Garten für Demenzkranke, Kühlewil
Garten für Demenzkranke, Kühlewil
Garten für Demenzkranke, Kühlewil
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
<strong>Garten</strong> <strong>für</strong> <strong>Demenzkranke</strong>, <strong>Kühlewil</strong><br />
Frühling 2009
Ich freue mich über den neuen <strong>Garten</strong> <strong>für</strong> die Menschen<br />
mit Demenz in <strong>Kühlewil</strong>. Mit diesem kleinen Park können<br />
die Jahreszeiten und die Natur hautnah erlebt werden. Die<br />
Farben der Blumen, der Duft der Kräuter, das Rascheln<br />
der Blätter und das Pflücken und Geniessen der Früchte<br />
wecken Erinnerungen und erhöhen das Wohlbefinden.<br />
Ich hoffe, dass viele Personen den natürlichen und<br />
geschützten Lebensraum nutzen und geniessen können.<br />
Martin Messerli, Heimleiter<br />
‚So betrachtet schien meine Mutter mit einem Radiergummi die<br />
lange Linie ihres Lebensweges von rückwärts her langsam zu<br />
tilgen. Natürlich tat sie das nicht bewusst. Der Radiergummi war<br />
ihr Alter. Und gegen das Altern gab es kein Mittel. Es löschte<br />
ihre Vergangenheit nach und nach aus.‘ (Yasushi Inoue)<br />
Erste Gänseblümchen, Winter 2008/2009
Sinn und Sinnlichkeit<br />
Welche Rolle soll ein <strong>Garten</strong> <strong>für</strong> Menschen spielen, die<br />
sich aus gesellschaftlichen und sozialen Bezügen lösen,<br />
deren Intellekt <strong>für</strong> Worte und Argumente unerreichbar wird<br />
und deren Geist sich aus den normalen Erinnerungs- und<br />
Denkmustern befreit. Lohnt es sich Zeit, Geld und Energie<br />
in einen <strong>Garten</strong> <strong>für</strong> <strong>Demenzkranke</strong> zu investieren?<br />
Im Alters und Pflegeheim <strong>Kühlewil</strong> konnten wir Landschaftsarchitekten<br />
die Gestaltung eines solchen <strong>Garten</strong>s<br />
massgeblich mitbestimmen. Vom Wettbewerbsentwurf<br />
(2005) über ein Provisorium (2007) zum fertigen <strong>Garten</strong><br />
haben wir während drei Jahren konkretisiert, koordiniert,<br />
gezeichnet, geschrieben, gerechnet, überarbeitet und<br />
überprüft. In diesen drei Jahren wurde uns allmählich<br />
bewusst, wie besonders diese Aufgabe tatsächlich ist.<br />
Für Menschen, die ihren Wohn- und Aufenthaltsort nicht<br />
mehr einfach wechseln können, deren Aktionsradius auf<br />
eine Wohngruppe und einen <strong>Garten</strong> geschrumpft ist, wird<br />
dieser beschränkte Raum zu einer ganzen Welt, zu ihrem<br />
hauptsächlichen und damit wertvollen Lebensraum, zum<br />
Refugium und Biotop, das ihren besonderen Bedürfnissen<br />
und Ansprüchen so weit als möglich gerecht werden muss.<br />
Wenn die Fähigkeit zu rationalem Denken, Logik und<br />
Abstraktion verschwindet, heisst das nicht, dass gleichzeitig<br />
auch die sinnliche Wahrnehmung ihre Intensität verliert.<br />
Das Hier und Jetzt, das Unmittelbare und das Nahe<br />
können oft noch ihre ganze Wirkung entfalten.<br />
Das sanfte Hin- und Her des eigenen Körpers auf der<br />
schaukelnden Sitzbank, das lichte, flirrende Schattenspiel<br />
der Birken zwischen dem Weiss ihrer Stämme, der Duft<br />
nach frischen Kräutern und Gewürzen in den Hochbeeten,<br />
die Glätte des Ahornblattes in der Hand, der Geruch nach<br />
frisch gebratenen Würsten am Grillplatz…<br />
Ziel und Augenmerk bei der Gestaltung des <strong>Garten</strong>s <strong>für</strong><br />
<strong>Demenzkranke</strong> in <strong>Kühlewil</strong> war es, einen vielfältigen und<br />
anregenden Lebensraum zu schaffen; einen Ort, der die<br />
Sinne kitzelt, der zum spazieren gehen und verweilen einlädt,<br />
der blüht, duftet und schmeckt.<br />
égü Landschaftsarchitekten<br />
