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Hans-Böckler-Stiftung

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www.boeckler.de – Dezember 2010<br />

Copyright <strong>Hans</strong>-<strong>Böckler</strong>-<strong>Stiftung</strong><br />

Andreas Blume, Uta Walter, Ralf Bellmann, Holger Wellmann<br />

Untersuchung des Kompetenz- und Strategiebedarfs von Betriebs- und<br />

Personalräten im Bereich der betrieblichen Gesundheitspolitik<br />

Abschlussbericht<br />

Auf einen Blick…<br />

Das Thema Gesundheit gewinnt zunehmend an Bedeutung, steht im<br />

betrieblichen Alltag der BR/PR aber oft hinter "Mitbestimmungsklassikern" wie<br />

Lohn / Leistung zurück.<br />

In der Praxis überwiegen pathogenetische, personenbezogene Ansätze,<br />

ressourcen- und organisationsbezogene Handlungsstrategien sind wenig<br />

erkennbar.<br />

Deutliche Unsicherheiten bestehen in der Bearbeitung neuer gesundheitlicher<br />

Problemstellungen, v.a. psychosozialer Belastungen.<br />

Eher selten verfolgen BR/PR ein integratives Politikmodell oder nehmen<br />

Gesundheit in den eigenen Gremien als Querschnittsaufgabe wahr.<br />

Mitbestimmungsrechte werden nur in Ansätzen genutzt - bei gleichzeitig<br />

zunehmenden Aushandlungserfordernissen (z.B. Gestaltungsimperativ des<br />

ArbSchG).<br />

Die Projektempfehlungen beziehen sich auf eine umfassende, beide<br />

Betriebsparteien einbeziehende Wissens-/Kompetenzentwicklung im<br />

Themenfeld Gesundheit. Unterstützungsangebote sollten dabei am jeweiligen<br />

Entwicklungsstand der Gesundheitsarbeit anknüpfen, der sich in vier Mustern<br />

darstellen lässt: Stagnation/Zufriedenheit mit Status Quo, Polarisierung<br />

(konflikthaft, sich verstärkend), Orientierung (neues Terrain erkundend),<br />

Gesundheit als kohärenter Lernprozess.


Abschlussbericht:<br />

Untersuchung des Kompetenz- und Strategiebedarfs von Betriebs- und<br />

Personalräten im Bereich der betrieblichen Gesundheitspolitik<br />

Projekt-Nr. 2008-183-4<br />

Projektträger:<br />

BIT – Berufsforschungs- und Beratungsinstitut<br />

für interdisziplinäre Technikgestaltung e.V.<br />

Unterstr. 51<br />

44892 Bochum<br />

Zentrum für wissenschaftliche Weiterbildung<br />

an der Universität Bielefeld e. V. (ZWW)<br />

Universitätsstr. 25<br />

33615 Bielefeld<br />

Projektleitung:<br />

Dr. Andreas Blume<br />

Dr. Uta Walter<br />

Projektbearbeitung:<br />

Dipl. Soz. Wiss. Ralf Bellmann<br />

Dr. Holger Wellmann<br />

unter Mitarbeit von Mira Jonas und Nicolai Feyh<br />

Projektlaufzeit: 15. Januar 2009 bis 14. April 2010<br />

Projektförderung: <strong>Hans</strong>-<strong>Böckler</strong>-<strong>Stiftung</strong><br />

Bochum/Bielefeld, im Dezember 2010<br />

Z WW<br />

BIT Berufsforschungsund<br />

Beratungsinstitut<br />

für interdisziplinäre<br />

Technikgestaltung e.V.<br />

Zentrum für wissenschaftliche<br />

Weiterbildung an der<br />

Universität Bielefeld e.V.<br />

(ZWW)


Inhaltsverzeichnis<br />

Zusammenfassung ...............................................................................................................5<br />

1. Ausgangssituation ........................................................................................................9<br />

2. Problemstellung und Ziele des Projekts .................................................................... 13<br />

2.1 Problemstellung ....................................................................................................................13<br />

2.2 Projektziele ............................................................................................................................16<br />

3. Erfolgsfaktoren für die betriebliche Gesundheitspolitik .......................................... 18<br />

4. Die Motorfunktion des Betriebsrates in der betrieblichen Gesundheitspolitik ....... 24<br />

5. Aktivitäten der Sozialpartner und Qualifizierungsangebote in der betrieblichen<br />

Gesundheitspolitik ...................................................................................................... 32<br />

5.1 Aktivitäten der Gewerkschaften ............................................................................................32<br />

5.1.1 Gute Arbeit (IG Metall) ..................................................................................................... 32<br />

5.1.2 Faire Arbeit (ver.di) .......................................................................................................... 35<br />

5.1.3 „Modell Deutschland… zuerst der Mensch“ (IG BCE) ..................................................... 39<br />

5.1.4 DGB-Index Gute Arbeit .................................................................................................... 42<br />

5.2 Aktivitäten der Arbeitgeberverbände .....................................................................................45<br />

5.3 Qualifizierungsangebote .......................................................................................................51<br />

6. Forschungsdesign und Methodik .............................................................................. 55<br />

6.1 Arbeitspaket 1: Dokumentenanalyse und Experteninterviews .....................................................56<br />

6.2 Arbeitspaket 2: Betriebliche Fallstudien .......................................................................................62<br />

7. Ergebnisse des Projekts ............................................................................................. 68<br />

7.1 Ergebnisse der Dokumentenanalyse und der Experteninterviews mit den Betriebsräten ....68<br />

7.1.1 Gesundheitsverständnis .................................................................................................. 68<br />

7.1.2 Gesundheitsarbeit ............................................................................................................ 70<br />

7.1.3 Politikmuster .................................................................................................................... 73<br />

7.1.4 Fördernde und hemmende Faktoren aus Betriebsratssicht ............................................ 77<br />

7.1.5 Selbstbilder von Betriebsräten ......................................................................................... 83<br />

7.1.6 Interviews mit Gewerkschaftsvertretern .......................................................................... 87<br />

7.2 Ergebnisse aus 10 Fallstudien ..............................................................................................92<br />

7.2.1 Fall 1: Der Betriebsrat als Motor des „klassischen“ Arbeits- und<br />

Gesundheitsschutzes ...................................................................................................... 93<br />

7.2.2 Fall 2: Gesundheitsprojekte Tochtergesellschaft – BGM-Konzept Mutterkonzern ........ 112<br />

7.2.3 Fall 3: Stockender BGM-Prozess trotz aktiver einzelner Betriebsräte .......................... 132<br />

7.2.4 Fall 4: Durch Gefährdungsbeurteilung zum BGM-Konzept? ......................................... 144<br />

7.2.5 Fall 5: Ein BGM-Konzept auf Konzernebene kommt in den Unternehmenseinheiten<br />

nicht an. ......................................................................................................................... 165<br />

2


7.2.6 Fall 6: Vom „klassischen“ Arbeitsschutz zu Gesundheitsprojekten ............................... 178<br />

7.2.7 Fall 7: Implizit aktive Gesundheitspolitik ohne strukturelle Verankerung ...................... 196<br />

7.2.8 Fall 8: Etabliertes Co-Management ............................................................................... 210<br />

7.2.9 Fall 9: Suche nach neuen Lösungen trotz elaborierter Strukturen im BGM .................. 229<br />

7.2.10 Fall 10: Viele Einzelaktivitäten ohne ein gemeinsames Dach ....................................... 248<br />

7.3 Zusammenfassung der empirischen Befunde ....................................................................263<br />

7.4 Spiegelung der Befunde mit den Projekthypothesen ..........................................................266<br />

8. Diskussion der Ergebnisse....................................................................................... 271<br />

8.1 Faktoren- und Strukturmodell als Hintergrund fördernder und hemmender<br />

Bedingungen .......................................................................................................................271<br />

8.1.1 Zu den objektiven Herausforderungen .......................................................................... 273<br />

8.1.2 Betriebliche Bedingungen .............................................................................................. 275<br />

8.1.3 Typische Prozesskonstellationen .................................................................................. 283<br />

8.2 Chancen und Hemmungen für eine aktive, integrierte betriebliche Gesundheitspolitik .....288<br />

8.2.1 Objektive Herausforderungen: „geänderte Mitbestimmung“ ......................................... 288<br />

8.2.2 Objektive Herausforderungen: „geändertes Belastungspanorama“ .............................. 294<br />

8.2.3 Objektive Herausforderungen: „BGM-Organisationsverpflichtung“ ............................... 301<br />

8.2.4 Betriebliche Bedingungen .............................................................................................. 307<br />

9. Handlungsempfehlungen des Projektes.................................................................. 312<br />

10. Literatur ..................................................................................................................... 323<br />

Anhang .............................................................................................................................. 328<br />

3


Abbildungsverzeichnis<br />

Abbildung 1: Lernzyklus im BGM .......................................................................................................... 22<br />

Abbildung 2: Integration der Aufgabe „Gesundheit“ .............................................................................. 23<br />

Abbildung 3:Säulen und Strukturen des BGM-Konzeptes .................................................................. 213<br />

Abbildung 4: Faktoren- und Strukturmodell für die „Motorfunktion“ von Betriebsräten ....................... 273<br />

Abbildung 5: Chancen-Wahrnehmung des Betriebsrats „geänderte Mitbestimmung“ ........................ 290<br />

Abbildung 6: Hemmende Faktoren Betriebsräte “geänderte Mitbestimmung“ .................................... 291<br />

Abbildung 7: Hemmende Faktoren und Chancenwahrnehmung Arbeitgeberseitig (Auszug) ............ 293<br />

Abbildung 8: Chancen-Wahrnehmung des Betriebsrats „geändertes Belastungspanorama“ ............ 296<br />

Abbildung 9: Hemmende Faktoren Betriebsräte “geändertes Belastungspanorama“ ........................ 298<br />

Abbildung 10: Hemmende Faktoren und Chancenwahrnehmung Arbeitgeberseitig (Auszug) .......... 300<br />

Abbildung 11: Chancen-Wahrnehmung des Betriebsrats „BGM-Organisationsverpflichtung“ ........... 302<br />

Abbildung 12: Hemmende Faktoren Betriebsräte “BGM-Organisationsverpflichtung“ ....................... 304<br />

Abbildung 13: Hemmende Faktoren und Chancenwahrnehmung Arbeitgeberseitig (Auszug) .......... 307<br />

Tabellenverzeichnis<br />

Tabelle 1: Institutionen und Funktionen der Gesprächspartner der Experteninterviews ...................... 59<br />

Tabelle 2: Übersicht Unternehmen und Gesprächspartner der Fallstudien (Vollstudien) ..................... 64<br />

Tabelle 3: Übersicht Unternehmen und Gesprächspartner der Fallstudien (Teilstudien) ..................... 65<br />

Tabelle 4: Exemplarische Empfehlungen und Prozesskonstellationen .............................................. 321<br />

Abkürzungsverzeichnis (Fachbegriffe)<br />

Betriebliches Gesundheitsmanagement BGM<br />

Betriebliches Eingliederungsmanagement BEM<br />

Fachkraft für Arbeitssicherheit FaSi<br />

Arbeitsschutzgesetz ArbSchG<br />

Betriebsverfassungsgesetz BetrVG<br />

Arbeitssicherheitsgesetz ASiG<br />

4


Zusammenfassung<br />

Betriebs- und Personalräten 1 kommt eine wichtige innerbetriebliche Motorfunktion zu,<br />

um der betrieblichen Gesundheitspolitik einen angemessenen Stellenwert im Unternehmen<br />

zu verschaffen und das Thema Gesundheit als dauerhafte Querschnittsaufgabe<br />

auf allen Ebenen der Organisation zu etablieren. Im Rahmen des Projektes<br />

wurden hierzu verschiedene Muster betrieblicher Gesundheitspolitik ermittelt, mit<br />

dem Fokus auf die Rollen und Handlungsspielräume der mitbestimmungspolitischen<br />

Akteure. Auf dieser Basis wurden wahrnehmbare Handlungshemmnisse in der betrieblichen<br />

Gesundheitspolitik analysiert, Unterstützungsbedarfe ermittelt und grundlegende<br />

Empfehlungen für praxistaugliche Lösungsansätze erarbeitet.<br />

Methodik<br />

In einem ersten Arbeitspaket wurden 28 Experteninterviews mit relevanten Verbandsvertretern<br />

(Gewerkschaften, Arbeitgeberverbände, Sozialversicherungsträger)<br />

sowie mit Arbeitnehmervertretern ausgewählter Betriebe durchgeführt. Darauf aufbauend<br />

erfolgten in einem zweiten Arbeitspaket qualitative Fallstudien in zehn Unternehmen<br />

unterschiedlicher Branche, Größe und Mitbestimmungskultur. Einbezogen in<br />

die Fallstudien wurden – soweit möglich – beide Betriebsparteien und die Gesundheitsexperten.<br />

Ziel war es, Politikmuster, Rollen und Handlungsspielräume der Arbeitnehmervertretungen<br />

kontextbezogen in großer Varianz und Tiefenschärfe zu<br />

identifizieren, um auf dieser Grundlage differenzierte Empfehlungen für strategische<br />

Entwicklungsoptionen und praxisorientierte Unterstützungsangebote zu erarbeiten.<br />

Feedback-Workshops in den Unternehmen dienten dazu, die Projektbefunde und<br />

Transfermöglichkeiten mit den Akteuren gemeinsam zu diskutieren.<br />

Ergebnisse<br />

Als ein Ergebnis des Projektes kann – ohne Anspruch auf Verallgemeinerung – festgehalten<br />

werden, dass das Thema Gesundheit in der Wahrnehmung der Arbeitnehmervertretungen<br />

zunehmend an Bedeutung gewinnt, es aber gleichzeitig in ihrem<br />

betrieblichen Alltag oft hinter „Mitbestimmungsklassikern“ wie Lohn und Leistung<br />

oder der Begrenzung von Rationalisierungsfolgen zurücksteht. Auf der Handlungsebene<br />

überwiegen pathogenetische, personenbezogene Ansätze. Ressourcenorientierte<br />

und organisationsbezogene Handlungsstrategien sind sehr viel weniger erkennbar.<br />

Deutlich wahrnehmbare Unsicherheiten bestehen in der Bearbeitung neuer<br />

gesundheitlicher Problemstellungen, insbesondere psychosozialer Risiken. Betriebsräte<br />

verfolgen zudem eher selten ein Gesundheit integrierendes Politikmodell oder<br />

nehmen Gesundheit in den eigenen Gremien als Querschnittsaufgabe wahr. Die gegebenen<br />

Mitbestimmungs- und Initiativrechte werden nur in Ansätzen genutzt und für<br />

die gesundheitsbezogen relevanten Bereiche weiterentwickelt, bei gleichzeitig zunehmenden<br />

Aushandlungserfordernissen (z. B. Gestaltungsimperativ des ArbSchG).<br />

Als ein weiteres Ergebnis konnten – unabhängig von Kontextfaktoren wie demografische<br />

Entwicklung, Branche oder Verbandspolitik – Faktoren identifiziert werden, die<br />

1 Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird im Text die männliche Sprachform verwendet. Grund-<br />

sätzlich sind immer beide Geschlechter gemeint.<br />

5


sowohl auf der Arbeitgeberseite als auch bei den Betriebsräten 2 fördernd und hemmend<br />

auf die Gestaltung der betrieblichen Gesundheitspolitik einwirken. Dabei sind<br />

einzelne Faktoren nicht per se nur fördernd oder nur hemmend. Vielmehr sind sie<br />

hinsichtlich ihrer Wirkungen von den historischen Entwicklungspfaden und den individuellen<br />

Rahmenbedingungen eines jeden Unternehmens abhängig. Die Faktoren<br />

können zweigeteilt werden. Zu den unternehmensunabhängigen objektiven Herausforderungen<br />

gehören die veränderte Mitbestimmung, das veränderte Belastungspanorama<br />

und Gesundheitsverständnis sowie eine aus dem ArbSchG ableitbare BGM-<br />

Organisationsverpflichtung. Zu den betrieblichen Bedingungen können die etablierten<br />

Strukturen und die handelnden Akteure sowie deren Konstellation gezählt werden.<br />

Alle Faktoren – so ein drittes wesentliches Projektergebnis – bedingen eine spezifische<br />

Prozesskonstellation der betrieblichen Gesundheitspolitik, die sich – bei aller<br />

Unterschiedlichkeit im Einzelfall – auf vier Muster reduzieren lässt:<br />

Die Konstellation Stagnation/Zufriedenheit mit dem Status Quo ist zumeist in solchen<br />

Unternehmen auffindbar, die in der Lage sind, den Arbeitsschutz professionell und<br />

kontinuierlich den Gefahrentwicklungen (Technik und Arbeitsprozesse) anzupassen,<br />

oder in denen Veränderungen nicht mit sichtbaren gesundheitlichen Folgen verbunden<br />

sind. In beiden Fällen besteht kein wahrgenommener Problemdruck, der über<br />

die bestehenden Rituale, Standards und Praktiken hinausweist.<br />

Das Konstellation Polarisierung (konflikthaft, sich verstärkend) zeichnet sich durch<br />

eine konflikthafte Beteiligungskultur aus, in deren Rahmen der jeweiligen Gegenseite<br />

mit Misstrauen und machtpolitischem Kalkül begegnet wird und in der zudem keine<br />

produktive Entwicklung stattfindet. Diese Konstellation ist relativ stabil und lässt sich<br />

allein über den Rechtsweg (z. B. Einigungsstelle) nicht auflösen.<br />

Die Konstellation Orientierung (neues Terrain erkundend) ist geprägt durch ein gezieltes,<br />

aber vorsichtiges Vorgehen, bei dem der Abbau von Ängsten und Befürchtungen<br />

ebenso im Mittelpunkt steht, wie das Lernen bzw. Experimentieren in kleinen<br />

Schritten. Die konstitutiven Elemente dieser Prozesskonstellation sind die neuen Terrains<br />

im Arbeits- und Gesundheitsschutz und die damit verbundenen Unsicherheiten<br />

der Entscheider.<br />

Die Konstellation Gesundheit als kohärenter Lernprozess schließlich ist dort vorzufinden,<br />

wo Unternehmensleitung und Betriebsrat verbindliche BGM-<br />

Entwicklungspläne erarbeiten. Das Unternehmen stellt die erforderlichen Ressourcen<br />

zur Verfügung und bindet Führungskräfte wie Mitarbeiter in die Prozesse ein.<br />

Als Fazit wurden, ausgehend von diesen vier Konstellationen, auszugsweise folgende<br />

grundlegende, weiter zu spezifizierende Empfehlungen erarbeitet, die sich erstens<br />

auf die Strategie- und Zielentwicklung auf Betriebsratsseite und zweitens auf die allgemeine<br />

Wissens- und Kompetenzbildung in der betrieblichen Gesundheitspolitik<br />

beziehen:<br />

Handlungsempfehlungen für die Konstellation „Stagnation/Zufriedenheit“:<br />

2 Im empirischen Teil des hier beschriebenen Forschungsprojektes wurden im Wesentlichen Betriebs-<br />

räte untersucht.<br />

6


trotz Stagnation die derzeitige Praxis wertschätzen und sie nicht über „best practice“<br />

oder BGM-Referenzmodelle abqualifizieren<br />

Herausarbeitung positiver Aspekte, ihrer Grenzen und Anschlussfähigkeiten an<br />

die neuen Herausforderungen<br />

Warten auf externe oder interne Ereignisse, die die alte Ordnung in Bewegung<br />

bringen<br />

Handlungsempfehlungen für die Konstellation „Polarisierung“:<br />

Vermeidung von „Pyrrhussiegen“ entlang der juristischen Auseinandersetzung<br />

über geeignete Zeitpunkte und Verfahren der Deeskalation nachdenken<br />

bewusstes, einen gemeinsamen Lernprozess ermöglichendes Abrücken von so<br />

genannten „Maximalforderungen“<br />

Handlungsempfehlungen für die Konstellation „Orientierend (neues Terrain erkundend)“:<br />

Pilotierungen von Instrumenten, Verfahren und Entscheidungsprozesse über<br />

Verbesserungsmaßnahmen durch verfahrensorientierte „Regelungsabreden“<br />

Lernprozesse jenseits von wenig praktikablen Betriebsvereinbarungen initiieren<br />

Fachberatung aus einer Hand anschieben und nicht dem Streit von Sachverständigen<br />

die politische Bühne überlassen<br />

Handlungsempfehlungen für die Konstellation „Kohärenter Lernprozess“:<br />

intensive Befassung mit dem Thema BGM als integriertes Managementsystem<br />

(operativ), d. h. auf beiden Seiten muss eine Akzeptanz und Verträglichkeit eines<br />

Co-Managements hergestellt werden, und die Entwicklungsprozesse müssen mit<br />

entsprechenden (politischen und fachlichen) Ressourcen ausgestattet werden<br />

Zielsetzung und Planung erarbeiten, wie und wann Gesundheit Querschnittsaufgabe<br />

aller anderen betriebsrätlichen Politikbereiche werden kann<br />

Hinsichtlich der allgemeinen Wissens- und Kompetenzbildung in der betrieblichen<br />

Gesundheitspolitik richten sich die Empfehlungen erstens auf den Ausgleich von<br />

Wissensgefällen in der Organisation und die unterschiedliche Allokation von Wissen<br />

und Kompetenzen bei verschiedenen Akteuren bzw. Akteursgruppen. Dabei ist zum<br />

einen an den Ausgleich eines Wissensgefälles zwischen dem Betriebsratsvorsitzende<br />

und der Geschäftsführung zu denken, zum zweiten an eine Homogenisierung von<br />

Wissen bei den Gesundheitsakteuren und Personalern im Verhältnis zu den Betriebsräten.<br />

Weitere Zielgruppen für Weiterbildungsangebote sind Projektleiter und<br />

Berater für betriebliche Prozessoptimierung sowie Einigungsstellenvorsitzende und<br />

Arbeitsrichter.<br />

Zweitens fokussieren die Empfehlungen auf die didaktische Orientierung an betriebsspezifischen<br />

Lernprozessen, da die Bearbeitung von Hemmnissen in spezifischen<br />

Prozesskonstellationen nur mit unmittelbarem Organisationsbezug möglich ist.<br />

7


Wissenschaftlich basiertes Wissen zu Gesundheit und arbeitsbedingten Risiken sowie<br />

nutzenorientierte Ziel- und Strategiemuster sind dagegen eher noch betriebsunabhängig<br />

vermittelbar.<br />

Für die Rolle der (Betriebsräte-)Berater, die auf dem Terrain der Kompetenz- und<br />

Wissensvermittlung tätig sind, bedeutet dies vor allem:<br />

auf die Wissensentwicklung im Unternehmen zu orientieren,<br />

Wissensgefälle zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber abzubauen,<br />

ggf. widersprüchliche Mitbestimmungskulturen, Prozesskonstellationen, strategische<br />

Unsicherheiten und Dilemmata zum expliziten Gegenstand zu machen,<br />

(Pilot-)Projekte als „Lernorte“ zu fördern und mit klaren Lernzielen für die betrieblichen<br />

Akteure zu belegen und zu controllen helfen,<br />

Gesundheitspolitik als auch immer stark „persönlich“ strukturiertes Terrain (Vorurteile,<br />

Erfahrungen, Betroffenheit etc.) zu bearbeiten.<br />

Den Gewerkschaften und Verbänden wird empfohlen, die Betriebe auch bei der Deeskalation<br />

bzw. Transformation oder Weiterentwicklung vorgefundener Handlungskonstellationen<br />

zu unterstützen. Ziel sollte sein, den Betrieben und Betriebsräten<br />

strategisch wie operativ in der Entwicklung einer gemeinsam orientierten betrieblichen<br />

Gesundheitspolitik Hilfen anzubieten und dazu beizutragen, dass die Betriebe<br />

eine eindeutige Sicht auf gesetzliche Tatbestände, Pflichten und Möglichkeiten erhalten.<br />

Hierfür scheint es auch hilfreich zu sein, zukünftig noch bzw. wieder mehr Ressourcen<br />

für das Themenfeld Arbeit und Gesundheit vorzuhalten.<br />

8


1. Ausgangssituation<br />

Die Arbeitswelt unterliegt einem grundlegenden Wandel in Richtung Wissens- und Dienst-<br />

leistungswirtschaft. Als eine Folge davon nimmt der Anteil schwer körperlich arbeitender<br />

Menschen immer mehr ab und der Anteil schwer psychomental arbeitender Menschen nimmt<br />

zu, und dies offenkundig unter immer konfliktbeladeneren Beziehungen zwischen den Kolle-<br />

gen sowie zwischen Mitarbeitern 3 und Vorgesetzten (Bertelsmann <strong>Stiftung</strong> und <strong>Hans</strong>-<br />

<strong>Böckler</strong>-<strong>Stiftung</strong> 2004; O´Toole und Lawler 2006, Lawler und O´Toole 2006).<br />

Die Erwerbsarbeit in Europa ist seit Jahren durch tief greifende Umbrüche gekennzeichnet.<br />

Neue Beschäftigungsformen entstehen, Organisations- und Arbeitsstrukturen verändern<br />

sich, die Arbeit verdichtet sich, Arbeitsinhalte und Aufgaben werden vielfältiger und komple-<br />

xer. Dies bietet Chancen, beinhaltet aber auch die Gefahr neuer Belastungen und gesund-<br />

heitlicher Risiken (Badura u. a. 2010b).<br />

Flexiblere und z. T. deregulierte Beschäftigungsformen sind ein fester Bestandteil heutiger<br />

Arbeitsmärkte, so genannte Normalarbeitsverhältnisse nehmen ab. Auch in Deutschland sind<br />

immer mehr Menschen von prekären Arbeitsverhältnissen (Leiharbeit, Mini-Jobs, befristete<br />

Arbeitsverträge) betroffen (Dressel 2008). Die gesundheitlichen Auswirkungen unsicherer<br />

Beschäftigungsformen sind bislang nicht absehbar und erst in Ansätzen erforscht (Badura u.<br />

a. 2006; Haupt 2010).<br />

Immer mehr Frauen nehmen am bezahlten Erwerbsleben teil. Durch die Segregation des<br />

Arbeitsmarktes weisen die Arbeitsbedingungen von Frauen und Männern deutliche Unter-<br />

schiede auf. Daraus ergeben sich unterschiedliche gesundheitliche Risiken und Beeinträch-<br />

tigungen sowie Unterschiede im Arbeitsunfähigkeits- und Frühberentungsgeschehen (Badu-<br />

ra u. a. 2008). Aktuelle Erkenntnisse legen nahe, zukünftig in der betrieblichen Gesundheits-<br />

politik die Geschlechterperspektive stärker zu berücksichtigen und das Thema Gender in die<br />

betriebliche Gesundheitspolitik zu integrieren (Misch und Koall 2010).<br />

Das Krankheitspanorama hat sich gewandelt. Hauptverursacher der Krankheitskostenlast<br />

sind heute eine Handvoll chronischer Erkrankungen – Muskel-Skeletterkrankungen, Herz-<br />

Kreislauf-Erkrankungen, Neubildungen, Stoffwechselerkrankungen und zunehmend psychi-<br />

sche Störungen –, die ihre Ursachen auch in den Arbeitsbedingungen haben können (vgl.<br />

zusammenfassend Badura u. a. 2007, Badura u. a. 2010). Chronische Krankheiten sind<br />

maßgeblich verantwortlich für lange Fehlzeiten, aufwendige Behandlungen und vorzeitige<br />

Berentung sowie für Produktivitätseinbußen aufgrund verminderter Leistungsfähigkeit bei der<br />

3 Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird im Text die männliche Sprachform verwendet. Grund-<br />

sätzlich sind immer beide Geschlechter gemeint.<br />

9


Arbeit (Präsentismus), wenn dies nicht durch geeignete präventive und gesundheitsförderli-<br />

che Bemühungen verhindert bzw. hinausgeschoben wird.<br />

Das psychische Befinden der Beschäftigten ist in den letzten Jahren deutlich schlechter ge-<br />

worden. Rückenbeschwerden aufgrund von anhaltendem Stress und Überforderung, Verun-<br />

sicherung und Angst, Erschöpfung sowie das Gefühl, nicht abschalten zu können und aus-<br />

gebrannt zu sein – von Symptomen dieser Art sind Erwerbstätige heute in zunehmendem<br />

Maße betroffen (Badura u. a. 2010a). Burnout ist in jüngster Zeit das gesundheitliche Top-<br />

Thema, das auch von den Medien verstärkt aufgegriffen wird: Die Rede ist von der „Burn-<br />

out-Gesellschaft“ (Focus 10/10), von der „neuen Zivilisationskrankheit“ (FAS vom 7. März<br />

2010) sowie von prominenten Mitbürgern, die sich als Burn-out-Opfer zu erkennen geben<br />

(Der Spiegel 10/2010).<br />

Veränderte Belastungen und Beanspruchungsfolgen bleiben auf Dauer nicht ohne Auswir-<br />

kungen auf das Arbeitsunfähigkeitsgeschehen: Wie die Statistiken der Gesetzlichen Kran-<br />

kenversicherung unisono zeigen, haben Arbeitsunfähigkeiten aufgrund von psychischen Er-<br />

krankungen in den letzten zehn Jahren im Vergleich zu anderen Diagnosegruppen zuneh-<br />

mend an Gewicht gewonnen (z. B. Zoike und Ließmann 2010; Badura u. a. 2010a).<br />

Hinzu kommt die demografische Entwicklung: In wenigen Jahren werden die über 50jährigen<br />

den größten Teil der Erwerbsbevölkerung ausmachen, somit ältere Beschäftigte in den Be-<br />

trieben deutlich in der Überzahl sein (Statistisches Bundesamt 2006). Wegen der größeren<br />

Anfälligkeit dieser Altersgruppe für chronische Krankheiten ist mit einer ansteigenden Zahl<br />

chronisch kranker Beschäftigter zu rechnen – es sei denn es gelingt, den Zusammenhang<br />

von Alter und Krankheitsanfälligkeit durch die Schaffung alters- und alternsgerechter Ar-<br />

beitsbedingungen zu entkoppeln.<br />

Die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen hängt zukünftig vor allem von der Leistungsfä-<br />

higkeit und Leistungsbereitschaft der Beschäftigten ab. Betriebe, Verwaltungen und Dienst-<br />

leistungseinrichtungen müssen steigende Anforderungen mit älter werdenden Belegschaften<br />

bewältigen. Dies erhöht den Problem- und Handlungsdruck in Richtung einer stärkeren Mit-<br />

arbeiterorientierung, einer aktiven betrieblichen Gesundheitspolitik und der Implementierung<br />

eines in die betrieblichen Routinen integrierten Gesundheitsmanagements (Bertelsmann<br />

<strong>Stiftung</strong> und <strong>Hans</strong>-<strong>Böckler</strong>-<strong>Stiftung</strong> 2004; Badura u. a. 2008; Badura u. a. 2010b ).<br />

Eine deutliche Verstärkung der betrieblichen Aktivitäten ist auf diesem Gebiet jedoch nur in<br />

Ansätzen erkennbar. Trotz eines objektiv zunehmenden Bedarfs hat das Thema Gesundheit<br />

in den Unternehmen – bei Arbeitgebern und Arbeitnehmervertretungen – bislang keine<br />

höchste Priorität. Als Ursachen können benannt werden: die Vordringlichkeit anderer betrieb-<br />

licher Problemstellungen, ein vermutetes ungünstiges Verhältnis zwischen Kosten und Nut-<br />

zen gesundheitsförderlicher Leistungen, eine wachsende Komplexität der Materie (Arbeits-<br />

10


und Gesundheitsschutz, betriebliche Gesundheitsförderung, Betriebliches Gesundheitsma-<br />

nagement (BGM), Betriebliches Eingliederungsmanagement(BEM)) sowie Unsicherheiten in<br />

der Bearbeitung neuer gesundheitsrelevanter Problemstellungen (z. B. psychischer Belas-<br />

tungen).<br />

Die betriebliche Gesundheitspolitik ist entwicklungsbedürftig, auch weil das dazu bereitste-<br />

hende Wissen seinen Weg nur langsam und unzureichend in die Praxis findet (Bertelsmann<br />

<strong>Stiftung</strong> und <strong>Hans</strong>-<strong>Böckler</strong>-<strong>Stiftung</strong> 2004). Grundlagenforschung und Gesetzgebung zum<br />

Thema Arbeit, Gesundheit und Organisation sind heute auf einem hohen Stand. Darüber<br />

hinaus liegen fundierte, praxiserprobte Verfahren zur Durchführung und Qualitätssicherung<br />

wirksamer Gesundheitsförderungsprogramme sowie zur Implementierung eines leistungsfä-<br />

higen BGM vor (z. B. Breucker 2001; Thul und Zink 2001; ver.di 2002; Walter 2007, Walter<br />

2010). Eine aktive betriebliche Gesundheitspolitik und ein in die betrieblichen Routinen inte-<br />

griertes Gesundheitsmanagement, mit dem Ziel einer gesundheitsförderlichen Arbeits- und<br />

Organisationsgestaltung, sind bis jedoch bislang kaum vorhanden.<br />

Beobachtbar sind in den Betrieben häufig ein reaktives, auf die nachträgliche Reparatur ge-<br />

sundheitlicher Probleme ausgerichtetes Handeln sowie der unsystematische Einsatz einzel-<br />

ner Maßnahmen zur Verhaltensprävention. Im Vordergrund steht die Identifizierung und Re-<br />

duzierung von Arbeitsbelastungen sowie die Vermeidung gesundheitlicher Risiken am Ar-<br />

beitsplatz. Die Ergänzung einer ressourcenorientierten Perspektive und daran ausgerichtete<br />

Handlungsstrategien mit den Zielwerten „Wohlbefinden“ und „gesunde Organisation“ sind in<br />

Unternehmen bislang eher wenig erkennbar (Walter 2007).<br />

Insgesamt ist davon auszugehen, dass der Bedarf an einer aktiven betrieblicher Gesund-<br />

heitspolitik und einem leistungsfähigen BGM gegenwärtig nicht hinreichend gedeckt ist und<br />

sich die Schere zwischen Bedarf einerseits und betrieblicher Praxis andererseits zukünftig<br />

noch weiter öffnen wird – es sei denn, es wird mit geeigneten Konzepten und Strategien<br />

entgegengesteuert. Eine wesentliche Aufgabe wird darin bestehen, die Betriebe selbst und<br />

damit die Akteure „vor Ort“ – Führungskräfte, Gesundheitsexperten, Interessenvertretungen<br />

und Mitarbeitende – zu stärken und für ihre jeweiligen Rollen und Aufgaben zu qualifizieren.<br />

Als innerbetrieblicher „Motor“ für eine Aktivierung der betrieblichen Gesundheitspolitik kommt<br />

den Betriebs- und Personalräten eine große Bedeutung zu, die das Thema Gesundheit zu-<br />

künftig stärker als Gestaltungsaufgabe wahrnehmen bzw. als Nutzen stiftende Möglichkeit<br />

der betrieblichen Interessenvertretung nutzen sollten. Dass dies in der Vergangenheit noch<br />

nicht ausreichend erfolgt ist, führen Gewerkschaftsvertreter und Interessenvertreter vor allem<br />

auf die weit reichenden Umbrüche in der Arbeitswelt zurück, die zur Folge hatten, dass sich<br />

die eigenen Aktivitäten vorrangig auf Problemstellungen wie Beschäftigungssicherung und<br />

Standorterhalt konzentrieren mussten und andere Themen, wie der Arbeits- und Gesund-<br />

11


heitsschutz, in den Hintergrund traten. Zudem hat offenbar eine strukturelle Defensive der<br />

Gewerkschaften dazu geführt, dass der Arbeits- und Gesundheitsschutz zu wenig als Hand-<br />

lungsfeld der gewerkschaftlichen Arbeitspolitik genutzt worden sei (Ahlers und Brussig 2004;<br />

Pickshaus 2007).<br />

12


2. Problemstellung und Ziele des Projekts<br />

2.1 Problemstellung<br />

Globalisierung, Strukturwandel der Wirtschaft, demografische Entwicklung und ihre Folgen<br />

für die Unternehmen erfordern zukünftig eine stärkere Mitarbeiterorientierung und deutlich<br />

mehr Investitionen in die Gesundheit der Beschäftigten. Ein steigender Problemdruck in den<br />

Betrieben führt zu einer wachsenden Aufmerksamkeit für das Thema Gesundheit. Gleich-<br />

wohl ist die betriebliche Gesundheitspolitik entwicklungsbedürftig, insbesondere mit Blick auf:<br />

die Entwicklung eines gemeinsamen Verständnisses von Gesundheit, ihrer Ursachen<br />

und Wirkungen und daraus abzuleitender Ziele und Handlungsstrategien;<br />

den Aufbau einer Dateninfrastruktur, zur Objektivierung des Handlungsbedarfs und zur<br />

Bewertung durchgeführter Projekte;<br />

die Einhaltung von Standards beim Aufbau von Strukturen und der Durchführung von<br />

Prozessen;<br />

die Integration gesundheitsförderlicher Strukturen und Prozesse in die betrieblichen<br />

Routinen.<br />

Wenn Betriebs- und Personalräte stärker zum „Motor“ für die Entwicklung einer aktiven be-<br />

trieblichen Gesundheitspolitik und die Umsetzung eines leistungsfähigen BGM werden sol-<br />

len, stellt sich die Frage, warum sich diese Initiativkraft bislang nicht stärker herausgebildet<br />

hat.<br />

Festhalten lässt sich, dass der Gestaltungsimperativ des (ArbSchG) es in Richtung eines<br />

integrierten BGM (Faber und Blume 2002) schon seit 14 Jahren auf der Agenda der betrieb-<br />

lichen Akteure steht, ohne dass sich hier tatsächlich Nennenswertes getan hätte:<br />

BGM wird heute häufig als systematische Verhaltensprävention verstanden und propagiert.<br />

In der Folge sehen Betriebs- und Personalräte darin eher ein „Feigenblatt“ für eine defizitäre<br />

Verhältnisprävention. Zugleich besteht aber auch die Gefahr – vor allem in Betrieben mit<br />

einer elaborierten Gesundheitsförderung –, dass sich Arbeitnehmervertretungen in der „Ar-<br />

gumentationszwickmühle“ zwischen betrieblicher und/oder persönlicher Verursachung und<br />

Verantwortung gesundheitlicher Problemstellungen aufreiben.<br />

Professionelle Arbeitsschutzmanagementsysteme, die sich zunehmend in risikoreichen<br />

Branchen (Chemie, Stahl, Energie) entwickelt haben, tendieren eher zu einer Verbindung mit<br />

dem Umweltschutz und anderen technisch fokussierten Dienstleistungen als zu einem BGM,<br />

das einem ganzheitlichen Gesundheitsverständnis Rechnung trägt (Blume 2007). Wir gehen<br />

daher davon aus, dass es Arbeitnehmervertretungen entsprechend schwer haben, dieser<br />

13


Entwicklungsdynamik konzeptionell entgegenzutreten. Hinzukommt, dass die betrieblichen<br />

Gesundheitsexperten, d. h. die Betriebsärzte, häufig noch geneigt sind, eher auf eine indivi-<br />

duelle Gesundheitsförderung zu setzen und somit als natürliche Bündnispartner für ein in die<br />

Routinen integriertes BGM nicht sui generis zur Verfügung stehen.<br />

Nach wie vor werden psychosoziale Belastungen eher als Gefährdung der betrieblichen<br />

Ordnungs- und Leistungspolitik wahrgenommen und nicht als ein sinnvolles, weil effizienz-<br />

förderliches Gestaltungsfeld genutzt. So beträgt z. B. die Diffusion der Gefährdungsbeurtei-<br />

lung psychischer Belastungen lediglich ca. 20 % (Blume u. a. 2003). Zu ähnlichen Ergebnis-<br />

sen kommt auch die WSI-Betriebsrätebefragung 2004 (Ahlers und Brussig 2004).<br />

Da Betriebs- und Personalräte auf dem Gebiet der Gefährdungsbeurteilung schon vielfach<br />

initiativrechtliche Schritte machen, wird hier zwar ein wesentliches Terrain betrieblicher<br />

Gesundheitspolitik beschritten und auch zunehmend bearbeitet, doch ergibt sich daraus kei-<br />

neswegs eine „zwangsläufige“ Orientierung und Entwicklung in Richtung eines BGM. Viel-<br />

mehr besteht die Gefahr, dass die Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen zu ei-<br />

nem isolierten Ritual wird, weil sie häufig an allen anderen gesundheitsbezogenen Aktivitä-<br />

ten und Dienstleistungen vorbei betrieben wird.<br />

Gleichwohl gibt es große und kleinere Betriebe, die Gesundheit nicht nur als ein Unterneh-<br />

mensziel propagieren, sondern als eine integrierte Dienstleistung für die betrieblichen Akteu-<br />

re entwickeln, die es ihnen erlaubt, in einem kontrollierten Prozess Verantwortung zu über-<br />

nehmen (vgl. z. B. die Fallstudien aus dem Projekt „MAGQ“. BIT e.V. u. a. 2005).<br />

Zudem existieren zur Beförderung des Themas Gesundheit in den Betrieben zahlreiche ge-<br />

werkschaftliche Projekte bzw. Kampagnen wie z. B. „Faire Arbeit“ (ver.di), „Gute Arbeit“ und<br />

„Terror für die Seele“ (IG Metall) und der DGB-Index „Gute Arbeit“ sowie darüber hinaus eine<br />

Fülle von Fort- und Weiterbildungsangeboten, Veranstaltungen, Materialien und Beratungen<br />

für Arbeitnehmervertretungen – nicht zuletzt, weil sich Gesundheit als ein mitgliederrelevan-<br />

tes Thema zu entwickeln scheint (s. dazu Kapitel 5).<br />

Auch tarifvertraglich deuten sich neue gesundheitsbezogene Fokussierungen an wie z. B.<br />

der Stahl-Tarifvertrag „Demografischer Wandel“ von 2006, der Tarifvertrag der IG BCE „Le-<br />

bensarbeitszeit und Demografie“ von 2008 und die ver.di- Initiative im Finanzdienstleistungs-<br />

sektor „Faire Arbeit“ (s. Kapitel 5) sowie der Tarifvertrag zur „Betrieblichen Gesundheitsför-<br />

derung“ für den Sozial- und Erziehungsdienst.<br />

Angesichts der nicht nur auf Seiten der staatlichen Aufsicht sichtbaren Deregulierungsten-<br />

denzen dokumentieren diese Versuche nicht zuletzt auch die Widersprüchlichkeit der v. a.<br />

gesetzlich induzierten „Verbetrieblichung“ des betrieblichen Gesundheitsschutzes. Letzteres<br />

verlangt, gepaart mit dem Ansteigen von Aushandlungserfordernissen (vgl. z. B. die neue<br />

Arbeitsstättenverordnung), von den Arbeitnehmervertretungen nicht nur verstärkte fachliche<br />

14


Kompetenz, sondern vor allem eine politisch-strategische Orientierung, die sich auf die Ent-<br />

wicklung nachhaltiger Strukturen und Prozesse richtet und nicht im „Klein/Klein“ von „Raum-<br />

größen“ und ergonomischen Standards erstickt.<br />

Dieser Stärkung der betrieblichen Ebene im Bereich Gesundheit steht in der betriebsrätli-<br />

chen Praxis eine Schwächung der Verhandlungsposition gegenüber, die nicht zuletzt auf die<br />

mangelnde Kompetenzdiffusion in Mitbestimmungsgremien zurückzuführen ist.<br />

Des Weiteren verwundert es nicht, dass angesichts tendenzieller Überforderung auch mittel-<br />

ständischer Unternehmer die Wahrnehmung gesundheitsrelevanter Einflussfaktoren zwi-<br />

schen Betriebsräten, Beschäftigten und Geschäftsführungen z. T. erhebliche Unterschiede<br />

aufweist (vgl. BIT e.V. 2002 zu Geschäftsführungen/Arbeitnehmervertretungen; Badura u.a.<br />

2008 zu Führungskräften/Mitarbeiter). Entsprechend gestalten sich auch die Verständi-<br />

gungsprozesse über eine gesundheitsbezogene Neuausrichtung in den Unternehmen ent-<br />

sprechend schwierig. Für Reorganisationsprozesse haben beispielsweise Lenhardt und Ro-<br />

senbrock (Lenhardt und Rosenbrock 2006) ein differenziertes Bild der begünstigenden und<br />

hemmenden Effekte und der ausschlaggebenden inner- und außerbetrieblichen Bedingungs-<br />

faktoren betrieblicher Gesundheitsförderung gezeichnet.<br />

Die Mitbestimmungsakteure sehen sich dadurch neuartigen Anforderungen gegenüber. Zwi-<br />

schen Unternehmensführung und Mitbestimmungspartnern kommen immer mehr Sachver-<br />

halte zur Verhandlung, auch und vor allem wegen der rasanten betriebsinternen Verände-<br />

rungsprozesse. Diese zunehmende „Verbetrieblichung“ eröffnet den Betriebs- und Personal-<br />

räten zum einen mehr Chancen, viele betriebliche Politikfelder mitzugestalten. Diese Stär-<br />

kung der betrieblichen Ebene speziell im Bereich Gesundheit kann aber paradoxerweise<br />

eine Schwächung der Verhandlungsposition aufgrund mangelnder Strategie- und Kompe-<br />

tenzfähigkeit nach sich ziehen.<br />

Die im Projekt zu beantwortende Frage nach einer Förderung der „Motoren“-Funktion von<br />

Betriebs- und Personalräten im Themenfeld Betriebliche Gesundheitspolitik ist somit aufs<br />

Engste verknüpft mit der Erklärung der aktuellen Situation, die wir auf Grund ihrer Ambiva-<br />

lenz als Umbruchphase der betrieblichen Gesundheitspolitik bezeichnen wollen.<br />

15


Die voran skizzierten Befunde und Thesen lassen sich in sieben, für das Projekt handlungs-<br />

leitenden Arbeitshypothesen zusammenfassen:<br />

Betriebs- und Personalräte verfolgen nur selten ein integriertes gesundheitsbezogenes<br />

Politikmodell.<br />

Betriebs- und Personalräte sehen im BGM zunächst nur eine systematischere<br />

Gesundheitsförderung auf freiwilligem Terrain.<br />

Ein integriertes BGM macht es erforderlich, dass Betriebs- und Personalräte das The-<br />

ma Gesundheit auch in ihren eigenen Gremien als Querschnittsaufgabe betreiben.<br />

Der Einfluss der Betriebs- und Personalräte auf die Organisation (hier die Integration)<br />

des Gesundheitsschutzes als Dienstleistung und Querschnittsaufgabe ist unterentwi-<br />

ckelt.<br />

Trotz akzeptierter Wichtigkeit des Themas werden Mitbestimmungs- und Initiativrechte<br />

(u.a. § 87.1.7 BetrVG) wenig genutzt (Gefährdungsbeurteilung/Pflichtenübertragung<br />

etc.) und zudem nicht ausreichend für die verschiedenen gesundheitsrelevanten be-<br />

trieblichen Bereiche (z. B. Personalbemessung, Lohngestaltung, Projektorganisation)<br />

integrierend weiterentwickelt.<br />

Die „Handlungshemmnisse“ sind weniger in allgemeinen Orientierungsdefiziten zum<br />

Thema Gesundheit und Arbeit zu suchen, sondern eher in jeweils aktuellen Rahmen-<br />

bedingungen, betriebstypischen Mitbestimmungskulturen, dem Rollenselbstverständnis<br />

von Arbeitnehmervertretungen sowie in strategischen Orientierungs- und Wissensdefi-<br />

ziten.<br />

Die entsprechenden gewerkschaftlichen Initiativen und Unterstützungsangebote sowie<br />

die vorhandenen Weiterbildungsprogramme überbrücken z. Zt. noch nicht nachhaltig<br />

die Handlungshemmnisse der Arbeitnehmervertretungen in Richtung einer aktiven be-<br />

trieblichen Gesundheitspolitik.<br />

2.2 Projektziele<br />

Das vorliegende Projekt zielt auf eine Aktivierung der betrieblichen Gesundheitspolitik in Un-<br />

ternehmen und Dienstleistungsorganisationen durch Kompetenzstärkung der Arbeitnehmer-<br />

vertretungen. Mit dem besonderen Augenmerk auf diese Akteursgruppe soll ihre „Motorfunk-<br />

tion“ für die Gesundheitspolitik in den Betrieben gefördert und unterstützt werden. Dazu war<br />

es zunächst erforderlich, wahrnehmbare Handlungshemmnisse und Widerstände im The-<br />

menfeld Gesundheit vertiefend zu analysieren und darauf aufbauend adäquate Ansätze zu<br />

ihrer Überwindung zu entwickeln.<br />

16


Im Einzelnen wurden folgende operative Ziele verfolgt:<br />

1. Ermittlung verschiedener Muster betrieblicher Gesundheitspolitik; dabei sind vor allem<br />

die Rolle und die Handlungsspielräume der mitbestimmungspolitischen Akteure her-<br />

auszuarbeiten;<br />

2. vertiefende Analyse von Hemmnissen und Widerständen, die der Entwicklung und<br />

Umsetzung einer wirksamen betrieblichen Gesundheitspolitik entgegenstehen;<br />

3. Identifizierung des Entwicklungsbedarfs an strategischen Kompetenzen und operati-<br />

vem Fachwissen im Themenfeld Gesundheit auf Seiten der Arbeitnehmervertretungen;<br />

4. Erarbeitung von Empfehlungen für differenzierende Qualifizierungs- und Unterstüt-<br />

zungsangebote.<br />

Wir hoffen, mit dem Projekt respektive den Projektergebnissen einen Beitrag zur Aktivierung<br />

einer zukunftsorientierten, nachhaltig wirksamen betrieblichen Gesundheitspolitik zu leisten.<br />

17


3. Erfolgsfaktoren für die betriebliche Gesundheitspolitik<br />

Für eine nachhaltig erfolgreiche betriebliche Gesundheitspolitik gibt es nicht den einen richti-<br />

gen Weg. Zunächst einmal ist jeder Betrieb ein Fall für sich, der vor dem Hintergrund seiner<br />

Rahmenbedingungen und Voraussetzungen sowie aufgrund der jeweiligen Problemstellun-<br />

gen und Handlungsbedarfe entscheiden muss, wie die betriebliche Gesundheitspolitik gestal-<br />

tet werden soll, mit welchen Zielen und Prioritäten und unter Einsatz welcher Verfahren und<br />

Instrumente (Walter 2010).<br />

Entwicklung und Umsetzung der betrieblichen Gesundheitspolitik erfordern dabei stets das<br />

Mitwirken verschiedener Akteure mit unterschiedlichen Rollen und Aufgaben: a) Machtpro-<br />

motoren, die dem Thema Gesundheit einen angemessenen Stellenwert im Unternehmen<br />

verschaffen, Ziele definieren, betriebspolitische Voraussetzungen und Rahmenbedingungen<br />

schaffen sowie eine ausreichende Beteiligung für die Beschäftigten ermöglichen, b) Fach-<br />

promotoren bzw. Experten, die mit ihrer Fachkompetenz an der gesundheitsförderlichen Ge-<br />

staltung von Arbeit und Organisation aktiv mitwirken und die Qualität der Gesundheitspolitik<br />

sicherstellen sowie c) Prozesspromotoren, die den Prozess anschieben und am Laufen hal-<br />

ten und die in enger Verbindung zu den Macht- und Fachpromotoren stehen (vgl. Reindl u.a.<br />

2008).<br />

Darüber hinaus setzt die Umsetzung einer erfolgreichen betrieblichen Gesundheitspolitik<br />

dreierlei voraus: a) die konsequente Verfolgung gesetzlicher Zielvorgaben, b) Projekte zur<br />

betrieblichen Gesundheitsförderung sowie c) die Etablierung eines in die betrieblichen Routi-<br />

nen integrierten Gesundheitsmanagements (Bertelsmann <strong>Stiftung</strong> und <strong>Hans</strong>-<strong>Böckler</strong>-<strong>Stiftung</strong><br />

2004: 78).<br />

Die konsequente Umsetzung gesetzlicher Zielvorgaben erfordert das Wissen der Verantwort-<br />

lichen um die Pflichten vor allem aus dem ArbSchG und eine die Belange der Organisation<br />

berücksichtigende Umsetzung dieser Pflichten. Hierzu gehören in erster Linie die präventive<br />

Ausrichtung an den Zielen einer „menschengerechten Gestaltung der Arbeit“, der „Gefahren-<br />

verhütung an der Quelle“ und einer „sachgerechten Verknüpfung“ von technischen, arbeits-<br />

organisatorischen und sozialen Faktoren. Dafür ist eine „geeignete Organisation“ aufzubau-<br />

en, die – über den Plan-Do-Check-Act (PDCA)-Zyklus sichergestellt – alle „Tätigkeiten“ der<br />

Organisation umfasst, die Führung einbindet und die Mitarbeiter beteiligt. Mit der Organisati-<br />

onsverpflichtung, der Präventionsorientierung und einer systematischen Vorgehensweise<br />

liefert die Arbeitschutzgesetzgebung eine wichtige Grundlage und Zielorientierung für die<br />

betriebliche Gesundheitspolitik, ohne jedoch das konkrete „Wie“ oder „Was“ vorzugeben<br />

(Blume 2010a).<br />

18


Betriebliche Gesundheitsförderung zielt auf die Verbesserung der gesundheitlichen Situation<br />

der Beschäftigten und die Stärkung gesundheitlicher Ressourcen insbesondere durch Unter-<br />

stützung eines gesundheitsgerechten Verhaltens. Gesundheitsförderungsprojekte z. B. zur<br />

Verbesserung des Bewegungsverhaltens oder zur individuellen Stressbewältigung sollten<br />

dabei stets bedarfsorientiert und unter Einhaltung vorhandener Qualitätskriterien erfolgen<br />

(Arbeitsgemeinschaft der Spitzenverbände der Krankenkassen 2008). Mit Blick auf eine ver-<br />

besserte Wirksamkeit sollten Projekte/Maßnahmen zur individuellen Gesundheitsförderung<br />

idealer Weise nicht isoliert, sondern stets in Kombination mit bzw. in Ergänzung zu organisa-<br />

tionsbezogenen Ansätzen erfolgen (Walter 2003).<br />

Die Etablierung eines in die Betriebsroutinen integrierten Gesundheitsmanagements stellt für<br />

jedes Unternehmen eine Innovation dar, die neben Erfahrungswissen und Intuition der ver-<br />

antwortlich handelnden Akteure fundierte und praxistaugliche Standards erfordert – als Vo-<br />

raussetzung für ein systematisches, ziel- und ergebnisorientiertes Handeln (Walter 2007).<br />

Als Ergebnis eigener vorangegangener Forschungsarbeiten sowie aufgrund der Erfahrungen<br />

in der Praxis lassen sich folgende Mindeststandards für eine aktive betriebliche<br />

Gesundheitspolitik und ein wirksames BGM benennen (Walter 2010, Blume 2010b), die wir<br />

dem vorliegenden Projekt als Referenzmodell zugrunde gelegt haben:<br />

Formulierung einer klaren, inhaltlichen Zielsetzung<br />

Die entscheidende Voraussetzung für eine aktive betriebliche Gesundheitspolitik ist das aus-<br />

drückliche und glaubhaft vermittelte Wollen der obersten Führungsebene. Die betriebliche<br />

Gesundheitspolitik kann ihre Wirksamkeit nur dann voll entfalten, wenn es vom Top-<br />

Management als Führungsaufgabe erkannt und in gemeinsamer Verantwortung mit der Ar-<br />

beitnehmervertretung dauerhaft im Unternehmen vorangetrieben wird. Der erste Schritt dazu<br />

ist die Formulierung einer inhaltlichen Zielsetzung für das BGM, abgeleitet aus den Unter-<br />

nehmenszielen. Die Festlegung von Zielen ist bei aller fachgerechten Vorbereitung am Ende<br />

stets ein betriebspolitischer Prozess, der eine Konsensfindung zwischen Management und<br />

Arbeitnehmervertretung, Führungskräften und beteiligten Experten voraussetzt.<br />

Abschluss schriftlicher Vereinbarungen<br />

Um die betriebliche Gesundheitspolitik im Unternehmen auf eine verbindliche Basis zu stel-<br />

len sowie zur Vertrauensbildung zwischen den Betriebsparteien bedarf es schriftlicher Ver-<br />

einbarungen, idealer Weise in Form einer Betriebs-/Dienstvereinbarung. Die Betriebs-<br />

/Dienstvereinbarung fixiert das gemeinsame Gesundheitsverständnis, abgestimmte Grund-<br />

sätze, Ziele und Verfahrensweisen, legt Zuständigkeiten, Kompetenzen und Ressourcen<br />

fest. Die schriftliche Vereinbarung trägt auch dazu bei, die Integration entwickelter Strukturen<br />

und Prozesse in die betrieblichen Routinen nachhaltig zu sichern.<br />

19


Einrichtung eines Lenkungsausschusses<br />

Als treibende Kraft der betrieblichen Gesundheitspolitik und zur dauerhaften Steuerung des<br />

BGM ist ein Lenkungsausschuss (z. B. in Form eines Arbeitskreises Gesundheit) einzurich-<br />

ten. Der Lenkungsausschuss ist ein Entscheidungsgremium, das den betrieblichen Ent-<br />

scheidern zuarbeitet und die Erledigung operativer Aufgaben an Projektteams oder Arbeits-<br />

gruppen delegiert. Seiner Bedeutung entsprechend sollten dem Lenkungsausschuss mög-<br />

lichst folgende Akteure angehören: ein Vertreter der Unternehmensleitung, der Betriebs-/<br />

Personalratsvorsitzende, die betrieblichen Gesundheitsexperten (Betriebsarzt, Vertreter der<br />

Arbeitssicherheit), leitende Akteure aus dem Organisations- bzw. Personalmanagement so-<br />

wie Führungskräfte der oberen Managementebene. Bei Bedarf sind weitere Führungskräfte<br />

und Mitarbeiter betroffener Abteilungen sowie externe Experten (Krankenkassen, Berufsge-<br />

nossenschaften) einzubeziehen. Das Gremium sollte möglichst über ein eigenes Budget<br />

verfügen und über dessen Verwendung selbstständig entscheiden können.<br />

Bereitstellung von Ressourcen<br />

Glaubwürdigkeit und Akzeptanz der betrieblichen Gesundheitspolitik setzen die Bereitstel-<br />

lung adäquater Ressourcen seitens des Managements voraus. Dazu gehören zum einen<br />

finanzielle Mittel für die Realisierung von Projekten oder Maßnahmen. Darüber hinaus sind<br />

den verantwortlich handelnden Akteuren ausreichende zeitliche Ressourcen zur Verfügung<br />

zu stellen, um die anstehenden Aufgaben im BGM professionell bewältigen zu können.<br />

Schließlich ist für eine adäquate räumliche und technische Ausstattung zu sorgen.<br />

Festlegung personeller Verantwortlichkeiten<br />

Eine erfolgreiche betriebliche Gesundheitspolitik und ein leistungsfähiges BGM erfordern,<br />

dass personelle Verantwortlichkeiten benannt und ihre Aufgaben und Kompetenzen eindeu-<br />

tig definiert und festgelegt werden. Zu den relevanten betrieblichen Aufgabenträgern gehört<br />

eine vom Management für das Thema verantwortlich eingesetzte Person, die als Bindeglied<br />

zwischen oberster Führungsebene, Lenkungsausschuss, Projektteams sowie Führungskräf-<br />

ten und Mitarbeitern betroffener Unternehmensteile fungieren sollte. Der BGM-Beauftragte<br />

ist auf die nachhaltige Unterstützung des Managements und der Arbeitnehmervertretung<br />

angewiesen. Darüber hinaus sollte der Beauftragte über adäquate Fach-, Methoden- und<br />

Sozialkompetenzen verfügen. Je nach Unternehmensgröße und -struktur kann es sinnvoll<br />

sein, in einzelnen Unternehmensbereichen zusätzlich dezentrale Gesundheitsbeauftragte<br />

oder „Kümmerer“ einzusetzen, die den Beauftragten bei seiner Arbeit operativ unterstützen.<br />

Qualifizierung<br />

Eine nachhaltig betriebene Gesundheitspolitik bedeutet eine betriebliche Innovation, die<br />

neue Anforderungen an die handelnden Akteure stellt. Dafür sind sie entsprechend vorzube-<br />

20


eiten und zu qualifizieren. Langjährige Erfahrungen in der universitären Aus- und Weiterbil-<br />

dung zeigen, dass insbesondere folgende Kompetenzen erforderlich sind:<br />

strategische Kompetenzen zu den Zielen und Rahmenbedingungen betrieblicher<br />

Gesundheitspolitik (Betriebsvereinbarungen, Formen der angemessenen Willensbil-<br />

dung, Ressourcenbereitstellung, Umgang mit den rechtlichen Möglichkeiten);<br />

Grundlagenwissen über Gesundheitskonzepte (pathogenetische und salutogenetische<br />

Ansätze) und Zusammenhänge zwischen Arbeit, Organisation, Gesundheit und Be-<br />

triebsergebnis, über Prävention und Gesundheitsförderung;<br />

fachlich-methodische Kompetenzen zur aktiven Mitarbeit beim Aufbau eines BGM so-<br />

wie bei der Durchführung und Steuerung gesundheitsförderlicher Projekte und Maß-<br />

nahmen;<br />

Systemische Verarbeitung von Erfahrungswissen über mehr oder weniger erfolgsrele-<br />

vante Vorgehensweisen in der betrieblichen Gesundheitspolitik und dem BGM;<br />

soziale und mediative Kompetenzen zum Umgang mit Hemmnissen, Widerständen<br />

und Konflikten im Rahmen von angestoßenen Veränderungsprozessen und Kooperati-<br />

onsproblemen der betrieblichen Gesundheitsakteure.<br />

Beteiligung und Befähigung der Beschäftigten<br />

Oberstes Ziel der betrieblichen Gesundheitspolitik ist die Verbesserung von Gesundheit und<br />

Wohlbefinden der Beschäftigten. Dies setzt die aktive Beteiligung der Mitarbeiter an der Pla-<br />

nung und Umsetzung des BGM und an der gesundheitsförderlichen Gestaltung ihrer Ar-<br />

beitsbedingungen voraus sowie ihre Befähigung zu einem gesundheitsgerechten Verhalten.<br />

Qualifizierungsmaßnahmen, die sich an die Mitarbeiter richten, sollten sie befähigen, durch<br />

eine gesundheitsbewusste Lebens- und Arbeitsweise ihre eigene Gesundheit zu erhalten<br />

und zu fördern, die Entstehung von Krankheiten zu verhüten und einem vorzeitigen Ver-<br />

schleiß aktiv entgegenzuwirken.<br />

Betriebliche Gesundheitsberichterstattung<br />

Grundlegend für den nachhaltigen Erfolg der betrieblichen Gesundheitspolitik ist ein daten-<br />

gestütztes Vorgehen – um den Handlungsbedarf zu objektivieren und den Erfolg der durch-<br />

geführten Maßnahmen bewerten zu können. Alle ermittelten gesundheitsbezogenen Daten<br />

und Kennzahlen sollten in einem regelmäßig veröffentlichten betrieblichen Gesundheitsbe-<br />

richt dokumentiert werden. Der betriebliche Gesundheitsbericht erfüllt dabei folgende Funkti-<br />

onen: Er dient als Instrument der innerbetrieblichen Information und Kommunikation, liefert<br />

eine Grundlage für die frühzeitige Identifizierung von Handlungsbedarfen und Festlegung<br />

von Prioritäten und unterstützt die Planung, Umsetzung sowie das Controlling im BGM. Eine<br />

21


gute Dokumentation der gesundheitsbezogenen Daten und Aktivitäten schafft zudem Trans-<br />

parenz, indem sie den Gesamtprozess und getroffene Entscheidungen zu jedem Zeitpunkt<br />

nachvollziehbar macht.<br />

Internes Marketing<br />

Eine erfolgreiche betriebliche Gesundheitspolitik erfordert ein professionelles internes Marke-<br />

ting, d. h. eine systematische und fortlaufende Kommunikation im Unternehmen darüber,<br />

was bereits erreicht wurde und für die weitere Zukunft geplant ist. Eine gute Kommunikation<br />

ist erforderlich, um das Thema Gesundheit insgesamt im Unternehmen bekannt zu machen<br />

bzw. um das Interesse der Belegschaft dafür zu wecken und die Akzeptanz zu steigern so-<br />

wie um die betroffenen Mitarbeiter von Beginn an in die angestoßenen Prozesse mit einzu-<br />

beziehen.<br />

Durchführung des Lernzyklus<br />

Im Mittelpunkt des Vorgehens steht – orientiert am PDCA-Zyklus – ein Regelkreis aus den<br />

vier Prozessen Diagnose, Planung, Intervention und Evaluation. Auf die datengestützte Or-<br />

ganisationsdiagnose folgen die Festlegung messbarer organisations- und personenbezoge-<br />

ner Ziele, die Definition, Planung und Durchführung von Projekten zur Zielerreichung sowie<br />

der Abgleich zwischen festgelegten Zielen und tatsächlich erreichten Ergebnissen (Evaluati-<br />

on). Durch das regelmäßige Durchlaufen dieses Lernzyklus werden die Prozessorientierung<br />

und das Prinzip der kontinuierlichen Verbesserung gewährleistet.<br />

Lernzyklus<br />

Evaluation<br />

(Ist-/Soll Abgleich)<br />

Diagnose<br />

(Ist-Analyse/<br />

Ausgangssituation)<br />

Intervention<br />

(Durchführung und<br />

Controlling von<br />

Maßnahmen)<br />

Abbildung 1: Lernzyklus im BGM<br />

(Quelle: Walter 2010: 155)<br />

Interventionsplanung<br />

(Auswahl von Maßnahmen<br />

und Instrumenten,<br />

Maßnahmenplanung)<br />

Integration in die betrieblichen Routinen<br />

Entwicklung und Umsetzung einer aktiven betrieblichen Gesundheitspolitik bedeuten einen<br />

längerfristigen Lern- und Entwicklungsprozess, der eine kontinuierliche und nachhaltige Un-<br />

terstützung durch das Management und die Arbeitnehmervertretung erfordert. Eine erfolgrei-<br />

22


che, BGM-gestützte betriebliche Gesundheitspolitik setzt insbesondere folgende Integrati-<br />

onsleistungen voraus:<br />

einen evidenzbasierten, kennzahlengestützten und leitliniengetriebenen Verbesse-<br />

rungsprozess mit Anschluss und Integration z. B. in eine „Balanced Score Card“,<br />

die Integration der Gestaltungsfelder Technik-Human-Sozialkapital bzw. Technik, Or-<br />

ganisation, Personal (TOP) ergänzt durch Führung und Unternehmenskultur,<br />

die Integration der pathogenen und der salutogenen Sicht auf die Menschen und die<br />

Organisation unter Berücksichtigung der spezifischen Bedingungen von jungen und äl-<br />

teren Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen,<br />

die Integration von gesundheitsbezogenen Dienstleistungen, nicht nur der Fachkräfte<br />

für Arbeitssicherheit und Betriebsärzte zu verschiedenen „Gefügeleistungen“ z. B. dem<br />

Gesundheitsbericht oder einem BEM,<br />

die Integration in den Alltag von bereits existierenden Managementsystemen, der Füh-<br />

rungsarbeit und von Veränderungsprojekten<br />

sowie die verbindliche Integration von Maßnahmen zur Verbesserung der gesund-<br />

heitsbezogenen Bedingungen in die betrieblichen Veränderungsprojekte und –<br />

prozesse (Blume 2010b: 277).<br />

Integration der Aufgabe „ Gesundheit“<br />

Mitbestimmung/<br />

Beteiligung<br />

Unternehmenskultur<br />

Unternehmensführung<br />

Methoden/<br />

Verfahren<br />

Unternehmensziele<br />

Veränderungs-<br />

Projekte<br />

Gesundheit<br />

Managementsysteme<br />

(Prozesse/ Regeln/ Rollen)<br />

Daten-/ Informationserfassung/<br />

-aufbereitung<br />

Abbildung 2: Integration der Aufgabe „Gesundheit“<br />

(Quelle: Blume 2010b: 275)<br />

Führungsalltag<br />

Mitarbeiterverhalten<br />

Arbeitssystemgestaltung<br />

23


4. Die Motorfunktion des Betriebsrates 4 in der betrieblichen Gesundheitspolitik<br />

Die betriebliche Gesundheitspolitik liefert Rahmenbedingungen und entwickelt Strukturen<br />

und Prozesse für eine gesundheitsförderliche Arbeits- und Organisationsgestaltung. Ziel ist<br />

es, Gesundheit und Wohlbefinden der Mitarbeiter zu stärken und darüber die Voraussetzung<br />

für gute Betriebsergebnisse und wirtschaftlichen Erfolg zu schaffen. Alle Beschäftigtengrup-<br />

pen – Führungskräfte, Gesundheitsexperten, Interessenvertretungen und Mitarbeitende –<br />

müssen in die Ausgestaltung der betrieblichen Gesundheitspolitik eingebunden werden und<br />

mit ihrem Wissen und ihren Fähigkeiten zum Erfolg der Gesundheitspolitik beitragen.<br />

Dem Betriebsrat kommt hierbei vor allem die Rolle eines Machtpromotors zu: Als „Anwalt“<br />

der Beschäftigten sollte er gemeinsam mit dem Arbeitgeber dafür Sorge tragen, dass das<br />

Thema Gesundheit im Betrieb einen angemessenen Stellenwert erhält, messbare Ziele for-<br />

muliert werden, adäquate Ressourcen bereit stehen und die Mitarbeitenden ausreichende<br />

Beteiligungsmöglichkeiten erhalten.<br />

Darüber hinaus sollte der Betriebsrat auch aktiver Mitgestalter bei der Umsetzung und Aus-<br />

gestaltung der betrieblichen Gesundheitspolitik sein. Grundlegende Einflussmöglichkeiten<br />

ergeben sich nicht zuletzt über die Mitbestimmungsrechte des Betriebsverfassungsgesetzes<br />

in Verbindung mit der Arbeits- und Gesundheitsschutzgesetzgebung. Der Betriebsrat hat<br />

demzufolge nicht nur die Möglichkeit, eine überwachende Rolle in der betrieblichen Gesund-<br />

heitspolitik einzunehmen (Überwachungspflicht), sondern hat gleichsam die Aufgabe, aktiv<br />

auf die Entwicklung eines prozesshaften BGM hinzuwirken und das BGM mitzugestalten.<br />

Der Betriebsrat als Bindeglied zwischen Beschäftigten und Arbeitgeber besitzt eine zentrale<br />

Treiber- bzw. Motorfunktion für die betriebliche Gesundheitspolitik. Diese ergibt sich aus den<br />

entsprechenden Rahmenregulierungen der Arbeitsschutzgesetzgebung und hier insbeson-<br />

dere des ArbSchG.<br />

Das Arbeitsschutzgesetz als rechtliche Grundlage der betrieblichen Gesundheitspoli-<br />

tik<br />

Mit der Neufassung des ArbSchG im Jahre 1996 wurde „erstmals in der Geschichte eine<br />

einheitliche gesetzliche Grundlage für den Arbeits- und Gesundheitsschutz (AuG) der Be-<br />

schäftigten in allen Tätigkeitsbereichen“ (Bäcker u. a. 2000: 446) vorgelegt. Des Weiteren<br />

kann das ArbSchG aufgrund seines direkten und indirekten Einflusses auf das übrige Ar-<br />

beitsschutzrecht als Rahmengesetz des Arbeitsschutzsystems und -rechts angesehen<br />

4 Im Rahmen des hier beschriebenen Forschungsprojektes wurden im Wesentlichen Betriebsräte untersucht.<br />

Im Folgenden wird daher stets von Betriebsräten gesprochen.<br />

24


werden (Pieper 2009: 76). Mit dem „neuen“ ArbSchG wurde mit der bisherigen Unfall- und<br />

Arbeitsschutztradition in Deutschland gebrochen und ein für deutsche Verhältnisse anderer<br />

Rechtstypus für den Arbeits- und Gesundheitsschutz geschaffen (Blume 2010a: 110).<br />

Das ArbSchG vereint den Begriff der Sicherheit mit dem Begriff der Gesundheit bei der Ar-<br />

beit. Sicherheit wird dabei im Sinne des klassischen Arbeitsschutzes als Schutz vor tech-<br />

nisch und organisatorisch verursachten bzw. verhältnis- oder verhaltensbedingten Unfällen<br />

bei der Arbeit verstanden. Der Gesundheitsbegriff ergänzt das eher technisch orientierte<br />

Sicherheitsziel im Sinne eines Oberbegriffs. Das zu erreichende Ziel des betrieblichen Ar-<br />

beits- und Gesundheitsschutzes macht seither nicht mehr bei der rein kurativen Mängelbe-<br />

seitigung halt, sondern fordert – darüber hinaus gehend – die vorausschauende, präventive<br />

menschengerechte Gestaltung der Arbeit.<br />

Im Mittelpunkt steht somit ein neuer Gesundheitsbegriff. Dieser umfasst demnach auch die<br />

physischen und geistig-seelischen Faktoren, die sich auf die Gesundheit auswirken und nicht<br />

nur auf das Freisein von Krankheiten und Gebrechen (vgl. Art. 3e ILO-Übereinkommen 155).<br />

Dieser Gesundheitsbegriff findet sich im ArbSchG, speziell im § 2 Abs. 1, wieder, der eine<br />

menschengerechte Gestaltung von Arbeit fordert. Ziel ist die allgemeine Verbesserung der<br />

