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Der Spleen von Wien

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<strong>Der</strong> <strong>Spleen</strong> <strong>von</strong> <strong>Wien</strong><br />

Die österreichische Hauptstadt ist die Schnittstelle zwischen Ost und West.<br />

Schon immer existieren Tradition und Avantgarde hier nebeneinander –<br />

und inspirieren sich zu kreativen Höchstleistungen und Skurrilitäten.Mit Witz<br />

und Lässigkeit mausert sich <strong>Wien</strong> zur Trendmetropole.<br />

TEXT Jan van Rossem FOTOS Christian Grund<br />

196 A &W 5/10<br />

Erwin Wurm Ein wenig ernst blickt der<br />

Künstler an dem Material für seine skurrilen<br />

Objekte vorbei. Prater Neueste Attraktion auf<br />

dem beliebten Rummelplatz: das mit knapp<br />

120 Metern höchste Kettenkarussell der Welt.


1 Krieau Seit 1913 gibt es die zweitälteste<br />

Trabrennbahn Europas im Prater-Park. Zwischen<br />

den Pferderennen trainieren hier Golfer<br />

ihre Abschläge. 2 Neigungsgruppe Design<br />

Im ehrwürdigen Kaffeehaus Prückl treffen sich<br />

Tulga Beyerle, Thomas Geisler und Lilli Hollein<br />

und planen ihr Designfestival, die Vienna Design<br />

Week. 3 Phil Hier kann man den ganzen<br />

Tag verbringen: Buchhandlung, Musikladen,<br />

Designshop, eine Bar und Bistro unter einem<br />

Dach. 4 Clone Stool Die Form des Hockers<br />

ist unregelmäßig, weil die Rohmasse <strong>von</strong> dem<br />

Designtrio Breaded Escalope (rechte Seite) in<br />

einer Kugel gerollt wird, bis sie ausgehärtet<br />

ist. 5 Honey & Bunny In weithin sichtbarem<br />

Rot und Blau haben die beiden Architekten,<br />

die eigentlich Sonja Stummerer und Martin<br />

Hablesreiter heißen, ein Dachgeschoss im 20.<br />

Bezirk ausgebaut. Eigenwillig und aufsehenerregend<br />

ausgebaute Dachwohnungen sind<br />

ausgesprochen beliebt in der Donau-Metropole.<br />

6 Hotel Altstadt Vienna <strong>Der</strong> Besitzer<br />

Otto Wiesenthal in einem seiner meistgebuchten<br />

Zimmer, dem <strong>von</strong> Matteo Thun gestalteten<br />

Raum. Beliebtes, aber nicht häufig genutztes<br />

Detail: die frei stehende Badewanne im Raum.<br />

198 A &W 5/10<br />

5<br />

1<br />

3<br />

2<br />

4<br />

6<br />

Breaded Escalope Jung, frech, cool – so<br />

wie die drei Designer sind auch ihre Objekte<br />

und Konzepte. Sie entwerfen etwa Uhren, die<br />

die Zeit nur auf Seilzug anzeigen und dann<br />

wieder stehen bleiben bis zum nächsten Zug.


