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Diese Namen! Bevor die <strong>Wien</strong>er<br />
Kulturschaffenden auf ihrem eigentlichen<br />
Betätigungsfeld aktiv<br />
werden, scheinen sie erst einmal ein<br />
intensives Brainstorming hinsichtlich<br />
der zukünftigen Benennung ihres Büros,<br />
ihres Studios, ihrer Kooperation zu absolvieren.<br />
Mit klarer Vorgabe: witzig!,<br />
witzig!, witzig! Oder wenigstens skurril<br />
und so ungewöhnlich wie möglich.<br />
Und so kann es passieren, dass einem<br />
in <strong>Wien</strong> womöglich eine „Neigungsgruppe“<br />
über den Weg läuft oder die<br />
„Dottings“ oder „Honey & Bunny“. Vielleicht<br />
begegnet man auch „Eoos“ dem<br />
erfolgreichsten österreichischen Designtrio,<br />
das sich nach der Göttin der Morgenröte<br />
benannt hat. Oder der „Querkraft“<br />
und den „Breaded Escalopes“.<br />
Und man kann einem Mann begegnen,<br />
dessen Name nur klingt wie ein Witz<br />
oder ein ausgeklügelter Künstlername:<br />
Wurm, Erwin Wurm – ein Weltstar der<br />
modernen Kunstszene.<br />
Um kurz nach zehn kommt Erwin<br />
Wurm vom Frühsport in sein karg eingerichtetes<br />
Studio im 2. Bezirk. Er be-<br />
Erwin Wurm<br />
grüßt gut gelaunt seine beiden Mitarbeiterinnen<br />
und die Gäste, lässt sich entspannt<br />
in einen Sessel fallen. Ob ihn<br />
<strong>Wien</strong> inspiriere? Das animiert ihn zu<br />
einem kleinen historischen Diskurs:<br />
„Das geistige Klima der Stadt ist geprägt<br />
<strong>von</strong> 700 Jahren Monarchie, der Herrschaft<br />
einer Familie, den Habsburgern.“<br />
202 A &W 5/10<br />
1 2<br />
Und in Hochgeschwindigkeit, aber mit<br />
gedämpfter sonorer Stimme, fährt er<br />
fort: „Dazu kam: Österreich war ein rigider<br />
Polizeistaat, und dann noch die<br />
allgegenwärtige katholische Kirche, die<br />
Menschen wurden zwischen diesen Blöcken<br />
in die Mangel<br />
genommen. So ist<br />
entstanden, was man<br />
die österreichische Seele nennen kann.<br />
Und nach dem ersten Weltkrieg …“<br />
Wurm stutzt: „Was wollte ich eigentlich<br />
sagen?“ Sein Ausflug in die Historie hat<br />
ihn ein wenig aus der Spur getragen:<br />
„Ach ja, ob mich <strong>Wien</strong> inspiriert. Das tut<br />
es! In dieser Umgebung hat Sigmund<br />
Freud seine Psychoanalyse begründet,<br />
hat Ludwig Wittgenstein seine linguistisch<br />
geprägte Philosophie entwickelt; es<br />
gab den <strong>Wien</strong>er Kreis, Richard Neutra,<br />
Thomas Bernhard, dann Elfriede Jellinek<br />
– <strong>Wien</strong> bietet anscheinend den Humus<br />
für Künstler.“ Und nach einer kurzen<br />
Pause fällt ihm noch was ein: „Es gibt<br />
hier so viel kreatives Potenzial, weil es so<br />
viel Widerspruch gibt. Es ist ein <strong>Wien</strong>er<br />
Phänomen: Man wird nicht gelobt, man<br />
wird niedergemacht. Selbst wenn<br />
der Wolfgang Prix <strong>von</strong> Coop<br />
Himmelb(l)au nach Jahren wieder<br />
in <strong>Wien</strong> baut, sagen die <strong>Wien</strong>er:<br />
,Na, sooo gut ist das ja nicht.‘“<br />
In diesem speziellen Kosmos lässt<br />