Bedingungen, unter denen die Arbeit zu leisten ist. Es geht hierbei um Belastungen, die mit-<br />

tel- und langfristig zu Gesundheitsbeeinträchtigungen führen können sowie um die „Berück-<br />

sichtigung des Faktors Mensch".<br />

In den sich mit Arbeitsgestaltung befassenden Wissenschaften existieren verschiedene Be-<br />

wertungsmodelle menschengerechter Arbeitsgestaltung, über deren Bewertungskriterien in<br />

der Fachwelt Einigkeit besteht (s. Jürgen u. a. 1997). Unabhängig von der zu diskutierenden<br />

hierarchischen Ordnung der Gestaltungsziele sollen diese am Beispiel des Modells von Ulich<br />

(Ulich 2005) kurz skizziert werden. Demzufolge soll Arbeit schädigungslos sein, indem ar-<br />

beitsphysiologische, -medizinische und technische Gestaltungsanforderungen an Arbeit er-<br />

füllt sind. Arbeitstätigkeiten müssen die notwendigen Voraussetzungen dafür erfüllen, dass<br />

bei der Arbeit keine manifesten Gesundheitsschäden, bspw. durch Unfälle oder arbeitsbe-<br />

dingte Erkrankungen, auftreten. Das nächste Kriterium fordert, die psychosozialen Beein-<br />

trächtigungen von Arbeitstätigkeiten zu minimieren. Hierbei ist zu beurteilen, ob die vorhan-<br />

denen Erschwernisse und Beeinträchtigungen insbesondere des psychosozialen Wohlbefin-<br />

dens (Ulich 2005: 147) für die Betroffenen zumutbar sind (Abwesenheit von Stress, Monoto-<br />

nie, Sättigung etc.). Arbeit soll zum dritten persönlichkeitsförderlich gestaltet sein, d. h., sie<br />

soll so gestaltet werden, dass erworbene Fähigkeiten und Fertigkeiten in die Arbeit einge-<br />

bracht werden können und Beschäftigte ihre Lern- und Entwicklungsmöglichkeiten sowie<br />

Handlungs- und Entscheidungsspielräume erweitern können. Das vierte Zielkriterium der<br />

Zumutbarkeit unterliegt einer subjektiven Bewertung, die aber von gesellschaftlichen Normen<br />

und Werten mit definiert wird. „Seine Anwendung zur Bewertung von Arbeitstätigkeiten erfor-<br />

25


dert die Berücksichtigung der Qualifikationen und des Anspruchsniveaus der Beschäftigten“<br />

(Ulich 2005: 149).<br />

Neben allgemeinen Anforderungen an die menschengerechte Gestaltung von Arbeitstätigkei-<br />

ten regelt das ArbSchG weiterhin die grundlegenden Aufgaben, Rechte und Pflichten des<br />

betrieblichen Arbeits- und Gesundheitsschutzes. In den allgemeinen Grundsätzen in § 4<br />

ArbSchG wird gefordert, dass „Maßnahmen mit dem Ziel zu planen sind, Technik, Arbeitsor-<br />

ganisation, sonstige Arbeitsbedingungen, soziale Beziehungen und den Einfluss der Umwelt<br />

auf den Arbeitsplatz sachgerecht zu verknüpfen“.<br />

Das bestehende Arbeitsschutzsystem bedeutet eine „Verbetrieblichung“ des Arbeits- und<br />

Gesundheitsschutzes, da es den Arbeitgeber als Normadressat zu einer selbst gesteuerten<br />

kontinuierlichen Verbesserung des betrieblichen Arbeitsschutzniveaus, dessen Überwa-<br />

chung und Anpassung an die selbst gewählten Sicherheits- und Gesundheitsziele verpflich-<br />

tet. Dieser kontinuierliche Verbesserungsprozess des betrieblichen Arbeits- und Gesund-<br />

heitsschutzniveaus soll durch den Aufbau entsprechender Organisations- bzw. Manage-<br />

mentstrukturen („Organisationspflicht“ § 3 ArbSchG), die Anwendung avancierter Verfahren<br />

und Instrumente der betrieblichen Prävention (z. B. ganzheitliche Gefährdungsbeurteilungen<br />

nach Art der Arbeitstätigkeiten, § 5 ArbSchG) sowie die Integration des Arbeitsschutzes in<br />

betriebliche Führungsstrukturen (§ 3 ArbSchG) und eine verstärkte Mitarbeiterbeteiligung<br />

realisiert werden (vgl. Faber 2004: 332). Mit dieser „Verbetrieblichung“ wird das Politikfeld<br />

Gesundheit für die betrieblichen Akteure weit geöffnet.<br />

Eine zentrale Rolle für die betriebliche Gesundheitspolitik spielt die Verpflichtung (des Ar-<br />

beitgebers als Normadressat), eine Beurteilung der Arbeitsbedingungen durchzuführen, um<br />

die sich aus dieser Beurteilung ergebenden Gefährdungen für die entsprechenden Maßnah-<br />

men des Arbeitsschutzes ermitteln zu können, dies zu dokumentieren und die getroffenen<br />

Maßnahmen einer Wirkungskontrolle zu unterziehen. Diese Beurteilung hat sich auf nahezu<br />

alle Tätigkeitsbereiche und Beschäftigten zu erstrecken.<br />

Der Begriff der zu ermittelnden Gefährdungen wird dabei weit gefasst und umfasst auch so-<br />

ziale Beziehungen. § 5 Abs. 3 ArbSchG nennt neben der Gestaltung von Arbeitsplätzen in<br />

einer nichtabschließenden Aufzählung auch bspw. die Auswahl von Arbeitsmitteln und Ar-<br />

beits- und Fertigungsverfahren, die Arbeitsabläufe und Arbeitszeit sowie ihr Zusammenwir-<br />

ken und eine unzureichende Qualifizierung und Unterweisung als mögliche Quellen von ar-<br />

beitsbedingten Gefährdungen.<br />

Die Gefährdungsbeurteilung bildet die logische Voraussetzung für die effiziente und effektive<br />

Planung, Durchführung und Wirksamkeitsüberprüfung von entsprechenden Maßnahmen. Sie<br />

wird somit zum operativen Dreh- und Angelpunkt der betrieblichen Gesundheitspolitik.<br />

26


Eine weitere durch das ArbSchG formulierte Grundpflicht ist die Bereitstellung bzw. der Auf-<br />

und Ausbau einer „geeigneten Organisation“ (§ 3 Abs. 2 Nr. 1) des betrieblichen Arbeits- und<br />

Gesundheitsschutzes, seine Integration in betriebliche Abläufe und die Förderung der Mitwir-<br />

kung der Beschäftigten. Dabei ist die Forderung nach einer geeigneten Organisation nicht<br />

additiv zu anderen Verpflichtungen zu sehen, sondern stellt die operative Grundlage der be-<br />

trieblichen Gesundheitspolitik dar. Die Bereitstellung einer geeigneten Organisation beinhal-<br />

tet auch die Einbindung in die betrieblichen Führungsstrukturen. Die betriebliche Organisati-<br />

on soll die Zuständigkeiten und Befugnisse der betrieblichen Akteure festlegen, mögliche<br />

Mängel der Sicherheitskommunikation abstellen sowie für eine angemessene Qualifikation<br />

und Unterweisung der Beschäftigten für die ihnen übertragenen Arbeitsaufgaben sorgen<br />

(Faber 2004: 198 ff.). Diese betriebliche Gesundheitsorganisation muss dabei geeignet sein,<br />

das Schutzziel der menschengerechten Gestaltung der Arbeit zu erreichen. Damit geht die<br />

Forderung über die vielfach bestehende, eher auf Arbeitssicherheit fokussierte Organisation<br />

bspw. der im ASiG geforderte Arbeitsschutzausschuss hinaus oder ist als Aufforderung zu<br />

lesen, diese bestehende Organisation an das höhere Schutzniveau anzupassen.<br />

Die Organisationspflicht beschränkt sich dabei nicht nur auf die Durchführung der konkret<br />

getroffenen Maßnahmen des Arbeitsschutzes, die unmittelbar auf den Schutz von Sicherheit<br />

und Gesundheit zielen und die Arbeitsbedingungen konkret beeinflussen. Sie bezieht sich in<br />

gleicher Weise auf die Planung der Maßnahmen und damit auf den der Planung zugrunde-<br />

liegenden kontinuierlichen Verbesserungsprozess sowie auf die Gefährdungsbeurteilung als<br />

zentralem gesetzlich normiertem Planungsinstrument (vgl. Kohte 2005).<br />

Der Arbeitgeber ist bei der konkreten Ausgestaltung der Organisation weitgehend frei und an<br />

kein bestimmtes, verallgemeinerungsfähiges Organisationsmodell gebunden. Damit trägt der<br />

Gesetzgeber dem Umstand Rechnung, die Organisation betriebsspezifisch nach Art, Größe<br />

etc. anpassen zu können. Aufgrund der prozesshaften Gestaltung des betrieblichen Arbeits-<br />

und Gesundheitsschutzes greifen die vom ArbSchG vorgegebenen Strukturen ineinander<br />

und sind in ihrer gemeinsamen Wirkung zu betrachten. In Gang gesetzt werden soll ein auf<br />

die betriebliche Gesundheitspolitik bezogener kontinuierlicher Verbesserungsprozess ent-<br />

lang eines Plan-Do-Check-Act- (PDCA-)bzw. Lern-Zyklus (s. Abb. 1). Der betriebliche Ar-<br />

beits- und Gesundheitsschutz wird damit, so Gensch, „viel deutlicher als bisher als ein nach<br />

bestimmten Vorgaben operierendes System konfiguriert“ (Gensch 2005: 531).<br />

Die Mitbestimmung des Betriebsrates als Grundlage der gesundheitspolitischen Akti-<br />

vitäten<br />

Mit der Neufassung einher geht, wie oben bereits ausgeführt, eine „Verbetrieblichung“ des<br />

Arbeits- und Gesundheitsschutzes. An die Stelle von vorgegebenen Normen, Werten, Vor-<br />

schriften etc. tritt nunmehr die Forderung den Arbeits- und Gesundheitsschutz entsprechend<br />

27


den tatsächlichen betrieblichen Bedingungen angemessen zu berücksichtigen. Im Zuge die-<br />

ser „Verbetrieblichung“ wandeln sich die Aufgaben der betrieblichen Mitbestimmungsakteure.<br />

War der Betriebsrat zuvor lediglich auf die Aufgabe beschränkt, die Einhaltung der gesetzli-<br />

chen Vorschriften zu überwachen, so ergeben sich mit dem „neuen“ ArbSchG von 1996 in<br />

Verbindung mit dem BetrVG darüber hinaus gehende Mitbestimmungs- und Beteiligungs-<br />

rechte der Betriebsräte.<br />

Durch die Rahmenregulierungen des ArbSchG ergeben sich in Verbindung mit dem Be-<br />

triebsverfassungsgesetz Gestaltungsspielräume für die betriebliche Interessenvertretung.<br />

Zudem enthalten neben dem ArbSchG eine Reihe von arbeitsrechtlichen Spezialgesetzen<br />

Regelungen über die Beteiligung des Betriebsrates, bspw. das Arbeitssicherheitsgesetz (u.a.<br />

Zusammenarbeit mit dem Betriebsrat, Arbeitsschutzausschuss, Mitbestimmung bei Bestel-<br />

lung betrieblicher ASiG-Experten) und die Sozialgesetzbücher VII (Bestellung von Sicher-<br />

heitsbeauftragten, § 22) und IX (BEM, § 84)<br />

Diese durch das Arbeits- und Gesundheitsschutzsystem implementierte „Verbetrieblichung“<br />

der betrieblichen Gesundheitspolitik ermöglicht den Betriebsräten Mitbestimmung nach dem<br />

BetrVG, wie auch mehrere Urteile des Bundesarbeitsgerichts bestätigen (vgl. BAG 2002,<br />

BAG 2004, BAG 2008). Der Betriebsrat hat entsprechend dem BetrVG folgende Rechte und<br />

Aufgaben im Zusammenhang mit dem betrieblichen Arbeits- und Gesundheitsschutz:<br />

Unter die allgemeinen Aufgaben des Betriebsrates fällt es, die Durchführung der „zugunsten<br />

der Arbeitnehmer geltenden Gesetze, Verordnungen, Unfallverhütungsvorschriften, Tarifver-<br />

träge und Betriebsvereinbarungen“ zu überwachen (§80 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG), wobei ihm ein<br />

umfassendes Informationsrecht zusteht (§ 80 Abs. 2 BetrVG) und ihm die Hinzuziehung von<br />

Sachverstand zusteht (§ 80 Abs. 3). Der § 89 Abs. 1 BetrVG fordert den Betriebsrat auf,<br />

„sich dafür einzusetzen, dass die Vorschriften über den Arbeitsschutz und die Unfallverhü-<br />

tung im Betrieb […] durchgeführt werden“. Zu diesem Zweck soll der Betriebsrat mit den für<br />

den Arbeits- und Gesundheitsschutz zuständigen Behörden und sonstigen Stellen und Per-<br />

sonen zusammenarbeiten.<br />

Der Betriebsrat hat die Möglichkeit, auf freiwilliger Basis Betriebsvereinbarungen über zu-<br />

sätzliche Maßnahmen zur Verhütung von Arbeitsunfällen und Gesundheitsschädigungen<br />

abzuschließen (§ 88 BetrVG). In den §§ 90 f. werden ihm Unterrichtungs- und Beratungs-<br />

rechte eingeräumt bei der Gestaltung von Arbeitsplatz, Arbeitsablauf und Arbeitsumgebung<br />

bzw. ein Mitbestimmungsrecht bei Änderungen, „die den gesicherten arbeitswissenschaftli-<br />

chen Erkenntnissen über die menschengerechte Gestaltung der Arbeit offensichtlich wider-<br />

sprechen“ (§ 91 BetrVG).<br />

Neben den genannten Paragrafen räumt zudem der § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG dem Betriebs-<br />

rat ein qualifiziertes Mitbestimmungsrecht bei „Regelungen über die Verhütung von Arbeits-<br />

28


unfällen und Berufskrankheiten sowie über den Gesundheitsschutz im Rahmen der rechtli-<br />

chen Vorschriften“ ein. Das Mitbestimmungsrecht nach § 87 betrifft Regelungen in den ge-<br />

nannten Bereichen, „sofern eine gesetzliche oder tarifliche Regelung nicht besteht“. Wie be-<br />

reits oben ausführlich dargelegt, stellt das ArbSchG lediglich eine Rahmenregelung dar, nicht<br />

aber eine konkrete Regelung. Das Betriebsverfassungsgesetz ermöglicht dem Betriebsrat<br />

somit eine erzwingbare Mitbestimmung insbesondere hinsichtlich der Ausgestaltung der ope-<br />

rativen Gesundheitspolitik durch die Gefährdungsbeurteilung und auch bei der Gestaltung<br />

der Organisation des betrieblichen Arbeits- und Gesundheitsschutzes.<br />

Durch die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur Mitbestimmung nach § 87 Abs. 1<br />

Nr. 7 setzt das Mitbestimmungsrecht eine gesetzliche Handlungspflicht bei gegebenem be-<br />

trieblichem Handlungsspielraum voraus. Dieser muss unter Beachtung des gegebenen<br />

Schutzniveaus ausgefüllt werden. Die dazu notwendigen Regelungen sind Gegenstand des<br />

Mitbestimmungsrechts.<br />

Aufgrund der gesetzlichen Bestimmungen sowie höchstrichterlicher Spezifikationen besteht<br />

zusammenfassend insbesondere in folgenden Bereichen Mitbestimmung:<br />

Gefährdungsbeurteilung nach § 5 ArbSchG,<br />

Art der vorgeschriebenen Dokumentation nach § 6 ArbSchG,<br />

Unterweisung der Beschäftigten gemäß § 12 ArbSchG,<br />

Maßnahmen zum Gesundheitsschutz entsprechend §§ 3 Abs. 1 und 4 ArbSchG,<br />

Schritte zur betrieblichen Organisation des Arbeitsschutzes gemäß § 3 Abs. 2 Ziffer 1<br />

und Abs. 2 ArbSchG,<br />

Beauftragung fachkundiger Personen im Gesundheitsschutz nach § 13 Abs. 2<br />

ArbSchG,<br />

arbeitsmedizinische Vorsorgeuntersuchungen gemäß § 11 ArbSchG und § 6 Bild-<br />

schirmarbeitsverordnung.<br />

Mitbestimmung besteht nicht nur, wenn der Arbeitgeber handelt. Vielmehr hat der Betriebsrat<br />

ein qualitatives Initiativrecht. Das heißt, dass der Betriebsrat von sich aus zu jeder Zeit aktiv<br />

werden und Regelungen bzw. Maßnahmen im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften vor-<br />

schlagen kann. Das dabei maßgebende Schutzniveau wird im ArbSchG formuliert: die men-<br />

schengerechte Gestaltung aufgrund gesicherter arbeitswissenschaftlicher Erkenntnisse.<br />

Maßnahmen in diesem mitbestimmten Bereich unterliegen zudem der Zustimmung des Be-<br />

triebsrates. Der Begriff des Gesundheitsschutzes ist entsprechend den Ausführungen zum<br />

Arbeitsschutzrecht (s. o.) umfassend und weit gefasst zu verstehen.<br />

29


Die Rolle des Betriebsrates im Rahmen der betrieblichen Gesundheitspolitik<br />

Während das ArbSchG die Arena der betriebspolitischen Gesundheitspolitik eröffnet, sichert<br />

das Betriebsverfassungsgesetz die Mitbestimmung des Betriebsrates im Arbeits- und<br />

Gesundheitsschutz rechtlich ab. Das Recht auf Mitbestimmung beinhaltet aber zugleich die<br />

Verpflichtung, die gegebenen Rechte wahrzunehmen und mit Leben zu füllen. Für die dem<br />

Betriebsrat in der betrieblichen Gesundheitspolitik zukommende Motorfunktion muss das<br />

Wechselspiel zwischen eher passiver Überwachung einerseits und der aktiven Initiativwahr-<br />

nehmung auf der anderen Seite näher beleuchtet werden.<br />

Die Überwachungsverpflichtung rekurriert auf die Pflichten des Arbeitsgebers, wie sie im<br />

ArbSchG festgeschrieben sind. Der Betriebsrat hat zum einen die allgemeine Aufgabe, darü-<br />

ber zu wachen, dass die zugunsten der Beschäftigten geltenden Arbeits- und Umweltschutz-<br />

vorschriften sowie die Unfallverhütungsvorschriften durchgeführt werden (vgl. § 80 Abs.1<br />

Nr.1 BetrVG).<br />

Der Betriebsrat hat aber darüber hinaus auch ein Initiativrecht und damit eine Initiativaufga-<br />

be, in der betrieblichen Gesundheitspolitik tätig zu werden. Neben der erzwingbaren Mitbe-<br />

stimmung nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 resultiert diese Aufgabe bspw. aus der Bestimmung in § 80<br />

Abs. 1 Ziffer 9, wonach der Betriebsrat Maßnahmen des Arbeitsschutzes fördern soll, oder<br />

das Überwachungsrecht des § 89 Abs. 1. Den Betriebsräten kann damit eine aktive Rolle,<br />

mithin eine Motorfunktion, zugeschrieben werden.<br />

Neben der Aufgabe der Überwachung und der Initiative dort, wo den gesetzlichen Pflichten<br />

nicht nachgekommen wird, ist der Betriebsrat dazu angehalten, nicht nur zu überwachen<br />

oder zu reagieren, sondern bestehende Aktivitäten, Prozesse, Verfahren etc. der betriebli-<br />

chen Gesundheitspolitik aktiv (mit-)zugestalten. Diese Gestaltungsaufgabe erstreckt sich<br />

insbesondere auf die durch „Verbetrieblichung“ mitbestimmungsrelevanten Aspekte, bspw.<br />

die Organisationspflicht oder die Anwendung von Verfahren und Instrumente der betriebli-<br />

chen Prävention.<br />

Diese Motorfunktion bezieht sich aber nicht allein auf die konkreten „Maßnahmen des Ar-<br />

beitsschutzes“, sondern setzt globaler an der Gesamtheit gesundheitsbezogener Aktivitäten<br />

an, bspw. auch an der Bearbeitung psychischer (Fehl-)Belastungen oder der Ausgestaltung<br />

einer angemessenen, präventionsorientierten Gesundheitsschutzorganisation. Das ArbSchG<br />

beinhaltet explizit die Forderung, die betriebliche Gesundheitspolitik als kontinuierlichen Ge-<br />

staltungsprozess auf Grundlage des PDCA-Zyklus anzulegen (§§ 3. Abs. 1). Diese und die<br />

Forderung nach der geeigneten Organisation des betrieblichen Arbeits- und Gesundheits-<br />

schutzes decken sich weitgehend mit den Anforderungen an ein BGM (vgl. Kap. 3).<br />

Im Idealzustand erfüllt jedes Unternehmen seine rechtlichen Verpflichtungen, und die be-<br />

triebliche Gesundheitspolitik entsteht aus der gemeinsamen vertrauensvollen Zusammenar-<br />

30


eit der Betriebsparteien. Der Betriebsrat hat aktiv dazu beizutragen, dass Arbeit menschen-<br />

gerecht gestaltet wird, dass die betriebliche Organisation so gestaltet ist, dass Gesundheit<br />

sowohl in der Aufbau- als auch in der Ablauforganisation integriert ist, dass sie implementiert<br />

ist in die Führungsstrukturen und die Beteiligung der Mitarbeiter gegeben ist. Seine Motor-<br />

funktion ist dabei umso bedeutender, je weniger stark ausgeprägt die betriebliche Gesund-<br />

heitspolitik ist.<br />

Voraussetzung für eine erfolgreiche Wahrnehmung der Motorfunktion sind neben der Unter-<br />

stützung durch die Beschäftigten vor allem die Entwicklung strategischer und operativer<br />

Kompetenzen im Bereich der betrieblichen Gesundheitspolitik und des BGM.<br />

31


5. Aktivitäten der Sozialpartner und Qualifizierungsangebote in der betrieblichen<br />

Gesundheitspolitik<br />

Betriebliche Interessenvertreter können auf unterschiedliche Unterstützungsangebote von<br />

Gewerkschaften (Kapitel 5.1) und Bildungsträgern (Kapitel 5.3) zurückgreifen, um ihre Kom-<br />

petenzen im Bereich der betrieblichen Gesundheitspolitik weiterzuentwickeln. Vor dem Hin-<br />

tergrund der in Kapitel 9 formulierten Empfehlungen erscheint es zudem ratsam, auch einen<br />

Blick auf ausgewählte Angebote der Arbeitgebervertretungen zu werfen (Kapitel 5.2).<br />

5.1 Aktivitäten der Gewerkschaften<br />

Die nächsten Abschnitte sollen, ohne Anspruch auf Vollständigkeit, einige ausgewählte Akti-<br />

vitäten der Gewerkschaften im Themenfeld betrieblicher Gesundheitspolitik darstellen. Die<br />

Kampagnen bzw. Daueraufgaben agieren dabei selten direkt mit dem Gesundheitsbegriff<br />

(Ausnahme IG BCE), sondern priorisieren eine gute bzw. eine faire Arbeit. Die Reihenfolge<br />

der Beschreibung stellt gleichzeitig die historische Entwicklung der Aktivitäten dar. Den Pro-<br />

zess angestoßen hat demnach die IG Metall mit ihrer Initiative „Gute Arbeit“, bevor die ver-<br />

schiedenen Landesverbände von ver.di die Kampagne „Faire Arbeit“ und die IG BCE die<br />

Kampagne "Mehr Gesundheit! Danke“. auf den Weg gebracht haben. Der DGB-Index „Gute<br />

Arbeit“ kann schließlich als die Integration der verschiedenen Aktivitäten in Form eines auf<br />

Dauer angelegten Erhebungsinstruments betrachtet werden. Eine Zusammenfassung der<br />

hier vorgestellten gewerkschaftlichen Aktivitäten – ergänzt um die Inhalte der diesbezügli-<br />

chen Experteninterviews – ist in Kapitel 7.1.6 nachzulesen.<br />

5.1.1 Gute Arbeit (IG Metall)<br />

Das Projekt „Gute Arbeit“ der IG Metall ist eine wissenschaftlich begleitete gewerkschaftliche<br />

Initiative zur Humanisierung der Arbeitswelt, mit dem Ziel, Betriebe, Tarifparteien und Politik<br />

für eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen zu gewinnen. Ausgehend von einem Leitbild<br />

„Gute Arbeit“ wurden vielfältige Maßnahmen und Verfahren erarbeitet, die auf dem Weg zu<br />

diesem Ideal Hilfestellung leisten sollen. Dazu zählen Diagnoseinstrumente, betriebliche<br />

Handlungshilfen (etwa zu Gefährdungsbeurteilungen), Workshop-Angebote sowie diverse<br />

Informationsmaterialien. Im Projektzeitraum vom September 2004 bis September 2007 konn-<br />

ten zudem zahlreiche Betriebe für das Projekt gewonnen werden. Verstetigung erfuhr das<br />

Projekt unter anderem durch regelmäßige Publikationen, bspw. die „Tipps für den Arbeits-<br />

platz“ oder das Jahrbuch „Gute Arbeit“.<br />

32


Im Folgenden werden Hintergründe und Ziele der Initiative sowie ihre Relevanz in der gesell-<br />

schaftlichen und wirtschaftspolitischen Debatte skizziert. Zudem soll die Rolle, die den Be-<br />

triebsräten im Rahmen der Kampagne zugedacht wird, beleuchtet werden. Dazu wird unter<br />

anderem auf Informationen des Internetauftritts der IG Metall sowie auf Beiträge der Zeit-<br />

schrift und des Jahrbuchs „Gute Arbeit“ der Jahre 2009 und 2010 zurückgegriffen.<br />

Hintergründe und Ziele der Initiative „Gute Arbeit“?<br />

Nach Auffassung der IG Metall ist Arbeit dann als „gut“ zu bezeichnen, wenn sie Gesundheit<br />

und Lebensqualität der Beschäftigten fördert und jeder Einzelne seine Fähigkeiten einbrin-<br />

gen kann. Zudem müssen die Arbeitsbedingungen so gestaltet sein, dass die Vereinbarkeit<br />

von Beruf und Familie gewährleistet ist und die Arbeitsfähigkeit bis zum Rentenalter erhalten<br />

bleibt. Im Einzelnen bedeutet dies auch, dass Beschäftigte mitreden und mitgestalten kön-<br />

nen, ein gerechtes Entgelt gezahlt wird, nachhaltiger Arbeits- und Gesundheitsschutz betrie-<br />

ben wird und dass soziale Sicherheit ohne Diskriminierung möglich ist. Nach Auffassung der<br />

IG Metall unterscheidet sich die betriebliche Realität jedoch drastisch von diesem Idealbild.<br />

Im Arbeitsalltag herrsche Dauerstress, geringe Bezahlung, übertarifliche Arbeitszeit und Dis-<br />

kriminierung leistungsgeminderter Beschäftigter vor. Nur jeder Zweite gehe momentan davon<br />

aus, bis zum Rentenalter arbeitsfähig zu bleiben 5 .<br />

Klaus Pickshaus, Leiter des Ressorts Arbeits- und Gesundheitsschutz beim Vorstand der IG<br />

Metall, stellt die schlechten Arbeitsbedingungen in einen breiteren Zusammenhang. Zu-<br />

nächst nennt er Entgrenzungsphänomene der Arbeit als Folge post-tayloristischer Manage-<br />

mentkonzepte. Diese setzten auf die Selbststeuerungskompetenz der Beschäftigten und<br />

nutzten sie systematisch zur Prozessoptimierung. In Folge davon komme es zur<br />

Vermarktlichung der Arbeitsorganisation und Arbeitsbeziehungen. Die Steuerung erfolge<br />

indirekt anhand betriebswirtschaftlicher Kennzahlen und Zielvorgaben, welche sukzessive<br />

erhöht würden, bei gleichzeitiger Verknappung der Ressourcen (vgl. Pickshaus 2000). Es<br />

entstehe eine „Ökonomie der Maßlosigkeit“, ausgerichtet auf die Bedürfnisse der Finanz-<br />

märkte und der Shareholder, die an kurzfristigen Profiten orientiert sei, innovative Arbeits-<br />

und Fabrikorganisation verhindere und die Human-Ressourcen systematisch vernachlässige<br />

(vgl. Pickshaus 2009a: 42). So sei, guten rechtlichen Rahmenbedingungen zum Trotz, in der<br />

Praxis eine permanente Absenkung der Standards menschengerechter Arbeitsgestaltung zu<br />

beobachten (vgl. Pickshaus und Urban 2009).<br />

Um diesen Entwicklungen entgegenzusteuern, wurde das Projekt „Gute Arbeit“ ins Leben<br />

gerufen. Es umfasst im Wesentlichen drei Dimensionen: Zunächst stellt es sich vor dem Hin-<br />

tergrund des Ökonomisierungsdrucks die Aufgabe, schlechter Arbeit Grenzen zu setzen. Zu<br />

diesem Zweck sollen die betrieblichen Akteure gestärkt und qualifiziert werden (Wider-<br />

5 http://www.igmetall.de/cps/rde/xchg/internet/style.xsl/view_1472.htm<br />

33


standsdimension). Zusätzlich geht es darum, eigene Konzepte zur Gestaltung von Arbeits-<br />

bedingungen zu entwickeln und, gestützt auf erweiterte Arbeitsschutz- und Mitbestimmungs-<br />

rechte, betriebspolitisch handlungsfähig zu werden (Gestaltungsdimension). Ferner möchte<br />

„Gute Arbeit“ zu einem Zukunftskonzept beitragen, welches darauf ausgerichtet ist, in einer<br />

Situation der Defensive die Ansprüche der Beschäftigten an der Qualität ihrer Arbeit zu stär-<br />

ken und darüber hinaus soziale Phantasie freizusetzen (Zukunftsdimension) (vgl. Pickshaus<br />

und Urban 2008). Grundlage für die verschiedenen laufenden Initiativen stellt auch der seit<br />

2007 jährlich erhobene „DGB-Index Gute Arbeit“ dar. Dieser signalisiert, in welchem Grad<br />

und in welchen Dimensionen die realen Arbeitsbedingungen den Kriterien guter Arbeit ent-<br />

sprechen (vgl. bspw. Pickshaus und Stuth 2009, s. auch Kapitel DGB-Index Gute Arbeit).<br />

Rolle der Interessenvertretung<br />

Seitens der IG Metall wird „Gute Arbeit“ als Querschnittsaufgabe der betrieblichen Interes-<br />

senvertretung gesehen, die Bestandteil zahlreicher Problemfelder ist, mit denen sich Be-<br />

triebsräte ohnehin auseinanderzusetzen haben. Somit handele es sich nicht um eine Zu-<br />

satzaufgabe, vielmehr verlangten die verschränkten Handlungsfelder nach einer neuen Ori-<br />

entierung und Strukturierung der Interessenvertretungsarbeit anhand der Leitlinien guter Ar-<br />

beit. Sie gewährleisten nach Ansicht von Kasch (Kasch 2007) Kontinuität der Betriebsratspo-<br />

litik und teilen die Arbeit in einzelne, gut zu bewältigende Arbeitspakete. Mit den Werkzeugen<br />

und Argumenten von Guter Arbeit ließen sich die „Attacken“ auf die Sozialstandards erfolg-<br />

reich abwehren oder zumindest in Grenzen halten; sie eigneten sich dazu, betriebsübergrei-<br />

fende Diskussionen anzustoßen, ohne Keile zwischen Betriebsrat und Belegschaft zu trei-<br />

ben. Darüber hinaus sollen die Themen dazu dienen, bei Materien ohne formelle Beteili-<br />

gungsrechte einen „Fuß in die Tür“ zu bekommen. Auf Beschäftigtenseite ermöglichten sie<br />

Partizipation und erleichterten die Konsensfindung bei zersplitterten Belegschaften. Schließ-<br />

lich bestehe eine hohe Anschlussfähigkeit an wissenschaftliche Beratung und gewerkschaft-<br />

lichen Austausch, einzelne Initiativen, Arbeitsgruppen und Themenfelder könnten unter dem<br />

Label „Gute Arbeit“ zusammengefasst und integriert werden. Somit stärke die Kampagne<br />

prinzipiell die Stellung der Interessenvertreter im Betrieb.<br />

Allerdings konstatiert Pickshaus erhebliche Probleme im betrieblichen Alltag. Angesichts<br />

einer Wettbewerbslogik der Renditemaximierung und Kostenkürzungen, der indirekten Steu-<br />

erung, des Benchmarking anhand von Kennzahlen und allgemein der Ökonomisierung na-<br />

hezu aller betrieblichen Prozesse, ständen die Beschäftigten und ihre Vertreter vor einem<br />

Dilemma: Trotz steigendem Problemdrucks (durch massive Verletzung der Interessen der<br />

Beschäftigten an guten und gesunden Arbeitsbedingungen) treten Themen wie Leistungsbe-<br />

dingungen und Arbeitsgestaltung zugunsten von Beschäftigungs- und Standortsicherung in<br />

den Hintergrund. Zwischen den beiden Themenkomplexen bestehe ein potentielles Trade-<br />

Off. Unter den Bedingungen der Wirtschaftskrise sei zu erwarten, dass das Handlungsfeld<br />

34


„Gute Arbeit“ weiter in die Defensive gerate, um Entlassungen abzuwehren (vgl. Pickshaus<br />

2009b: 284).<br />

5.1.2 Faire Arbeit (ver.di)<br />

Die hier betrachtete Initiative „Faire Arbeit“ der Gewerkschaft ver.di bezieht sich auf den<br />

Fachbereich Finanzdienstleistungen. Ziel des Fachbereiches ist es, eine Diskussion darüber<br />

anzustoßen, was unter den Bedingungen der „indirekten Steuerung“, dem aus Sicht von<br />

ver.di vorherrschenden Führungssystem im Finanzdienstleistungssektor, als lebenswerte,<br />

„faire“ Arbeit angesehen werden kann und wie die Beschäftigten für eine Verbesserung ihrer<br />

Arbeitssituation streiten können. Unter „indirekter Steuerung“ wird dabei ein Arbeitssystem<br />

verstanden, welches mit Hilfe von Zielvorgaben agiert, den Beschäftigten bei der Zielerrei-<br />

chung relativ freie Hand lässt, ihnen aber implizit auch einen Teil der unternehmerischen<br />

Verantwortung mit auferlegt, nämlich Managementaufgaben, Ressourceneinsatz und Markt-<br />

anforderungen aufeinander abzustimmen. Der Markt tritt den Mitarbeitern damit unmittelbar<br />

gegenüber. In der Folge unterlaufen sie aus Sicht von ver.di ständig und „freiwillig“ Arbeits-<br />

zeit- und Urlaubsregelungen sowie Regelungen, die dem Schutz ihrer psychischen und phy-<br />

sischen Gesundheit dienen. Gleichzeitig gehe bei der Vorgabe von Zielen das Maß für die<br />

menschliche Belastungsfähigkeit verloren, im Extremfall erlebe der Arbeitnehmer ein stetes<br />

Ausbrennen in Arbeitszeit und Freizeit (vgl. Drick 2008: 10).<br />

Aus Sicht der Gewerkschaft ergibt sich hieraus eine Vielzahl an Möglichkeiten, im Sinne der<br />

Beschäftigten tätig zu werden, gerade vor dem Hintergrund des als niedrig zu bezeichnen-<br />

den Organisationsgrades in dieser Branche. Somit ist „Faire Arbeit“ auch als Versuch zu<br />

verstehen, Mitglieder zu gewinnen und zu binden, den Dialog mit den Beschäftigten zu stär-<br />

ken und schließlich eine größere Schlagkraft bei der Durchsetzung tarifpolitischer Ziele zu<br />

erlangen (vgl. http://fidi.verdi.de/).<br />

Dabei ist festzuhalten, dass es sich bei „Faire Arbeit“ nicht um ein homogenes Gebilde han-<br />

delt, sondern vielmehr um eine Vielzahl an Initiativen einzelner ver.di Landesbezirke. Um die<br />

Bandbreite der Initiativen abbilden zu können, werden im nächsten Abschnitt die Aktivitäten<br />

aus Hamburg, NRW und Berlin-Brandenburg exemplarisch vorgestellt. Dabei wird auf Veröf-<br />

fentlichungen der Tarifpolitischen Grundsatzabteilung des ver.di-Fachbereichs Finanzdienst-<br />

leistungen zurückgegriffen.<br />

Hamburg<br />

Die Hamburger Kampagne deckt eine große Bandbreite an Themen ab. Dazu gehören ge-<br />

sunde und familienfreundliche Arbeitsbedingungen, Arbeitsplatzsicherheit, faire Bezahlung,<br />

mitarbeiterorientierte Unternehmenskultur, Personalentwicklung und erfolgreiche Unterneh-<br />

35


mensentwicklung. „Faire Arbeit“ verfolgt in Hamburg einen integrativen Ansatz. Vorrangiges<br />

Ziel ist es, betriebliche Bündnisse für „Faire Arbeit“ zwischen Vorstand, Betriebsrat und Ge-<br />

werkschaft ins Leben zu rufen. Dabei geht es nicht zuletzt darum, im Rahmen von Modell-<br />

projekten den Nachweis zu führen, dass faire und gesunde Arbeit einerseits die Lebensquali-<br />

tät der Beschäftigten verbessert, andererseits aber auch die Wettbewerbs- und Innovations-<br />

fähigkeit der Unternehmen erhöht. Durch die Fokussierung auf betriebliche Bündnisse wird<br />

das Problem umgangen, dass Fragen der Führungs- und Unternehmenskultur sowie der<br />

strategischen Ausrichtung eigentlich nicht der Mitbestimmung unterliegen (vgl. Hnyk 2008:<br />

22-24). Die Kampagne richtet sich damit nicht ausschließlich an die Arbeitnehmer, sondern<br />

an drei strategische Zielgruppen, die jeweils unterschiedlich angesprochen bzw. „überzeugt“<br />

werden müssen: Beschäftigte, Betriebsräte und Unternehmensleitung. Das Projekt wird ko-<br />

ordiniert von einer Leitungsgruppe auf Landesebene.<br />

Betriebsräte sollen durch Info-Veranstaltungen und Qualifizierungsmöglichkeiten z. B. zu<br />

Zielvereinbarungen, leistungsorientierter Bezahlung und Gesundheitsmanagement ange-<br />

sprochen werden. Insgesamt sollen die Betriebsräte über Themen, die mit „gesunden“ Ar-<br />

beitsbedingungen zusammenhängen, „einen Fuß in die Tür bekommen“. Beschäftigte sollen<br />

mit Workshops, Info-Materialien und Qualifizierungsmaßnahmen angesprochen werden. Da-<br />

bei geht es auch um den Umgang mit eigenen Be- und Überlastungen. Die Vorstandsebene<br />

soll mit Hilfe gewerkschaftsunabhängiger Experten überzeugt werden. Dabei steht eine be-<br />

triebswirtschaftliche Argumentation im Vordergrund (vgl. Hnyk 2008: 25).<br />

Die Zielformulierung beinhaltet den expliziten Hinweis, dass „Faire Arbeit“ „gesund“ sein<br />

muss. Dazu zählen sowohl Verhaltens- als auch Verhältnisprävention. Beschäftigte sollen<br />

qualifiziert werden, eigenverantwortlich und nachhaltig mit den eigenen Ressourcen umzu-<br />

gehen und eine individuelle Gesundheitskompetenz entwickeln. Andererseits soll z. B. durch<br />

Reduktion von Leistungsdruck und Leistungsverdichtung sowie durch eine altersgerechte<br />

Arbeitsgestaltung die Gesundheit der Beschäftigten verbessert werden bzw. länger erhalten<br />

bleiben. Das Thema Gesundheit wird, wie auch die anderen Aspekte „Fairer Arbeit“, als<br />

„Win-Win“ Situation gesehen (vgl. Hnyk 2008: 24-27).<br />

Inwiefern die Initiative aus Hamburg Erfolg zeigt, kann noch nicht klar gesagt werden, obwohl<br />

bereits mit dem „Bündnis für FAIRE ARBEIT“ zwischen Betriebsparteien einer Bank in Ham-<br />

burg ein Positivbeispiel angeführt werden kann. Allerdings sind Erfolg, Effizienz und Nach-<br />

haltigkeit dieses betrieblichen Bündnisses noch nicht evaluiert.<br />

Konzeptionell herrscht Pragmatismus. Die Initiative konzentriert sich völlig auf die betriebli-<br />

che Ebene und versucht, möglichst alle Betriebsparteien an einen Tisch zu bringen (Be-<br />

schäftigte, Betriebsrat und Unternehmensleitung). Dennoch bleiben durch den Kooperations-<br />

36


und Kompromisszwang auf der Umsetzungsebene, wenn es um konkrete Maßnahmen und<br />

auch um die Machverhältnisse innerhalb der „Bündnisse“ geht, viele Fragen offen.<br />

Nordrhein-Westfalen<br />

Auch die Initiative „Faire Arbeit“ des Fachbereiches Finanzdienstleistungen in NRW wird von<br />

einem Projektteam auf Landesebene koordiniert. Auslöser für den Start der Initiative in NRW<br />

ist der Eindruck steigender Be- und Überlastungserscheinungen bei gleichzeitiger Tabuisie-<br />

rung des Themas in der Finanzdienstleistungsbranche. Primäres Ziel ist es daher, die The-<br />

men Leistungsverdichtung, Belastung und Überforderung aus der „Tabuzone“ zu holen und<br />

die Beschäftigten dafür zu gewinnen, sich aktiv und betriebspolitisch mit diesen Themen<br />

auseinanderzusetzen. Dazu wird u.a. versucht, mit Betriebs- und Personalräten Betriebsver-<br />

sammlungen zu den Themen „Arbeitsbelastung“, „indirekte Steuerung“ und „Tarifvertrag Ge-<br />

sundheit“ zu organisieren. Weiterhin soll den Beschäftigten ermöglicht werden, sich z. B. in<br />

Form von Workshops oder ver.di-Veranstaltungen weiterhin mit diesen Themen zu befassen.<br />

Im Gegensatz zur ver.di-Strategie in Hamburg liegt der Fokus klar auf dem Schulterschluss<br />

zwischen Gewerkschaft, Interessenvertretung und Beschäftigten. Vorrangiges Ziel ist es<br />

nicht, kooperative Lösungen mit der Geschäftsleitung zu finden. Als Mittel werden u.a. Infor-<br />

mationskampagnen, ein „Selbstcheck zur indirekten Steuerung“ oder Überlastungsanzeigen<br />

durch „gelbe Karten“ eingesetzt. Über die betriebliche Ebene hinaus versucht die Initiative in<br />

NRW, Gesundheitsthemen zum Gegenstand (qualitativer) Tarifverhandlungen zu machen,<br />

so bspw. die erstmals in der Tarifrunde 2006 für private und öffentliche Banken gestellte<br />

Forderung nach einem Tarifvertrag Gesundheitsmanagement. Mit Hilfe des Gesundheits-<br />

themas soll der betrieblichen Aushöhlung von Flächentarifverträgen entgegengetreten wer-<br />

den (vgl. Bludau-Hoffmann u. a. 2008: 19-20).<br />

Inhaltlicher Ankerpunkt der Kampagne ist auch hier, aber stärker als in Hamburg, die Theorie<br />

der indirekten Steuerung, die die Mitarbeiter mit in die unternehmerische Verantwortung<br />

nehme, ohne sie zu echten Beteiligten bei der Gestaltung der Leistungs- und Arbeitsbedin-<br />

gungen zu machen. Zusätzlich stellt sich für ver.di die Herausforderung, dass indirekte Steu-<br />

erung auch mit einem positiv empfundenen Autonomiegewinn für die Beschäftigten verbun-<br />

den ist. Man müsse aufpassen, nicht als Verfechter von Anweisungen und Befehlen verstan-<br />

den zu werden (vgl. Bludau-Hoffmann u. a. 2008: 15-16).<br />

Im Gegensatz zur Kampagne in Hamburg fährt ver.di in NRW eine klare Konfliktstrategie, die<br />

am Interessengegensatz zwischen Beschäftigten und Arbeitgeber ansetzt. Durch Informati-<br />

on, mitgliederwirksame Aktionen und Protest soll die Arbeitgeberseite dazu gebracht werden,<br />

sich zu bewegen. Im Idealfall solle das Leistungsvorgabensystem deutlich eingeschränkt<br />

bzw. ganz abgeschafft werden. Ein integrativer Ansatz, der auch betriebswirtschaftliche As-<br />

pekte berücksichtigt und so auf die Arbeitgeberseite zugeht, wird explizit abgelehnt.<br />

37


Berlin-Brandenburg<br />

Initiativen im Sinne „Fairer Arbeit“ befinden sich in Berlin/Brandenburg noch in der Anfangs-<br />

phase, daher sind konkrete Aktivitäten bislang nur in begrenztem Umfang zu verzeichnen.<br />

Zum Projekt besteht seit 2007 ein Arbeitskreis, der sich aus zahlreichen Betriebsräten aus<br />

Unternehmen sowie zwei hauptamtlichen ver.di-Mitarbeitern zusammensetzt. Inhaltlich geht<br />

es um Probleme der Überlastung der Beschäftigten durch Personalabbau, Arbeitsverdich-<br />

tung sowie Personal- und Leistungsdruck. Die Beschäftigten sollen merken, dass es sich<br />

nicht um individuelle Probleme handelt. Durch Öffentlichkeitsarbeit soll eine gesellschaftspo-<br />

litische Debatte angestoßen werden, die die Position der Beschäftigten stärkt. Langfristig<br />

wird allerdings das Ziel verfolgt, das Problem tarifvertraglich zu lösen.<br />

Im Rahmen der Initiative initiierte der Arbeitskreis eine Befragung von Betriebsräten zu den<br />

Themen „Entwicklung der psychischen und physischen Belastungen“, „Arbeitsbedingungen“,<br />

„Gefährdungsbeurteilung“, „Arbeitsschutz“ und „Gefährdungsprävention“ (vgl. Wolf 2008: 42-<br />

44). In einer weiteren Aktion adressierte die Gewerkschaft mit einer Postkartenaktion („Gelbe<br />

Karten“) direkt die Beschäftigten. Ferner hat der Arbeitskreis Ende 2009 beschlossen, in re-<br />

gelmäßigen Abständen Informationen zu veröffentlichen, die im Zusammenhang mit dem<br />

Thema „Faire Arbeit“ stehen. Sie werden in Form von Flugblättern in den Betrieben verteilt<br />

(vgl. http://fidi.bb.verdi.de/faire_arbeit).<br />

Auch wenn die Kampagne noch am Anfang steht, ist abzusehen, dass sich ver.di in Ber-<br />

lin/Brandenburg tendenziell an der Linie von ver.di NRW orientiert. Auch hier liegt der Fokus<br />

klar auf den Mitarbeiterinteressen im Zusammenhang mit den negativen Folgen indirekter<br />

Steuerung. Weniger Beachtung als in Hamburg findet die betriebliche Ebene, gleichwohl<br />

Mitglieder des Arbeitskreises überwiegend Betriebspraktiker sind. Über diese Zusammenset-<br />

zung soll sichergestellt werden, dass die Kampagne die notwendige Rückbindung an die<br />

Betriebe nicht verliert.<br />

Vergleichende Zusammenfassung der verschiedenen Aktivitäten<br />

Unter dem einheitlichen Label „Faire Arbeit“ des ver.di-Fachbereichs Finanzdienstleistungen<br />

verbergen sich auf Bezirksebene unterschiedliche gewerkschaftliche Strategien, die sich<br />

zwar allesamt mit Themen der Leistungsverdichtung, der Be- und Überlastung von Mitarbei-<br />

tern sowie den entsprechenden gesundheitlichen Folgen auseinandersetzten, dabei jedoch<br />

recht unterschiedliche Ansätze verfolgen. Am besten lässt sich das anhand der gegensätzli-<br />

chen Kampagnen in Hamburg und NRW verdeutlichen. In Hamburg stehen kooperative Lö-<br />

sungen auf betrieblicher Ebene im Mittelpunkt. Die Rolle der Gewerkschaft ist dabei die ei-<br />

nes „Überzeugers“ und „Vermittlers“, der den betrieblichen Akteuren die jeweiligen Vorteile<br />

„Fairer Arbeit“ für ihre Handlungszusammenhänge deutlich macht. Dazu gehören auch be-<br />

triebswirtschaftliche Aspekte. Insofern löst sich die Gewerkschaft von traditionellen Konfliktli-<br />

38


nien zwischen Arbeit und Kapital und nimmt eine eher progressive Position „zwischen den<br />

Stühlen“ ein. Allerdings ist aus der Diskussion dieses Ansatzes unter den verschiedenen<br />

Fachbereichsvertretern auch die Befürchtung herauszuhören, als Gewerkschaft zwischen<br />

Arbeitgeber- und Arbeitnehmerinteressen aufgerieben zu werden und somit bei den Beschäf-<br />

tigten weiter an Profil zu verlieren. In NRW grenzt sich ver.di hingegen klarer vom Arbeitge-<br />

ber ab, verfolgt politisch eine völlig andere Strategie, die auf die Austragung von Konflikten<br />

abhebt und eine tarifvertragliche Lösung des Problems anstrebt. Hier geht es eher darum,<br />

den Schulterschluss mit den Beschäftigten und ihren betrieblichen Interessenvertretern zu<br />

suchen und deren Position im Verteilungskonflikt mit den Arbeitgebern zu stärken.<br />

Operativ unterstützen die verschiedenen regionalen ver.di-Initiativen die Betriebs- und Per-<br />

sonalräte mit einer reichhaltigen Werkzeugkiste angefangen mit Informationsblättern, Post-<br />

karten und Flyern zur Sensibilisierung der Betriebsräte und Mitglieder über Workshops und<br />

Diskussionen bis hin zu Seminaren bspw. im Hinblick auf die Rechtsgrundlagen des Arbeits-<br />

und Gesundheitsschutzes (ver.di 2010: 207). Darüber hinaus werden Betriebs- und Perso-<br />

nalräte auch unterstützt bei der Durchführung von Beschäftigtenumfragen in den Betrieben.<br />

5.1.3 „Modell Deutschland… zuerst der Mensch“ (IG BCE)<br />

Die Initiative „Gute Arbeit“ ist bei der IG BCE mit noch anderen Themen – u.a. der „Gesunde<br />

Mensch im gesunden Unternehmen“ – in eine umfassende Kampagne integriert, die sich<br />

„Modell Deutschland… zuerst der Mensch“ nennt, und im Jahr 2003 gestartet wurde. Diese<br />

Kampagne soll „dem Gesellschafts- und Wirtschaftsmodell der marktradikalen Kräfte eine<br />

politische Alternative entgegen stellen“ (gute Arbeit 2007a: 23). Betont wird, dass die einzel-<br />

nen Initiativen aufeinander abgestimmt sind und sich teilweise bewusst überschneiden, um<br />

so als Gewerkschaft einem „ganzheitlichen Ansatz der Arbeit in allen ökonomischen, sozia-<br />

len und individuellen Dimensionen“ (gute Arbeit 2007a: 23) gerecht werden zu können. Der-<br />

zeit umfasst die Kampagne die inhaltlichen Schwerpunkte „Gute Arbeit“, „Gute Ausbildung“,<br />

„Offensive: Bildung“, „Familie“ sowie „Gesundheit“.<br />

Hinsichtlich der Initiative „Gute Arbeit“ gibt es von Seiten der IG BCE eine Reihe von Aktivitä-<br />

ten. Eine grundsätzliche Positionierung findet in den 12 Thesen zur „Guten Arbeit“ statt (IG<br />

BCE ohne Jahresangabe a). Sie lauten:<br />

These 1 „Arbeit als Existenzgrundlage“<br />

These 2 „Gerechte Beteiligung am erwirtschafteten Erfolg“<br />

These 3 „Arbeitszeit ist Lebenszeit“<br />

These 4 „Mobile Arbeitswelten individuell und ökonomisch nutzen“<br />

39


These 5 „Work-Life Balance als Gestaltungsaufgabe entgrenzter Arbeit“<br />

These 6 „Chancengleichheit als oberstes Prinzip der Unternehmenskultur“<br />

These 7 „Zeitarbeit und Befristungen sind nur Notlösungen“<br />

These 8 „Alternsgerechtes Arbeiten ist ganzheitliches Prinzip der Arbeitsorganisation“<br />

These 9 „Führung, Respekt und Anerkennung sind harte Faktoren der Arbeit“<br />

These 10 „Erhalt der Beschäftigungschancen durch Qualifikation“<br />

These 11 „Zukunftsfähigkeit durch Mitbestimmung“<br />

These 12 „Arbeitszufriedenheit ist eine Quelle von Arbeitsproduktivität“<br />

Bezüge zum (BGM) werden explizit im Kontext alternsgerechten Arbeitens hergestellt. „Eine<br />

tendenziell dennoch höhere Lebensarbeitszeit erfordert ein ganzheitliches Gesundheitsma-<br />

nagementsystem, dass Folgen aus Langzeitbelastungen reduziert, körperliche wie psychi-<br />

sche Gefährdungen erkennt und geschlechtsspezifisch zu handhaben weiß“ (IG BCE ohne<br />

Jahres- und Seitenangabe a).<br />

Über die Thesen hinaus hat die IG BCE ein Handbuch für Betriebsräte herausgegeben, in<br />

dem sich verschiedenste Materialien und Arbeitshilfen finden (IG BCE ohne Jahresangabe<br />

b). Ausgehend von der Überzeugung, dass Gute Arbeit vor allem das Ergebnis einer guten<br />

Arbeitsgestaltung im Betrieb ist, soll das Handbuch die zentralen Aspekte der Initiative Gute<br />

Arbeit konkretisieren und Anregungen für eine betriebliche Umsetzung bieten. Aufgegriffen<br />

werden die Themen Entgrenzung der Arbeit, Work-Life-Balance, prekäre Beschäftigungsver-<br />

hältnisse, betriebliche Weiterbildung, alternsgerechte Arbeitsplätze, gute Ausbildung und der<br />

DGB-Index Gute Arbeit.<br />

Neben der Bereitstellung von Printmedien und aktiver Unterstützung durch die einzelnen<br />

Ansprechpartner bzw. Abteilungen hat die IG BCE im Mai 2008 eine Tagung „Gute Arbeit –<br />

Der Mensch steht im Mittelpunkt“ durchgeführt. Im Zentrum der Veranstaltung, an der rund<br />

200 Betriebsräte, Unternehmensvertreter und Experten aus Politik und Wissenschaft teil-<br />

nahmen, standen die Gestaltung und die Verbesserung von Arbeitsbedingungen. Diskutiert<br />

wurde über die weitreichenden Wandlungs- und Innovationsprozesse in der Arbeitswelt. Von<br />

Betriebsräten und Unternehmensvertretern wurden anschließend betriebliche Beispiele aus<br />

unterschiedlichen Branchen der IG BCE vorgestellt und somit veranschaulicht, wie diese<br />

Prozesse in den Unternehmen positiv aufgenommen werden können.<br />

Eine weitere Initiative unter dem Dach der Kampagne „Modell Deutschland… zuerst der<br />

Mensch“ nennt sich „Gesunder Mensch im gesunden Unternehmen“. Sie ist nach dem IG<br />

BCE-Frauentag im Jahr 2004 ins Leben gerufen worden und wird hinsichtlich der Thematik<br />

Gesundheit und Gender von den Abteilungen Frauen/Gleichstellung und Arbeitsschutz be-<br />

40


gleitet. Erklärtes Ziel ist es laut Internetdarstellung der IG BCE (IGBCE 2009a), den Arbeits-<br />

schutz um das Thema Gesundheit für Männer und für Frauen im Sinne des traditionellen<br />

Gewerkschaftsziels Gesunde Arbeit zu erweitern. Gesundheitsförderung und Prävention<br />

werden dabei als wichtige Beiträge erachtet, um der Kostenentwicklung im Gesundheitswe-<br />

sen und der demografischen Entwicklung zu begegnen. Die IG BCE bezieht sich in ihrer In-<br />

ternetdarstellung (IGBCE 2009b) auf die Gesundheitsdefinition aus der Ottawa-Charta der<br />

WHO.<br />

Bestandteil der Initiative „Gesunder Mensch im gesunden Unternehmen“ ist die Kampagne<br />

"Mehr Gesundheit! Danke“. Damit wirbt die IG BCE für ein ganzheitliches BGM und die stär-<br />

kere Gewichtung des Präventionsprinzips. Gefordert wird dabei die Berücksichtigung der<br />

unterschiedlichen Arbeits- und Lebenssituationen von Frauen und Männern, um Maßnahmen<br />

zur Verhaltens- und Verhältnisprävention erfolgreich entwickeln und umsetzen zu können. Zu<br />

beachten sei weiterhin, dass sich Belastungen und Gefährdungen verschoben hätten und<br />

insbesondere psychosoziale Belastungen und Stress zunähmen. Im Rahmen der Kampagne<br />

werden Plakate und Postkarten als Werbematerialien zu folgenden Themen zur Verfügung<br />

gestellt: a) Prävention: körperliches und seelisches Wohlbefinden fördern, stressfrei arbeiten,<br />

b) Ausgleich: entspannen, erholen und Kraft schöpfen, c) Teamgeist: nichts macht stärker<br />

als ein starkes Team und d) Führung: Ideen annehmen, zuhören und motivieren. Sie sollen<br />

die Belegschaft, Betriebsräte und auch die Arbeitgeberseite sensibilisieren und motivieren,<br />

eigene betriebliche Projekte zu initiieren. Weiterhin bietet die IG BCE ihren Mitgliedern ein<br />

Angebot an vertiefenden Informationen zum Themenfeld Arbeit und Gesundheit unter Be-<br />

rücksichtigung des Gender-Aspektes sowie zahlreiche Arbeitsmaterialien an. Die Kampagne<br />

wird auch als ein Instrument zur Mitgliederwerbung verstanden: „Unsere Kampagne eignet<br />

sich hervorragend zur Mitgliederwerbung, indem wir aufzeigen, dass zu den aktuellen Fra-<br />

gen des Arbeits- und Gesundheitsschutzes die IG BCE Antworten und Anregungen für be-<br />

triebliche Projekte anbieten kann“ (IG BCE ohne Jahresangabe c, S. 1).<br />

Über diese Servicefunktion hinaus hat die IG BCE in Kooperation mit der <strong>Hans</strong>-<strong>Böckler</strong>-<br />

<strong>Stiftung</strong> ein Forschungsprojekt zum Thema "Betriebliche Gesundheitsförderung für Männer<br />

und Frauen am Beispiel Stress" durchgeführt. Ziel war es, die Aktivitäten zur Gesundheits-<br />

förderung in den Betrieben zwischen Beschäftigten, betrieblichen Fachleuten, Gewerk-<br />

schaftsvertretern, Arbeitsschutzexperten und Fachleuten aus Berufsgenossenschaften und<br />

Krankenkassen zu vernetzen. Beendet wurde das Projekt mit einer Fachtagung im Septem-<br />

ber 2009. Zu den wesentlichen Erkenntnissen des Projekts zählen, dass Stress und psychi-<br />

sche Belastungserscheinungen kein spezifisches Frauenproblem sind und Frauen und Män-<br />

ner eher von den gleichen Auslösern gestresst sind. In den drei Fallstudienunternehmen<br />

konnten eher feine Unterschiede in der Stressauslösung festgemacht werden. Z. B. beklagen<br />

sich Männer häufiger über eine mangelnde Anerkennung durch Vorgesetzte, während Frau-<br />

41


en sich in der Tendenz eher bei Entscheidungen übergangen fühlen. Als Praxismaßnahmen<br />

in den Unternehmen, in denen die Betriebsräte eng mit der Personalabteilung während des<br />

Projekts zusammengearbeitet haben, sind beispielsweise in einzelnen Abteilungen "Runde<br />

Tische" und "Meckerrunden" implementiert worden, um Stress auslösende Probleme recht-<br />

zeitig identifizieren zu können.<br />

5.1.4 DGB-Index Gute Arbeit<br />

Ziele des Index<br />

Die in den vorangegangenen Abschnitten beschriebenen Kampagnen bzw. Daueraufgaben<br />

„finden einen gemeinsamen Nenner im DGB-Index Gute Arbeit, der für die öffentliche Wirk-<br />

samkeit der Gewerkschaften eine integrierende und Impuls gebende Rolle spielen kann“<br />

(gute Arbeit 2007b: 21). Der Index wird seit dem Jahr 2007 jährlich unter den Beschäftigten<br />

aller Branchen in Deutschland erhoben. Ziel des Index ist es zu ermitteln, wie die abhängig<br />

Beschäftigten ihre Arbeitsbedingungen beurteilen. Des Weiteren soll die Befragung eine<br />

Grundlage bilden, um berufs- und arbeitspolitische Initiativen zu begleiten und betriebliche<br />

Arbeitsbedingungen zu analysieren sowie Verbesserungen vornehmen zu können.<br />

Schröder (Schröder 2007) stellt den DGB-Index Gute Arbeit darüber hinaus in einen arbeits-,<br />

gesellschafts- und gewerkschaftspolitischen Sinnzusammenhang. Er solle dienen „als<br />

• Medium einer öffentlichen Berichterstattung zur Qualität der Arbeit;<br />

• praktisches Bekenntnis zum Expertenanspruch der Beschäftigten in Sachen Gute Ar-<br />

beit;<br />

• Verfahren mit dem Potenzial zur Entfaltung von Eigendynamik, das der Verbesserung<br />

der Arbeitsbedingungen im Betrieb dient;<br />

• Maßstab zur Orientierung in einer veränderten Arbeitswelt;<br />

• sozialpolitisches Zeichen dafür, dass Gute Arbeit eine gesellschaftliche Gestaltungs-<br />

aufgabe ist;<br />

• Arsenal und Informationspool für gewerkschaftliche Initiativen zur Gestaltung der Ar-<br />

beitswelt“ (Schröder 2007: 20).<br />

Index-Inhalte<br />

Erhoben wird der DGB-Index Gute Arbeit mithilfe standardisierter Fragebögen (schriftliche<br />

Befragung) durch eine Stichprobenerhebung. Für diese Stichprobe werden Arbeitnehmern<br />

aller Regionen, Einkommensgruppen, Branchen, Betriebsgrößen und Beschäftigungsver-<br />

hältnissen gemäß ihres Anteils an den abhängig Beschäftigten befragt. Der DGB-Index er-<br />

42


hebt somit den Anspruch auf Repräsentativität für das Urteil der Arbeitnehmerschaft über die<br />

Arbeitsbedingungen in Deutschland.<br />

Das Erhebungsinstrument setzt sich aus 15 indexbildenden Arbeitsdimensionen zusammen:<br />

Qualifizierungs-/Entwicklungsmöglichkeiten, Kreativität, Aufstiegschancen, Einfluss-<br />

/Gestaltungsmöglichkeiten, Informationsfluss, Führungsqualität, Betriebskultur, Kollegiali-<br />

tät/soziales Klima, sinnvolle Arbeit, Arbeitszeit, Arbeitsintensität, körperliche Anforderun-<br />

gen/Umgebungsbedingungen, emotionale Anforderungen, Einkommen, Arbeitsplatzsicher-<br />

heit. Für jede Dimension werden Indexwerte zwischen 0 (schlechtester Wert) und 100 (bes-<br />

ter Wert) gebildet, die anschließend zum DGB-Index (ebenfalls zwischen 0 und 100) verdich-<br />

tet werden. Zusätzlich wird differenziert zwischen drei Teilindizes (Ressourcen, Belastungen<br />

sowie Einkommen und Sicherheit).<br />

An dieser Stelle muss hinzugefügt werden, dass zwar nach emotionalen und körperlichen<br />

Anforderungen gefragt wird. Das Thema Gesundheit findet aber weder in den Teilindizes,<br />

noch in den einzelnen Arbeitsdimensionen explizit Berücksichtigung. Allerdings ist mit der<br />

Befragung im Jahr 2009 ein Themenkomplex „Arbeit und Gesundheit“ in die Befragung auf-<br />

genommen worden. Durch diese erstmalige Integration ließen sich zwar noch keine Trends<br />

ableiten, dennoch wiesen die Ergebnisse darauf hin, dass die „Arbeitsgestaltung (…) über<br />

weite Strecken den Kriterien für Nachhaltigkeit nicht gerecht [wird], an denen die Gesund-<br />

heitsförderung auch und gerade in der Arbeitswelt zu messen ist“ (Stuth 2010: 140).<br />

Index-Diskussion<br />

Der Index steht hinsichtlich seiner Transparenz und wissenschaftlichen Qualität von ver-<br />

schiedenen Seiten in der Kritik. Beispielsweise sei es die Folge von Konstruktionsmängeln in<br />

der Bewertungsmethodik, dass nur sehr wenige Arbeitsplätze das Prädikat „gute Arbeit“ er-<br />

hielten. Weiterhin wird bemängelt, dass der Nachweis nicht erbracht worden sei, dass der<br />

Index die wissenschaftlichen Gütekriterien erfüllt. Zudem wird die Tauglichkeit für den Ein-<br />

satz auf betrieblicher Ebene angezweifelt (Prümper und Richenhagen 2009). Auch von Ar-<br />

beitgebervereinigungen wird dem DGB-Index Gute Arbeit methodische Intransparenz, wenig<br />

Wissenschaftlichkeit und zweifelhafte Repräsentativität vorgeworfen (Gesamtmetall und Ifaa<br />

2009). Den Kritiken wiederum begegnen Gewerkschaftsvertreter und die für den Index me-<br />

thodisch Verantwortlichen mit unterschiedlichen Veröffentlichungen (z. B. Schröder und Ur-<br />

ban 2010, Fuchs 2009). Pickshaus und Stuth (Pickshaus und Stuth 2009: 26) verteidigen<br />

u.a. die umstrittene Skalierung des Instruments. Sie „berücksichtigt den Forschungsstand zur<br />

menschengerechten und gesundheitsförderlichen Gestaltung der Arbeit und sie korrespon-<br />

diert mit den Ansprüchen der Beschäftigten an eine gute Gestaltung der Arbeitsbedingun-<br />

gen“. Mit dem Index hätten u.a. die Betriebs- und Personalräte „ein exzellentes Instrument,<br />

um die Arbeitsqualität in Unternehmen, Betrieben, Organisationen und Abteilungen auf der<br />

43


Basis der Angaben derjenigen zu bewerten, die die Arbeitsbedingungen am besten kennen:<br />

die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer“ (Hexel 2010: 138). Mit der öffentlichen Reaktion<br />

auf den DGB-Index – die für das Thema Gute Arbeit als sehr wichtig angesehen wird<br />

(Kulemann 2007) – ist man zudem bezüglich der Intensität und der positiven Darstellung<br />

zufrieden (Fahimi u. a. 2010).<br />

Ausgewählte Index-Ergebnisse 6<br />

Der DGB-Index erreichte im Jahr 2007 (Schulz u. a. 2007) einen Wert von 58 Punkten. 12%<br />

der Beschäftigten haben demnach gute und 34% schlechte Arbeit. 54% arbeiten unter mit-<br />

telmäßigen Arbeits- und Einkommensbedingungen. Die Einkommenssituation wird neben<br />

den Aufstiegsmöglichkeiten und der Arbeitsplatzsicherheit von allen 15 Arbeitsdimensionen<br />

am schlechtesten bewertet. Am besten schneiden der Sinngehalt der Arbeit und die Kollegia-<br />

lität ab. Wo Betriebs- oder Personalräte die Interessen der Mitarbeiter vertreten, werden<br />

bessere Arbeitsbedingungen angegeben als in den Unternehmen, wo keine Interessenver-<br />

tretungen existieren. Weiter zeigt die Untersuchung von 2007, dass das Urteil der Beschäf-<br />

tigten im Wesentlichen von der Gestaltung der Arbeitsbedingungen und weniger von der<br />

Branche, den beruflichen Tätigkeiten, dem Geschlecht oder dem Alter abhängig ist. Die<br />

Kernansprüche an gute Arbeit lauten: Sicherheit des Arbeitsplatzes, ein klarer und umfas-<br />

sender Informationsfluss, eine gute Gestaltung der emotionalen Anforderungen und ein an-<br />

gemessenes Einkommen. Nur jeder Zweite gibt an, unter den derzeitigen Arbeitsbedingun-<br />

gen seine Tätigkeit bis zum Rentenalter ausüben zu können.<br />

Die Index-Ergebnisse für das Jahr 2008 (DGB-Index Gute Arbeit GmbH 2008) zeigen ein<br />

ähnliches Bild. Die durchschnittliche Arbeitsqualität der Beschäftigten erreicht einen Index-<br />

wert von 59 Punkten. Auch in dieser Untersuchung wurde festgestellt, dass Mitarbeiter aus<br />

Betrieben, die eine Mitarbeitervertretung haben, ihre Arbeit besser bewerten als die, die kei-<br />

nen Betriebs- oder Personalrat haben. Des Weiteren geben nur 30% der Befragten an, an<br />

einem Arbeitsplatz zu arbeiten, an dem einmal (13%) oder mehrere Male (17%) eine Ge-<br />

fährdungsbeurteilung durchgeführt wurde. 41% geben an, dass an ihrem Arbeitsplatz keine<br />

Gefährdungsbeurteilung durchgeführt wurde und 29% antworteten mit „weiß nicht“. Nach der<br />

Befragung 2008 geht außerdem nur jeder zweite Beschäftigte davon aus, den derzeitigen<br />

Arbeitsbedingungen bis zum Rentenalter standhalten zu können. Die Kernansprüche der<br />

Beschäftigten sind ein klarer und umfassender Informationsfluss, eine respektvolle Behand-<br />

lung, ein ausreichendes und leistungsgerechtes Einkommen sowie gute berufliche Zukunfts-<br />

aussichten/Arbeitsplatzsicherheit.<br />

6 Unter http://www.dgb-index-gute-arbeit.de [23.2.2010] können die verschiedenen Ergebnisberichte heruntergeladen<br />

werden. Die jährlichen Reports werden ergänzt durch Sonderauswertungen.<br />

44


Im Jahr 2009 erreicht der DGB-Index erneut einen Wert von 58 Punkten (DGB-Index Gute<br />

Arbeit GmbH 2009). Insgesamt lassen sich im Vergleich zu den beiden Erhebungen in den<br />

Vorjahren bundesweit kaum Bewegungen erkennen – auch nicht bei den gut bzw. schlecht<br />

bewerteten Einzeldimensionen. Diese Konstanz kann darauf hindeuten, dass sich die Be-<br />

schäftigten in ihrem Urteil über ihre Arbeitsbedingungen relativ sicher sind. Verfügen die Be-<br />

triebe über einen Betriebs- oder Personalrat, gehen 53% der Beschäftigten davon aus, ihren<br />

derzeitigen Arbeitsanforderungen bis zur Rente gewachsen zu sein. In Betrieben ohne Inte-<br />

ressenvertretung tun dies lediglich 48% der Belegschaft. Der Anteil derer, die in den letzten<br />

12 Monaten mindestens einmal krank zur Arbeit gegangen sind, liegt bei 80% und die Hälfte<br />

der Befragten ging sogar mehrmals krank zur Arbeit. Von den Beschäftigten mit wahrge-<br />

nommener schlechter Arbeit möchten 48% den Arbeitgeber wechseln, aber nur 5% von de-<br />

nen mit wahrgenommener guter Arbeit. Mit dem Erhalt der Arbeitskraft rechnen 68% der<br />

Beschäftigten, die keiner Arbeitshetze ausgesetzt sind, aber nur 19% der Arbeitnehmer, die<br />

unter hohem Zeitdruck arbeiten.<br />

Regelmäßig wird festgestellt, dass sich das Vorhandensein eines Betriebs- oder Personal-<br />

rats förderlich auf die Einschätzung der Befragten auswirkt, ob sie in ihrem Unternehmen<br />

eher gute oder eher schlechte Arbeit haben. Bezogen auf den Gesamtindex macht die Exis-<br />

tenz einer Interessenvertretung allerdings so gut wie keinen Unterschied (für das Jahr 2009<br />

z. B. 59 Punkte mit und 57 Punkte ohne Interessenvertretung).<br />

Auf die Bedeutung der betriebsrätlichen Arbeit im Rahmen der betrieblichen Gesundheitspo-<br />

litik wird mit dem Index nicht explizit eingegangen. Für die Arbeit von Betriebs- und Personal-<br />

räten können der DGB-Index Gute Arbeit bzw. seine Ergebnisse dennoch als ein wertvolles<br />

unterstützendes Instrument angesehen werden. Erstens erhalten sie mit der jährlichen Be-<br />

fragung einen allgemeinen Überblick darüber, wie die abhängig Beschäftigten ihre Arbeitssi-<br />

tuation wahrnehmen. Die einzelnen Ergebnisdimensionen bieten zweitens die Gelegenheit,<br />

die darin implizit enthaltenen Gesundheitsaspekte explizit zu machen und sie auf die Unter-<br />

nehmensagenda zu setzen. Drittens bieten die Indexbefragungen auf Unternehmensebene –<br />

möglichst angepasst auf die individuelle Situation des Unternehmens und ergänzt um Frage-<br />

stellungen zur Gesundheit – die Möglichkeit, die allgemeinen Befunde zu spezifizieren und<br />

konkrete Anhaltspunkte für einzuleitende Veränderungsprozesse zu generieren.<br />