For Use/Numen Man nehme Spionspiegel,<br />

Spiegelfolien, Leuchtröhren und einen Blasebalg,<br />

der die Folien beschwingt. Christoph<br />

Katzler, Mitglied des Designtrios, hinter dem<br />

Würfel, der psychedelische Muster erzeugt.<br />

1<br />

3 4<br />

1 Schon schön Restaurant, Bar, Modeshop<br />

und Friseur unter einem Dach. Schöne Idee:<br />

schön aussehen, schön essen und sich alles<br />

schön trinken. 2 Museumsquartier Das Herz<br />

des jungen, kulturellen <strong>Wien</strong>: In einem abgeschlossen<br />

Areal mitten in der Stadt tummeln<br />

sich Einheimische und Touristen zwischen<br />

Museum für Moderne Kunst, Kindermuseum,<br />

Architekturzentrum, Galerien, Buchläden, dazu<br />

Bars und Restaurants. 3 Hofmobiliendepot<br />

Einst für die Lagerung der höfischen Möbel<br />

gedacht, ist das Museum heute Ort wichtiger<br />

Designausstellungen. 4 Swarovski In <strong>Wien</strong>s<br />

feiner Einkaufsmeile Kärntner Straße befindet<br />

sich der Flagshipstore der österreichischen<br />

Erfolgsmarke. Die Rolltreppe schmückt eine<br />

Installation des japanischen Designers Tokujin<br />

Yoshioka (siehe auch Notebook Seite 70).<br />

5 Das Möbel Möbel und Objekte <strong>von</strong> meist<br />

österreichischen Designern bietet Lothar Trierenberg<br />

in seinem Shop an. 6 Trzesniewski<br />

Die unaussprechlichen Brötchen gibt es in<br />

dem Stehimbiss mit dem unaussprechlichen<br />

Namen (das r bleibt stumm). Am Tresen steht<br />

das bekannte Designteam Eoos. Die drei nehmen<br />

hier gern mal eine kleine Stärkung ein.<br />

5 6<br />

2<br />

0/00 5/10 A &W 201


Diese Namen! Bevor die <strong>Wien</strong>er<br />

Kulturschaffenden auf ihrem eigentlichen<br />

Betätigungsfeld aktiv<br />

werden, scheinen sie erst einmal ein<br />

intensives Brainstorming hinsichtlich<br />

der zukünftigen Benennung ihres Büros,<br />

ihres Studios, ihrer Kooperation zu absolvieren.<br />

Mit klarer Vorgabe: witzig!,<br />

witzig!, witzig! Oder wenigstens skurril<br />

und so ungewöhnlich wie möglich.<br />

Und so kann es passieren, dass einem<br />

in <strong>Wien</strong> womöglich eine „Neigungsgruppe“<br />

über den Weg läuft oder die<br />

„Dottings“ oder „Honey & Bunny“. Vielleicht<br />

begegnet man auch „Eoos“ dem<br />

erfolgreichsten österreichischen Designtrio,<br />

das sich nach der Göttin der Morgenröte<br />

benannt hat. Oder der „Querkraft“<br />

und den „Breaded Escalopes“.<br />

Und man kann einem Mann begegnen,<br />

dessen Name nur klingt wie ein Witz<br />

oder ein ausgeklügelter Künstlername:<br />

Wurm, Erwin Wurm – ein Weltstar der<br />

modernen Kunstszene.<br />

Um kurz nach zehn kommt Erwin<br />

Wurm vom Frühsport in sein karg eingerichtetes<br />

Studio im 2. Bezirk. Er be-<br />

Erwin Wurm<br />

grüßt gut gelaunt seine beiden Mitarbeiterinnen<br />

und die Gäste, lässt sich entspannt<br />

in einen Sessel fallen. Ob ihn<br />

<strong>Wien</strong> inspiriere? Das animiert ihn zu<br />

einem kleinen historischen Diskurs:<br />

„Das geistige Klima der Stadt ist geprägt<br />

<strong>von</strong> 700 Jahren Monarchie, der Herrschaft<br />

einer Familie, den Habsburgern.“<br />

202 A &W 5/10<br />

1 2<br />

Und in Hochgeschwindigkeit, aber mit<br />

gedämpfter sonorer Stimme, fährt er<br />

fort: „Dazu kam: Österreich war ein rigider<br />

Polizeistaat, und dann noch die<br />

allgegenwärtige katholische Kirche, die<br />

Menschen wurden zwischen diesen Blöcken<br />

in die Mangel<br />

genommen. So ist<br />

entstanden, was man<br />

die österreichische Seele nennen kann.<br />

Und nach dem ersten Weltkrieg …“<br />

Wurm stutzt: „Was wollte ich eigentlich<br />

sagen?“ Sein Ausflug in die Historie hat<br />

ihn ein wenig aus der Spur getragen:<br />

„Ach ja, ob mich <strong>Wien</strong> inspiriert. Das tut<br />

es! In dieser Umgebung hat Sigmund<br />

Freud seine Psychoanalyse begründet,<br />