Martin Keller und Florian Seibold Erd- und Belagsarbeiten, Sommer 2008
Der <strong>Garten</strong><br />
Gesamtübersicht
Die Bepflanzung<br />
Staudengarten, Obsthain und Birkenwald<br />
Im <strong>Garten</strong> werden drei unterschiedliche <strong>Garten</strong>- und Landschaftstypen<br />
inszeniert. Entlang dem Gebäude blühen<br />
Ziersträucher (Felsenbirne, Zierkirschen...) und üppige<br />
Pflanzrabatten (Frauenmantel, Taglilie, Aster..). Auf der<br />
zentralen, offenen Fläche wachsen Fruchtbäume (Apfel,<br />
Birne, Zwetschge) über einer Blumenwiese. Gegen die<br />
Gärtnerei hin breitet sich als drittes Element ein lichter<br />
Birkenwald über Farnen und Gräsern aus.<br />
Mit den Elementen Staudengarten, Obsthain und Birkenwald<br />
entsteht auf engem Raum ein breites Angebot an<br />
unterschiedlichen Bildern und Atmosphären. Es werden<br />
vertraute Stimmungen geschaffen, die zum Spazieren auffordern<br />
oder zum Verweilen einladen.<br />
Von Gelb zu Rot<br />
Die Blumen zeichnen im Frühling auffällige, gelbe Farbtupfer<br />
in den <strong>Garten</strong>. Gegen den Herbst zu werden diese<br />
von roten Akzenten abgelöst. Weisse und blaue Blüten<br />
untermalen und begleiten als Konstante den Farbreigen<br />
über die Vegetationsperiode.<br />
Referenzbilder Bepflanzung<br />
Staudengarten Obsthain mit Blumenwiese Birkenwald<br />
Lavendel Witwenblume Waldmeister<br />
Junkerlilie Schafgarbe Frauenfarn
Hochbeete<br />
In den fünf Hochbeeten wachsen auffällig blühender<br />
Wechselflor, Gewürz- und Duftkräuter (Pfefferminze,<br />
Salbei, Thymian...). Diese Pflanzen sind auch vom Rollstuhl<br />
aus erreich-, greif- und erlebbar.
Der Zaun<br />
Zur Sicherheit der Bewohnerschaft ist der <strong>Garten</strong> von<br />
einem Zaun umfriedet. Dieser soll so wenig als möglich in<br />
Erscheinung treten. Darum beschränkt er sich in der Höhe<br />
auf das nötige Mindestmass von 1.30 Meter. Wo immer<br />
möglich, verläuft er zudem diskret in einer Wildhecke.<br />
Die Beläge und die Möblierung<br />
Ohne Ecken und Kanten<br />
Ein organisches Netz aus Wegen durchzieht den <strong>Garten</strong><br />
und ermöglicht kleinere und grössere Rundspaziergänge.<br />
Ohne abrupte Richtungsänderungen und ohne Materialwechsel<br />
werden die Wegränder zu Leitlinien und verlässlichen<br />
Orientierungshilfen bei <strong>Garten</strong>spaziergängen.<br />
Möblierte Aufenthaltsbereiche<br />
Lokal weiten sich die Wege und werden mit Tischen,<br />
Stühlen, Bänken, Sonnenschirmen, einem Grill und einer<br />
Hollywoodschaukel ausgestattet. Es entstehen im Wechselspiel<br />
mit den Jahreszeiten ganz unterschiedliche<br />
Aufenthaltsbereiche: Gemütliche Sitzplätze, offene Treffpunkte,<br />
introvertierte Rückzugsorte, geschützte Stellen,<br />
Aussichtspunkte und Sonnenterrassen.<br />
Sitznische<br />
Hollywoodschaukel
Projektdaten<br />
Termine<br />
Wettbewerb Sommer 2005<br />
Vorprojekt Herbst 2006<br />
Bauprojekt Frühjahr 2008<br />
Ausführung Herbst 2008<br />
Kosten<br />
CHF 200 000.-<br />
Fläche<br />
2400 m2<br />
Bauherrschaft<br />
Betreiber: Alters- und Pflegeheim <strong>Kühlewil</strong><br />
Eigentümer: Stadtbauten Bern<br />
Planung<br />
égü Landschaftsarchitekten, Worblaufen<br />
Ausführung<br />
<strong>Garten</strong>bau<br />
Künzli <strong>Garten</strong>bau, Bern<br />
Möblierung<br />
Alinea AG, Basel<br />
Betonelemente<br />
Creabeton, Lyss<br />
Quellen<br />
Broschüre hearusgegeben vom Kanton Bern<br />
Gestaltung von Aussenräumen <strong>für</strong> <strong>Demenzkranke</strong><br />
2006 AVA, Stadt Bern<br />
Y. Inoue, Meine Mutter, Suhrkamp Verlag Frankfurt am<br />
Main, 1990