5.2 Aktivitäten der Arbeitgeberverbände<br />

Die Arbeitgeberverbände in Deutschland beschäftigen sich seit einigen Jahren zunehmend<br />

intensiv mit dem Thema Gesundheit und betonen dessen Wert für die Unternehmen. So<br />

heißt es bspw. 2005 in einer Stellungnahme des BDA: „Ein aktiv betriebener und gut organi-<br />

sierter Arbeitsschutz reduziert arbeitsbedingte Gesundheitsgefahren und verbessert durch<br />

45


den Abbau von Fehlzeiten und die Vermeidung von Betriebsstörungen die Wettbewerbsfä-<br />

higkeit der Betriebe“. (BDA 2005: 4). Allerdings sehen sich BDA ebenso wie die überwiegen-<br />

de Zahl der Arbeitgeberverbände in der betrieblichen und überbetrieblichen Gesundheitspoli-<br />

tik weniger als handelnder Akteur denn als „Ratgeber“ und Unterstützer. Neue Entwicklun-<br />

gen und wissenschaftliche Erkenntnisse werden in verbandsinternen Publikationsmedien wie<br />

etwa den „Sozialpolitischen Kurzinformationen“ sowie auf Kongressen (z. B. „Hanauer Un-<br />

ternehmensforum für Gesundheit“ des Arbeitgeberverbands Hessen Chemie) thematisiert<br />

und weitergegeben. Diskussionen, wie man sich als Verband zum Thema Gesundheit positi-<br />

onieren will, finden sowohl verbandsintern als auch zwischen den Verbänden statt. Insbe-<br />

sondere vor dem Hintergrund des demografischen Wandels, der Verlängerung der Lebens-<br />

arbeitszeit und dem sich abzeichnenden Fachkräftemangel scheinen Themen des Gesund-<br />

heitsschutzes, der Gesundheitsförderung und des Gesundheitsmanagements zunehmend in<br />

den Fokus der Verbandspolitik zu geraten. Dieser Prozess ist längst nicht abgeschlossen, es<br />

gibt zwischen den Verbänden noch keine klar abgestimmte Position. Daher soll im Folgen-<br />

den skizziert werden, wie sich die Branchenverbände BAVC (Bundesarbeitgeberverband<br />

Chemie), Gesamtmetall sowie AGV (Arbeitgeberverband der Versicherungsunternehmen)<br />

positioniert haben, und welcher „Minimalkonsens“ aktuell beim Dachverband der Arbeitge-<br />

berverbände, der Bundesvereinigung Deutscher Arbeitgeberverbände (BDA), zu bestehen<br />

scheint. Grundlage dafür bilden offizielle Verbandspublikationen sowie Stellungnahmen zu<br />

aktuellen Entwicklungen in den verbandsinternen Publikationsmedien.<br />

5.2.1 Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA)<br />

Die BDA steht betrieblichem Gesundheitsschutz und betrieblicher Gesundheitsförderung<br />

eigenen Aussagen zufolge grundsätzlich positiv gegenüber. Aus Arbeitgebersicht können<br />

beide Aspekte wesentlich dazu beitragen, die Leistungsbereitschaft und die Leistungsfähig-<br />

keit zu erhalten bzw. zu steigern und gleichzeitig die Kosten krankheitsbedingter Ausfälle zu<br />

mindern. Dass die Mitarbeiter ohne Einschränkungen bis ins Rentenalter arbeiten können, ist<br />

aus Sicht der BDA vor allem in Zeiten des demografischen Wandels ein Schlüssel zu nach-<br />

haltigem Unternehmenserfolg (vgl. BDA 2009: 2).<br />

In einer gemeinsamen Stellungnahme mit dem DGB werden der verpflichtende Arbeits- und<br />

Gesundheitsschutz sowie die den Arbeitsschutz ergänzenden freiwilligen Maßnahmen der<br />

Gesundheitsförderung als Gestaltungsfelder einer zeitgemäßen betrieblichen Gesundheits-<br />

politik benannt (BDA und DGB 2004).<br />

Während der Arbeits- und Gesundheitsschutz in der Verantwortung der Unternehmen gese-<br />

hen wird, wird die Gesundheitsförderung als gesamtgesellschaftliche Aufgabe begriffen, zu<br />

der Betriebe auf freiwilliger Basis beitragen können. Jedoch müsse darauf geachtet werden,<br />

46


dass Maßnahmen der betrieblichen Gesundheitsförderung in einem angemessenen Kosten-<br />

Nutzen-Verhältnis stehen. Die BDA sieht an dieser Stelle erheblichen Forschungsbedarf. Die<br />

Unternehmen seien, wenn es um die Erforschung der Wirksamkeit und die entsprechende<br />

Vermittlung der gewonnenen Erkenntnisse gehe, auf die Unterstützung überbetrieblicher<br />

Akteure angewiesen. Darüber hinaus müssten spezielle Angebote für kleine und mittlere<br />

Unternehmen erarbeitet werden. Die BDA sieht als relevante überbetriebliche Akteure insbe-<br />

sondere Berufsgenossenschaften, Krankenkassen, Unfallversicherungsträger, Gesund-<br />

heitsministerien von Bund und Ländern sowie akteursübergreifende Netzwerke (vgl. BDA<br />

2009: 3-5). In dieser Aufzählung nicht genannt werden die Betriebsparteien bzw. ihre Ver-<br />

bände. Es wird darüber hinaus betont, dass sich Verhaltens- und Verhältnisprävention ge-<br />

genseitig ergänzen. Während (gesetzlich vorgeschriebene) Maßnahmen des Arbeits- und<br />

Gesundheitsschutzes der Verhältnisprävention dienen, zielen die (freiwilligen) Angebote der<br />

betrieblichen Gesundheitsförderung auf die Reduktion von Risikoverhaltensweisen der Mit-<br />

arbeiter. Die BDA vertritt den Standpunkt, dass derlei Angebote in Art und Umfang betriebs-<br />

individuell zu gestalten sind. Es handele sich dabei um eine Angelegenheit der betrieblichen<br />

Personalpolitik, die weder durch staatliche Bürokratie noch durch überbetriebliche Zertifizie-<br />

rungen eingeengt werden solle (vgl. BDA 2009: 7).<br />

Allerdings kann die BDA nach eigener Auffassung aktiv werden, indem sie konkrete Hilfestel-<br />

lungen für Arbeitgeber anbietet, bspw. durch das Vorhalten von Informationsmaterial zum<br />

Arbeitsschutz, zur demografischen Entwicklung und zu (Kurz-)Verfahren zur Messung psy-<br />

chischer Belastungen. Zudem sieht man sich als Ansprechpartner und Vermittler für Unter-<br />

nehmen auf der Suche nach den richtigen Ansprechpartnern und Institutionen und unterhält<br />

darüber hinaus eigene Beraterstäbe (Ingenieurberatung) und ein eigenes arbeitswissen-<br />

schaftliches Institut (IfaA e.V.).<br />

Es findet sich keine offizielle Position zur Rolle der Tarifparteien in der betrieblichen bzw.<br />

überbetrieblichen Gesundheitspolitik. Allenfalls lässt sich erahnen, dass der Umgang mit<br />

dem Thema Gesundheit intern nicht unumstritten ist. Die Mitgliedsverbände der BDA verfol-<br />

gen jeweils eigene, teilweise gegenläufige Strategien, wie auch die in diesem Rahmen auf-<br />

genommenen Beispiele zeigen. Während einige Verbände das Gesundheitsthema zur Gän-<br />

ze in der Hand einzelner Betriebe belassen möchten, sehen es andere durchaus als Ver-<br />

bandsaufgabe bzw. machen es explizit zum Gegenstand von Tarifverhandlungen.<br />

Im Folgenden betrachten wir diejenigen Verbände, die im Rahmen des Forschungsprojektes<br />

von besonderem Interesse sind. Zu diesem Zweck werden die zentralen Aktivitäten der<br />

Branchenverbände BAVC, Gesamtmetall und AGV exemplarisch zusammengefasst.<br />

47


5.2.2 Bundesarbeitgeberverband Chemie (BAVC)<br />

Der BAVC gehört zu den Arbeitgeberverbänden, die sich bereits im Rahmen von Tarifver-<br />

handlungen mit dem Gesundheitsthema beschäftigt haben. Im Jahr 2008 gelang es, zu-<br />

sammen mit der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE) den Tarifvertrag<br />

„Lebensarbeitszeit und Demografie“ zu verabschieden. Primäres Ziel war es, umfassende<br />

Antworten auf die demografische Herausforderung zu entwickeln. Kernbestandteil des Ver-<br />

trages war eine 2009 von allen Tarifunternehmen durchzuführende Demografie-Analyse, aus<br />

der Maßnahmen zur alters- und gesundheitsgerechten Gestaltung des Arbeitsprozesses, zur<br />

Qualifizierung während des gesamten Erwerbslebens, zur (Eigen-)Vorsorge und zur Nutzung<br />

flexibler Instrumente für gleitende Übergänge zwischen Bildungs-, Erwerbs- und Ruhe-<br />

standsphase abzuleiten sind (vgl. BAVC 2008: 2). Dazu gewähren die Arbeitgeber ab 2010<br />

pro Jahr und Beschäftigten einen Demografiebetrag von 300 Euro, der in einen virtuellen<br />

betrieblichen Demografiefonds fließt. Die Betriebsparteien können durch freiwillige Betriebs-<br />

vereinbarungen entscheiden, welche Elemente damit finanziert werden. Zur Wahl stehen<br />

Langzeitkonten, Altersteilzeit, Teilrente, Berufsunfähigkeitsschutz und tarifliche Altersvorsor-<br />

ge, wobei die einzelnen Instrumente untereinander kombinierbar sind. Nur wenn sich Unter-<br />

nehmen und Betriebsrat nicht einigen können, greift eine tarifliche Auffangregelung. Die Ent-<br />

scheidung über die konkrete Ausgestaltung bleibt also in der Hand der Betriebsparteien, je-<br />

doch gibt der Tarifvertrag einen Rahmen vor.<br />

Weiterhin unterstützt der Verband die Mitgliedsunternehmen aktiv bei der Umsetzung des<br />

Vertrages. Dazu gehören die Expertise speziell ausgebildeter „Demografieberater“ sowie die<br />

Zusammenstellung eines Softwarepakets mit Analysetools zum demografischen Wandel<br />

(vgl. Erlhöfer 2008: 8). Im Gegensatz zu den Positionen des Dachverbandes BDA geht der<br />

BAVC offensiv mit dem Thema Gesundheit im Betrieb um und fordert eine aktiv-<br />

gestalterische Rolle der Tarifparteien, wenngleich die konkrete Ausgestaltung der betriebli-<br />

chen Gesundheitspolitik in der Hand der Unternehmen bleibt. Auf die Formulierung eines<br />

Leitbildes oder gar das Setzen von Standards „guter“ betrieblicher Gesundheitsförderung<br />

bzw. „guten“ BGM wird verzichtet.<br />

5.2.3 Gesamtmetall<br />

Auch der Branchenverband der Metall- und Elektroindustrie beschäftigt sich mit dem Thema<br />

Gesundheit im Kontext des demografischen Wandels. Gesamtmetall betrachtet es als Ver-<br />

bandsaufgabe, die Mitgliedsunternehmen bei der Gestaltung der demografischen Herausfor-<br />

derung zu unterstützen. Den Betrieben wird eine „demografiefeste Personalpolitik“ nahe ge-<br />

legt. Dazu gehören zum Beispiel Handlungsfelder der Nachwuchs- und Fachkräftegewin-<br />

nung, Arbeitsorganisation, Personaleinsatz, Personalentwicklung und Gesundheit bis hin zur<br />

48


Gestaltung des Übergangs von der Arbeits- in die Ruhestandsphase. Darüber hinaus seien<br />

eigenverantwortliche Beiträge der Beschäftigten für ihre körperlich-geistige Leistungsfähig-<br />

keit unerlässlich (vgl. Kemme 2008). Demnach geht es dem Verband um eine „gesunde“<br />

Mischung aus Verhältnis- und Verhaltensprävention. Die spezifische Ausgestaltung von<br />

Strukturen und Maßnahmen obliegt dabei in jedem Fall den Unternehmen selbst, der Ver-<br />

band will dabei unterstützend tätig werden.<br />

Auf tariflicher Ebene geht es dem Verband darum, hemmende Faktoren einer<br />

„demografiefesten Personalpolitik“ abzubauen. Dazu gehören insbesondere in Tarifverträgen<br />

enthaltene „Senioritätsprivilegien“ wie Verdienstsicherung und ein besonderer Kündigungs-<br />

schutz für Ältere. Darüber hinaus haben die Mitgliedsverbände von Gesamtmetall mehrere<br />

innovative Tarifverträge abgeschlossen, die sich mit dem demografischen Wandel befassen.<br />

Dazu gehört der 2005/2006 abgeschlossene „Tarifvertrag zur Qualifizierung“, dessen Ziel es<br />

ist, den Stellenwert der Weiterbildung in den Betrieben zu stärken. Ein weiterer Meilenstein<br />

dieser Entwicklung stellt sicherlich der von der IG Metall geforderte und 2006 abgeschlosse-<br />

ne Tarifvertrag „Demografischer Wandel“ dar, der der Erste seiner Art ist. In ihm schreiben<br />

die Tarifparteien umfassende und regelmäßige Altersstrukturanalysen, Belastungs- und Ge-<br />

fährdungsanalysen sowie Qualifikations- und Qualifizierungsanalysen verbindlich fest, wobei<br />

auch der Betriebsrat aktiv eingebunden werden muss. Diese Maßnahmen zielen primär auf<br />

die Aufrechterhaltung der Gesundheit der Belegschaften. Zusätzlich wird die Einrichtung<br />

eines Fonds angeregt, dessen Mittel u.a. für betriebliche Altersvorsorge, für Qualifizierungs-<br />

maßnahmen sowie für alternsgerechtes Arbeiten verwendet werden können (vgl. Pfarr 2006:<br />

5 und Römer 2006: 11).<br />

Die Arbeitgeberverbände der Stahl- und Elektroindustrie haben also bereits früh begonnen,<br />

sich mit dem Thema Demografie, und in diesem Rahmen auch mit dem Thema Gesundheit,<br />

auseinanderzusetzen. Gesamtmetall als Dachverband sieht die demografische Herausforde-<br />

rung durchaus als Verbandsaufgabe und versucht, betriebliche Maßnahmen unterstützend<br />

zu flankieren. Darüber hinaus ermuntert sie ihre Mitgliedsverbände dazu, das Thema auch in<br />

Tarifverhandlungen zu adressieren. In Nordrhein-Westfalen konnte mit dem Tarifvertrag<br />

„Demografischer Wandel“ ein Rahmen geschaffen werden, der die Mitgliedsunternehmen<br />

einerseits dazu zwingt, tätig zu werden, ihnen aber andererseits Spielraum für individuelle<br />

Lösungen lässt. Besondere Bedeutung kommt dabei den Betriebsparteien zu, die gemein-<br />

same Lösungen suchen und finden müssen. Insbesondere der Betriebsrat ist zur Mitwirkung<br />

aufgefordert. Alle Maßnahmen müssen mit ihm zusammen vereinbart werden.<br />

49


5.2.4 Arbeitgeberverband der Versicherungen (AGV)<br />

Anders als der BAVC und Gesamtmetall hat der Arbeitgeberverband der Versicherungen<br />

(AGV) das Thema Gesundheit am Arbeitsplatz bislang nicht zum offiziellen Gegenstand sei-<br />

ner Verbandspolitik gemacht. Weder auf der Homepage des Verbandes noch in zugängli-<br />

chen Dokumenten, Rundschreiben oder Tarifvereinbarungen finden sich Hinweise, dass<br />

gesundheitsgerechte Herausforderungen, bspw. im Kontext des demografischen Wandels<br />

auch verbandspolitisch gestaltet werden sollten. Im Gegenteil, es wird darauf hingearbeitet,<br />

dass das Thema Gesundheit am Arbeitsplatz möglichst umfassend in den Händen der Be-<br />

triebe selbst bleibt. In einer Ausgabe der „Sozialpolitischen Kurzinformationen“ (KI), einem<br />

regelmäßig erscheinenden Informationsmedium des AGV, verwahrt sich der Verband gegen<br />

überbetriebliche regulative Eingriffe in unternehmerische Entscheidungen, insbesondere bei<br />

der Personalplanung. So wird darauf hingewiesen, dass Pläne der Europäischen Kommissi-<br />

on, eine Richtlinie zu arbeitsbedingtem Stress zu erlassen, 2004 durch eine Rahmenverein-<br />

barung der Sozialpartner, die eine Selbstverpflichtung auf lediglich freiwilliger Basis enthält,<br />

abgewendet werden konnte. Ebenso wird der ver.di-Entwurf für einen Tarifvertrag zum The-<br />

ma Gesundheitsschutz aus dem Jahr 2008 mit der Begründung abgelehnt, die Vorlage ziele<br />

ausschließlich darauf ab, Einfluss auf die betriebliche Personalplanung zu nehmen (vgl. AGV<br />

2009a: 2).<br />

Dennoch betont der Verband grundsätzlich die Wichtigkeit der Thematik. Bspw. teilt der Ge-<br />

schäftsführer des AGV in den verbandlichen Veröffentlichungen mit, dass mit einem guten<br />

Gesundheitsmanagement einem Teil der personalpolitischen Herausforderungen der Ge-<br />

genwart und Zukunft beizukommen wäre. Er stellt fest, dass laut einer vom AGV selbst<br />

durchgeführten Umfrage in 40% der Unternehmen bereits ein Gesundheitsmanagement<br />

existiere und weitere 48% planten, ein solches einzuführen (vgl. AGV 2009b: 2). Leider fin-<br />

den sich keine weiteren öffentlich zugänglichen Informationen zu Art und Umfang der Befra-<br />

gung. Insbesondere die zu Grunde liegende Operationalisierung des Begriffs „Gesundheits-<br />

management“ wäre im Hinblick auf die sehr hohen Werte der Umfrage aufschlussreich ge-<br />

wesen. Aus den positiven Ergebnissen der Erhebung wird abgeleitet, dass tarifvertragliche<br />

Regelungen überflüssig seien. Gesundheitsschutz liege im Eigeninteresse der Arbeitgeber<br />

und der Arbeitnehmer, er werde also auch ohne das Zutun überbetrieblicher Parteien zu-<br />

stande kommen. Darüber hinaus seien die bestehenden gesetzlichen Regelungen umfas-<br />

send und ausreichend (vgl. AGV 2009b: 2).<br />

Im Gegensatz zum BAVC und zu Gesamtmetall, die im Themenfeld Gesundheit als Verband<br />

aktiv-gestalterisch tätig sind, lehnt der Arbeitgeberverband der Versicherungen ein umfas-<br />

sendes Engagement ab. Wenngleich das Thema durchaus als wichtig erachtet wird, so ob-<br />

liegt die Verantwortlichkeit dafür hauptsächlich auf der betrieblichen Ebene. Weder Gesetz-<br />

geber noch Tarifparteien sollten regulativ Einfluss nehmen.<br />

50


Zusammenfassung<br />

Die Beschäftigung mit dem Thema Gesundheit fällt von Verband zu Verband verschieden<br />

aus. Der Dachverband BDA befasst sich in Expertisen und verbandlichen Veröffentlichungen<br />

mit dem Thema, sieht aber das Thema in erster Linie auf einer betriebspolitischen Ebene<br />

angesiedelt und dort sehr stark in der Verantwortung des Unternehmers verankert. Für die<br />

Betriebsebene wird in den verbandeigenen Medien das Thema Gesundheit in verschiedenen<br />

Facetten aufbereitet. Auf verbandspolitischer Ebene wird ein breites Verständnis betriebli-<br />

cher Gesundheitspolitik kommuniziert, bspw. in der gemeinsamen Erklärung mit dem DGB<br />

(BDA und DGB 2004).<br />

In den einzelnen Arbeitgeberverbänden wird das Thema Gesundheit in erster Linie im Zu-<br />

sammenhang mit dem demografischen Wandel aufgegriffen. Darüber hinaus gibt es jedoch<br />

keine einheitliche Position der Arbeitgeberverbände: Während einige „Pioniere“ das<br />

Gesundheitsthema (im Demografie-Kontext) zum Bestandteil von Tarifverhandlungen ma-<br />

chen (BAVC, Metall NRW), lehnen andere eine aktiv-gestalterische Rolle der Tarifparteien<br />

ab (AGV). Bisher abgeschlossene Tarifverträge heben vor allem darauf ab, Analysen (Al-<br />

tersstruktur/Gefährdungen) verbindlich festzuschreiben, aus denen betriebsindividuelle Maß-<br />

nahmenpakete in verschiedenen Handlungsfeldern abgeleitet werden können. Obschon<br />

hierzu Vorschläge und Angebote gemacht werden, obliegt die konkrete Ausgestaltung von<br />

betrieblicher Gesundheitspolitik in jedem Fall den Betrieben und damit den Betriebsparteien.<br />

5.3 Qualifizierungsangebote<br />

Betrachtet man das Feld der Anbieter von Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen für Arbeit-<br />

nehmervertretungen im Bereich der betrieblichen Gesundheitspolitik, so sind hier in erster<br />

Linie die Einzelgewerkschaften sowie der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) und das<br />

DGB-Bildungswerk zu nennen. Hinzu kommen die Unfallversicherungsträger, d. h. die Be-<br />

rufsgenossenschaften und Unfallkassen sowie das Institut für Arbeit und Gesundheit der<br />

Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung. Des Weiteren bieten gewerkschaftsnahe Institu-<br />

tionen Seminare im Bereich des Arbeits- und Gesundheitsschutz bzw. der betrieblichen<br />

Gesundheitsförderung an. Schließlich sind auch private Einrichtungen sowie Universitäten<br />

und Fachhochschulen Anbieter von Weiterbildungen für Arbeitnehmervertretungen in diesem<br />

Themenfeld.<br />

Die vorhandenen Qualifizierungsangebote richten sich nur zum Teil ausschließlich an die<br />

Gruppe der betrieblichen Interessenvertretungen. Der größte Teil der Fort- und Weiterbil-<br />

dungsprogramme adressiert gleichermaßen auch Führungskräfte, Fachkräfte für Arbeitssi-<br />

cherheit, Sicherheitsbeauftragte, Betriebsärzte oder Schwerbehindertenvertretungen.<br />

51


Mit Blick auf die Inhalte wird deutlich, dass der überwiegende Teil der Seminare im Bereich<br />

des gesetzlich geregelten Arbeits- und Gesundheitsschutzes angesiedelt ist. Die behandel-<br />

ten Themen reichen von den gesetzlichen Grundlagen bis hin zu technischen Verfahren und<br />

Instrumenten zur Verbesserung des Arbeits- und Gesundheitsschutzes. Darüber hinaus<br />

werden die Gestaltung von Arbeitsplätzen und Arbeitsbedingungen, Büro- und Bildschirmar-<br />

beit sowie Problemstellungen in spezifischen Branchen thematisiert. Weiterhin werden in<br />

diesem Zusammenhang gesundheitliche und wirtschaftliche Aspekte der Arbeitsverdichtung<br />

sowie die Kontrolle der Krankenzeiten behandelt. Die Zusammenarbeit des Betriebsrats mit<br />

inner- und außerbetrieblichen Stellen, seine Einflussmöglichkeiten im Arbeits- und Gesund-<br />

heitsschutz, die Personalplanung, Rationalisierung und personelle Einzelmaßnahmen wer-<br />

den ebenfalls unter den Seminarinhalten aufgeführt.<br />

Ein wesentlicher Bestandteil der Seminarinhalte zum Arbeits- und Gesundheitsschutz ist die<br />

Gefährdungsbeurteilung. Ein Großteil der Qualifizierungsprogramme führt dabei auch die<br />

psychischen Belastungen am Arbeitsplatz explizit unter den Seminarinhalten auf. Darüber<br />

hinaus bieten viele Anbieter zusätzlich Seminare eigens zum Thema psychische Belastun-<br />

gen an. Psychosoziale Belastungen werden hier weniger als Gefährdung der betrieblichen<br />

Ordnungs- und Leistungspolitik verstanden, sondern es werden vielmehr praktische Beispie-<br />

le zur Förderung der psychischen Gesundheit aufgezeigt, unter aktiver Beteiligung der Be-<br />

schäftigten. Obgleich der Großteil der Weiterbildungsprogramme im Themenbereich Arbeits-<br />

und Gesundheitsschutz nicht auf einem Stufenkonzept beruht, gibt es zu einigen Themen<br />

Einführungs- und Aufbau- bzw. Vertiefungsseminare oder auch Qualifizierungsprogramme,<br />

die sich aus mehreren Modulen zusammensetzen.<br />

Hinzu kommt eine breite Palette an Weiterbildungsangeboten im Bereich der verhaltensori-<br />

entierten betrieblichen Gesundheitsförderung. Schwerpunktthemen sind hier z. B. der Um-<br />

gang mit Stress, Mobbing, Alkohol- und Suchtprävention am Arbeitsplatz oder Rückenschu-<br />

len. Auch hier werden häufig psychische Belastungen thematisiert. Aber auch Themen wie<br />

Maßnahmen zur Fehlzeitenreduktion, betriebliche Gesundheitsförderung als Führungsauf-<br />

gabe, Methoden und Instrumente der betrieblichen Gesundheitsförderung, Handlungs- und<br />

Gestaltungsmöglichkeiten der betrieblichen Interessenvertretungen sowie Betriebsvereinba-<br />

rungen zur Gesundheitsförderung sind inhaltlicher Gegenstand von Seminaren.<br />

Das BEM bildet einen weiteren thematischen Schwerpunkt bei den Weiterbildungsangebo-<br />

ten. Hier werden neben den rechtlichen Grundlagen z. B. Unterstützungsmaßnahmen der<br />

Rehabilitationsträger und weiterer externer Kooperationspartner behandelt sowie die Festle-<br />

gung von Verfahrensabläufen und betriebliche Präventionsmaßnahmen. Des Weiteren sind<br />

die konstruktive Gesprächsführung im BEM sowie die Rolle der Interessenvertretung im BEM<br />

inhaltlicher Bestandteil von Seminaren. Neben den allgemeinen Seminaren zum BEM be-<br />

52


steht die Möglichkeit, themenspezifische Seminare zum Datenschutz, aktuellen Recht-<br />

sprechungen oder der Arbeitsplatzanalyse im BEM zu belegen.<br />

Bislang nur vereinzelt werden Weiterbildungsseminare zum Thema BGM für Betriebs- und<br />

Personalräte angeboten. Exemplarisch seien hier Angebote des DGB-Bildungswerkes NRW,<br />

einiger Berufsgenossenschaften sowie der IG Metall genannt. Letztere bietet beispielsweise<br />

ein Seminar mit dem Titel „‚Gesundheitsmanagement als Aufgabe für den Betriebsrat“ an.<br />

Inhaltlich werden hier neben dem Stressmanagement auch die Gesundheitsberatung sowie<br />

die eigene und betriebliche Praxis aufgeführt. Das DGB-NRW Bildungswerk e.V. führte im<br />

Jahr 2009 in Kooperation mit der Technologieberatungsstelle ebenfalls ausschließlich für<br />

Betriebsräte das Seminar „Betriebliches Gesundheitsmanagement“ durch. Ziel der Veranstal-<br />

tung war der Aufbau einer praxisnahen Organisation des BGM unter Beteiligung der betrieb-<br />

lichen Akteure. An der Universität Bielefeld wird seit dem Jahr 2004 eine umfassende modu-<br />

lar aufgebaut Weiterbildung zum Thema BGM angeboten, die explizit auch Betriebs- und<br />

Personalräte adressiert.<br />

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass für Arbeitnehmervertretungen ein breites Angebot<br />

an Qualifizierungsmöglichkeiten im Themenfeld betriebliche Gesundheitspolitik existiert. Der<br />

Großteil der Angebote adressiert dabei allerdings nicht ausschließlich diese Akteursgruppe,<br />

sondern spricht daneben auch andere betriebliche Akteure, insbesondere Führungskräfte<br />

und Gesundheitsexperten, an.<br />

Die deutliche Mehrzahl der Qualifizierungsangebote liegt thematisch im Bereich des Arbeits-<br />

und Gesundheitsschutzes. Der Anspruch, dass die Gefährdungsbeurteilung psychischer<br />

Belastungen wesentlicher Bestandteil des Arbeits- und Gesundheitsschutzes sein sollte,<br />

spiegelt sich dabei in den aktuellen Seminarthemen aller Qualifizierungsanbieter wider. Es<br />

gibt jedoch keine Hinweise darauf, ob in diesem Kontext eine Orientierung und Entwicklung<br />

in Richtung eines ganzheitlichen BGM erfolgt.<br />

Des Weiteren werden einige Weiterbildungsmaßnahmen im Bereich der betrieblichen<br />

Gesundheitsförderung sowie zum BEM angeboten. Wenngleich die Zahl diesbezüglicher<br />

Angebote weniger groß ist als die zum Arbeits- und Gesundheitsschutz, gibt es hier insge-<br />

samt eine relativ breite Palette an Qualifizierungsmöglichkeiten. Die meisten Anbieter thema-<br />

tisieren dabei auch die Handlungs- und Gestaltungsmöglichkeiten der betrieblichen Interes-<br />

senvertretungen und setzen auf den Aufbau gesundheitsfördernder Strukturen im Betrieb.<br />

Den deutlich kleinsten Teil im Rahmen von Weiterbildungsmöglichkeiten nimmt das Thema<br />

BGM ein – hierzu werden bislang nur ganz vereinzelt Seminare angeboten. Die Seminare<br />

adressieren überwiegend betriebliche Fach- und Führungskräfte und kaum explizit die be-<br />

trieblichen Interessenvertretungen. Bei einzelnen Gewerkschaften sowie beim DGB-<br />

53


Bildungswerk finden sich allerdings Angebote zum BGM speziell mit der Zielgruppe Betriebs-<br />

und Personalräte.<br />

Mit Blick auf den Aufbau einer aktiven betrieblichen Gesundheitspolitik und die Etablierung<br />

eines leistungsfähigen BGM besteht – wie die Ergebnisse des vorliegenden Projektes zeigen<br />

– deutlicher Entwicklungsbedarf. Daher sollte auch das diesbezügliche Angebot an Fort- und<br />

Weiterbildungsmöglichkeiten weiter ausgebaut werden. Vorschläge dazu werden im<br />

Schlusskapitel (Kapitel 9) formuliert.<br />

54


6. Forschungsdesign und Methodik<br />

Dem Projekt liegt ein exploratives Forschungsdesign mit dem Fokus auf qualitative Metho-<br />

den (Experteninterviews, Fallstudien) sowie Dokumenten- und Literaturanalysen zugrunde.<br />

Dieser Ansatz begründet sich im Wesentlichen darin, dass die Analyse des Kompetenz- und<br />

Strategiebedarfs von Betriebs- und Personalräten im Bereich der betrieblichen Gesundheits-<br />

politik ein relativ neues Forschungsfeld darstellt.<br />

Arbeiten, die sich explizit mit der Rolle von Interessenvertretungen im Themenfeld Gesund-<br />

heit beschäftigen, sind selten. Dort, wo Betriebs- und Personalräte hervorgehoben werden,<br />

geht es primär nicht um ihre eigene Rolle, sondern z. B. um die Erfassung ihrer Einschät-<br />

zung zur Ausgestaltung des BGM (siehe z. B. Universität Trier 2008). Andere Erhebungen<br />

fokussieren beide Aspekte – die Sicht von Betriebsräten auf die betriebliche Gesundheitspo-<br />

litik und den eigenen Beitrag hierzu (siehe z. B. Ahlers und Brussig 2004). Hauptsächlich<br />

finden sich jedoch die betrieblichen Interessenvertreter in Forschungsprojekten zur betriebli-<br />

chen Gesundheitspolitik als eine von vielen Akteursgruppen wieder (siehe z. B. Jürgen et al.<br />

1997). Neuere Beiträge rücken die Rolle der Betriebsräte jedoch in den Vordergrund (siehe<br />

z. B. Giesert 2010a, Giesert 2010b, Reusch 2010).<br />

Auch das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderte Forschungsprojekt<br />

PARGEMA (Partizipatives Gesundheitsmanagement), das in den Jahren 2006 bis 2009 die<br />

gesundheitlichen Gefährdungen im Zusammenhang mit neuen Organisations- und Steue-<br />

rungsformen untersuchte, beschäftigte sich u.a. mit der Akteursgruppe der Betriebsräte. De-<br />

ren Beteiligung an der betrieblichen Gesundheitspolitik sei bisher aufgrund fehlender zeitli-<br />

cher und personeller Ressourcen eher situativ und diskontinuierlich. Im Rahmen des Projek-<br />

tes wurde die WSI-Betriebsrätebefragung zu Arbeitsbedingungen und Gesundheit im Betrieb<br />

nach 2004 erneut durchgeführt. Nach Angaben der Betriebsräte seien die zunehmenden<br />

psychischen Arbeitsbelastungen der Beschäftigten unabhängig von der Branche- oder der<br />

Betriebsgröße zu beobachten. Weiterhin sei der Leistungsdruck gerade in den Betrieben<br />

höher, in denen neue Steuerungsformen eingesetzt werden. Schließlich wird auf die Proble-<br />

matik hingewiesen, mit der Gefährdungsbeurteilung die schwer greifbaren psychischen Be-<br />

lastungen der Beschäftigten zu erheben (Ahlers 2010). Ein weiteres Ziel des Projektes<br />

PARGEMA war die Schaffung eines Bewusstseins bei den Beschäftigten für spezifische<br />

Selbstgefährdungen, die sich unter den Bedingungen neuer (indirekter) Organisations- und<br />

Steuerungsformen einstellen können. Die hierfür entwickelte reflexive Interventionsmethode<br />

soll auch den Betriebsräten als Wissens- und Handlungsgrundlage zur Verfügung stehen.<br />

Für die Zielgruppe Betriebsräte sollte im Rahmen von PARGEMA zudem ein elektronischer<br />

Newsletter entwickelt werden, um den Interessenvertretungen regelmäßig über das Projekt<br />

55


und über sonstige einschlägige Informationen berichten zu können. Bezogen auf die Gruppe<br />

der Betriebsräte hinterlassen die Ergebnisse von PARGEMA die spannende, aber offensicht-<br />

lich durch dieses Projekt noch unbeantwortete Frage, inwieweit Betriebsräte das Thema Ge-<br />

sundheit tatsächlichen aus inhaltlichen Gründen im Unternehmen in Gang setzen – oder ob<br />

sie dies eher aus (macht)politischen Motiven heraus tun. Des Weiteren kann hinterfragt wer-<br />

den, inwieweit Betriebsräte ihre Strategien überwiegend themenunabhängig verfolgen – bei-<br />

spielsweise eher konsens- als konfliktorientiert agieren. Wenn dem so wäre, würde dies die<br />

Vermutung unterstützen, nach der das Feld der betrieblichen Gesundheitspolitik überwie-<br />

gend durch die alten Muster der Mitbestimmungskultur bestimmt wird.<br />

Angesichts des Fehlens tiefer gehender Erkenntnisse zum Forschungsgegenstand und einer<br />

diesbezüglichen Theorie erscheint das Vorgehen im Sinne eines explorativen Forschungs-<br />

designs als zweckmäßig. Die Analyse von Handlungshemmnissen und Widerständen im<br />

Themenfeld Gesundheit für Betriebs- und Personalräte dient demnach dem Bestreben, Er-<br />

kenntnisfortschritte zur Lösung des in den Kapiteln 1 und 2 beschriebenen Praxisproblems<br />

zu liefern.<br />

An dieser Stelle ist darauf hinzuweisen, dass auf Empfehlung der ersten Beiratssitzung am<br />

14. Mai 2009 und mit Zustimmung der <strong>Hans</strong>-<strong>Böckler</strong>-<strong>Stiftung</strong> im Sommer 2009 eine Ände-<br />

rung des Projektdesigns vorgenommen wurde: Das ursprüngliche Design sah zur Umset-<br />

zung des Forschungsvorhabens im Anschluss an eine erste qualitative Untersuchungsphase<br />

(Arbeitspaket 1) eine quantitative Erhebung vor. Damit sollte die Entwicklung eines Typen-<br />

konzepts der betrieblichen Gesundheitspolitik (leitende Fragestellung: Welche Typen von<br />

Betriebsräten und welche Zustände der betrieblichen Gesundheitspolitik lassen sich identifi-<br />

zieren?) unterstützt werden (Arbeitspaket 2). Abschließend sollten die gefundenen Typen-<br />

konstellationen in Form von Tiefeninterviews hinsichtlich der Tiefenschärfe, des Typenkon-<br />

zeptes und der Transformationsbedingungen hinterfragt werden (Arbeitspaket 3). Um dem<br />

explorativen Charakter des Gesamtprojektes stärker Rechnung zu tragen, wurde anstelle der<br />

Konzeptionierung und Überprüfung des Typenkonzeptes die Durchführung von qualitativen<br />

Fallstudien beschlossen. Mit ihnen sollte eine weitergehende Tiefenschärfe, die Erfassung<br />

von Kontextbedingungen und eine in Ergänzung zum ersten Arbeitspaket größere Varianz<br />

ermöglicht werden. Im Folgenden werden die Zielsetzungen und das Vorgehen in den bei-<br />

den Arbeitspaketen sowie die jeweiligen Interviewpartner/-institutionen dargestellt.<br />

6.1 Arbeitspaket 1: Dokumentenanalyse und Experteninterviews<br />

Im Zentrum des ersten Arbeitspaketes stand die Ermittlung von Potenzialen und Hemmnis-<br />

sen im Bereich der betrieblichen Gesundheitspolitik und des BGM – speziell aus Sicht der<br />

Betriebs- und Personalräte. Darüber hinaus sollten Bilder über die Wahrnehmungen von<br />

56


Beteiligung und Mitbestimmung im Politikfeld Gesundheit identifiziert werden. Dabei stand<br />

die Differenzierung des Verständnisses von BGM aus Sicht der Arbeitnehmervertretungen<br />

auf Basis eines integrierten BGM-Referenzmodells (s. Kapitel 3) im Mittelpunkt. Aufbauend<br />

auf den Vorarbeiten der Projektpartner wurde idealtypisch die Motorfunktion der Betriebsräte<br />

in der betrieblichen Gesundheitspolitik herausgearbeitet und mit dem zugrundegelegten<br />

BGM-Referenzmodell abgeglichen.<br />

Im ersten Schritt wurden relevante Studien, Projekte und Programme im Themenfeld betrieb-<br />

liche Gesundheitspolitik ausgewertet. Für die Dokumenten- und Literaturanalyse wurden<br />

Fachliteratur aus Büchern und Zeitschriften herangezogen, Stellungnahmen bzw. Vorträge<br />

sowie Broschüren und Informationsmaterial einzelner in dem Themenfeld aktiver Institutio-<br />

nen und Personen ausgewertet sowie Informationsmaterial und Selbstdarstellungen der Un-<br />

ternehmen, in denen Interviews mit Betriebs- und Personalräten durchgeführt wurden, ge-<br />

sichtet.<br />

Im zweiten Schritt erfolgte die Durchführung von Experteninterviews. Sie gelten als spezielle<br />

Anwendungsform des Leitfadeninterviews, in dem der Befragte weniger in seiner ganzen<br />

Person, sondern in seiner Eigenschaft als Experte für ein bestimmtes Handlungsfeld von<br />

Interesse ist (Flick 2005, S. 139 ff.). Kennzeichnend für Experten ist es, dass sie ein Teil des<br />

Handlungsfeldes sind, das den Forschungsgegenstand ausmacht. „Als Experte wird ange-<br />

sprochen,<br />

wer in irgendeiner Weise Verantwortung trägt für den Entwurf, die Implementierung<br />

oder die Kontrolle einer Problemlösung oder<br />

wer über einen privilegierten Zugang zu Informationen über Personengruppen oder<br />

Entscheidungsprozesse verfügt“ (Meuser; Nagel 2005, S. 73).<br />

Vor diesem Hintergrund wurden im Rahmen des ersten Arbeitspaketes mit 32 Personen in<br />

28 Interviews gesprochen. Dabei handelte es sich um:<br />

zwölf Vertreter der Sozialpartner (Gewerkschaftssekretäre, Verbandsvertreter) sowie<br />

weiteren Experten, z. B. aus Forschung und Wissenschaft,<br />

vier Sozialversicherungsvertreter (Krankenkassen, Berufsgenossenschaften),<br />

vier Betriebsratsvertreter aus Unternehmen der EuPD-Befragung 7,<br />

zwölf Betriebsratsvertreter aus den Branchen Bergbau, Chemie, Finanz- und Versiche-<br />

rungsdienstleistungen, Metall und Stahl.<br />

7 Die EuPD-Befragung befasst sich mit der Frage, wie Gesundheit und Leistungsfähigkeit gesteigert werden können und befragt<br />

hierzu deutsche Unternehmen zu den Strukturen, Strategien und Leistungen ihres BGM.<br />

57


Ziel der Aufteilung der Betriebsratsvertreter nach Gewerkschaftszugehörigkeit bzw. Teilnah-<br />

me an der EuPD-Befragung war das Erreichen einer möglichst großen Varianz. Die Felder-<br />

schließung für die Interviews und Unternehmen lief auf mehreren Ebenen. Soweit einzelne<br />

Interviewpartner den Projektnehmern bekannt waren, wurden direkte Vereinbarungen über<br />

einen Interviewtermin getroffen. Fehlten bekannte Ansprechpartner, ist der formale Weg über<br />

die jeweilige Institution eingeschlagen worden, mit der Bitte um Benennung eines für das<br />

Thema fachkundigen Interviewpartners.<br />

Insgesamt konnte hinsichtlich der Unternehmensauswahl für einen Branchenmix (Metall,<br />

Stahl, Energie, Chemie, IT, Versicherungen, Banken) gesorgt werden. Die interviewten Be-<br />

triebsräte gehören überwiegend betriebsrätlichen Ausschüssen zum Arbeits- und Gesund-<br />

heitsschutz an. Einbezogen wurden Unternehmen in der Größenordnung von ca. 400 bis zu<br />

30.000 Mitarbeiter, wobei unterschiedliche Gesellschaftsformen (eigenständige AG, kon-<br />

zernabhängige Niederlassungen etc.) zum Tragen kamen. Zwei Betriebe aus Ostdeutsch-<br />

land konnten gewonnen werden. Die folgende Tabelle zeigt die teilnehmenden Institutionen<br />

und Funktionsträger im Überblick:<br />

Sozialpartner und weitere Experten<br />

Institution Funktion<br />

Ver.di NRW Ver.di-FiDi-Gewerkschaftssekretär<br />

Ver.di HH Ver.di-FiDi-Gewerkschaftssekretär<br />

Verband der Metall- und Elektroindustrie<br />

NRW/ BDA<br />

jeweils ein Experte aus dem Bereich Arbeits- und<br />

Gesundheitsschutz<br />

IG Metall Abteilungsleiter Funktionsbereich Gesundheitsschutz und<br />

Arbeitsgestaltung<br />

IG BCE Abteilungsleiterin Frauen/Gleichstellung<br />

AGV Geschäftsführer Rechtsabteilung/<br />

DGB-Index Gute Arbeit GmbH Geschäftsführer<br />

Referent u.a. für Arbeitssicherheit/Gesundheitsschutz<br />

Landschaftsverband Westfalen Lippe Vorsitzender Gesamtpersonalrat<br />

IfA/Cogito e.V. Institutsmitbegründer<br />

DGB Bundesvorstand, Bereich Sozialpolitik<br />

58


Sozialversicherungen<br />

Institution Funktion<br />

Techniker Krankenkasse Gesundheitsmanagerin<br />

Innungskrankenkasse Leiter des Referats Betriebliche Gesundheitsförderung/Prävention<br />

BG Metall Präventionsdienst der Nord Süd<br />

BG Verwaltung Facharzt für Arbeitsmedizin<br />

Unternehmen aus der EuPD-Studie<br />

Institution Funktion<br />

Branche: Banken<br />

Unternehmen A<br />

Branche: Automobilhersteller<br />

Unternehmen B<br />

Branche: Telekommunikation<br />

Unternehmen C<br />

Branche: Chemie<br />

Unternehmen D<br />

Betriebsratsvorsitzende und Mitglied des Gesamtbetriebsrates<br />

Betriebsrat, Ausschuss Arbeitssicherheit<br />

Betriebsratsvorsitzender<br />

Betriebsrat<br />

Unternehmen aus den Branchen der IG BCE<br />

Institution Funktion<br />

Unternehmen E Betriebsratsvorsitzender<br />

Unternehmen F Stellv. Vorsitzende des Betriebsrats/<br />

Unternehmen G Betriebsrat<br />

Unternehmen aus den Branchen von ver.di<br />

(nur Versicherungen und Finanzdienstleistungen)<br />

Institution Funktion<br />

Betriebsrat Hauptverwaltung<br />

Unternehmen H Betriebsratsvorsitzender<br />

Unternehmen I Personalratsvorsitzende/Personalratsmitglied<br />

Unternehmen J Betriebsratsvorsitzender<br />

Unternehmen aus den Branchen der IG Metall<br />

Institution Funktion<br />

Unternehmen K Betriebsrat<br />

Unternehmen L Betriebsratsvorsitzender<br />

Unternehmen M Gesamtbetriebsratsmitglied und -schwerbehindertenvertreter<br />

Unternehmen N Mitglied des Gesamtbetriebsrats<br />

Tabelle 1: Institutionen und Funktionen der Gesprächspartner der Experteninterviews<br />

59


Allen Interviews lag ein jeweils für die Personengruppe ausgearbeiteter Interviewleitfaden<br />

zugrunde. Den Betriebs- und Personalräten wurde darüber hinaus im Vorfeld des Gesprächs<br />

ein standardisierter Vorabfragebogen zur Situation der betrieblichen Gesundheitspolitik im<br />

Unternehmen zugesendet. Damit lagen zum Interviewtermin wesentliche Informationen vor,<br />

auf deren Grundlage gezielt gefragt werden konnte (alle im Projekt erarbeiteten und verwen-<br />

deten Vorabfragebögen und Interviewleitfäden im Anhang).<br />

Neben den Angaben zur Person und Institution waren für die Interviews mit den Betriebsrä-<br />

ten gemäß der in Kapitel 2 beschriebenen Problemstellungen und Ziele des Projekts folgen-<br />

de Themenblöcke in dem Interviewleitfaden angelegt:<br />

allgemeine Sichtweisen und Einstellungen zum BGM<br />

die Situation des BGM im eigenen Unternehmen<br />

Beziehungsgefüge der inner- und überbetrieblichen Gesundheitsakteure<br />

Konfrontation mit den Projekthypothesen<br />

Beschreibung von Selbstbildern – Wie sehe ich mich bzw. uns als Betriebsrat?<br />

Kompetenz- und Unterstützungsbedarf für die Arbeit als Interessenvertretung – Fokus<br />

betriebliche Gesundheitspolitik<br />

Der Interviewleitfaden mit den Vertretern der Sozialpartner (Schwerpunkt Gewerkschaften)<br />

sah – wiederum bezogen auf die Problemstellungen und Ziele des Projekts – folgende The-<br />

menschwerpunkte vor:<br />

Aktivitäten der Sozialpartner im Themenfeld betriebliche Gesundheitspolitik (u.a. Ent-<br />

stehungszusammenhänge, aktueller Stand, Zukunft)<br />

Auswirkungen der Aktivitäten<br />

Kompetenz- und Unterstützungsbedarf für Betriebs- und Personalräte in der betriebli-<br />

chen Gesundheitspolitik.<br />

Die Interviews wurden auf Tonband aufgezeichnet (sofern die Interviewpersonen keine Ein-<br />

wände äußerten), anonymisiert und transkribiert. Bei der Auswertung wurde nach dem all-<br />

gemeinen Schema „Zusammenfassung, Explikation und Strukturierung“ vorgegangen (vgl.<br />

Diekmann 2003: 510 ff.). Die inhaltliche Strukturierung des Datenmaterials erfolgte in Anleh-<br />

nung an Mayring (Mayring 2003: 82) Dabei sind die Interviews mit den Betriebs- und Perso-<br />

nalräten nach folgenden inhaltlichen Kategorien entlang der wesentlichen Fragestellungen<br />

des Projektes strukturiert worden:<br />

60


Allgemeines Politikmuster: Wie gehen Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertretungen ge-<br />

nerell miteinander um und welche Unterschiede gibt es möglicherweise im Handlungs-<br />

feld betriebliche Gesundheitspolitik?<br />

Gesundheitsverständnis: Welche Vorstellungen über Gesundheit liegen vor und welche<br />

Einflussfaktoren auf Gesundheit werden hervorgehoben?<br />

Entwicklung der betrieblichen Gesundheitspolitik: Wie wird der Status quo beschrieben,<br />

welche Akteure und Meilensteine waren hierfür prägend und welche Herausforderun-<br />

gen liegen in der Zukunft?<br />

Fördernde und hemmende Faktoren in der betrieblichen Gesundheitspolitik: Welche<br />

allgemeinen Faktoren wirken sich positiv bzw. negativ aus, und welche Bedingungen<br />

prägen insbesondere die betriebsrätliche Arbeit?<br />

Selbstverständnis des Betriebsrats: Welche Formen der Selbstbeschreibung gibt es,<br />

und wie ist das Rollenverständnis in der betrieblichen Gesundheitspolitik?<br />

Die Interviews mit den Sozialpartnern wurden hinsichtlich der Merkmale gewerkschaftlicher<br />

gesundheitsbezogener Kampagnen und Initiativen ausgewertet. Dabei erfolgte die inhaltliche<br />

Strukturierung anhand von sieben, aus dem Interviewmaterial abgeleiteten Merkmalsdimen-<br />

sionen:<br />

Zielgruppen der Kampagnen und Initiativen: Betriebs- und Personalräte und/oder Ar-<br />

beitgeberseite und/oder Belegschaft?<br />

Zieldimension Gesundheit: Welches Verständnis von Gesundheit liegt den Aktivitäten<br />

zugrunde? Wird BGM explizit als Ziel der Aktivitäten verfolgt? Wie erfolgt die Bearbei-<br />

tung von Gesundheitsthemen? Inwieweit stützt man sich auf ein legalistisches Vorge-<br />

hen?<br />

Merkmal Unterstützungsgrad: Differenzierung nach der Initiations-, der Gestaltungs-<br />

und der Integrationsphase<br />

Merkmal Operative Unterstützung: Differenzierung nach Qualifizierungen, Instrumenten<br />

und weiteren Dienstleistungen<br />

Merkmal Reichweite der Unterstützung: Differenzierung nach Einzelbetrieben, Netz-<br />

werken und Tarifverträgen<br />

Merkmal Kooperationen: in der eigenen Gewerkschaft, innerhalb der Gewerkschaften<br />

und sonstige Kooperationen<br />

Merkmal Bilder: vom Betriebsrat, vom Arbeitgeber und von der Belegschaft.<br />

61


6.2 Arbeitspaket 2: Betriebliche Fallstudien<br />

Fallstudien erlauben im Vergleich mit rein quantitativen Methoden der Sozialforschung eine<br />

bessere Abbildung der sozialen Wirklichkeit(en). Die Identifikation von Entwicklungen und<br />

Prozessabläufen sowie von Ursache-Wirkungszusammenhängen wird ebenso unterstützt<br />

wie die Ableitung von praktischen Aussagen. Ihre Limitation besteht darin, dass mit Fallstu-<br />

dien kein statistischer Induktionsschluss auf die Grundgesamtheit getroffen werden kann<br />

(Borchardt und Göthlich 2007). Gerade in der Arbeits- und Industriesoziologie gehören Fall-<br />

studien zu den wichtigsten Forschungsverfahren (Pongratz und Trinczek 2010). Die Ablei-<br />

tung von generell zutreffenden Schlussfolgerungen wird jedoch nicht unbedingt für nötig ge-<br />

halten. Vielmehr können Fallstudien für einen separaten Fall stehen, bei dem gar keine Ge-<br />

neralisierung erwünscht ist. Fallstudien können sich weiterhin mit dem Anspruch begnügen,<br />

Ausschnitte aus einem Ganzen zu präsentieren. Schließlich besteht der Reiz von Fallstudien<br />

darin, dass sich die Leser selbst ihre Meinung zur Transferfähigkeit von Fallstudien bilden<br />

können (Gomm u. a. 2000).<br />

Ziel der im Projekt erstellten betrieblichen Fallstudien war es, dem Wirken der Arbeitnehmer-<br />

vertretungen mehr Tiefenschärfe zu verleihen, es kontextbezogen zu analysieren und eine<br />

breite Varianz der Fälle zu erhalten. Daher wurden nicht nur ihre eigene Sichtweise, sondern<br />

auch die Einschätzungen weiterer relevanter betrieblicher Akteure berücksichtigt. Neben<br />

dem Betriebsratsvorsitzenden wurden folgende Akteure befragt:<br />

ein bis zwei weitere Betriebsratsmitglieder (mit und ohne Verantwortung für das Thema<br />

Gesundheit),<br />

der Betriebsarzt,<br />

die Fachkraft für Arbeitssicherheit,<br />

ein Vertreter der Geschäftsleitung und/oder<br />

ein Vertreter aus der Personalabteilung.<br />

Durch die Auswahl dieser Interviewpartner, die an die jeweilige Situation in den Fallstudien-<br />

unternehmen angepasst wurde, konnte die Rollenbeschreibung von Betriebsräten in der be-<br />

trieblichen Gesundheitspolitik, u.a. hinsichtlich ihrer Steuerungs- und Organisationsentwick-<br />

lungskompetenzen, im Vergleich zum ersten Arbeitspaket maßgeblich erweitert werden. Ins-<br />

besondere durch die Einbeziehung von Betriebsräten, die sich nicht hauptsächlich mit dem<br />

Thema Gesundheit auseinandersetzen, konnten darüber hinaus Konstellationen und mögli-<br />

che Konfliktsituationen sowie deren Auswirkungen bei der Bearbeitung dieses Themas in-<br />

nerhalb von Betriebsratsgremien umfassender untersucht werden. Deutlicher aufgezeigt<br />

werden konnte zudem die Motivation einzelner Betriebsratsmitglieder, sich um die Gesund-<br />

heitsthematik (nicht) zu kümmern (Facetten Kompetenz, Pragmatik und Emotionalität). Die<br />

62


Fallstudien ermöglichten weiterhin die Zuspitzung von Politikmustern (Wird z. B. eine Stell-<br />

vertreter- oder Beteiligungspolitik von Seiten der Betriebs- und Personalräte verfolgt?). Eben-<br />

falls gelang die vertiefende Analyse von den in Arbeitspaket 1 sich andeutenden fördernden<br />

und hemmenden Bedingungen für die Entwicklung der betrieblichen Gesundheitspolitik<br />

durch die stärkere Einbeziehung von für den Betriebsrat relevanten Generalthemen, z. B. der<br />

Komplexität des Gesundheitsthemas oder den zur Verfügung stehenden Ressourcen.<br />

Der Feldzugang bzw. die Auswahl der Unternehmen gestaltete sich nach folgenden Kriteri-<br />

en, die für eine möglichst große Varianz (ohne Anspruch auf Repräsentativität) unter den<br />

ausgewählten Unternehmen sorgen sollte:<br />

Berücksichtigung unterschiedlicher Branchen (IG Metall, IG BCE oder ver.di)<br />

Ressourcen des Betriebsrats (z. B. zeitliche Ressourcen)<br />

Gesundheitskultur (z. B. Arbeitssicherheit-orientiert, BGF-orientiert, ganzheitliches<br />

BGM)<br />

Mitbestimmungskultur (z. B. „Co-Management“)<br />

Unternehmensgröße<br />

regionale Verteilung<br />

eigenständiges oder konzerngebundenes Unternehmen.<br />

Die Kriterien konnten in ausreichender Form berücksichtigt werden. Dies trifft insbesondere<br />

auf die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Branche bzw. einer Gewerkschaft zu. Aber auch<br />

bezüglich der anderen Kriterien konnte für eine Streuung gesorgt werden. Einschränkend<br />

muss erwähnt werden, dass lediglich in sechs der insgesamt zehn Fallstudien das Ziel er-<br />

reicht werden konnte, sowohl Vertreter der Arbeitgeber- als auch der Arbeitnehmerseite ein-<br />

zubeziehen. Die folgende Tabelle zeigt die zehn untersuchten Unternehmen im Überblick:<br />

63


Vollstudien<br />

Branche Funktion der Interviewpartner<br />

Unternehmen aus den Branchen der IG<br />

Metall<br />

(Fallstudie 1)<br />

Unternehmen aus den Branchen der IG<br />

BCE<br />

(Fallstudie 2)<br />

Unternehmen aus den Branchen von<br />

ver.di (Versicherungen)<br />

(Fallstudie 4)<br />

Unternehmen aus den Branchen von<br />

ver.di<br />

(Fallstudie 7)<br />

Unternehmen aus den Branchen der IG<br />

Metall<br />

(Fallstudie 8)<br />

Unternehmen aus der EuPD-Studie,<br />

Branchen von ver.di<br />

(Fallstudie 9)<br />

BR-Vorsitzender Personalleiter<br />

BR-Gesundheit B-Arzt<br />

BR-Gruppe<br />

BR-Vorsitzender Geschäftsleiter<br />

BR-Gesundheit Personalleiterin<br />

BR FaSi<br />

B-Ärztin<br />

BR-Vorsitzender Vorstand<br />

BR-Gesundheit Personalvorstand<br />

BR B-Arzt<br />

BR (Gruppe) Geschäftsleiter<br />

BR-Vorsitzender Geschäftsleiter<br />

BR (Gruppe) Produktionsleiter<br />

Personalreferent Gesundheitskoordinator<br />

BR-Vorsitzender Personalleiter<br />

BR-Gesundheit FaSi<br />

BR-Gruppe B-Ärztin (regional)<br />

Geschäftsleiter B-Ärztin (überregional)<br />

Tabelle 2: Übersicht Unternehmen und Gesprächspartner der Fallstudien (Vollstudien)<br />

64


Teilstudien<br />

Branche Funktion der Interviewpartner<br />

Unternehmen aus den Branchen von<br />

ver.di (Banken)<br />

(Fallstudie 3)<br />

Unternehmen aus den Branchen von<br />

ver.di (Banken)<br />

(Fallstudie 5)<br />

Unternehmen aus den Branchen der IG<br />

BCE<br />

(Fallstudie 6)<br />

Unternehmen aus den Branchen der IG<br />

Metall<br />

(Fallstudie 10)<br />

BR-Vorsitzender<br />

BR-Gesundheit<br />

BR-Vorsitzende, Standort A<br />

BR-Vorsitzende, Standort B<br />

BR, Standort B<br />

BR-Vorsitzender<br />

BR-Gesundheit<br />

BR (Gruppe)<br />

BR-Vorsitzender<br />

BR-Gesundheit<br />

BR<br />

FaSi<br />

Tabelle 3: Übersicht Unternehmen und Gesprächspartner der Fallstudien (Teilstudien)<br />

Wie beim ersten Arbeitspaket ging den Interviews die Versendung eines standardisierten<br />

Vorabfragebogens voraus, um die Ist-Situation der betrieblichen Gesundheitspolitik in den<br />

Unternehmen zu erheben und die Ergebnisse in die Interviews einfließen zu lassen. Dieser<br />

Fragebogen wurde bis auf eine Ausnahme von den Betriebs- und Personalräten ausgefüllt.<br />

In einem Fallstudienunternehmen wurde der Fragebogen sowohl vom Betriebsrat als auch<br />

vom Vorstand beantwortet. Der Vorabfragebogen diente erstens zur Vorbereitung und Zu-<br />

spitzung der Interviews und zweitens als eine wesentliche Quelle – neben den Interviews –<br />

für den Abgleich der betrieblichen Gesundheitspolitik mit dem Referenzmodell (vgl. Kapitel<br />

3). Als weitere Informationsquelle wurden die Internetpräsentationen der Unternehmen her-<br />

angezogen.<br />

Für die Experteninterviews im Rahmen der Fallstudien wurde ein allgemeiner Interviewleitfa-<br />

den mit Spezifikationen für einzelne Akteure entwickelt und verwendet. Die Themenblöcke<br />

richteten sich – gemäß des Anliegens der Fallstudien, für eine größere Tiefenschärfe und die<br />

Erfassung von Kontextbedingungen zu sorgen – auf:<br />

allgemeine Informationen zur Interviewperson und Institution<br />

den Systemzustand der betrieblichen Gesundheitspolitik (Beschreibung, Bewertung,<br />

Entwicklung und zukünftige Herausforderungen)<br />

65


die Akteure (Beschreibung und Bewertung des Handelns und der Zusammenarbeit der<br />

Akteure im Themenfeld Gesundheit – inkl. der Entwicklung und der zukünftigen Her-<br />

ausforderungen)<br />

dem Gesundheitsverständnis (Eigen- und Fremdwahrnehmung von Gesundheitsver-<br />

ständnis und betrieblicher Gesundheitspolitik)<br />

die Motorfunktion in der betrieblichen Gesundheitspolitik (Beschreibung von Personen<br />

und Institutionen, die das Thema Gesundheit im Unternehmen vorantreiben bzw. in der<br />

(Weiter)Entwicklung behindern)<br />

Verfahren und Mechanismen (Beschreibung und Bewertung von Verfahren und Me-<br />

chanismen, die das Thema Gesundheit fördern bzw. hemmen)<br />

An- und Abkopplungsprozesse (Beschreibung und Bewertung von (unternehmensin-<br />

ternen) Prozessen, in die das Thema Gesundheit integriert werden könnte)<br />

Fördernde und hemmende Bedingungen (Beschreibung und Bewertung von unter-<br />

nehmensspezifischen Rahmenbedingungen, die das Thema Gesundheit fördern bzw.<br />

hemmen)<br />

Kompetenz- und Unterstützungsbedarf (Beschreibung und Bewertung des Kompetenz-<br />

und Unterstützungsbedarfs bei den für das Thema Gesundheit verantwortlichen Per-<br />

sonen bzw. beim BR)<br />

Anbieter (Beschreibung und Bewertung des Angebots von Bildungsträgern im Bereich<br />

der betrieblichen Gesundheitspolitik).<br />

Das Vorgehen bei der Auswertung der Experteninterviews erfolgte analog zu AP 1. Neben<br />

den Vorabfragebögen wurden im Vorfeld der Fallstudien Informationen zu den Unternehmen<br />

und ihrer betrieblichen Gesundheitspolitik durch Literatur- und Internetrecherchen eingeholt.<br />

Den einzelnen Fallstudienberichten (s. Kapitel 7.2) liegt eine inhaltliche Struktur zugrunde,<br />

mit der die Kontextbedingungen und Handlungskonstellationen erfasst sowie eine Übersicht-<br />

lichkeit bzw. Vergleichbarkeit ermöglicht werden sollen:<br />

In den Eckdaten werden wichtige Parameter des Unternehmens (z. B. Branche, Größe,<br />

Angaben zum BR-Gremium) zusammengefasst und ein Überblick über die interviewten<br />

Experten gegeben.<br />

Die Darstellung des Entwicklungsstandes und wichtiger Meilensteine der betrieblichen<br />

Gesundheitspolitik erfolgt aus der Perspektive der Projektbearbeiter.<br />

Anschließend werden wichtige Aussagen aus den Interviews zusammengefasst, die<br />

sich auf die Bewertung der betrieblichen Gesundheitspolitik beziehen. Daran schließt<br />

sich ein – wiederum aus der Perspektive der Projektbearbeiter – Abgleich mit dem Re-<br />

66


ferenzmodell an, der auf Basis des Vorabfragebogens und der Interviews durchgeführt<br />

wurde.<br />

Es folgt ein Überblick über die in den Interviews genannten Akteure der betrieblichen<br />

Gesundheitspolitik. Hinsichtlich der Akteurskonstellationen werden zunächst Eigen-<br />

wahrnehmungen der interviewten Betriebsräte geschildert und danach durch die<br />

Fremdwahrnehmung der anderen Interviewten ergänzt.<br />

Daraufhin werden die übrigen Akteure bezüglich ihrer Eigen- und Fremdwahrnehmung<br />

beschrieben.<br />

Das abschließende Fazit fasst wesentliche fördernde und hemmende Faktoren für die<br />

betriebliche Gesundheitspolitik zusammen, benennt die jeweiligen Treiber bzw. Moto-<br />

ren und identifiziert den unternehmensbezogenen wahrgenommenen Handlungsbedarf<br />

im Themenfeld Gesundheit.<br />

Die Fallstudienberichte wurden den Ansprechpartnern (in der Regel der Betriebsratsvorsit-<br />

zende bzw. der für das Thema Gesundheit verantwortliche Betriebsrat) zur Verfügung ge-<br />

stellt mit der Bitte, diese an alle anderen Interviewpersonen weiterzuleiten. Zudem wurde die<br />

Möglichkeit gegeben, falsche Darstellungen faktischer Tatsachen zu korrigieren.<br />

Ergänzend wurde den Ansprechpartnern ein halbtägiger Workshop angeboten, um die Er-<br />

gebnisse zusammenfassend vorzustellen und gemeinsam zu diskutieren. Damit sollte ein<br />

differenziertes Feedback zum Stand der betrieblichen Gesundheitspolitik und des BGM er-<br />

möglicht und Impulse für dessen Weiterentwicklung gegeben werden. So wurden beispiels-<br />

weise die unterschiedlichen Wahrnehmungen der Akteure hinsichtlich der Einschätzung der<br />

betrieblichen Gesundheitspolitik erörtert und wichtige zukünftige Handlungsfelder identifiziert.<br />

Das Angebot wurde von vier Fallstudienunternehmen in Anspruch genommen. Die anderen<br />

Unternehmen lehnten das Angebot ab und führten z. T. Begründungen wie fehlende zeitliche<br />

Ressourcen an.<br />

67


7. Ergebnisse des Projekts<br />

Die Darstellung der Projektergebnisse gliedert sich in vier Teile. In Kapitel 7.1 werden die<br />

Ergebnisse der Dokumentenanalyse und Experteninterviews präsentiert. In Kapitel 7.2. folgt<br />

die ausführliche Darstellung der zehn Fallstudien. In Kapitel 7.3 werden die empirischen Be-<br />

funde zusammengefasst und in Kapitel 7.4 mit den eingangs formulierten Projekthypothesen<br />

gespiegelt.<br />

7.1 Ergebnisse der Dokumentenanalyse und der Experteninterviews mit den Be-<br />

triebsräten<br />

Die vielfältigen Aussagen der Experten, insbesondere der Betriebsräte, werden im Folgen-<br />

den unter den Themenblöcken Gesundheitsverständnis (7.1.1), Gesundheitsarbeit (7.1.2),<br />

Politikmuster (7.1.3), fördernde und hemmende Bedingungen aus Betriebsratssicht (7.1.4)<br />

und Selbstbilder von Betriebsräten (7.1.5) zusammengefasst. Im Unterschied zu den Fallstu-<br />

dien ist dabei zu berücksichtigen, dass in den Unternehmen lediglich die Betriebsräte, jedoch<br />

keine weiteren Akteure der betrieblichen Gesundheitspolitik interviewt wurden.<br />

7.1.1 Gesundheitsverständnis<br />

Die Gestaltung der betrieblichen Gesundheitspolitik wird bestimmt durch die verantwortlich<br />

handelnden Akteure und ihr Verständnis von Gesundheit im betrieblichen Kontext. Im Rah-<br />

men dieses Projektes war es vorrangig von Interesse, welches Gesundheitsverständnis Be-<br />

triebsräte besitzen und in welchen Facetten betriebsrätlicher Arbeit sich das Thema Ge-<br />

sundheit widerspiegelt.<br />

Aus den verschiedenen Experteninterviews geht hervor, dass die einschlägigen Gesund-<br />

heitsdefinitionen (ILO/WHO) als überwiegend bekannt erachtet werden können, auch wenn<br />

sie im Einzelfall von den Akteuren unterschiedlich ausgelegt werden. Zu einem großen Teil<br />

werden diese Definitionen als Orientierung gebende Leitwerte anerkannt und als solche in<br />

die betriebliche Arbeit „übersetzt“. Allerdings gibt es auch eher ablehnende Sichtweisen, die<br />

mit einer mangelnden Praxistauglichkeit der Definitionen und zu schwammigen, wenig greif-<br />

baren Zielen begründet werden. Einige Betriebsräte interpretieren Gesundheit in Richtung<br />

Wohlbefinden bei der Arbeit und Arbeitszufriedenheit, während andere den Begriff „Wohlbe-<br />

finden“ in diesem Kontext als gänzlich unzutreffend empfinden.<br />

Arbeitsweltbezogene Prävention erfordert aus Sicht der interviewten Betriebsräte eine Aus-<br />

gewogenheit zwischen Verhältnis- und Verhaltensprävention. In einem ganzheitlichen Sinn<br />

68


werden der oftmals historisch gewachsene, gesetzlich geregelte Arbeits- und Gesundheits-<br />

schutz sowie die den Arbeitsschutz ergänzenden freiwilligen Maßnahmen der Gesundheits-<br />

förderung als relevante Gestaltungsfelder der betrieblichen Gesundheitspolitik angesehen.<br />

Allerdings sieht die überwiegende Zahl der interviewten Betriebsräte Gesundheitsförde-<br />

rungsmaßnahmen in erster Linie als zusätzliche Angebote an, während der „klassische“ Ar-<br />

beits- und Gesundheitsschutz als notwendiger, oftmals bereits langfristig institutionalisierter<br />

Bestandteil betrieblicher Gesundheitspolitik erachtet wird. Insbesondere in den Produktions-<br />

unternehmen wird überwiegend die Auffassung vertreten, dass die Verhältnisse in vielen<br />

Bereichen gut gestaltet seien, dass aber das Gesundheitsverhalten der Mitarbeiter oftmals<br />

nicht adäquat sei (bspw. wenn der Nichtraucherbereich ignoriert werde). Bei der Verhaltens-<br />

prävention wird darüber hinaus differenziert zwischen Verhaltensweisen, die durch Maß-<br />

nahmen der betrieblichen Gesundheitsförderung beeinflussbar sind, und solchen, die eher in<br />

den privaten Bereich der Lebensführung und nicht in die betriebliche Verantwortung fallen.<br />

Weiterhin wichtig in diesem Kontext ist das Verständnis von Betriebsräten hinsichtlich ar-<br />

beitsbedingter psychischer Belastungen. Insbesondere die Themen „Stress“, „Überforde-<br />

rung“, „Leistungsdruck“ werden zunehmend als zentrale Einflussfaktoren auf die menschli-<br />

che Gesundheit wahrgenommen. Im Zusammenhang mit psychischen Belastungen wird zu-<br />

dem der Einfluss der sozialen Beziehungen und des Führungsverhaltens auf die Gesund-<br />

heitssituation der Beschäftigten betont.<br />

Bei dem Thema psychische Belastungen wird, trotz eines offensichtlich deutlich vorhande-<br />

nen Problembewusstseins, vielfach eine gewisse Hilflosigkeit im Umgang mit dem Thema<br />

und seiner betrieblichen Bearbeitung geäußert. Zentrale Fragen sind dabei: Wie grenze ich<br />

das Thema psychische Belastungen ein? Wie schiebe ich es im Betrieb an? Wie kann das<br />

Thema enttabuisiert werden – sowohl bei der Belegschaft als auch beim Arbeitgeber? Wel-<br />

che möglichen (internen und externen) Kooperationspartner gibt es? Welche Instrumente<br />

passen am besten? Wie können Maßnahmen erarbeitet und nachhaltig umgesetzt werden?<br />

Darüber hinaus lenken die Gesprächspartner ihren Blick bei dem Thema psychische Belas-<br />

tungen nicht selten auf den Umgang mit psychisch erkrankten Mitarbeitern. Dieses Ver-<br />

ständnis fokussiert den betrieblichen Umgang mit bereits Erkrankten und gehört somit the-<br />

matisch eher zu den Aufgaben eines BEM.<br />

Unsicherheit herrscht bei den Betriebsräten auch hinsichtlich der Inhalte und des Umfangs<br />

eines ganzheitlich integrierten BGM. Hier beziehen sich die Befürchtungen vor allem auf die<br />

Komplexität des Themas, das zu umfassend sei, um es in Gänze bearbeiten zu können. Ein<br />

geringer Teil der interviewten Betriebsräte lehnt zudem den Begriff „Betriebliches Gesund-<br />

heitsmanagement“ ab, nicht zuletzt aufgrund negativer Erfahrungen mit anderen „Manage-<br />

ment-Moden“. Vielfach versprechen sich Betriebsräte ein besseres Vorankommen in der<br />

69


etrieblichen Gesundheitspolitik durch die Bearbeitung von Einzelthemen, z. B. Arbeitszeit,<br />

Stress oder die betriebliche Normierung der Arbeitsflächen.<br />

Zusammenfassend kann das Gesundheitsverständnis der Betriebsräte als ganzheitlich im<br />

Sinne der Gesundheitsdefinition ILO/WHO angesehen werden. Auch die unterschiedliche<br />

Betonung einzelner Aspekte erschüttert diesen Befund nicht. Im Rahmen des betrieblichen<br />

gesundheitspolitischen Diskurses sind die Definitionen bei den Betriebsräten offenbar ange-<br />

kommen und werden als „Schablone“ der eigenen Arbeit angelegt. Dies verdeutlicht, dass<br />

die „engen Grenzen“ der klassischen Arbeitssicherheit überschritten werden und neue An-<br />

sätze das Denken und Handeln der betrieblichen Akteure und hier speziell der Betriebsräte<br />

wenn nicht bestimmt, so doch beeinflusst.<br />

Ein sehr heterogenes Bild ergibt sich bei dem Verständnis von „psychischen Belastungen“.<br />