hat Ludwig Wittgenstein seine linguistisch<br />

geprägte Philosophie entwickelt; es<br />

gab den <strong>Wien</strong>er Kreis, Richard Neutra,<br />

Thomas Bernhard, dann Elfriede Jellinek<br />

– <strong>Wien</strong> bietet anscheinend den Humus<br />

für Künstler.“ Und nach einer kurzen<br />

Pause fällt ihm noch was ein: „Es gibt<br />

hier so viel kreatives Potenzial, weil es so<br />

viel Widerspruch gibt. Es ist ein <strong>Wien</strong>er<br />

Phänomen: Man wird nicht gelobt, man<br />

wird niedergemacht. Selbst wenn<br />

der Wolfgang Prix <strong>von</strong> Coop<br />

Himmelb(l)au nach Jahren wieder<br />

in <strong>Wien</strong> baut, sagen die <strong>Wien</strong>er:<br />

,Na, sooo gut ist das ja nicht.‘“<br />

In diesem speziellen Kosmos lässt<br />

sich Erwin Wurm zum Beispiel zu seinen<br />

One-Minute-Sculptures inspirieren:<br />

Menschen auf der Straße in absurden<br />

Positionen, mit Buntstiften in den Nasenlöchern<br />

und Ohren, zwischen Stirn und<br />

Hauswand eine Apfelsine geklemmt,<br />

1+2 Dottings Katrin Radanitsch (links) und<br />

Sofia Podreka sind nicht nur beim Fototermin<br />

in ihrem Studio guter Dinge. Ihre Werke wie<br />

eine Topfserie aus Emaille, Straßenlaternen,<br />

die demnächst in einigen <strong>Wien</strong>er Bezirken aufgestellt<br />

werden sollen, die Hänge-Garderobe<br />

und Leuchten (links außen) sind erfolgreich.<br />

Männer mit Apfelsinen im Ausschnitt,<br />

einem Eimer auf dem Kopf, einer Banane<br />

im Hosenschlitz, solche Sachen. Klar,<br />

die Leute lachen, wenn sie diese Fotos<br />

sehen. Aber es ist meist ein Lachen, das<br />

im Halse stecken bleibt. Das soll es auch.<br />

Es geht um den Aspekt der Hinfälligkeit,<br />

der Peinlichkeit, der Lächerlichkeit. „Jeder<br />

versucht, sich in der Öffentlichkeit<br />

so großartig wie möglich darzustellen“,<br />

erklärt der Schöpfer dieser Selbstentblößungsrituale.<br />

„Dabei enden wir doch<br />

alle lächerlich.“ Das ist eines <strong>von</strong> Wurms<br />

Hauptmotiven. Und er geht auf seine Art<br />

mit solchen ernsten Themen um: „Sonst<br />

kann Kunst schnell in Pathos ausarten.“<br />

Diese Fotos sind nur ein Teil seiner<br />

Arbeiten. Ein vergangener. Erwin Wurm<br />

möchte verstärkt<br />

sein bildhauerisches<br />

Werk in den<br />

Fokus rücken: „Das ist neben den One-<br />

Minute-Sculptures nicht wirklich wahrgenommen<br />

worden.“<br />

Aufgedunsene Autos, dicke Häuser,<br />

der nur ein Meter breite, aber 17 Meter<br />

lange Nachbau seines Elternhauses,<br />

durch das hindurch man sich quetschen<br />

muss. Außer Form geratene Menschen,<br />

die einen Koffer voller Kleidungsstücke<br />

übergezogen haben, der kugelrunde<br />

Künstler, der die Welt verschluckt hat.<br />

Bei Wurm geht seine Umgebung durch<br />

dick und dünn: „Bildhauerei ist Arbeit<br />

am Volumen.“ Das meint Erwin Wurms<br />

erkenntnistheoretischer Dreisatz. Denn:<br />

„Das Zu- und Abnehmen ist Arbeit am<br />

Volumen. Also ist Zu- und Abnehmen<br />

Bildhauerei.“ Er freut sich über seine<br />

gelungene Beweiskette. Überhaupt lacht<br />

er gern. „Aber“, gesteht er, „ich würde<br />

nicht gern <strong>von</strong> mir lesen, ich sei ein<br />

Witzbold.“ Hiermit schreiben wir’s nicht.<br />

Neben dem weltweit bekannten und<br />

etablierten Kreativzentrum Wurm sprießen<br />

in <strong>Wien</strong> aber auch allerorten junge<br />

avantgardistische Pflänzchen, die der<br />

traditionsbehafteten Stadt ein neues<br />

Gesicht und frisches Flair geben. Dies zu<br />

strukturieren und zu fördern, hat sich<br />

die schon erwähnte Neigungsgruppe<br />

Honey & Bunny<br />

Design Tradition Patrick Kovacs, Markus<br />

Pernhaupt und Harald Bichler handeln mit<br />

österreichischen Klassikern. Vor dem imposanten<br />

Uno-Gebäude präsentieren sie sich<br />

mit dem Sessel „Galaxy“ <strong>von</strong> Walter Pichler.


