Ueberwintern auf der suedlichen Halbkugel – Geheimtip: Benalla

Ueberwintern auf der suedlichen Halbkugel
– Geheimtip: Benalla
Von Tom Spiesser*
Der naechte europaeische Winter steht vor der Tuer; die diesjaehrige Saison ist so gut
wie beendet und so mancher Segelflieger wird sich ueberlegen, ob und wo er im
naechsten Winter ueberwintern koennte. Da scheint es angebracht sich die
fliegerischen Aktivitaeten der letzten Saison auf der suedlichen Halbkugel mal
genauer zu betrachten. Die OLC Webseite ist in diesem Zusammenhang sehr
aufschlussreich auch wenn noch lange nicht alle Fluege registriert werden.
Ein kurzer Blick auf Tabelle 1 zeigt, dass die grossen Strecken ganz eindeutig in den
drei grossen kommerziellen Segelflugzentren, Bitterwasser in Namibia, Gariep Dam
in Suedafrika und Corowa in Australien geflogen wurden. Als Alternative zu
Bitterwasser in Namibia ist Pokweni noch erwaehnenswert. Als einziger Klubbetrieb
ist Benalla unter den ersten Fuenf vertreten. Dazu spaeter noch mehr.
Schaetzungsweise werden in den kommerziellen Betrieben bis zu 90% aller Fluege
registriert, so zumindest in Corowa laut eigenen Angaben. In Benalla hingegen, einem
Klubbetrieb, wurden schaetzungsweise nur ca. 50% aller Fluege registriert was
bedeutet, dass in Benalla tatsaechlich wahrscheinlich eine groessere Gesamtstrecke
geflogen wurde als in Bitterwasser und aehnlich weit wie in Corowa.
Tabelle 1
Statistic: Airfield OLC 2009
(Worldwide)
# Points Airfield km Flights Average
Distance
1 422,689 Corowa Rwx Gld(Au / VIC) 502,211 901 557
2 385,691 Bitterwasser(NA / ) 485,793 750 648
3 351,616 Gariep Dam(ZA / ) 438,079 639 686
4 246,820 Benalla GLD(AU / VIC) 286,470 735 390
5 189,255 Pokweni(NA / ) 236,877 369 642
Quelle: OLC
Interessant ist auch die jeweilige Durchschnittsstrecke. Obwohl Gariep Dam
gerademal eine Nasenlaenge voraus liegt gibt es kaum einen Unterschied zwischen
den drei Zentren im suedlichen Afrika waehrend die Durchschnittsstrecke in Corowa
rund 100 km niedriger liegt. Das liegt zum Teil am Wetter – die mittleren Steigwerte
im suedlichen Afrika sind hoeher – und zum Teil am Fluggeraet. Obwohl in Corowa
modernstes Geraet geflogen wird ist der Anteil der Flieger mit 15 Meter Spannweite
hoeher als in den afrikanischen Zentren. Benalla liegt in diesem Vergleich ganz weit
zurueck da ein grosser Teil der Stecken in aelteren Fliegern geflogen wird, LS3, LS4,
ASW20, LS6 anstatt ASG29 ASH26 und Nimbus 4. Zudem beeinflussen auch die
Silber- und Gold ’C’ Fluege der Klubmitglieder diesen Durchschnittswert. Da Benalla
auch einen ganz gewoehnlichen Wochenendflugbetrieb hat, werden auch zahlreiche
kuerzere Fluege ausserhalb des besten Teils der Flugsaison im OLC gewertet, was
den Durchschnitt natuerlich deutlich nach unten drueckt. Ausserdem wurden in der
letzten Saison auch zahlreiche Wettbewerbsfluege waehrend der Landes und der

Nationalen Meisterschaften, die am Platz in Benalla statt gefunden haben, in den OLC
eingereicht.
Betrachten wir einmal die Spitzenleistungen. In Bitterwasser wurden in der letzten
Saison 84 Tausender geflogen, in Gariep Dam 65, in Corowa 35 and in Benalla 6.
Dies spricht eindeutig fuer die besseren Wetterbedingungen im Suedlichen Afrika.