Diese werden vielfach unter den Begriffen „Stress“ und „Leistungsdruck“ diskutiert und es<br />

wird hingewiesen auf den Zusammenhang von psychischen Belastungen mit den sozialen<br />

Beziehungen am Arbeitsplatz und dem Führungsverhalten. In eine andere Richtung geht<br />

eine weitere Thematisierung dieser Belastung unter dem psychisch bedingten Krankheitsge-<br />

schehen, bspw. Depressionen oder Angstzustände. Festzustellen ist aber auch eine gewisse<br />

Hilflosigkeit bei den Betriebsräten im Umgang mit dem Thema psychische Belastungen und<br />

seiner betrieblichen Bearbeitung. Die zum Teil auszumachende Hilflosigkeit lässt sich bei-<br />

spielhaft darstellen anhand der Fragen: Wie grenze ich das Thema psychische Belastungen<br />

ein? Wie schiebe ich es im Betrieb an? Wie kann das Thema enttabuisiert werden – sowohl<br />

bei der Belegschaft als auch beim Arbeitgeber? Welche möglichen (internen und externen)<br />

Kooperationspartner gibt es? Welche Instrumente passen am besten? Wie können Maß-<br />

nahmen erarbeitet und nachhaltig umgesetzt werden?<br />

7.1.2 Gesundheitsarbeit<br />

Positiv ist zunächst festzuhalten, dass in den Betrieben bereits vielfältige Aktivitäten im The-<br />

menfeld Gesundheit stattfinden. So zeigen die Ergebnisse der Fragebögen zur betrieblichen<br />

Gesundheitsarbeit sowie die mit den Betriebsräten geführten Interviews, dass in den meisten<br />

Unternehmen regelmäßig Begehungen stattfinden, an denen der Betriebsrat teilnimmt. Aller-<br />

dings ist nicht immer gewährleistet, dass der Betriebsrat rechtzeitig informiert wird bspw.<br />

über Durchführung von Begehungen und über abgeleitete Maßnahmen zu den Ergebnissen<br />

der. Die Begehungen in den Unternehmen werden überwiegend durch die Fachkräfte für<br />

Arbeitssicherheit organisiert und koordiniert.<br />

Werden bei den Begehungen Missstände festgestellt, ist es zumeist Aufgabe der jeweiligen<br />

Führungskraft, für ihre Beseitigung zu sorgen. In einem Fall wurde auch berichtet, dass Füh-<br />

rungskräfte mit den Betriebsräten Kontakt aufnehmen und im Rahmen von bspw. Begehun-<br />

70


gen auf Missstände hinweisen. Die Behebung solcher im Rahmen des Arbeitsschutzes fest-<br />

gestellten Missstände läuft dann nicht über das Budget des Arbeitsbereiches, sondern über<br />

das allgemeine Arbeitsschutzbudget.<br />

Unterweisungen werden in der Regel in den Unternehmen durchgeführt, deren Arbeitstätig-<br />

keiten risikobelastet sind bzw. die ein erhöhtes Gefährdungspotenzial aufweisen. In Dienst-<br />

leistungsunternehmen sind Unterweisungen eher selten anzutreffen.<br />

Über die Durchführung von Gefährdungsbeurteilungen werden in Abhängigkeit zur Branche<br />

unterschiedliche Aussagen gemacht. In der überwiegenden Anzahl der Unternehmen wer-<br />

den Gefährdungsbeurteilungen durchgeführt, die Art der Ausführung sowie die Intensität der<br />

Beteiligung der Betriebsräte schwanken jedoch stark. In den betrachteten Produktionsbetrie-<br />

ben finden Gefährdungsbeurteilungen insbesondere der physischen Gefährdungen und Be-<br />

lastungsfaktoren in der Regel statt. Die Betriebsräte sind in unterschiedlicher Intensität direkt<br />

beteiligt oder werden zumindest über die Durchführung informiert. In den Dienstleistungsun-<br />

ternehmen scheint die Gefährdungsbeurteilung dagegen weniger stark ausgeprägt, hier ist<br />

noch ein starkes Such- und Erprobungsverhalten festzustellen. In einem Fall ist ihre erstma-<br />

lige Durchführung sogar ein Streitpunkt zwischen den Betriebsparteien.<br />

Die psychischen Belastungsfaktoren sind lediglich in drei Unternehmen explizit Thema einer<br />

Gefährdungsbeurteilung. Die Gründe hierfür sind vielfältig, wiederkehrend werden überwie-<br />

gend zwei Aspekte betont. Zum einen wird, wie bereits oben ausgeführt, das Thema psychi-<br />

sche Belastungen als sehr komplex wahrgenommen, wodurch es zu Überforderungssituatio-<br />

nen kommt. Zum anderen werden psychische Belastungen oftmals in Zusammenhang mit<br />

psychischen Erkrankungen gesehen und unter der Frage einer Einbindung psychisch er-<br />

krankter Mitarbeiter diskutiert. Speziell im Dienstleistungsbereich wird zudem die Angst des<br />

Arbeitgebers vor einer Analyse des Belastungsspektrums als Hinderungsgrund für die<br />

Durchführung einer Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen und der damit ver-<br />

bundenen Notwendigkeit zum Ergreifen von Maßnahmen genannt.<br />

In allen Unternehmen gibt es zumindest eine Fachkraft für Arbeitssicherheit und einen Ar-<br />

beitsmediziner bzw. sind diese Funktionen bestellt. Der Arbeitsschutzausschuss ist in der<br />

überwiegenden Zahl der Unternehmen eingerichtet und tagt regelmäßig. In vielen Fällen wird<br />

dieser Ausschuss auch als Ort wahrgenommen, an dem das Thema Gesundheit in erster<br />

Linie bearbeitet wird.<br />

Verfahren zur betrieblichen (Wieder-)Eingliederung langzeiterkrankter Mitarbeiter sind erst in<br />

wenigen Fällen implementiert. Neben der Einschätzung, das BEM sei unnötig, der Vernei-<br />

nung von betrieblichen Wiedereingliederungsfällen oder dem Hinweis auf stufenweise<br />

Heranführung langzeiterkrankter Mitarbeiter mit Unterstützung der Krankenkasse, wird in<br />

manchen Fällen von den Betriebsräten die Befürchtung geäußert, dass ein solches Vorge-<br />

71


hen in Form von sanktionierenden Rückkehrgesprächen missbraucht wird und man daher<br />

das Thema distanziert betrachtet.<br />

Maßnahmen zur Gesundheitsförderung sind nicht in jedem Unternehmen verbreitet. Sie<br />

werden überwiegend als freiwilliges Angebot bezeichnet und von den interviewten Betriebs-<br />

räten grundsätzlich begrüßt. Neben Angeboten zum Betriebssport und Gesundheitstagen<br />

werden insbesondere bei den Dienstleistern Angebote zur sozialen und psychologischen<br />

Betreuung genannt.<br />

Die Bedeutung von Betriebsvereinbarungen im Themenfeld Gesundheit wird unterschiedlich<br />

interpretiert. Auch hier spielen die Branche, die Unternehmensgröße und die Mitbestim-<br />

mungspraxis eine wichtige Rolle. Betriebsvereinbarungen speziell zum BGM existieren ledig-<br />

lich in zwei der betrachteten Unternehmen. In zwei weiteren ist zum praktizierten BGM keine<br />

Betriebsvereinbarung zwischen den Betriebsparteien abgeschlossen worden.<br />

Eine Integration des Themas Gesundheit in die Betriebsroutinen der Organisation findet<br />

überwiegend nicht statt. Lediglich in zwei Unternehmen ist das Thema integriert. Dabei han-<br />

delt es sich um Unternehmen mit stark ausgeprägter Mitbestimmungskultur. Die Pflichten-<br />

übertragung an Führungskräfte erfolgt in den Unternehmen eher auf formaler Ebene und<br />

wird nicht mit Leben gefüllt. Zum Teil sehen Führungskräfte trotz formaler Übertragung der<br />

Pflichten (bspw. in einer Stellenbeschreibung) das Thema Gesundheit eher als Randthema<br />

ihrer Arbeit an.<br />

Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass sich die betriebliche Gesundheitsarbeit in<br />

den betrachteten Betrieben sehr facettenreich darstellt und sich überwiegend an den gesetz-<br />

lich vorgesehenen und in den Betrieben eingespielten Verfahren, Instrumenten und Prozes-<br />

sen orientiert. Die Aktivitäten, die im Rahmen des klassischen Arbeitsschutzes etabliert sind<br />

(Begehungen, Unterweisungen, Gefährdungsbeurteilungen etc.), werden in nahezu allen<br />

Betrieben praktiziert. In fast allen Betrieben ist ein Arbeitsschutzausschuss eingerichtet und<br />

sind Fachkräfte für Arbeitssicherheit und Betriebsärzte bestellt, wobei diese betrieblichen<br />

Gesundheitsexperten überwiegend durch externe Dienstleister gestellt werden und nur sel-<br />

ten Arbeitnehmer des Unternehmens sind. Es werden regelmäßig Begehungen durchgeführt<br />

und mit Abstrichen Unterweisungen abgehalten. Nicht selten ist das Feld des Arbeits- und<br />

Gesundheitsschutzes an die betrieblichen Experten Betriebsarzt und Fachkraft delegiert.<br />

Die Gefährdungsbeurteilung, scheint insbesondere im Hinblick auf die Ermittlung und Beur-<br />

teilung psychischer Belastungen stark ausbaufähig. Eine Aussage über die genaue Ausge-<br />

staltung und die jeweilige Qualität kann aber anhand der geringen Einblicke nicht getroffen<br />

werden.<br />

Ein weiterer Aspekt, der kritisch zu hinterfragen ist, ist die Beteiligung der Interessenvertreter<br />

an den im Unternehmen laufenden Prozessen der betrieblichen Gesundheitsarbeit. Die wei-<br />

72


tere Bearbeitung bspw. der Begehungen oder der Gefährdungsbeurteilung verläuft offenbar<br />

nicht immer reibungslos. Mehrfach angesprochen wurden unzureichende Informationsflüsse<br />

und eine mangelnde Maßnahmenverfolgung. Es soll aber auch angemerkt werden, dass in<br />

manchen Betrieben das Interesse seitens der Betriebsräte, nachhaltig in den Informations-<br />

prozess eingebunden zu sein, nicht sehr ausgeprägt erscheint.<br />

7.1.3 Politikmuster<br />

Die betriebliche Gesundheitspolitik wird maßgeblich beeinflusst durch das Handeln der Be-<br />

triebsparteien und ihre jeweiligen Interaktionsbeziehungen, d. h. wie sie miteinander umge-<br />

hen, wie sie ihre Interessen einbringen, verteidigen und durchzusetzen suchen. Es handelt<br />

sich hier um ein Phänomen, das sich in jeder Organisation im Rahmen ihrer organisationalen<br />

Strukturen und Verfahren abspielt. Von besonderer Bedeutung sind dabei die Regulations-<br />

mechanismen, mit denen die Akteure ihre Interessen durch die (Re-)Produktion geeigneter<br />

Strukturen und Verfahren zu sichern oder zu steigern versuchen.<br />

In diesem Abschnitt sollen zunächst die allgemeinen betriebspolitischen Politikmuster be-<br />

trachtet werden und über die Beschreibung der verschiedenen Zugangswege zum Thema<br />

Gesundheit auf die Politikmuster in der betrieblichen Gesundheitspolitik eingegangen wer-<br />

den.<br />

Die vorgefundenen allgemeinen Politikmuster der Betriebsräte werden von verschiedenen<br />

Faktoren, insbesondere von der Branchenzugehörigkeit und der Unternehmensgröße und<br />

damit von der Betriebsratsgröße bzw. Anzahl der freigestellten Betriebsräte beeinflusst. Je<br />

größer das Unternehmen, desto ausgeprägter ist in der Regel die Betriebsratsarbeit und des-<br />

to intensiver und routinierter sind die betriebspolitischen Austauschbeziehungen. In Unter-<br />

nehmen, in denen es eine historisch gewachsene Mitbestimmungstradition gibt, existieren<br />

betriebspolitische Routinen und Verfahren. Es besteht zudem auf der allgemeinen betriebs-<br />

politischen Ebene wenig Dissens bezüglich mitbestimmungsrelevanter Themen.<br />

In Unternehmen bzw. Branchen, in denen Mitbestimmung historisch eher die Rolle einer<br />

„Randerscheinung“ gespielt hat, müssen bisher brachliegende mitbestimmungsrelevante<br />

Themen (wie der Gesundheitsschutz) erst „erkämpft“ werden. Insbesondere das Thema Ge-<br />

sundheit ist hier doppelt betroffen, da es bisher wenig zwischen den Betriebsparteien regu-<br />

liert wurde und in seiner mitbestimmungsrelevanten Komplexität umstritten ist.<br />

Im Sample des ersten Arbeitspaketes war zudem ein Fall anzutreffen, in dem zwischen den<br />

Betriebsparteien eine, bezogen auf das Thema Gesundheit, ausschließliche Konfliktorientie-<br />

rung den Regulationsmodus bestimmt, Informationsrechte missachtet, Sachverständige ver-<br />

wehrt werden etc. In diesem Unternehmen wird nahezu jedes mitbestimmungsrelevante<br />

73


Thema über den Weg der Einigungsstelle erkämpft, wodurch letztlich auch die Arbeit des<br />

Betriebsrates blockiert wird.<br />

Die Zugangswege, Gesundheit betriebspolitisch zu thematisieren, werden auch von den Be-<br />

triebsräten stark über die ökonomische Argumentationsebene gesehen. Ein Betriebsrat plat-<br />

ziert das Gesundheitsthema stets, indem er argumentativ die Geschäftsleitung von der wirt-<br />

schaftlichen Vorteilhaftigkeit gesundheitsbezogener Aktivitäten zu überzeugen versucht bzw.<br />

win-win -Situationen aufzeigt. In eine ähnliche Richtung geht der Appell einiger Betriebsräte,<br />

dass Gesundheit zusammen mit einem effektiven Arbeitsstil einhergehe. Die Arbeitgeber<br />

sind, so der überwiegende Tenor der interviewten Betriebsräte, nicht über Gesundheit als<br />

Selbstzweck, sondern über die ökonomische Bedeutung insbesondere des Krankheits- und<br />

Fehlzeitengeschehens zu gewinnen.<br />

Moralisierende Appelle, bspw. Gesundheit als Gut an sich zu erhalten und zu fördern, wer-<br />

den als weniger Erfolg versprechend bewertet. Allerdings bestehen Zugangsmöglichkeiten<br />

über andere Themen, bspw. Arbeitszufriedenheit oder positive Außenwirkung bei der Ge-<br />

winnung von Fachkräften. Als mögliche weitere Zugangswege werden angeführt: die Unter-<br />

nehmenskultur oder Einzelaspekte wie Arbeitszeit als ein Schlüssel zum Gesundheitsschutz,<br />

der demografische Wandel und damit verbunden gesundes Arbeiten bis zum Rentenüber-<br />

gang, aber auch der Zusammenhang zwischen Führung und Gesundheit.<br />

Zugangswege zum Themenfeld Gesundheit bestehen zudem über die gewerkschaftliche<br />

Unterstützung und den gewerkschaftlichen Austausch. Dies zeigt sich insbesondere in den<br />

Unternehmen, in denen Betriebsräte um die gesundheitspolitische Anerkennung kämpfen<br />

müssen, bspw. um Themen auf die betriebspolitische Agenda zu setzen.<br />

Ebenso vielfältig sind die innerbetrieblichen Politikmuster im Themenfeld Gesundheit. Die<br />

Betriebsparteien gehen in der überwiegenden Anzahl der betrachteten Fälle beim Thema<br />

Gesundheit konstruktiv und kooperativ miteinander um. Allerdings spielen die Betriebsräte,<br />

so der Eindruck aus den Interviews, bei dem Thema auf Zeit, indem sie vor einer Eskalation<br />

des Themas bis vor die Einigungsstelle zurückschrecken. Das bedeutet bspw. bei der Ein-<br />

forderung einer Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen, dass sich der Betriebsrat<br />

eher in einen Suchprozess begibt, als die Forderung letztlich auf rechtlichem Wege durchzu-<br />

setzen.<br />

Überwiegend werden die Betriebsräte beim Thema Gesundheit von der Arbeitgeberseite<br />

einbezogen und informiert. Abhängig von der Mitbestimmungstradition, der Unternehmens-<br />

größe und der Branche bringen sich die meisten Betriebsräte aktiv mit eigenen Vorschlägen<br />

in die betriebliche Gesundheitspolitik ein. Gleichwohl wurden auch Betriebsräte interviewt,<br />

die nicht einbezogen werden und deren eigene Vorschläge (bspw. Ermittlung psychischer<br />

Belastungen) als nicht regulierungsfähig angesehen werden.<br />

74


Größtenteils wird das Thema in institutionalisierten Gremien wie dem Arbeitsschutzaus-<br />

schuss bearbeitet oder (zusätzlich) in einem Arbeits- oder Steuerkreis Gesundheit, in dem<br />

beide Betriebsparteien vertreten sind. Die jeweiligen Ansprechpartner der Betriebsräte in der<br />

betrieblichen Gesundheitspolitik sind unterschiedlich und reichen vom Arbeitsdirektor über<br />

die HR-Abteilung bis hin zum Geschäftsführer. In einem kleineren Teil der Unternehmen ist<br />

hingegen nicht klar geregelt, wer das Thema „betreut“, bzw. welche Stelle die Koordination<br />

der betrieblichen Gesundheitspolitik übernimmt. In einem Teil dieser Fälle wiederum werden<br />

die Betriebsräte an die betrieblichen Gesundheitsexperten (Betriebsarzt oder Fachkraft) ver-<br />

wiesen.<br />

Der Abschluss von Betriebsvereinbarungen wird von einem Teil der Betriebsräte als wichti-<br />

ges Instrument der betrieblichen Gesundheitspolitik genannt. Existieren Betriebsvereinba-<br />

rungen, wird in der betriebspolitischen Auseinandersetzung darauf Bezug genommen, eben-<br />

so bei der Existenz von Leitlinien oder Unternehmensgrundsätze, die dann auch den Rah-<br />

men vorgeben. Ein anderer Teil der Betriebsräte ist aber skeptisch, Gesundheitsthemen mit<br />

einer Betriebsvereinbarung „vorzuschreiben“. Was nütze es, Themen auf Papier festzuhal-<br />

ten, ohne damit Einfluss auf die alltägliche Praxis zu nehmen, ist hierbei ebenso ein Argu-<br />

ment, wie die durch eine Betriebsvereinbarung festgeschriebene Unbeweglichkeit bei kom-<br />

plexen Themen. In letzterem Fall wurde von dem Interviewpartner für ein schrittweises Vor-<br />

gehen plädiert.<br />

Um sich beim Thema Gesundheit Gehör zu verschaffen, versuchen die Betriebsräte, sich mit<br />

Sensibilisierung einen Rückhalt in der Belegschaft zu schaffen. In einem Fall, in dem die<br />

betriebliche Gesundheitspolitik nicht stark ausgeprägt ist, ist der Betriebsrat bemüht, im<br />

Rahmen von Vieraugengesprächen das Thema Gesundheit voranzutreiben, in dem in den<br />

Gesprächen ein gemeinsames Verständnis gesichert wird oder Forderungen diskutiert wer-<br />

den.<br />

Auch innerhalb der BR-Gremien gibt es unterschiedliche Ausprägungen der gesundheitspoli-<br />

tischen Arbeit. In kleinen Gremien wird das Thema Gesundheit eher dann behandelt, wenn<br />

der Vorsitzende oder ein freigestellter Betriebsrat es sich zur eigenen Aufgabe gemacht ha-<br />

ben. In größeren Gremien hingegen wird das Thema oftmals an einen Ausschuss delegiert,<br />

was gleichsam die Gefahr birgt, dass das Thema „abgeschoben“ wird. In einem Fall konnte<br />

aber auch beobachtet werden, dass die Attraktivität des Gesundheitsausschusses aufgrund<br />

der intensiven Beschäftigung eines Freigestellten mit dem Thema Gesundheit und der sich<br />

einstellenden „Erfolge“ gesteigert werden konnte.<br />

In einem weiteren Betriebsratsgremium ist es im Themenfeld Gesundheit zu einer Fraktions-<br />

bildung gekommen mit unterschiedlichen Ansichten dazu, wie das Thema Gesundheit, ins-<br />

besondere die Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen, gehandhabt werden soll.<br />

75


Ist die eine Fraktion eher für ein konfrontatives Vorgehen, plädiert die andere für ein schritt-<br />

weises Vorgehen.<br />

Die Entscheidungsfindung in den Betriebsratsgremien erfolgt auf unterschiedliche Art und<br />

Weise. Zum Teil werden ausgewogene und schnelle Entscheidungen zu Gesundheitsfragen<br />

getroffen, wobei diese Entscheidungen zwar von den betriebsrätlichen Fachexperten vorbe-<br />

reitet werden, die Wissensbasis im Gremium aber möglichst breit vorbereitet wird. Zu einem<br />

anderen Teil wird die Entscheidungsfindung als nicht immer leicht beschrieben, insbesonde-<br />

re wenn die angestrebte Maßnahme von der Belegschaft abgelehnt wird. Dass das Betriebs-<br />

ratsgremium nicht unbedingt an einem Strang zieht, wird aber auch als normal beurteilt, da<br />

die Interessendurchsetzung im Gremium stets ein politischer Prozess sei.<br />

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass das Gesundheitsthema auf verschiedene Weise<br />

Zugang in den betriebspolitischen Diskurs findet. Ein Einfallstor ist der Arbeits- und Gesund-<br />

heitsschutz, insbesondere in der gewachsenen Tradition des Arbeitssicherheitsdenkens.<br />

Zunehmend findet das Thema aber auch über die Diskussion „neuer“ bzw. sich wandelnder<br />

Belastungsstrukturen Zugang in den betrieblichen Diskurs, bspw. durch die Diskussion von<br />

geänderten Leistungsanforderungen aufgrund „indirekter Steuerung“.<br />

Der betriebliche gesundheitspolitische Diskurs wird neben der ökonomisierenden Betrach-<br />

tungsweise auch bestimmt durch aktuelle arbeitspolitische Diskurse, wie sie bspw. von den<br />

Gewerkschaften angestoßen worden sind und weiter geführt werden. Hier nehmen Betriebs-<br />

räte das Angebot der Gewerkschaften wahr und nutzen vereinzelt Angebote, das Thema<br />

durch Unterstützung der Gewerkschaften bspw. auf Betriebsversammlungen zu platzieren.<br />

Das Thema Gesundheit wird von nahezu allen Betriebsräten für ihre eigene Arbeit als wichtig<br />

benannt und es werden die vielfältigen Einflussmöglichkeiten des Themas als solche wahr-<br />

genommen. Das Themenfeld Gesundheit scheint jedoch kein Themenfeld zu sein, in dem<br />

die Betriebsräte ihre Forderungen erzwingbar durchsetzen. Auch in Unternehmen mit einer<br />

eher passiven und ablehnenden Gesundheitspolitik des Management und einer festgefahre-<br />

nen Konfliktsituation zwischen den Betriebsparteien beschreiten die Betriebsräte nur selten<br />

mit letzter Konsequenz die mitbestimmungsgegebenen Eskalationsstufen. Im Rahmen des<br />

Projektes war es trotz des Bemühens um eine möglichst große Varianz, in Bezug auf die<br />

Aktivität der Betriebsräte in der betrieblichen Gesundheitspolitik lediglich möglich, durch ein<br />

kleines Fenster auf die gesundheitspolitische Interessenvertretungspolitik in den Betrieben<br />

zu schauen. Somit kann aufgrund der vorliegenden Befunde nicht auf die gesamte Bandbrei-<br />

te unterschiedlicher Formen gesundheitspolitischen Handelns und Wirkens von Betriebsrä-<br />

ten geschlossen werden. Zudem verschließt sich deshalb auch eine typologische Kategori-<br />

sierung der vorgefundenen Politikmuster an dieser Stelle. Die Einblicke, die sich im Rahmen<br />

des Projektes ergeben haben, machen aber deutlich, dass das relative Gewicht betrieblicher<br />

76


Interessenvertretung in der betrieblichen Gesundheitspolitik durch den wachsenden Bedarf<br />

an pragmatischen, unternehmensspezifischen Mitbestimmungslösungen zukünftig eher noch<br />

an Bedeutung gewinnen wird und unterstreichen die Notwendigkeit tiefergehender Untersu-<br />

chungen.<br />

7.1.4 Fördernde und hemmende Faktoren aus Betriebsratssicht<br />

Fördernde und hemmende Faktoren treten in aller Regel nicht isoliert auf, sondern sind zu-<br />

meist kontextbezogen zu betrachten. Innerbetriebliche Bedingungen sowie äußere Rahmen-<br />

bedingungen können zur Folge haben, dass sich ein bestimmter Faktor im Fall A als förder-<br />

lich, im anderen Fall B aber als hinderlich erweist. Insofern fällt die Benennung von grund-<br />

sätzlich förderlichen und hemmenden Faktoren schwer und ist die vorgenommene Einteilung<br />

mehr im Sinne einer Tendenz als einer unumstößlichen Kategorisierung zu verstehen.<br />

Die Aussagen der interviewten Betriebs- und Personalräte können hinsichtlich der fördern-<br />

den Faktoren für die betriebliche Gesundheitspolitik zu folgenden Punkten verdichtet werden:<br />

Ein in vielen Interviews angesprochener Förderfaktor sind die rechtlichen Rahmenbedingun-<br />

gen, die durch das BetrVerfG, das ArbSchG und das SGB IX (letzteres hinsichtlich des BEM)<br />

gegeben sind. Konkret werden die damit verbundenen weitreichenden Mitbestimmungsmög-<br />

lichkeiten betont und einzelne Gesetze, z. B. das Montan-Mitbestimmungsgesetz, herausge-<br />

stellt. Über die Platzierung von Einzelthemen könne somit insgesamt das Gesundheitsthema<br />

auf die Agenda gesetzt werden („Arbeitszeit ist das Einfallstor Nr. 1…“). Selbst die Deregulie-<br />

rung von Arbeitsschutzvorschriften wird in einigen Interviews als Chance betrachtet: „Wir<br />

haben dort eine Deregulierung, die ich gerne immer als Chance verkaufe, nämlich mit ge-<br />

sundem Menschenverstand den Beteiligten selbst die Möglichkeit zu geben, bestimmte Din-<br />

ge zu regeln“. Gleichzeitig wird jedoch eingestanden, dass z. B. die Initiativrechte des<br />

BetrVerfG noch zu wenig genutzt werden und sich viele Betriebsräte ihrer Mitbestimmungs-<br />

möglichkeiten noch nicht ausreichend bewusst sind. Zunehmend würden die Betriebsräte<br />

aber erkennen, welches Potenzial in den gesetzlichen Regelungen liegt.<br />

Die Möglichkeit der Profilierung des Betriebsrats über betriebliche Gesundheitspolitik ist ein<br />

weiterer Förderfaktor. Dieser Punkt wird zwar nur in wenigen Interviews angesprochen, dann<br />

aber sehr offen. Es gehe darum, sich für die nächste Wahlperiode als Betriebsrat zu positio-<br />

nieren, das Image des Betriebsrats zu verbessern und auf die Belange und Wünsche der<br />

Belegschaft einzugehen. Wenn dies dadurch zu erreichen ist, dass man sich als Betriebsrat<br />

in der betrieblichen Gesundheitspolitik engagiert, wird dieses Feld entsprechend bedient,<br />

sofern es dort Aussicht auf Erfolg versprechende Aktivitäten gibt.<br />

77


Als dritter Förderfaktor kann angeführt werden, dass sich Gesundheit zunehmend als ein<br />

gesellschaftliches Trendthema erweist, das auch in Unternehmen diskutiert wird. Die Einfüh-<br />

rung der Rente mit 67 wird hierbei als zusätzlicher Treiber wahrgenommen, sich um die Ge-<br />

sundheit der Belegschaft zu kümmern. Es gebe ein steigendes Bewusstsein bei den betrieb-<br />

lichen Akteuren, dass im Bereich Gesundheit mehr getan werden müsse – nicht zuletzt we-<br />

gen der vielfach wahrgenommen Zunahme psychosozialer Belastungen. Allerdings wird<br />

auch festgestellt, dass diese gestiegene Sensibilität nicht parallel einhergeht mit entspre-<br />

chenden Aktivitäten.<br />

Als ein sehr vielschichtiger Förderfaktor sind die unterschiedlichen Vernetzungen und Ko-<br />

operationen des Betriebsrats mit internen und externen Akteuren zu nennen. Dies beginnt<br />

mit einer ausgeprägten und konstruktiv gestalteten Diskussionskultur zwischen den Be-<br />

triebsparteien und dem Aufbau gut funktionierender interner Informationskanäle für die Be-<br />

triebsratsarbeit. Hinsichtlich der Diskussionskultur wird immer wieder deutlich, dass diese<br />

neben der allgemeinen Kultur des Umgangs auch von den jeweils handelnden Personen<br />

abhängt. Als günstig wird beschrieben, wenn es bei den Betriebsparteien die Einsicht gibt,<br />

dass man andere, aber keine grundsätzlich gegensätzlichen Ansichten hinsichtlich der be-<br />

trieblichen Gesundheitspolitik hat. Von fast allen Interviewpartnern wird darüber hinaus eine<br />

intensive Kooperation mit externen Akteuren für förderlich gehalten. Beispielsweise werden<br />

Gewerkschaftskampagnen und -veranstaltungen von einer Reihe der Befragten als wichtig<br />

angesehen, sofern sie an die betrieblichen Gegebenheiten angepasst werden, über den ei-<br />

genen Horizont hinaus blicken und einen Erfahrungsaustausch ermöglichen („Das Thema<br />

Gute Arbeit halte ich für eines der besten Programme, die die Gewerkschaften je aufgelegt<br />

haben. Endlich hat man mal etwas in der Hand, womit man losziehen kann“.). Neben den<br />

Kampagnen werden die gewerkschaftlichen Bildungsangebote von einigen Betriebsräten als<br />

„starkes Pfund“ bezeichnet. Nicht unerwähnt sollen vereinzelte kritische Anmerkungen be-<br />

züglich der Inanspruchnahme gewerkschaftlicher Unterstützung bleiben: „Meine Vorstellun-<br />

gen bzw. meine Erwartungshaltung, was Gewerkschaften angeht, tendieren gegen Null.<br />

Aber auf jeden Fall sollten sie mit beteiligt werden. Man muss eben schauen, was raus-<br />

kommt“. Weiterhin wird der Beziehungsaufbau zu den Sozialversicherungsträgern für eine<br />

kontinuierliche Unterstützung der betrieblichen Gesundheitspolitik und zu wissenschaftlichen<br />

Netzwerken – inklusive der Teilnahme an wissenschaftlich orientierten Projekten mit externer<br />

Expertise und Moderation – mehrheitlich befürwortet.<br />

Ein fünfter Förderfaktor liegt dann vor, wenn es einen im Unternehmen bekannten und ak-<br />

zeptierten Betriebsrat mit einem klaren Bekenntnis zur betrieblichen Gesundheitspolitik gibt.<br />

Nur wenige der befragten Betriebsräte setzen das Thema Gesundheit ganz oben auf ihre<br />

Prioritätenliste und betonen den damit verbundenen Strategiewechsel in der Betriebsratsar-<br />

beit. Dennoch ist insgesamt festzustellen, dass der Umgang mit dem Thema Gesundheit in<br />

78


seiner Bedeutung steigt und von den Betriebsräten als ein unabdingbares Handlungsfeld<br />

betrachtet wird, welches bearbeitet werden muss. Es sollte regelmäßig auf die Tagesord-<br />

nung gesetzt und deutlich werden, dass es sich dabei nicht um eine Alibiveranstaltung han-<br />

delt. Für die Bekanntheit und Akzeptanz des Betriebsrats scheint es den Interviewaussagen<br />

nach förderlich zu sein, wenn z. B. der Betriebsrat in der Vergangenheit viel für die Beleg-<br />

schaft erstritten hat, wenn es einen starken Vorsitzenden für das Gremium gibt, wenn sich<br />

das gesamte Gremium durch eine fachliche Qualifikation und ausgeprägte Sozialkompetenz<br />

auszeichnet und wenn man als Betriebsrat nicht nur bei der Belegschaft, sondern auch bei<br />

der Geschäftsleitung ein hohes Maß an Vertrauen genießt.<br />

Ein letzter Förderfaktor kann in einem systematischen und strategischen Vorgehen des Be-<br />

triebsrats identifiziert werden. In einem Interview wird es beispielsweise als vorteilhaft be-<br />

schrieben, wenn sich der Betriebsrat betriebswirtschaftliches Denken in dem Sinne aneignet,<br />

dass er vor Einreichung von Vorschlägen an die Geschäftsleitung überprüft, ob diese sich<br />

auch für ihn rechnen (dem steht allerdings die Meinung gegenüber, dass Betriebsräte<br />

manchmal zu sehr im unternehmerischen Denken gefangen sind und Fragen der betriebli-<br />

chen Gesundheitspolitik nur noch unter der Perspektive sehen, ob sich das Unternehmen<br />

diese Investitionen überhaupt leisten kann). Als ein weiteres Beispiel für das strategische<br />

Vorgehen wird angeführt, dass man als Betriebsrat regelmäßig bei der Formulierung von<br />

Betriebsvereinbarungen in Vorlage geht, um so viel Einfluss wie möglich ausüben zu kön-<br />

nen. Bezüglich der systematischen Herangehensweise schildert eine Interviewperson, in<br />

welcher Reihenfolge sie auf welche Akteure zugeht, um so die eigenen Ideen möglichst voll-<br />

ständig verwirklichen zu können. Des Öfteren beklagen sich die Befragten, dass viele Be-<br />

triebsräte nur das operative Geschäft verfolgten, aber keine strategischen Vorstellungen<br />

entwickeln würden.<br />

Diesen fördernden Bedingungen steht eine Reihe von hemmenden Faktoren gegenüber, die<br />

sich wie folgt zusammenfassen lassen.<br />

Als ein verbreitetes Hemmnis gilt nach wie vor eine weitgehende Tabuisierung psychischer<br />

Belastungen bzw. die Schwierigkeit ihrer Erfassung und Bearbeitung, wenn sie enttabuisiert<br />

werden. Dabei wird in einigen Interviews auch betont, dass es nicht nur die Arbeitgeberseite<br />

sei, die sich dem Phänomen der psychischen Belastungen häufig nicht stelle. Ebenso wird<br />

von tiefen Vorbehalten in der Belegschaft berichtet, sich als Einzelperson als psychisch be-<br />

lastet zu outen – viele wollten keine Veröffentlichung ihrer psychischen Probleme. Gerade<br />

aus Unternehmen, die laut Darstellung der Interviewpartner als gut aufgestellt im klassischen<br />

Arbeitsschutz gelten können, wird berichtet, dass sich sowohl die Mitarbeiter als auch die<br />

Führungskräfte unsicher sind, wie mit den neuen Belastungsformen umzugehen ist. Einer<br />

Aussage nach seien psychische Belastungssituationen z. B. zu subtil, um über die Gefähr-<br />

dungsbeurteilung erfasst werden zu können. Selbst wenn Offenheit zur Stressproblematik<br />

79


estehe, könne einer anderen Aussage nach nur sehr schwer umrissen werden, was wirklich<br />

zu Stress führt. Neben dem fehlenden Know-how zur Erfassung psychosozialer Belastungen<br />

– von dem sich auch einige Interviewpartner nicht ausnehmen – wird moniert, dass es noch<br />

zu wenig Wissen über die Auswirkungen solcher Belastungen vor allem bei Führungsperso-<br />

nen und der Geschäftsleitung gebe. Sie unterschätzten die Bedeutung psychosozialer Ein-<br />

flussfaktoren.<br />

Ein in wenigen Interviews thematisierter Aspekt ist der Mangel an passgenauen betriebsspe-<br />

zifischen BGM-Lösungen. Grundsätzlich wird zwar von den meisten Gesprächspartnern kon-<br />

statiert, dass es genügend Qualifizierungsangebote zu Themen der betrieblichen Gesund-<br />

heitspolitik gibt, es fehle aber das Coaching und die Anpassung an die betrieblichen Gege-<br />

benheiten. Begrüßt wird die Vielzahl der Instrumente und Befragungen, aber deren Potenzial<br />

sei noch nicht in den Unternehmen angekommen und unter Einbindung der Mitarbeiter um-<br />

gesetzt worden. Erschwerend komme hinzu, dass es in vielen Fällen noch zu wenig Syste-<br />

matik und keine Formulierung von Zielen für den BGM-Prozess gebe.<br />

Wiederum sehr breit vorgetragen wird die Ansicht, dass die Handlungsfelder der betriebli-<br />

chen Gesundheitspolitik in ihrer Gesamtheit nach wie vor auf Akzeptanzprobleme stoßen –<br />

nicht nur beim Arbeitgeber, sondern auch bei der Belegschaft und im Betriebsratsgremium.<br />

Vereinzelt wird auch an den Gewerkschaften Kritik geübt, dass diese Handlungsfelder eine<br />

zu geringe Verbreitung in der gewerkschaftlichen Programmatik und Politik erfahren würde.<br />

Das Hemmnis wird vielschichtig beschrieben. Arbeitssicherheit und Gesundheit gelten bei-<br />

spielsweise als Bereiche, in denen sich Betriebsräte mit ihren Anliegen – trotz der vorhande-<br />

nen rechtlichen Rahmenbedingungen als wahrgenommener Förderfaktor (siehe oben) – nur<br />

schwer gegenüber der Arbeitgeberseite durchsetzen können. Oftmals würden die Vorschlä-<br />

ge mit dem Hinweis auf ihre hohen Anfangsinvestitionen abgewürgt. Die Durchsetzungs-<br />

schwierigkeiten betreffen aber nicht nur diese Flanke. Immer wieder wird stattdessen die<br />

mangelnde Motivation in der Belegschaft dargestellt, sich gesundheitsbewusst zu verhalten<br />

(„Das ist eigentlich immer das schwierigste, Verhalten von Menschen zu verändern“.). Er-<br />

schwerend komme insbesondere in großen Unternehmen hinzu, dass viele Betriebsratsgre-<br />

mien im Hinblick auf die Bedeutung des Gesundheitsthemas und auf einzelne Sachfragen<br />

gespalten seien. In einem Interview wird veranschaulicht, dass ein Betriebsratsgremium als<br />

Schmelztiegel des gesamten Unternehmens gelten könne. Jedes Mitglied komme aus einem<br />

anderen Bereich und denke daher erstmal für diesen Bereich – aber nicht vorrangig in<br />

Gesundheitsdimensionen. Von den Gewerkschaften erwarten sich viele der Befragten noch<br />

mehr Unterstützung. Exemplarisch sei eine Aussage herangezogen: „Wir haben häufig das<br />

Gefühl, dass die Gewerkschaft noch sehr gewerblich ausgerichtet ist und den gehobenen<br />

Angestellten immer noch links liegen lässt“. Insofern fehle es an Angeboten für diese Ziel-<br />

gruppe, z. B. zum Umgang mit Stressbelastungen. Eine andere Stellungnahme ist eher ge-<br />

80


nereller Art, nämlich dass das Thema Gesundheit überhaupt wieder mehr in den strategi-<br />

schen Fokus der Gewerkschaft gerückt werden müsse.<br />

Dass Gesundheit als Gesamtthema zu komplex und vielschichtig ist, wurde bereits ange-<br />

sprochen, ist hier aber als ein weiterer hemmender Faktor anzuführen. Als Folge davon wer-<br />

de das Gesundheitsthema oftmals erst gar nicht angegangen – weder vom Betriebsrat noch<br />

von der Arbeitgeberseite. Es sei eine ständige Aktualisierung des Fachwissens (bei den Be-<br />

triebsräten) erforderlich, wogegen sich nicht wenige Arbeitgeber sperren würden. Betriebs-<br />

ratsausschüsse zum Arbeits- und Gesundheitsschutz seien in der Vergangenheit folglich oft<br />

mit „Fachidioten“ besetzt gewesen. An andere Akteure sei das Wissen nicht weiter getragen<br />

worden bzw. es sei dort nicht angekommen. Hinzu komme, dass das Thema Gesundheit in<br />

die Ausbildung z. B. von Ingenieuren sowie zukünftigen Führungskräften nur unzureichend<br />

integriert sei. Dazu passt eine Meinung, nach der in für das Thema Gesundheit wichtigen<br />

betrieblichen Funktionsbereichen, z. B. der Personalabteilung, kein ausreichendes Fachwis-<br />

sen vorliege und es an einer angemessenen Affinität zum Thema Gesundheit fehle. Zudem<br />

behindere die Komplexität die Entwicklung einer ausgereiften Strategie zum Thema Ge-<br />

sundheit.<br />

Fast jeder Interviewte beklagt sich über knappe zeitliche, personelle und finanzielle Ressour-<br />

cen des Betriebsrats für die Tätigkeiten im Rahmen eines BGM („… an der Zeitressource<br />

mangelt es immer…“). Bemängelt wird auch, dass es in den meisten Unternehmen kein ei-<br />

genes Budget für das Thema Gesundheit gibt. Die Ressourcenknappheit wird bei den nicht<br />

freigestellten Betriebsräten und somit gerade in kleineren Unternehmen als noch dramati-<br />

scher empfunden – die Arbeit bliebe oftmals beim Vorsitzenden liegen, der sich sowieso um<br />

alles kümmern müsse. Kapazitäten werden insbesondere durch Schwerpunktthemen und<br />

permanente Umstrukturierungen sowie tagespolitische Themen besetzt, die außerhalb der<br />

Gesundheitsthematik liegen. Eine Begleiterscheinung der Umstrukturierung sei zudem, dass<br />

es durch neue Unternehmenszuschnitte immer weniger Freigestellte gebe, was die Proble-<br />

matik weiter verschärfe.<br />

Ein letzter Hemmfaktor wird darin gesehen, dass in vielen Fällen die Standort- oder sogar<br />

Existenzsicherung des Unternehmens im Vordergrund stehe – wiederum nicht nur beim Ar-<br />

beitgeber, sondern auch beim Betriebsrat sowie bei der Belegschaft. Einen schweren Stand<br />

hat die betriebliche Gesundheitspolitik einem Interview nach gerade in Unternehmen aus<br />

Ostdeutschland, weil es dort in vielen Fällen (nach der Wiedervereinigung) erst einmal um<br />

die Existenz der Unternehmen ging. Die Arbeitsplatzbedrohung produziere auch bei Be-<br />

triebsräten einen „Tunnelblick“, der andere Themen in den Hintergrund treten ließe. Weiter-<br />

hin wird in einigen Interviews geschildert, dass es aufgrund der momentanen Wirtschaftskri-<br />

se zu Einschränkungen bei der Durchführung von Gesundheitsprojekten gekommen sei. Es<br />

wird die Vermutung geäußert, dass bei vielen Betrieben die aktuelle Wirtschaftskrise ein<br />

81


Hemmnis darstellt, in das Thema Gesundheit (überhaupt) zu investieren (in einem Interview<br />

wird die Wirtschaftskrise explizit allerdings nicht als Gefahr für die eigenen BGM-Aktivitäten<br />

angesehen). Weiterhin wird moniert, dass Aspekte der betrieblichen Gesundheitspolitik noch<br />

zu wenig Gegenstand von Tarifverhandlungen/-verträgen seien und dort, wo Regelungen<br />

beständen, die produktive Umsetzung oft an den betrieblichen Machtverhältnissen scheitern<br />

würde.<br />

In Ergänzung zu diesen stets von mehreren Personen aus unterschiedlicher Sicht beleuchte-<br />

ten Hemmfaktoren sind einzelne Aussagen zu berücksichtigen, die ebenfalls als hemmend<br />

interpretiert werden können. Z. B. sei eine Begleiterscheinung der permanenten Umstruktu-<br />

rierung von Unternehmen eine „organisierte Verantwortungslosigkeit“, die gerade für die be-<br />

triebliche Gesundheitspolitik mit dem Effekt einhergehe, dass eigentlich alles geregelt ist,<br />

aber de facto nichts Spürbares passiere. Ein anderer Interviewpartner macht Ausführungen<br />

in ähnlicher Richtung, wenn er sagt, dass die abgeschlossenen Betriebsvereinbarungen<br />

nicht mit Leben gefüllt würden. Ein weiteres Statement beleuchtet, wie durch komplexe Kon-<br />

zernstrukturen die als innovativ bewerteten Ansätze betrieblicher Gesundheitspolitik eines<br />

Tochterunternehmens nicht weiter auf die Ebene des Mutterkonzerns getragen würden. Ei-<br />

ner weiteren Kritik nach mangelt es bei Fachkräften für Arbeitssicherheit an politischer Weit-<br />

sicht; sie würden ihr Amt nicht im Rahmen ihrer Möglichkeiten ausnutzen. Gleichfalls komme<br />

es vor, dass die Kompetenzen des Betriebsarztes von der Belegschaft nicht ausgeschöpft<br />

würden, auch wenn der Betriebsrat sich hierfür einsetze.<br />

Ob eine Situation, Konstellation oder ein Tatbestand fördernd oder hemmend wirkt, hängt<br />

immer auch von den sonstigen Bedingungen des betrieblichen Kontextes ab. Zudem stehen<br />

die einzelnen Faktoren nicht unabhängig, sondern eher in Wechselwirkung zueinander und<br />

können sich z. B. gegenseitig verstärken oder auch neutralisieren. Trotz dieser Mehrdeutig-<br />

keit lassen die Interviews Trends erkennen, welche Faktoren – unabhängig vom Gesamtge-<br />

füge – eher fördernd oder eher hemmend wirken. Zusammenfassend können als fördernde<br />

und hemmende Faktoren folgende Punkte festgehalten werden.<br />

Zu den fördernden Faktoren können die rechtlichen Rahmenbedingungen (im Arbeits- und<br />

Gesundheitsschutz und für das BEM) und insbesondere das diesbezügliche qualifizierte Mit-<br />

bestimmungsrecht des BetrVG gezählt werden. Fast jeder Interviewpartner sieht hierin eine<br />

unterstützende Grundlage, die aber bisher noch nicht im vollen Umfang von den Betriebsrä-<br />

ten genutzt wird. Ein weiterer Faktor wird in der Möglichkeit der Profilierung des Betriebsrats<br />

über die betriebliche Gesundheitspolitik gesehen. Im Vergleich zu den rechtlichen Rahmen-<br />

bedingungen kann dies mehr als ein mittelbarer Faktor betrachtet werden, der auf der<br />

motivationalen Ebene der Betriebsräte ansetzen und Dynamiken auslösen kann. Im Um-<br />

kehrschluss heißt das natürlich auch, dass der Betriebsrat das Thema meiden würde, wenn<br />

er es nicht als für sich gewinnbringend einschätzt. Als förderlich wird zudem bewertet, dass<br />

82


es sich beim Thema Gesundheit um ein gesellschaftliches Trendthema handelt, welches<br />

vielfach koppelbar mit anderen Themen ist. Als einen sehr wichtigen Förderfaktor beschrei-<br />

ben fast alle Befragten die Vernetzung und Kooperation des Betriebsrats mit internen und<br />

externen Akteuren. Insbesondere die Einbindung von externem Sachverstand wird hervor-<br />

gehoben und als Element strategischen Handelns verstanden. Förderlich ist des Weiteren<br />

ein bekannter, akzeptierter Betriebsrat, der sich klar zur betrieblichen Gesundheitspolitik als<br />

eines der wichtigsten Handlungsfelder seiner Arbeit bekennt. Schließlich zählt zu den för-<br />

dernden Faktoren ein systematisches und strategisches Vorgehen des Betriebsrats, um sei-<br />

ne gesetzten Ziele zu erreichen.<br />

Als in der Tendenz hemmende Faktoren haben sich folgende Punkte herausgestellt: Psychi-<br />

sche Belastungen werden zwar in Form der Stressthematik allgemein aufgegriffen, auf der<br />

Ebene des Individuums jedoch nach wie vor vielfach tabuisiert. Dies betrifft nicht nur die Ar-<br />

beitgeberseite und das Führungskräftepersonal, sondern auch Teile der Belegschaft. Wenn<br />

es gelungen ist, das Thema zu platzieren, fällt der Umgang damit oft schwer, weil die Belas-<br />

tungen als schwierig zu messen gelten und die Ableitung konkreter Maßnahmen schwer fällt.<br />

Daran anschließend wird ein zweiter Hemmfaktor benannt, nämlich die mangelnde Passge-<br />

nauigkeit betriebsspezifischer BGM-Lösungen. Angebotene Instrumente und konzeptionelle<br />

Ansätze können in der Regel nicht 1:1 übernommen werden. Weiterhin werden Akzeptanz-<br />

probleme des Arbeits- und Gesundheitsschutzes beim Arbeitgeber, bei der Belegschaft und<br />

im eigenen Betriebsratsgremium beklagt. Vereinzelt wird an den Gewerkschaften Kritik ge-<br />

übt, dass sie das Thema in den letzten Jahren nicht ausreichend berücksichtigt haben. War<br />

das Trendthema Gesundheit noch als Förderfaktor eingeordnet, ist die Komplexität und Viel-<br />

schichtigkeit des Gesamtthemas ein Hemmnis. Gerade wenn – wie ebenfalls als ein wesent-<br />

licher hemmender Faktor dargestellt wird – nur knappe zeitliche, personelle und finanzielle<br />

Ressourcen des Betriebsrats für BGM zur Verfügung stehen, wird diese Komplexität eher<br />

dazu führen, das Thema gar nicht oder nur ansatzweise zu bearbeiten. Schließlich wird es<br />

als hemmend bezeichnet, wenn die Standortsicherung von Unternehmen im Vordergrund<br />

steht – nicht nur beim Arbeitgeber, sondern wiederum auch beim Betriebsrat oder bei der<br />

Belegschaft.<br />

7.1.5 Selbstbilder von Betriebsräten<br />

Fragen nach der Selbstwahrnehmung der Betriebsräte haben die Interviews abgerundet und<br />

dienten der Reflexion der eigenen Rolle vor dem Hintergrund des Gesundheitsverständnis-<br />

ses, der betrieblichen Gesundheitspolitik und ihrer fördernden bzw. hemmenden Faktoren.<br />

Vor diesem reflektierten Hintergrund konnten die Betriebsräte sich verorten: Wo sehen sie<br />

beispielsweise ihre Aufgaben, wie gehen sie diese an, und als wie engagiert stufen sie sich<br />

83


im Thema betriebliche Gesundheitspolitik ein. Die folgenden Ausführungen stellen einige<br />

vorgefundene Selbstbilder vor.<br />

Ein befragter Betriebsrat sieht sich als „Sozialpapst“, der mehrere Funktionen erfüllt und in<br />

der betrieblichen Gesundheitspolitik sehr aktiv ist. Er sei „Mülleimer“ für die Mitarbeiter, die<br />

ihrem angestauten Frust (z. B. über Kollegen oder den Vorgesetzten) bei ihm Raum geben<br />

können. Gleichzeitig seien er und das Betriebsratsgremium insgesamt eine Art „Blinddarm“.<br />

Man stelle zwar nur einen kleinen Teil der Belegschaft dar, doch könne man „zwicken“ und<br />

dem Arbeitgeber große Probleme bereiten, wenn eine engagierte Stellvertreterpolitik für die<br />

Mitarbeiter betrieben werde („Das heißt für den Mitarbeiter da zu sein, dass der einen ge-<br />

sunden Arbeitsplatz vorfindet. Gleichzeitig ist Prävention wichtig, um Vorfälle und chronische<br />

Krankheiten zu vermeiden“.). Eine „Schmusetaktik“ gegenüber dem Arbeitgeber funktioniere<br />

oft nicht; Missstände müssten angeprangert werden. Die freigestellten Betriebsräte seien<br />

Vorbilder für die nicht Freigestellten und außerdem Verantwortungsträger und Thementrei-<br />

ber. Die Interviewperson selbst sieht sich eher als strategischen und weniger als einen ope-<br />

rativen Akteur.<br />

Das Selbst- bzw. Leitbild eines anderen Betriebsrats ist es, sich für das Wohl des Unterneh-<br />

mens, nicht aber für den Unternehmer einzusetzen („Das ist ein ganz wichtiger Unterschied,<br />

dass man als Betriebsrat dem Wohl des Unternehmens dient und nicht dem des Unterneh-<br />

mers“.). Als Betriebsrat mache man dann Druck, wenn sich der Arbeitgeber gegen aus Sicht<br />

des Betriebsrats erforderliche Maßnahmen sperre („Das Bewusstsein, wozu wir fähig sind,<br />

ist schon da“.). Gleichzeitig gehe man auf einzelne Mitarbeiter persönlich zu, die sich nicht<br />

an die Vorgaben des Arbeits- und Gesundheitsschutzes hielten („Also, beim Verhalten müs-<br />

sen wir noch viel machen“.). Insgesamt könne die strategische und die operative Rolle in der<br />

Betriebsratsarbeit nicht getrennt werden.<br />

In einem weiteren Interview unterstreicht der Betriebsrat seine Rolle als aktiver Mitgestalter<br />

bei der Entwicklung des BGM-Konzepts und beschreibt sich als sehr engagiert in der betrieb-<br />

lichen Gesundheitspolitik („Bei uns ist es wirklich so, wir werden einbezogen und unsere<br />

Kompetenz wird geschätzt“.). Man betreibe sowohl eine Stellvertreter- als auch eine Beteili-<br />

gungspolitik. Primär entscheidend sei die Frage der inneren Einstellung, sich zum Themen-<br />

feld Arbeits- und Gesundheitsschutz zu positionieren – erst dann kämen Fragen beispiels-<br />

weise der Qualifikation. Sowohl strategische als auch operative Kompetenzen seien für die<br />

Betriebsratsarbeit nötig.<br />

In einer weiteren Selbstbeschreibung wird deutlich, dass von einer rein protektionistischen<br />

Haltung gegenüber der Belegschaft Abstand genommen wird. Denn Betriebsratsarbeit wird<br />

in diesem Fall nicht darin gesehen, den einzelnen Arbeitnehmer vor allem zu schützen.<br />

Stattdessen geht es diesem Betriebsrat darum, den Mitarbeiter zu informieren, mit ins Boot<br />

84


zu holen und ihm auch zu sagen, wenn er falsch liegt („Also ich würde mich als Interessen-<br />

vertreter der Arbeitnehmer sehen, aber auf keinen Fall als Mietmaul. Unter Interessenvertre-<br />

tung verstehe ich, dass ich den Leuten reinen Wein einschenke und ihnen auch ganz klar<br />

sage, wie und warum sie falsch liegen. Das wichtigste ist, ihnen dann einen Weg zu weisen,<br />

wie man ihr Problem lösen kann. (…) Diese altehrwürdige Rolle, für die Mitarbeiter als Be-<br />

schützer zu fungieren und sich vor ihn zu stellen, das ist völlig falsch“.). Neben diesem prä-<br />

genden Merkmal sieht man sich als Betriebsrat in einer gestaltenden Rolle und nicht als ein<br />

rein verwaltender Betriebsrat. Dem strategischen Vorgehen wird daher eine große Bedeu-<br />

tung beigemessen. Die Bündnissuche wird als ein wichtiger Punkt zur Strategieumsetzung<br />

angeführt („Ich habe die Erfahrung gemacht, dass man als erstes einmal herausfinden muss,<br />

wo die Verbündeten sind und wo diejenigen sitzen, die Widerstand leisten wollen“.). Verbün-<br />

dete werden dabei auch in der Personalabteilung oder auf Vorstandsebene gesucht. Das<br />

operative Geschäft – der Einzelfall – dürfe aber neben der strategischen Arbeit nicht ver-<br />

nachlässigt werden.<br />

Ein Betriebsrat beschreibt sein Selbstverständnis wie folgt: „Unser Selbstverständnis, wie wir<br />

hier agieren, ist, dem Unternehmen muss es gut gehen und den Menschen muss es gut ge-<br />

hen. Dann ist es uns relativ egal, ob eine gute Idee von der Geschäftsleitung, den<br />

Personalern oder vom Betriebsrat kommt“. Als Betriebsrat betreibe man eine Mischung aus<br />

Beteiligungs- und Stellvertreterpolitik, wobei erstere eine „zwingende Voraussetzung“ ist.<br />

Man sei ein sehr kompetentes Betriebsratsgremium mit einer offenen Kultur, einem guten<br />

Miteinander und einer hohen Akzeptanz in der Belegschaft. Hinsichtlich der betrieblichen<br />

Gesundheitspolitik sieht man sich als Treiber bei der Bearbeitung anlassbezogener Einzel-<br />

themen mit dem notwendigen Fingerspitzengefühl („Das Thema Gesundheit kann man nicht<br />

im Streit befördern. Das geht beim besten Willen nicht“.). Damit verbunden ist die Positionie-<br />

rung in einer eher strategischen Rolle.<br />

Ein weiterer Betriebsrat beschreibt das Aufbrechen traditioneller Konfliktlinien: „Ich sage im-<br />

mer: Rote Fahne schwenken, in den Klassenkampf rein gehen. Das hilft uns nicht weiter,<br />

weil die Verantwortung nicht mehr so einfach zuzuordnen ist“. Neben dieser grundsätzlichen<br />

Einstellung gehe es beim Thema Gesundheit für den Betriebsrat um folgende Kompetenzen:<br />

einen langen Atem zu haben, dicke Bretter zu bohren, sich immer wieder erneuern und hin-<br />

terfragen zu können, zuhören zu können und aus dem Zuhören heraus lernfähig, aber auch<br />

wehrhaft zu sein. Erforderlich seien weiterhin strategische und operative Kompetenzen. Letz-<br />

tere auch, um nicht die Bodenhaftung bzw. den Kontakt zur Belegschaft zu verlieren. Insge-<br />

samt wird die Verantwortung der betriebsrätlichen Arbeit als „extrem hoch“ eingestuft, wobei<br />

„die Ressourcen (…) eindeutig zu gering [sind]“.<br />

Ein anderer befragter Betriebsrat schätzt den Kontakt zur Belegschaft als sehr wichtig für die<br />

Betriebsratsarbeit ein, um daraus eine Politik der Interessenvertretung betreiben zu können.<br />

85


Zur Interessendurchsetzung werde im Konfliktfall vor Drohungen (z. B. mit Arbeitsgerichts-<br />

verfahren) als Instrument nicht zurückgeschreckt. Die Begrifflichkeit des Co-Managers für die<br />

eigene Betriebsratsarbeit wird vermieden. Dennoch komme man als Betriebsrat immer dann<br />

in diese Rolle, wenn Mitbestimmungsrechte aktiv eingefordert werden. In der betrieblichen<br />

Gesundheitspolitik werden sowohl strategische als auch operative Kompetenzen und darü-<br />

ber hinaus ein externes Expertennetzwerk benötigt.<br />

Die Rolle des Co-Managers wird auch in einem weiteren Interview abgelehnt. Man ordnet<br />

sich als Betriebsrat eher als Treiber – gerade auch im Bereich des Arbeits- und Gesund-<br />

heitsschutzes – ein, der von der Belegschaft als vertrauenswürdig und ordentlich einge-<br />

schätzt werde. Man sei ein kritisches und sehr engagiertes Betriebsratsgremium. Im Sinne<br />

der Prävention müsse der Betriebsrat auch die Belegschaft von Änderungen überzeugen<br />

und als Netzwerker fungieren (mit der Gewerkschaft und der Berufsgenossenschaft). Als<br />

Betriebsrat stelle man seine eigene Strategie auf und lasse sich dabei durch das Fachwissen<br />

anderer unterstützen. Operative Kompetenzen ständen in der betrieblichen Gesundheitspoli-<br />

tik deswegen in der Tendenz hinten dran.<br />

In einer weiteren Beschreibung sieht sich der Betriebsrat im Themenfeld Gesundheit in der<br />

Rolle des Aufklärers, um die Belegschaft zu sensibilisieren. Man sei in der Region und in der<br />

Branche der Betriebsrat, der die betriebliche Gesundheitspolitik im Sinne einer Motorfunktion<br />

stark vorantreibe. Strategisches Ziel sei es, Gesundheit zum Selbstläufer zu machen. Dabei<br />

wird wahrgenommen, dass die Belegschaft auf das eigene Engagement unterschiedlich rea-<br />

giert: Für die einen stelle es die letzte Rettung dar, weil man sich z. B. als individuell überfor-<br />

dert einschätzt. Für die anderen sei es ein Störfaktor in der Karriere, weil man sich z. B. in<br />

der Selbststeuerung der Arbeitszeiten eingeschränkt fühlt.<br />

Gemeinsamkeiten der verschiedenen Selbstbilder lassen sich zusammenfassend für folgen-<br />

de Bereiche finden: Den strategischen Kompetenzen wird durchweg mehr Bedeutung als<br />

den operativen Kompetenzen beigemessen. Gleichzeitig sieht man sich bei den allgemeinen<br />

strategischen Kompetenzen gut aufgestellt. Ebenfalls homogen ist die Sichtweise, im Be-<br />

reich der betrieblichen Gesundheitspolitik stark engagiert und initiativ tätig zu sein. Viele Be-<br />

triebsräte sehen sich hier auf einem relativ neuen Pfad – zumindest dort, wo es um eine<br />

ganzheitliche Betrachtung über den klassischen Arbeits- und Gesundheitsschutz hinausgeht.<br />

Relativ einheitlich ist zudem die Einstufung als selbstbewusster Betriebsrat, der einen koope-<br />

rativen – und wenn notwendig auch konfrontativen – Umgang mit der Geschäftsleitung<br />

pflegt.<br />

Unterschiede gibt es in der Ausprägung, inwieweit eine Stellvertreter- oder eine Beteili-<br />

gungspolitik betrieben wird. Die Interpretation der Interessenwahrnehmung variiert von<br />

individuumszentrierten Rollen (z. B. Betriebsrat als Sozialpapst oder Betriebsrat als Aufklärer<br />

86


und Informationsbereitsteller im Einzelfall) bis hin zu einer kollektiven Betrachtungsweise (z.<br />

B. der Betriebsrat setzt sich für das Unternehmen, nicht für den Unternehmer ein). An dem<br />

Begriff des Co-Managers stören sich einige Betriebsräte, andere können diesen Begriff ak-<br />

zeptieren und sich in ihm wieder finden.<br />

7.1.6 Interviews mit Gewerkschaftsvertretern<br />

In diesem Kapitel wird der Versuch unternommen, Merkmale gewerkschaftlicher gesund-<br />

heitsbezogener Kampagnen und Initiativen zusammenzustellen. Die Ergebnisse beruhen auf<br />

den Interviews mit den Gewerkschaftsvertretern und einer Dokumenten- bzw. Literaturaus-<br />

wertung zu den einzelnen Kampagnen und Initiativen (ver.di FiDi NRW „Faire Arbeit“, ver.di<br />

FiDi HH „Faire Arbeit“, IG Metall „Gute Arbeit“ und IG BCE „Mehr Gesundheit! Danke“. – vgl.<br />

Kapitel 5.1). Dabei wird auf folgende Aspekte eingegangen: An wen richten sich die Kam-<br />

pagnen und Initiativen? Wie wird mit dem Thema Gesundheit umgegangen? Welchen Unter-<br />

stützungsgrad weisen die Kampagnen und Initiativen auf und welche Formen und welche<br />

Reichweite der Unterstützung werden angeboten? Welche Kooperationsformen gibt es?<br />

Welche Bilder über Betriebsräte, Arbeitgeber und die Belegschaft liegen den Kampagnen<br />

und Initiativen zu Grunde?<br />

Adressaten der gewerkschaftlichen Kampagnen und Initiativen<br />

Die Arbeitgeberseite wird nur bei ver.di HH und bei der IG BCE als direkter Adressat ge-<br />

nannt. Bei ver.di HH ist es sogar die oberste Priorität, sowohl den Arbeitgeber als auch den<br />

Betriebsrat in die Aktivitäten zu integrieren. Bei der IG BCE ist es das Ziel, den Arbeitgeber<br />

als Verbündeten zu gewinnen. Die übrigen Aktivitäten verfolgen anstelle dessen das Ziel, die<br />

Arbeitgeberseite mit den schlechten Arbeitsbedingungen zu konfrontieren.<br />

Der Betriebsrat ist bei allen Kampagnen/Initiativen ein wichtiger Adressat – auch was die<br />

Mitgliederwerbung betrifft. Für ver.di HH ist die Projektinitiierung nur mit dem Betriebsrat die<br />

zweitbeste Alternative. Bei der IG Metall wird betont, dass die Betriebsräte sogar eine aktive<br />

Rolle im Sinne der Instrumentenerprobung übernehmen sollen. Bei ver.di NRW sind Be-<br />

triebs- und Personalräte bei der konzeptionellen Entwicklung der „Daueraufgabe“ „Faire Ar-<br />

beit“ einbezogen worden.<br />

Die Belegschaftsmitglieder werden vor allem als potenzielle zukünftige Gewerkschaftsmit-<br />

glieder betrachtet. Besonders deutlich ist diese Sichtweise bei ver.di NRW und bei der IG<br />

BCE ausgeprägt. Bei ver.di HH wird betont, dass die Einleitung von Projekten über die Be-<br />

legschaft als dritter Weg angesehen wird, wenn sich die beiden zuvor Genannten als nicht<br />

realisierbar herausstellen sollten. Auch bei ver.di NRW wird Informationsmaterial direkt an<br />

87


die Belegschaft weitergereicht, wenn sich der Betriebsrat nicht für die Ideen von Fairer Arbeit<br />

begeistern lässt.<br />

Gesundheitsverständnis der Kampagnen und Initiativen und ihre Übersetzung auf die<br />

betriebliche Ebene<br />

Bei allen Interviewpartnern findet sich ein ganzheitliches Verständnis von Gesundheit wieder.<br />

Neben der Verhütung von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten wird auf die Prävention<br />

aller arbeitsbedingten Gesundheitsrisiken – insbesondere der psychosozialen Belastungen –<br />

abgezielt und die Bedeutung von Wohlbefinden unterstrichen. Die allgemeine Verantwortung<br />

für die Gesundheit wird beidseitig beim Arbeitgeber und beim Arbeitnehmer gesehen – im<br />

Kontext der Arbeit allerdings überwiegend beim Arbeitgeber. Dass ein ganzheitlicher<br />

Gesundheitsbegriff der Integration von Pflicht (klassischer Arbeits- und Gesundheitsschutz,<br />

BEM) und Kür (Gesundheitsförderung) in die Organisation des Unternehmens bedingt, wird<br />

mehrheitlich befürwortet.<br />

BGM wird als Ziel explizit nur bei der IG BCE angeführt. Unter einem ganzheitlichen BGM<br />

wird hier insbesondere auf dessen gendersensible Ausgestaltung Wert gelegt. Bei den ande-<br />

ren Gewerkschaften wird der Begriff BGM nicht in einer vergleichbar offensiven Form ver-<br />

wendet. Man sieht sich eher als jemand, der einzelne Aspekte anstößt (z. B. ver.di NRW)<br />

oder lehnt den BGM-Begriff ab, weil er auf keiner rechtlichen Grundlage steht.<br />

Die Bearbeitung von Gesundheitsthemen erfolgt bei ver.di NRW eher indirekt über andere<br />

Themen, z. B. die Enttabuisierung von Stress oder Formen der indirekten Steuerung. ver.di<br />

HH sieht in der Bezeichnung „Faire Arbeit“ ein ethisches Grundanliegen, das über die The-<br />

matisierung einzelner Gesundheitsthemen hinausgeht. Bei der IG Metall werden Gesund-<br />

heitsthemen bearbeitet, sofern sie mit den drei Hauptthemen von Guter Arbeit in Berührung<br />

stehen (1. Entgrenzung von Arbeitszeiten; 2. Demographischer Wandel; 3. Prekarisierung<br />

der Arbeit). Die Bearbeitung des Themas Gesundheit erfolgt bei der IG BCE unter Berück-<br />

sichtigung des Genderaspekts und ist zudem ein eigenes Schwerpunktthema – neben Guter<br />

Arbeit – unter dem Dach der IG BCE-Kampagne „Modell Deutschland… zuerst der Mensch“.<br />

Gesundheit scheint hier ein Selbstzweck zu sein, während es bei den anderen Gewerkschaf-<br />

ten ein Mittel ist, um andere Themen zu transportieren, oder sogar im Betrieb die Grundfra-<br />

gen der Macht zu bewegen.<br />

Ein legalistisches Vorgehen kann besonders bei den Kampagnen „Faire Arbeit“ und „Gute<br />

Arbeit“ beobachtet werden. Gefährdungsbeurteilungen stellen beispielsweise für ver.di NRW<br />

ein notwendiges strategisches Moment dar, um somit letztlich das oberste Ziel, die Kappung<br />

der Vertriebszielvorgaben in der Branche, durchsetzen zu können. Bei ver.di HH wird die<br />

Einbindung des Themas Gesundheit in einen größeren Zusammenhang mit der Einhaltung<br />

von Grundrechten wie der körperlichen Unversehrtheit oder der Persönlichkeitsrechte unter-<br />

88


strichen. Lediglich bei der IG BCE wird das legalistische Vorgehen nicht in den Mittelpunkt<br />

gerückt.<br />

Unterstützungsgrad der Kampagnen und Initiativen<br />

Während der Initiationsphase sehen sich alle Gewerkschaftsvertreter als Themen-<br />

Generatoren. Die Gestaltungsphase wird ebenfalls von allen Kampagnen/Initiativen unter-<br />

stützt. Dies können einzelne Angebote sein (z. B. eine Gedankenwerkstatt durch ver.di<br />

NRW) bis hin zu einer kompletten Prozessbegleitung (ver.di HH). Auch die IG Metall verbin-<br />

det mit Guter Arbeit nicht nur ein Widerstandskonzept, sondern weiterhin die Anregung der<br />

sozialen Phantasie und das Angebot konkreter Instrumente. Die Implementierung eines<br />

ganzheitlichen BGM ist jedoch nur bei der IG BCE ein offiziell definiertes Ziel.<br />

Nach der Integrationsphase – verstanden als Verstetigung der Kampagnen in der Organisa-<br />

tion – erfolgt ein genereller Rückzug der gewerkschaftlichen Akteure. Aus den Interviews<br />

wird deutlich, dass in vielen Unternehmen die Prozesse schon bewusst vorher abgebrochen<br />

wurden. Es kann nur in Einzelfällen von erfolgreichen Projekten berichtet werden, die mit<br />

gewerkschaftlicher Unterstützung in das unternehmerische Alltagshandeln integriert werden<br />

konnten.<br />

Operative Unterstützung<br />

Qualifizierungen für Betriebsräte werden von allen Gewerkschaften angeboten. Das Spekt-<br />

rum der Themen reicht von eher allgemeinen Angeboten, um das Thema Arbeit und Ge-<br />

sundheit zu politisieren und die Betriebsräte strategisch zu unterstützen (z. B. was ist Faire<br />

Arbeit) bis hin zur Qualifizierung für einzelne Instrumente (z. B. Gesundheitszirkel).<br />

Instrumente werden in vielfältiger Form zur Verfügung gestellt. Sie reichen von Medienange-<br />

boten (gelbe Karten, Plakate und Transparente) über Themenwerkstätten bis hin zu Angebo-<br />

ten, die von der IG Metall im Rahmen von Guter Arbeit entwickelt wurden (z. B. Equal<br />

Treatment-Monitor, Stressbarometer, Arbeitszeit-TÜV) und dem Index Gute Arbeit.<br />

Weitere Dienstleistungen umfassen die Aufarbeitung von Info-Themen, die Durchführung<br />

von Befragungen und Seminaren zur Entwicklung von Betriebsrats-Strategien z. B. zur Ge-<br />

fährdungsbeurteilung. Angeboten werden weiterhin Vorträge und Veranstaltungen jeder Art<br />

und Weise. Weitere Angebote befinden sich in der Entwicklung.<br />

Reichweite der Unterstützung<br />

Alle gewerkschaftlichen Initiativen richten sich zumindest an Einzelbetriebe.<br />

Netzwerke gibt es beispielsweise unter verschiedenen Banken in NRW zur Thematisierung<br />

von Gesundheitsfragen. Die IG Metall baut über die Bezirke in Form von<br />

Multiplikatorenseminaren, Steuerkreisen und Haupt- und Ehrenamtlichen als Ansprechpart-<br />

89


ner Transferstrukturen auf. Auch Betriebsräte sollen dabei als Multiplikatoren dienen und die<br />

Ansätze guter Arbeit in verschiedene Branchen tragen. Bei der IG BCE gibt es Netzwerke<br />

eher im Sinne von Kooperation, die nicht auf der betrieblichen Ebene ablaufen.<br />

Das Thema „Gute Arbeit“ wird bei allen Gewerkschaften zunehmend als Gegenstand von<br />

Tarifpolitik begriffen. Der Demografie-Tarifvertrag im Stahlbereich wird jedoch hinsichtlich<br />

seiner schleppenden Umsetzung kritisiert. Entsprechende Tarifabschlüsse in der Chemie-<br />

branche werden lobend hervorgehoben.<br />

Kooperationen<br />

Kooperationsaktivitäten der gewerkschaftlichen Kampagnen und Initiativen der eigenen Ge-<br />

werkschaft ist bei ver.di NRW „Faire Arbeit“ mittlerweile ein etabliertes Arbeitsfeld, wobei die<br />

einzelnen Fachbereiche immer noch relativ autonom arbeiten. Zudem steht die Einbeziehung<br />

ehrenamtlicher Gewerkschaftsvertreter aus. Bei ver.di HH fühlt man sich eher als Einzel-<br />

kämpfer, weil der Bankensektor bezüglich der gewerkschaftlichen Betreuung dort weiterhin<br />

unterbesetzt sei. Die IG Metall hat im Anschluss an das Projekt „Gute Arbeit“ einen eigenen<br />

