mit <strong>e<strong>in</strong>e</strong>m komplexen Thema aus dem Lebensumfeld<br />

• för<strong>der</strong>n selbstständiges und eigenverantwortliches Lernen<br />

• geben genügend Raum für selbst<strong>in</strong>itiiertes und entdeckendes Lernen<br />

• enthalten Organisationshilfen durch Vorstrukturierung für Gruppen-, Partner- o<strong>der</strong> E<strong>in</strong>zelarbeit<br />

• weisen unterschiedliche Komplexitätsgrade auf, z. B. auch für die E<strong>in</strong>zelnen während <strong>e<strong>in</strong>e</strong>r <strong>geme<strong>in</strong>same</strong>n<br />

3 2<br />

Gruppenarbeit<br />

• setzen unterschiedliche Voraussetzungen bzgl. <strong>der</strong> Basiskompetenzen voraus<br />

• erfor<strong>der</strong>n kooperatives Lernen <strong>in</strong> Tischgruppen, Lernpartnerschaften, Lernteams fachbezogen, evtl. auch jahr-<br />

gangsübergreifend<br />

<strong>in</strong> Anlehnung an Andreas Müller, Dem Wissen auf <strong>der</strong> Spur, 2003


3 3


• Die Lernplanung für den E<strong>in</strong>zelnen ist nachvollzieh-<br />

bar entwicklungsorientiert.<br />

• För<strong>der</strong>ung bedeutet <strong>in</strong> diesem System: Helfen den<br />

nächst möglichen Lernschritt zu schaffen (im Gegen-<br />

satz zu festgestellte Defizite beseitigen).<br />

• Es entstehen <strong>in</strong>dividuelle Schulkarrieren ohne Sack-<br />

gasse mit Korrektur- und Ergänzungsmöglichkeiten.<br />

• Die <strong>in</strong>dividuelle Lernplanung kann zeitlich <strong>der</strong> <strong>in</strong>di-<br />

viduellen Lernentwicklung folgen.<br />

• Kurz- und mittelfristige Zielplanung bei <strong>der</strong> Lern-<br />

planung ist für alle Beteiligten (Schüler/<strong>in</strong>nen, Lehr-<br />

kräfte, Eltern) transparent.<br />

• Schüler<strong>in</strong>nen und Schüler haben zunehmend mit<br />

dem Älterwerden Verantwortung für ihre Schulkar-<br />

riere und <strong>e<strong>in</strong>e</strong> handhabbare Grundlage, eigene<br />

Lernerfolge zu planen.<br />

Insgesamt ist <strong>e<strong>in</strong>e</strong> größere Effizienz <strong>in</strong> Bezug<br />

auf Kompetenz- und Bildungserwerb zu erwarten (z.B.<br />

größerer Anteil an höheren Abschlüssen).<br />

9. Mit welchen Maßnahmen lässt<br />

sich die Geme<strong>in</strong>same <strong>Schule</strong> <strong>in</strong><br />

<strong>Nie<strong>der</strong>sachsen</strong> verwirklichen?<br />

Der Beschluss <strong>der</strong> SPD schlägt für die Erreichung des<br />

Ziels das Jahr 2013 vor. Dann soll wohnortnah für<br />

jedes K<strong>in</strong>d e<strong>in</strong> Platz an <strong>e<strong>in</strong>e</strong>r Geme<strong>in</strong>samen <strong>Schule</strong> vor-<br />

handen se<strong>in</strong>.<br />

Folgende grundsätzliche Maßnahmen s<strong>in</strong>d nach Auf-<br />

fassung <strong>der</strong> Autoren im Rahmen <strong>e<strong>in</strong>e</strong>r Schulgesetzno-<br />

velle und entsprechen<strong>der</strong> Än<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> e<strong>in</strong>schlägi-<br />

gen Verordnungen und Erlasse nötig, um dieses Ziel zu<br />

erreichen:<br />

• Alle Eltern erhalten e<strong>in</strong> une<strong>in</strong>geschränktes Recht<br />

zur Wahl <strong>e<strong>in</strong>e</strong>r <strong>Schule</strong> für ihr K<strong>in</strong>d. Das kann <strong>e<strong>in</strong>e</strong><br />

bereits vorhandene Geme<strong>in</strong>same <strong>Schule</strong> se<strong>in</strong>, aber<br />

auch jede <strong>Schule</strong> bzw. Schulform des geglie<strong>der</strong>ten<br />

