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Eduard Werner:<br />
Reformer und<br />
Wegbereiter<br />
für die Kirche:<br />
Politik soll angeblich den Charakter<br />
verderben. Für diese Behauptung<br />
gibt es leider traurige<br />
Belege. Es gibt aber auch leuchtende<br />
Beispiele dafür, dass manche<br />
Politiker trotz oder sogar<br />
wegen großer Widrigkeiten der<br />
Politik zu Heiligen heranreifen.<br />
Das wohl bekannteste Beispiel<br />
hierfür ist Thomas Morus, der<br />
lieber seinen Kopf auf das Schafott<br />
legte als gegen sein Gewissen<br />
dem englischen König Heinrich<br />
VIII. zu folgen.<br />
Ein Beispiel für Weitsicht, Großherzigkeit<br />
und Verantwortungsbewusstsein<br />
im 20. Jahrhundert haben<br />
wir mit dem großen europäischen<br />
Staatsmann Robert Schuman. Er<br />
wurde am 29. Juni 1886 in Luxemburg<br />
geboren. Seine lothringischen<br />
Eltern waren wenige Jahre vorher<br />
aus Frankreich nach Luxemburg<br />
umgesiedelt, weil ihnen der engherzige<br />
Nationalismus zwischen Bismarck-Deutschland<br />
und Frankreich<br />
zuwider war. Bismarck hatte mit<br />
seiner Neugründung des Deutschen<br />
Reiches auf französischem Boden<br />
die Franzosen schwer gedemütigt,<br />
was diese verständlicherweise damals<br />
nicht verschmerzen konnten.<br />
In dem vom Nationalismus freien<br />
Luxemburg aufwachsen zu können,<br />
betrachtete der junge Schuman als<br />
Gewinn. Von Kindheit an war er in<br />
der französischen und in der deutschen<br />
Sprache gleichermaßen zu<br />
Hause. Nach dem Abitur studierte<br />
er in Bonn, München, Berlin und<br />
Straßburg Rechtswissenschaften.<br />
In Bonn trat er in den „Wissenschaftlichen<br />
Katholischen Studentenverband<br />
Unitas“ ein und hielt<br />
ihm die Treue bis zu seinem Tod.<br />
Robert Schuman<br />
Nach dem Ersten Weltkrieg kehrte<br />
er nach Frankreich zurück und ließ<br />
sich in Metz, der Hauptstadt Lothringens,<br />
als Rechtsanwalt nieder.<br />
Er betätigte sich auch politisch und<br />
brachte es 1940 bis zum Staatssekretär.<br />
Während des Zweiten Weltkriegs<br />
geriet er in deutsche Gefangenschaft.<br />
1942 gelang ihm die<br />
Flucht nach Frankreich, wo er sich<br />
sofort der Resistance anschloss.<br />
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde<br />
Schuman zunächst französischer<br />
Außenminister und dann auch Mi-<br />
nisterpräsident. Sein politisches<br />
Hauptziel war die Überwindung des<br />
Nationalismus und damit auch die<br />
Aussöhnung der europäischen Völker.<br />
Er strebte eine Einigung Europas<br />
auf christlicher Grundlage an.<br />
Da seine Identität nicht durch nationalistische<br />
Gefühle eingeschränkt<br />
war, konnte er einen Sinn für europaweite<br />
Ordnungssysteme und für<br />
universale Werte entwickeln. Eine<br />
Zeitung schrieb damals, Schuman<br />
sei der einzige nichtdeutsche<br />
Politiker, der bruchlos auch das<br />
Außenministerium Deutschlands<br />
übernehmen und ehrlich verwalten<br />
könne. Einmal stand er vor der<br />
Frage, ob er Politiker bleiben oder<br />
Mönch werden solle. Da sagte ihm<br />
der Abt eines Klosters: „Heute tragen<br />
die Mönche Zivil. Bleiben Sie<br />
Politiker und leben Sie dort Ihre<br />
Ideale.“ In der Tat lebte der Junggeselle<br />
Schuman trotz seiner internationalen<br />
Verpflichtungen sehr<br />
anspruchslos und betete täglich die<br />
klösterlichen Stundengebete. Dass<br />
heute ein Krieg zwischen Deutschland<br />
und Frankreich nicht mehr<br />
vorstellbar ist, ist neben Konrad<br />
Adenauer und Alcide de Gasperi<br />
vor allem Robert Schuman zu verdanken.<br />
Darüber staunen besonders<br />
Zeitzeugen, die 1945 das gewaltige<br />
Hasspotential auf beiden Seiten<br />
noch erlebt haben. Robert Schuman<br />
konnte diese Hypothek abbauen,<br />
weil er seine politischen Ziele nicht<br />
an Wahlperioden von vier Jahren<br />
orientierte, sondern sub specie aeternitate<br />
– unter den Anblick der<br />
Ewigkeit – auf bleibende Werte abzielte.<br />
Am 4. September 1963 starb<br />
er nach einem Schlaganfall einsam.<br />
Sein Vermögen hatte er testamentarisch<br />
Waisenhäusern vermacht.<br />
Sein willensstarkes Gesicht wurde<br />
oft mit den Steinfiguren an den gotischen<br />
Kathedralen seiner europäischen<br />
Heimat verglichen. Robert<br />
Schuman ist neben Thomas Morus<br />
ein gutes Vorbild für Politiker. Mit<br />
gutem Grund hat die Diözese Metz<br />
für Robert Schuman einen Seligsprechungsprozess<br />
eingeleitet.<br />
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206 DER FELS 7/2011