Funktionsbereich für die Thematik einrichten können. Andere Abteilungen greifen dort As-<br />

pekte Guter Arbeit unter dem jeweiligen eigenen Schwerpunkt auf. Die Themen Gute Arbeit<br />

und Gesundheit sind bei der IG BCE mehreren Abteilungen zugeordnet. Dies mache das<br />

Zugehen auf andere Abteilungen, die sich mit Gesundheit beschäftigen, notwendig.<br />

Innerhalb der Gewerkschaften gibt es eine Zusammenarbeit im Rahmen des DGB-Index<br />

„Gute Arbeit“. ver.di HH erhebt den Anspruch, dass der eigene Ansatz über Gute Arbeit hin-<br />

ausgeht. Bei der IG Metall ist man der Ansicht, dass das eigene Projekt „Gute Arbeit“ einen<br />

Anstoß in anderen Gewerkschaften nach sich gezogen hat. Seitens der IG BCE wird betont,<br />

dass sich die Ansätze der einzelnen Gewerkschaften klar von ihrer Rhetorik – und damit<br />

auch von ihrer Stoßrichtung – unterscheiden.<br />

Sonstige Kooperationen gibt es bei ver.di NRW über die Gestaltung der Öffentlichkeitsarbeit<br />

und mit verschiedenen Experten aus dem Arbeits- und Gesundheitsschutz. Ansonsten er-<br />

folgt wenig institutionalisiertes Vorgehen. Auch bei ver.di HH werden externe Experten ein-<br />

gebunden für die Instrumentenentwicklung, die Schaffung von Neutralität und das Einbringen<br />

von wissenschaftlichem Sachverstand. Bei der IG Metall spielt die Einbindung externer Ex-<br />

perten zur Themenfindung und -durchsetzung (auch im eigenen Haus) eine wichtige Rolle<br />

und dient auch der Instrumentenentwicklung. Ebenso berichtet die IG BCE von der Koopera-<br />

tion mit Unternehmen, Wissenschaftlern, Berufsgenossenschaften, Krankenkassen und an-<br />

deren Institutionen, die sich mit dem Gesundheitsthema befassen.<br />

Bilder vom Betriebsrat, vom Arbeitgeber und von der Belegschaft<br />

90


Betriebsräte werden in der Pflicht gesehen, die Arbeitgeber zu ihren Aufgaben im Arbeits-<br />

und Gesundheitsschutz zu bewegen. Hierdurch könne der Betriebsrat die eigene Machtposi-<br />

tion stärken. Es besteht der Wunsch nach mehr grundsätzlichem und politischem Denken<br />

seitens der Betriebsräte, die allerdings mit dem Problem der begrenzten zeitlichen und per-<br />

sonellen Ressourcen zu kämpfen hätten. Einer anderen Auffassung nach herrscht eine gro-<br />

ße Unwissenheit bei den Betriebsräten zu den Möglichkeiten und Anforderungen aus dem<br />

ArbSchG, zum BEM etc. Betriebsräte müssten raus aus der Stellvertreter- hin zu einer Betei-<br />

ligungspolitik. Freigestellte und Betriebsratsvorsitzende werden als treibende Kräfte wahrge-<br />

nommen. Einer dritten Meinung nach sind Unterstützungs- und Qualifizierungsleistungen für<br />

die Betriebsräte seitens der Gewerkschaften absolut erforderlich. Zugenommen habe die<br />

Sensibilität für das Thema Gesundheit und es komme jetzt darauf an, als Gewerkschaft das<br />

praktische Know-how der Umsetzung zu vermitteln. Einigkeit und Geschlossenheit beim Be-<br />

triebsrat zum Gesundheitsthema sei allerdings ein Problem insbesondere in Großunterneh-<br />

men. Auch sei manchen Betriebsräten die Konfliktfähigkeit verloren gegangen, u.a. weil sie<br />

auf anderem Terrain ähnliche Themen bereits verloren hätten. Im vierten Statement wird die<br />

Unterschiedlichkeit von Betriebsräten bzw. von Konstellationen für ihre Arbeit hervorgeho-<br />

ben. Gewünscht wird mehr beteiligungsorientierte Politik und strategisches Verhalten bei den<br />

Betriebsräten.<br />

Bisherige Erfahrungen hätten gezeigt, dass die Arbeitgeber auf die durch Betriebsräte oder<br />

die Gewerkschaft eingebrachten Initiativvorschläge oftmals mit einer Verzögerungstaktik<br />

reagierten. Sie zeigten sich den eingebrachten Themen (z. B. psychosoziale Belastungen)<br />

zwar offen gegenüber, verwehrten sich dann aber gegen die für notwendig gehaltenen Maß-<br />

nahmen. Einer anderen Aussage nach sind die Arbeitgeber vor allem über das Argument<br />

Rechtssicherheit von den Initiativen und Kampagnen zu überzeugen. Oder man drohe ihnen<br />

mit der Einigungsstelle, um den Prozess in Bewegung zu bringen – eine mitunter „kostenin-<br />

tensive Qualifizierungsmaßnahme für das Management“. Als hinderlich wird der Arbeitgeber-<br />

Typus beschrieben, der für eine kurzfristige Shareholder-Ökonomie steht. Für den Banken-<br />

und Versicherungsbereich wird zudem häufig eine betriebliche Konfliktpartnerschaft erkannt,<br />

bei der die Gewerkschaften als Handelnde eher außen vor blieben.<br />

Die Mobilisierung der Belegschaft wird in mehreren Interviews als schwierig beschrieben.<br />

Obwohl von dort ein überwiegend positives Feedback zu den eigenen Aktivitäten zu ver-<br />

nehmen sei, wird auch vermeldet, dass Teile der Belegschaft sensible Themen, z. B. Stress,<br />

tabuisierten oder als nicht relevant abtäten. Es gehe nicht um individuelle Konflikte, sondern<br />

darum, dass die Beschäftigten mit Phänomenen wie der indirekten Steuerung alleine gelas-<br />

sen würden. In einem anderen Interview werden zudem die unterschiedlichen Bedürfnisse<br />

bei Männern und Frauen bei der Gestaltung von Präventionsmaßnahmen herausgestellt.<br />

91


Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass sich die gewerkschaftlichen Kampagnen<br />

und Initiativen an unterschiedliche Zielgruppen richten, in erster Linie jedoch an die Betriebs-<br />

räte und Mitglieder. Die Gewinnung neuer Gewerkschaftsmitglieder wird z. T. deutlich als ein<br />

wesentliches Ziel der Kampagnen/Initiativen angeführt.<br />

Das den Kampagnen und Initiativen zugrundegelegte Verständnis von Gesundheit entspricht<br />

dem der WHO- und ILO-Definition und ist ein ganzheitliches, präventives Verständnis. Die<br />

Verwendung des BGM-Begriffs wird allerdings eher vermieden. Stattdessen wird Wert auf<br />

die Einhaltung gesetzlicher Vorgaben gelegt.<br />

Der Unterstützungsgrad der Kampagnen/Initiativen geht konzeptionell über die Initiations-<br />

phase hinaus, auch wenn es bisher eher in Ausnahmefällen dazu kommt, dass die Unter-<br />

stützung bis zum Abschluss der Interventionsphase läuft. Die operative Unterstützung der<br />

Gewerkschaften ist vielfältig und reicht von Sensibilisierungsmaßnahmen über einzelne be-<br />

trieblich einzusetzende Instrumente bis hin zu speziellen Qualifizierungsangeboten. Die<br />

Reichweite der Unterstützung geht mindestens bis in einzelne Unternehmen, umfasst aber<br />

auch weitere Netzwerke. Zudem werden erste Erfolge identifiziert, das Thema „Gute Arbeit“<br />

vermehrt in Tarifverträgen zu platzieren.<br />

Bei den Betriebs- und Personalräten wird Qualifizierungs- und Unterstützungsbedarf hin-<br />

sichtlich der Sensibilisierung für die Thematiken „Gute Arbeit“/“Faire Arbeit“ und Gesundheit<br />

sowie hinsichtlich der Umsetzung von Maßnahmen gesehen. Dies geht einher mit der Wahr-<br />

nehmung einiger Interviewpartner, dass bei vielen Betriebsräten das Thema Gesundheit<br />

noch keinen ausreichenden Stellenwert gefunden habe und dass es immer noch vielen Be-<br />

triebsräten an der Bereitschaft fehle, sich dieses Themas anzunehmen und es gegebenen-<br />

falls mit allen ihnen auch rechtlich zur Verfügung stehenden Mitteln voranzubringen. Mit den<br />

Aktivitäten soll außerdem dem wahrgenommenen Bedarf bei den Betriebsräten entgegenge-<br />

kommen werden, betriebsnahe Analysen und Instrumente zur Verfügung zu stellen. Die Ge-<br />

winnung der Arbeitgeberseite für die Kampagnen/Initiativen wird als schwierig eingestuft.<br />

Steigerungspotenzial wird auch noch bei der Mobilisierung der Belegschaft gesehen.<br />

7.2 Ergebnisse aus 10 Fallstudien<br />

Im Folgenden werden die Ergebnisse aus zehn betrieblichen Fallstudien in anonymisierter<br />

Form vorgestellt. Dabei wird jedes Unternehmen als Fall für sich betrachtet: Im Anschluss an<br />

eine kurze Vorstellung des Unternehmens unter Heranziehung relevanter Eckdaten werden<br />

der Entwicklungsstand der betrieblichen Gesundheitspolitik und zentrale Meilensteine<br />

skizziert. Die betriebliche Gesundheitspolitik wird aus Sicht der Interviewpartner bewertet<br />

und mit dem in diesem Projekt zugrunde gelegten Referenzmodell (s. Kapitel 3) abgeglichen.<br />

Im Weiteren werden die Akteure und Akteureskonstellationen in der betrieblichen<br />

92


Gesundheitspolitik vorgestellt. Im Fokus stehen dabei die beiden Betriebsparteien, jeweils in<br />

der Eigen- und in der Fremdwahrnehmung. In einem abschließenden Fazit werden fördernde<br />

und hemmende Faktoren, Treiber und Motoren sowie der erkennbare Handlungs- und Ent-<br />

wicklungsbedarf in der betrieblichen Gesundheitspolitik herausgearbeitet.<br />

7.2.1 Fall 1: Der Betriebsrat als Motor des „klassischen“ Arbeits- und Gesundheits-<br />

schutzes<br />

Eckdaten zum Unternehmen<br />

Das Fallstudienunternehmen ist das Werk eines der weltweit größten Automobilhersteller mit<br />

Stammsitz in den Vereinigten Staaten Amerikas. Der Konzern ist seit 1925 in Deutschland<br />

aktiv und unterhält derzeit zwei Standorte in Deutschland, die unter dem gemeinsamen Dach<br />

einer GmbH firmieren. Insgesamt beschäftigt das Unternehmen ca. 29.000 Mitarbeiter an<br />

verschiedenen Standorten in Europa (Stand 2009). Im Rahmen der Fallstudie wurde ein im<br />

südwestdeutschen Raum ansässiges Werk mit ca. 6.500 Beschäftigten (ebenfalls Stand<br />

2009) untersucht.<br />

Das hier betrachtete Werk wurde 1966 gegründet und produziert derzeit 2 Automodelle, ei-<br />

nes davon in vier Variationen. Das Werk ist nach den Normen ISO-9002 (höchste und dau-<br />

erhafte Fertigungsqualität), ISO-9001 (Qualitätsmanagement) sowie ISO 14001 (Umweltma-<br />

nagement) (re-)zertifiziert. Des Weiteren erhielt der Produktionsstandort mehrere unterneh-<br />

mensinterne sowie externe Auszeichnungen. Darunter fallen auch eine Öko-Audit-<br />

Auszeichnung sowie der „Europäische Sicherheitspreis 2000".<br />

Funktional gliedert sich das Werk in fünf Bereiche, die in zwei großen und einer kleinen Halle<br />

untergebracht sind (Presswerk Rohbau, Lackiererei und Endmontage). Zudem befindet sich<br />

auf dem Werksgelände ein Zuliefererpark externer Zulieferer.<br />

Die Produktion ist dreischichtig organisiert, die Ausbringung lag im Jahr 2009 bei über<br />

300.000 Einheiten bzw. Autos. Der überwiegende Teil der Belegschaft ist bereits seit Grün-<br />

dung des Standortes bzw. Beginn der Produktion im Jahr 1970 in dem Unternehmen be-<br />

schäftigt, was sich insbesondere im derzeitigen Altersdurchschnitt von 43,8 Jahren zeigt.<br />

Für die nahe Zukunft sieht sich das Unternehmen insbesondere zwei zum Teil gegenläufigen<br />

Entwicklungen gegenüber. Das Werk wird Stammwerk für die Fertigung eines Modells und<br />

voraussichtlich wachsen. Zugleich werden in den nächsten Jahren ca. 1.200 MA aufgrund<br />

des Übergangs ins Nacherwerbsleben das Werk verlassen (über Altersteilzeitregelungen).<br />

Das Betriebsratsgremium des Unternehmens setzt sich aus 33 Betriebsräten zusammen,<br />

wovon 18 Mitglieder freigestellt sind. Die Betriebsratsmitglieder verteilen sich recht gleich-<br />

mäßig auf die Funktionsbereiche, so sind in jeder der drei Hallen vier bis acht Betriebsräte<br />

93


vertreten. Der größte Teil der Betriebsräte aus der Produktion wechselt im Rhythmus der<br />

Schichten der Kollegen mit. Je mindestens ein Mitglied dieser sogenannten „Hallenbetriebs-<br />

räte“ befasst sich mit dem Thema Arbeitssicherheit.<br />

Das Betriebsratsgremium hat neben dem Betriebsausschuss mit dem Arbeitssicherheit-<br />

Umwelt-Gesundheitsausschuss lediglich einen weiteren Ausschuss des Betriebsrates gebil-<br />

det. Die Mitglieder des Betriebsrates sind sehr stark in den Einheiten vor Ort engagiert und<br />

sehen in dieser „Politik vor Ort“-Strategie bessere Möglichkeiten, ihre Interessen durchzuset-<br />

zen.<br />

Der gewerkschaftliche Organisationsgrad der Belegschaft im gesamten Werk (d. h. Produkti-<br />

on und Angestellte zusammen) liegt bei ca. 95%. Zwischen Gewerkschaft und Betriebsrat<br />

gibt es eine intensive Kooperation, fast alle Betriebsräte im Unternehmen sind gleichzeitig in<br />

der Gewerkschaft aktiv.<br />

Im Rahmen der Fallstudie wurden folgende Personen im Unternehmen interviewt:<br />

der Vorsitzende des Betriebsrates; er ist seit ca. 25 Jahren als freigestellter Betriebsrat<br />

im Unternehmen tätig und seit ca. 4 Jahren der Vorsitzende des Betriebsrates; zudem ist<br />

er seit fünf Jahren Mitglied des Arbeitssicherheitsausschusses;<br />

der Vorsitzende des betriebsrätlichen ASUG-Ausschusses;<br />

fünf Mitglieder des ASUG-Ausschusses im Rahmen eines Gruppeninterviews;<br />

der Leiter des werksärztlichen Dienstes, der diese Funktion bereits im sechsten Jahr be-<br />

kleidet sowie<br />

der Personalleiter des Unternehmens. Er ist seit ca. 3 Jahren in dieser Funktion im unter-<br />

suchten Unternehmen und war davor in mehreren Funktionen im Bereich Personalwirt-<br />

schaft im Konzern tätig.<br />

Entwicklungsstand und Meilensteine der betrieblichen Gesundheitspolitik<br />

Entwicklungsstand im Fallstudienunternehmen<br />

Die nachfolgenden Ausführungen basieren zum einen auf dem vom ASUG-Vorsitzenden<br />

ausgefüllten Vorabfragebogen zur Ist-Situation der betrieblichen Gesundheitspolitik im Un-<br />

ternehmen sowie auf den Aussagen der verschiedenen Interviewpartner. Demnach ist das<br />

Thema Gesundheit im Unternehmen wie im Konzern in Form von Grundsätzen und Leitbil-<br />

dern verankert und findet sich insbesondere in den verschiedenen Arbeitsanweisungen so-<br />

wie in den unternehmenseigenen Richtlinien wieder.<br />

94


Neben dem klassischen Arbeitsschutzausschuss entsprechend des Arbeitssicherheitsgeset-<br />

zes (ASiG) gibt es laut Fragebogen im Unternehmen weitere Entscheidungs- und Bera-<br />

tungsgremien zum BEM, zum „Partnerschaftlichem Verhalten“ und zum BGM.<br />

Im Bereich der „klassischen“ Arbeitssicherheit, speziell im Hinblick auf das ASiG, und im<br />

Gesundheitsschutz erfüllt das Unternehmen die vielfach gestellten gesetzlichen Anforderun-<br />

gen. Neben regelmäßig durchgeführten Unterweisungen der Mitarbeiter finden im Unter-<br />

nehmen wöchentliche Begehungen (von Teilbereichen) statt, die über Protokolle dokumen-<br />

tiert werden. Laut Fragebogen werden zudem Konformitätsverfahren zur CE-Kennzeichnung<br />

von Maschinen und Anlagen in Eigenregie bzw. mit den entsprechenden Herstellern durch-<br />

geführt.<br />

Die durch das ArbSchG geforderte Gefährdungsbeurteilung wird im gesamten Unternehmen<br />

anhand eines Standardmodells (Ergo-Tools) durchgeführt, wobei nach Aussagen u.a. des<br />

ASUG-Vorsitzenden auch die psychischen Belastungen an der Mensch-Maschine-<br />

Schnittstelle berücksichtigt werden. Federführend bei der Erstellung der Gefährdungsbeurtei-<br />

lung sind die jeweiligen betrieblichen Führungskräfte mit Unterstützung durch die Abteilung<br />

für Arbeitssicherheit und den werksärztlichen Dienst. Die aus der Gefährdungsbeurteilung<br />

erwachsenden Maßnahmen werden dokumentiert und von den internen Experten sowie dem<br />

für Arbeitssicherheit zuständigen Betriebsrat gegengezeichnet. Der Betriebsrat bzw. der<br />

ASUG ist frühzeitig in den Dokumentenlauf eingebunden. Eine Wirkungsüberprüfung findet<br />

im Rahmen der jährlichen Wiederholung der Gefährdungsbeurteilung statt. Weiterhin exis-<br />

tiert im Unternehmen ein extern (re-)zertifiziertes Arbeitsschutzmanagementsystem nach<br />

OHSAS 18001.<br />

Bereits im Jahr 2001 begann das Unternehmen mit dem Aufbau eines Betrieblichen Wieder-<br />

eingliederungsmanagements (BEM), des so genannten Disability Managements. Das bei<br />

dem Unternehmen erarbeitete und implementierte Verfahren ist auch in der einschlägigen<br />

Literatur vielfach beschrieben worden. Zwei Jahre nach Implementierung wurde im Unter-<br />

nehmen als dem ersten Unternehmen in Europa ein Disability Manager benannt. Dieses<br />

BEM wurde aufgrund der Neueinführung eines Automodells vor dem Hintergrund alternder<br />

Belegschaften vom betriebsärztlichen Dienst initiiert. Das BEM ist in einem eigenen Hand-<br />

buch geregelt, in dem 16 Verfahren definiert werden. Das Handbuch wird laufend ergänzt<br />

und weiter entwickelt. Beispiel für die jüngste Weiterentwicklung ist die Aufnahme eines Pro-<br />

zesses zur Rückführung ausgesteuerter Beschäftigter unter Zuhilfenahme der Teilhabeleis-<br />

tungen nach dem Sozialgesetzbuch.<br />

An dem betrachteten Standort wurde laut Aussagen der Interviewpartner aufgrund steigen-<br />

der Nachfrage nach Sonderausstattungen eine zusätzliche Beschäftigungsmöglichkeit für<br />

Mitarbeiter mit gesundheitlichen Einschränkungen geschaffen. Hier werden Spezialausferti-<br />

95


gungen nach Kundenwünschen montiert. Die dort anfallenden Aufgaben werden von lang-<br />

jährig erfahrenen Mitarbeitern übernommen, die aus gesundheitlichen Gründen oder auch<br />

durch Leistungswandel nicht mehr in der normalen Linienproduktion eingesetzt werden kön-<br />

nen.<br />

Die Koordination der gesundheitlichen Themen im Fallstudienunternehmen erfolgt über die<br />

Abteilungen Arbeitssicherheit und Gesundheits- /werksärztlicher Dienst. Es gibt allerdings<br />

kein eigenes Budget für Gesundheitsthemen im Unternehmen.<br />

Als gesundheitsbezogene Kennzahlen werden im Unternehmen regelmäßig auf Monatsbasis<br />

die Fehlzeiten erhoben sowie bei Auftreten die Ausfallschwere von Unfällen (Unfallschwere,<br />

Abwesenheitsdauer). Zudem erstellt die betriebliche Krankenkasse jährlich einen Gesund-<br />

heitsbericht, der im Rahmen des Gesundheitsmanagementzirkels behandelt wird.<br />

Ein weiteres (Kennzahlen-)Instrument ist ein alle zwei Jahre konzernweit durchgeführtes<br />

sogenanntes Sharp Audit, mit dem die Themen Arbeitssicherheit, Qualität, Controlling, Per-<br />

sonalwesen detailliert auditiert werden. Im Rahmen dieses Audits wird laut Aussage des<br />

Vorsitzenden des ASUG-Ausschusses dem Arbeits- und Gesundheitsschutz ein großer Stel-<br />

lenwert eingeräumt.<br />

Die Personalabteilung führt laut Aussagen des Personalleiters die verschiedenen Statistiken<br />

zu Unfällen, Verletzungen, krankheitsbedingten Ausfällen etc. und hält diese nach. Teilweise<br />

ergeben sich Anschlussaktivitäten bspw. bei gehäuft in einem Arbeitsbereich auftretenden<br />

Unfällen. Hier kommt es dann zu sogenannten „Single Point Lessons“, in deren Rahmen das<br />

Unfallgeschehen aufgearbeitet wird bis hin zu Kommunikationsmaßnahmen an die gesamte<br />

Belegschaft.<br />

Im Unternehmen wurde durch die Personalabteilung im Jahr 2009 eine Altersstrukturanalyse<br />

mit Prognose für das Jahr 2019 für das Fallstudienunternehmen durchgeführt, die allerdings<br />

nicht auf die Ebene der einzelnen Bereiche bzw. Abteilungen herunter gebrochen wurde.<br />

Anhand dieser Analyse ist abzusehen, dass das Unternehmen in den nächsten Jahren bis zu<br />

1000 MA ersetzen muss, die das Unternehmen im Rahmen von Altersteilzeitprogrammen<br />

verlassen.<br />

Eine umfassende Analyse der psychischen Belastungen, die über die Mensch-Maschine-<br />

Schnittstelle hinausgeht und auch sogenannte weiche Faktoren wie soziale Beziehungen<br />

und Führungsverhalten erfasst, findet laut Aussage der ASUG-Mitglieder zurzeit nicht statt,<br />

obwohl die Notwendigkeit sehr groß eingestuft wird. Speziell für die Führungskräfte (alle<br />

Vorgesetzten bis hin zum Meister) werden jedoch laut Aussagen des Personalleiters Schu-<br />

lungen zu psychischen Belastungen von unternehmensinternen Experten angeboten, um<br />

den Führungskräften soziale Kompetenzen im Umgang mit solchen Belastungen zu vermit-<br />

teln und ihnen Rüstzeug zur Problemerkennung an die Hand zu geben.<br />

96


Das Unternehmen plant, so der Personalleiter, zudem die Einrichtung eines Fitnesscenters<br />

auf dem Firmengelände, mit dem gezielt gesundheitsförderliche Angebote erstellt werden,<br />

die zudem mit den speziellen Anforderungen einzelner Arbeitsplätze abgestimmt werden<br />

können.<br />

Der werksärztliche Dienst existiert im Unternehmen bereits seit Produktionsbeginn und wird<br />

von allen Interviewpartnern als sinnvolle Institution gesehen, die im Unternehmen erhalten<br />

bleiben soll. Durch den werksärztlichen Dienst wurden stets viele Einzelmaßnahmen ange-<br />

stoßen. Zu seinen Kernaufgaben gehört laut leitendem Werksarzt das komplette „arbeitsme-<br />

dizinische Standardprogramm“ mit den gesetzlich vorgeschriebenen Angebotsuntersuchun-<br />

gen, Tauglichkeitsuntersuchungen sowie Vorsorgeuntersuchungen für Mitarbeiter und Ma-<br />

nagement. Der werksärztliche Dienst arbeitet nicht zuletzt aufgrund der Inanspruchnahme<br />

der Patienten, die den Werksarzt aufgrund verschiedenster Beschwerden von Erkältung bis<br />

zu arbeitsbezogenen Diagnosen Behandlung aufsuchen, eher individuumsorientiert und ku-<br />

rativ.<br />

Das Unternehmen hat ein eigenes abgestimmtes Konzept zum BGM erarbeitet, das sich<br />

durch alle Unternehmensprozesse und -strukturen zieht. Zielsetzung des BGM ist, so der<br />

Personalleiter, die bewusste Steuerung und Integration aller betrieblichen Prozesse zur Er-<br />

haltung und Förderung der Gesundheit und des Wohlbefindens der Belegschaft. Die Ge-<br />

sundheit der Mitarbeiter wird dabei als strategischer Faktor betrachtet, dem Einfluss auf die<br />

Leistungsfähigkeit, Kultur und das Unternehmensimage zugeschrieben wird. Ziel des BGM<br />

ist es aber auch, die verschiedenen gesundheitsbezogenen Einzelmaßnahmen im Steuer-<br />

kreis zu bündeln und die angestoßenen Projekte durch ein internes und externes Marketing<br />

zu begleiten und zu unterstützen.<br />

Im Rahmen des BGM wurde im Jahr 2007 ein Steuerkreis eingerichtet, in dem betriebliche<br />

und überbetriebliche Akteure zusammenarbeiten. Neben der Personalabteilung und dem<br />

Betriebsrat sind weitere betriebliche Gesundheitsexperten wie die leitende FaSi, der leitende<br />

Werksarzt, die Suchtberatung, je ein Vertreter der Öffentlichkeitsarbeit, des Verpflegungswe-<br />

sen und der Aus- und Weiterbildung, der BEM-Koordinator, ein Schwerbehindertenvertreter<br />

sowie ein Vertreter der betrieblichen Krankenkasse vertreten. Das BGM wird auch stark von<br />

der betrieblichen Krankenkasse unterstützt, die als externer Partner ca. 90% der Mitarbeiter<br />

versichert.<br />

Der BGM-Steuerkreis tagt nach den Informationen des Personalleiters und des ASUG-<br />

Vorsitzenden einmal im Quartal und bearbeitet aktuell die Themen-Schwerpunkte Muskel-<br />

und Skeletterkrankungen, Atemwegserkrankungen, Übergewicht und Herz-Kreislauf-<br />

Erkrankungen sowie Psychische Erkrankungen / Stress. Aktuelle Projekte, die durchgeführt<br />

werden, sind bspw. die Analyse des Gesundheitsreports der Krankenkasse, der Gesund-<br />

97


heitslotse, ein neues Kantinenkonzept „Gesundes Essen“, Begleitung „Einführung Nichtrau-<br />

cherschutz“, Training für betriebliche Führungskräfte zum Thema „Führung und Gesundheit“,<br />

der Umgang mit Sucht sowie der Umgang mit psychisch belasteten/gestörten Mitarbeitern.<br />

Bei dem Gesundheitslotsen handelt es sich um ein Angebot des medizinischen Diensts, der<br />

mit dem Mitarbeiter ein Screening durchführt, mit ihm aufgrund der Messdaten spezielle Er-<br />

nährungs- und Bewegungsprogramme erarbeitet, ihm entsprechende Angebote macht und<br />

ihn über einen längeren Zeitraum betreut. Hierbei arbeiten als Akteure neben dem werksärzt-<br />

lichen Dienst die Krankenkasse und die unternehmenszugehörige Freizeitorganisation zu-<br />

sammen.<br />

Weitere Aktivitäten des Steuerkreises BGM beziehen sich auf mögliche Fördermöglichkeiten<br />

der Rententräger und der Integrationsämter sowie deren Aktivierung im betrieblichen Kon-<br />

text. Eine weitere Aufgabe wird in der aktivierenden Teilnahme einiger Steuerkreismitglieder<br />

an örtlichen Laufveranstaltungen gesehen, an denen sich auch eine Vielzahl von Mitarbei-<br />

tern beteiligt.<br />

Meilensteine<br />

Einen Meilenstein in der betrieblichen Gesundheitspolitik stellt das BEM dar, welches im Jahr<br />

2001 für die inländischen Produktionsstandorte implementiert wurde und seit 2006 durch<br />

eine freigestellte „Disability Managerin“ betreut wird.<br />

Auf Ebene des Fallstudienunternehmens wurden im Jahr 2007 verschiedene Akteure zu ei-<br />

nem BGM-Steuerkreis zusammengeführt. Als weitere Meilensteine der betrieblichen<br />

Gesundheitspolitik können die verschiedenen Auszeichnungen angesehen werden, welche<br />

das Fallstudienunternehmen in 2008 erhalten hat. Dabei handelt es sich um einen Gesund-<br />

heitspreis sowie einen Integrationspreis eines Bundeslandes.<br />

Mit dem Gesundheitspreis wurden die Aktivitäten des BGM ausgezeichnet, der Integrations-<br />

preis prämiert das BEM des Fallstudienunternehmens.<br />

Hier sehen auch die Mitglieder des ASUG-Ausschuss des Betriebsrates einen weiteren Mei-<br />

lenstein, insbesondere in den ausgezeichneten erfolgreichen Bemühungen des Unterneh-<br />

mens, Arbeitsplätze für leistungsgeminderte Mitarbeiter erhalten zu können.<br />

Der Betriebsrat sieht als weiteren eigenen Meilenstein die Verstetigung der von ihm initiierten<br />

„Safety-Walks“ an. Des Weiteren werden auch die Fortschritte bei der Gefährdungsbeurtei-<br />

lung als wichtiger Schritt wahrgenommen. Durch die vom betriebsrätlichen ASUG angesto-<br />

ßene Überarbeitung der Prozesse konnte die Gefährdungsbeurteilung optimiert werden, u. a.<br />

durch die gemeinsame Auswertung der Beurteilung durch die internen Experten und die<br />

stärkere Einbindung des werksärztlichen Dienstes.<br />

98


Bewertung der betrieblichen Gesundheitspolitik<br />

Die betriebliche Gesundheitspolitik aus Sicht der Interviewpartner<br />

Die interviewten Akteure sehen die betriebliche Gesundheitspolitik hinsichtlich der Themen<br />

Ergonomie, BEM, Arbeitsplatzgestaltung und Arbeitssicherheit sehr gut aufgestellt. Hinsicht-<br />

lich des klassischen Arbeits- und Gesundheitsschutzes sehen die Befragten durchweg das<br />

Unternehmen auf einem hohen Level. Zudem befindet sich das Unternehmen in einem stän-<br />

digen Prozess der Optimierung.<br />

Im Unternehmen gibt es bisher bereits viele sehr gute Ansätze, die im Rahmen der Initiative<br />

des Personalleiters zum BGM verstetigt und verbessert werden sollen, bspw. durch stärke-<br />

ren Einbezug der Krankenkasse. Uneinigkeit herrscht jedoch hinsichtlich des Informations-<br />

flusses zum BGM. Hier sieht der Personalleiter die Mitarbeiter rundum über das BGM infor-<br />

miert, während der Betriebsrat die Information und Partizipation der Mitarbeiter im BGM eher<br />

kritisch einschätzt.<br />

Hinsichtlich der Etablierung des BGM gibt es bei den Betriebsparteien unterschiedliche Auf-<br />

fassungen. Während die Geschäftsleitung dafür sorgen will, das Begonnene zu verstetigen,<br />

sieht der Betriebsrat keine unbedingte Handlungsnotwendigkeit, da er die Aktivitäten zwar<br />

begrüßt, seine Energie aber in erster Linie auf klassisch mitbestimmte Arbeitsschutzthemen<br />

legt.<br />

Das Zusammenspiel der Akteure wird im Großen und Ganzen als kooperativ und zielführend<br />

betrachtet. Die Akteure haben bereits in der Vergangenheit eigenständig und für ihren Be-<br />

reich das Thema Gesundheit bearbeitet und positiv bewertete Angebote gemacht.<br />

Im BGM-Gremium sehen die Akteure daher nicht die Gefahr von Widerständen o.Ä., sondern<br />

zwar „natürlich“ eine unterschiedliche Motivation, aber eine gemeinsame Richtung. Als Bei-<br />

spiel wird hier das gemeinsame Ziel des Präventionsgedankens angesprochen.<br />

Insbesondere seitens der Personalleitung sieht man das BGM als im Unternehmen gesetzt<br />

und im Bewusstsein der Mitarbeiter verankert an. Da es für das BGM kein eigenes Budget<br />

gibt, muss allerdings die Frage der Finanzen immer wieder neu diskutiert werden.<br />

Die Partizipation der Mitarbeiter erfolgt auf vielfache Art und Weise. Es werden Gruppenbe-<br />

sprechungen durchgeführt, und es existieren sogenannte „Küchenkommissionen“, in deren<br />

Rahmen sich die Mitarbeiter direkt einbringen können. Zudem werden Informationen der<br />

Arbeitssicherheit und des Gesundheitsdienstes an die Mitarbeiter über das Intranet weiter-<br />

gegeben. Eine weitere Partizipation einer bestimmten Gruppe von Mitarbeitern besteht im<br />

Rahmen der regelmäßig stattfindenden Treffen der Sicherheitsbeauftragten der verschiede-<br />

nen Arbeitsbereiche.<br />

99


Abgleich mit dem Referenzmodell<br />

Die konkrete Ausgestaltung der betrieblichen Gesundheitspolitik muss sich stets an den indi-<br />

viduellen Gegebenheiten und Rahmenbedingungen eines Unternehmens orientieren. Darü-<br />

ber hinaus lassen sich jedoch Mindeststandards an eine erfolgreiche betriebliche Gesund-<br />

heitspolitik formulieren (s. Kapitel 3). Diese Standards werden nachfolgend mit den vorlie-<br />

genden Informationen aus dem Vorabfragebogen und den Aussagen der verschiedenen In-<br />

terviews abgeglichen.<br />

1. Formulierung einer klaren, inhaltlichen Zielsetzung<br />

Als Unternehmensgrundsatz ist Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz in den<br />

obersten Unternehmensleitlinien (Ebene des Mutterkonzerns) verankert. „Unser kostbarstes<br />

Gut sind unsere Mitarbeiter. Nichts ist uns wichtiger als ihre Sicherheit und ihr Wohlergehen.<br />

Diesbezüglich darf es keine Kompromisse geben“.<br />

2. Abschluss schriftlicher Vereinbarungen<br />

Es existiert keine Betriebsvereinbarung zum BGM. Andere Themen sind hingegen durch<br />

eine Betriebsvereinbarung geregelt, bspw. das BEM.<br />

3. Einrichtung eines Lenkungsausschusses<br />

Der Steuerkreis BGM ist seit 2007 eingerichtet und tagt seither alle drei Monate.<br />

4. Bereitstellung von Ressourcen<br />

Im Rahmen des BGM werden keine eigenen Ressourcen in Form eines Budgets zur Verfü-<br />

gung gestellt. Die zeitlichen Ressourcen werden den einzelnen Akteuren in ausreichendem<br />

zur Verfügung gestellt.<br />

5. Festlegung personeller Verantwortlichkeiten<br />

Die Verantwortlichkeiten im BGM liegen in erster Linie beim Personalleiter, der aber nicht<br />

explizit die Funktion eines BGM-Koordinators bekleidet.<br />

6. Qualifizierung von Experten und Führungskräften<br />

Eine gezielte Qualifizierung zum BGM findet für die betrieblichen Experten nicht statt, auch<br />

für die Führungskräfte sind solche nicht angedacht. Allerdings finden Qualifizierungen und<br />

Schulungen zu Teilbereichen, bspw. Führungskräfteschulungen zu psychischen Belastzun-<br />

gen statt.<br />

7. Beteiligung und Befähigung der Mitarbeiter<br />

Die Mitarbeiter sind am BGM-Prozess nur peripher beteiligt. Sie werden weniger im Rahmen<br />

der Analyse gesundheitsrelevanter Aspekte im Unternehmen einbezogen, sondern eher als<br />

100


„Nachfrager“ der im Steuerkreis BGM erarbeiteten, überwiegend gesundheitsförderlichen<br />

Angebote und Maßnahmen.<br />

8. Betriebliche Gesundheitsberichterstattung<br />

Es werden Gesundheitsberichte (Arbeitsunfähigkeitsanalysen) seitens der Krankenkasse<br />

erstellt, zudem hat das Unternehmen eine Vielzahl weiterer Berichtssysteme eingerichtet<br />

(bspw. zum Arbeitsunfallgeschehen). Eine zusammenfassende betriebliche Gesundheitsbe-<br />

richterstattung existiert bislang jedoch nicht.<br />

9. Internes Marketing<br />

Im Rahmen des BGM erarbeitete Angebote und Maßnahmen werden über die vorhandenen<br />

Kommunikations- und Informationskanäle in das Unternehmen hinein, sprich zu den Mitar-<br />

beitern, transportiert.<br />

10. Durchführung der vier BGM-Prozesse<br />

Der PDCA-Zyklus wird für das BGM nicht gezielt beschrieben. Er ist aber durchaus angelegt,<br />

bspw. im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung.<br />

11. Erfüllung gesetzlicher Anforderungen<br />

Auf Grundlage des Vorabfragebogens sowie der verschiedenen Interviews kann die Einhal-<br />

tung der gesetzlichen Anforderungen des Arbeitsschutzes als weitestgehend erfüllt gelten.<br />

Die klassische Arbeitssicherheit ist stark ausgebildet. Die betrieblichen Experten sind in ei-<br />

genen Abteilungen im Unternehmen ansässig (Werksärztlicher Dienst, Abteilung Arbeitssi-<br />

cherheit) und sind vielfach in die Verfahren eingebunden. Psychische Belastungen werden,<br />

was die Mensch-Maschine-Schnittstelle betrifft, im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung be-<br />

rücksichtigt.<br />

12. Integration des BGM<br />

Im Unternehmen können positive Ansätze einer integrierten Bearbeitung des Themas Ge-<br />

sundheit aufgrund der Personenidentität der Akteure in den verschiedenen gesundheitsbe-<br />

zogenen Steuerkreisen und Ausschüssen angenommen werden. Zudem scheint eine Integ-<br />

ration des Themas Gesundheit auf die verschiedenen Hierarchieebenen im Rahmen von<br />

Pflichtenübertragungen und Stellenbeschreibungen gegeben zu sein. In den verschiedenen<br />

Kreisen werden teilweise getrennt voneinander pathogene und salutogene Faktoren bearbei-<br />

tet, die allerdings nicht in eine Gesamtbetrachtung, bspw. in Form eines übergeordneten<br />

Steuerkreises, integriert werden. Auch findet keine weitergehende Integration in betriebliche<br />

Routinen statt, bspw. über die Einbindung von Gesundheit in die Personalentwicklungsge-<br />

spräche.<br />

101


Akteure und Akteurskonstellationen der betrieblichen Gesundheitspolitik<br />

Die Akteure im Überblick<br />

Auf Grundlage des Vorabfragebogens und der Interviews können folgende Personen bzw.<br />

Institutionen mit Einfluss auf die betriebliche Gesundheitspolitik des Fallstudienunterneh-<br />

mens identifiziert werden:<br />

der Personalleiter des Unternehmens, der aktiv den Steuerkreis BGM koordiniert und<br />

Impulse gibt,<br />

der Vorsitzende des ASUG-Ausschusses des Betriebsrates, der sehr aktiv im betriebli-<br />

chen Arbeits- und Gesundheitsschutz tätig und zudem Mitglied im ASA und im Steuer-<br />

kreis BGM ist. Er steht in engem Kontakt zu den verschiedenen betrieblichen Gesund-<br />

heitsakteuren im Unternehmen,<br />

der Vorsitzende des Betriebsrates, der Mitglied im ASA des Unternehmens sowie in ver-<br />

schiedenen Gremien des deutschen Konzernstandortes ist,<br />

die Abteilung Arbeitssicherheit und der Werksärztliche Dienst, die beide in den Unter-<br />

nehmensstrukturen integriert und etabliert sind. Beide sind zudem in den verschiedenen<br />

Gesundheitsgremien vertreten und bringen sich aktiv ein. Sowie<br />

die betriebsnahe Krankenkasse<br />

Der Betriebsrat<br />

Der Betriebsrat des Unternehmens besteht aus 33 Betriebsräten, davon sind 18 Mitglieder<br />

freigestellt. Die Betriebsratsmitglieder verteilen sich recht gleichmäßig auf die Funktionsbe-<br />

reiche. Der Betriebsrat hat im Unternehmen gemessen am gewerkschaftlichten Organisati-<br />

onsgrad und der Wahlbeteiligung bei Betriebsratswahlen einen großen Rückhalt in der Be-<br />

legschaft. Der gewerkschaftliche Organisationsgrad liegt bei ca. 95% und erreicht nahezu<br />

alle Hierarchiestufen.<br />

Zwischen Betriebsrat und Belegschaft bestehen bewährte Kommunikations- und Informati-<br />

onskanäle. Die Mitglieder des Betriebsrates sind regelmäßig in allen Betriebsbereichen vor<br />

Ort, wechseln zum Teil die Schichten mit den Kollegen und sind über Handy, E-Mail etc. für<br />

die Belange der Belegschaft immer erreichbar. Zudem gibt es im Unternehmen ca. 600 ge-<br />

werkschaftliche Vertrauensleute, zu denen der Betriebsrat sehr gute Kommunikationsstruktu-<br />

ren unterhält und mit denen ein regelmäßiger Austausch stattfindet.<br />

Neben dem Betriebsausschuss ist lediglich ein weiterer Ausschuss eingesetzt, der Aus-<br />

schuss Arbeitssicherheit (ASUG), der sich zusammensetzt aus Betriebsräten der verschie-<br />

denen Bereiche, dem Schwerbehindertenvertreter und dem JAV-Vertreter. Aufgabe dieses<br />

Gremiums ist die Begleitung der betrieblichen Gesundheitspolitik im Unternehmen, wobei ein<br />

102


starker Schwerpunkt auf den Themen Arbeitssicherheit sowie dem Arbeits- und Gesund-<br />

heitsschutz liegt.<br />

Der ASUG-Ausschuss tagt wöchentlich, in der Regel im Anschluss an die Betriebsratssit-<br />

zung. Wiederkehrende Themen der Tagesordnung sind die Besprechung des Unfallgesche-<br />

hens, der durchgeführten und geplanten Maßnehmen des Arbeits- und Gesundheitsschut-<br />

zes, die Ergonomie der Arbeitsplätze sowie durchzuführende Schulungen im Bereich Ar-<br />

beitssicherheit. Der ASUG erarbeitet auch eigene Vorschläge zum Thema und bringt diese<br />

bspw. über den Arbeitsschutzausschuss ein. Bei den Berichten aus den verschiedenen Ar-<br />

beitsbereichen werden neben den arbeits- und gesundheitsschutzbezogenen Aktivitäten<br />

auch die selbst angestoßenen Initiativen nachgehalten. Weiter befasst sich der ASUG mit<br />

den von der Personalabteilung vorgelegten gesundheitsbezogenen Kennzahlen sowie den<br />

verschiedenen gesundheitsbezogenen Projekten, bspw. den Projekten und Angeboten der<br />

betrieblichen Krankenkasse.<br />

Der ASUG versucht somit, das Geschehen im Bereich Gesundheit zu begleiten und Einfluss<br />

zu nehmen und dabei flexibel auf aktuelle Entwicklungen einzugehen, etwa auf neue Geset-<br />

zeslagen oder Betriebsvereinbarungen. Er ist somit das entscheidende Gremium des Be-<br />

triebsrates im Bereich Gesundheit.<br />

Der Betriebsrat in der Eigenwahrnehmung<br />

Das Thema Gesundheit ist für die Arbeit des Betriebsrates ein wichtiges Thema, allerdings<br />

sind die Aussagen bzw. Gewichtungen hierzu akteursabhängig verschieden. Der BR als Ge-<br />

samtgremium sieht das Thema Gesundheit als Nebenschauplatz, der zwar wichtig ist und<br />

mit verfolgt wird, aber so lange alles gut läuft, nicht die höchste Priorität hat. Für das Ge-<br />

samtgremium und den Vorsitzenden steht das Thema Gesundheit auf einer Stufe mit den<br />

Themen Personal und Lohn, wobei konzeptionell die beiden anderen Themen intensiver be-<br />

arbeitet werden.<br />

Der Betriebsrat sieht sich, so ein Interviewpartner, nicht so sehr in der strategisch-<br />

konzeptionellen Arbeit beim Thema Gesundheit und begründet dies mit den vielfältigen an-<br />

deren Themen und der alltäglichen Abarbeitung der aktuellen Fragen aus der Belegschaft.<br />

Konzeptionelles Arbeiten wäre zudem erst der erste Schritt, dem der mühsamere Schritt der<br />

Durchsetzungsarbeit – zunächst im Gremium, dann im Betrieb – folgen müsste. Es wird da-<br />

her nicht als sinnvoll erachtet, wenn der Betriebsrat zu früh Initiative zeigt. Vielversprechen-<br />

der sei die Strategie, auf erarbeitete Konzepte der Geschäftsleitung zu reagieren und darauf<br />

zu achten, dass vorgesehene Maßnahmen im Sinne der Belegschaft umgesetzt würden. Als<br />

Beispiel für ein solches Handeln werden die anfänglich vom Betriebsrat abgelehnten Pläne<br />

zum Thema BEM genannt.<br />

103


Entsprechend der Aussagen der ASUG-Mitglieder, insbesondere des Ausschussvorsitzen-<br />

den, verfolgt der Betriebsrat in der betrieblichen Gesundheitspolitik zwei Strategien, zum<br />

einen dazu beizutragen, dass „die Menschen so lange wie möglich gesund in Arbeit bleiben“,<br />

zum zweiten das Ziel, „100% Gefährdungsbeurteilungen“ im Unternehmen umzusetzen. Die<br />

Tatsache, dass der Betriebsrat mit dem ASUG lediglich einen Ausschuss eingesetzt hat,<br />

unterstreiche, so die interviewten Betriebsräte, die Wertschätzung des Gesundheitsthemas<br />

seitens des Betriebsrates.<br />

Der Betriebsrat nimmt seine Mitbestimmungsmöglichkeiten bei der Durchführung und der<br />

Erstellung der Gefährdungsbeurteilungen inklusive der Maßnahmenerarbeitung sowie bei<br />

der Bestellung der Fachkräfte und Werksärzte wahr und nimmt Einfluss auf diese Bereiche.<br />

Das Hauptaugenmerk seiner, die mitbestimmungsrelevanten Aspekte des Themas Gesund-<br />

heit betreffenden Aktivitäten liegt deutlich beim „klassischen Arbeits- und Gesundheits-<br />

schutz“. Bei neu einzurichtenden Arbeitsplätzen wirkt er im Idealfall schon im Vorfeld im Ar-<br />

beitsschutzausschuss an der gesundheitsgerechten Gestaltung mit. Auf Initiative des Be-<br />

triebsrates werden wöchentliche „Safety Walks“ durchgeführt, an denen neben einem Vertre-<br />

ter der Geschäftsleitung, dem Ausschussvorsitzenden und mindestens einem Betriebsrates<br />

aus dem betreffenden Arbeitsbereich auch der Werksleiter sowie je ein Vertreter der Perso-<br />

nalabteilung, der Abteilung Arbeitssicherheit und der kaufmännischen Abteilung teilnehmen.<br />

Im Rahmen der Safety Walks werden von den Mitarbeitern berichtete oder bei Begehungen<br />

o.ä. festgestellte, arbeitsschutzbezogene Probleme vor Ort begutachtet. Insbesondere die<br />

Vertreter des Betriebsrates halten die Teilnehmer dazu an, noch vor Ort eine einvernehmli-<br />

che Lösung des vorgefundenen Problems zu finden und in die Wege zu leiten.<br />

Der ASUG-Ausschuss verfolgt, so der Vorsitzende, einen ganzheitlichen Ansatz in Bezug auf<br />

das Thema Arbeitssicherheit/Arbeitsschutz und legt dabei sein primäres Augenmerk auf die<br />

Verhältnisprävention. Die Probleme, die mit den Bordmitteln des ASUG-Ausschusses nicht<br />

geregelt werden können, werden im ASA auf die Tagesordnung gesetzt, dort diskutiert und<br />

einer Lösung zugeführt. Wird auch dort keine, im Sinne des ASUG zufriedenstellende Lö-<br />

sung gefunden, werden Themen auch in die Sitzung des Hauptsicherheitsausschusses der<br />

deutschen Mutter hineingetragen.<br />

Bei den verschiedenen Aktivitäten im Rahmen des BGM agiert der Betriebsrat bzw. der<br />

ASUG nach Aussagen seiner Vertreter eher passiv und zurückhaltend. Generell nimmt man<br />

eine positive Grundhaltung dem BGM gegenüber ein, verweist aber auch darauf, dass es<br />

sich hierbei um eine Zusammenstellung bereits vorhandener Aktivitäten handelt, ohne dass<br />

bspw. in Form eines eigenen Budgets „Geld in die Hand genommen“ wurde. Dennoch wer-<br />

den die Aktivitäten zum BGM, die insbesondere seitens der Personalleitung angestoßen<br />

wurden, positiv beurteilt, insbesondere wenn sie im Sinne der Belegschaft durchgeführt wer-<br />

104


den. Das größte Interesse am BGM wird aber der Krankenkasse und der Geschäftsleitung<br />

zugeschrieben, die damit ihre Außendarstellung aufzubessern versuche.<br />

Der Betriebsrat sieht sich selbst als aktiver Akteur im Themenfeld Arbeitssicherheit und<br />

Gesundheitsschutz und sieht als Beispiel die Aktivierung des Potenzials der ca. 400 Sicher-<br />

heitsbeauftragten. Der ASUG hat diese Akteure zusammengeführt und informiert regelmäßig<br />

über aktuelle Entwicklungen im Bereich Arbeits- und Gesundheitsschutz. Zusätzlich werden<br />

regelmäßige Treffen aller Sicherheitsbeauftragten eines Arbeitsbereichs vom Betriebsrat<br />

durchgeführt, in deren Rahmen bspw. die CAR-Reporte („Corrective Action Reports“) erstellt<br />

und weiterbearbeitet werden. Dabei handelt es sich um Maßnahmenpläne, in denen prob-<br />

lemtische Aspekte festgehalten, Verantwortliche für die Problemlösung benannt sowie der<br />

der jeweils aktuelle Stand der Bearbeitung fixiert werden.<br />

Die Zusammenarbeit mit der Arbeitgeberseite wird als kooperativ beschrieben. Der Aus-<br />

schuss versucht, Themen der Arbeitssicherheit und des Gesundheitsschutzes konsensual zu<br />

bearbeiten und die Gegenseite von seiner Sichtweise zu überzeugen. Dabei ist man sich<br />

stets seiner Rechte im gesetzlichen Arbeitsschutz bewusst und schreckt im Zweifelsfall nicht<br />

vor einer dann notwendigen Eskalation entsprechend des vorgegebenen Rahmens zurück.<br />

Die Ausnutzung der Möglichkeiten und die Aktivierung des Drohpotenzials wird seitens der<br />

interviewten Betriebsräte auch als wichtig angesehen.<br />

Als problematisch wird von den ASUG-Mitgliedern geschildert, dass der Ausschuss seitens<br />

der Geschäftsleitung mit Kennzahlen, Arbeitsschutzmaßnahmen und Projekten, die zusam-<br />

men mit der Krankenkasse erarbeitet wurden, „bombardiert“ werde. Es herrsche der Ein-<br />

druck, dass vieles davon bereits bekannt oder vorhanden ist. Auch hier wird wieder die ame-<br />

rikanische Unternehmenskultur als Ursache genannt. Der Betriebsrat bzw. der ASUG sieht<br />

sich hier zum Teil in einer Abwehrfunktion für bspw. Verfahren, die bereits vor Ort vorhanden<br />

sind, von der Konzernmutter aber weltweit unter anderem Namen ausgerollt werden. Als<br />

Beispiel wird ein Kennzahlensystem für Unfälle angeführt, obwohl es aus Sicht der Inter-<br />

viewpartner bereits über die Berufsgenossenschaften ausreichend Datenmaterial gibt, mit<br />

denen die Werke untereinander zu vergleichen wären. Dieses neue System sei überflüssig<br />

und führe zu Konflikten zwischen Betriebsarzt, Geschäftsleitung und Betriebsrat.<br />

Die Arbeit des Betriebsrates wird als „pragmatisch“ bezeichnet. Selbst führe er keine großen<br />

Analysen durch, sondern versuche konkrete Probleme zu lösen unter Einbindung der be-<br />

trieblichen Experten. Der Ausschuss nehme die Ergebnisse seiner Beobachtungen und Ge-<br />

spräche zur Situation vor Ort auf und setze sie auf die Tagesordnung.<br />

Als Aufgabe für die nahe Zukunft sieht der ASUG-Ausschuss die altersbedingte Gestaltung<br />

des Übergangs von dem derzeitigen Vorsitzenden auf seinen Nachfolger an. Durch Aus-<br />

scheiden des jetzigen Vorsitzenden wird nach den Betriebsratswahlen das Gremium neu<br />

105


konstituiert. Es gibt große Übereinstimmung darüber, dass das Gremium als solches in die-<br />

ser Form beibehalten wird. Die Ausschussmitglieder sind zuversichtlich, ihre Arbeit auch in<br />

neuer Zusammensetzung erfolgreich weiterzuführen. Als wichtigste Aufgabe für seinen<br />

Nachfolger bezeichnet der jetzige Vorsitzende die Aufgabe, einen guten Draht zur Ge-<br />

schäftsleitung aufzubauen und sich im BGM-Gremium für die Belange des Ausschusses<br />

einzusetzen. Darüber hinaus wird als entscheidender Erfolgsfaktor angesehen, dass die Mit-<br />

glieder dieses Ausschusses mit Herzblut bei der Sache sind und bleiben.<br />

Die notwendigen Kompetenzen betriebsrätlicher und gesundheitspolitischer Aktivitäten wer-<br />

den von allen Interviewpartnern auf Seiten des BR in der Strategiekompetenz gesehen. Dies<br />

wird begründet mit dem Verweis auf das Organisationsgeflecht, in dem sich die Akteure be-<br />

finden (Abhängigkeit zum Hauptstandort, Möglichkeiten der Einflussnahme über Aufsichtsrat<br />

zugunsten des Standorts, gemeinsame Standortinteressen). Die betriebspolitische Arbeit vor<br />

Ort orientiert sich an dem Motto „Steter Tropfen höhlt den Stein“. Zum Thema psychische<br />

Belastungen haben einzelne Mitglieder des Ausschusses bereits Wissen, welches sie weiter<br />

einbringen werden.<br />

Zum Erwerb von Wissen und Kompetenzen werden betriebsinterne wie externe Seminare<br />

besucht. Der Bedarf wird strategisch im Rahmen von Betriebsratssitzungen erörtert und in<br />

einem „Schulungsplan“ für Betriebsratsmitglieder festgehalten. Dadurch soll sichergestellt<br />

werden, dass jedes Mitglied ein entsprechendes Grundwissen im Themenfeld hat. Unter den<br />

externen Seminaren werden Seminare der Gewerkschaft genutzt, aber auch der Arbeits-<br />

kammer und Berufsgenossenschaft. Zudem stehen die Mitglieder des Betriebsrates in ste-<br />

tem Austausch mit weiteren ortsansässigen Unternehmen und sehen sich gut vernetzt. Die<br />

entsprechende gewerkschaftliche Kampagne der IG Metall „Gute Arbeit“ spielt eine große<br />

Rolle, indem sie Anhaltspunkte für die eigene Arbeit liefert und das Thema „Gute Arbeit“ im<br />

Sinne eines Agenda-Settings im betrieblichen wie überbetrieblichen Diskurs verankert hat.<br />

Als problematisch sieht der Betriebsrat die Sensibilisierung der Mitarbeiter beim Thema Ge-<br />

sundheit an. Hierbei handele es sich stets um eine Gratwanderung, die dem Betriebsrat be-<br />

wusst sei, und bei der Betriebsräte schnell an Sympathie verlieren könnten, bspw. beim Ein-<br />

satz für sinnvolle, aber „nervige“ PSA-Vorschriften. Bspw. wird die Nichtberücksichtigung<br />

eines ASUG-Mitglieds bei der Wahl für die Liste zur Betriebsratswahl auch auf das verstärkte<br />

Engagement des Kollegen für das Thema Gesundheit zurückgeführt. Weiter wird als Prob-<br />

lem benannt, dass es innerhalb des Gremiums unterschiedliche Sichtweisen auf das Thema<br />

gibt. Zwar wird dies im Vergleich zu früheren Zeiten als nicht mehr sehr gravierend beschrie-<br />

ben, allerdings sei das Grundproblem weiterhin, dass sich andere BR-Mitglieder dem Ver-<br />

antwortlichen für Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz in den Weg gestellt hätten. Mitt-<br />

lerweile, so die Vertreter des ASUG, gebe es aber im Betriebsrat mehr Rückhalt für das<br />

Thema.<br />

106


Der Betriebsrat in der Fremdwahrnehmung<br />

Der Betriebsrat und insbesondere der ASUG werden beim Thema Arbeitssicherheit und<br />

Gesundheitsschutz von den anderen Akteuren als fachlich kompetent wahrgenommen.<br />

Gleichzeitig wird wahrgenommen, dass das Thema Gesundheit nicht an erster Stelle beim<br />

BR stehe, sondern andere „wahlrelevanteren Themen“ im Mittelpunkt – aus Sicht der Ge-<br />

sprächspartner verständlicherweise – stünden. Es wird betont, dass sich die Motivation zur<br />

betrieblichen Gesundheitspolitik zwar unterscheide, die Geschäftsleitung eher auf den Erhalt<br />

der Leistungs- und Beschäftigungsfähigkeit fokussiere, während der Betriebsrat mehr auf die<br />

Verbesserung der individuellen Situation der Mitarbeiter abziele. Insgesamt werde aber in<br />

der betrieblichen Gesundheitspolitik in die gleiche Richtung gearbeitet.<br />

In der Gesamtbetrachtung wird der Betriebsrat als kooperativer Akteur wahrgenommen und<br />

als ein wichtiger Kommunikator im Unternehmen angesehen. Seine Rolle wird insbesondere<br />

vor dem Hintergrund seines starken Rückhalts in der Belegschaft gesehen.<br />

Grundsätzlich, so das pragmatische Fazit der anderen betrieblichen Akteure, sei der Be-<br />

triebsrat rechtlich gesehen mitbestimmungspflichtig, von daher an allem zu beteiligen und<br />

müsse dann auch bei der Umsetzung unterstützen. Vorbehalte seitens des Betriebsrates<br />

würden diskutiert, und es werde nach einer einvernehmlichen Lösung gesucht. Dies sei zum<br />

Beispiel bei der Einführung eines BEM der Fall gewesen, bei dem der Betriebsrat aufgrund<br />

des Datenschutzes, der Transparenz und zur Frage Arbeitsplatzerhaltung Klärungsbedarf<br />

gesehen hätte. Die Probleme hätten aber in den wöchentlich stattfindenden Integrationsmee-<br />

tings mit allen Akteuren gelöst werden können.<br />

Seiten der Geschäftsleitung bzw. des Personalleiters wird ein stärkeres Einbringen des ins-<br />

besondere des Betriebsratsvorsitzenden im Rahmen des BGM gewünscht, bspw. durch die<br />

Unterstützung bei Mitarbeiterbefragungen zum Zwecke eines höheren Rücklaufs.<br />

Die übrigen Akteure<br />

Im Rahmen der Fallstudie stand uns der Personalleiter des Unternehmens zu einem Inter-<br />

view zur Verfügung. Er ist zugleich Mitglied der Geschäftsführung des Standortes. Zu seinen<br />

Aufgaben zählen neben den klassischen Personalaufgaben auch der medizinische Service,<br />

die Arbeitssicherheit sowie der Werksschutz und die Feuerwehr. Zusätzlich gehört interne<br />

und externe Kommunikation und Information zu seinen Aufgaben. Der Personalleiter ist zu-<br />

dem der erste Ansprechpartner für den Betriebsrat im Bereich Gesundheit.<br />

Die übrigen Akteure in der Eigenwahrnehmung<br />

Der Personalleiter war Initiator des BGM im Unternehmen und sieht sich selbst als den ent-<br />

scheidenden Treiber des Themas. Er leitet den Steuerkreis BGM und koordiniert die ver-<br />

schiedenen Maßnahmen. Er sieht sich u.a. deswegen in dieser Treiberfunktion, weil er die<br />

107


„größte Verhandlungsmacht“ der beteiligten BGM-Akteure besitzt. Bedingt durch seinen<br />

demnächst anstehenden Weggang sieht er es als wichtige Aufgabe an, die Kontinuität des<br />

BGM zu sichern und seine Nachhaltigkeit zu gewährleisten. Der Steuerkreis Gesundheits-<br />

management müsse die vorhandene Expertise breit bündeln und Synergien herstellen,<br />

bspw. durch abgestimmte Programme zu Schwerpunktthemen.<br />

Das Motto, unter dem er seine Aktivitäten sieht, ist „ein gesunder Geist in einem gesunden<br />

Körper“. Es geht ihm sowohl um die Bearbeitung körperlicher und psychosozialer Themen.<br />

Viele „weiche“ Themen wie psychische Erkrankungen und Stress sind in seinen Augen sehr<br />

wichtig, da hier vieles durch die Arbeit mit verursacht werde. Als Beispiel werden in diesem<br />

Zusammenhang schlechte Führung, Mobbing und ein schlechtes Sozialklima genannt.<br />

Der Personalleiter sieht zudem seine Verantwortlichkeit für das Thema Motivation sehr eng<br />

am Thema Gesundheit angelehnt. Die verschiedenen gesundheitsrelevanten Themen seien<br />

teilweise ohnehin dem Personalressort zugeordnet, bspw. das BEM.<br />

Die Automobilindustrie befindet sich – so der Personalleiter – in einer Krisensituation, was<br />

die finanzielle Handlungssituation sehr einschränke. Der Steuerkreis BGM stelle insofern für<br />

ihn auch eine Möglichkeit dar, die Effektivität der Maßnahmen zu erhöhen, ohne viel mehr<br />

Geld in die Hand nehmen zu müssen.<br />

Die übrigen Akteure in der Fremdwahrnehmung<br />

Die Geschäftsführung wird im Allgemeinen als sehr kooperativ wahrgenommen. Der Be-<br />

triebsrat ist sich seiner Macht sehr bewusst und beherrscht die betriebspolitischen Routine-<br />

spiele der Interessenwahrnehmung und -durchsetzung. Insbesondere beim Thema Arbeits-<br />

sicherheit kann die Geschäftsleitung durch Verweis auf die konzernweit geltenden und von<br />

der Konzernmutter hoch gehaltenen Leitlinien aktiviert werden.<br />

Der Personalleiter wird beim Thema BGM als der „Motor“ wahrgenommen. Seitens des Be-<br />

triebsrates wird dies aber zum Teil aus den Augenwinkeln betrachtet („Der BR mischt sich<br />

nur ins BGM ein, wenn es sich zum Nachteil für die Mitarbeiter entwickelt“.) Andererseits<br />

vermisst man bei ihm die Konsequenz, angekündigte Maßnahmen wie Schulungen für Meis-<br />

ter in sozialen Beziehungen und Führungsverhalten, auch „durchzuziehen“. Hier sieht man<br />

weiterhin ein Problem, dessen Bearbeitung jedoch verzögert wird.<br />

Eine genaue Einschätzung der aktuellen Geschäftsleitung ist den befragten Akteuren zurzeit<br />

nicht möglich, da der Werksleiter zum Zeitpunkt der Interviews erst einem Monat im Amt war<br />

und noch nicht abzuschätzen sei, wie dieser sich positioniere. Bezogen auf den bevorste-<br />

henden Wechsel des Personalleiters sieht man begonnene Aktivitäten auch weiterhin im<br />

Interesse der Geschäftsleitung.<br />

108


Fazit<br />

Das betrachtete Unternehmen unterhält seit 2007 ein BGM, in dessen Rahmen ein Steuer-<br />

kreis Angebote und Maßnahmen zum Thema Gesundheit erarbeitet. Dabei handelt es sich<br />

überwiegend um Maßnahmen der verhaltensorientierten Gesundheitsförderung. Im Vergleich<br />

zu dem von uns zugrunde gelegten Referenzmodell ist anzumerken, dass eine verbindlich<br />

getroffene Vereinbarung zum BGM fehlt. Die Leitlinien, denen das BGM untergeordnet wird,<br />

sind sehr allgemein und nicht konkret auf das Unternehmen oder gar einzelne Bereich her-<br />

unter gebrochen. Bringen sich die verschiedenen Akteure mit ihren zeitlichen Ressourcen<br />

ein, so fehlt dem BGM aber die Zuweisung eines eigenen Budgets. Dies kann dazu führen,<br />

dass sinnvolle Maßnahmen aufgrund fehlender finanzieller Ressourcen nicht durchgeführt<br />

werden können. Die vier BGM-Prozesse des Regelkreises werden nicht gezielt und systema-<br />

tisch beschritten. Die Mitarbeiter spielen in der Konzeption eher als Konsumenten, weniger<br />

als Informationsgeber eine Rolle. Zu berücksichtigen ist jedoch, dass es ein stark ausgepräg-<br />

tes Arbeitssicherheitssystem gibt. Die klassischen, mitbestimmten Bereiche des Arbeits-<br />

schutzes sind besetzt. Es existiert ein regelmäßig tagender Arbeitsschutzausschuss, der<br />

allerdings nicht mit dem Steuerkreis des BGM verzahnt ist und daher „unterschiedliche“ As-<br />

pekte der betrieblichen Gesundheitspolitik bearbeitet. Zudem findet sich ein elaboriertes<br />

BEM im Fallstudienunternehmen. Es gibt Gefährdungsbeurteilungen, welche den PDCA-<br />

Zyklus durchlaufen, hier fehlen allerdings Beurteilungen der psychischen Belastungssituati-<br />

on, die über die technikbezogenen Aspekte an der Mensch-Maschine-Schnittstelle (Monoto-<br />

nie etc.) hinausgehen.<br />

Fördernde und hemmende Faktoren für die betriebliche Gesundheitspolitik<br />

In Bezug auf das Gesundheitsverständnis konnten im Unternehmen keine tiefer gehenden<br />

Unterschiede festgestellt werden. BGM-Aktivitäten werden hierdurch nicht behindert, was<br />

durchaus als förderlicher Faktor wahrgenommen werden kann. Die befragten Akteure sehen<br />

die verschiedenen Facetten der betrieblichen Gesundheitspolitik gut ausgebaut. Eine Auf-<br />

wertung über das bisher Gesetzte hinaus wird zwar nicht verneint, aber auch nicht als zwin-<br />

gend notwendig erachtet.<br />

Mit dem Steuerkreis zum BGM und dem Arbeitsschutzausschuss existieren kompetente,<br />

professionell arbeitende Gremien, die sich mit Gesundheitsthemen befassen. Allerdings stellt<br />

die unzureichende Verzahnung klassischer Vorgehensweisen im Arbeitsschutz mit den neu-<br />

en Anforderungen eines Gesundheitsmanagements ein Hemmnis für eine umfassende be-<br />

triebliche Gesundheitspolitik dar. Die zentralen Akteure sind zu sehr in ihrem jeweiligen<br />

Themenfeld verhaftet und trennen ihre Rollen in den verschiedenen Gremien. Eine Zusam-<br />

menführung steht aus. Die Leitlinien, denen das BGM untergeordnet wird, sind wenig konkret<br />

und werden nicht auf einzelne Unternehmensbereiche herunter gebrochen. Es fehlt an Kon-<br />

109


sistenz: Analysedaten (z. B. Berichte von Krankenkassen, Reporting-Outputs, Umfallzahlen,<br />

etc.) werden nicht zu einer integrierten Gesundheitsberichterstattung verdichtet, die Experti-<br />

se der Mitarbeiter wird nicht systematisch als Informationsquelle genutzt, und eine Beurtei-<br />

lung der psychischen Belastungen wird nicht durchgeführt. Was die Integration des BGM in<br />

die betrieblichen Routinen angeht, besteht also noch Verbesserungspotential.<br />

Strukturell ist der Betriebsrat fest im Unternehmen verankert. Mit 33 Mitgliedern, davon 18<br />

freigestellt, sollte es kein Problem sein, sich professionell mit verschiedenen Themengebie-<br />

ten auseinander zusetzten. Die Binnendifferenzierung des Gremiums sieht vor, dass in je-<br />

dem Unternehmensbereich mindestens ein Mitglied Spezialist für das Thema Arbeitssicher-<br />

heit ist. Von seiner Ressourcenausstattung ist der Betriebsrat daher durchaus in der Lage,<br />

genügend Fachkompetenz aufzubauen, um mit den anderen Akteuren im Unternehmen<br />

Schritt zu halten – oder gar voran zu gehen. Die Einrichtung des ASUG als einziger speziali-<br />

sierter Ausschuss neben dem Betriebsausschuss kann als Indiz für entsprechende Bemü-<br />

hungen in dieser Richtung gelten. Sein Machtpotential sieht der Betriebsrat zusätzlich da-<br />

durch gestärkt, dass das Thema Gesundheit im Mutterkonzern eine tragende Rolle spielt. Im<br />

Notfall könne sich der Betriebsrat an die Konzernzentrale wenden, um Unterstützung zu er-<br />

halten. Des Weiteren besteht mit einem Organisationsgrad von ca. 95% ein beträchtliches<br />

Potential, wenn es um die Mobilisierung von Mitarbeitern geht, zumal Gewerkschaft und Be-<br />

triebsrat intensiv miteinander kooperieren.<br />

Trotz dieser eigentlich förderlichen Faktoren (Ressourcen, Kompetenz, Macht) begnügt sich<br />

der Betriebsrat mit einem passiven Part im BGM. Er gefällt sich in der Rolle des selbstbe-<br />

wussten „Veto-Spielers“, und so lange er die Interessen der Beschäftigten nicht verletzt<br />

sieht, greift er nicht aktiv-gestalterisch in die Gesundheitspolitik ein. Das liegt auch daran,<br />

dass das Gesundheitsthema innerhalb des Betriebsratsgremiums in erster Linie über den<br />

traditionellen Arbeitsschutz bearbeitet wird. Viele Mitglieder des Betriebsrates konzentrieren<br />

sich eher auf die klassisch mitbestimmten Themenfelder. Erst wenn genügend Konfliktpoten-<br />

tial mit der Geschäftsleitung besteht, ist das Gesundheitsthema intern hinreichend mobilisie-<br />

rungsfähig. Dann bringt sich der Betriebsrat mit ein, wird aktiv und sorgt für Veränderungen<br />

im Sinne der Mitarbeiter.<br />

Der Betriebsrat ist vom Nutzen des BGM in der momentanen Ausprägung nicht überzeugt,<br />

oder er sich nicht bewusst, welchen Nutzen BGM hervorbringen kann. Dies führt dazu, dass<br />

er ein (sehr) aktiver Gestalter der klassisch mitbestimmten Bereiche der Arbeitssicherheit ist,<br />

im BGM aber eher reaktiv auftritt. Durch diese reaktive Grundhaltung verschenkt der Be-<br />

triebsrat jedoch Gestaltungspotential.<br />

Der Steuerkreis BGM verfügt zudem über kein eigenes Budget. Von den Beteiligten wird das<br />

nicht als Hindernis betrachtet, weil das Gremium hinreichend hochrangig besetzt ist, sodass<br />

110


Zugang zu verschiedenen Ressourcentöpfen besteht. So lange keine Konflikte bestehen,<br />

mag das zutreffend sein. Allerdings mindert das Fehlen eines eigenen Budgets die Autarkie<br />

des Gremiums und führt zu Machtungleichgewichten zwischen den Mitgliedern, was im Kon-<br />

fliktfall zu einer weitgehenden Lähmung des BGM führen könnte. Damit ist das Gelingen des<br />

BGM maßgeblich vom Engagement einzelner Personen abhängig.<br />

Im Unternehmen existiert keine zusammenführende Gesundheitsberichterstattung. Ein sol-<br />

cher Bericht könnte verstärkt zur Integration der verschiedenen Aktivitäten beitragen. Zudem<br />

hilft eine Gesundheitsberichterstattung, den Handlungsbedarf zu objektivieren und daraus<br />

wirksame Maßnahmen abzuleiten.<br />

Treiber bzw. Motoren für die betriebliche Gesundheitspolitik<br />

Zentraler förderlicher Faktor für die bisherige Betriebliche Gesundheitspolitik ist das persönli-<br />

che Engagement verschiedener Personen, insbesondere des ASUG-Vorsitzenden und des<br />