Postsparkasse Die Schalterhallen in Otto<br />

Wagners prächtigem Jugendstilbau aus dem<br />

Jahre 1903 sind original erhalten. Das Bauwerk<br />

ist ein Gesamtkunstwerk, es gehört zu<br />

den Architekturjuwelen der Donaumetropole.<br />

Design zur Aufgabe gemacht. Tulga Beyerle,<br />

Thomas Geisler und Lilli Hollein,<br />

Tochter des weltbekannten <strong>Wien</strong>er Architekten<br />

Hans Hollein, sitzen im<br />

Prückl. Das ist die Kaffeehaus-Institution<br />

mit elegantem 50er-Jahre-Interieur<br />

des Architekten Oswald Haerdtl gegen-<br />

Neigungsgruppe<br />

über vom Museum für Angewandte<br />

Kunst und dem angrenzenden Stadtpark.<br />

Kennengelernt haben die drei sich<br />

während des Studiums auf der „Angewandten“,<br />

wie die hiesige Designausbildungsstätte,<br />

die Universität für Angewandte<br />

Kunst, kurz genannt wird. Ihre<br />

Abschlussarbeit: die Konzeption eines<br />

Designfestivals für <strong>Wien</strong>.<br />

Aus dem theoretischen Projekt ist ein<br />

reales geworden: die Vienna Design<br />

Week. Sie findet in diesem Jahr zwischen<br />

dem 1. und 11. Oktober statt, zum<br />

vierten Mal bereits. Um es zu einem unverwechselbaren<br />

Festival zu machen, hat<br />

sich die Neigungsgruppe allerlei Besonderheiten<br />

einfallen lassen. Zum Beispiel<br />

die Passionswege. „Dazu laden wir hiesige<br />

und internationale Designer ein“,<br />

erklärt Lilli Hollein, „und bringen sie mit<br />

<strong>Wien</strong>er Produktionsbetrieben für publikumswirksame<br />

Kooperationen zusammen.“<br />

Und Thomas Geisler ergänzt:<br />

„Designer sind die besten Promotoren.“<br />

„Aber“, setzt Tulga Beyerle diesen Gedanken<br />

fort, „viele traditionelle Betriebe<br />

ahnen das Potenzial leider nicht.“<br />

Während der Vienna Design Week<br />

gibt es zahlreiche Design-Talks, offene<br />

Werkstätten und die sogenannte „Carte<br />

Blanche“, ein freies Projekt, mit dem<br />

sich jedes Jahr ein oder zwei Designer<br />

vorstellen können. Im vergangenen Jahr<br />

nutzte das die Gruppe For Use/Numen<br />

für eine spektakuläre Installation: Auf<br />

dem entkernten Dachboden eines Mietshauses<br />

im 9. Bezirk, gleich um die Ecke<br />

<strong>von</strong> Schuberts Geburtshaus, sah es aus,<br />

als hätte ein Rieseninsekt einen fast<br />

raumfüllenden Kokon gewebt. Das Ge-<br />

1 Querkraft Partner Jakob Dunkl (links) und<br />

Gerd Erhartt mit Projektleiter Dominique<br />

Dinies (hinten) in dem sehr, sehr schmalen<br />

Römermuseum, einem ihrer Werke in <strong>Wien</strong>.<br />

2 Kirche zur Heiligsten Dreifaltigkeit Ein<br />

Entwurf des Bildhauers Fritz Wotruba liegt diesem<br />

ungewöhnlichen Gotteshaus zugrunde.<br />

bilde, das sich an den verbliebenen<br />

Dachbalken und dem zentralen Kaminabzug<br />

mit tentakelartigen Armen festzukrallen<br />

schien, war das Ergebnis mehrtägigen<br />

unermüdlichen Einsatzes. Aber<br />

eben nicht der einer riesigen Kreatur,<br />

sondern des Designtrios, das aus einer<br />