Systems.<br />

• Die aufnehmende <strong>Schule</strong> übernimmt die pädagogi-<br />

3 4<br />

sche Verantwortung für das K<strong>in</strong>d zum<strong>in</strong>dest bis<br />

zum ersten Schulabschluss. Bis dah<strong>in</strong> ist <strong>e<strong>in</strong>e</strong><br />

Abschulung nicht zulässig.<br />

• Das Sitzen bleiben wird an allen <strong>Schule</strong>n abge-<br />

schafft und durch <strong>e<strong>in</strong>e</strong> <strong>in</strong>dividuelle För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong><br />

K<strong>in</strong><strong>der</strong> und Jugendlichen ersetzt.<br />

• Die Größe <strong>der</strong> <strong>Schule</strong>n im Sekundarbereich I hängt<br />

von den regionalen Beson<strong>der</strong>heiten ab. Beson<strong>der</strong>e<br />

Konzepte für die Lernorganisation <strong>in</strong> <strong>der</strong> geme<strong>in</strong>-<br />

samen <strong>Schule</strong> ermöglichen, auch an Standorten<br />

mit ger<strong>in</strong>gen Schülerzahlen e<strong>in</strong> qualitativ hochwer-<br />

tiges Schulangebot für alle Schüler<strong>in</strong>nen und Schü-<br />

ler vorzuhalten, <strong>in</strong> dem alle Abschlüsse nach Jahr-<br />

gangsstufe 10 erreicht werden können. Die<br />

Obergrenze für alle <strong>Schule</strong>n sollte vernünftigerwei-<br />

se 6 Klassen pro Jahrgang nicht überschreiten.<br />

• <strong>Schule</strong>n, die bereit s<strong>in</strong>d, nach dem vorgegebenen<br />

pädagogischen Zielkonzept <strong>der</strong> Geme<strong>in</strong>samen Schu-<br />

le zu arbeiten, erhalten e<strong>in</strong> zusätzliches Budget.<br />

Mit diesen Maßnahmen muss gleichzeitig e<strong>in</strong><br />

Zeitrahmen gesetzt werden, <strong>der</strong> für alle Beteiligten<br />

Klarheit br<strong>in</strong>gt. Der Elternwille ist ausschlaggebend für<br />

die <strong>Schule</strong>ntwicklung. Die Eltern entscheiden letztlich<br />

durch ihre Schulanwahl, welche Standorte erhalten<br />

bleiben. <strong>Für</strong> den Schulträger entstehen k<strong>e<strong>in</strong>e</strong> zusätzli-<br />

chen Kosten, beson<strong>der</strong>s wenn man dem Vorschlag fol-<br />

gen würde, nur den Weg zur nächsterreichbaren<br />

Geme<strong>in</strong>samen <strong>Schule</strong> zu bezahlen. Im Gegenteil ist<br />

von E<strong>in</strong>spareffekten auszugehen, weil im Sekundarbe-<br />

reich I des geglie<strong>der</strong>ten Schulsystems gegenwärtig<br />

parallel Schulformen vorgehalten werden müssen, die<br />

zum Teil e<strong>in</strong>zügig geführt werden. Diese Größenord-<br />

nung ist jedoch pädagogisch selten s<strong>in</strong>nvoll und auf<br />

die Dauer kaum bezahlbar.<br />

E<strong>in</strong> Lehrerbildungsgesetz sollte <strong>in</strong> Abstimmung mit<br />

den Universitäten die Lehrerbildung zügig neu ordnen,<br />

mit dem Ziel:<br />

• e<strong>in</strong> Lehramt für die Grundschule,<br />

• e<strong>in</strong> Lehramt für die Sekundarstufe I und<br />

• <strong>e<strong>in</strong>e</strong> Erweiterung dieses Lehramtes für die gymna-<br />