Personalleiters. Letzterer ist dafür verantwortlich, dass der BGM-Steuerkreis überhaupt ins<br />

Leben gerufen wurde. Er selbst sieht sich im Unternehmen als wichtigsten Treiber. Er leitet<br />

den Steuerkreis und koordiniert die verschiedenen Maßnahmen. Zudem ist er der Auffas-<br />

sung, die größte Verhandlungsmacht der beteiligten Akteure zu besitzen. Betriebsrat und<br />

Personalleiter arbeiten nach eigenen Angaben vertrauensvoll und kooperativ zusammen,<br />

bewerten die betriebliche Gesundheitspolitik insgesamt als gut aufgestellt und erfolgreich.<br />

Wahrgenommener Handlungsbedarf<br />

Für die Entwicklung des BGM hat sich positiv das Engagement einzelner Personen ausge-<br />

wirkt. Gleichzeitig birgt diese potenzielle fortdauernde Abhängigkeit von „Schlüsselfiguren“<br />

auch Gefahren, vor allem was die Nachhaltigkeit anbelangt. Stehen diese Personen nicht<br />

mehr zur Verfügung, kann es zu Rückschlägen kommen. In Kürze wird im Unternehmen der<br />

Personalleiter wechseln. Die Akteure müssen sich nun darum bemühen, Nachhaltigkeit in<br />

irgendeiner Form zu sichern. Die Position des Personalleiters birgt im Kontext des BGM in<br />

der jetzigen Ausgestaltung eine außerordentliche Machtfülle: Er ist Vorsitzender des Steuer-<br />

kreises, hat privilegierten Zugang zu Budgets, genießt generell eine hohe Verhandlungs-<br />

macht im Unternehmen und ist momentan erster Ansprechpartner des Betriebsrates bei<br />

Gesundheitsthemen. Hinzu kommt die bisherige Passivität des Betriebsrates, was die aktive<br />

Gestaltung des BGM anbelangt. Es gibt keine Garantie dafür, dass der „Neue“ seine Aufga-<br />

be in ähnlicher Weise ausfüllen wird, wie es der bisherige Personalleiter getan hat. Während<br />

sich der „Amtsinhaber“ dieses Problems durchaus bewusst ist und sich daher bemüht, das<br />

Begonnene weiter zu verstetigen, sieht der Betriebsrat hier wenig Handlungsbedarf.<br />

Dabei ist auch auf Seiten des Betriebsrates bzw. des ASUG ein Wandel zu moderieren. Mit<br />

den anstehenden Betriebsratswahlen räumt der derzeitige ASUG-Vorsitzende seinen Pos-<br />

ten. Ein möglicher Nachfolger stand zum Zeitpunkt der Interviews noch nicht fest, zumal<br />

111


auch der stellvertretende Vorsitzende des ASUG sich keinen Listenplatz sichern konnte.<br />

Auch von der personellen Zusammensetzung des ASUG in der nächsten Wahlperiode wird<br />

abhängen, wie sich das BGM des Unternehmens (weiter-)entwickelt.<br />

Feedback-Workshop<br />

Das Angebot eines Feedback-Workshops ist durch den Betriebsrat nicht in Anspruch ge-<br />

nommen worden.<br />

7.2.2 Fall 2: Gesundheitsprojekte Tochtergesellschaft – BGM-Konzept Mutterkonzern<br />

Eckdaten zum Unternehmen<br />

Das Fallstudienunternehmen ist ein Dienstleister für die Bereiche Informationstechnologie<br />

und Buchhaltung für eine weltweit agierende Aktiengesellschaft (AG) in der Chemieindustrie.<br />

Die Ausgründung des Unternehmens aus der Aktiengesellschaft in der Rechtsform einer<br />

GmbH erfolgte im Frühjahr 2003. Die Gründe für die Ausgliederung lagen nach der Aussage<br />

eines Interviewpartners erstens darin, dass man bei Verhandlungen mit Konzernkunden als<br />

Partner auf gleicher Augenhöhe auftreten wollte. Zweitens beabsichtigte man, mehr Kosten-<br />

transparenz für den IT- und den Accounting-Bereich herzustellen. Drittens sollte eine Balan-<br />

ce zwischen einer Serviceeinstellung seitens des Unternehmens gegenüber den Konzern-<br />

kunden einerseits und der Durchsetzung von IT- und Accounting-Standards im Konzern an-<br />

dererseits geschaffen werden.<br />

Von den weltweit ca. 380 Mitarbeitern arbeiten ca. 300 Mitarbeiter am untersuchten Standort,<br />

der gleichzeitig der Hauptstandort der Aktiengesellschaft ist. Die Buchhaltungs- und Informa-<br />

tionssystemdienstleistungen, die für die Aktiengesellschaft und deren Tochtergesellschaften<br />

erbracht werden, gliedern sich in sechs Bereiche. Im Managementteam werden diese Berei-<br />

che abgedeckt. Zu dem Team zählen außerdem der Geschäftsführer und jeweils ein Ver-<br />

antwortlicher für die Bereiche Finanzen und Personal. Die Personalabteilung gibt es erst seit<br />

Beginn des Jahres 2009.<br />

Das Betriebsratsgremium besteht aus neun Personen, von denen der Vorsitzende freigestellt<br />

ist. Wesentliche Ausschüsse des Betriebsrats sind der Wirtschaftsausschuss, der AT-<br />

Ausschuss (Themen u.a. Arbeitszeit, Entlohnung und Stellenbewertung), der Weiterbil-<br />

dungsausschuss, der EDV-Ausschuss und der Betriebsausschuss als geschäftsführendes<br />

Organ des Betriebsrats.<br />

Der Altersdurchschnitt in dem Unternehmen liegt nach Angaben eines Interviewpartners zwi-<br />

schen 43 und 44 Jahren. Dabei sind große Unterschiede zwischen dem Bereich Accounting<br />

(unter 40 Jahre – der Bereich wurde neu aufgebaut) und dem IT-Bereich (über 50 Jahre –<br />

der Bereich wurde vom Mutterkonzern übernommen) zu verzeichnen.<br />

112


Die Serviceleistungen des Unternehmens stehen den Konzernkunden 24 Stunden am Tag<br />

und sieben Tage die Woche zur Verfügung. Um diesen Service gewährleisten zu können,<br />

wurden eine Rufbereitschaft und Schichtbetrieb für jeweils einen kleinen Teil der Belegschaft<br />

eingeführt. Insgesamt ist die Arbeitsorganisation laut einer Interviewaussage durch Projekt-<br />

arbeit und das Denken in Projekten gekennzeichnet. Die Ausgliederung wird in einem Inter-<br />

view als bisher wirtschaftlich erfolgreich bewertet.<br />

Im Rahmen der Fallstudie wurden die folgenden sieben Personen interviewt:<br />

der Betriebsratsvorsitzende (freigestellt)<br />

ein Betriebsratsmitglied mit den Schwerpunkten Weiterbildungsausschuss, Betriebsaus-<br />

schuss und Gesundheit<br />

ein Betriebsratsmitglied mit den Schwerpunkten Wirtschaftsausschuss, AT-Ausschuss<br />

der Geschäftleiter<br />

die Leiterin der Personalabteilung (HR-Abteilung)<br />

die leitende Fachkraft für Arbeitssicherheit (Angestellter der AG)<br />

die leitende Betriebsärztin (Angestellte der AG)<br />

Entwicklungsstand und Meilensteine der betrieblichen Gesundheitspolitik<br />

Als ein Ergebnis aus den Interviews erscheint es ratsam, zwischen den Aktivitäten im The-<br />

menfeld Gesundheit der AG und des Fallstudienunternehmens zu unterscheiden.<br />

Entwicklungsstand in der AG<br />

Zunächst werden prägende Elemente der betrieblichen Gesundheitspolitik der AG darge-<br />

stellt, die bereits mehrfach an der EuPD Research-Studie zum BGM 8 teilgenommen und da-<br />

bei im Ranking Plätze unter den ersten 30 belegt hat. In einem unternehmenseigenen Jah-<br />

resbericht zum BGM heißt es, dass bisher ein sehr niedriger Krankenstand realisiert werden<br />

konnte.<br />

Die AG treibt nach Angaben mehrerer Interviewpartner seit Anfang der 90er Jahre des letz-<br />

ten Jahrhunderts die Entwicklung, Durchführung und Evaluation eines Gesamtkonzepts zum<br />

BGM voran. Mit einem über einen Zeitraum von fünf Jahren (1991-1996) angelegten Projekt<br />

sollten Fehlzeiten und somit Krankenstandskosten reduziert, die Arbeitssituation verbessert<br />

und die Motivation der Belegschaft durch die Beteiligung an betrieblichen Entscheidungen<br />

verbessert werden. Das Projekt wurde durch eine Krankenkasse finanziell unterstützt sowie<br />

8 Die regelmäßig durchgeführten Studien zum Gesundheitsmanagement sollen einen Überblick zum Status quo<br />

betrieblicher Gesundheitspolitik in deutschen Konzernen geben. Ausgehend von der Managementperspektive soll<br />

untersucht werden, welche Strukturen, Strategien und Leistungen der betrieblichen Gesundheitsförderung in den<br />

Unternehmen etabliert wurden.<br />

113


durch eine Universität wissenschaftlich begleitet und evaluiert. Grundlage für die Maßnah-<br />

menplanung war eine breit angelegte Mitarbeiterbefragung mit einer anschließenden qualita-<br />

tiven Motivations-Analyse in Form von Gruppendiskussionen. Aus den Analyseergebnissen<br />

wurden eine Vielzahl von Maßnahmen der Verhaltens- und der Verhältnisprävention abgelei-<br />

tet, die sich positiv auf die langfristige Entwicklung des Krankenstands ausgewirkt haben<br />

(Projektinhalte und -ergebnisse laut einer Internetquelle). Heute umfasst das BGM der AG,<br />

die im Jahr 1999 die Luxemburger Deklaration unterzeichnet hat, laut eigener Dokumentati-<br />

on folgende Bereiche:<br />

Betriebsärztlicher Dienst/Gesundheitsförderung<br />

Kultur und Führung<br />

Soziale Dienste/Sozialberatung<br />

Betriebssportgemeinschaft<br />

Arbeitssicherheit<br />

HR/Personalentwicklung<br />

Betriebskrankenkassen (BKK)-Kita<br />

Die Tätigkeiten des betriebsärztlichen Dienstes beziehen sich auf den Bereich der Arbeits-<br />

medizin nach dem Arbeitssicherheits- und ArbSchG sowie weitere medizinische Serviceleis-<br />

tungen. Die arbeitsmedizinische Vorsorge und Gefährdungsanalyse umfasst die<br />

Ergonomieberatung am Bildschirmarbeitsplatz, in der Kantine, der Logistik und der Produkti-<br />

on sowie die reisemedizinische Beratung bei längeren Auslandsaufenthalten. Das BEM ver-<br />

folgt das Ziel der stufenweisen Wiedereingliederung Langzeitkranker und Leistungsgewan-<br />

delter (eine Gesamtbetriebsvereinbarung (GBV) ist hierzu nach Angaben einiger Interview-<br />

partner in der Entwicklung). Neben den regelmäßigen Angeboten – auch der Gesundheits-<br />

förderung – werden so genannte Jahresschwerpunktthemen (z. B. verschiedene Screening-<br />

Verfahren) organisiert.<br />

Zentrales BGM-Gremium ist ein Steuerkreis, der durch die leitende Betriebsärztin einberufen<br />

und geleitet wird. Die Teilnehmer kommen aus der AG und aus den Tochtergesellschaften.<br />

Es handelt sich um Funktionsträger aus der oberen Führungsebene, der Personalentwick-<br />

lung, den Betriebsräten und der Sportgemeinschaft sowie weitere interne Experten. Die Auf-<br />

gaben des Steuerkreises liegen (lt. Dokumentation des Unternehmens) in der Festlegung<br />

von Zielen und Schwerpunktthemen des BGM, der Nutzung von Synergien, der Planung der<br />

personellen Kapazitäten, der Bereitstellung finanzieller Mittel und dem Vorleben von Mana-<br />

gement Attention. Evaluiert wird das BGM nach Interviewaussagen z. B. hinsichtlich der<br />

Teilnahmequoten bei den unterschiedlichen Maßnahmen und durch die Auswertung der er-<br />

114


hobenen medizinischen Daten. Zudem wird alle zwei Jahre ein Bericht über die Situation des<br />

BGM durch den betriebsärztlichen Dienst erstellt. Eine ökonomische Auswertung der BGM-<br />

Aktivitäten erfolgt nicht. Die BGM-Angebote gelten grundsätzlich auch für die Tochtergesell-<br />

schaften – in Abhängigkeit von den zur Verfügung stehenden Ressourcen, wie eine Inter-<br />

viewperson hervorhebt. Die AG ist in diesem Fall Dienstleister für die Tochtergesellschaften.<br />

Der Arbeitsschutz wird den Aussagen der Interviewpartner zufolge mit dem Umweltschutz<br />

verzahnt und durch ein gemeinsames Managementsystem integriert. Es handelt sich dabei<br />

um ein dreistufiges Umwelt- und Arbeitsschutzkonzept, in dem alle Geschäfts- und Produkti-<br />

onsabläufe enthalten sind. Mit dem Konzept sollen Leitlinien und Mindeststandards doku-<br />

mentiert und ein interner Diskussionsprozess über die Weiterentwicklung des Umwelt- und<br />

Arbeitsschutzes angeregt werden. Ziel ist die Sicherung der Nachhaltigkeit, z. B. hinsichtlich<br />

der Reduktion des Energieverbrauchs und der Senkung der Unfallzahlen. Eine Besonderheit<br />

der Zertifizierung dieses Managementsystems ist es, dass die Einhaltung der Anforderungen<br />

aus OSHAS 18001/ISO 14001 nicht durch eine externe Zertifizierungsstelle, sondern kon-<br />

zernintern überprüft wird. Die AG wendet hierfür ein weltweit gültiges eigenes<br />

Auditierungssystem an, das von der Deutschen Gesellschaft zur Zertifizierung von Manage-<br />

mentsystemen durch ein Witness Audit validiert wird.<br />

Entwicklungsstand und Meilensteine der betrieblichen Gesundheitspolitik im Fallstu-<br />

dienunternehmen<br />

Zunächst ist festzuhalten, dass das breite Angebot der AG an Maßnahmen der betrieblichen<br />

Gesundheitsförderung und der arbeitsmedizinischen Vorsorge grundsätzlich auch den Mitar-<br />

beitern des Fallstudienunternehmens zur Verfügung steht. Von Seiten der AG werden die<br />

Teilnahmezahlen in den einzelnen Betriebsstätten in den unternehmensinternen Jahresbe-<br />

richten zum Gesundheitsmanagement festgehalten. Von den Interviewten des Fallstudienun-<br />

ternehmens konnten die hierzu Befragten aber keine Auskunft geben, inwieweit die Angebo-<br />

te im eigenen Unternehmen in Anspruch genommen werden. Darüber hinaus lässt sich der<br />

Stand der betrieblichen Gesundheitspolitik laut der Angaben im Vorabfragebogen wie folgt<br />

skizzieren: Zum Thema Arbeitssicherheit finden im Unternehmen regelmäßige Unterweisun-<br />

gen statt, in Teilen auch Begehungen. Darüber hinaus werden den Führungskräften Schu-<br />

lungen zum Thema Gesundheit angeboten. An gesundheitsbezogenen Kennzahlen stehen<br />

dem Unternehmen die Krankentage aus dem SAP HR zur Verfügung. Schließlich ist für das<br />

Jahr 2010 die Einführung eines BEM geplant.<br />

Die gewonnenen Einblicke in das BGM der AG, an die kein Vorabfragebogen versendet<br />

wurde, erlauben keinen direkten Vergleich mit den Aussagen aus dem Vorabfragebogen des<br />

Fallstudienunternehmens. Dennoch fällt auf, dass es z. B. zum Zeitpunkt der Interviews für<br />

das BGM der AG seit längerem einen eigenen Steuerkreis gab, nicht aber für das Fallstudi-<br />

115


enunternehmen 9 . Darüber hinaus ist der BGM-Begriff in der AG etabliert, während aus dem<br />

Vorabfragebogen nicht geschlossen werden kann, dass ein solches bereits im Fallstudienun-<br />

ternehmen implementiert ist. Gleiches gilt prinzipiell für das BEM.<br />

Dennoch sind in der Vergangenheit durch den Betriebsrat des Fallstudienunternehmens<br />

nach dessen Aussagen zwei Handlungsfelder im Rahmen von ambitionierten Projekten an-<br />

gegangen worden, die einen engen bzw. unmittelbaren Bezug zum Thema Gesundheit auf-<br />

weisen und zugleich als wichtige Meilensteine in diesem Themenfeld bezeichnet werden<br />

können:<br />

Mit der Gründung des Unternehmens wurde erstens das Thema Arbeitszeit aufgegriffen.<br />

Durch ein bis dato in seiner Dimension einmalig großes IT-Projekt hatten sich auf den ein-<br />

zelnen Arbeitszeitkonten der Mitarbeiter bis zu 400 Stunden angesammelt. Damit einher gin-<br />

gen ein erhöhter Krankenstand und Verstöße gegen bestehende Arbeitszeitregelungen. Un-<br />

ter Hinzuziehung externer Experten (Arbeitsmediziner und Gewerkschaftler) wurde zunächst<br />

auf Betriebsversammlungen über die Folgen zu langer Arbeitszeiten informiert und die Be-<br />

legschaft sensibilisiert. In einem an die Geschäftsleitung adressierten Brief des Betriebsrats<br />

wurde zudem auf die Folgen der Nichteinhaltung des Arbeitszeitgesetzes hingewiesen. In<br />

der Folge konnte die Ansammlung unverhältnismäßig vieler Überstunden nachhaltig redu-<br />

ziert werden. Der Bezug zum Thema Gesundheit wurde durch den Betriebsrat insofern her-<br />

gestellt, als er argumentiert hat, dass ein vernünftiger Umgang mit der Arbeitszeit gleichzeitig<br />

ein wesentlicher Faktor für den Gesundheitsschutz ist („Vernünftiger Umgang mit Arbeitszeit<br />

ist ein wichtiger Schlüssel zur eigenen Gesundheit. Und wenn ihr gesund bleiben wollt,<br />

müsst ihr mit Arbeitszeit vernünftig umgehen. Das war der erste Aufschlag“.).<br />

In einem nahtlosen Übergang wurde im Anschluss an das Thema Arbeitszeit das Thema<br />

Stress im Rahmen eines betrieblichen Präventionsprojekts wiederum mit externer Begleitung<br />

behandelt. Ziel war nach Interviewaussagen die Verminderung von (insbesondere psychi-<br />

schen) Belastungen durch die Optimierung von Projektabläufen und eine Sensibilisierung der<br />

Führungskräfte für ein gesundheitsgerechtes Projektmanagement. Die Vermittlung von<br />

Know-how über Stress und Burnout sowie über Verfahren zur Bewältigung von Belastungen<br />

sollten ein positives Arbeitsklima und ein individuelles Bewältigungsverhalten befördern.<br />

Verantwortlich für die Projektdurchführung zeigte sich ein für den Projektzeitraum eingerich-<br />

teter Steuerkreis, an dem die Geschäftsführung, das Personalmanagement und der Betriebs-<br />

rat beteiligt waren.<br />

9 In einem Telefonat mit dem Betriebsratsvorsitzenden im Anschluss an die Erstellung der Fallstudie wurde allerdings<br />

mitgeteilt, dass mittlerweile auch ein BGM-Steuerkreis für das Fallstudienunternehmen eingerichtet wurde,<br />

an dem der Geschäftsführer, die Leiterin der HR-Abteilung und der Betriebsrat teilnehmen. Die Einrichtung sei<br />

auch eine Konsequenz aus den Interviews bzw. der Fallstudie gewesen.<br />

116


Nach einer Informationsphase für alle Mitarbeiter und Führungskräfte wurde eine Ist-Analyse<br />

zur Identifikation von akuten Problemfeldern durchgeführt (u.a. im Rahmen eines extern mo-<br />

derierten Workshops mit Betriebsrat, Geschäftsleitung und Führungskräften zu den Themen<br />

Stressbelastung und Burnout sowie schriftlicher Befragungen). Darauf aufbauend wurden<br />

Workshopkonzepte differenziert nach Führungskräften und Mitarbeitern entwickelt. Die Mit-<br />

arbeiterworkshops bezogen sich auf die Inhalte Sensibilisierung für Stress-Symptome, Be-<br />

lastungsanalysen in den Gruppen, Erholungsmanagement (individuell-organisational) und<br />

sportliche Aktivierung. Die Führungskräfteworkshops sahen zusätzliche Module für die The-<br />

men Kommunikation und Führung sowie Zielsetzung und Führung vor. Die Evaluation erfolg-<br />

te durch ein Pretest-Posttest-Design mit Kontrollgruppe in Form von schriftlichen Befragun-<br />

gen. Als wesentliche Ergebnisse werden die Enttabuisierung von Stress, positive Änderun-<br />

gen im Pausenverhalten, die deutliche Reduzierung von Mehrstellenarbeit und die Einrich-<br />

tung von Ruhearbeitsplätzen und einer Oase zur Entspannung angeführt.<br />

Unabhängig von diesen vom Betriebsrat eingeleiteten Aktivitäten wird die Angebotspalette<br />

an BGM-Maßnahmen der AG als Meilenstein angeführt. Hervorgehoben werden die regel-<br />

mäßigen Vorsorgeuntersuchungen, das breite Angebot des Betriebssports und die ergono-<br />

mische Gestaltung der Arbeitsplätze. In einem Interview wird jedoch bestritten, dass über-<br />

haupt Meilensteine identifiziert werden können: „Wenn ich keine Planung habe, habe ich<br />

natürlich auch keine Meilensteine“.<br />

Bewertung der betrieblichen Gesundheitspolitik<br />

Bewertung aus Sicht der Interviewpartner<br />

Aufgrund der Struktur von Mutterkonzern und Tochterunternehmen und den unterschiedli-<br />

chen Aktivitäten zur betrieblichen Gesundheitspolitik differenzieren die Interviewpartner hier<br />

entsprechend: Die Interviewpartner aus der AG (Betriebsärztin und Fachkraft für Arbeitssi-<br />

cherheit) beurteilen das BGM der AG, die Interviewpartner des Fallstudienunternehmens<br />

geben in erster Linie eine Bewertung hinsichtlich der dortigen Situation ab.<br />

Die AG-Interviewpartner äußern sich insgesamt zufrieden über den Status quo des BGM.<br />

Das Angebot an konkreten Gesundheitsförderungsmaßnahmen wird – auch im Vergleich mit<br />

anderen Unternehmen – als sehr umfangreich und vorbildlich empfunden. Gleiches gelte für<br />

die Aktivitäten im gesetzlich geregelten Arbeits- und Gesundheitsschutz. Insgesamt kommu-<br />

niziere man das Thema Gesundheit in der AG sehr breit, z. B. über das Intranet, mit Hilfe<br />

von Flyern oder Panels, die über laufende und abgeschlossene Aktivitäten berichten. Zu-<br />

künftige Herausforderungen seien u.a. die Herstellung eines stärkeren Bezugs des BGM mit<br />

dem demographischen Wandel. Zudem werde das Thema psychische Belastungen noch<br />

stärker in den Vordergrund gerückt werden müssen wegen der als zunehmend eingeschätz-<br />

ten Arbeitsdichte und Informationsverarbeitung.<br />

117


Die Interviewpartner des Fallstudienunternehmens erkennen das Angebot der AG zur<br />

Gesundheitsförderung an. Es wird von allen als umfangreich oder sogar „gigantisch“ um-<br />

schrieben. Einer Stellungnahme nach hat es nach der Ausgliederung aus der AG keinen<br />

Bruch in dem Sinne gegeben, dass man von diesen Angeboten abgeschnitten worden ist. Im<br />

Arbeitsschutz sei man, so die Mehrheitsmeinung, gut aufgestellt, wenn auch vereinzelt im-<br />

mer wieder nachgebessert werden müsste. Dennoch lautet die überwiegende Ansicht, dass<br />

im eigenen Unternehmen nicht von einem etablierten BGM mit einem integrierten PDCA-<br />

Zyklus gesprochen werden kann („Also, wenn es darum geht, etwas systematisch zu tun,<br />

dann stehen wir da am Anfang“.). Defizite werden hinsichtlich der Strukturen und Prozesse<br />

eines BGM ausgemacht. Zudem sei noch kein BEM-Verfahren etabliert, obwohl es dies im<br />

BGM der AG offiziell gibt und man sich in der Vergangenheit um die Wiedereingliederung<br />

Langzeiterkrankter gekümmert und dabei auf die Strukturen der AG (betriebliche Sozialbera-<br />

tung) zurückgegriffen habe („Das BEM existiert bei uns eigentlich nicht“.).<br />

Neben der Schaffung von Strukturen und Prozessen, die mehrere Interviewpartner einfor-<br />

dern, wird in einem Interview als eine weitere Aufgabe angeführt, die bei der AG existieren-<br />

den BGM-Angebote dahingehend zu überprüfen, inwieweit sie auf die Bedarfssituation im<br />

Unternehmen passen. Außerdem werden insgesamt mehrere Einzelthemen als zukünftige<br />

Herausforderungen genannt, z. B. die Themen Softwareergonomie und Work-Life-Balance<br />

sowie Projekte, die diejenigen Facetten des menschlichen Miteinanders in den Vordergrund<br />

stellen, die bisher noch nicht über die innerbetrieblichen Experten (z. B. Sozialdienst, be-<br />

triebsärztlicher Dienst) abgedeckt werden. Wie auch bei den Interviewpartnern aus der AG<br />

wird eine stärkere Auseinandersetzung mit den Themen Stress und demographischer Wan-<br />

del für notwendig gehalten.<br />

Abgleich mit dem Referenzmodell<br />

Die konkrete Ausgestaltung der betrieblichen Gesundheitspolitik muss sich stets an den indi-<br />

viduellen Gegebenheiten und Rahmenbedingungen eines Unternehmens orientieren. Darü-<br />

ber hinaus lassen sich jedoch Mindeststandards an eine erfolgreiche betriebliche Gesund-<br />

heitspolitik formulieren (s. Kapitel 3). Diese Standards werden nachfolgend mit den vorlie-<br />

genden Informationen aus dem Vorabfragebogen und den Aussagen der verschiedenen In-<br />

terviews abgeglichen.<br />

1. Formulierung einer klaren, inhaltlichen Zielsetzung<br />

Das Thema Gesundheit wird in den Unternehmensgrundsätzen bzw. dem Unternehmens-<br />

leitbild und den Führungsrichtlinien nicht explizit erwähnt. Definierte Zielsetzungen be-<br />

schränken sich vielmehr auf projektbezogene Aktivitäten. Auch seitens des Betriebsrats gibt<br />

es bislang keine klar formulierte Strategie zum Themenfeld Arbeit und Gesundheit.<br />

2. Abschluss schriftlicher Vereinbarungen<br />

118


Ein schriftlich ausgearbeitetes Konzept zum BGM gibt es derzeit nicht. Auch seitens des<br />

Betriebsrats wird eine schriftliche Vereinbarung mit dem Arbeitgeber (z. B. eine Betriebsver-<br />

einbarung) nicht forciert bzw. eingefordert. Zum BEM ist in der AG eine Gesamtbetriebsver-<br />

einbarung geplant, die aber beim Betriebsrat auf Widerstand trifft. Im Fallstudienunterneh-<br />

men ist das Thema Gesundheit in Betriebsvereinbarungen zur Rufbereitschaft und Schicht-<br />

arbeit indirekt enthalten. Zusätzlich gibt es für die schwerbehinderten Mitarbeiter eine Integ-<br />

rationsvereinbarung.<br />

3. Einrichtung eines Lenkungsausschusses<br />

Anders als in der AG existierte im Fallstudienunternehmen zum Zeitpunkt der Interviews<br />

noch kein Steuerungsgremium zum Thema Gesundheit. Der Betriebsrat hat hierfür ebenfalls<br />

keinen eigenen Ausschuss eingerichtet, sondern behandelt das Thema im gesamten Gremi-<br />

um. Auch gibt es im Fallstudienunternehmen keinen Arbeitsschutzausschuss.<br />

4. Bereitstellung von Ressourcen<br />

Für Projekte mit Gesundheitsbezug werden Ressourcen bereitgestellt (z. B. externe Exper-<br />

ten). Im Betriebsrat gibt es zudem zwei Personen, die sich intensiver mit Gesundheitsthemen<br />

befassen. Darüber hinaus sind keine Akteure ernannt, die sich explizit und in erster Linie um<br />

die betriebliche Gesundheitspolitik kümmern. Ein eigenes Budget für das Thema Gesundheit<br />

existiert bislang im Fallstudienunternehmen nicht.<br />

5. Festlegung personeller Verantwortlichkeiten<br />

Im Fallstudienunternehmen gibt es keinen eigenen Beauftragten für das Thema Gesundheit.<br />

Als koordinierende Funktion wird vielmehr die leitende Betriebsärztin der AG angegeben.<br />

Darüber hinaus wird die Festlegung von Verantwortlichkeiten nicht zentral gesteuert, son-<br />

dern erfolgt durch die jeweiligen Akteure. Aus den Interviews ist nicht hervorgegangen, dass<br />

es darüber hinaus zwischen den Akteuren eine explizite Absprache über die jeweiligen Ve-<br />

rantwortungsbereiche und Möglichkeiten der Zusammenarbeit gibt.<br />

6. Qualifizierung von Experten und Führungskräften<br />

Führungskräfteschulungen sind im Rahmen der oben beschriebenen Projekte (Meilensteine)<br />

unter Hinzuziehung externer Experten durchgeführt worden. In den Stellenbeschreibungen<br />

der Führungskräfte ist das Thema aber kein direkter Gegenstand. Die beiden für das<br />

Gesundheitsthema verantwortlichen Betriebsräte nehmen an entsprechenden Weiterqualifi-<br />

zierungen, z. B. zum BEM, teil.<br />

7. Beteiligung und Befähigung der Mitarbeiter<br />

Partizipationsmöglichkeiten für die Belegschaft gibt es in Form von Gesprächen mit dem<br />

Betriebsrat und Teambesprechungen. Über den Projektstatus hinausgehende Gesundheits-<br />

119


zirkel gibt es nicht. Qualifizierungs- und Sensibilisierungsmaßnahmen für die Mitarbeiter<br />

werden in Projekten organisiert.<br />

8. Betriebliche Gesundheitsberichterstattung<br />

Neben dem BGM-Bericht, der auf AG-Ebene erstellt wird, werden in dem Fallstudienunter-<br />

nehmen seit einigen Monaten regelmäßig die arbeitsbedingten Fehlzeiten bekannt gegeben.<br />

Eine umfassende Berichterstattung ist im Fallstudienunternehmen bislang nicht etabliert.<br />

9. Internes Marketing<br />

Projekte zum Thema Gesundheit sind bekannt gemacht worden. Die BGM-Angebote der AG<br />

werden durch z. B. eine eigene Intranetpräsenz, Flyer und Broschüren bekannt gemacht.<br />

Eine kontinuierliche innerbetriebliche Kommunikation zum Thema Gesundheit ist hingegen<br />

nicht zu erkennen.<br />

10. Durchführung der vier BGM-Prozesse<br />

Eine systematische Durchführung der vier BGM-Prozesse mit den Teilschritten Diagnose,<br />

Planung, Intervention und Evaluation findet bislang im Fallstudienunternehmen nicht statt. So<br />

wurde z. B. noch keine umfassende Bestandsaufnahme der gesundheitlichen Situation der<br />

Beschäftigten und ihrer Einflussgrößen durchgeführt. Auch existiert, abgesehen von einzel-<br />

nen Teilbereichen (z. B. Rechenzentrum) – und dort ohne die Erfassung psychischer Belas-<br />

tungen – noch keine Gefährdungsbeurteilung. Begehungen finden ebenfalls nur in Teilen<br />

und nicht systematisch im ganzen Unternehmen statt.<br />

11. Erfüllung gesetzlicher Anforderungen<br />

Die Angaben aus dem Vorabfragebogen lassen deutliche Lücken bei der Erfüllung der ge-<br />

setzlichen Anforderungen erkennen. Wie bereits erwähnt, werden Gefährdungsbeurteilungen<br />

ohne die Erfassung psychischer Belastungen und darüber hinaus nur in Teilbereichen<br />

durchgeführt. Zudem gibt es offensichtlich keinen ASA. Schließlich fehlt bisher die Imple-<br />

mentierung eines BEM, was aber für das Jahr 2010 geplant ist.<br />

12. Integration des BGM<br />

Die Aktivitäten im Bereich der betrieblichen Gesundheitspolitik werden noch nicht mit ande-<br />

ren Managementansätzen verknüpft. Dieser Auskunft aus dem Vorabfragebogen steht die<br />

Erkenntnis aus den Interviews gegenüber, dass das Thema Gesundheit Eingang in die Ar-<br />

beit der neu gegründeten Personalabteilung gefunden hat. Hier zeichnet sich erstens eine<br />

Zusammenarbeit mit dem Betriebsrat an. Zweitens werden von der Personalleitung Maß-<br />

nahmen initiiert, in denen Gesundheit zum Thema werden kann (z. B. Führungskräftefeed-<br />

backs). Es lassen sich demnach auch positive Ansätze einer Integration identifizieren.<br />

120


Zusammenfassend ist für das Fallstudienunternehmen festzuhalten, dass die Bearbeitung<br />

des Themas Gesundheit bislang vor allem projektbezogen und damit zeitlich befristet erfolgt.<br />

Ein systematisches, an den Standards des BGM orientiertes und in die betrieblichen Routi-<br />

nen integriertes Vorgehen ist hingegen bislang noch nicht erkennbar. So gibt es beispiels-<br />

weise im Unternehmen keine klare, schriftlich fixierte inhaltliche Zielsetzung für das Thema<br />

Gesundheit. Auch sind die für eine nachhaltige Wirksamkeit erforderlichen Strukturen (z. B.<br />

Steuerkreis, BGM-Verantwortlicher, Budget) nicht vorhanden. Entscheidend ist aber, dass<br />

die vier BGM-Prozesse in der Organisation bislang nicht regelmäßig und vollständig durch-<br />

laufen werden. Insbesondere fehlt eine systematische, datengestützte Diagnostik (z. B. über<br />

eine ganzheitliche Gefährdungsbeurteilung oder eine Mitarbeiterbefragung) zur Identifizie-<br />

rung von Handlungsbedarfen (im gesamten Unternehmen oder in einzelnen Bereichen) so-<br />

wie als Voraussetzung für die Durchführung zielgerichteter gesundheitsbezogener Projekte<br />

und ihre nachfolgende Bewertung.<br />

Akteure und Akteurskonstellationen in der betrieblichen Gesundheitspolitik<br />

Die Akteure im Überblick<br />

Bevor intensiver auf die Betriebsparteien eingegangen wird, werden die wichtigsten Akteure<br />

und ihre Präsenz bzw. Tätigkeit im Rahmen der betrieblichen Gesundheitspolitik kurz umris-<br />

sen. Dabei wird auf schriftliche Ausführungen der AG (Broschüren, Präsentationen), die Er-<br />

gebnisse des Vorab-Fragebogens und auf Aussagen der Interviewten zurückgegriffen.<br />

Die Betriebsärztin leitet seit Januar 2008 den betriebsärztlichen Dienst der AG. Zuvor war<br />

sie in dieser Funktion schon in anderen Unternehmen tätig. Ihr Aufgabenbereich ist nach<br />

dem ASiG definiert. Zusätzlich ist sie für Aufgaben aus dem Gesundheitsschutz und das<br />

BGM verantwortlich. Sie leitet auch den BGM-Steuerungskreis der AG.<br />

Die leitende Fachkraft für Arbeitssicherheit hat diese Funktion seit sieben Jahren inne<br />

und ist in der AG insgesamt seit 23 Jahren als Fachkraft tätig. Es handelt sich um eine<br />

Konzernfunktion. Die Tochtergesellschaften können diese Leistung, wie es z. B. das Fall-<br />

studienunternehmen tut, einkaufen. Die zwei Hauptaufgaben liegen erstens in der Er-<br />

bringung operativer Dienstleistungen für die Verwaltung der AG. Zweitens beinhaltet die<br />

Leitung der Konzernfunktion Arbeitsschutz auch die Überprüfung der Tochtergesellschaf-<br />

ten der AG im Rahmen von Auditierungen nach der OSHAS 18001 (Arbeitsschutz) und<br />

ISO 14001 (Umweltschutz).<br />

Die Sozialberatung ist bei der AG angesiedelt und umfasst eine Reihe von Handlungsfel-<br />

dern. Angeboten werden Beratungs- und Unterstützungsleistungen bei Schwangerschaft<br />

und Elternzeit, bei seelischen Belastungen, bei Langzeiterkrankungen, bei Abhängig-<br />

121


keitserkrankungen und bei der Gestaltung der letzten Berufsjahre sowie von Arbeitsplät-<br />

zen mit Blick auf den kontinuierlichen Wandel.<br />

Der Geschäftsführer leitet das Fallstudienunternehmen seit dessen Gründung und hatte<br />

bereits vorher in der AG diesen vereinigten Funktionsbereich ab dem Jahr 2002 unter<br />

seiner Leitung, als die Ausgliederung bereits beschlossen war. In der AG ist er seit dem<br />

Jahr 1979 beschäftigt. Ursprünglich kommt er aus dem Bereich Operations (u.a. Produk-<br />

tion, Logistik, Qualitätssicherung, Beschaffung). Er ist auch Mitglied im Vorstandressort<br />

Finance der AG und berichtet dort u.a. über Aktivitäten in der betrieblichen Gesundheits-<br />

politik. Diese hat er bisher im Fallunternehmen unterstützt, wenn auch nicht maßgeblich<br />

initiiert.<br />

Im Betriebsratsgremium beschäftigen sich hauptsächlich zwei Personen mit der betriebli-<br />

chen Gesundheitspolitik. Dies ist zum einen der Vorsitzende, der diese Funktion seit der<br />

Ausgründung des Fallstudienunternehmens aus der AG seit dem Jahr 2003 einnimmt.<br />

Zum anderen handelt es sich um einen Mitarbeiter, der im IT-Bereich tätig und seit der<br />

Unternehmensgründung ein ordentliches Betriebsratsmitglied ist. Dort sitzt er ansonsten<br />

im Weiterbildungs- und Betriebsausschuss. Für das Thema Gesundheit gibt es historisch<br />

gewachsen keinen eigenen Ausschuss. Es wird im gesamten Gremium diskutiert. Die als<br />

Meilensteine gekennzeichneten Aktivitäten des BGM sind maßgeblich durch die Initiative<br />

des Betriebsrats ins Leben gerufen worden, ohne dass von dieser Seite damit bisher ein<br />

Gesamtkonzept BGM verfolgt worden ist. Allgemein werden Schwerpunktthemen jeweils<br />

für ein Jahr beschlossen und behandelt. Der Vorsitzende ist Mitglied im BGM-<br />

Steuerungskreis.<br />

Die HR-Abteilung des Unternehmens besteht erst seit Beginn des Jahres 2009. Vorher<br />

wurden Personalleistungen von der AG eingekauft, was jedoch im Zuge des Abkopp-<br />

lungsprozesses nicht weiter erwünscht war. Die Leiterin war vorher in einem anderen Un-<br />

ternehmen in ähnlicher Funktion tätig. Die anderen vier Mitarbeiter sind aus der AG<br />

übernommen worden. Die Leiterin ist Mitglied im BGM-Steuerungskreis.<br />

Der Betriebsrat<br />

Der Betriebsrat in der Eigenwahrnehmung<br />

Die interviewten Betriebsratsmitglieder beschreiben sich als ein Gremium mit einer ausge-<br />

prägten Lösungsorientierung und einer hohen fachlichen sowie rhetorischen Qualifikation<br />

(„Wir sind rhetorisch, wenn wir zu dritt oder zu viert sind, eine Macht“.). Hier sei man auf Au-<br />

genhöhe mit dem Management. Diese Kompetenzen werden damit erklärt, dass jedes Be-<br />

triebsratsmitglied aus seiner beruflichen Erfahrung heraus eine starke Lösungsorientierung<br />

mitbringe. Einzelthemen werden eher strategisch durch den Betriebsrat eingebracht als ope-<br />

122


ativ begleitet. Dies sei auch eine Aufgabe, die aber in erster Linie über den Einbezug exter-<br />

ner Experten zu lösen sei. Im Vergleich mit dem Gesamtbetriebsrat der AG stuft man sich als<br />

innovativer ein („Wenn ich das mal so Revue passieren lasse, dann waren die innovativen<br />

Projekte schon mehr bei uns“.). Mit dem GBR gebe es keine Zusammenarbeit in dem Sinne,<br />

dass man sich gegenseitig Themen vorschlägt.<br />

Im Gremium gebe es „eine sehr offene Kultur, bei uns gibt es keine Fronten oder Listen“.<br />

Weiterhin sei es „ein sehr gutes Miteinander, es ist ein Team“. Für gewöhnlich liefen die Ei-<br />

nigungsprozesse ausgewogen und schnell ab. Zwar gebe es Fachexpertise bei den einzel-<br />

nen Mitgliedern, zumindest bei den Schwerpunktthemen würden aber alle Betriebsratsmit-<br />

glieder möglichst auf denselben Stand des Wissens gebracht. Weiterhin heißt es: „Wir sind<br />

ein gleichberechtigtes Gremium, das auch so auftritt“. Folglich gebe es keine einzelnen<br />

Gruppierungen; jeder sei eine Persönlichkeit für sich und jeder könne jederzeit ein Thema<br />

einbringen. Dass es keinen Gesundheitsausschuss gebe, sei historisch gewachsen. In der<br />

AG habe es hierfür auch keinen Ausschuss gegeben. Derzeit werde noch diskutiert, ob ein<br />

Ausschuss eingerichtet, ein einzelner Beauftragter ernannt oder das Thema Gesundheit im<br />

Gesamtgremium diskutiert werden soll.<br />

Hinsichtlich der Einbeziehung der Belegschaft verfolge man eine Mischung aus Beteiligungs-<br />

und Stellvertreterpolitik, wobei erstere als eine „zwingende Voraussetzung“ angesehen wird.<br />

Man habe auch „eine hohe Akzeptanz in der Belegschaft“. Bei regelmäßigen Überstunden<br />

gehe man als Betriebsrat auf die Mitarbeiter und die Vorgesetzten zu und weise darauf hin.<br />

Man möchte „aber keine Unternehmenspolizei [sein], die versucht, die Mitarbeiter oder Vor-<br />

gesetzten zu erziehen (…). Wir wollen als Betriebsrat mehr der Ansprechpartner für die<br />

Schwächeren im Unternehmen sein – und Mitarbeiter sind nun mal naturgemäß schwächer<br />

als Vorgesetzte“.<br />

Das Agieren mit der Geschäftsleitung wird allgemein als kooperativ empfunden. Gerade „das<br />

Thema Gesundheit kann man nicht im Streit befördern. Das geht beim besten Willen nicht“.<br />

Insofern werden Einigungsstellen in diesem Bereich als problematisch erachtet („Hier ist<br />

auch eine gute Kommunikation zwischen Betriebsrat und Geschäftsführung. Das halte ich<br />

auch für unabdingbar. Das muss man machen. Die Problematik kann man nicht in einem<br />

alten Klassenkampf lösen“.). So argumentiere man als Betriebsrat auch bevorzugt über ei-<br />

nen sensiblen und bewussten Umgang mit der Gesundheit und die daraus resultierenden<br />

positiven Auswirkungen für einen effektiven Arbeitsstil und nicht über gesetzliche Möglichkei-<br />

ten, die aber durchaus bekannt sind und genutzt werden. An die Geschäftsleitung ist bei-<br />

spielsweise eine Art Drohbrief geschrieben worden mit dem Hinweis auf die Folgen der<br />

Nichteinhaltung des Arbeitszeitgesetzes.<br />

123


Man sei sich als Betriebsrat darüber klar, dass man andere, aber keine grundsätzlich gegen-<br />

sätzlichen Ansichten als die Geschäftsleitung hinsichtlich der Bedeutung der Mitarbeiterge-<br />

sundheit habe.<br />

Das Gesundheitsverständnis ist bei den Befragten ganzheitlich ausgeprägt und kann als ein<br />

persönliches Wohlbefinden auf allen Ebenen zusammengefasst werden. Einflussparameter<br />

auf die Gesundheit werden sowohl in der Arbeitswelt als auch in der persönlichen Gestaltung<br />

des Lebens und damit der Eigenverantwortung gesehen. Um im Unternehmen das Thema<br />

Gesundheit voran zu treiben, komme es darauf an, die betrieblichen Rahmenbedingungen<br />

für ein gesundheitsgerechtes Arbeiten zu schaffen. Dieser Schutz des Individuums dürfe<br />

aber keine Torpedierung von Projekten bzw. eine Schädigung der wirtschaftlichen Stärke<br />

des Unternehmens nach sich ziehen. Die beiden Aspekte auszutarieren, sei eine regelmäßi-<br />

ge und bisher erfolgreich gemeisterte Herausforderung.<br />

Als Betriebsrat bringe man viele Themen zuerst ein. Trotzdem müsse der Betriebsrat nicht<br />

immer in der Vorreiterrolle sein: „Unser Selbstverständnis, wie wir hier agieren ist, dem Un-<br />

ternehmen muss es gut gehen und den Menschen muss es gut gehen. Dann ist es uns rela-<br />

tiv egal, ob eine gute Idee von der Geschäftsleitung, den Personalern oder vom Betriebsrat<br />

kommt“. Beim Thema Gesundheit sieht man sich allerdings als derjenige Akteur, der hier<br />

einzelne Facetten (z. B. Arbeitszeit, Stress) zum (Projekt)Gegenstand in dem Fallstudienun-<br />

ternehmen gemacht hat. Die Motivation sei hier jeweils ereignisgesteuert gewesen, z. B. die<br />

erhöhten Krankenstände. Eine eigene BGM-Strategie wird jedoch bisher ebenso wenig ver-<br />

folgt, wie eine dazugehörige Betriebsvereinbarung („Eine gewisse Offenheit in der Kultur,<br />

das halte ich für viel wichtiger, als da eine Betriebsvereinbarung zu treffen“.). Auch verzichte-<br />

te man als Betriebsrat bisher auf die Einhaltung der gesetzlichen Verpflichtung seitens des<br />

Arbeitgebers, ganzheitliche Gefährdungsbeurteilungen zu erstellen. Eigentlich sieht man<br />

beim Thema BGM die AG in der Verantwortung voranzuschreiten. Das eigene Aktivitätsni-<br />

veau beim Thema Gesundheit wird auf einer Zehner-Skala mit einer acht bewertet („Mehr<br />

geht immer“.). Das bedeutet aber nicht, dass man sich auch als der Koordinator der gesund-<br />

heitlichen Aktivitäten einschätzt. Diesen gebe es nicht („Die koordinierende Stelle ist beim<br />

Thema Gesundheitsprävention unklar“.).<br />

Qualifizierungsmöglichkeiten im BGM-Bereich sind für den Betriebsrat grundsätzlich vorhan-<br />

den, man müsse sie aber im Einzelfall suchen. Bemängelt wird z. B. das Fehlen eines adä-<br />

quaten Angebots zum Thema Work-Life-Balance. Anbieter seien generell bekannt. Die bei-<br />

den Betriebsräte, die sich mit Gesundheitsthemen befassen, bilden sich in diesem Bereich<br />

fort, sehen sich aber noch nicht als ausgewiesene BGM-Experten an. Z. B. habe man sich<br />

mit den Möglichkeiten der Gefährdungsbeurteilung noch nicht intensiv auseinandergesetzt.<br />

Dieses Fachwissen könne bei Bedarf von der Fachkraft für Arbeitssicherheit eingeholt wer-<br />

124


den, was bisher noch nicht getan wurde. Generell werde auf externe Unterstützung großen<br />

Wert gelegt.<br />

Grundlegend seien für die Betriebsratsarbeit eine ausgeprägte Menschenkenntnis und die<br />

Fähigkeit zum Umgang mit Menschen („Wenn man das nicht kann als Betriebsrat, dann kann<br />

man das schon mal gleich vergessen“.). Außerdem sollte man sich schnell auf neue Themen<br />

einstellen und kompetent einarbeiten können. Diese Grundkompetenzen seien wichtig, um<br />

von der Geschäftsleitung ernst genommen zu werden.<br />

Hinsichtlich der gewerkschaftlichen Unterstützung werden sowohl der Index Gute Arbeit als<br />

auch das Projekt Gute Arbeit gelobt: „Das Thema Gute Arbeit halte ich für eines der besten<br />

Programme, die die Gewerkschaften je aufgelegt haben. Endlich hat man mal etwas in der<br />

Hand, womit man losziehen kann“. Vorherrschend ist allerdings die Enttäuschung über die<br />

eigene Gewerkschaft, weil es keine Angebote für den Bereich der gehobenen Angestellten<br />

gebe („Wir haben häufig das Gefühl, dass die Gewerkschaft noch sehr gewerblich ausgerich-<br />

tet ist, den gehobenen Angestellten immer noch links liegen lässt“.).<br />

Der Betriebsrat in der Fremdwahrnehmung<br />

Die Interviewpartner aus der AG können so gut wie keine spezifischen Aussagen über den<br />

Betriebsrat des Fallstudienunternehmens machen. Dies liegt in erster Linie daran, dass sie in<br />

die Projektaktivitäten des Fallstudienunternehmens nicht eingebunden waren bzw. erst zum<br />

Projektende darüber informiert wurden. Soweit man Einblicke in die Projekte hat, wird das<br />

Anstoßen der entsprechenden Themen durch den Betriebsrat begrüßt. Weiterhin positiv wird<br />

bewertet, dass sich an dem BGM-Steuerungskreis in letzter Zeit immer mehr Betriebsräte<br />

aus den Tochtergesellschaften beteiligen. Sie seien u.a. in der Verantwortung, die dort erör-<br />

terten Inhalte in die einzelnen Unternehmen zu tragen und für deren weitere Bearbeitung zu<br />

sorgen. Dieses Engagement sei allgemein noch steigerungsfähig, wobei der Betriebsrat des<br />

Fallstudienunternehmens sich darin positiv hervortue, dass er bereits Themen in den BGM-<br />

Steuerungskreis hineintrage.<br />

Allgemein wird von den Betriebsräten erwartet, dass sie in den BGM-Steuerungskreis Ideen<br />

einbringen und ein Feedback über die Maßnahmen und die Ausgestaltung des BGM geben.<br />

Außerdem sollten die Betriebsräte als Multiplikator und Kommunikator des BGM tätig wer-<br />

den. Diese Erwartungen würden bislang noch überwiegend enttäuscht. Eigene Ideen bringe<br />

der Betriebsrat nur sehr verhalten ein. Das Feedback sei gut bezogen auf die verhaltensprä-<br />

ventiven Angebote und den klassischen Arbeits- und Gesundheitsschutz, jedoch legten die<br />

Betriebsräte auch Wert darauf, dass noch mehr im Bereich der Verhältnisprävention durch<br />

den BGM-Steuerungskreis der AG in Bewegung gebracht werde. Betriebsräte werden als<br />

Verbündete begriffen, die noch mehr eingespannt werden müssten. Dabei müssten die Be-<br />

triebsräte keine Experten in Sachen Gesundheit sein, sondern sie sollten sich diesbezüglich<br />

125


eraten lassen und ihrer Funktion gerecht werden, d. h. ihre strategische Rolle spielen. An<br />

Möglichkeiten, diese im Bereich der betrieblichen Gesundheitspolitik einzubringen, mangele<br />

es nicht.<br />

Einer weiteren allgemeinen Aussage nach seien die Betriebsräte zunächst ihren Wählern<br />

gegenüber verpflichtet. Bei der Benennung von Schwerpunkten in der Betriebsratsarbeit<br />

müsse insofern auf deren Themen eingegangen bzw. das Handeln an deren Interessen aus-<br />

gerichtet werden. In diesem Zusammenhang wird von einem Beispiel berichtet, in dem der<br />

GBR sich bei der Diskussion um das Rauchverbot stark für die Einrichtung von innerbetrieb-<br />

lichen Raucherbereichen eingesetzt habe, was nicht mit einem klaren Bekenntnis zum<br />

Gesundheitsschutz zu verbinden sei. Vorstellbar sei es, dass die Betriebsräte – der AG und<br />

der Tochtergesellschaften – proaktiver von der Möglichkeit der Beratung durch die Funktion<br />

Arbeitsschutz Gebrauch machen.<br />

Die Interviewpartner aus dem Fallstudienunternehmen heben hervor, dass man in dem<br />

Akteursgefüge seine jeweiligen Rollen vor dem Hintergrund gegenseitigen Respekts und<br />

gegenseitiger Anerkennung spiele. Die Zusammenarbeit mit dem Betriebsrat sei auch beim<br />

Thema Gesundheit positiv und konstruktiv. Auf diesem Feld gebe es keine besondere Art<br />

des Umgangs, der von Beginn an „durch eine konstruktive Grundhaltung bestimmt“ gewesen<br />

sei. Dies schließt schwierige Verhandlungen z. T. nicht aus, was am Beispiel einer Regelung<br />

für den finanziellen Ausgleich bei Rufbereitschaft ausgeführt wird. Selbst ein Gang zur Eini-<br />

gungsstelle – der bisher vermieden werden konnte – wird nicht als dramatisch betrachtet.<br />

Insgesamt zählten die unternehmerische Komponente und damit der wirtschaftliche Erfolg.<br />

Komplementäre Sichtweisen von Arbeitgeberseite und Betriebsrat müssten vor dem Hinter-<br />

grund dieses gemeinsamen Interesses zusammengebracht werden, was in der Vergangen-<br />

heit gelungen sei. Dabei wird dem Betriebsrat zugesprochen, dass er sich in die jeweiligen<br />

Sachthemen bisher immer gut eingearbeitet und seine Interessen vertreten habe. Als sehr<br />

kritisch wird der Betriebsrat aktuell z. B. hinsichtlich des vorliegenden Entwurfs einer Be-<br />

triebsvereinbarung zum BEM erlebt.<br />

Es wird konstatiert, dass der Betriebsrat anlassbezogen Gesundheitsthemen vorantreibe<br />

(„Wir sind es nicht von uns aus aktiv angegangen“.). Dies sei aber nicht damit gleichzuset-<br />

zen, dass der Betriebsrat als der alleinige Treiber und Gestalter des Gesundheitsthemas<br />

auftrete. Hierzu habe die AG in der Vergangenheit – und auch aktuell – einen viel zu großen<br />

Anteil geleistet. Allerdings sollte sich im Fallstudienunternehmen nicht nur der Betriebsrat<br />

beim Gesundheitsthema engagieren, sondern auch andere Akteure. Mit der HR-Abteilung<br />

habe sich in dem bisherigen knappen Jahr eine konstruktive Zusammenarbeit entwickelt. Der<br />

Betriebsrat wird derzeit noch als Ansprechpartner Nr. 1 für die Belegschaft eingestuft. Der<br />

gute Kontakt unterstütze es, deren Bedürfnisse einzuschätzen. Die Freistellung des Betriebs-<br />

ratsvorsitzenden biete zudem die notwendigen Ressourcen, um sich kontinuierlich um das<br />

126


Thema Gesundheit zu kümmern. Dies münde jedoch nicht darin, dass sich der Betriebsrat<br />

übereifrig nur mit dieser Thematik auseinandersetze.<br />

Die übrigen Akteure<br />

Die übrigen Akteure in der Eigenwahrnehmung<br />

Der betriebsärztliche Dienst wird von der leitenden Betriebsärztin als der Hauptakteur bzw.<br />

der Motor des BGM angesehen. Einschränkend wird erwähnt, dass der Einfluss auf verhält-<br />

nispräventiver Ebene begrenzt sei – gerade wenn es um die weichen, aber immer wichtiger<br />

werdenden Themen der psychischen Belastungen gehe.<br />

Die leitende Fachkraft für Arbeitssicherheit sieht sich in erster Linie in der Verantwortung für<br />

die oben beschriebenen Hauptaufgaben. Insofern sei er auch nicht bei jedem Treffen des<br />

BGM-Steuerungskreises der AG dabei, sondern er bestimme themenabhängig seine Teil-<br />

nahme. Eine Einbindung der Funktion Arbeitsschutz in das Eingliederungsmanagement er-<br />

folge dann, wenn Eingliederungsfälle im Rahmen der berufsgenossenschaftlichen Rehabilita-<br />

tionsmaßnahmen stattfänden (Belastungserprobung). Seiner Meinung nach wird bei vielen<br />

BGM-Maßnahmen – auch im Arbeits- und Gesundheitsschutz – auf eine Evaluation verzich-<br />

tet, so dass nicht von einem durchgängigen PDCA-Regelkreis gesprochen werden könne.<br />

Hinsichtlich der Erhebung psychischer Belastungen im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung<br />

nach dem ArbSchG sah er anfangs keine Veranlassung, sich hier einzubringen. Dies des-<br />

halb nicht, weil die Bewertung psychischer Belastungen primär ein individueller Vorgang sei,<br />

in den ganz individuelle Information einfließen müssten, die im Rahmen der Gefährdungsbe-<br />

urteilung allgemein nicht zur Verfügung ständen und die daher einen geschützten Bereich<br />

benötigten. Sofern in dem Prozess Arbeitsplatzbedingungen adressiert seien, würden diese<br />

Fragestellungen mit den üblichen Verfahren bearbeitet.<br />

Gesundheit gehört für die Leiterin der HR-Abteilung eindeutig zu den HR-Themen, ohne<br />

dass andere Themen deswegen verdrängt würden. Negative Erfahrungen bei ihrem alten<br />

Arbeitgeber im Umgang mit der Mitarbeitergesundheit motivieren sie, eine ähnliche Entwick-<br />

lung im Fallstudienunternehmen zu verhindern. Zu den bisher angestoßenen Aktivitäten der<br />

HR-Abteilung, die auch das Thema Gesundheit betreffen, wird die Einrichtung eines regel-<br />

mäßigen Reportings über die Krankenstände und die Initialisierung eines Jour Fixe für die<br />

Führungskräfte beschrieben. Bei diesen Treffen könne das Gesundheitsthema auch zurück-<br />

gespiegelt bzw. angestoßen werden. Außerdem sei ein Management–Feedback für die Füh-<br />

rungskräfte eingeführt worden, mit dem die Belegschaft der einzelnen Führungskraft ein di-<br />

rektes Feedback geben könne.<br />

Seitens der Geschäftsführung gehört es zur Grundüberzeugung, dass eine Balance zwi-<br />

schen Unternehmens- und Mitarbeiterinteressen gehalten werden muss. Hierzu zähle u.a.,<br />

dass die Gesundheit gefördert werde und man sich um Themen wie Work-Life-Balance<br />

127


kümmere. Dass es der Betriebsrat war, der auf diesen Feldern Projekte ursprünglich ins Rol-<br />

len gebracht hat, stößt bei ihm nicht störend auf. Die AG sei traditionell ein sehr soziales<br />

Unternehmen. Folglich sei auch das Thema Gesundheit eine Selbstverständlichkeit – auch<br />

wenn es beispielsweise nicht explizit in den Grundsätzen oder der Stellenbeschreibung der<br />

Führungskräfte Erwähnung finde. In Detailfragen des BGM sei er zu wenig in die Thematik<br />

involviert (z. B. BEM oder Gefährdungsbeurteilungen oder die Ableitung von Handlungsbe-<br />

darf aus dem BGM-Bericht), er kenne jedoch die Anlaufstellen, um sich das Know-how ein-<br />

zuholen.<br />

Die übrigen Akteure in der Fremdwahrnehmung<br />

Die leitende Betriebsärztin wird allgemein als Gesprächspartnerin anerkannt, geschätzt und<br />

als sehr kompetent erlebt. Seitdem sie diese Position innehat, wird der betriebsärztliche<br />

Dienst auch von einigen Interviewten als offener für neue Themen eingeschätzt. Eine Person<br />

bewertet die Neubesetzung sogar als einen Meilenstein, da sich der Gesundheitsdienst in<br />

der Vergangenheit nicht als Treiber profiliert habe und für das Fallstudienunternehmen kein<br />

Anlass bestanden habe, auf diesen Dienst zuzugehen. Die Themen würden im BGM-<br />

Steuerungskreis der AG diskutiert und die Betriebsärztin nehme hierzu aus medizinischer<br />

Sicht Stellung. Insgesamt nimmt sie, so die mehrheitliche Auffassung, eine starke Stellung<br />

im BGM (der AG) ein. Der Steuerungskreis auf AG-Ebene wird als das zentrale Organ be-<br />

zeichnet, wo die aktuellen und zukünftigen Bedarfe diskutiert und die zentralen Entscheidun-<br />

gen zur Weiterentwicklung des BGM getroffen werden.<br />

Als eine wichtige Funktion mit Kompetenz im Rahmen des BGM wird in einer Reihe der In-<br />

terviews auch die betriebliche Sozialberatung beschrieben, z. B. sei sie federführend bei<br />

Fällen des BEM (was allerdings in einem anderen Statement in erster Linie als eine Angele-<br />

genheit der HR-Abteilung beschrieben wird). Sie ist auch im BGM-Steuerungskreis der AG<br />

vertreten. Einschränkend wird von einem Interviewpartner erwähnt, dass man auf diesen<br />

Dienst zugehen müsse und er sich als eine Abteilung der AG zu weit weg von den Belangen<br />

des Fallstudienunternehmens befinde. Er sei prozessual noch nicht eingebunden.<br />

Der Geschäftsleitung wird insgesamt zugesprochen, dass sie das Thema Gesundheit – in<br />

angemessener Relation zu anderen Themen – als wichtig erachtet und sich hierfür aufge-<br />

schlossen und interessiert zeigt. Hierzu gibt es unterschiedliche Abstufungen. Es wird ange-<br />

merkt, dass es doch einen längeren Überzeugungsprozess mit Unterstützung externer Ex-<br />

perten gebraucht habe, bis die Gesundheitsprojekte angestoßen werden konnten. Die Ge-<br />

schäftsleitung wolle hiermit über die Förderung von Motivation und von sozialen Beziehun-<br />

gen sowie über die Reduzierung des Krankenstandes letztlich die ökonomisch gesetzten<br />

Ziele erreichen. Dennoch wird der Umgang mit der Geschäftsleitung allgemein als kooperativ<br />

und produktiv beschrieben. Bei wichtigen Verhandlungen (z. B. zum Thema Arbeitszeitver-<br />

128


längerung ohne Lohnausgleich), die mit dem Betriebsrat durchgeführt werden, stehe man<br />

allerdings zeitweise stark – teilweise auch persönlich – unter Beschuss.<br />

Die Implementierung einer eigenen HR-Abteilung wird allgemein begrüßt. Dies habe auch<br />

positive Auswirkungen auf die Prozesse in der Gesundheitsdiskussion.<br />

Von Seiten des Betriebsrats gab es in der Vergangenheit keinen Bedarf für den Einbezug<br />

der Fachkraft für Arbeitssicherheit bei den geplanten Aktivitäten, weil es für den Bürobereich<br />

andere Akteure gebe und die Fachkraft für andere Gefährdungen zuständig sei.<br />

Fazit<br />

In dem Fallstudienunternehmen zeigt sich die nicht untypische Situation eines dem Mutter-<br />

konzern ausgegliederten Tochterunternehmens. Die AG selbst bietet ein umfangreiches An-<br />

gebot an individuellen Angeboten der Verhaltensprävention an und hat ein etabliertes, klas-<br />

sisches Arbeitsschutzsystem, das eng mit dem Umweltschutz verbunden ist. Das zentrale<br />

Organ für die betriebliche Gesundheitspolitik ist der Steuerkreis und die zentrale Person die<br />

diesen Steuerungskreis leitende Betriebsärztin. Ohne letztlich die Qualität des BGM der AG<br />

beurteilen zu können, kann festgehalten werden, dass sich dieses nicht ohne weiteres auf<br />

das Fallstudienunternehmen übertragen hat und auch die Reichweite der Anstöße, die durch<br />

den Steuerkreis der AG in die Tochtergesellschaften ausgehen, begrenzt ist. Jedenfalls feh-<br />

len dem Fallstudienunternehmen – vor allem nach Aussagen aus dem Vorabfragebogen –<br />

einige wesentliche Qualitätsmerkmale, um von einem etablierten BGM-System sprechen zu<br />

können Mehr noch: Auch die im Fallstudienunternehmen Interviewten kommen mehrheitlich<br />

zu der Einschätzung, dass es noch kein BGM in ihrem Unternehmen gibt. Dennoch – und<br />

dies ist in erster Linie als ein Verdienst des Betriebsrats zu bewerten – sind mit der Grün-<br />

dung des Fallstudienunternehmens Projekte durchgeführt worden, die im Rahmen der be-<br />

trieblichen Gesundheitspolitik als sehr ambitioniert gelten können. Mit den Themen Arbeits-<br />

zeit und Stress sind durch den Betriebsrat Handlungsfelder aufgegriffen worden, die in der<br />

Regel immer noch als sehr schwer kommunizierbar gelten und selten in konkrete Projektform<br />

gegossen werden.<br />

Fördernde und hemmende Faktoren für die betriebliche Gesundheitspolitik<br />

Unter strukturellen Gesichtspunkten ist positiv zu bewerten, dass weder zwischen einzelnen<br />

Akteursgruppen, noch innerhalb einer Akteursgruppe für das Gesundheitsthema hinderliche<br />

Machtfragen wahrgenommen werden konnten – was divergierende Meinungen bei der Ge-<br />

staltung einzelner Inhalte nicht ausschließt. Es ist allerdings der Eindruck entstanden, dass<br />

insbesondere die Dienstleistungsangebote seitens der Fachkraft für Arbeitssicherheit und<br />

der betrieblichen Sozialberatung – also Angebote aus der AG – noch nicht im möglichen<br />

Umfang im Fallstudienunternehmen berücksichtigt bzw. integriert werden. Bezüglich der Dif-<br />

ferenzierung von Verantwortlichkeiten bei Gesundheitsthemen konnte zudem noch keine<br />

129


outiniert eingespielte Zuordnung von Aufgabenbereichen unter den verschiedenen Akteuren<br />

im Fallstudienunternehmen ausgemacht werden. Innerhalb des Betriebsrats scheint es darü-<br />

ber hinaus eine Diskussion darüber zu geben, wie mit dem Thema Gesundheit im Gremium<br />

weiter umgegangen werden soll, z. B. in Form eines eigenen Ausschusses oder, wie bisher<br />

durch Erörterung im gesamten Gremium, ohne eigenen Ausschuss.<br />

Die Akteurskonstellation erweist sich als günstig für die betriebliche Gesundheitspolitik. Das<br />

Betriebsratsgremium selbst wirkt als eine kompakt und selbstbewusst agierende Einheit, die<br />

sich – gerade in der Person ihres Vorsitzenden – der Bedeutung des Gesundheitsthemas<br />

bewusst ist. Die Kooperationsmöglichkeiten zu den anderen Akteuren aus dem Fallstudien-<br />

unternehmen können aufgrund der Interviews als gut bezeichnet werden. Die Geschäftslei-<br />

tung konnte von der Notwendigkeit der Gesundheitsprojekte überzeugt werden und auch die<br />

neu eingerichtete HR-Abteilung zeigt sich gegenüber den Aktivitäten des Betriebsrats als<br />

sehr aufgeschlossen. Ebenso hat sich offensichtlich der Kontakt des Betriebsrats zum be-<br />

triebsärztlichen Dienst verbessert, seit es hier eine neue Leiterin gibt.<br />

Hinsichtlich des fachlichen Know-how bezüglich des BGM können bei den Interviewten des<br />

Fallstudienunternehmens noch Lücken festgestellt werden. Die beiden für Gesundheit zu-<br />

ständigen Betriebsratsmitglieder bilden sich zwar fort. Auf wichtigen – auch unter dem Blick-<br />

winkel der gesetzlichen Notwendigkeit – Feldern, z. B. der Gefährdungsbeurteilung, wird<br />

aber bei den Interviewten selbst z. T. noch Nachholbedarf gesehen.<br />

Hemmende Faktoren, die aus unterschiedlichen Einstellungen der Akteure – z. B. zum<br />

Gesundheitsverständnis – entstehen können, wurden nicht ausgemacht. Eher wird sowohl<br />

von Arbeitgeberseite als auch von Seiten des Betriebsrats unterstrichen, dass die gesund-<br />

heitsbezogenen Aktivitäten nicht zu Lasten der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Un-<br />

ternehmens gehen dürfen. Gleichzeitig wird beiderseits betont, dass die vorgekommenen<br />

Überschreitungen des Arbeitszeitgesetzes keinesfalls mit der Philosophie des Unternehmens<br />

zu vereinbaren seien. Dieses grundsätzliche Einvernehmen unter den Akteuren wird aber<br />

keine Garantie dafür sein, dass man bei Einzelaspekten eines BGM Meinungsverschieden-<br />

heiten generell ausschließen kann.<br />

Keine Hinweise konnten dafür gefunden werden, dass sich irgendeine befragte Person prin-<br />

zipiell gegen eine Aufwertung der betrieblichen Gesundheitspolitik aussprechen würde.<br />

Ebenso wenig gab es Hinweise darauf, dass in der Vergangenheit bewusst durch eine oder<br />

mehrere Personen das Thema Gesundheit blockiert wurde – was nicht heißt, dass alle<br />

Ideen, z. B. von der Betriebsratsseite, sofort in die Tat umgesetzt worden sind.<br />

Finanzielle, personelle und zeitliche Ressourcen für die Behandlung des Themas Gesund-<br />

heit sind in dem untersuchten Fallstudienunternehmen begrenzt. Es kann jedoch nicht kon-<br />

statiert werden, dass dies von den Beteiligten als ein unüberwindbares oder als ein deutlich<br />

130


einschränkendes Manko betrachtet wird. Gerade für die durch die AG initiierten Angebote<br />

wird der Anspruch erhoben, ein im Vergleich zu anderen Unternehmen und Konzernen um-<br />

fangreiches Angebot vorhalten zu können. Dass weiterführende BGM-Aktivitäten im Fallstu-<br />

dienunternehmen in erster Linie an nicht vorhandenen Ressourcen scheitern könnten, ist<br />

nicht zu erkennen.<br />

Treiber bzw. Motoren für die betriebliche Gesundheitspolitik<br />

Als wesentliche inhaltliche Treiber für das Thema Gesundheit können die beiden als Meilen-<br />

steine beschriebenen Projekte zu den Handlungsfeldern Arbeitszeit und Stress betrachtet<br />

werden. Ohne das Engagement des Betriebsrats wären diese Projekte vermutlich nicht<br />

durchgeführt worden. Er kann bisher als der treibende Akteur bezeichnet werden. Die Ge-<br />

schäftsführung bietet zwar Unterstützung, hat aber von sich aus diese Themen nicht auf die<br />

Agenda gesetzt. Allerdings wird an dieser Stelle – bei allen vorzeigbaren Projekterfolgen –<br />

ein Manko deutlich. Es ist bisher bei der projektmäßigen Bearbeitung von Gesundheitsthe-<br />

men geblieben. Wenngleich das Arbeiten in Projekten typisch für das Fallstudienunterneh-<br />

men ist, zeichnet sich ein BGM gerade durch die dauerhafte Beschäftigung mit dem Thema<br />

Gesundheit aus, wobei die Verantwortlichen klar benannt und auch die Strukturen und Pro-<br />

zesse, in denen die Themenbearbeitung stattfindet, in die betrieblichen Routinen integriert<br />

sind.<br />

Wahrgenommener Handlungsbedarf<br />

Die aktuelle Akteurskonstellation könnte genutzt werden, um gemeinsam – in einer neu auf-<br />

zubauenden Struktur oder eingebunden in vorhandene Strukturen – die jeweiligen Erwartun-<br />

gen hinsichtlich der Ausgestaltung des BGM im Fallstudienunternehmen auszutauschen<br />

bzw. eine Diskussion darüber zu führen, ob überhaupt der Bedarf an einem BGM-System<br />

allseits gesehen wird. Innerhalb der nächsten zwei Jahre wechselt der Geschäftsleiter, daher<br />

sollte dessen grundsätzliche Aufgeschlossenheit gegenüber Gesundheitsthemen jetzt ge-<br />

nutzt werden.<br />

Als hilfreich könnte es sich zudem erweisen, das grundsätzliche Verhältnis zwischen der AG<br />

und dem Fallstudienunternehmen im Themenfeld Gesundheit zu klären: Gilt das BGM der<br />

AG z. B. gleichzeitig im Fallstudienunternehmen – oder welche Bestandteile davon? Hier gibt<br />

es offensichtlich Unstimmigkeiten. Beispielsweise wird für die AG das Vorhandensein eines<br />

BEM in Anspruch genommen – im Fallstudienunternehmen scheint es dies aber noch nicht<br />

zu geben bzw. es wird in der Form, wie es die AG praktiziert, durch den Betriebsrat nicht voll<br />

akzeptiert.<br />

Als eine weitere Säule der betrieblichen Gesundheitspolitik sollte zudem die Erfüllung ge-<br />

setzlicher Vorschriften gelten. Dies könnte u.a. bedeuten, die Durchführung von Gefähr-<br />

131


dungsbeurteilungen für die verschiedenen Arbeitsplätze unter Einbezug der psychosozialen<br />