Wer also unbedingt einen Tausender fliegen will muss nach Bitterwasser oder nach
Gariep Dam reisen, daran gibt es keinen Zweifel. In Australien dagegen kann man
durchaus auch Tausender fliegen, allerdings nicht mit derselben Gewissheit. Als
Spitzenleistung gelten sicherlich auch eine Anzahl von Fluegen in Benalla, knapp
unter der Tausender Grenze, die mit LS4 und ASW20 geflogen wurden, im Gegensatz
zu den Grossflueglern (oft mit Turbo oder eigenstartfaehig) die hauptsaechlich in den
afrikanischen Zentren benutzt werden.
In der Tabelle 2 habe ich einmal versucht, verschiedene Ueberlegungen
zusammenzufassen, die bei der Wahl des Urlaubsziels bedacht werden sollten.
Zunaechst einmal sind Bitterwasser, Gariep Dam und Corowa relativ teuer und liegen
daher ausserhalb der finanziellen Moeglichkeiten vieler Segelflieger. Fuer Diejenigen
die es sich leisten koennen gibt es dann eine ganze Reihe anderer Ueberlegungen. Das
Fliegen im suedlichen Afrika, in grossen Hoehen, mit Sauerstoff und mit nur wenigen
Aussenlandemoeglichkeiten – so schoen es auch sein mag wenn es so richtig laeuft –
ist doch letztendlich strapazioeser Hochleistungssport und nicht fuer Jedermann.
Dagegen duerfte das Fliegen in Australien, in geringeren Hoehen wo sich eine
Aussenlandemoeglichkeit and die Naechste anreiht sehr viel weniger stressig sein.
Wer um seine persoenliche Sicherheit bekuemmert ist duerfte sich auch eher fuer
Australien entscheiden. Die Webseite der deutschsprachigen Windhoeker
Tageszeitung, Allgemeine Zeitung, (http://www.az.com.na/index.php) zeigt, dass
doch immer mal wieder etwas passiert, allerdings sollte man waehrend des
Segelflugurlaubs selbst relativ sicher sein.
Tabelle 2
Die Segelflugzentren im Vergleich
Bitterwasser Gariep Dam Corowa Benalla
Klima Heiss; kann extrem Heiss; kann extrem Heiss; kann extrem heiss Heiss; kann extrem heiss
heiss werden
heiss werden
werden
werden
Anreise / Kuerzere Anreise, selbe Kuerzere Anreise, selbe Laengere Anreise,
Laengere Anreise,
Aklimatisier Zeitzone aber
Zeitzone aber
Zeitverschiebung und Zeitverschiebung und Hitze,
ung
Gewoehnung an Hitze Gewoehnung an Hitze Hitze, aber kein
aber kein Hoehenunterschied
und an Hoehenluft und an Hoehenluft Hoehenunterschied
(1300m ueber
(1300m ueber
Meeresspiegel)
Meeresspiegel)
Persoenliche Naja, sollte eigentlich Naja, sollte eigentlich Sehr sicher; mit
Sehr sicher; mit Mitteleuropa
Sicherheit nichts passieren nichts passieren, vor
allem wenn man nicht
aussenlandet
Mitteleuropa vegleichbar vegleichbar
Wetterbedin Laengere Wetterzyklen; Laengere Wetterzyklen; Kuerzere Wetterzyklen; Kuerzere Wetterzyklen;
gungen sehr hohe Basis (ueber sehr hohe Basis (ueber geringere Basishoehe geringere Basishoehe (1500 –
Grund und
Grund und
(1500 – 3500 Meter ueber 3500 Meter ueber Grund);
Meersspiegel) erfordert Meersspiegel) erfordert Grund); geringere mittlere geringere mittlere Steigwerte
oft Sauerstoff; hoehere oft Sauerstoff; hoehere Steigwerte
mittlere Steigwerte mittlere Steigwerte
Aussenlande Nur wenige, auf dem Relativ geringe
Siehe Bild 1 – man kann Siehe Bild 1 – man kann fast
moeglichkeit GPS gespeicherte Lande Aussenlandemoeglichke fast ueberall landen ueberall landen
en
moeglichkeiten, vor
allem bei mehr als 15
Meter Spannweite
iten
Kosten Relativ teuer, dafuer Relativ teuer, dafuer Relativ teuer, dafuer aber Preiswerter, dafuer aber
2

Gesamtbewe
rtung
aber neuestes Geraet
und guter Service
Extremer
Hochleistungssport auf
abgelegener Oase in der
Kalahari wueste aber an
guten Tagen
unvergleichbar schoen
aber neuestes Geraet
und guter Service
Fliegerisch wie
Bitterwasser jedoch
nicht ganz so abgelegen
aber auch ohne die
Bitterwasser eigene
Atmosphaere
neuestes Geraet und guter
Service
Unter weniger stressigen
Bedingungen kann man bei
nicht ganz so gutem Wetter
fast die selben Leistungen
erreichen wie in Afrika
aelteres Geraet und „Packmit-an“
Service
Breitensportorientiert;
Preiwerte Alternative wenn
das Haupturlaubsziel nicht ein
Tausender ist
Zusammenfassend, kann man in Bitterwasser, Gariep Dam und Corowa erstklassigen
Service geniessen und auf neuestem Geraet grosse Strecken absolvieren. Dabei ist
einem im Suedlichen Afrika eher ein Tausender garantiert dafuer kann man aber in
Australien unter sehr viel sichereren und gemuetlicheren Bedingungen etwas
geringere aber dennoch riesige Strecken fliegen.