siale Oberstufe zu schaffen


3 5


• Diese neue Struktur <strong>der</strong> Lehrämter ist mit dem<br />

Bologna-Prozess (E<strong>in</strong>führung von Bachelor- und<br />

Masterstudiengängen) zu verb<strong>in</strong>den.<br />

Die Erfahrungen mit <strong>der</strong> flächendeckenden E<strong>in</strong>-<br />

führung <strong>der</strong> Verlässlichen Grundschule haben außer-<br />

dem gezeigt, dass e<strong>in</strong> Bündel an Unterstützungsmaß-<br />

nahmen notwendig ist, um <strong>e<strong>in</strong>e</strong> gewisse Dynamik <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> E<strong>in</strong>führungsphase zu erreichen. Dafür könnte es<br />

hilfreich se<strong>in</strong>:<br />

• Netzwerke von je 10 <strong>Schule</strong>n, die durch Teams von<br />

Pädagogen, F<strong>in</strong>anz- und Beamtenrechtlern <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Praxis des Umstrukturierungsprozesses begleitet<br />

werden.<br />

• Landesweite Informationskampagne zur Erläute-<br />

rung <strong>der</strong> Zielkonzeption für Eltern, Lehrer, Schulträ-<br />

ger, Verbände etc. Begleitung durch Reformschu-<br />

len, die sich bereits erfolgreich auf den Weg<br />

gemacht haben.<br />

Kompetente <strong>Schule</strong>ntwicklungsberater des<br />

M<strong>in</strong>isteriums stehen den Schulträgern zur Verfügung,<br />

um die Umgestaltung <strong>der</strong> Strukturen im Rahmen <strong>der</strong><br />

neuen Schülerströme zu begleiten.<br />

Die langfristig generell zurückgehenden Schü-<br />

lerzahlen werden diesen Prozess zusätzlich außeror-<br />

dentlich erleichtern und beschleunigen.<br />

Möglichst viele verantwortliche Funktions- und<br />

Mandatsträger sollten Gesamtschulen wie die IGS<br />

Franzsches Feld <strong>in</strong> den kommenden Monaten und Jah-<br />

ren besuchen und sich dafür Zeit nehmen. Der übliche<br />

Politikerbesuch mit Rundgang durch das Gebäude und<br />

<strong>e<strong>in</strong>e</strong>r Tasse Kaffee im Schulleitungszimmer wird dafür<br />

nicht reichen. Sie sollten sich <strong>der</strong> Mühe unterziehen an<br />

<strong>e<strong>in</strong>e</strong>m ganzen Schultag vom Offenen Anfang am Mor-<br />

gen bis zur Tagesbesprechung des Jahrgangsteams am<br />

Nachmittag teilzunehmen. Nur so werden sie <strong>e<strong>in</strong>e</strong>n<br />

E<strong>in</strong>druck davon bekommen, dass es um <strong>e<strong>in</strong>e</strong> neue<br />

Qualität <strong>der</strong> Gestaltung von Unterricht und Schulleben<br />

geht, die sie selbst aus ihrer Schulzeit nicht kennen.<br />

<strong>Für</strong> den E<strong>in</strong>führungsprozess brauchen wir Politiker, die<br />

nicht nur vom Hörensagen für diese Schulform Partei<br />

3 6<br />

nehmen, son<strong>der</strong>n sie vertreten, weil sie selbst über-<br />

zeugt worden s<strong>in</strong>d, dass so <strong>e<strong>in</strong>e</strong> qualitativ bessere För-<br />

<strong>der</strong>ung unserer K<strong>in</strong><strong>der</strong> mit besseren Lernergebnissen<br />

gel<strong>in</strong>gen kann.<br />

Ohne offene und auch kritische Parte<strong>in</strong>ahme<br />

für das, was <strong>in</strong> den vergangenen mehr als 30 Jahren<br />

an den nie<strong>der</strong>sächsischen Gesamtschulen bereits<br />

erreicht worden ist, wird es nicht gehen. Denn, wenn<br />

die Verantwortlichen <strong>in</strong> <strong>der</strong> sozialdemokratischen Par-<br />

tei, ob Mitglie<strong>der</strong>, ehrenamtliche Funktionären o<strong>der</strong><br />