Belastungen voranzutreiben.<br />

Feedback-Workshop<br />

Das Angebot eines Feedback-Workshops ist durch den Betriebsrat nicht in Anspruch ge-<br />

nommen worden.<br />

7.2.3 Fall 3: Stockender BGM-Prozess trotz aktiver einzelner Betriebsräte<br />

Eckdaten zum Unternehmen<br />

Bei dem Fallstudienunternehmen handelt es sich um eine überwiegend regional aufgestellte<br />

Genossenschaftsbank mit einem ausgeprägten Filialbetrieb. In den letzten Jahren gab es ca.<br />

30 Filialeröffnungen, um auch – nach Interviewangaben – Mitarbeiter, die ehemals im Back-<br />

office gearbeitet haben, in Beschäftigung halten zu können. Insgesamt betreibt das Unter-<br />

nehmen ca. 170 Filialen und Beratungscenter. Die Schwerpunkte liegen laut offizieller Unter-<br />

nehmensdarstellung in der Erbringung von Dienstleistungen für das regionale Handwerk und<br />

den Mittelstand sowie für Privatkunden. In einem Interview wird ergänzt, dass man relativ<br />

wenig im Auslands- und Investmentgeschäft tätig ist. Zurzeit beschäftigt die Bank ca. 2.900<br />

Mitarbeiter, davon ca. 2.400 in den Filialen und Beratungscentern. Der Organisationsgrad<br />

liegt nach Interviewangaben bei 15-20%.<br />

Die Unternehmensgeschichte ist u.a. gekennzeichnet durch zwei große Fusionen in den<br />

1980er und 1990er Jahren. Daneben, so die weiteren Ausführungen in den Interviews, gebe<br />

es immer wieder strategiebedingte Umstrukturierungen. Derzeit erfolge wieder eine Umstel-<br />

lung auf den Full-Service-Bereich mit entsprechender Umgestaltung in den Filialen. Parallel<br />

hierzu hat das Unternehmen eine eigene Servicegesellschaft („Servicefabrik“) mit 400 Mitar-<br />

beitern zur Backoffice-Bearbeitung von Standardprodukten (beispielsweise von Kreditanträ-<br />

gen) gegründet. Dieser Service wird auch für andere Banken angeboten. Von den dort be-<br />

schäftigten Mitarbeitern müssten rund die Hälfe Gehaltseinbußen von bis zu 10% in Kauf<br />

nehmen.<br />

Das Unternehmen ist für sein Engagement als Ausbildungsbetrieb in einem Wettbewerb ge-<br />

würdigt worden. Außerdem hat das Unternehmen ein Arbeitsplatzzertifikat erhalten. Die Zer-<br />

tifizierung erfolgte auf Basis einer branchenbezogenen Beurteilung in den Kategorien Le-<br />

benschancen, Beteiligungschancen, Entfaltungschancen und Beiträge zur Sozialkultur.<br />

Das Gremium des Betriebsrats (BR) besteht laut Vorabfragebogen aus 21 Mitgliedern (da-<br />

von sechs Freigestellte) und einer Assistentin. Darüber hinaus ergaben die Interviews fol-<br />

gende Angaben über die Betriebsratsarbeit: Der Betriebsausschuss mit sieben Mitgliedern<br />

tagt wöchentlich. Weiterhin gibt es einen Wirtschafts- und EDV-Ausschuss (tagt alle zwei<br />

132


Wochen) mit jeweils sieben Mitgliedern. Einen Gesundheitsausschuss gibt es nicht, aber drei<br />

Kollegen bearbeiten das Thema und sind auch Mitglieder des Arbeitsschutzausschusses<br />

(ASA). Zusätzlich existieren Verhandlungskommissionen und anlassbezogene Ausschüsse.<br />

Die Abstimmung der Themen im BR erfolgt über die Tagesordnung der BR-Sitzung. Außer-<br />

dem werden Strategiesitzungen für die Benennung von Schwerpunktthemen durchgeführt,<br />

wozu bisher aber noch nicht das Thema Gesundheit zählte.<br />

Im Rahmen der Fallstudie wurden interviewt:<br />

der Betriebsratsvorsitzende (freigestellt): in den 1980er Jahren war er für 1,5 Perioden<br />

bereits freigestellt (einmal als Vorsitzender und einmal als Stellvertreter); sechs Jahre<br />

später ist er wieder in die Freistellung gegangen und seit dem Jahr 1998 Vorsitzender;<br />

zudem ist er stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender,<br />

ein Betriebsratsmitglied (freigestellt): seit dem Jahr 1984 Mitglied des BR und im Vorgän-<br />

gerunternehmen lange Zeit BR-Vorsitzender; seit dem Jahr 1987 ständig freigestellt;<br />

kümmert sich schwerpunktmäßig um die Themen Bezahlung (Grundlohn und Leistungs-<br />

lohn, betriebliche Ausgestaltung der Tarifpolitik), Beurteilungswesen sowie betriebliche<br />

Gesundheitspolitik; seit dem Jahr 1991 Mitglied im Aufsichtsrat; aktiv in der ver.di-<br />

Regionalarbeit.<br />

Geplant waren weitere Interviews z. B. mit der Generalbevollmächtigten, die allerdings im<br />

Untersuchungszeitraum u.a. wegen Krankheit nicht zustande gekommen sind.<br />

Entwicklungsstand und Meilensteine der betrieblichen Gesundheitspolitik<br />

Entwicklungsstand im Fallstudienunternehmen<br />

Nach Angaben aus dem Vorabfragebogen und den Interviews stellt sich die Situation für das<br />

Unternehmen wie folgt dar:<br />

Der ASA tagt regelmäßig. An ihm nehmen ein Arbeitgebervertreter, drei BR-Mitglieder, der<br />

Betriebsarzt und die Fachkraft für Arbeitssicherheit (FaSi) teil. Behandelt werden klassische<br />

Arbeitssicherheits- und Arbeitsschutzthemen. Gefährdungsbeurteilungen (GB) werden ange-<br />

fertigt, wenn neue Arbeitsplätze eingerichtet werden – aber ohne die Erhebung psychosozia-<br />

ler Belastungsfaktoren. Die sich anschließenden Maßnahmen werden teilweise auf ihre<br />

Wirksamkeit überprüft. Regelmäßige Unterweisungen werden zum Teil, Begehungen regel-<br />

mäßig alle zwei bis drei Jahre durchgeführt.<br />

Es gibt kein (integriertes) Arbeitsschutzmanagementsystem. Betriebsvereinbarungen (BV)<br />

mit gesundheitlichem Bezug gibt es zu den Themenfeldern Familie und Beruf, Sucht sowie<br />

Zielvereinbarungen (bei langzeitiger Unterschreitung der vereinbarten Ziele von mehr als<br />

30% darf der Arbeitgeber einzelnen Mitarbeitern ein Coaching zukommen lassen – dies sei<br />

133


die einzige Disziplinierungsmaßnahme bei Unterschreitung der Zielvorgabe und die BV kön-<br />

ne daher im Sinne des Gesundheitsschutzes ausgelegt werden).<br />

Zum BEM hat der Betriebsrat eine Betriebsvereinbarungsvorlage erarbeitet, die aber noch<br />

nicht verabschiedet wurde. Derzeit werde noch das Hamburger Modell angewandt. Die Ar-<br />

beitgeberseite sei der Meinung, dass das Thema Eingliederung sowieso laufe und eigentlich<br />

kein BEM notwendig wäre. Dennoch ist die Einführung für das Jahr 2010 geplant.<br />

Aktivitäten der Betrieblichen Gesundheitsförderung (BGF) werden in erster Linie über die<br />

Betriebssportgemeinschaft (BSG) organisiert. Zusätzlich werden Vorsorgeuntersuchungen<br />

angeboten, aktuell z. B. die G37. Ehemalige Angebote, z. B. eine Rückenschule oder<br />

Gesundheitstage, sind aus Projekten hervorgegangen und mittlerweile eingestellt worden.<br />

Meilensteine<br />

Folgende Meilensteine lassen sich aufgrund der Interviews identifizieren:<br />

A) Seit neun Jahren gibt es im Unternehmen ein Qualifizierungsprogramm für junge Füh-<br />

rungskräfte. In diesem Rahmen habe man sich dort mit den Themen Work Life Balance und<br />

Burnout in Arbeitsgruppen beschäftigt und die Ergebnisse ins Intranet eingestellt. Grundle-<br />

gende Veränderungen im Führungsverhalten seien dadurch aber noch nicht hervorgerufen<br />

worden. Dennoch gebe es mit dem Programm eine Struktur, mit der Gesundheitsthemen<br />

aufgegriffen werden könnten.<br />

B) Im Mai 2004 wurde das Projekt Gesundheitsmanagement durch den BR initiiert und ge-<br />

startet. Die Leiterin des Personalbereichs bildete zusammen mit Vertretern des BR und Füh-<br />

rungskräften aus der oberen Ebene, dem Betriebsarzt und der FaSi das Projektgremium. Die<br />

gleichberechtigten Mitglieder fungierten zudem als Projektleitung. Dem Projekt ging eine<br />

Qualifizierungsmaßnahme zum Gesundheitsmanagement durch eine Universität voraus, an<br />

der die Projektleiterin und zwei Vertreter aus dem Betriebsrat teilgenommen haben. Mit dem<br />

Projekt sollte laut einer Unternehmensdarstellung „langfristig eine die Gesundheit fördernde<br />

Denkweise sowie ein entsprechendes Verhalten“ in der Bank etabliert werden. Geplant als<br />

Projekt mit den Arbeitsschritten Analyse, Planung, Intervention und Evaluation sei man wei-<br />

testgehend in der Phase der Analyse (z. B. Auswertung des Krankheitsgeschehens und Ein-<br />

gangsworkshop mit dem Fokus „Was hält gesund?“ – a. Gute Führung, b. Motivation und c.<br />

ergonomische Gestaltung der Arbeitsplätze) mit vereinzelten Interventionen (z. B. Gesund-<br />

heitstage, Rückentraining) steckengeblieben. Mittlerweile sei es ganz eingestellt und das Ziel<br />

der langfristigen Verankerung nicht erreicht worden. Der Arbeitgeber habe wenig Interesse<br />

gezeigt und keine ausreichenden Ressourcen zur Verfügung gestellt, um mit dem Projekt<br />

weiterzumachen. Als BR habe man den Eindruck gewonnen, dass die Arbeitgeberseite bei<br />

den Themen Motivation und Führung, die in dem Projekt auf Basis der Analysephase als<br />

große Handlungsfelder identifiziert worden sind, nicht „ans Eingemachte“ gehen wollte. Wäh-<br />

134


end des Projekts habe es keine externe Unterstützung gegeben. Als BR sei man auch nicht<br />

der Auffassung gewesen, dass Externe nötig seien, weil das Projekt gut gestartet sei. Es<br />

wird jedoch eingestanden, dass man unter Einbeziehung von Profis in Zukunft sicherlich<br />

noch vieles besser machen könnte.<br />

Seit Anfang 2009 wird seitens der ver.di-Betriebsgruppe versucht, die Belegschaft im Ver-<br />

trieb für das Thema psychische Erkrankungen zu sensibilisieren. Eingesetzt werden die vier<br />

Aktionskarten („Die tägliche Überstunde gefährdet das Herz“, „Maßlose Ziele“, „Kommt Ihnen<br />

das bekannt vor (Zitrone)?“ und „Mitmachen bei der ver.di-Umfrage“). Bereits zwei Jahre<br />

zuvor sei auf Initiative der überbetrieblichen regionalen ver.di-Arbeitsgruppe eine Befragung<br />

zum Thema Gesundheit und Arbeitsbelastung durchgeführt worden. Der BR nimmt diese<br />

Aktivitäten wohlwollend zur Kenntnis, hat sie aber nicht initiiert.<br />

Bewertung der betrieblichen Gesundheitspolitik<br />

Bewertung aus Sicht der Betriebsräte<br />

In beiden Interviews wird die Auffassung vertreten, dass im Unternehmen das gesetzlich<br />

Notwendige im Bereich des Arbeits- und Gesundheitsschutzes getan wird und man sich hier<br />

auf einem guten Niveau befindet. Belegt wird dies z. B. anhand der ergonomischen Gestal-<br />

tung der Arbeitplätze in neuen Filialen (z. B. keine reinen Steharbeitsplätze mehr, stattdes-<br />

sen höhenverstellbare Tische), der Einführung bzw. zunehmenden Durchsetzung des Nicht-<br />

raucherschutzes oder der regelmäßig stattfindenden ASA-Sitzungen. Hierzu wird aber auch<br />

Kritisches angemerkt. So seien die Lösungen, die im ASA erarbeitet werden, oft ein „Herum-<br />

doktern“ und hätten selten präventiven Charakter. Positiv hervorgehoben wird, dass aktuelle<br />

Anliegen Berücksichtigung fänden, z. B. Maßnahmen zur Grippeschutzimpfung. Überzeugt<br />

sei man auch davon, dass durch die verschiedenen BVen ein „Geflecht von Spielregeln“ ent-<br />

standen sei, an das sich viele Akteure im Unternehmen hielten. Auch hier werden aber wie-<br />

der Einschränkungen gemacht. Beispielsweise gebe es eine ausgesprochen gute BV zum<br />

Thema Beruf und Familie – inklusive der Nutzung externer Fachdienste. Dennoch sei gerade<br />

die ausreichende Berücksichtigung der Belange arbeitender Mütter bei der Gestaltung der<br />

Filialeinsatzpläne ein dauerhaftes Problem.<br />

Projektinitiierte BGF-Angebote wie z. B. eine Rückenschule seien „langsam eingeschlafen“.<br />

In den letzten zwei Jahren habe sich jedoch das Angebot der BSG erfreulicherweise verbes-<br />

sert mit der Folge, dass es wieder verstärkt nachgefragt werde. Ein Gesundheitsmanage-<br />

ment-Projekt, das als sehr ambitioniert beschrieben wird, sei bedauernswerterweise nach<br />

der Analysephase und der Umsetzung einiger weniger Maßnahmen eingestellt worden.<br />

Ein nach § 84 Abs. 2 SGB IX ausgestaltetes BEM gebe es derzeit noch nicht. Mit den Lang-<br />

zeitkranken werde aber im Unternehmen „fair umgegangen“. Dennoch wird der Anspruch<br />

erhoben bzw. die Notwendigkeit gesehen, über diese Einzelfälle hinaus eine Systematik mit<br />

135


Strukturen und Prozessen zu implementieren, die mit der vorliegenden BV erreicht werden<br />

soll. Rückkehrgespräche fänden bisher mehr oder weniger unstrukturiert statt und seien in<br />

Einzelfällen von Arbeitgeberseite aus eher dazu genutzt worden, Druck auf die Mitarbeiter<br />

auszuüben.<br />

Im Bereich der psychischen Belastungen gebe es derzeit keine Analyseinstrumente, sondern<br />

nur Einzelfallbetrachtungen. Ein BR-Mitglied habe sich diesbezüglich im Rahmen der GB<br />

weitergebildet. Der Arbeitgeber sperre sich aber noch dagegen, die GB in einem solchen<br />

Umfang zu erstellen.<br />

Als ein unterschiedlich gewichtetes, aber in beiden Interviews angeführtes Problem wird der<br />

wahrgenommene, zunehmende Konkurrenzdruck in und zwischen den Filialen bewertet.<br />

Dieser sei mittlerweile so groß, dass sich die Mitarbeiter selbst gefährdeten, z. B. durch zu<br />

lange Arbeits- und zu kurze Erholungszeiten. Außerdem gebe es zunehmend weniger Soli-<br />

darität untereinander. Im Vergleich mit vielen anderen Banken wird das eigene Betriebsklima<br />

jedoch noch als überdurchschnittlich gut bezeichnet.<br />

Insgesamt spiegele sich das Thema Gesundheit noch nicht in den Strukturen der Bank wider<br />

es „fällt eigentlich eher hinten runter“. „Das formell Notwendige wird gemacht“, gemeint sind<br />

die gesetzlich vorgeschriebenen Dinge, aber keine Prävention. In einem Interview wird for-<br />

muliert, dass sich die Arbeitsprozesse so geändert hätten, dass Gesundheitsmanagement<br />

darin keinen Platz habe. Man könne nicht beides haben. Entweder baue man Druck auf, et-<br />

wa über Vertriebscontrolling, Verkaufsdruck sowie automatisierte und sinnentleerte Arbeit<br />

oder man verfolge als Unternehmen ein Gesundheitsmanagement und organisiere die Arbeit<br />

so, dass sie als Ressource dienen könne. Das widerspreche sich eben nach Ansicht des<br />

Interviewpartners und insofern sei zu überlegen, ob das Thema Gesundheit an die Debatte<br />

um die Vertriebssteuerung angekoppelt werden solle.<br />

Zielvorgaben, Vertriebssteuerung, Leistungsdruck und (interner) Konkurrenzkampf seien –<br />

so die andere Meinung – ein „zweischneidiges Schwert“: Einerseits gebe es hierdurch ge-<br />

sundheitlich negative Auswirkungen, andererseits müsse bei einem geringeren Gewinn Per-<br />

sonal abgebaut werden („Es wird nicht anders kommen, als dass wir noch mehr Leistungs-<br />

druck haben“. „Die Kollegen müssen diese Abschlüsse bringen“.). Diese Meinung ist dem-<br />

nach anders gewichtet als die oben angeführte Position, nach der sich ein BGM und die<br />

neuen Formen von Vertriebssteuerung quasi ausschließen.<br />

Abgleich mit dem Referenzmodell<br />

Die konkrete Ausgestaltung der betrieblichen Gesundheitspolitik muss sich stets an den indi-<br />

viduellen Gegebenheiten und Rahmenbedingungen eines Unternehmens orientieren. Darü-<br />

ber hinaus lassen sich jedoch Mindeststandards an eine erfolgreiche betriebliche Gesund-<br />

heitspolitik formulieren (s. Kapitel 3). Diese Standards werden nachfolgend mit den vorlie-<br />

136


genden Informationen aus dem Vorabfragebogen und den Aussagen der verschiedenen In-<br />

terviews abgeglichen.<br />

1. Formulierung einer klaren, inhaltlichen Zielsetzung<br />

Eine solche Zielsetzung ist nicht vorhanden, auch nicht von Seiten des Betriebsrats.<br />

2. Abschluss schriftlicher Vereinbarungen<br />

Neben den BVen gibt es keine weiteren schriftlichen Vereinbarungen zum Thema Gesund-<br />

heit, auch nicht in den Unternehmensgrundsätzen oder den Stellenbeschreibungen für Füh-<br />

rungskräfte.<br />

3. Einrichtung eines Lenkungsausschusses<br />

Es gibt nur den ASA. Für das Gesundheitsmanagement gab es für die Dauer des BGM-<br />

Projekts einen Steuerungskreis. Ein dauerhaftes Gremium existiert nicht.<br />

4. Bereitstellung von Ressourcen<br />

Es gibt kein eigenes Budget für die betriebliche Gesundheitspolitik. Laut Interviewangabe<br />

wird seitens des Arbeitgebers die Bereitstellung von Ressourcen dann schwierig, wenn es<br />

um Maßnahmen geht, die über das gesetzlich Notwendige hinausgehen.<br />

5. Festlegung personeller Verantwortlichkeiten<br />

Es ist ein Verantwortlicher für die BSG und das Gesundheitsmanagement ernannt worden,<br />

der sich aber de facto nur um den Betriebssport kümmere. Innerhalb des BR-Gremiums sind<br />

drei Personen für das Thema Gesundheit federführend bzw. verantwortlich. Die FaSi und der<br />

Betriebsarzt handeln in ihren gesetzlichen Verantwortungsbereichen (Interviewaussagen).<br />

6. Qualifizierung von Experten und Führungskräften<br />

Den Führungskräften werden keine Schulungen zum Thema Gesundheit angeboten (in ei-<br />

nem Interview wird aber von Führungskräfteschulungen für den Bereich Sucht gesprochen).<br />

Die BR-Mitglieder, die für das Thema Gesundheit zuständig sind, bilden sich individuell fort.<br />

7. Beteiligung und Befähigung der Mitarbeiter<br />

Zu den Möglichkeiten der Partizipation der Beschäftigten werden keine Angaben gemacht.<br />

8. Betriebliche Gesundheitsberichterstattung<br />

Es gibt keinen Gesundheitsbericht einer Krankenkasse oder eine regelmäßige (interne)<br />

Gesundheitsberichterstattung. Es wird eine Fehlzeitenstatistik geführt.<br />

9. Internes Marketing<br />

137


Im Intranet können sich die Mitarbeiter über Projekte der betrieblichen Gesundheitspolitik<br />

informieren. Zudem weisen Veröffentlichungen des BR auf entsprechende Aktivitäten hin<br />

(Interviewaussagen).<br />

10. Durchführung der vier BGM-Prozesse<br />

Die aus der GB abgeleiteten Maßnahmen werden nur teilweise auf ihre Wirksamkeit über-<br />

prüft. Außerdem ist – nach Interviewaussagen – das Projekt Gesundheitsmanagement in der<br />

Analysephase abgebrochen worden. Beides spricht gegen die Einhaltung der Teilschritte<br />

Diagnose, Planung, Intervention und Evaluation.<br />

11. Erfüllung gesetzlicher Anforderungen<br />

Die gesetzlichen Anforderungen werden nach Angaben aus dem Vorabfragebogen und In-<br />

terviewaussagen hinsichtlich des klassischen Arbeitsschutzes erfüllt. Allerdings wird die GB<br />

nicht unter Berücksichtigung der psychosozialen Belastungsfaktoren durchgeführt und ein<br />

BEM nach § 84 Abs. 2 SGB IX existiert offensichtlich ebenfalls noch nicht.<br />

12. Integration des BGM<br />

Gesundheit wird in vielen Feldern noch nicht aufgegriffen (z. B. im Unternehmensleitbild, in<br />

den Unternehmenszielen) oder es sind entsprechende Versuche abgebrochen worden (Pro-<br />

jekt Gesundheitsmanagement mit den Themen Führung und Motivation). Die fehlende Inte-<br />

gration wird u.a. daran sichtbar, dass der Beauftragte für BSG und Gesundheitsmanagement<br />

sich nach Interviewangaben auf die Organisation des Betriebssports beschränkt und das<br />

Thema Gesundheitsmanagement nicht integrierend vorantreibt.<br />

Insgesamt lässt sich festhalten, dass in diesem Fallstudienunternehmen gesetzliche Anfor-<br />

derungen im Arbeits- und Gesundheitsschuss in weiten Teilen erfüllt werden. Von einem<br />

systematischen BGM kann jedoch zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht gesprochen<br />

werden, da grundlegende BGM-Standards mit Blick auf Ziele, Strukturen und Prozesse feh-<br />

len bzw. lediglich in ersten Ansätzen vorhanden sind.<br />

Akteure und Akteurskonstellationen im BGM<br />

Die Akteure im Überblick<br />

In dem Vorabfragebogen sind folgende Akteure angeführt worden:<br />

Betriebsarzt<br />

FaSi (extern)<br />

drei Mitglieder des BR (die sich mit dem Thema Gesundheit befassen)<br />

Bereichsleiterin Personal, gleichzeitig Generalbevollmächtigte – u.a. Mitglied im Projekt-<br />

gremium Gesundheitsmanagement<br />

138


Als ein weiterer Akteur ist in den beiden Interviews der Verantwortliche für BSG und<br />

Gesundheitsmanagement benannt worden.<br />

Der Betriebsrat<br />

Der Betriebsrat in der Eigenwahrnehmung<br />

Der Betriebsrat verfolgt nach Aussagen in den Interviews das Politikmodell „Soviel Konsens<br />

wie möglich, so viel Konflikt wie nötig“. Mit der Arbeitgeberseite (Vorstand, Personalabtei-<br />

lung) gebe es einen fairen Umgang und eine vertrauensvolle Zusammenarbeit. Man tausche<br />

Argumente sachgemäß und vernünftig aus. Dies sei grundsätzliche Politik, nicht nur im<br />

Themenfeld Gesundheit. Seit über zehn Jahren habe es kein Verfahren mehr vor der Eini-<br />

gungsstelle oder dem Arbeitsgericht gegeben. Allerdings müsse man als BR immer wieder<br />

auf die Wichtigkeit des Gesundheitsthemas drängen. Gesetzliche Möglichkeiten des Be-<br />

triebsverfassungsgesetzes und des ArbSchGes würden vom Betriebsrat im Bereich der Ar-<br />

beitssicherheit und Ergonomie genutzt.<br />

Als BR sei man stolz und lege großen Wert auf die Beibehaltung etablierter Gehaltszahlun-<br />

gen („Wir haben uns seit jeher auf die Fahnen geschrieben, die 13 Gehälter nicht anzuknab-<br />

bern“.). Weiterhin reagiere man, wenn entgegen den Bestimmungen interne Filialrankings<br />

bekannt würden. Dann prangere man dies als BR beim Vorstand an („Da sind wir wirklich<br />

nicht schlecht“.). Die Interviewten gestehen aber auch ein, dass sie als BR an Grenzen sto-<br />

ßen; z. B. könne kein Einfluss auf Leistungsvorgaben genommen werden (höchstens über<br />

die Mitgliedschaft im Aufsichtsrat). Bezogen auf die Einhaltung der Arbeitszeiten müsse der<br />

BR z. T. Druck auf die Arbeitgeber bzw. Führungskräfte ausüben. Auch die Arbeitnehmer<br />

hielten sich nicht immer an die gesetzlich vorgegebenen Arbeitszeiten – dies sei gerade bei<br />

der jüngeren Belegschaft zu beobachten.<br />

Im Gremium finde eine thematische Spezialisierung statt (z. B. sei eine Kollegin nur für das<br />

Aufsuchen der Filialen vorgesehen – jede Filiale sei eine eigene Welt, da müsse man als BR<br />

viel nachhaken). Daneben versuchten alle Mitglieder noch einen Überblick über die The-<br />

menbereiche zu behalten, die nicht zu ihrem Spezialgebiet gehören. Die drei für das Thema<br />

Gesundheit zuständigen BR-Mitglieder seien „sehr engagiert“. Im BR-Gremium gebe es aber<br />

hin und wieder ein „mildes Lächeln“, wenn wieder einmal das Gesundheitsthema eingebracht<br />

werde. Vor dem Hintergrund vieler anderer Themen komme die betriebliche Gesundheitspo-<br />

litik auch im eigenen BR-Gremium mitunter zu kurz („Da fällt manchmal einfach die Gesund-<br />

heit hinten runter nach dem Motto: Wenn mal Zeit ist“.). Einzelne Aspekte (z. B. schlechtes<br />

Führungsverhalten) würden dort zwar immer wieder auf die Tagesordnung gebracht, aber<br />

das BR-Gremium fasse das Thema Gesundheit mit dem Fokus auf Prävention nicht strate-<br />

gisch auf.<br />

139


Der Umgang unter den BR-Kollegen sei manchmal „heftig“ und „frech“, aber stets getragen<br />

von einer tiefgehenden gegenseitigen Wertschätzung. BR seien in erster Linie Menschen,<br />

die Interessen vertreten und nicht nur „Gutmenschen“. Diesbezüglich wird eine hohe Akzep-<br />

tanz bei der Belegschaft wahrgenommen. Dies zeige, dass die Richtung des BR grundsätz-<br />

lich stimme. Durch den Sitz des BR im Schulungsgebäude des Unternehmens sei – trotz der<br />

Filialstruktur – ein guter Zugang zu der Belegschaft möglich. Diesen nutze man als BR. Der<br />

direkte Kontakt zu den MA müsse ständig gehalten werden.<br />

Strategische und operative Kompetenzen – allgemein und im Bereich der betrieblichen<br />

Gesundheitspolitik – sollten gleichermaßen vorhanden sein. Man bescheinigt sich jeweils ein<br />

gutes Niveau, gibt aber auch zu, dass man sich immer noch verbessern könne. Letztlich sei<br />

es z. B. noch nicht gelungen, das Thema Gesundheit im BR-Gremium überzeugend zu ver-<br />

ankern. Nach dem Motto „steter Tropfen höhlt den Stein“ will man in der nächsten Legisla-<br />

turperiode wieder eine BR-Tagung zum Thema Gesundheit anbieten. Sie soll unter dem Ge-<br />

neralthema „Generationenwechsel“ stehen. Zudem gibt es eine regelmäßig tagende überbe-<br />

triebliche Arbeitsgruppe zum Thema Gesundheit zusammen mit anderen BR und Gewerk-<br />

schaftlern aus der Region.<br />

Fortbildungen werden nach Aussage der Interviewpartner wahrgenommen. Diese würden<br />

allerdings in erster Linie nach Neigung oder nach aktuellen Problemen ausgewählt und seien<br />

nicht Gegenstand einer strategischen Planung. U.a. hätten zwei BR-Mitglieder (und die Per-<br />

sonalverantwortliche) eine an der Universität angebotene Qualifizierungsmaßnahme zum<br />

BGM absolviert. Ver.di biete gute Seminare zur Methoden- und Sozialkompetenz an (z. B.<br />

zur Durchführung von Projekten). Explizite Angebote zum Gesundheitsthema seien aber<br />

eher selten bzw. gäbe es nur in Facetten. Man habe sich vieles selbst aneignen müssen. Bei<br />

der Vermittlung von fachlicher und strategischer Kompetenz könne folglich noch einiges ver-<br />

bessert werden.<br />

Die übrigen Akteure in der Wahrnehmung der Betriebsräte<br />

Der Betriebsarzt verfügt aus Sicht der Interviewpartner über ein gutes Netzwerk und ist en-<br />

gagiert – „egal ob Psyche oder Bandscheibe das Thema ist“ („Er hat immer einen Tipp.“ „Das<br />

läuft.“ „Offenes Ohr.“). Er nehme seinen Job ernst. Er sei zwar nicht der „Revolutionär vor<br />

dem Herrn“, aber spreche den Arbeitgeber auf Missstände an. Allerdings sei er einzelfallori-<br />

entiert. Gegen die vorzeitige Beendigung des Gesundheitsmanagement-Projekts habe er<br />

sich ebenso wenig wie die FaSi gewehrt.<br />

Die FaSi war früher intern angesiedelt (und sei sehr engagiert im Thema Arbeitssicherheit<br />

und Gesundheit gewesen). Eine neue FaSi steht erst seit kurzer Zeit durch einen externen<br />

Anbieter zur Verfügung. Der BR wünscht sich eine konkretere Darstellung dessen, was die<br />

140


FaSi genau macht. Man habe als BR der Neubesetzung zugestimmt und der neuen FaSi<br />

wird zugestanden: „Im ersten Jahr wird noch geübt“.<br />

Dem (freigestellten) Verantwortlichen für BSG und Gesundheitsmanagement fehle das En-<br />

gagement bzw. er habe sich zu sehr auf den Bereich BSG fokussiert und nicht die Vernet-<br />

zung mit anderen Gesundheitsakteuren vorangetrieben („Leider Gottes ist der mit dem Hin-<br />

tern nicht richtig hochgekommen“.). Die Stelle soll, so die Aussage einer Interviewperson, mit<br />

einer konkreten Stellenbeschreibung versehen werden und zukünftig mit einer engagierten<br />

Person besetzt werden. Hierzu gebe es bereits Überlegungen, was der anderen Interview-<br />

person aber nicht bekannt ist.<br />

Die Zusammenarbeit mit dem Arbeitsdirektor funktioniert nach Ansicht der Interviewpartner<br />

grundsätzlich gut. Er sei 30 Jahren im Betrieb, habe eine interne Karriere gemacht und ken-<br />

ne die Arbeitswelt. Der Vorstand müsse aber trotzdem immer wieder darauf gebracht wer-<br />

den, dass Arbeitsschutz etc. etwas Wichtiges ist. Die Zusammenarbeit funktioniere hier, so-<br />

weit keine größeren Investitionen getätigt werden müssten. Der Arbeitgeberseite gehe es<br />

eher darum, dass Thema Gesundheit im Unternehmen zu vermarkten – und nicht darum<br />

tatsächlich etwas zu bewegen (Bsp. Projekt Gesundheitsmanagement). Zudem würden psy-<br />

chische Erkrankungen immer als Einzelfälle aufgefasst, die nichts mit der Arbeit zu tun ha-<br />

ben. Deshalb werde man auf Arbeitgeberseite nicht systematisch tätig.<br />

Führungskräfte bzw. Abteilungsleiter erschwerten z. T. Investitionen in Gesundheit mit dem<br />

Argument, das Sachkostenbudget nicht überschreiten zu können. Auch stellten sich Vorge-<br />

setzte aus der mittleren Ebene manchmal quer, ihre Filialmitarbeiter zu den Betriebsver-<br />

sammlungen gehen zu lassen. Es sei jedoch ein Element der durchaus im Vergleich zu an-<br />

deren Banken guten Unternehmenskultur, dass die Mitarbeiter in der Regel nicht morgens<br />

und abends von ihren Vorgesetzten zusammengestaucht würden. Das ändere aber nichts<br />

daran, dass das Thema Führung als außerordentlich wichtig für die betriebliche Gesund-<br />

heitspolitik eingestuft werde.<br />

Fazit<br />

Grundsätzlich muss für dieses Fallbeispiel berücksichtigt werden, dass lediglich der BR-<br />

Vorsitzende und der für das Thema Gesundheit hauptverantwortliche BR interviewt werden<br />

konnten. Die entstandenen Eindrücke sind somit einseitig bzw. unvollständig.<br />

Das Unternehmen hat zwar bereits ein Projekt „Gesundheitsmanagement“ begonnen, dies<br />

aber nicht zu Ende geführt. Auch die übrigen Meilensteine oder der Abgleich mit dem Refe-<br />

renzmodell lassen den Schluss zu, dass es in diesem Unternehmen noch kein BGM gibt. Es<br />

wird aber in den Interviews durchaus der Bedarf gesehen, ein solches zu implementieren<br />

bzw. die betriebliche Gesundheitspolitik um ihren präventiven Gestaltungsansatz zu ergän-<br />

zen.<br />

141


Fördernde und hemmende Faktoren für die betriebliche Gesundheitspolitik<br />

Auf Basis der Interviews können einige fördernde Faktoren benannt werden. Grundsätzlich<br />

positiv auswirken dürfte sich die als gut beschriebene Zusammenarbeit zwischen der Arbeit-<br />

geber- und der Betriebsratsseite. Grundlegende Machtkämpfe oder unerledigte Dissonanzen<br />

z. B. aufgrund der in den letzten Jahren vorgenommenen Umstrukturierungen sind nicht zu<br />

erkennen. Hervorzuheben ist weiterhin die Kultur der BVen (u.a. mit Bezug zum Thema Ge-<br />

sundheit). Diese scheinen nicht nur abgeschlossen, sondern zumindest in Teilen auch gelebt<br />

zu werden. Auf jeden Fall ergibt sich der Eindruck, dass die BVen ein etabliertes Instrument<br />

im gegenseitigen Umgang der Betriebsparteien sind. Hinsichtlich der Betriebsratsarbeit ist<br />

hervorzuheben, dass sich hier offensichtlich ein engagiertes Dreier-Gremium um das Thema<br />

Gesundheit kümmert – mit ausgeprägtem Fachwissen zumindest seitens des Interviewpart-<br />

ners. Als fördernd kann zudem eingeordnet werden, dass der klassische Arbeits- und<br />

Gesundheitsschutz nach Aussagen der Interviewpartner auf einem anständigen Niveau ist.<br />

Gleichzeitig ist nicht der Eindruck entstanden, dass das Thema Arbeitssicherheit – wie bei-<br />

spielsweise mitunter in der Chemiebranche – ein derart dominantes Handlungsfeld ist, so<br />

dass die Bearbeitung anderer Bereiche dadurch erschwert wird. Schließlich ist die Situation<br />

mit Blick auf die handelnden und verantwortlichen Akteure übersichtlich. Es gibt keine über-<br />

geordneten Konzernstrukturen, die Abstimmungsprozesse u.ä. verlangsamen oder erschwe-<br />

ren könnten.<br />

Den fördernden Faktoren steht eine Reihe von hemmenden gegenüber. Ein sehr wichtiges<br />

Hemmnis scheint die Tatsache zu sein, dass sich die betriebliche Gesundheitspolitik als ein<br />

etabliertes Themenfeld noch nicht im gesamten BR-Gremium hat durchsetzen können. Es ist<br />

sogar der Eindruck entstanden, dass das Dreier-Gremium mit seinem Anliegen Gesundheit<br />

zu thematisieren, die übrigen BR-Mitglieder manchmal eher stören würde. Wenngleich keine<br />

Personen ausgemacht werden konnten, die sich im BR aktiv gegen das Thema Gesundheit<br />

stark machen, kann von einer geschlossenen Unterstützung derzeit noch nicht ausgegangen<br />

werden.<br />

Auf Arbeitgeberseite hingegen scheint man sich gegen einige Prozesse tatsächlich aktiv zu<br />

wehren, gerade wenn sie über verpflichtende Maßnahmen des Arbeits- und Gesundheits-<br />

schutzes hinausgehen. Damit einher geht die Behauptung, dass die Arbeitgeberseite sich<br />

gegen die Arbeitsbedingtheit von psychosozialen Belastungen ausspricht. Weiterhin werden<br />

für die Umsetzung des Projekts „Gesundheitsmanagement“ von Seiten der Interviewten<br />

mangelnde Ressourcen beklagt. Neben dieser Beanstandung kann auch der Abbruch des<br />

Projekts selbst als hemmender Faktor bezeichnet werden. Der Abbruch kann einerseits Aus-<br />

druck dafür sein, dass sich die Arbeitgeberseite einer tiefergehenden Bearbeitung neuer Be-<br />

lastungsformen verschließt. Andererseits ist die Chance vertan worden, aus dem Projekt<br />

heraus ein dauerhaftes BGM zu entwickeln und in die betrieblichen Routinen zu integrieren.<br />

142


Die durchaus zur Verfügung stehenden Ressourcen, z. B. in Person des Verantwortlichen für<br />

BSG und Gesundheitsmanagement, scheinen darüber hinaus im Moment nicht optimal be-<br />

setzt zu sein.<br />

In den Interviews werden die Aktivitäten von ver.di unterschiedlich akzentuiert bzw. aufgegrif-<br />

fen. Grundsätzlich wird die Gewerkschaftsarbeit als wichtig empfunden (und die Tatsache,<br />

dass man die Gewerkschaftssitze im Aufsichtsrat an den Deutschen Bankangestellten-<br />

Verband verloren hat, wird als Nachteil bewertet). Die ver.di-Kampagne „Faire Arbeit“ wird<br />

einerseits für die eigene BR-Arbeit genutzt – andererseits wird die allgemeine Positionierung<br />

von ver.di in der Wirtschaftskrise bemängelt, weil man undifferenziert alle Banken an den<br />

Pranger gestellt habe. Diese Gegebenheit muss sich nicht zwangsweise als Nachteil für die<br />

betriebliche Gesundheitspolitik auswirken, spricht aber auch nicht für eine einheitliche Positi-<br />

onierung bezüglich gewerkschaftlicher Aktivitäten, die mit dem Thema Gesundheit in Verbin-<br />

dung stehen bzw. gebracht werden könnten.<br />

Bisher sind zwar in einzelnen Segmenten externe Dienstleister hinzugezogen worden (z. B.<br />

im Bereich Arbeit und Familie, aber nicht für die Qualifizierung einzelner Akteure, sondern<br />

als Familienservice). Und auch im BGM-Bereich sind Externe für Fortbildungen genutzt wor-<br />

den (positiv ist z. B. die gemeinsame Weiterqualifizierung im Gesundheitsmanagement der<br />

beiden Betriebsparteien zu erwähnen). Externes Fachwissen und Kompetenz sind aber bis-<br />

her, abgesehen von den gewerkschaftlichen Initiativen, nicht erkennbar in Projektform einge-<br />

flossen und von dem Betriebsrat für sich in Anspruch genommen worden (z. B. zur eigenen<br />

Qualifizierung, um andere Akteure zu überzeugen oder den Prozess neutral zu begleiten).<br />

Natürlich kann nichts darüber ausgesagt werden, wie einzelne Projekte (z. B. zum Gesund-<br />

heitsmanagement) unter Hinzuziehung außerbetrieblicher Akteure verlaufen wären. Insofern<br />

kann nicht von einem eindeutig hemmenden Faktor gesprochen werden. Als eine Erweite-<br />

rung des Handlungsspielraums kann die Einbindung Externer aber trotzdem gelten.<br />

Treiber bzw. Motoren für die betriebliche Gesundheitspolitik<br />

Der für das Gesundheitsthema verantwortliche Interviewpartner kann durchaus als eine trei-<br />

bende Kraft für die betriebliche Gesundheitspolitik eingestuft werden. Allerdings ist in dem<br />

Interview mit ihm auch eine gewisse Ernüchterung zu spüren. Der „stete Tropfen“ höhlt nun<br />

schon ziemlich lange den Stein – und muss dies auf mehreren Ebenen tun: beim BR-<br />

Gremium, beim Arbeitgeber und in der Belegschaft. Dennoch lässt der durchschlagende<br />

Erfolg auf sich warten und es bleibt abzuwarten, ob sich dies nicht auch negativ auf das per-<br />

sönliche Engagement auswirken wird.<br />

Wahrgenommener Handlungs- und Entwicklungsbedarf<br />

Als unabdingbar erscheint es, weiterhin Überzeugungsarbeit im Sinne einer umfassenden<br />

betrieblichen Gesundheitspolitik zu leisten – sowohl im BR-Gremium als auch beim Arbeit-<br />

143


geber. Umfassend meint hier vor allem die Sensibilisierung für psychosoziale Themen insbe-<br />

sondere auf Arbeitgeberseite. Die Hinzuziehung externer Experten kann sich für die Über-<br />

zeugungsarbeit und später für das operative Vorgehen, z. B. die Durchführung der GB unter<br />

Einbeziehung psychosozialer Belastungen, als wertvoll erweisen. Auf der Agenda steht<br />

schließlich die strategische Besetzung des Gesundheitskoordinators, der die Implementie-<br />

rung bzw. Integration eines BGM zur Hauptaufgabe hat.<br />

Feedback-Workshop<br />

Das Angebot eines Feedback-Workshops ist durch den Betriebsrat nicht in Anspruch ge-<br />

nommen worden.<br />

7.2.4 Fall 4: Durch Gefährdungsbeurteilung zum BGM-Konzept?<br />

Eckdaten zum Unternehmen<br />

Bei dem betrachteten Unternehmen handelt es sich um zwei Aktiengesellschaften (AG) aus<br />

der Versicherungsbranche in Form eines gemeinsamen Betriebs mit dem gleichen Standort,<br />

gemeinsam genutzten Geschäftsräumen und einem gemeinsamen Betriebsrat. Als Spezial-<br />

versicherer sind sie im Bereich der Lebens- und der Krankenversicherung tätig. Die Kran-<br />

kenversicherung AG mit ca. 60 Mitarbeitern ist ein 100%iges Tochterunternehmen einer Hol-<br />

ding GmbH. Die Lebensversicherung AG mit ca. 240 Mitarbeitern befindet sich mit einer An-<br />

teilsmehrheit von mehr als vier Fünfteln im Besitz der gleichen Holding GmbH, die darüber<br />

hinaus 100% der Anteile einer Sachversicherung AG hält, die aber einen anderen Standort<br />

als das Fallstudienunternehmen hat. Die Anteile der Holding GmbH wiederum gehören zu<br />

über 70% einer großen Versicherung Holding AG (im Folgenden Mutterkonzern genannt).<br />

Die restlichen Anteile befinden sich im Besitz eines Versicherungsvereins auf Gegenseitig-<br />

keit, der die Sparten Unfallversicherung und Beistandsleistungen betreibt. Die derzeitige<br />

Konstellation ist das Ergebnis eines vor knapp zehn Jahren begonnenen Umstrukturierungs-<br />

prozesses. Als eine Folge der Umstrukturierungen sind nahezu alle ehemals bei den einzel-<br />

nen AGen angesiedelten Stabs- und Querschnittsfunktionen wegrationalisiert worden. Die<br />

entsprechenden Dienstleistungen werden jetzt vom Mutterkonzern vorgehalten. Lediglich die<br />

Kundenbetreuung, der Vertrieb und das Marketing sind nach wie vor bei der Sachversiche-<br />

rung AG, der Lebensversicherung AG und der Krankenversicherung AG eigenverantwortlich<br />

angesiedelt. Die Lebensversicherung AG besteht aus drei Gruppen für die Privatkundenbe-<br />

treuung, einer Gruppe für das Firmenkundengeschäft und einer Gruppe, die sich um die Ab-<br />

teilungsorganisation kümmert. Die Arbeit innerhalb der AGen wird durch ein Work-Flow-<br />

System zugeordnet. Alle drei AGen haben den gleichen dreiköpfigen Vorstand, der außer-<br />

dem für den Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit verantwortlich zeichnet.<br />

144


Der Betriebsrat des Fallstudienunternehmens hat neun Mitglieder, von denen der Vorsitzen-<br />

de freigestellt ist. Einen Konzernbetriebsrat gibt es nicht, aber seit dem Jahr 2007 existiert<br />

ein Gesamtbetriebsrat für die Krankenversicherung AG, die Lebensversicherung AG und<br />

eine Zusatzversorgungskasse, die als Dienstleister der Lebensversicherung AG fungiert. Der<br />

Betriebsrat im Fallstudienunternehmen hat einen Außendienst-, Gesundheits-, Personal- und<br />

Wirtschaftsausschuss eingerichtet. Über den Betriebsausschuss wird die Geschäftsführung<br />

des Betriebsrats erledigt. Durchschnittlich sind drei bis vier Betriebsräte den einzelnen Aus-<br />

schüssen zugeordnet. Im April 2009 wurde der Gesundheitsausschuss erweitert. Dort spezi-<br />

alisieren sich zwei Mitglieder auf den Bereich der psychischen Belastungen und zwei weitere<br />

Mitglieder auf die klassischen Gesundheitsgefahren.<br />

Nach der Wahrnehmung eines Interviewpartners wird das Fallstudienunternehmen zuneh-<br />

mend an den Mutterkonzern „herangeführt“, obwohl es z. B. noch einen eigenen Betriebsrat<br />

gibt. Der Befragte sieht die Entwicklung so, dass sich das Unternehmen immer mehr zum<br />

Dienstleister im Sinne eines Call Centers entwickeln wird, wodurch die Eigenständigkeit (z.<br />

B. eigene Struktur, eigenes Haus, eigene Mitarbeiter) seines Erachtens weiter abnehmen<br />

wird. Alle Interviewpartner bestätigen, dass der zurückliegende Transformationsprozess für<br />

alle Beschäftigtengruppen mit hohen psychosozialen Belastungen einhergegangen sei. Zu-<br />

sätzlich hat sich die Arbeitsverdichtung nach Ansicht der meisten Interviewten in den letzten<br />

Jahren spürbar erhöht. Es gebe heute ein „anderes Arbeiten“ als früher, z. B. sei aufgrund<br />

der Umstellung auf EDV-Systeme die täglich geleistete Arbeitsmenge nicht mehr so ersicht-<br />

lich. Der Krankenstand im Fallstudienunternehmen liege aber immer noch unter dem Bran-<br />

chendurchschnitt. Die Fehlzeiten werden ca. ein Mal pro Jahr vom Vorstand und dem Be-<br />

triebsrat gemeinsam diskutiert.<br />

Im Rahmen der Fallstudie wurden die folgenden Personen interviewt:<br />

ein Vorstandsmitglied (seit dem Jahr 2003 im Unternehmen): Ressortvorstand für die<br />

Bereiche Kundendienst und Produktentwicklung für die Lebens- und Krankenversiche-<br />

rung AG sowie AG-übergreifend verantwortlich für die Bereiche Controlling, Rechnungs-<br />

wesen, Steuern und Kapitalanlagen sowie Öffentlichkeitsarbeit,<br />

ein weiteres Vorstandsmitglied (ursprünglich tätig im Mutterkonzern): seit dem Jahr 2008<br />

im Wesentlichen zuständig für die Kompositversicherungen (Auto-, Haftpflicht- und Sach-<br />

versicherungen) sowie für die Bereiche Personal, Betriebsorganisation und IT,<br />

der Betriebsratsvorsitzende: im Jahr 1993 in das Unternehmen und in die EDV-Abteilung<br />

eingetreten und im Jahr 1998 in den Betriebsrat und zum Vorsitzenden gewählt; im Zuge<br />

des damaligen Generationswechsels (Ausscheiden vieler Betriebsratsmitglieder, die Füh-<br />

rungspositionen inne hatten) hat er sich als erstes Betriebsratsmitglied freistellen lassen;<br />

im Dezember 2007 ist er zum Vorsitzenden Betriebsrat des gemeinsamen Betriebs der<br />

145


Lebensversicherung AG und der Krankenversicherung AG gewählt worden, zugleich ist<br />

er Vorsitzender des Gesamtbetriebsrats,<br />

ein Betriebsratsmitglied: seit dem Jahr 1996 im Unternehmen, seit dem Jahr 1999 im<br />

Gremium und neuerdings auch im Gesundheitsausschuss (vorher Mitglied im Außen-<br />

dienstausschuss); der Ausschusswechsel war organisatorisch bedingt, aber auch inte-<br />

ressengeleitet,<br />

ein weiteres Mitglied des Betriebsrats: seit dem Jahr 1987 im Unternehmen und seit dem<br />

Jahr 1998 im Gremium vertreten; neben dem Betriebsausschuss gehört dieser Interview-<br />

partner dem Wirtschafts- und dem vor ca. einem Jahr gebildeten Personalentwicklungs-<br />

ausschuss an die Wahl dieser Ausschüsse war zum Großteil interessengesteuert,<br />

der extern angesiedelte Betriebsarzt (BA): betreut das Unternehmen seit zwei Jahren<br />

und ist auch BA für den Mutterkonzern.<br />

Entwicklungsstand und Meilensteine der betrieblichen Gesundheitspolitik<br />

Entwicklungsstand im Fallstudienunternehmen<br />

Der Fallstudie liegt die Besonderheit zugrunde, dass es zwei ausgefüllte Vorabfragebögen –<br />

von Vorstands- und von Betriebsratsseite – gibt. Im Folgenden werden die wichtigsten An-<br />

gaben aus den beiden Fragebögen zusammengefasst bzw. gegenübergestellt.<br />

Von Betriebsratsseite wird angegeben, dass die Fachkraft für Arbeitssicherheit (FaSi), der<br />

BA und der Betriebsrat die Themen Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz bearbeiten.<br />

Von Vorstandsseite wird ergänzt, dass sich auch die Personalabteilung – und damit der Vor-<br />

stand – sowie eine Projektgruppe BGM auf Konzernseite hiermit befassen. Auch werden von<br />

der Vorstandsseite mehr Weiterbildungsangebote für die Qualifizierung der Verantwortlichen<br />

angegeben.<br />

Auch hinsichtlich der Aktivitäten zur Arbeitssicherheit existieren unterschiedliche Einschät-<br />

zungen. Unterweisungen und Begehungen werden laut Angaben des Vorstandsfragebogens<br />

regelmäßig durchgeführt. Laut Betriebsratsfragebogen gibt es keine regelmäßigen Unterwei-<br />

sungen und nur zum Teil regelmäßige Begehungen. Offensichtlich gibt es verschiedene Auf-<br />

fassungen über den Begriff der Regelmäßigkeit, denn die von Betriebsratsseite aus angege-<br />

bene Frequenz der Begehungen ist kürzer (jährlich) als die von der Vorstandsseite aus an-<br />

gegebene (alle zwei Jahre).<br />

Homogener sind die Angaben zur Gefährdungsbeurteilung (GB). Im Betriebsratsfragebogen<br />

wird allerdings angeführt, dass nur die psychosozialen Belastungen erhoben werden und die<br />

regelmäßige Durchführung der GB nicht bereits gängige Routine, sondern geplant ist. Beide<br />

Seiten geben an, dass es kein integriertes Arbeitsschutzmanagementsystem gibt. Differen-<br />

zen bestehen bei der Einschätzung des BEM. Nach Vorstandsangaben gibt es das BEM<br />

146


ereits und soll in Zukunft lediglich systematisiert werden. Nach dem Betriebsratsfragebogen<br />

soll das BEM erst noch eingeführt werden.<br />

Eine Verankerung von Gesundheitsthemen im Unternehmensleitbild wird in beiden Fragebö-<br />

gen verneint. Laut Vorstandsfragebogen besteht aber eine schriftliche Festlegung durch den<br />

Mutterkonzern in Form einer Definition zur Betrieblichen Gesundheitsförderung (BGF). Au-<br />

ßerdem werden durch den Vorstand Schulungsangebote zum Thema Gesundheit für die<br />

Führungskräfte angegeben, nicht aber im Betriebsratsfragebogen. Von beiden Seiten wird<br />

konstatiert, dass das Thema Gesundheit derzeit nicht Bestandteil des Stellenprofils von Füh-<br />

rungskräften ist.<br />

Als Entscheidungs- bzw. Beratungsgremium wird einstimmig der Arbeitsschutzausschuss<br />

(ASA) angeführt (Zusammensetzung: BA, Standortverantwortlicher, Hausmeister, ein Kolle-<br />

ge aus dem Gesundheitsausschuss) – im Vorstandsfragebogen wird zusätzlich die BGM-<br />

Projektgruppe des Mutterkonzerns benannt. Unterschiedlich bewertet wird zudem die Exis-<br />

tenz eines Gesundheitsbeauftragten (Vorstandsfragebogen: ja, Betriebsratsfragebogen:<br />

nein) und die koordinierende Stelle der Aktivitäten zum Arbeits- und Gesundheitsschutz. Der<br />

Vorstandsfragebogen gibt hier die FaSi an. Im von der Betriebsratsseite ausgefüllten Frage-<br />

bogen wird die Zuständigkeit für den „physischen Gesundheitsschutz“ beim ASA verortet.<br />

Die Verantwortung für den „psychischen Gesundheitsschutz“ müsse noch ausgearbeitet<br />

werden.<br />

Gesundheitszirkel und ein eigenes Budget für das BGM gibt es nach Angaben beider Frage-<br />

bögen nicht. Rückkehrgespräche sind geplant (Vorstandsfragebogen) bzw. nicht existent<br />

(Betriebsratsfragebogen). Ein institutionalisiertes BGM wird nur von Vorstands-, nicht aber<br />

von Betriebsratsseite aus gesehen. Unsicherheiten bezüglich der Frage, ob Ist-Analysen<br />

durchgeführt werden, scheint es auf beiden Seiten zu geben. Beim Betriebsratsfragebogen<br />

ist das angekreuzte Ja mit einem Fragezeichen versehen, im Vorstandsfragebogen wird ein<br />

Verfahren zur GB benannt – ebenfalls mit einem Fragezeichen. Gleiche Angaben werden zu<br />

vorhandenen Kennziffern (Fehlzeiten), zum Vorhandensein eines Gesundheitsberichts<br />

(Nein) und einer Gesundheitsberichterstattung (Nein) gemacht. Im Vorstands- sind im Ver-<br />

gleich zum Betriebsrätefragebogen mehr BGF-Maßnahmen benannt, die sich in der Planung<br />

befinden. Variierende Angaben finden sich auch hinsichtlich der Partizipation der Beschäftig-<br />

ten in der betrieblichen Gesundheitspolitik. Während im Vorstandsfragebogen das Intranet<br />

und nicht näher erläuterte Feedbackfunktionen angegeben werden, ist die Partizipation laut<br />

Betriebsrätefragebogen durch Betriebsbegehungen, Einweisungen und im Rahmen der GB<br />

der psychischen Belastungen möglich.<br />

Als aktuelle Projekte werden beiderseits die Durchführung der GB und das Konzernprojekt<br />

BGM angeführt. Beide Seiten sind auch der Meinung, dass die durchgeführten Aktivitäten<br />

147


einer Erfolgskontrolle unterliegen. Allerdings ist man nur auf Vorstandsseite der Meinung,<br />

dass die Zielerreichung der betrieblichen Gesundheitspolitik regelmäßig bewertet und darü-<br />

ber hinaus die BGM-Strukturen einer Qualitätsbewertung – mit einer sich in Bearbeitung be-<br />

findenden Systematik – unterzogen werden.<br />

Für die Vorstandsseite ist eine klar formulierte Strategie des Betriebsrats nicht zu erkennen –<br />

laut Betriebsratsfragebogen gibt es jedoch eine solche Strategie, die bezogen auf einzelne<br />

Bestandteile (z. B. BEM) noch weiter ausformuliert werden soll. Auch schreibt man sich als<br />

Betriebsrat die Initiierung verschiedener Aktivitäten auf dem Feld Arbeit und Gesundheit zu<br />

(z. B. GB). Laut Angaben aus dem Vorstandsfragebogen sind entsprechende Aktivitäten<br />

„nicht bekannt“ (in den Vorstandsinterviews wird die initiierende Funktion des Betriebsrats<br />

bei der GB aber bestätigt). Der Betriebsrat bestimmt nach diesem Fragebogen bei der Aus-<br />

wahl des Verfahrens zur GB, der Besetzung der FaSi und des BA aktiv mit. Im Betriebsrats-<br />

fragebogen wird nur eine aktive Mitbestimmung bei der Auswahl des Verfahrens zur GB an-<br />

gegeben.<br />

Zusammengefasst lassen sich erhebliche Unterschiede in der Beantwortung des Vorabfra-<br />

gebogens identifizieren. Herausgehoben werden kann, dass es offensichtlich differierende<br />

Ansichten darüber gibt, ob es in dem Unternehmen bereits ein institutionalisiertes BGM gibt.<br />

Meilensteine<br />

Aus den Interviewaussagen lassen sich drei wesentliche Meilensteine ableiten, die die Ent-<br />

wicklung der betrieblichen Gesundheitspolitik in den letzten Jahren geprägt haben.<br />

Ein Meilenstein ist der Umstrukturierungsprozess des Versicherungsunternehmens, der al-<br />

lerdings nicht unter dem Aspekt der Gesundheitsförderung, sondern vielmehr unter dem Ge-<br />

sichtspunkt der wirtschaftlichen Existenzsicherung des Unternehmens bzw. der einzelnen<br />

Versicherungszweige ablief. Ziel ist nach Angaben eines Interviewten die Etablierung der<br />

Gesellschaften als Spezialversicherer, die sich durch ihren Außen- und Kundendienst und<br />

„preis-werte“ (bewusst mit Bindestrich formuliert) Produkte auszeichnen sollen. Gleichzeitig<br />

mussten die AGen verschiedene interne EDV-Systeme des Mutterkonzerns übernehmen.<br />

Außerdem wurde der Standort der Krankenversicherung AG aufgegeben und in den Standort<br />

der Lebensversicherung AG integriert. Die vielfältigen Veränderungen brachten nach Mei-<br />

nung aller Befragten auch gesundheitliche Belastungen mit sich, die einerseits aus fusions-<br />

bedingten Zukunftsängsten und andererseits durch das Erlernen neuer Systeme und Ar-<br />

beitsweisen resultierten.<br />

Der Betriebsrat griff auf einer Betriebsversammlung Ende des Jahres 2007 schließlich das<br />

Thema Stress am Arbeitsplatz bzw. psychische Belastungen auf, womit ein zweiter Meilen-<br />

stein eingeleitet und im Rahmen der GB bearbeitet wurde. Hierzu wurde unter Rückgriff auf<br />

externe Unterstützung ein zweistufiges Verfahren verwendet, das auf die Ermittlung und den<br />

148


Abbau psychischer Fehlbelastungen abzielt (Ablauf: a. Fragebogen zur Erhebung persönli-<br />

cher Belastungsschwerpunkte, b. Festlegung von Schwerpunktthemen durch<br />

Entscheiderkreis, bestehend aus zwei Betriebsräten und zwei Vorstandsmitgliedern, c.<br />

Durchführung von moderierten Gruppenarbeiten, d. Umsetzung von Maßnahmenvorschlä-<br />

gen, e. Wirkungsbeurteilung).<br />

Der Vorstand habe nach eigenen Aussagen mit diesem – von ihm als neutral und objektiv<br />

bezeichneten – Verfahren die Chance gesehen, über die GB „nachhaltige Veränderungspro-<br />

zesse“ anzustoßen, mit denen das Thema Gesundheit zwar stark verbunden ist, aber der<br />

Begriff der Gefährdung gar nicht im Vordergrund stehen muss. Schließlich gehe es auch um<br />

die Verbesserung des positiven Miteinanders. Zudem habe man sich gegen eine GB sowie-<br />

so nicht wehren können, da sie eine gesetzliche Verpflichtung darstelle („Gefährdungsanaly-<br />

se ist ein Muss-Projekt“. „Wir haben einfach gesagt: Wir müssen es machen“.).<br />

Aus dem Verfahren resultierten u.a., wie den Interviews entnommen werden kann, Verände-<br />

rungen des Work-Flow-Managements. Auch bei der Telefonsteuerung wurden ungleiche<br />

Belastungen ausgeglichen. Weitere Projekterfolge können verschiedenen Unternehmens-<br />

darstellungen entnommen werden: z. B. effektivere Arbeits- und Informationsprozesse, Ver-<br />

besserungen in den EDV-Anwendungen, ein intensiverer Informationsaustausch und die<br />

Erfüllung gesetzlicher Anforderungen. Einzelne Interviewaussagen legen allerdings auch<br />

Schwierigkeiten offen, z. B. die Einbeziehung bzw. Gewinnung der Führungskräfte, das Fin-<br />

den von Lösungen im Kontext schwieriger und nicht zu verändernder Rahmenbedingungen<br />

sowie die daraus folgende Zurückhaltung, bleibende Missstände tatkräftig anzugehen. In<br />

einer weiteren Unternehmensdarstellung wird zusätzlich hervorgehoben, dass die GB nur<br />

der erste Schritt in einem Prozess gewesen sein könne, in dem die Belegschaft zukünftig ein<br />

neues Verhalten gegenüber ihren Arbeitsbedingungen entwickeln müsse. Insgesamt wird der<br />

Prozess der GB, dessen Gesamtkosten sich laut einer Unternehmensdarstellung auf<br />

200.000 Euro belaufen, aber von allen Interviewpartnern gelobt: „Es hat sich unter dem<br />

Strich ganz toll gelohnt“.<br />

Die Zusammenarbeit zwischen Vorstand und Betriebsrat während des oben beschriebenen<br />

Ablaufs wird von beiden Seiten als sehr gut und konstruktiv beschrieben. Schwierig sei der<br />

Prozess der GB hingegen, wie in fast allen Interviews unterstrichen, für die Führungskräfte<br />

gewesen (das „war für die was Grausiges“). In einem Interview wird die Ursache hierfür darin<br />

vermutet, dass sie sich für die Arbeitsbedingungen verantwortlich fühlen und sie den Vor-<br />

stand und den Betriebsrat als Einheit mit gleichen Forderungen erlebt hätten („Da stimmt die<br />

Welt nicht mehr“.).<br />

Ein dritter Meilenstein zeichnet sich aus den Aktivitäten zur Gesundheitsförderung ab, die<br />

der Mutterkonzern anstößt. Hierzu zählen u.a. die Förderung von Mitgliedschaften in Fit-<br />

149


nessstudios, die Bezuschussung von Präventionskursen, Angebote in den Bereichen Bewe-<br />

gung, Ernährung und Stressbewältigung durch externe Anbieter, die interne Führungskräfte-<br />

betreuung bezüglich des Umgangs mit Stress-, Führungs- und Gesundheitsfragen sowie das<br />

Angebot eines regelmäßigen Gesundheits-Check-Ups für Führungskräfte. Alle Angebote<br />

sollen in der Zukunft auch für das Fallstudienunternehmen zugänglich gemacht werden bzw.<br />

sind es bereits in Teilen. Das Angebot wird von allen Befragten grundsätzlich begrüßt. Prob-<br />

leme scheint es aber bei der konkreten Umsetzung dieser überwiegend auf die Verhaltens-<br />

prävention ausgerichteten Maßnahmen zu geben, z. B. gibt es in der Nähe des Fallstudien-<br />

unternehmens offensichtlich kein entsprechend zertifiziertes Fitnessstudio.<br />

Bewertung der betrieblichen Gesundheitspolitik<br />

Die betriebliche Gesundheitspolitik aus Sicht der Interviewpartner<br />

Die Interviews mit den Vorständen lassen folgendes Bild der betrieblichen Gesundheitspolitik<br />

erkennen: Der klassische Arbeits- und Gesundheitsschutz ist seit vielen Jahren etabliert,<br />

wenngleich es immer wieder Nachbesserungsbedarf gäbe. Auch habe sich die betriebliche<br />

Gesundheitspolitik während der Phase der Umstrukturierung hauptsächlich auf diesen klas-<br />

sischen Bereich beschränkt und befinde sich derzeit in einer Entwicklungsphase, zu der es<br />

einen jährlichen Planungsprozess im Mutterkonzern gäbe. In der Vergangenheit seien im<br />

Fallstudienunternehmen die Standards (z. B. in der Ergonomie) erfüllt worden. Darüber hin-<br />

aus habe es von der Belegschaft selbst organisierte Aktionen (z. B. Fußballspielen) gege-<br />

ben, aber keine standardisierten Maßnahmen. Der ASA tage regelmäßig. Die Externalisie-<br />

rung der FaSi, die beim Mutterkonzern angesiedelt ist und nicht am ASA teilnimmt, wird prin-<br />

zipiell als richtig erachtet. Zugestanden wird, dass dadurch allerdings die Umsetzung von<br />

Maßnahmen in Einzelfällen längere Zeit beansprucht.<br />

Der Mutterkonzern – im Wesentlichen die Personalabteilung – wird als der zentrale Gestalter<br />

der betrieblichen Gesundheitspolitik eingestuft. Hier sei ein BGM-Konzept entwickelt worden,<br />

das die Konzeption eines eigenen BGM-Strategiepapiers überflüssig mache und aus dem<br />

sukzessive Angebote der BGF abgeleitet würden. Diese sollen, sofern sie sich im Mutterkon-<br />

zern als erfolgreich herausstellen, mit einer gewissen Zeitverzögerung und unter Einbindung<br />

der maßgeblichen Akteure (u.a. Betriebsrat) im eigenen Unternehmen implementiert werden.<br />

Für die dauerhafte Konzipierung eigener Maßnahmen sei das Unternehmen zu klein („Wir<br />

sind der Tante-Emma-Laden an der Ecke“.). Als Vorstand sei man im Fallstudienunterneh-<br />

men derjenige Akteur, bei dem die zentral geplanten Maßnahmen gebündelt und weiter vo-<br />

rangetrieben würden. Somit sei „Gesundheit (…) ein zentrales Thema“, das dezentral – also<br />

am eigenen Standort – verhandelt werden müsse. Alle bisher konzipierten Maßnahmen sei-<br />

en generell auch für das eigene Unternehmen sinnvoll.<br />

150


Verbesserungspotenzial wird u.a. im Führungs- und Kommunikationsverhalten erkannt. Den<br />

Führungskräften soll daher die Möglichkeit geboten werden, sich mit entsprechender Unter-<br />

stützung weiterzuentwickeln. Gleichzeitig werden Führungswechsel nicht ausgeschlossen,<br />

wenn z. B. der Eindruck entstehen sollte, dass sich einzelne Führungskräfte dieser Entwick-<br />

lung bewusst und aktiv verschlössen. Die individuellen gesundheitlichen Interessen der Mit-<br />

arbeiter liefen weit auseinander – angeführt werden unterschiedlichste Maßnahmen der Ver-<br />

haltensprävention. Wichtig sei es, die Rahmenbedingungen mit zu berücksichtigen, z. B.<br />

könnten keine Gesundheitskurse in den Büroräumen durchgeführt werden.<br />

Die Schilderungen des extern angesiedelten Gesprächspartners bestätigen den Eindruck,<br />

dass im Unternehmen das BGM-Konzept des Mutterkonzerns übernommen werden soll.<br />

Dieses Konzept wurde ihm in Form eines „Einzelcoachings“ vorgestellt und von ihm als „übli-<br />

ches BGM-Programm“ wahrgenommen. Die ASA-Sitzungen würden auf zwei Termine jähr-<br />

lich reduziert, was vollkommen ausreichend sei: „Was ich da erlebe, ist nichts Ungewöhnli-<br />

ches“. Es gehe um klassische Arbeitssicherheitsthemen und die Beseitigung von Mängeln,<br />

die meistens durch den Betriebsrat eingebracht werden. Psychische Belastungen seien nicht<br />

Gegen-stand der Diskussionen. Ansonsten sind dem Interviewpartner keine Strukturen im<br />

Unternehmen bekannt, die sich mit dem Thema Gesundheit auseinandersetzen – auch keine<br />

BGM-Struktur oder diesbezügliche schriftliche Vereinbarungen. Das Unternehmen sei ein<br />

„gewachsener Betrieb“ ohne große Mängel, z. B. hinsichtlich der Ergonomie oder der Be-<br />

treuung von Langzeiterkrankten: „Insgesamt habe ich den Eindruck, wenn was gemacht<br />

werden kann, dann wurde in der Vergangenheit auch schon was gemacht“.<br />

Seitens des Betriebsrats wird deutlich, dass das Thema Gesundheit lange Zeit keine über-<br />

mäßige Beachtung im Unternehmen fand – auch nicht durch den Betriebsrat – und im Prin-<br />

zip erst mit dem Aufkommen der wirtschaftlichen Schwierigkeiten zumindest einzelne Aktio-<br />

nen diesbezüglich gelaufen sind. Beispielsweise werden durch den Betriebsrat seit dem Jahr<br />

2002 keine Überstunden mehr genehmigt; aus einer Mitarbeiterbefragung zum Thema<br />

Raumluft seien keine weiteren Maßnahmen hervorgegangen. Eine Betriebsbegehung im<br />

Februar 2008 durch die FaSi des Mutterkonzerns und den BA wird als erster Schritt für Ver-<br />

hältnisprävention (u.a. ergonomische Gestaltung, Beleuchtung) betrachtet. Es wird aber als<br />

Nachteil empfunden, dass die FaSi nicht mehr wie früher im Unternehmen angesiedelt ist.<br />

Hierdurch verzögere sich die Beseitigung der z. B. bei Begehungen festgestellten Mängel<br />

(„Man hat halt das Problem, das vieles über (…) [den Mutterkonzern] läuft“.). Hinderlich für<br />

die Sanierung einzelner Arbeitszimmer sei zudem, dass das Unternehmen nicht mehr Eigen-<br />

tümer, sondern nur noch Pächter des Verwaltungsgebäudes ist.<br />

Der enge thematische Zuschnitt des ASA (Schwerpunkte Ergonomie, bauliche Vorhaben,<br />

psychischen Belastungen oder Gefährdungsbeurteilung) wird auch vom Betriebsrat be-<br />

schrieben. Als Gremium habe man darauf gedrängt, dass ASA-Treffen überhaupt stattfän-<br />

151


den. Zudem wird die Meinung vertreten, dass der ASA und der Entscheiderkreis zur Erstel-<br />

lung der GB völlig unabhängig voneinander arbeiten.<br />

Hinsichtlich der Integration Langzeiterkrankter seien frühere Eingliederungsverfahren<br />

schlecht gelaufen. Die Führungskräfte könnten dies nicht, weswegen der Betriebsrat einige<br />

Fälle übernommen habe. Über den Mutterkonzern soll es demnächst eine Betriebsvereinba-<br />

rung (BV) zum BEM geben, wobei man als Betriebsrat darauf zu achten habe, dass dies<br />

nicht zu einem versteckten Ausgliederungsmanagement werde. Weitere BVen zum Thema<br />

Gesundheit gibt es für die Bezuschussung von Brillen, zur flexiblen Arbeitszeit sowie zur<br />

Suchtproblematik. Eine umfassende BV zum Thema Gesundheit wird als sinnvoll eingestuft.<br />

Es seien aber noch keine Handlungen in diese Richtung unternommen worden.<br />

Unternehmenseigene Maßnahmen der BGF hätten sich in der Vergangenheit z. B. auf einen<br />

Gesundheitstag, interne Sportgruppen oder medizinische Angebote (z. B. Blutdruckmessun-<br />

gen) beschränkt, ohne dass diese Maßnahmen systematisch durchgeführt oder – wie bei<br />

den Betriebsbegehungen – nachgehalten worden seien. In der Vergangenheit sei durch die<br />

Belegschaft außerdem eine Reihe von sportlichen Aktivitäten nach der Arbeit organisiert<br />

worden, z. B. Tennis, Squash und Lauftreffs.<br />

Der Betriebsrat kümmere sich im Unternehmen um das Thema psychische Belastungen:<br />

„Das ist für mich Prävention“. Das vom Mutterkonzern aufgelegte BGM-Programm wird eher<br />

als eine Art Ausgleich betrachtet, der zwar gut sei, aber nicht präventiv ansetze. Es sei noch<br />

unklar, wie sich die Zukunft dieses Programms in dem eigenen Unternehmen gestalte. Je-<br />

denfalls beruhe es nicht auf einer Ist-Analyse im Unternehmen und als Betriebsrat fühle man<br />

sich in dieses Konzept noch nicht eingebunden. Für den Betriebsrat sei allerdings klar, dass<br />

man ein (eigenes) BGM im Unternehmen dauerhaft etablieren möchte. Dabei müsse die der-<br />

zeitige Dreiteilung – der klassische Arbeits- und Gesundheitsschutz, die Angebote des Mut-<br />

terkonzerns und das durch den Betriebsrat in Gang gesetzte Verfahren zur GB – überwun-<br />

den und eine Verzahnung hergestellt werden.<br />

Abgleich mit dem Referenzmodell<br />

Die konkrete Ausgestaltung der betrieblichen Gesundheitspolitik muss sich stets an den indi-<br />

viduellen Gegebenheiten und Rahmenbedingungen eines Unternehmens orientieren. Darü-<br />

ber hinaus lassen sich jedoch Mindeststandards an eine erfolgreiche betriebliche Gesund-<br />

heitspolitik formulieren (s. Kapitel 3). Diese Standards werden nachfolgend mit den vorlie-<br />

genden Informationen aus dem Vorabfragebogen und den Aussagen der verschiedenen In-<br />

terviews abgeglichen.<br />

1. Formulierung einer klaren, inhaltlichen Zielsetzung<br />

152


Auf Vorstands- bzw. Betriebsratsseite besteht insoweit Übereinstimmung, dass man das<br />