Kooperative der beiden<br />

in Zagreb arbeitenden<br />

Kroaten Sven Jonke und<br />

Nikola Radeljkovic und<br />

dem hier im Haus lebenden <strong>Wien</strong>er<br />

Christoph Katzler besteht. Vier Tage lang<br />

haben die drei transparentes Klebeband<br />

nach Vorlage einer Computersimulation<br />

auf verschlungenen Wegen kreuz und<br />

quer durch den Dachboden gewickelt,<br />

bis dieses innen begehbare Gebilde fertig<br />

war. Eine Mammutshow, die sie kürzlich<br />

als Gast auf dem Berliner Designmai<br />

erneut zeigen konnten.<br />

Ein Stockwerk tiefer in seinem Studio<br />

zeigt Katzler ein weiteres Ungetüm: einen<br />

Würfel aus Spionspiegeln, wie bei<br />

Polizeiverhören gebräuchlich, und mit<br />

Leuchtstäben an den Innenkanten. So<br />

spiegelt sich der Lichtwürfel ins Endlose.<br />

Das Ganze ist verbunden mit einem sehr<br />

großen Blasebalg. Wenn der Luft in den<br />

Würfel pumpt, verzerren sich drei der<br />

Flächen, die aus Spiegelfolie bestehen,<br />

rhythmisch, sodass die Leuchtstäbe psychedelische<br />

Muster erzeugen und<br />

Gefühle eines Drogenrauschs lostreten.<br />

<strong>Der</strong> seltsame Doppelname des<br />

Trios ist ein Zeichen <strong>von</strong> Unzufriedenheit.<br />

„For Use mochten wir nicht mehr<br />

leiden. Unter dem Namen Numen machen<br />

wir jetzt solche Installationen. Aber<br />

eigentlich mag ich den auch nicht<br />

mehr“, erklärt Katzler. Da ist wohl mal<br />

wieder ein kleines Brainstorming fällig.<br />

„Die Sache mit den komischen <strong>Wien</strong>er<br />

Namen“, erzählt Jakob Dunkl, Gründungsarchitekt<br />

aus dem Büro Querkraft<br />

(natürlich auch ein kleines Wortspiel,<br />

kommt <strong>von</strong> querdenken), „hat schon<br />

Tradition. Es begann in den 60er-Jahren<br />

in der Architekturszene.“ Die berühmtesten<br />

<strong>von</strong> damals<br />

sind Coop Himmelb(l)au.<br />

Aber es<br />

gibt noch andere ulkige Büronamen:<br />

Harri + Sally, Ratanplan (nach dem<br />

Hund <strong>von</strong> „Lucky Luke“), Salz der Erde.<br />

Wenn Architekturbüros so heißen, sind<br />

sie ziemlich sicher in <strong>Wien</strong> ansässig.<br />

Doch die Querdenker <strong>von</strong> Querkraft<br />

machen sich nicht nur mit ihrem Namen<br />

einen Namen. Das private Kunstmuseum<br />

Liaunig in Neuhaus zwischen Graz<br />

und Klagenfurt entwarfen sie aus energiekonzeptionellen<br />

Gründen so, dass 95<br />

Prozent des Baukörpers unterhalb des<br />

Erdniveaus liegen. Die quaderförmige<br />

Ausstellungshalle kragt dagegen wie<br />

schwebend über einem Abhang hinaus<br />

und gibt durch ein großes Panoramafenster<br />

den imposanten Blick auf die<br />

Landschaft frei. In <strong>Wien</strong> haben die findigen<br />

Jungarchitekten das Römermuseum<br />

neu gestaltet. Eine<br />

geradlinige, schwarze<br />

Treppe durchschneidet<br />

die drei Ebenen des Museums, verbindet<br />

elegant die extrem schmalen Ebenen<br />

und führt zielstrebig ins Herz des Hauses,<br />