Bild 1
Noerdlich von Corowa: Bilderbuchwetter und jede Menge Aussenlandemoeglichkeiten
Bild: Australian Soaring Centre, Corowa
Nun aber zu meinem Geheimtip, zu Benalla. Mal davon ausgehend, dass nur ein
Bruchteil aller Segelflieger es auf den absoluten Spitzensport abgesehen hat, bietet
Benalla ein sehr viel breiteres Spektrum an. Streckensegelflug von der Silber ’C’ bis
zum Hochleistungssport und zwar in einem ganzwoechigen Klubbetrieb. Klubbetrieb
heisst allerdings auch, dass man selbst mit anpacken muss und nicht auf denselben
Service wie in den kommerziellen Zentren zurueckgreifen kann. Klubbetrieb in
Australien ist aber bei Weitem entspannter als in Deutschland und kann von der
Atmosphaere her mit Vereinsfluglagern ohne die ueblichen notorischen Vereins-
Noergler verglichen werden.
3

Benalla unterscheidet sich vor allem von den Zentren im suedlichen Afrika, da es
nicht Jenseits von Nirgendwo gelegen ist und so geht man nicht auf Safari im Busch
sondern macht eben nur Urlaub in einem anderen Land wo weitestgehend
europaeische Massstaebe gelten. Das faengt schon bei der Anreise an. Nach einem
allerdings recht langen Flug landet man auf dem Flughafen in Melbourne. Von dort
kann man in ca. 2 Stunden auf dem Freeway (Autobahn; Vne 110kmh!) direkt nach
Benalla fahren oder mit dem Taxi zum Hauptbahnhof und von dort mit dem Zug nach
Benalla, das auf der Bahnstrecke Melbourne/Sydney liegt. Der Flugplatz in Benalla
liegt direkt am Stadtrand. Benalla, eine Stadt mit ca. 10.000 Einwohnern, hat gute
Infrastruktur, u.a. zwei grosse Supermaerkte, darunter einen Aldi, sodass man in der
Vorweihnachtszeit nicht einmal auf Lebkuchen und Zimmtsterne zu verzichten
brauch. Ansonsten ist eigentlich alles da was man braucht - oder hofft nicht zu
brauchen - wie Krankenhaus, Apotheken, Baeckereien, Restaurants, Kunstgallerie,
Kinderspielplaetze, Freibad usw. Fast alles ist einfach zu Fuss oder mit dem Fahrrad
erreichbar (vielleicht nicht unbedingt in der Mittagshitze). Unterkunftsmoeglichkeiten
gibt es am Flugplatz selbst sowie in verschiedenen Motels und Ferienwohnungen die
z.T. nur wenige hundert Meter vom Flugplatz entfernt sind. Mehr dazu auf dieser
Webseite: http://www.benalla.vic.gov.au/index.asp?h=-1
Bild 2
Benalla: Der Flugplatz am Stadrand – zu Fuss zum Aldi fuers Weihnachtsgebaeck!