Abgeordneten <strong>in</strong> den kommunalen Gremien wie im<br />

Landtag nicht selbst an das Projekt <strong>e<strong>in</strong>e</strong>r Geme<strong>in</strong>sa-<br />

men <strong>Schule</strong> glauben, wird dieses ke<strong>in</strong> erfolgreiches<br />

Projekt werden können.<br />

Man beg<strong>in</strong>nt <strong>e<strong>in</strong>e</strong> schwierige Ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>set-<br />

zung nur, wenn man davon überzeugt ist und an<strong>der</strong>e<br />

dafür gew<strong>in</strong>nen will.<br />

10. Schlussbemerkungen<br />

Die E<strong>in</strong>führung <strong>der</strong> Geme<strong>in</strong>samen <strong>Schule</strong>, d.h. Verlän-<br />

gerung <strong>der</strong> <strong>geme<strong>in</strong>same</strong>n Schulzeit aller K<strong>in</strong><strong>der</strong> bis zur<br />

Klasse 10 wäre die größte Schulreform seit <strong>der</strong> E<strong>in</strong>füh-<br />

rung <strong>der</strong> <strong>geme<strong>in</strong>same</strong>n Grundschulzeit 1920 se<strong>in</strong>.<br />

Im Falle des Gel<strong>in</strong>gens wird <strong>der</strong> Bildungsfö<strong>der</strong>a-<br />

lismus lei<strong>der</strong> verh<strong>in</strong><strong>der</strong>n, dass dies <strong>e<strong>in</strong>e</strong> Reform für<br />

ganz Deutschland se<strong>in</strong> wird.<br />

Allerd<strong>in</strong>gs würde <strong>Nie<strong>der</strong>sachsen</strong> Vorreiter se<strong>in</strong><br />

für <strong>e<strong>in</strong>e</strong> <strong>in</strong>ternationale Anpassung s<strong>e<strong>in</strong>e</strong>s Schulsystems<br />

an die <strong>in</strong> an<strong>der</strong>en europäische Län<strong>der</strong>n und Aufgabe<br />

des Son<strong>der</strong>weges <strong>in</strong> Europa. Das wäre e<strong>in</strong> wichtiges<br />

Signal.<br />

Die Reform erfor<strong>der</strong>t politischen Mut und<br />

Beharrlichkeit. <strong>Für</strong> diese Reform muss deshalb mit<br />

Sachverstand und professioneller Kommunikation<br />

geworben werden. <strong>Für</strong> dieses bildungspolitisch wichti-<br />

ge und historisch überfällige Projekt lohnt es sich, die-<br />

se anspruchsvolle Überzeugungsarbeit zu leisten.<br />

Allerd<strong>in</strong>gs muss diese Reform durchgesetzt und durch-<br />

gekämpft werden, denn e<strong>in</strong> Konsens o<strong>der</strong> e<strong>in</strong> politi-<br />

scher Kompromiss mit den konservativen politischen


Kräften ist zum<strong>in</strong>dest <strong>in</strong> <strong>Nie<strong>der</strong>sachsen</strong> nicht <strong>in</strong> Sicht.<br />

Wenn man es mit <strong>e<strong>in</strong>e</strong>r gewonnenen politi-<br />

schen Mehrheit im Rücken tatsächlich versucht, dann<br />

machen Halbheiten k<strong>e<strong>in</strong>e</strong>n S<strong>in</strong>n. Dann kann und darf<br />

es nicht wie<strong>der</strong> um Schulversuche gehen.<br />

Und wenn man den freien Elternwillen wirklich<br />

Ernst nimmt und ihn zum Hebel <strong>der</strong> Verän<strong>der</strong>ung<br />

macht, dann heißt das nicht, <strong>e<strong>in</strong>e</strong> Schulreform dieser<br />

Größenordnung dem freien Spiel <strong>der</strong> Kräfte zu über-<br />

lassen.<br />

Deshalb bedarf es deutlicher Vorgaben <strong>in</strong><br />

Gestalt <strong>e<strong>in</strong>e</strong>r pädagogischen Zielkonzeption und <strong>e<strong>in</strong>e</strong>s<br />

klaren Maßnahmenplanes wie er <strong>in</strong> dieser Broschüre<br />

vorgeschlagen wird.<br />

Die E<strong>in</strong>führungsphase muss dabei dynamisch<br />

und flexibel gestaltet werden sowie Rückmeldungen<br />

und Ergänzungen aus <strong>der</strong> Schulpraxis zulassen können.<br />

Die Autoren s<strong>in</strong>d durch das Studium <strong>der</strong><br />

Geschichte <strong>der</strong> Schulreformen und aufgrund ihrer<br />

eigenen politischen und schulreformerischen Arbeit<br />

sicher, dass so die Entwicklung <strong>e<strong>in</strong>e</strong>r Geme<strong>in</strong>samen<br />