zu den römischen Ausgrabungen.<br />

Querkraft<br />

Ratanplan<br />

1 2<br />

5/10 A &W 205


Die alte, verglaste Front wurde mit Aluminiumplatten<br />

verdeckt, die nur kleine,<br />

schlitzartige Einsichten ermöglichen,<br />

was die Neugier der Passanten anregen<br />

soll. Und das tut es auch: Es kommen<br />

mehr und mehr Besucher in das kleine,<br />

aber feine Museum.<br />

Besucherzahlen sind etwas, um das<br />

sich Otto Wiesenthal nur wenig Gedanken<br />

machen muss. Sein durch persönlichen<br />

Charme und individuelle<br />

Gestaltung<br />

bezauberndes Hotel<br />

Altstadt Vienna im 7. Bezirk wäre das,<br />

was man einen Geheimtipp nennen<br />

würde – wenn es sich nicht schon so weit<br />

herumgesprochen hätte, dass die Zimmer<br />

meist ausgebucht sind. <strong>Der</strong> rührige<br />

Hotelier war Manager in der Computerindustrie,<br />

bevor er sich 1991 in einem<br />

gediegenen <strong>Wien</strong>er Mietshaus 24 Zimmer<br />

auf vier Etagen kaufte und nach und<br />

nach weitere Flure in dem Eckhaus erwarb.<br />

Sein Erfolgsrezept: „Ich gestalte<br />

nicht selbst. Ich habe mal ein Zimmer<br />

eingerichtet – das war nichts!.“ Also hat<br />

er die Räume <strong>von</strong> österreichischen (dem<br />

Damen-Duo Polka) und internationalen<br />

Designern (dem Südtiroler Matteo<br />

Thun) in so persönlich und individuell<br />

gestaltete Interieurs verwandeln lassen,<br />

dass manche Gäste über Monate hierbleiben.<br />

Wiesenthal selbst sucht nur<br />

noch die Leuchten aus und steuert die<br />

Kunst aus seiner Sammlung bei.<br />

Neben dem Duo Polka bietet <strong>Wien</strong><br />

noch eine weitere attraktive gestalterische<br />

Zweckgemeinschaft: die brünetten,<br />

blitzblauäugigen Designerinnen Sofia<br />

Dottings<br />

206 A &W 5/10<br />

1 2<br />

Podreka und Katrin Radanitsch, die aus<br />

zungenbrecherischer Hinsicht verständlicherweise<br />

nicht unter ihren eigenen<br />

Namen firmieren wollen. Sie sind die<br />

Dottings. „Das hat keine Bedeutung“,<br />

grinst Sofia, „aber es ist eingängig und<br />

lässt sich leicht merken.“ „Und es steckt<br />

viel drin“, ergänzt Katrin. „Die Wörter<br />

do und dot – es hat etwas mit machen zu<br />

tun, und man kann es mit dem Internet<br />

in Verbindung bringen.“ Außerdem hört<br />

es sich auch ein bisschen nach dem Gelben<br />

vom Ei an (Dotter), was durchaus eine<br />

gewünschte Assoziation wäre. Die<br />

Dottings machen klassisches Industriedesign.<br />

„Das ist sinnvoller als künstlerische<br />

Autorenstücke“, findet Katrin. „Wir<br />

sind eher an der Serienproduktion interessiert.<br />

Da kann man als Designer einfach<br />

mehr bewirken.“<br />

Ihr aktuelles Großprojekt ist eine Serie<br />

neu gestalteter<br />

Emaille-Kochtöpfe<br />

für das Traditionsunternehmen<br />

Riess aus Niederösterreich. „Die Produkte<br />

bestehen aus nur einem Material.<br />

Sehr nachhaltig!“, bemüht Sofia ein immer<br />

wichtiger werdendes Argument.<br />