Bild: David Goldsmith
Die Fliegerei gestaltet sich anders als in den kommerziellen Zentren. Waehrend das
morgendliche Wetterbriefing sicherlich zu den Besten gehoert muss man bei der
Flotte Abstriche machen. In Benalla fliegen ca 40 private Maschienen; die Klubflotte
setzt sich derzeit zusammen aus Duo Discus, LS7, LS4, Mosquito, Astir CS 77, SZD-
51, ASK21 und drei Blechbombern vom Typ IS-28B, die alle waehrend der Woche,
4

Mon-Freitags gemietet werden koennen. Diese kleine Flotte laesst natuerlich keinen
Ansturm aus Europa zu. Doch es gibt auch noch andere Moeglichkeiten. Benalla wird
seit Jahren von englischen Segelfliegern frequentiert die teilweise schon seit ueber 15
Jahren regelmaessig in Benalla ueberwintern, vollwertige Mitglieder sind und sich
auch zum Teil voll in der Leitung des Klubs involvieren. Einige von ihnen haben sich
inzwischen an einem der Privatsyndikate beteiligt und besitzen so ihren eigenen
Flieger in Benalla. Andere bringen jedes Jahr einen Container mit ihren eigenen
Fliegern nach Benalla, wo fuer viele Segelflugzeugtypen Haenger zur Verfuegung
stehen und auch immer jemand aus dem Klub bereit ist, die Kameraden
zurueckzuholen, wenn's mal nicht mehr nach Hause reicht. Der Gliding Club of
Victoria (GCV) ist ganz besonders an solchen Besuchern interessiert, bei denen ein
erster Besuch zu einem laengerfristigen Engagement fuehren koennte so wie wir es
von unseren Englaendern kennen. Warum sollte es nicht auch einen oder sogar
mehrere deutsche Container geben die regelmaessig nach Benalla verschifft werden?
In diesem Jahr kommt zum ersten Mal ein Container aus Deutschland.
Nun noch einmal zur Fliegerei. Die Statistiken zeigen, dass in Benalla ein reger
Flugbetrieb herrscht, die Durchschnittsstrecken jedoch erheblich kleiner sind als in
den grossen kommerziellen Segelflugzentren. Das liegt daran, dass es eben ein
Klubbetrieb ist, mit aelterem Geraet geflogen wird und auch kleinere, erste
Ueberlandfluege registriert werden. Es zeigt aber auch, dass Benalla ideal ist fuer
Urlauber die weniger Erfahrung haben und gern ihren ersten 300’er oder 500’er
fliegen moechten. Dazu gibt es auch mehrmals in der Saison Streckenfluglehrgaenge.
Dennoch sind in Benalla in der letzten Saison 6 Tausender und viele Fluege zwischen
700 und 1000km absolviert worden. Michael Sommer z.B., der zweimalige
Weltmeister der auch in Benalla fliegt, ist an zwei aufeinanderfolgenden Tagen
jeweils 1000 km geflogen mit einem Nimbus 3T/25m und an einem anderen Tag
sogar ueber 1100 km. Einer unserer Englaender, Bob Nichols flog in 8 Wochen
21.000km mit einem Ventus 2cT/18m mit einer Durchscnittsgeschwindigkeit von ca
100km/h. Laengste Strecke: 1088 km, hoechste Geschwindigkeit: 129.5km/h ueber
629km. Zwei weitere englische Piloten teilten sich eine ASG29E die insgesamt
25.000km zuruecklegte. Diese Beispiele zeigen ganz eindeutig, dass es sich lohnt
einen Container nach Benalla zu verschiffen.
Die Fliegerei in Benalla hat auch noch einen anderen Reiz; waehrend die meisten
Ueberlandfluege ins noerdliche Flachland fuehren, kann man bei entsprechendem
Wetter durchaus die Australian Alps im Sueden und Osten erkunden. Allerdings sind
die Aussenlandemoeglichkeiten in diesem landschaftlich ausserordentlich reizvollen
Gebiet mit denen der Alpen oder der hohen Mittelgebirge in Europa zu vergleichen.
*Der Autor ist Mitglied des Gliding Club of Victoria in Benalla. Als gebuertiger Namibianer hat er einen Teil
seiner Jugend in Bitterwasser verbracht und dort als junger Student auf der damaligen Kayssler-Farm die ersten
beiden deutschen Reisegruppen hautnah miterlebt. Ausserdem pflanzte er dort eine der ersten Diamantenpalmen in
der inzwischen beruehmten Palmenallee.
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