<strong>Schule</strong> gel<strong>in</strong>gen kann.<br />

Was schließlich die gegenwärtige Regierung<br />

angeht, so ist angesichts <strong>der</strong> Wirkungen ihres Han-<br />

delns anlässlich <strong>der</strong> Rückkehr <strong>der</strong> Aufteilung <strong>der</strong> K<strong>in</strong>-<br />

<strong>der</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Grundschule nach Klasse 4 von <strong>e<strong>in</strong>e</strong>m Pyr-<br />

rhussieg zu sprechen.<br />

Die konservative Seite hat das Rad um 40 Jahre<br />

zurück gedreht, aber sie wird die 50er Jahre des ver-<br />

gangenen Jahrhun<strong>der</strong>ts nicht wie<strong>der</strong>beleben können.<br />

Sie hat das geglie<strong>der</strong>te System destabilisiert, das sie<br />

erhalten sehen wollten. Das geglie<strong>der</strong>te System löst<br />

sich auf durch e<strong>in</strong> nicht mehr zu schließendes Nachfra-<br />

geloch <strong>in</strong> Richtung Hauptschule, durch die Schüler-<br />

ströme <strong>in</strong> Richtung Gymnasium und Realschule. Diese<br />

unabsichtlich und ungesteuert ausgelöste Entwicklung<br />

des Schulsystems läuft wildwüchsig auf e<strong>in</strong> 2-Säulen-<br />

Modell h<strong>in</strong>aus. Es bleiben das Gymnasium und die<br />

Realschule übrig, wenn man die För<strong>der</strong>schule außer<br />

Betracht lässt, weil sie nicht dem Elternwillen unter-<br />

liegt.<br />

In absehbarer Zeit und <strong>in</strong> Ansätzen schon jetzt<br />

hat die Realschule das Problem, das gegenwärtig die<br />

Hauptschule untergehen lässt. Die För<strong>der</strong>schule für<br />

Lernbeh<strong>in</strong><strong>der</strong>te würde dann endgültig zum Auffang-<br />

becken für alle Problemfälle und bekäme damit all<strong>e<strong>in</strong>e</strong><br />

die Rolle, die sie sich eben mit <strong>der</strong> Hauptschule teilt.<br />

Auch <strong>e<strong>in</strong>e</strong> bewusste, d.h. gesteuerte Schulre-<br />

form <strong>in</strong> die Richtung <strong>e<strong>in</strong>e</strong>s 2-Säulen-Modells, das s<strong>e<strong>in</strong>e</strong><br />

Anhänger seit Jahren zu Rettung <strong>der</strong> Son<strong>der</strong>stellung<br />

des Gymnasiums propagieren, würde an den grundle-<br />

genden strukturbed<strong>in</strong>gten Mängeln <strong>der</strong> geglie<strong>der</strong>ten<br />

Schulsystems nichts än<strong>der</strong>n und damit den Aufbau<br />

<strong>e<strong>in</strong>e</strong>r Lernorganisation <strong>in</strong> den <strong>Schule</strong>n verh<strong>in</strong><strong>der</strong>n.<br />