Leider können sie nicht ausführlicher<br />

<strong>von</strong> den Vorzügen der Töpfe schwärmen<br />

– sie müssen jetzt zu einer Präsentation<br />

für ihre Straßenlaternen, die demnächst<br />

in einigen <strong>Wien</strong>er Bezirken aufgestellt<br />

werden. Aber am nächsten Tag könne<br />

man sich noch mal treffen, am liebsten<br />

im Pavillon des Volksgartens. „Dort gehen<br />

wir gern auch mal zur Mittagspause<br />

hin und lassen kurz die Seele baumeln“,<br />

1 Museum für Angewandte Kunst In einem<br />

Raum wurden Textbänder der Amerikanerin<br />

Jenny Holzer zwischen Wand und Decke installiert.<br />

2 Volksgarten <strong>Der</strong> Pavillon, wie das<br />

Interieur des Kaffeehaus Prückl ein Entwurf<br />

<strong>von</strong> Oswald Haerdtl, ist ein lauschiger in der<br />

Inneren Stadt. Sitzen da nicht die Dottings?<br />

sagen beide Gestalterinnen unisono. In<br />

der Inneren Stadt ist kaum ein idyllischerer<br />

Ort vorstellbar. <strong>Der</strong> Pavillon wurde<br />

<strong>von</strong> Oswald Haerdtl entworfen, der,<br />

wie schon beschrieben, das Interieur des<br />

Kaffeehaus Prückl gestaltet hat.<br />

Bleibt noch zu klären, was es mit dem<br />

Breaded Escalope auf sich hat. Das<br />

gleichnamige Designtrio hat sein Studio<br />

in Ottakring, das ist der 16. Bezirk außerhalb<br />

des Gürtels. „So ein bisschen Berlin<br />

Kreuzberg“, versucht Michael Tatschl<br />

den Stadtteil einzuordnen. Das bedeutet:<br />

Es gibt hier mehr Kebab-Buden als traditionelle<br />

<strong>Wien</strong>er Gasthäuser. Doch gleich<br />

neben dem Studio gibt es die Brauerei<br />

Ottakringer mit Schankstube. „Hier<br />

sind wir genau richtig“, findet Martin<br />

Schnabl. Die zwei haben sich mit dem<br />

Dritten im Bunde, Sascha Mikel, einen<br />

Namen mit originellen Design-Performances<br />

gemacht. Zum Beispiel dieser:<br />

Eine euterförmige Silikonhülle gefüllt<br />

mit Zwei-Komponenten-Harz wird eingespannt<br />

in eine stabile Kugel, die dann<br />

durch Stadt, Land, Fluss gerollt wird,<br />

eine Stunde lang, bis der Harz gehärtet<br />

ist. Ergebnis: ein individuell geformter<br />

Sitz, der in limitierter Stückzahl vervielfältigt<br />

und als „Clone Stool“ zum Kauf<br />

angeboten wird. So gibt es ein <strong>Wien</strong>er<br />

Original, ein Mailänder, ein Londoner<br />

und ein Berliner. Bis jetzt.<br />

Breaded Escalope<br />

Ihre weiteren Objekte: der berühmte<br />

Ulmer Hocker in die Länge gezogen – er<br />

fungiert damit als Stehpult. Und eine<br />

Uhr, die die aktuelle Zeit nur anzeigt,<br />

wenn einer an der Strippe zieht. Da<br />

bleibt sie dann stehen – bis zum nächsten<br />

Zug. „Damit man nicht mit ständig<br />

neuen Uhrzeiten genervt wird.“<br />

Ein bisschen Spaß darf sein, ist auch<br />

das Motto der Breaded Escalopes. Ach ja,<br />

der Name. Den fanden sie auf der Speisekarte<br />

eines Restaurants auf der Hannover<br />

Messe: Es ist die englische Übersetzung<br />

für <strong>Wien</strong>er Schnitzel.