sich Erwin Wurm zum Beispiel zu seinen<br />
One-Minute-Sculptures inspirieren:<br />
Menschen auf der Straße in absurden<br />
Positionen, mit Buntstiften in den Nasenlöchern<br />
und Ohren, zwischen Stirn und<br />
Hauswand eine Apfelsine geklemmt,<br />
1+2 Dottings Katrin Radanitsch (links) und<br />
Sofia Podreka sind nicht nur beim Fototermin<br />
in ihrem Studio guter Dinge. Ihre Werke wie<br />
eine Topfserie aus Emaille, Straßenlaternen,<br />
die demnächst in einigen <strong>Wien</strong>er Bezirken aufgestellt<br />
werden sollen, die Hänge-Garderobe<br />
und Leuchten (links außen) sind erfolgreich.<br />
Männer mit Apfelsinen im Ausschnitt,<br />
einem Eimer auf dem Kopf, einer Banane<br />
im Hosenschlitz, solche Sachen. Klar,<br />
die Leute lachen, wenn sie diese Fotos<br />
sehen. Aber es ist meist ein Lachen, das<br />
im Halse stecken bleibt. Das soll es auch.<br />
Es geht um den Aspekt der Hinfälligkeit,<br />
der Peinlichkeit, der Lächerlichkeit. „Jeder<br />
versucht, sich in der Öffentlichkeit<br />
so großartig wie möglich darzustellen“,<br />
erklärt der Schöpfer dieser Selbstentblößungsrituale.<br />
„Dabei enden wir doch<br />
alle lächerlich.“ Das ist eines <strong>von</strong> Wurms<br />
Hauptmotiven. Und er geht auf seine Art<br />
mit solchen ernsten Themen um: „Sonst<br />
kann Kunst schnell in Pathos ausarten.“<br />
Diese Fotos sind nur ein Teil seiner<br />
Arbeiten. Ein vergangener. Erwin Wurm<br />
möchte verstärkt<br />
sein bildhauerisches<br />
Werk in den<br />
Fokus rücken: „Das ist neben den One-<br />
Minute-Sculptures nicht wirklich wahrgenommen<br />
worden.“<br />
Aufgedunsene Autos, dicke Häuser,<br />
der nur ein Meter breite, aber 17 Meter<br />
lange Nachbau seines Elternhauses,<br />
durch das hindurch man sich quetschen<br />
muss. Außer Form geratene Menschen,<br />
die einen Koffer voller Kleidungsstücke<br />
übergezogen haben, der kugelrunde<br />
Künstler, der die Welt verschluckt hat.<br />
Bei Wurm geht seine Umgebung durch<br />
dick und dünn: „Bildhauerei ist Arbeit<br />
am Volumen.“ Das meint Erwin Wurms<br />
erkenntnistheoretischer Dreisatz. Denn:<br />
„Das Zu- und Abnehmen ist Arbeit am<br />
Volumen. Also ist Zu- und Abnehmen<br />
Bildhauerei.“ Er freut sich über seine<br />
gelungene Beweiskette. Überhaupt lacht<br />
er gern. „Aber“, gesteht er, „ich würde<br />
nicht gern <strong>von</strong> mir lesen, ich sei ein<br />
Witzbold.“ Hiermit schreiben wir’s nicht.<br />
Neben dem weltweit bekannten und<br />
etablierten Kreativzentrum Wurm sprießen<br />
in <strong>Wien</strong> aber auch allerorten junge<br />
avantgardistische Pflänzchen, die der<br />
traditionsbehafteten Stadt ein neues<br />
Gesicht und frisches Flair geben. Dies zu<br />
strukturieren und zu fördern, hat sich<br />
die schon erwähnte Neigungsgruppe<br />
Honey & Bunny<br />
Design Tradition Patrick Kovacs, Markus<br />
Pernhaupt und Harald Bichler handeln mit<br />
österreichischen Klassikern. Vor dem imposanten<br />
Uno-Gebäude präsentieren sie sich<br />
mit dem Sessel „Galaxy“ <strong>von</strong> Walter Pichler.