Das 2-Säulen-Modell ist nach Auffassung <strong>der</strong><br />

Autoren e<strong>in</strong> Irrweg, da die K<strong>in</strong><strong>der</strong> wie<strong>der</strong>um auf Schul-<br />

typen aufgeteilt werden, würden sie vom Gymnasi-<br />

um, über die Realschule bis zur För<strong>der</strong>schule durchge-<br />

reicht werden können. Das neue pädagogische<br />

Denken und Handeln, nämlich für e<strong>in</strong> e<strong>in</strong>mal aufge-<br />

nommenes K<strong>in</strong>d und s<strong>e<strong>in</strong>e</strong>n <strong>Schule</strong>rfolg zuständig zu<br />

se<strong>in</strong>, müsste <strong>in</strong> Deutschlands <strong>Schule</strong>n wie<strong>der</strong> nicht e<strong>in</strong>-<br />

ziehen.<br />

Die Autoren hoffen, dass diese Broschüre <strong>e<strong>in</strong>e</strong>n<br />

kl<strong>e<strong>in</strong>e</strong>n Beitrag dazu leisten kann, genügend Mitstrei-<br />

ter<strong>in</strong>nen und Mitstreiter zu gew<strong>in</strong>nen, <strong>in</strong> Nie<strong>der</strong>sach-<br />

sen viele Geme<strong>in</strong>same <strong>Schule</strong>n zu gründen, die diesen<br />

nicht erfolgreichen deutschen Son<strong>der</strong>weg des Sortie-<br />

rens von K<strong>in</strong><strong>der</strong>n auf verschiedene Schultypen endlich<br />

beenden.<br />

3 7


Die Autoren<br />

Renate Jürgens-Pieper, Jahrgang 1951, Staatsex-<br />

amen <strong>in</strong> Biologie und Chemie für das Lehramt an höhe-<br />

ren <strong>Schule</strong>n; 16 Jahre Schuldienst <strong>in</strong> Wolfsburg und<br />

Braunschweig an Gesamtschulen, 8 Jahre Staatssekre-<br />

tär<strong>in</strong> im Kultusm<strong>in</strong>isterium. In diese Zeit fiel u.a. die<br />

Schulgesetznovelle von 1993 mit <strong>der</strong> Gleichstellung <strong>der</strong><br />

Gesamtschulen, die positive Entscheidung des Nie<strong>der</strong>-<br />

sächsischen Staatsgerichtshofs dazu sowie 1997 die<br />

Auswahl des nationalen PISA-Konsortium und <strong>der</strong><br />

PISA-Verträge mit <strong>der</strong> OECD. Ebenfalls 1997 Vorsitzen-<br />

de <strong>der</strong> Amtschefkonferenz <strong>der</strong> Kultusm<strong>in</strong>isterkonfe-<br />

renz <strong>der</strong> Län<strong>der</strong>. Von 1998 bis 2003 Kultusm<strong>in</strong>ister<strong>in</strong>. In<br />

diese Zeit fiel die flächendeckende E<strong>in</strong>führung <strong>der</strong> Ver-<br />

lässlichen Grundschule, als Konsequenz aus <strong>der</strong> PISA-<br />

Studie, die Entwicklung <strong>e<strong>in</strong>e</strong>s Qualitätskonzepts für<br />

<strong>Schule</strong>n mit mehr Selbständigkeit und Eigenverantwor-<br />

tung sowie die E<strong>in</strong>führung <strong>der</strong> Schul<strong>in</strong>spektion und <strong>der</strong><br />

Aufbau <strong>e<strong>in</strong>e</strong>s flächendeckenden Netzes von Ganztags-<br />

schulen.<br />

Andreas Meisner, Jahrgang 1957, Staatsexamen <strong>in</strong><br />

den Fächern Mathematik und Physik für das Lehramt<br />

an höheren <strong>Schule</strong>n, bis 1991 Arbeit an verschiedenen<br />

Gymnasien, danach Fachbereichsleiter Mathematik an<br />

<strong>der</strong> IGS Franzsches Feld Braunschweig, seit 1995 nie-<br />

<strong>der</strong>sächsischer Fachmo<strong>der</strong>ator Mathematik für<br />

Gesamtschulen, seit 2002 Schulleiter <strong>der</strong> IGS Franz-<br />

sches Feld; 2006 ausgezeichnet mit dem Deutschen<br />

Schulpreis <strong>der</strong> Robert-Bosch-Stiftung unter <strong>der</strong> Schirm-<br />

herrschaft des Bundespräsidenten.<br />

Wilhelm Pieper, Jahrgang 1948, schulische Ausbil-<br />

dung am Gymnasium Carol<strong>in</strong>um <strong>in</strong> Osnabrück; Offi-<br />

ziersausbildung bei <strong>der</strong> Bundeswehr; Studium <strong>der</strong><br />