HOTELS<br />

1 Altstadt Vienna<br />

Kirchengasse 41,<br />

Tel. +43 1/53 63 39 90,<br />

altstadt.at<br />

2 Hotel Rathaus Wein<br />

& Design Lange Gasse 13,<br />

Tel. +43 1/400 11 22,<br />

hotel-rathaus-wien.at<br />

3 Das Triest,<br />

Wiedner Hauptstr. 12,<br />

Tel. +43 1/58 91 80,<br />

dastriest.at<br />

BARS/RESTAURANTS<br />

4 Volksgarten Pavillon<br />

Lauschiger Platz für einen<br />

208 A &W 5/10<br />

Kaffee am Nachmittag oder<br />

einen Drink am Abend.<br />

Tel. +43 1/532 09 07,<br />

volksgarten-pavillon.at<br />

5 Österreicher Im MAK bietet<br />

Herr Österreicher (heißt so)<br />

feine Austria-Spezialitäten.<br />

Tel. +43 1/714 01 21,<br />

oesterreicherimmak.at<br />

6 Das Schwarze Kameel<br />

Hippe Bar mit angegliedertem<br />

Restaurant. Man nimmt kleine<br />

Snacks zu Champagner.<br />

Bognergasse 5, Tel.<br />

+43 1/533 81 25, kameel.at<br />

7 Trzesniewski <strong>Der</strong> Klassiker<br />

unter den Stehimbissen,<br />

kleine belegte Brote (Geheimrezepte<br />

für Aufstrich),<br />

dazu ein „Pfiff“ (1/8 Bier).<br />

Dorotheergasse 1,<br />

Tel. +43 1/512 32 91,<br />

trzesniewski.at<br />

8 Wetter <strong>Der</strong> Designer Raetus<br />

Wetter hat das Restaurant<br />

selbst gestaltet. Unschlagbar<br />

ist er aber erst am Herd – als<br />

Koch ligurischer Spezialitäten.<br />

Payergasse 12,<br />

Tel. +43 1/406 07 75<br />

KAFFEEHÄUSER<br />

9 Prückl Stubenring 24,<br />

Tel. +43 1/512 61 15<br />

10 Bräunerhof Stallburggasse<br />

2, Tel. +43 1/512 38 93<br />

Details<br />

1 Riesenkokon Christoph Katzler, Mitglied der Gruppe For Use/Numen, errichtet mit einem Helfer eine begehbare Installation, die die<br />

Fläche einer Mietshausetage einnimmt. Binnen fünf Tagen wird sie nur aus durchsichtigen Tapes errichtet. 2 <strong>Der</strong> Hüter der Zitronen In<br />

der Orangerie <strong>von</strong> Schönbrunn prüft Heimo Karner die Früchte seiner Zitrusgewächse. Mehr als 300 Sorten züchtet er in den Gewächshäusern.<br />

3 Zu Gast am Hofe Das Restaurant „Palmengarten“ ist ein beliebter Treffpunkt in dem ehemaligen Gewächshaus der Hofburg.<br />

8<br />

14<br />

17<br />

WEITERE TIPPS UND PLÄNE<br />

1<br />

2<br />

16<br />

1213<br />

11<br />

4<br />

15 3<br />

6<br />

7<br />

10<br />

9<br />

18<br />

5<br />

11 Café Sperl<br />

Gumpendorfer Str. 11–13,<br />

Tel. +43 1/586 41 58<br />

SHOPS<br />

12 Phil Für den ganzen Tag:<br />

Buchhandlung, Musikladen,<br />

Bar, Bistro, Designshop, alles.<br />

Gumpendorfer Str. 10,<br />

Tel. +43 1/581 04 89<br />

13 Das Möbel Lothar Trierenberg<br />

präsentiert und fördert<br />

hier in erster Linie junges<br />

österreichisches Design und<br />

macht mit ihm den Alltagstest<br />

in dem Café „Das Möbel“<br />

(Burggasse 10).<br />

Gumpendorfer Str. 11,<br />

Tel. +43 1/924 38 34<br />

14 Schon Schön Schön<br />

schräg: Kombination aus<br />

Restaurant, Cocktailbar im<br />

Keller, Friseur und Modeladen.<br />

Lindengasse 53,<br />

Tel. +43 1/53 37 77 01<br />

15 Rauminhalt Design der<br />

30er- bis 60er-Jahre. Mit den<br />

Partnern <strong>von</strong> Lichterloh und<br />

Patrick Kovacs Kunsthandel<br />

hat Harald Bichler die Design<br />

Tradition gegründet, die mit<br />

österreichischen Klassikern<br />

handelt. Schleifmühlengasse<br />

13, Tel. +43 1/409 98 92<br />

MUSEEN<br />

16 Museumsquartier<br />

Museumsplatz,<br />

Tel. +43 1/523 58 81 17 31,<br />

mqw.at<br />

17 Hofmobiliendepot<br />

Andreasgasse 7,<br />

Tel. +43 1/524 33 57,<br />

hofmobiliendepot.at<br />

18 Museum für Angewandte<br />

Kunst MAK Stubenring 5,<br />

Tel. +43 1/71 13 60, mak.at<br />

Mehr im Register ab Seite 220

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