abenteuer & reise Heft Dez. 2012 - Vietnam - Travel Service Asia
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V I E T N A M<br />
Totaler Tunnelblick: die große<br />
Vietcong-Sightseeing-Show<br />
Kansas vermutlich oder Oklahoma: Dem<br />
Akzent nach kam sie von irgendwo da<br />
drüben. Nach Asien war sie gekommen,<br />
um endlich das mit dem <strong>Vietnam</strong>krieg<br />
klarzustellen: Susan, circa 50, circa 150<br />
Kilo, Shorts, Gehhilfe, zeltplanengroßes<br />
T-Shirt. Und eine feste Überzeugung.<br />
„Ganz Asien wollten die <strong>Vietnam</strong>esen erobern!<br />
Und dann Europa!“, schnaufte sie.<br />
„Domino-Theorie nannte man das! Den<br />
Krieg habt doch ihr begonnen!“<br />
Tour-Guide Phuc hatte Susan trotz ihrer<br />
Tiraden sehr freundlich begrüßt und<br />
ihr in den Ausflugsbus zu den Vietcong-<br />
Tunneln geholfen. Wenn wir anhielten,<br />
kaufte sie beutelweise amerikanische Militärfeuerzeuge<br />
und Hundemarken gefal-<br />
Die Tunnel in Cu Chi waren während des<br />
<strong>Vietnam</strong>kriegs 200 Kilometer lang (ganz oben).<br />
Makabres Vergnügen, Touristen schießen<br />
mit Gewehren von gefallenen US-Soldaten<br />
34<br />
lener Marines, „diese Dinge gehören in<br />
die USA, in die Heimat der Toten!“ Phuc<br />
versuchte zu erklären, dass es sich bei<br />
den Erkennungsmarken um massenproduzierte<br />
Fakes aus China handele und<br />
nicht jeder einfache Marine damals eine<br />
10.000-Dollar-Rolex am Handgelenk hatte,<br />
aber das wollte Susan alles nicht hören.<br />
Wie gesagt: Susan war gekommen,<br />
um die Sache klarzustellen.<br />
Und dann waren wir an den Cu-Chi-<br />
Tunneln, die auch nicht echt sind, sondern<br />
Rekonstruktionen jener unterirdischen<br />
Gänge, in denen sich die <strong>Vietnam</strong>esen<br />
versteckten, als die US-Bomber<br />
den Süden des Landes erfolgreich in eine<br />
große, freie Fläche verwandelten. Susan<br />
interessierte das nicht. Susan beschwerte<br />
sich, dass sie nicht in die Tunnel konnte<br />
wie die anderen. Die Tunnel waren zu<br />
eng. Beziehungsweise, wie Susan das<br />
nannte, „nicht behindertengerecht“.<br />
Auf der Rückfahrt stellte sie fest, dass<br />
sie ihre Gehhilfe vergessen hatte. Phuc<br />
verschwand in einem Geschäft, vor dem<br />
Männer mit Beinprothesen hockten und<br />
Karten spielten. Die Veteranen winkten<br />
uns im Bus, und wir winkten zurück,<br />
außer Susan, die so tat, als sei sie ein -<br />
geschlafen. Als Phuc wieder einstieg, hatte<br />
er eine neue Gehhilfe, aus Bambus,<br />
made in <strong>Vietnam</strong>. „Schenke ich Ihnen,<br />
zum Andenken“, sagte er und lächelte.<br />
Den Rest der Fahrt saß Susan schweigend<br />
im Bus, ihre neue Gehhilfe in der<br />
Hand. Da war wohl jetzt alles klargestellt.<br />
Schön sein:<br />
Spaß statt Spa<br />
Ziemlich laut und hohl klingt das. Es ist<br />
meine Stirn, die so klingt. Unter den Händen<br />
von Mrs. He, die soeben ihre Massage-Einheiten<br />
begonnen hat. Mrs. He ist<br />
17 bis 34 Jahre alt, knapp 1,40 Meter<br />
groß, wiegt nicht mehr als 38 Kilo und<br />
besitzt in jedem einzelnen Fingerchen<br />
ungefähr so viel Kraft wie ich in einer<br />
Hand. Mrs. He spricht kein Wort Englisch,<br />
und ich nur ein paar Brocken <strong>Vietnam</strong>esisch.<br />
Sie legt heiße Tücher auf<br />
mein Gesicht. Verteilt mit dem Zeigefinger<br />
winzige Würstchen Rasiercreme. Mit<br />
Schere, Spiegel, Straßenecke – das genügt<br />
in Saigon, um einen Friseursalon zu eröffnen<br />
einem Messer von der Größe einer Machete<br />
rasiert sie mich Quadratzentimeter<br />
um Quadratzentimeter. Es folgen heiße<br />
Tücher, Rubbel- und Trockentücher. Gesichtswasser<br />
und Lotionen, wieder Tücher.<br />
Sie zieht an meinen Ohren, quetscht<br />
meine Nasenflügel, hämmert auf den<br />
Schläfen herum, drückt das Kinn nach<br />
oben und unten, nach rechts und links.<br />
Die Geräusche, die dabei entstehen, hören<br />
sich an wie aus einem Comicfilm.<br />
Dann bin ich fertig. Wir schauen uns im<br />
Spiegel an. Ihr Chef kommt mit der Rechnung,<br />
25.000 Dong, etwa 90 Cent. „You<br />
beautiful“, sagt Mrs. He. Na also.<br />
<strong>abenteuer</strong> und <strong>reise</strong>n 12/12