Fächer Geschichte und Germanistik an <strong>der</strong> Westfäli-<br />

schen-Wilhelms-Universität <strong>in</strong> Münster für das Lehr-<br />

amt an höheren <strong>Schule</strong>n; Referendariat <strong>in</strong> Braun-<br />

schweig am Gymnasium <strong>der</strong> Ina-Seidel-<strong>Schule</strong>;<br />

Assessorenzeit an <strong>der</strong> Wilhelm-Bracke-Gesamtschule<br />

und dem Gymnasium Neue Oberschule; Aufbau <strong>der</strong><br />

gymnasialen Oberstufe an <strong>der</strong> Wilhelm-Bracke-<br />

3 8<br />

Gesamtschule. 1986 geme<strong>in</strong>sam mit Renate Jürgens-<br />

Pieper u.a. Gründung <strong>e<strong>in</strong>e</strong>r Bürger<strong>in</strong>itiative „<strong>Für</strong> <strong>e<strong>in</strong>e</strong><br />

zweite Gesamtschule <strong>in</strong> Braunschweig“, Leiter des<br />

Gründungskollegiums; ab 1990 Aufbau <strong>der</strong> <strong>Schule</strong> als<br />

Jahrgangs-Teamschule mit gleiten<strong>der</strong> Differenzierung<br />

und Profiloberstufe, nach zwölfjähriger Tätigkeit als<br />

Schulleiter 2001 Wechsel <strong>in</strong> die Bezirksregierung<br />

Braunschweig, Dezernatsleiter Gesamtschulen mit den<br />

Generalien Ganztagsschule und Eigenverantwortliche<br />

<strong>Schule</strong>. Seit 1976 Mitglied des Landesvorstands und<br />

zeitweise Landesvorsitzen<strong>der</strong> <strong>der</strong> Geme<strong>in</strong>nützigen<br />

Gesellschaft Gesamtschule (GGG).<br />

Karl-He<strong>in</strong>z Uflerbäumer, Jahrgang 1948, Studium<br />

<strong>der</strong> Mathematik, Physik, Pädagogik und Philosophie<br />

für das Lehramt an höheren <strong>Schule</strong>n; von 1975 bis<br />

1990 Tätigkeit an <strong>der</strong> Georg-Christoph-Lichtenberg-<br />

Gesamtschule <strong>in</strong> Gött<strong>in</strong>gen als Tutor und Fachlehrer<br />

sowie <strong>in</strong> verschiedenen Funktionen. Dabei u.a. betei-<br />

ligt an <strong>der</strong> Entwicklung des Team-Kle<strong>in</strong>gruppen-<br />

Modells <strong>in</strong> Zusammenarbeit mit Prof. Herrlitz. E<strong>in</strong><br />

beson<strong>der</strong>er Arbeitsschwerpunkt war die Lerndiagno-<br />

stik, die Beschreibung von Lern- und Persönlichkeits-<br />

entwicklungen und die Entwicklung differenzieren<strong>der</strong><br />

Lernangebote. Von 1990 bis 2005 Leitung des Dezer-<br />

nats Gesamtschulen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Bezirksregierung Weser-<br />

Ems. Von 2001 bis 2004 Teilnahme an <strong>der</strong> Entwick-<br />

lung und Erprobung <strong>e<strong>in</strong>e</strong>s Instrumentariums zur<br />

Messung <strong>der</strong> Schulqualität für die im Mai 2005<br />

gegründete Schul<strong>in</strong>spektion <strong>in</strong> Rahmen <strong>e<strong>in</strong>e</strong>r Koope-<br />

ration mit <strong>der</strong> nie<strong>der</strong>ländischen Inspektion; Mitglied<br />

des Landesvorstands <strong>der</strong> Geme<strong>in</strong>nützigen Gesellschaft<br />

Gesamtschule.


3 9


Anhang A<br />

4 0


Anhang B<br />

4 1


Anhang C<br />

4 2


Anhang D<br />

4 3


Anhang E<br />

4 4


Anhang F<br />

4 5


Anhang G<br />

4 6


Anhang H<br />

4 7


Anhang I<br />

4 8

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