Thema Gesundheit weder in den Unternehmensgrundsätzen noch im -leitbild verankert sieht.<br />

Der Vorstand sieht allerdings eine eindeutige Orientierung in dem BGM-Konzept des Mutter-<br />

konzerns, während es im Betriebsrat offensichtlich den Wunsch nach einem eigenen BGM-<br />

Konzept gibt. Insofern kann zumindest nicht von einer von beiden Parteien getragenen all-<br />

gemeinen, über Projektziele hinausgehenden gemeinsamen Zielformulierung gesprochen<br />

werden.<br />

2. Abschluss schriftlicher Vereinbarungen<br />

Bis auf die beiden oben aufgeführten BVen (Bezuschussung von Brillen, flexible Arbeitszeit)<br />

sind bislang offenbar keine weiteren schriftlichen Vereinbarungen mit einem konkreten<br />

Gesundheitsbezug getroffen worden. Bei BVen werden nach Ausführungen in einem Inter-<br />

view die diesbezüglichen Verhandlungen grundsätzlich über den Mutterkonzern geführt. Ziel<br />

sei es, möglichst über alle Gesellschaften einheitliche BVen abzuschließen, wobei es Stand-<br />

ortspezifika zu berücksichtigen gälte. Beim Mutterkonzern gäbe es hierfür jeweils eine Per-<br />

son aus der Personalabteilung, die für die einzelnen Standorte im Rahmen der Verhandlun-<br />

gen zuständig ist.<br />

3. Einrichtung eines Lenkungsausschusses<br />

Neben dem gesetzlich vorgeschriebenen ASA hat der Betriebsrat einen Gesundheitsaus-<br />

schuss und der Mutterkonzern ein Projektteam für sein BGM-Konzept eingerichtet. Im Zuge<br />

der Erstellung und Durchführung der GB wurde ein Entscheiderkreis etabliert, der aber nicht<br />

als projektübergreifender und kontinuierlicher Lenkungsausschuss fungiert.<br />

4. Bereitstellung von Ressourcen<br />

Im Rahmen von Einzelaktionen (z. B. Gesundheitstage) und insbesondere für die Erstellung<br />

der GB werden Ressourcen in finanzieller und personeller – und damit auch zeitlicher – Hin-<br />

sicht zur Verfügung gestellt. Es existiert aber kein eigenes Budget für die betriebliche<br />

Gesundheitspolitik.<br />

5. Festlegung personeller Verantwortlichkeiten<br />

Im Betriebsrat bzw. im Gesundheitsausschuss sind einzelnen Mitgliedern gesundheitliche<br />

Schwerpunktthemen zugeordnet worden. Für die Beseitigung der in den Begehungen und im<br />

ASA identifizierten Mängel ist der Standortverantwortliche des Unternehmens zuständig.<br />

Weitere und über Projekte hinausgehende Absprachen von Zuständigkeiten konnten nicht<br />

beobachtet werden (in einem Interview wird z. B. über unklare Verhältnisse berichtet, was<br />

Kompetenzverteilung und die Umsetzung von Maßnahmen betrifft). Uneinig ist man sich of-<br />

fenbar über die Existenz eines Gesundheitsbeauftragten, was nicht für eine etablierte Fest-<br />

legung personeller Verantwortlichkeiten spricht.<br />

153


6. Qualifizierung von Experten und Führungskräften<br />

Die Durchführung der GB kann als eine Qualifizierung für die Führungskräfte begriffen wer-<br />

den. Ansonsten werden entsprechende Schulungen entweder bereits angeboten (laut Vor-<br />

standsfragebogen) oder befinden sich in der Planung (laut Betriebsratsfragebogen). Sowohl<br />

auf Vorstands- als auch auf Betriebsratsseite bildet man sich über gesundheitliche Themen<br />

weiter.<br />

7. Beteiligung und Befähigung der Mitarbeiter<br />

Neben den gesetzlich vorgeschriebenen Standards (z. B. ASA, Begehungen) gibt es in dem<br />

Unternehmen keine klassischen partizipativen Instrumente der betrieblichen Gesundheitspo-<br />

litik (z. B. Gesundheitszirkel). Im Rahmen des Projekts zur GB wurden die Mitarbeiter aller-<br />

dings – u.a. in Form von Befragungen und Workshops – eingebunden.<br />

8. Betriebliche Gesundheitsberichterstattung<br />

Es gibt derzeit weder einen Gesundheitsbericht der Krankenkassen noch eine (interne)<br />

Gesundheitsberichterstattung.<br />

9. Internes Marketing<br />

Das Thema Gesundheit ist in den vergangenen Jahren verstärkt auf die Tagesordnung von<br />

Betriebsversammlungen gesetzt worden. Über das GB-Projekt ist während der gesamten<br />

Laufzeit informiert und Marketing betrieben worden. Unklar ist, inwieweit die Aktivitäten des<br />

Mutterkonzerns im Fallstudienunternehmen bereits bekannt sind. Jedenfalls scheint die In-<br />

formationspolitik soweit gegangen zu sein, dass man von Seiten des Mutterkonzerns den<br />

Betriebsrat des Fallstudienunternehmens und den BA aufgesucht und über die Konzeption<br />

informiert hat.<br />

10. Durchführung der vier BGM-Prozesse<br />

Die Durchführung der BGM-Prozesse Diagnose, Planung, Intervention und Evaluation findet<br />

bislang höchstens im Bereich des klassischen Arbeits- und Gesundheitsschutzes – und da-<br />

mit im Rahmen der im ASA diskutierten Themenfelder – statt.<br />

11. Erfüllung gesetzlicher Anforderungen<br />

Auf Grundlage der beiden Vorabfragebögen kann die Einhaltung der gesetzlichen Anforde-<br />

rungen des Arbeitsschutzes einer groben Einschätzung nach als weitestgehend erfüllt gel-<br />

ten.<br />

12. Integration des BGM<br />

In dem Unternehmen können positive Ansätze einer integrierten Bearbeitung des Themas<br />

Gesundheit beobachtet werden. Beispielsweise berücksichtigen verschiedene Betriebsrats-<br />

154


ausschüsse – nicht nur der Gesundheitsausschuss – nach Interviewangaben zunehmend<br />

gesundheitliche Fragestellungen und mit dem GB-Projekt sind u.a. erste Schritte unternom-<br />

men worden, das gesundheitsorientierte Führungsverhalten zu verbessern. Dem steht in<br />

vielen Bereichen noch Entwicklungspotenzial gegenüber, z. B. gibt es noch keinen Gesund-<br />

heitsbericht oder eine Gesundheitsberichterstattung. Dem Anspruch der Integration könnte<br />

ein solcher Bericht erst dann gerecht werden, wenn er als Gefügeleistung in der Verantwor-<br />

tung unterschiedlicher Funktionsbereiche des Unternehmens erstellt wird.<br />

Zusammenfassend kann folgendes konstatiert werden: Auch wenn der vom Vorstand ausge-<br />

füllte Vorabfragebogen das Vorhandensein eines BGM proklamiert, kann dies aufgrund der<br />

Befunde insgesamt noch nicht bestätigt werden. Es bleiben viele Fragen offen, z. B. die Qua-<br />

lität des BGM des Mutterkonzerns und dessen Übertragbarkeit auf das Fallstudienunterneh-<br />

men. Eine reine Übertragung dieses Konzepts geht zumindest dem Betriebsrat offensichtlich<br />

nicht weit genug.<br />

Akteure und Akteurskonstellationen im BGM<br />

Die Akteure im Überblick<br />

Auf Basis der Interviews können folgende Personen bzw. Institutionen mit Einfluss auf die<br />

betriebliche Gesundheitspolitik des Fallstudienunternehmens identifiziert werden:<br />

der Vorstand, der aktiv bei Projekten mitarbeitet und eine Schnittstelle zwischen dem<br />

Fallstudienunternehmen und dem Mutterkonzern bildet,<br />

der Standortverantwortliche, dem insbesondere die Umsetzung von Maßnahmen zu-<br />

kommt, die im ASA oder bei Begehungen erarbeitet werden,<br />

die Personalabteilung des Mutterkonzerns, der ein wesentlicher Anteil an der Gestaltung<br />

des dortigen BGM-Konzepts zugesprochen wird,<br />

der extern angesiedelte BA, der zudem den Mutterkonzern betreut,<br />

die FaSi, die im Gegensatz zu früher nicht mehr dem Unternehmen, sondern dem Mut-<br />

terkonzern angehört und<br />

der Betriebsrat, der sich insbesondere über den Gesundheitsausschuss und den Vorsit-<br />

zenden für die Intensivierung der betrieblichen Gesundheitspolitik einsetzt.<br />

Der Betriebsrat<br />

Der Betriebsrat in der Eigenwahrnehmung<br />

In einem Interview wird ein Bruch in der Betriebsratsarbeit im Jahr 1998 beschrieben. Bis<br />

dahin sei das Gremium stark mit Führungskräften besetzt gewesen und dem Unternehmen<br />

ging es wirtschaftlich sehr gut („Ihr habt die Erlaubnis Geld zu drucken“.). Als diese „guten<br />

155


Zeiten“ zu Ende gingen, sei der alte Betriebsrat ausgestiegen und die neue Besetzung muss-<br />

te sich mit den neuen Bedingungen auseinandersetzen. Dabei habe man die „superbrave<br />

Belegschaft sogar zum Streik gebracht“, obwohl es eigentlich „keine kampfbereite Beleg-<br />

schaft“ sei. Die Mitarbeiter, so die allgemeine Einschätzung, stehen sehr zum Betriebsrat.<br />

Man gehe aktiv auf einzelne Mitarbeiter zu, wenn bei ihnen gesundheitliches Fehlverhalten<br />

festgestellt werde (z. B. falsche Beleuchtung im Büro, schlechte Sitzhaltung) oder der Ein-<br />

druck entstehe, dass sie in ihrer Freizeit keine ausreichende Regeneration vom Arbeitsalltag<br />

stattfinde. Dabei sei man bemüht, nicht als „Oberlehrer für die Kollegen“ aufzutreten.<br />

Das Gesundheitsthema werde seit dem Jahr 2007 im Zuge der wahrgenommenen Arbeits-<br />

verdichtung aktiver durch den Betriebsrat angegangen und in verschiedenen Ausschüssen<br />

behandelt. Im Wirtschaftsausschuss würden beispielsweise die Mitarbeiterzahlen für die Ka-<br />

pazitätsberechnungen besprochen und dadurch sei Gesundheit hier ein Randthema. Auch<br />

der Personalentwicklungsausschuss verknüpfe Aspekte wie die Berufsbildungsbedarfsanaly-<br />

se mit dem Thema Gesundheit. Es gebe darüber hinaus keine Konkurrenz, sondern eher<br />

eine sehr gute Zusammenarbeit mit dem Gesundheitsausschuss, obwohl es so gut wie keine<br />

Personalunion in den Ausschüssen gebe. Der Gesundheitsausschuss sei als vorrangigster<br />

Akteur beim Thema Gesundheit bewusst aufgestockt worden, um sich noch intensiver um<br />

die verschiedenen Facetten kümmern zu können. Eine Fraktion stelle mit dem Schwerpunkt<br />

Arbeits- und Gesundheitsschutz den „Wachdienst“ dar. Eine zweite Fraktion, u.a. der Be-<br />

triebsratsvorsitzende, kümmere sich um das Thema psychische Belastungen, welches ein-<br />

stimmig als die größere Herausforderung betrachtet wird. Hierzu habe man sich auch mit<br />

dem Betriebsrat des Mutterkonzerns ausgetauscht und festgestellt, dass man dort mit ähnli-<br />

chen Problemen zu kämpfen habe. Allerdings ist der dortige Betriebsrat einer Interviewaus-<br />

sage nach in Sachen GB noch nicht so weit wie man selbst, was mit der Vielzahl der dort<br />

vorhandenen Betriebsratsgremien und dem mächtigen Gesamtbetriebsrat erklärt wird („Ihr<br />

habt die Gegner in den eigenen Reihen“.). Die Situation im eigenen Unternehmen sei dage-<br />

gen viel transparenter. Die Ergebnisse der Ausschussarbeit würden anschließend im gesam-<br />

ten Gremium diskutiert. Dort – weniger im Gesundheitsausschuss – seien weiterhin die Re-<br />

sultate aus der GB erörtert worden.<br />

Ein Interviewpartner beschreibt den Betriebsrat als „sehr konflikterprobt“ (z. B. Gang vor die<br />

Einigungsstelle beim Interessenausgleich über Sozialpläne oder ein Prozess vor dem Ar-<br />

beitsgericht zur Arbeitszeit – „Mal gewinnt man, mal verliert man“.). Einen größeren Konflikt<br />

mit dem Vorstand habe es aber seit längerem nicht gegeben, obwohl man als Betriebsrat<br />

initiativ und als treibende Kraft Dinge anspreche, die aus der eigenen Sicht als kritisch ein-<br />

gestuft werden (z. B. die Lastverteilung der Arbeit und das Work-Flow-Management). Grund-<br />

sätzlich sei man aber an einem einvernehmlichen Vorgehen (der Begriff des Co-<br />

Managements wird in einem Interview bewusst gemieden) mit dem Vorstand interessiert.<br />

156


Von ihm werde man wiederum um Stellungnahmen bzw. Meinungsäußerung gebeten – es<br />

sei ein offener Umgang miteinander und ein „Hand in Hand agieren“.<br />

Als Grundmotivation für das betriebsrätliche Handeln – insbesondere für das gesundheitliche<br />

Engagement – werden in einem Interview der Wunsch nach einem menschenwürdigen Le-<br />

ben und die Lust am Leben aufgezählt. Im Sinne der Verhältnisprävention gehe es um die<br />

gesundheitsgerechte Gestaltung der arbeitsbedingten Einflüsse und im Sinne der Verhal-<br />

tensprävention um die Verankerung eines Gesundheitsbewusstseins bei den Mitarbeitern.<br />

Das Ziel wird als „unbeschwertes Arbeiten“ umschrieben. Gesundheit werde für den Be-<br />

triebsrat ein Hauptthema in den nächsten Jahren sein, wobei die jetzt einzuleitenden Schritte<br />

nach der Erstellung der GB für den Betriebsrat noch nicht geklärt seien. Das Thema Ge-<br />

sundheit stehe erst am Anfang und es müsse geguckt werden, welche weiteren Handlungs-<br />

felder sich daraus ergäben und welcher Strukturen es bedürfe. Dabei könnten die BGF-<br />

Angebote des Mutterkonzerns „parallel mitgenommen“ werden, sie reichten allein aber nicht<br />

aus („Wir wollen schon an den Kern der Dinge ran“.).<br />

Um das Thema Gesundheit weiter voran zu bringen, seien sowohl strategische als auch ope-<br />

rative Kompetenzen erforderlich. Der größere Bedarf wird in einem Interview aktuell bei den<br />

operativen Kompetenzen gesehen. Diesbezüglich sei es wichtig, externen Sachverstand<br />

hinzuzuziehen, da man sich bei den facettenreichen und branchenspezifischen Fachthemen<br />

trotz Weiterbildung (u.a. beim DGB, IFB) nie hinreichend qualifizieren könne. Der Betriebsrat<br />

müsse Experten reinholen und brauche die Erfahrung anderer, um nicht jede Erfahrung<br />

selbst machen zu müssen („Wir können nicht jeden Fehler selbst machen“.). Das Qualifizie-<br />

rungsangebot wird als ausreichend empfunden („Wir schöpfen da eigentlich aus dem Vol-<br />

len“.). Unterschiedliche Anbieter seien für die Kompetenzentwicklung beim Thema Gesund-<br />

heit verantwortlich. Weiterhin wird ein branchenspezifischer Erfahrungsaustausch als förder-<br />

lich eingeschätzt. Der Gewerkschaftsbezug ist bei den Gesprächspartnern unterschiedlich<br />

ausgeprägt, z. B. werden die Kampagnen um das Thema „Gute Arbeit“ hinsichtlich der Rele-<br />

vanz für die eigene Tätigkeit verschieden gewertet.<br />

Die Betriebsratsarbeit ist aus Sicht der nicht freigestellten Mitglieder grundsätzlich leistbar,<br />

obwohl man mehr machen könne und die betriebsratsbedingten Abwesenheitszeiten von<br />

den Kollegen aufgefangen werden müssten, weil die Betriebsratsarbeit nicht in der Perso-<br />

nalbemessung berücksichtigt werde. Notwendig sei ein kontinuierliches Abwiegen zwischen<br />

„Seminartourismus“ einerseits und andererseits der Tatsache, dass Weiterqualifizierungen<br />

für Betriebsräte unabdingbar seien. Wünschenswert sei eine weitere Freistellung, um den<br />

Vorsitzenden entlasten zu können. Dieser arbeite aktiv in den Ausschüssen mit bzw. versu-<br />

che zumindest Ansprechpartner zu sein. Er wird als Vorsitzender mit hoher Kompetenz, aus-<br />

geprägtem Fachwissen und der Fähigkeit, Situationen einschätzen zu können, beschrieben.<br />

157


Der Betriebsrat in der Fremdwahrnehmung<br />

In zwei Interviews wird bei der Frage nach dem Betriebsrat zuerst die Person des Vorsitzen-<br />

den beleuchtet: „Wir haben intellektuell einen tollen Betriebsrat, der weiß, was er kann und<br />

was er darf“ und über eine hohe Kompetenz bezogen auf rechtliche Fragen verfüge. Weiter-<br />

hin wird die Art des Umgangs miteinander meistens geschätzt: „Wir wissen auch, dass wir<br />

manchmal Rollen ausüben und nicht in die Person hineingehen – die ist uns insofern heilig“.<br />

Weiterhin heißt es: „Heute gehen wir sehr gut menschlich miteinander um“. Ein Betriebsrats-<br />

vorsitzender habe immer eine gewisse Führungsposition. Entscheidend ist aber nach Mei-<br />

nung eines Interviewten nicht allein ein starker Vorsitzender, sondern ein Konsens im Gre-<br />

mium über Themen und Vorgehensweisen („Wenn ich an seiner Stelle wäre, würde ich mich<br />

auch fragen, wo ziehe ich mich wie weit zurück?“). In einem anderen Interview heißt es wie-<br />

derum: „Letztendlich macht er [der Vorsitzende] die Arbeit“.<br />

Es sei der Betriebsrat gewesen, der das Thema Stress am Arbeitsplatz aufgegriffen habe<br />

und dem insofern eine Treiberrolle im Themenfeld Gesundheit zukomme. Das Interesse des<br />

Betriebsrats am Thema Gesundheit insgesamt wird in einem Interview als durchschnittlich<br />

eingeschätzt. Die Durchführung der durch den Betriebsrat angeregten GB habe zu einer<br />

Verbesserung des Verhältnisses zwischen Betriebsrat und Vorstand beigetragen, weil der<br />

Prozess arbeitsorientierter geworden und nicht durch Diskussionen über Grundsatzpositio-<br />

nen geprägt gewesen sei. Diese enge Kooperation sei eine „Gradwanderung für die Be-<br />

triebsratsseite“ gewesen. Die überschaubare Größe des Gremiums wird als ein Vorteil für<br />

den gegenseitigen Umgang eingeschätzt („Konzerne leiden darunter, dass sie zentrale und<br />

dezentrale Strukturen haben“). Es sei generell „unwahrscheinlich wichtig, dass Vertrauen da<br />

ist“. Während der Phase der wirtschaftlichen Umstrukturierung hätten die Vorstands- und die<br />

Betriebsratsseite hart „gefightet“ und für die jeweilige Seite etwas herausgeholt. Dabei hätten<br />

auch seitens des Betriebsrats nicht das Gesundheitsthema, sondern vor allem Fragen der<br />

Arbeitsplatzerhaltung im Vordergrund gestanden. Streiten sei – in diesem Kontext und all-<br />

gemein – ein normaler Vorgang („Wenn es keine Konflikte gäbe, bräuchten wir keinen Be-<br />

triebsrat“.).<br />

Das Betriebsratsgremium wird „bisher immer noch als relativ einheitlich geschlossen“ erlebt,<br />

wobei sich drei bis vier Personen als Treiber identifizieren ließen. Es könne beobachtet wer-<br />

den, dass viele Themen auf den Vorsitzenden übertragen würden. Der Dialog wird offen-<br />

sichtlich auf mehreren Ebenen geführt. Eine Interviewperson beschreibt, dass sie intensiver<br />

mit den jeweiligen Ausschussvorsitzenden kommuniziere, während sich ein anderer Befrag-<br />

ter eher an den Vorsitzenden wendet. Dieser trete aber selten allein gegenüber dem Vor-<br />

stand auf, obwohl das notwendige Vertrauen beiderseits vorhanden sei („Wenn Sie den Ein-<br />

druck haben, da klüngeln zwei, ist das kontraproduktiv“.). Positiv wahrgenommen wird die<br />

158


Rolle des Betriebsrats außerdem deswegen, weil über ihn Probleme aus der Belegschaft<br />

transportiert würden, so dass man als Vorstand nicht lauter Einzelgespräche führen müsse.<br />

Weiterbildungsmaßnahmen werden dem Betriebsrat zugestanden und als sinnvoll erachtet,<br />

sofern der zeitliche Aufwand für eine Schulung nicht zu groß sei und die dargebotenen Lern-<br />

inhalte intellektuell verarbeitet und kommunikativ weitertransportiert werden könnten.<br />

Seitens des Betriebsarztes werden die Personen aus dem Betriebsrat, mit denen er Kontakt<br />

hat (durch den ASA bzw. durch das räumliche Nebeneinander des Sprechstundenzimmers<br />

und des Büros des Vorsitzenden), als kompetent erlebt („Die kümmern sich darum“.). Der<br />

Kompetenzbegriff wird in strategischer Hinsicht dahingehend ausgefüllt, dass Betriebsräte<br />

versuchen sollten, so viele Mitarbeiter wie möglich produktiv im Arbeitsprozess zu halten im<br />

Interesse der Beschäftigten. In operativer Hinsicht gehe es ihm in erster Linie darum, dass<br />

grundlegende Kenntnisse über psychosomatische Vorgänge vorlägen, ohne dass sich Be-<br />

triebsräte hierzu eine tiefgehende Fachexpertise aneignen müssten („Die müssen wissen,<br />

was Stress ist, was Angst ist, wie sich Wut bemerkbar macht, was psychosomatische Symp-<br />

tome sind, was Psychodynamik ist“.). Solche psychosomatischen Prozesse sollte ein Be-<br />

triebsrat erkennen und ansprechen, nicht aber alleine lösen.<br />

Die übrigen Akteure<br />

Die übrigen Akteure in der Eigenwahrnehmung<br />

Von Vorstandsseite aus wird darauf Wert gelegt, dass man bei Veränderungsprozessen<br />

möglichst die Zustimmung der gesamten Belegschaft erhält, z. B. öffentlich über eine Be-<br />

triebsversammlung. Man selbst habe in den Umstrukturierungsprozessen der vergangenen<br />

Jahre persönliche Stresserfahrungen machen müssen, die die Sensibilisierung für die vom<br />

Betriebsrat aufgegriffene Thematik der psychosozialen Belastungen gesteigert habe. Zudem<br />

habe die eigene Erfahrung gezeigt, dass sich aktive Gesundheitsvorsorge positiv auswirke,<br />

so dass man „besser durchs Leben“ komme. Von einem für das Unternehmen relevanten<br />

Dachverband gibt es ein Zertifizierungsverfahren für ethische und gute Unternehmen. Wenn<br />

man keine Gesundheitsvorsorge anbiete, sei das negativ. Das liefere einen Zusatzanreiz, auf<br />

dem Feld der betrieblichen Gesundheitspolitik tätig zu sein.<br />

Als Vorstand habe man eher die Strategie verfolgt, über einzelne Gesundheitsangebote den<br />

Belastungssymptomen zu begegnen. Da der Betriebsrat jedoch auf die Einhaltung der recht-<br />

lichen Pflichten bestand (Durchführung der GB), habe man sich als Vorstand geschlossen<br />

auf diesen Weg eingelassen („Was Recht ist, muss Recht bleiben – und dann tun wir das<br />

auch“.). Überzeugt sei man von dem gewählten Verfahren der GB daher, weil es objektiv und<br />

neutral erscheine und als Anlass für Veränderungsprozesse diene (damit hebe es sich einer<br />

Aussage nach positiv von Befragungen ab, die im Rahmen der Gewerkschaftskampagne<br />

Faire Arbeit gemacht würden). Über das Projekt hinaus sieht sich der Vorstand als die<br />

159


Akteursgruppe, bei der die betriebliche Gesundheitspolitik – mit ihren Einflüssen vom Mutter-<br />

konzern und durch die im Unternehmen angestoßenen Aktivitäten – gebündelt bzw. koordi-<br />

niert wird. Gesundheit wird dabei nicht als Oberbegriff verwendet, sondern wird als wichtiges<br />

Element von Veränderungsprozessen beschrieben.<br />

Die grundlegende Notwendigkeit, sich in der betrieblichen Gesundheitspolitik vermehrt zu<br />

engagieren, wird vor allem in einem Vorstandsinterview hervorgehoben. Um die Fähigkeit<br />

der Mitarbeiter, ihre Arbeit nachhaltig auszuüben, zu sichern, müssten die Rahmenbedin-<br />

gungen stimmen (z. B. Ergonomie des Arbeitsplatzes, Software) und es müsste auf die sich<br />

verändernden Arbeitsbedingungen in der Versicherungsbranche (papierloses Büro, weg von<br />

körperlichen hin zu psychischen Belastungen) reagiert werden: „Der Computer hat verdichtet<br />

– einwandfrei“. Weiter heißt es: “Wir geben den Menschen am Rechner keine Erfolgserleb-<br />

nisse mehr mit“.<br />

Etwas anders werden die Schwerpunkte in dem anderen Vorstandsinterview gesetzt. Einer-<br />

seits sei die Arbeitsbelastung durch Bildschirmarbeit und das Arbeiten im virtuellen Raum<br />

erhöht, andererseits durch den technischen Fortschritt und arbeitsmedizinische Erkenntnisse<br />

gesenkt worden. Im Bürobereich seien die orthopädischen Belastungen verringert geworden,<br />

im psychischen Bereich habe sich einiges zum Negativen verändert, weil die Erwartungshal-<br />

tung der Kunden gestiegen sei („Es hält sich irgendwo die Waage“). Viele Belastungen ent-<br />

ständen zudem durch eine falsche Freizeitgestaltung („Der Deutsche guckt vier Stunden<br />

Fernsehen am Tag“). Der Begriff Gesundheit müsse insofern ganzheitlich betrachtet werden.<br />

Es gehe nicht nur um Bewegung, Ernährung und Stress, sondern zusätzlich um Wohlbefin-<br />

den und Freude am Leben.<br />

Der BA fühlt sich in seiner Funktion in dem Unternehmen akzeptiert. Aufgrund seiner Ein-<br />

satzzeiten (60 Stunden pro Jahr) bliebe nicht genug Raum, um z. B. selbst ein BGM zu initi-<br />

ieren („Ich habe da nicht die Ressourcen, ein BGM aufzubauen. Das geht überhaupt nicht“.).<br />

Er kann sich aber vorstellen, an dem Aufbau eines BGM mitzuwirken. Insgesamt kenne er<br />

die im Unternehmen handelnden Personen und die Strukturen zu wenig, um ein<br />

Akteursgefüge beschreiben zu können. Er sei nicht in die Entscheidungsabläufe zum Thema<br />

Gesundheit beim Vorstand eingebunden und habe keine größeren Konflikte zwischen den<br />

Betriebsparteien mitbekommen. Für die weitere Entwicklung in dem Unternehmen sei es für<br />

ihn am wichtigsten zu wissen, wer sein Ansprechpartner sei. Zu seinen bisherigen Tätigkei-<br />

ten gehörten die Durchführung von Sehtests, die Klärung von Fragen zur Einsatzfähigkeit<br />

einzelner Mitarbeiter und Standardbetriebsbegehungen. Auf seine Initiative hin sei außerdem<br />

eine Sprechstunde eingerichtet worden, um auf diese Weise näher an die Mitarbeiter heran-<br />

zukommen. Diese werde eher verhalten angenommen. In das Verfahren der GB sei er nicht<br />

eingebunden gewesen, er fühle sich aber deswegen nicht „außen vor“. Über den Betriebsrat<br />

soll er die Ergebnisse des Verfahrens präsentiert bekommen.<br />

160


Die übrigen Akteure in der Fremdwahrnehmung<br />

Führung, Konfliktfähigkeit und Kommunikation sind Themen bzw. Fähigkeiten, mit denen<br />

sich die Führungskräfte nach Ansicht vieler Interviewpartner in Zukunft stärker auseinander-<br />

setzen sollten („Führung ist bei uns ein ganz schlimmes Thema“.). Diese Akteursgruppe ha-<br />

be sich in der Umsetzung des GB-Verfahrens schwer getan und die damit verbundenen<br />

Chancen nicht wahrgenommen. Man hätte sie aber auch früher und intensiver in den Pro-<br />

zess einbinden sollen. Es sei die individuelle Schwäche, mit dem Instrument umzugehen,<br />

aber keine abgestimmte Strategie oder Abwehrhaltung gewesen. Laut der Ergebnisse des<br />

Verfahrens haben die Führungskräfte keinen Stress – die Einschätzung einiger Interviewper-<br />

sonen ist hingegen eine ganz andere. Bei einer solchen Einstellung sei es schwierig, über<br />

das Thema Gesundheit Veränderungsprozesse einzuleiten. Einige Führungskräfte hätten<br />

sogar eingestanden, dass der Umstrukturierungsprozess über ihre Kräfte gehe, z. B. sei<br />

deswegen im Jahr 2008 ein Abteilungsleiter ausgetauscht worden. Den Führungskräften, so<br />

eine Stellungnahme, fehle es an Wissen und Zeit, sich dem Aufgabenfeld Gesundheit zu<br />

widmen. Sie müssten begreifen, dass sie aber genau dadurch die Gesamtkraft des Unter-<br />

nehmens stärkten. Der klassischen Führungskraft fehle hierfür meist das Verständnis. Trotz-<br />

dem gäbe es einige Führungskräfte, die auf Veränderungen und Verbesserungen im Unter-<br />

nehmen fokussiert seien – eben die „gesamte Bandbreite wie bei der Gaußschen Normalver-<br />

teilung“.<br />

Die Person der FaSi wird fast nur unter dem Aspekt diskutiert, ob die Implementierung einer<br />

zentralen FaSi sinnvoll gewesen ist. Hierzu gibt es bei den Befragten unterschiedliche An-<br />

sichten. Letztlich merke man nicht, so eine Meinung, dass es die FaSi gibt. Die Zusammen-<br />

arbeit mit dem BA wird von einer Person als gut beschrieben, einem anderen Interviewpart-<br />

ner ist die Rolle des BA unklar. Über beide Funktionsträger sagt die Person: „Wenn du sie<br />

rufst, kommen sie“.<br />

Laut einer Vorstandsmeinung wird die BGM-Konzeption des Mutterkonzerns dort hauptsäch-<br />

lich von zwei Vertretern aus der Personalabteilung vorangetrieben.<br />

In einem Interview wird dem Standortbeauftragten, der im Unternehmen für die Umsetzung<br />

der Mängel aus dem ASA-Protokoll verantwortlich ist, eine hohe Bedeutung beigemessen.<br />

„Bei mir hat sich immer gezeigt: Der Akteur ist der Niederlassungsleiter“. Dies sei eine all-<br />

gemeine Erfahrung von ihm aus vielen Betrieben. In einem anderen Interview wird dem<br />

Standortbeauftragten lediglich etwas Engagement bei der Bearbeitung gesundheitlicher<br />

Themen zugesprochen.<br />

Im Vergleich mit den Führungskräften vertrete der Vorstand die Ideen der Salutogenese und<br />

des Ressourcengedankens und könne durchaus als Mitantreiber für die betriebliche<br />

Gesundheitspolitik betrachtet werden. Mit der Stressproblematik gehe er offen um. Allerdings<br />

161


habe man mit dem Vorstand auch schon Arbeitsgerichtsprozesse wegen Literaturbeschaf-<br />

fung erlebt. In einem Interview wird insbesondere ein Vorstandsmitglied gelobt: Die Person<br />

habe „eine so unglaubliche Auffassungsgabe. (…) Der ist dann so schnell dabei. (…) Der<br />

nimmt den Leuten auch jede Angst“. „Man konnte eigentlich keinen besseren finden, um das<br />

(…) [GB-Verfahren] durchzusetzen“. Es sei ein „unglaublicher Vorteil“ gewesen, dass der<br />

Vorstand nach außen, z. B. gegenüber der Berufsgenossenschaft, hinter dem Verfahren<br />

stand.<br />

In keinem Interview wird ein Akteur genannt, der aktiv gegen das Thema Gesundheit arbei-<br />

tet. Vielmehr wird die generelle Zusammenarbeit – auch unabhängig vom Gesundheitsthema<br />

– als gut bezeichnet, selbst wenn es „mal knallt“.<br />

Fazit<br />

Hinter dem Fallstudienunternehmen liegen turbulente Zeiten, die mit einem hohen Maß an<br />

Unsicherheit und großen Anforderungen an die Veränderungsbereitschaft eines jeden Ein-<br />

zelnen einhergingen. Während dieser langen Phase lag das Gesundheitsthema, wie so oft<br />

bei Umstrukturierungsprozessen, zwar nicht brach. Durch die Interviews ist jedoch der Ein-<br />

druck entstanden, dass man sich – sowohl von Vorstands- – als auch von Betriebsratsseite<br />

aus – weitestgehend auf die Erfüllung der gesetzlichen Anforderungen (z. B. ASA, FaSi, BA,<br />

Begehungen, nicht aber umfassende GB) beschränkte und diese um ein paar freiwillige und<br />

z. T. privat initiierte Sport- und Freizeitangebote ergänzte. Ein Resultat der Umstrukturierung<br />

im Unternehmen und der Entwicklung in der Versicherungsbranche ist nach allgemeiner Auf-<br />

fassung der Gesprächsteilnehmer die Zunahme der psychosozialen Belastungen. Dieses<br />

Thema ist vom Betriebsrat aufgenommen und in der Folge projektbezogen ambitioniert be-<br />

arbeitet sowie von der Vorstandsseite unterstützt worden.<br />

Fördernde und hemmende Faktoren für die betriebliche Gesundheitspolitik<br />

Als ein prinzipiell fördernder Faktor können die Punkte Respekt und Wertschätzung ange-<br />

führt werden, die sich zwischen dem Vorstand und dem Betriebsrat erkennen lassen. Durch<br />

das GB-Projekt ist hier offensichtlich eine neue Qualität der Zusammenarbeit entstanden. Ein<br />

nach außen zu eng wahrgenommenes Bündnis könnte sich aber auch als hemmender Fak-<br />

tor herausstellen, z. B. wenn sich die Führungskräfte durch diese Konstellation zu sehr in die<br />

Enge gedrängt fühlen sollten. Zudem bleibt abzuwarten, ob sich die an inhaltlichen Themen<br />

orientierte Arbeitsweise der beiden Parteien während des Projekts aufrechterhalten lässt,<br />

wenn es um die grundsätzliche Ausgestaltung eines BGM oder andere Detailaspekte, z. B.<br />

das BEM, geht. Als förderlich kann wiederum herangezogen werden, dass Vorstand und<br />

Betriebsrat durch den Umstrukturierungsprozess als konflikterprobt gelten dürften, ohne dass<br />

dabei eine Seite ihr Gesicht verloren hat.<br />

162


Eine Folge der Umstrukturierung ist, dass Aufgaben – und somit letztlich auch Kompetenzen<br />

und Macht – an den Mutterkonzern abgegeben wurden (z. B. FaSi). Gleichzeitig nimmt der<br />

Mutterkonzern größeren Einfluss auf die Geschehnisse im Unternehmen – auch mit Blick auf<br />

die betriebliche Gesundheitspolitik – womit sich gleichzeitig die Zahl der relevanten An-<br />

sprechpartner erweitert hat. Derzeit ist noch nicht ersichtlich, dass mit dieser personellen<br />

Differenzierung eine klare Übertragung von Verantwortung geschieht. Die Aussage eines<br />

Vorstandmitglieds („Gesundheit ist ein zentrales Thema“.), wobei mit „zentral“ die Verortung<br />

beim Mutterkonzern gemeint ist, steht zunächst erstmal im Gegensatz zu Äußerungen von<br />

der Betriebsratsseite, ein eigenes BGM aufbauen zu wollen. Weiterhin scheint die Integration<br />

aller Beteiligten noch nicht geklärt zu sein. Welche Aufgabe im Rahmen des BGM soll bei-<br />

spielsweise der BA übernehmen, der sich zudem fragt, wer in Zukunft sein Hauptansprech-<br />

partner sein wird?<br />

Ein förderlicher Faktor ist sicher, dass sich beide Betriebsparteien – Vorstand und Betriebs-<br />

rat – im Bereich der betrieblichen Gesundheitspolitik fortbilden. Hier wird auch zukünftiger<br />

Bedarf gesehen. Angebote und Anbieter sind bekannt. Darüber hinaus wird – von Betriebs-<br />

ratsseite aus – nicht der Anspruch erhoben, alles selbst zu können. Stattdessen wird die<br />

notwendige Expertise von extern herangeholt, wie das Beispiel der GB zeigt. Wissens-,<br />

Kompetenz- oder auch Einstellungsdefizite zum Thema Gesundheit werden hingegen bei<br />

vielen Führungskräften bemängelt. Dass es in dem Unternehmen keine Gesundheitsbericht-<br />

erstattung gibt, ist als ein weiteres Wissensdefizit nicht nur dieses Personenkreises zu be-<br />

werten. Mit der GB ist hierfür nun aber eine – sicherlich noch ausbaubare – Grundlage ge-<br />

schaffen worden.<br />

Nicht unerheblich dürfte schließlich die Frage sein, wie das Thema Gesundheit von den ein-<br />

zelnen Akteuren angegangen wird. Beim Betriebsrat lässt sich eher eine direkte Kommunika-<br />

tion über Gesundheit beobachten, seitens des Vorstands scheint das Thema Gesundheit<br />

eher ein Unterpunkt kontinuierlicher Verbesserungsprozesse zu sein.<br />

Für den GB-Prozess sind Ressourcen in einem Umfang zur Verfügung gestellt worden, von<br />

denen für zukünftige Aktivitäten in der betrieblichen Gesundheitspolitik nicht zwangsweise<br />

ausgegangen werden kann. Da es kein eigenes Budget für dieses Handlungsfeld gibt, kann<br />

immer dann mit Diskussionen über Ressourcen gerechnet werden, wenn es um Maßnahmen<br />

außerhalb der gesetzlichen Notwendigkeiten geht. Die in erster Linie BGF-geprägten Maß-<br />

nahmen des Mutterkonzerns geben Anlass zur Hoffnung, dass ein gewisses Budget für frei-<br />

willige Maßnahmen zur Verfügung steht. Mit den zeitlichen Ressourcen, die der Betriebsrat<br />

zur Bearbeitung der Gesundheitsthemen hat, scheint er sich arrangiert zu haben. D. h. aber<br />

nicht, dass diese Ressourcen tatsächlich hinreichend sind.<br />

163


Treiber bzw. Motoren für die betriebliche Gesundheitspolitik<br />

Aktivitäten, die die betriebliche Gesundheitspolitik vorantreiben, können in der Durchführung<br />

der GB und dem sich andeutenden BGM-Konzept des Mutterkonzerns identifiziert werden.<br />

Inwieweit diese Aktivitäten mit einer gewissen Nachhaltigkeit einhergehen, kann nicht beur-<br />

teilt werden. Die Einführung des GB-Verfahrens beim Mutterkonzern und bei der Sachversi-<br />

cherung AG kann aber als Zeichen dafür gedeutet werden, dass das Verfahren mit Ernsthaf-<br />

tigkeit vorangetrieben werden soll. Das BGM-Konzept des Mutterkonzerns kann zumindest<br />

als externe Irritation für das Unternehmen gewertet werden, mit der es sich – mit welchem<br />

Ausgang auch immer – auseinandersetzen muss und die entsprechenden Prozesse im Un-<br />

ternehmen auslösen kann.<br />

Hinter diesen Aktivitäten stehen handelnde Akteure – auf Betriebsratsseite ist hier vor allem<br />

der Vorsitzende zu nennen. Er ist gleichzeitig Mitglied im Gesundheitsausschuss und des<br />

Entscheiderkreises (gewesen). Ihm werden von allen Seiten hohe soziale und fachliche<br />

Kompetenzen zugesprochen. Die Eindrücke aus dem Interview lassen darüber hinaus auf<br />

eine hohe intrinsische Motivation schließen, das Gesundheitsthema im Unternehmen weiter<br />

voranzutreiben. Insofern erscheint es gerechtfertigt, ihm in diesem Prozess eine treibende<br />

Rolle zuzuschreiben.<br />

Wahrgenommener Handlungs- und Entwicklungsbedarf<br />

Aktuell stehen die Verantwortlichen des Unternehmens vor der Herausforderung, die ver-<br />

schiedenen gesundheitlichen Aktivitäten zu integrieren und sich auf ein von allen getragenes<br />

Verständnis und Konzept eines BGM sowie gemeinsame Ziele zu einigen. Dies wird zwar<br />

von Vorstandsseite schon proklamiert, kann aber anhand der Datenlage und des Abgleichs<br />

mit dem Referenzmodell noch nicht als etabliert gelten.<br />

Eine wesentliche Aufgabe scheint zu sein, die Führungskräfte für das Thema Gesundheit<br />

weiter zu öffnen und sie am Prozess und an der Ausgestaltung eines BGM teilhaben zu las-<br />

sen. Diese Einbindung kann sich insbesondere dort als wichtig erweisen, wo es um die Be-<br />

wältigung psychosozialer Belastungen geht, was allen Aussagen nach ein Handlungsfeld der<br />

Zukunft sein wird. Neben der Inanspruchnahme externer Unterstützung könnte es sich als<br />

hilfreich erweisen, hierzu und zu anderen Themenbereichen der betrieblichen Gesundheits-<br />

politik (z. B. das BEM) internes Fachwissen weiter aufzubauen, um die Themen sukzessive<br />

in Eigenverantwortung bearbeiten zu können. Der Gesundheitsausschuss hat sich diesbe-<br />

züglich, auch durch die personelle Aufstockung und die Aufteilung von Verantwortlichkeiten,<br />

auf den Weg gemacht.<br />

164


Feedback-Workshop<br />

Das Angebot eines Feedback-Workshops ist durch den Betriebsrat nicht in Anspruch ge-<br />

nommen worden.<br />

7.2.5 Fall 5: Ein BGM-Konzept auf Konzernebene kommt in den Unternehmenseinhei-<br />

ten nicht an.<br />

Eckdaten zum Unternehmen<br />

Bei dem untersuchten Unternehmen handelt es sich um ein Unternehmen der Finanzdienst-<br />

leistungsbranche, eine der größten privaten Großbanken in Deutschland mit rund 21.000<br />

Mitarbeitern und über 840 Geschäftsstellen. Das Unternehmen ist Mitglied einer Finanz-<br />

dienstleistungsgruppe, die im Wirtschaftsraum Italien, Deutschland, Österreich und Zentral-<br />

und Osteuropa mit rund 180.000 Mitarbeitern und mehr als 10.000 Filialen tätig ist.<br />

Die Zentrale des Gesamtunternehmens liegt in Süddeutschland, dort befindet sich der<br />

Stammsitz, und dort ist die überwiegende Anzahl der Mitarbeiter tätig. In Deutschland teilen<br />

sich die Aktivitäten des Unternehmens auf 23 Organisationseinheiten („Betriebe“) auf. Im<br />

Rahmen der Fallstudie wurden zwei Organisationseinheiten A und B betrachtet, die 470 bzw.<br />

400 Mitarbeiter umfassen, die sich wiederum regional auf verschiedene Filialen mit Größen<br />

ab 5 Mitarbeitern verteilen.<br />

Bei den Betriebsräten der beiden betrachteten Organisationseinheiten handelt es sich jeweils<br />

um elfköpfige Gremien, von denen jeweils die Vorsitzende freigestellt ist. In beiden Fällen<br />

wird der Betriebsausschuss zur Koordination der Aktivitäten genutzt, die Hauptlast trägt das<br />

freigestellte Mitglied. Das Thema Gesundheit ist in beiden Gremien nicht gesondert verge-<br />

ben.<br />

Auf Ebene des Gesamtunternehmens gibt es einen Gesamtbetriebsrat, der aus 32 Mitglie-<br />

dern besteht und sich aus entsandten Mitgliedern aus den Betriebsräten der Organisations-<br />

einheiten zusammensetzt. Der Gesamtbetriebsrat ist originär zuständig, wenn eine Angele-<br />

genheit das gesamte Unternehmen oder wenigstens mehrere Betriebe betrifft und nicht<br />

durch die einzelnen Betriebsräte innerhalb ihrer Betriebe geregelt werden kann. Auf Ge-<br />

samtbetriebsratsebene wurde ein vierköpfiger Arbeitskreis ‚Gesundheitsforum’ eingerichtet,<br />

deren Vorsitz eine Gesprächspartnerin hat.<br />

Für die Erstellung der Fallstudie sind die folgenden Personen interviewt worden:<br />

die Betriebsratsvorsitzende einer Organisationseinheit (freigestellt), die gleichzeitig Mit-<br />

glied des GBR und BR-Vertreterin des sogenannten Gesundheitsforums des Gesamtun-<br />

ternehmens ist (Einheit A);<br />

165


die Betriebsratsvorsitzende einer weiteren Organisationseinheit (Einheit B) sowie<br />

ein weiterer BR dieser OE, der zugleich Vertrauensmann der Schwerbehinderten ist<br />

(Einheit B).<br />

Zur besseren Lesbarkeit wird in der Fallstudie bei organisationeinheitenbezogenen Aussa-<br />

gen von Einheit A und Einheit B gesprochen.<br />

Des Weiteren konnten im Rahmen des Projektes bedauerlicherweise keine weiteren Akteure<br />

für die Teilnahme an einem Interview bewegt werden.<br />

Entwicklungsstand und Meilensteine der betrieblichen Gesundheitspolitik<br />

Entwicklungsstand im Fallstudienunternehmen<br />

Auf Ebene des Gesamtunternehmens gibt es ein Gesundheitsmanagement (unternehmens-<br />

seitig GSM abgekürzt). Dieses wird von der HR-Abteilung der Zentrale des Gesamtunter-<br />

nehmens aus gesteuert und betreut. Die Verantwortlichkeiten liegen bei dem „Leiter<br />

Gesundheitsmanagement“. Die Zielsetzung des GSM des Gesamtunternehmens ist die<br />

„gesundheitsförderliche Gestaltung von Arbeit und Arbeitsumgebung sowie die Befähigung<br />

der Mitarbeiter und Führungskräfte zum gesundheitsbewussten Verhalten und Handeln“. Ziel<br />

ist letztlich die Stärkung und Erhaltung der Leistungsfähigkeit der Mitarbeiter. Die Motivlagen<br />

zum GSM sind recht unterschiedlich und reichen von der Minderung der Krankheitsquote<br />

über die Bewältigung des demografischen Wandels bzw. den Umgang mit der älter werden-<br />

den Belegschaft hin zu Hilfestellungen für Mitarbeiter mit Mehrfachbelastungen aufgrund zu<br />

betreuender Kinder oder Familienangehöriger.<br />

Das GSM adressiert die verschiedenen Ebenen des Unternehmens, vom Gesamtunterneh-<br />

men über die Organisationseinheiten hin zur Ebene der Mitarbeiter und Führungskräfte. Als<br />

Tätigkeitsfelder des GSM werden u. a. benannt die Arbeitsmedizin, Ergonomie am Arbeits-<br />

platz, Gesundheitsförderung, psychosoziale Beratungs- und Betreuungsangebote sowie ver-<br />

schiedene Dienstleistungsangebote zur privaten Entlastung.<br />

Die Organisation des GSM erfolgt über die Personalabteilung bzw. die Abteilung Human<br />

Resources auf Gesamtunternehmensebene. Durch diese Abteilung bzw. den Leiter Gesund-<br />

heitsmanagement werden die verschiedenen gesundheitsbezogenen Abteilungen gesteuert.<br />

Hierzu gehören der betriebsärztliche Dienst, die Arbeitssicherheit, die Sozialberatung, die<br />

Abteilung Beruf & Familie sowie das Gesundheitsforum. Letzteres stellt ein weiteres Steue-<br />

rungsgremium dar und wurde im Jahr 2000 ins Leben gerufen, um dem Thema Gesundheit<br />

im Gesamtunternehmen ein höheres Gewicht zu verschaffen und entsprechende Rahmen-<br />

bedingungen zum Gesundheitsmanagement einzuführen. Hierzu treffen sich Vertreter der<br />

verschiedenen Einrichtungen des Gesamtunternehmens, die sich mit dem Thema Gesund-<br />

heit im betrieblichen Rahmen in regelmäßigen Abständen befassen. Beteiligte Akteure / Be-<br />

166


eiche sind u. a.: die Betriebsärzte, die Arbeitssicherheit, die interne Kommunikation, die So-<br />

zialberatung, der Sportclub, der Betriebsrat und die Abteilung Human Ressources (HR). Die-<br />

ser Kreis entwickelt und koordiniert Maßnahmen, Tools und Aktionen im Bereich der<br />

Gesundheitsförderung und diskutiert Fragen des Gesundheitsmanagements. Des Weiteren<br />

erfolgt hierüber die Steuerung konzernweiter Vorsorgeaktionen und die Organisation von<br />

Seminaren und Infoveranstaltungen zum Thema Gesundheit. Beispiele für Aktivitäten des<br />

Gesundheitsforums sind die Einführung von Gesundheitstagen, die zehn bis zwölf Mal im<br />

Jahr an verschiedenen Standorten stattfinden. Die Gesundheitstage bieten z. B. neben In-<br />

formationen zu "Rücken stark und gelassen“ oder „Risiko Herz-Kreislauf" auch die Möglich-<br />

keit zur aktiven Teilnahme an Angeboten oder zu persönlichen Beratungsgesprächen. Die<br />

verschiedenen Aktionsangebote werden unternehmensseitig dem Komplex Gesundheitsvor-<br />

sorge und -förderung zugeordnet. Ein aktuelles Projekt des Gesundheitsforums befasst sich<br />

mit der Stressprävention und bietet hier den Führungskräften und Teams neben Workshops<br />

zur Stressprävention ein dreiphasiges Modul und ein E-Coaching-Programm an.<br />

In den Organisationseinheiten können Angebote des GSM abgerufen bzw. in Anspruch ge-<br />

nommen werden. Dazu gibt es auf Gesamtunternehmensebene einen koordinierenden An-<br />

sprechpartner. Das GSM wird aber nicht auf die Ebene der Organisationseinheiten herunter<br />

gebrochen, sondern liefert ein Angebot, das abgerufen werden kann. Formelle Strukturen<br />

existieren lediglich auf Gesamtunternehmensebene bzw. am Ort der Zentrale des Gesamt-<br />

unternehmens.<br />

Zusätzlich gibt es im Gesamtunternehmen am Sitz der Zentrale seit vielen Jahren eine Sozi-<br />

alberatung mit 3-4 Mitarbeitern, die für alle Einheiten und Mitarbeiter zuständig ist. Sie berät<br />

laut Geschäftsbericht Mitarbeiter und ihre Angehörigen in „schwierigen Lebenssituationen“.<br />

Die Mitarbeiter werden bei der Lösung „von eigenen Problemen unterstützt und erhalten Hil-<br />

festellung in der Bewältigung von Krisensituationen“. Kontakt, so die Gesprächspartner, kann<br />

per Telefon oder Email aufgenommen werden, meistens wird der Kontakt aber über den Be-<br />

triebsrat oder auch über die Führungskraft hergestellt. Die Berater kommen bei Bedarf in den<br />

Betrieb, oder sie vermitteln Kontakte und stellen Verbindungen zu beratenden bzw. professi-<br />

onellen Stellen her. Die Inanspruchnahme der Sozialberatung ist sehr vertraulich, in etwa<br />

vergleichbar mit einem Arztgespräch. Dazu gibt es eine Betriebsvereinbarung.<br />

Den Antworten im Vorabfragebogen zufolge wurde im Unternehmen bislang keine Be-<br />

standsaufnahme zum Thema Arbeit und Gesundheit durchgeführt. Gefährdungsbeurteilun-<br />

gen finden in den betrachteten Organisationseinheiten statt, federführend sind dabei die<br />

zentrale Arbeitssicherheit und der Betriebsarzt. Es werden allerdings im Rahmen der Ge-<br />

fährdungsbeurteilung keine psychosozialen Belastungen erfasst. Für beide Organisations-<br />

einheiten existiert kein Arbeitsschussausschuss. Im Unternehmen werden punktuell Wieder-<br />

eingliederungsmaßnahmen durchgeführt und die Interviewten können konkrete Fälle benen-<br />

167


nen. Das Bestehen eines formalisierten BEM wird allerdings in beiden Einheiten verneint<br />

bzw. als nicht auf den unteren Ebene angekommen erachtet. Die verschiedenen und vielfäl-<br />

tigen Angebote zur Gesundheitsförderung wurden bereits genannt.<br />

Unterschiedlich ist das jeweilige Vorgehen in den Einheiten. Während die Interviewpartner<br />

der Einheit A angeben, bei Sicherheitsbegehungen etc. eher „außen vor“ zu sein, berichten<br />

die Interviewten der Einheit B, dass sie bei anstehenden Begehungen rechtzeitig informiert<br />

werden und diese begleiten. Auch die erstellten Protokolle werden an sie weitergeleitet.<br />

Meilensteine<br />

Ein Meilenstein in der Entwicklung der betrieblichen Gesundheitspolitik stellt die Einrichtung<br />

des Gesundheitsforums im Jahr 2000 (s.o.).<br />

Auf Ebene der betrachteten Unternehmenseinheiten sind Meilensteine auf Grundlage der<br />

geführten Interviews schwer auszumachen. Für den Betriebsrat in Einheit A stellt die eigene<br />

durchgeführte und an die gewerkschaftliche Vorgehensweise angelegte Kurzbefragung ei-<br />

nen Meilenstein dar. Ebenso wird mit einer geplanten größeren Befragung in Einheit B in<br />

dieser Einheit ein Meilenstein gesetzt.<br />

Bewertung der betrieblichen Gesundheitspolitik<br />

Die betriebliche Gesundheitspolitik aus Sicht der Interviewpartner<br />

Die Gesprächspartner bewerten die betriebliche Gesundheitspolitik überwiegend als nicht<br />

ausreichend. Es wird die Vermutung geäußert, dass vieles, was im Rahmen des GSM ge-<br />

macht wird, in den dezentralen Organisationseinheiten verloren geht. Dabei sei, so die Inter-<br />

viewpartner aus beiden Einheiten, die Wahrnehmung in den Einheiten bestimmt eine andere<br />

als in der Zentrale, und es wird zugleich auf die Unterschiede zwischen Zentrum und Peri-<br />

pherie hingewiesen. Während in der Zentrale vieles gemacht wird und bei den Mitarbeitern<br />

ankommt, steht man in den anderen Organisationseinheiten vor der Frage, wie die Angebote<br />

zu den Mitarbeitern kommen und wer dafür verantwortlich ist. Das Angebot wird als relativ<br />

groß bezeichnet, allerdings wird es nicht in einem ausreichendem Maße abgerufen, u. a.<br />

begründet mit der mangelnden Bereitschaft der Führungskräfte.<br />

Die Vertreterin des GBR im Gesundheitsforum äußert ihren Eindruck, dass es in diesem<br />

Kreis eher darum gehe, vorhandene Dinge zusammenzufassen. Jeder Bereich berichte über<br />

seine Aktivitäten und nutze das Forum zur eigenen Darstellung. Die konkrete Erarbeitung<br />

von Themen erfolge zudem eher in kleineren Gruppen. Eine gemeinsame Analyse oder<br />

Maßnahmengenerierung gebe es eher selten, allerdings seien hier die Erfahrungen noch<br />

sehr frisch. Die vom Gesundheitsforum gesteuerten Angebote und Maßnahmen werden eher<br />

im Bereich der Verhaltensprävention verortet (gesunde Ernährung, Gesundheitstage etc.).<br />

Problematisch wird gesehen, dass die Nutzung dieser Angebote durch die Führungskräfte<br />

168


und Betriebsärzte gesteuert werden soll, dies aber nicht in allen Fällen geschehe. Hier wird<br />

es als Aufgabe des Betriebsrates gesehen, insbesondere über den Kontakt zu den Betriebs-<br />

ärzten die Maßnahmen im eigenen Betrieb umzusetzen. Führungskräfte sähen sich nicht<br />

verantwortlich für das Thema Gesundheit im Unternehmen.<br />

Bei den Angeboten zur betrieblichen Gesundheitsförderung für die Organisationseinheiten,<br />

bzw. von Aktionen, die vor Ort durchgeführt werden, handelt es sich nach übereinstimmen-<br />

den Angaben der Gesprächspartner aus beiden Einheiten um vereinzelte Aktionen ohne<br />

Regelmäßigkeit.<br />

Die Vertreterin aus Einheit A vertritt die Meinung, das Unternehmen ziehe sich strikt auf sei-<br />

ne gesetzlichen Vorgaben hinsichtlich des Themas Gesundheit zurück und sie laufe deswe-<br />

gen mit ihrer eigenen Arbeit oft ins Leere. Alles darüber hinaus Gehende werde seitens des<br />

Gesamtunternehmens als freiwilliges Angebot gesehen, dass sich allerdings stark auf Ver-<br />

haltensänderungen der Mitarbeiter beziehe und somit die Verantwortung für das Gesund-<br />

heitsthema überwiegend an die Mitarbeiter delegiere.<br />

Die Sozialberatung wird insgesamt positiv beurteilt. Jedoch wird auch gesagt, dass das An-<br />

gebot der Erfahrung nach nicht allen Mitarbeitern bekannt sei. Zudem wird es kritisch bewer-<br />

tet, dass die Sozialberatung häufig nach dem Motto arbeite: „Komme einfach besser mit dei-<br />

ner Situation klar.“ Ihr Vorgehen sei es, die Leute zur individuellen Verhaltensänderung zu<br />

befähigen, ohne dass sich an den Ursachen entscheidend etwas ändere. Die Sozialberatung<br />

vertritt den Standpunkt, so die Meinung eines Interviewpartners, dass die Verhältnisse gege-<br />

ben seien und man nichts dagegen machen könne.<br />

Abgleich mit dem Referenzmodell<br />

Die konkrete Ausgestaltung der betrieblichen Gesundheitspolitik muss sich stets an den indi-<br />

viduellen Gegebenheiten und Rahmenbedingungen eines Unternehmens orientieren. Darü-<br />

ber hinaus lassen sich jedoch Mindeststandards an eine erfolgreiche betriebliche Gesund-<br />

heitspolitik formulieren (s. Kapitel 3). Diese Standards werden nachfolgend mit den vorlie-<br />

genden Informationen aus dem Vorabfragebogen und den Aussagen der verschiedenen In-<br />

terviews abgeglichen.<br />

1. Formulierung einer klaren, inhaltlichen Zielsetzung<br />

Für das Gesamtunternehmen existiert ein Leitbild, welches sehr allgemein formuliert ist und<br />

keinen Aspekt zum Thema Gesundheit enthält. Auch in der Wertecharta des Gesamtunter-<br />

nehmens wird das Thema Gesundheit nicht erwähnt. Für das BGM wird ein Leitbild formu-<br />

liert.<br />

2. Abschluss schriftlicher Vereinbarungen<br />

Es wurde keine Betriebsvereinbarung zum BGM abgeschlossen.<br />

169


3. Einrichtung eines Lenkungsausschusses<br />

Der Lenkungsausschuss wurde in Form des Gesundheitsforums eingerichtet. Dieser tagt<br />

regelmäßig. Eingebunden in das Forum sind die relevanten Akteure betrieblicher Gesund-<br />

heitspolitik inklusive Vertretern des (Gesamt-)Betriebsrates<br />

4. Bereitstellung von Ressourcen<br />

Es gibt kein festes Budget für das GSM, allerdings werden Ressourcen in Form einer Stelle<br />

zur Verfügung gestellt (s. unter 5.).<br />

5. Festlegung personeller Verantwortlichkeiten<br />

Die Verantwortlichkeiten sind bei der Abteilung HR der Personalabteilung gebündelt. Zudem<br />

wurde eine Stelle mit der Leitung des BGM betraut.<br />

6. Qualifizierung von Experten und Führungskräften<br />

Im Rahmen des GSM werden Schulungen für Führungskräfte zu bestimmten Einzelthemen<br />

angeboten, durch die die Führungskräfte für den Umgang mit Gesundheitsthemen in ihrer<br />

täglichen Arbeit qualifiziert werden sollen.<br />

7. Beteiligung und Befähigung der Mitarbeiter<br />

Die Mitarbeiter treten in den Konzeptionen zum BGM als Nachfrager bzw. Abnehmer von<br />

Angeboten und Maßnahmen auf. Zur Befähigung der Mitarbeiter werden Schulungen und<br />

Programme angeboten bspw. E-Coaching zur Stressprävention oder Nichtraucherseminare.<br />

8. Betriebliche Gesundheitsberichterstattung<br />

Eine betriebliche Gesundheitsberichterstattung gibt es weder im Gesamtunternehmen noch<br />

in den einzelnen Organisationseinheiten.<br />

9. Internes Marketing<br />

Das interne Marketing zu den Gesundheitsaktivitäten erfolgt durch die damit betraute Abtei-<br />

lung, die einzelnen Angebote werden über die internen Kommunikations- und Informations-<br />

wege des Gesamtunternehmens bekannt gemacht.<br />

10. Durchführung der vier BGM-Prozesse<br />

Es konnten in den Interviews keine Anhaltspunkte festgestellt werden, dass die vier BGM-<br />

Prozesse konsequent durchschritten werden. Eine Evaluierung erfolgt eher im Sinne einer<br />

quantitativen Übersicht über die Inanspruchnahme der Angebote und Maßnahmen.<br />

11. Erfüllung gesetzlicher Anforderungen<br />

Es muss einschränkend gesagt werden, dass aufgrund der Interviews und des Vorabfrage-<br />

bogens eine differenzierte Einschätzung hinsichtlich der Erfüllung der gesetzlichen Anforde-<br />

170


ungen nicht getroffen werden kann. Die gesetzlichen Regelungen scheinen in den betrach-<br />

teten Organisationseinheiten eingehalten zu werden. Es wird angegeben, dass eine Gefähr-<br />

dungsbeurteilung durchgeführt wird, dabei allerdings die psychischen Belastungen keine<br />

Berücksichtigung finden und auch kein separates Instrument zu ihrer Ermittlung in Anwen-<br />

dung sei. Die im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung erstellten Protokolle werden in einer<br />

Organisationseinheit an den Betriebsrat weitergeleitet, in der anderen jedoch nicht. Die Aus-<br />

stattung an Ersthelfern, Sicherheitsbeauftragten etc. scheint den gesetzlichen Anforderungen<br />

entsprechend, ebenso die Betreuung durch Fachkräfte für Arbeitssicherheit und Betriebsärz-<br />

ten.<br />

12. Integration des BGM<br />

Die im Unternehmen laufenden Prozesse der betrieblichen Gesundheitspolitik des Gesamt-<br />

unternehmens scheinen abgekoppelt von den einzelnen Einheiten zu laufen. Hier werden<br />

zwar Angebote gemacht, allerdings werden diese nicht nachhaltig implementiert.<br />

Auf Ebene der Einheiten findet eine Integration des Themas Gesundheit in die Kernprozesse<br />

der Einheiten nicht statt. Eine Pflichtenübertragung auf die Führungskräfte findet nicht statt,<br />

bspw. wird die Gefährdungsbeurteilung als „externe“ Dienstleistung der Zentrale des Ge-<br />

samtunternehmens angesehen.<br />

Akteure und Akteurskonstellationen in der betrieblichen Gesundheitspolitik<br />

Die Akteure im Überblick<br />

Im Rahmen der Fallstudie war nur ein eingeschränkter Blick auf die Akteure und Konstellati-<br />

onen möglich. Direkte Gespräche fanden lediglich mit Betriebsräten verschiedener Organisa-<br />

tionseinheiten statt.<br />

Die Betreuung durch Betriebsärzte und Arbeitssicherheitsfachkräfte wird über die Zentrale<br />

des Gesamtunternehmens gesteuert. Hier sind auch die Leitung des GSM und die Sozialbe-<br />

ratung angesiedelt. Im Rahmen der Fallstudie konnte aber kein Gespräch mit diesen Akteu-<br />

ren durchgeführt werden.<br />

Relevante Akteure sind auf Niederlassungsebene neben den Niederlassungsleitern und den<br />

Betriebsräten bzw. der Betriebsratsvorsitzenden die jeweiligen Betriebsärzte. Darüber hinaus<br />

werden die dezentrale Fachkraft sowie der Sozialdienst im Rahmen ihre Tätigkeiten als Ak-<br />

teur wahrgenommen. Ebenso ist der Steuerkreis des GSM ein Akteur, der Impulse in die<br />

Einheiten sendet.<br />

171


Der Betriebsrat<br />

Im Rahmen des Projektes wurde mit zwei Betriebsratsvertreterinnen unterschiedlicher Orga-<br />

nisationseinheiten ein Interview geführt. In beiden gibt es neben dem Betriebsausschuss<br />

keine weiteren Ausschüsse.<br />

In einer Organisationseinheit wurde durch den Betriebsrat im Jahr 2008 eine Kurzbefragung<br />

zu den Themen Stress und betriebliche Belastungen durchgeführt, an der sich etwa 50% der<br />

Mitarbeiter beteiligt haben, aus der aber zum Zeitpunkt des Interviews keine Maßnahmen<br />

erarbeitet wurden. Der Betriebsrat befindet sich hier „noch selbst im Suchprozess.“ Mit den<br />

Ergebnissen will man in einem nächsten Schritt auf den Arbeitgeber zugehen und ihn damit<br />

„konfrontieren“.<br />

Auch in dem zweiten Betriebsratsgremium wird angestrebt, eine Befragung durchzuführen.<br />

Hierbei orientiert man sich allerdings an einer größeren Befragung zum Thema Gesundheit,<br />

die in einer weiteren Organisationseinheit (in Absprache mit der Personalabteilung der Zent-<br />

rale) durchgeführt wurde. Der Betriebsrat hat zu diesem Zweck einen Arbeitskreis gegründet,<br />

der sich u. a. mit diesem und weiteren Fragebögen beschäftigt und ihn bearbeitet. Die ge-<br />

plante Befragungsaktion wurde bereits im Januar auf der Betriebsversammlung thematisiert.<br />

Allerdings wird das weitere Vorgehen durch die anstehende Wahl zunächst etwas verzögert.<br />

Der Betriebsrat in der Eigenwahrnehmung<br />

In beiden Betriebsratsgremien ist das Thema Gesundheit nicht an einzelne Personen verge-<br />

ben, sondern wird im Gesamtgremium behandelt. Es spielt dort eine wichtige, aber in Hin-<br />

blick auf andere Themen (Personalabbau, Umstrukturierung) dennoch nachgeordnete Rolle.<br />

Für die Interviewten selbst besitzt das Thema insbesondere aufgrund des Leidensdrucks in<br />

den Belegschaften aufgrund von Berichten über zunehmenden Druck, Stress und Überstun-<br />

den eine hohe Priorität.<br />

Im Betriebsrat der Einheit A herrscht grundsätzlich Einigkeit darüber, das Thema Gesundheit<br />

stärker zu bearbeiten, allerdings besteht Uneinigkeit über den Weg, der dazu gewählt wird.<br />

Während ein Teil für einen pragmatischen Weg plädiert, möchte ein anderer Teil den gesam-<br />

ten Weg und das Ziel vorgezeichnet haben und ihn ggf. vor der Einigungsstelle aushandeln<br />

lassen. Auch sind sich die Betriebsräte uneinig, wie mit den Ergebnissen der Kurzbefragung<br />

weiter verfahren werden soll, ob sie zur reinen politischen Agitation genutzt werden sollen<br />

oder dazu, Veränderungen im Unternehmen anzuschieben.<br />

Beim zugrunde gelegten Gesundheitsbegriff unterscheiden sich die interviewten Betriebsräte<br />

nicht. Hier fokussieren sie auf eine ganzheitliche Betrachtungsweise entsprechend des<br />

WHO-Begriffs. Die persönliche Motivation, sich dem Thema in der Betriebsratsarbeit stärker<br />

zu widmen, resultiert zum Teil aus eigenen Erfahrungen, zum größeren Teil aus den Erfah-<br />

172


ungen und Berichten der Kollegen in den Betrieben, die zunehmend über den herrschenden<br />

Leistungsdruck und daraus resultierende Gesundheitsprobleme (Schlafstörungen etc.) be-<br />

richten. Vielfach erfolgen die Berichte der Kollegen über ihre Arbeit unter Stress, Leistungs-<br />

verdichtung und mit Überstunden anonym.<br />

Die Gesprächspartner sehen in der Zusammenarbeit mit den Betriebsärzten eine geeignete<br />

Strategie, das Thema Gesundheit in ihren Organisationseinheiten bearbeitbar und die Aktivi-<br />

täten auch bei den Mitarbeitern bekannt zu machen. Die Betriebsrätin der Einheit A plant<br />

bspw. mit der Betriebsärztin für das Jahr verschiedene Aktionen, die durchgeführt werden<br />

sollen (bspw. Gesundheitstag, Sehtest). Andererseits fühlt sie sich nicht ausreichend infor-<br />

miert, wenn die Arbeitssicherheit die Begehungen macht und ist hier nicht eingebunden. Im<br />

Allgemeinen beklagt sie, dass die verschiedenen Aktivitäten in Einheit A nicht zusammenge-<br />

führt würden, sondern parallel abliefen. Es gebe daher keinen Überblick, welche Aktivitäten<br />

bereits vorhanden seien und welche noch fehlten. Als hilfreich wird hier erachtet, dass es<br />

auch in den Einheiten eine Stelle geben soll, die das Thema Gesundheit koordiniert.<br />

Die Betriebsräte sehen sich überwiegend als Motor des Gesundheitsthemas in ihren Organi-<br />

sationseinheiten. Dies beziehen sie sowohl auf die Vermittlung der bestehenden zentralen<br />

Angebote, als auch auf die Thematisierung der Belastungssituation der Mitarbeiter unter<br />

Gesundheitsgesichtspunkten und die Initiierung von Befragungen. In den durchgeführten<br />

bzw. geplanten Befragungen werden zudem Meilensteine der betrieblichen Gesundheitspoli-<br />

tik gesehen. Insbesondere die umfassendere Befragung in einer weiteren Organisationsein-<br />

heit wird von den Gesprächspartnern der Einheit B als möglicher Initialpunkt gesehen, eine<br />

solche Befragung auch in der Unternehmenszentrale durchzuführen und letztlich auf das<br />

Gesamtunternehmen auszuweiten. In der eigenen Einheit wurde ein Arbeitskreis zum Thema<br />

„faire Arbeit/gesunde Arbeit“ gegründet, der sich über verschiedene Fragebögen informiert,<br />

um eine eigene Befragung durchzuführen. Im Januar gab es eine Betriebsversammlung, in<br />

der die geplante Befragungsaktion thematisiert wurde. Auch von Seiten der Geschäftsleitung<br />

der Organisationseinheit gibt es eine (mündliche) Zusage, die Befragung konstruktiv zu be-<br />

gleiten. Von daher sieht der Betriebsrat gute Chancen für die Befragung. Momentan wartet<br />

der Betriebsrat jedoch mit weiteren Aktivitäten im Gesundheitsfeld bis nach der Betriebs-<br />

ratswahl im März 2010.<br />

Die übrigen Akteure<br />

Die übrigen Akteure in der Fremdwahrnehmung<br />

Der Geschäftsführung des Gesamtunternehmens wird für das Thema Gesundheit eher ein<br />

Alibi-Charakter unterstellt. Dies wird daran festgemacht, dass in einem Gesamtunternehmen<br />

dieser Größe lediglich eine Person das Thema betreut und koordiniert, der Leiter BGM. Da-<br />

rüber hinaus werden die Aktivitäten, die durchgeführt werden, als sehr arbeitgeberdominiert<br />

173


und verhaltensbezogen angesehen. Zudem wird das Thema Gesundheit seitens der Ge-<br />

schäftsführung nach Ansicht der Betriebsratsvertreterin im Gesundheitsforum nicht weiter in<br />

die Organisation hereingetragen. Als Beispiel werden insbesondere die nicht vorhandene<br />

gesundheitsbezogene Führungskultur sowie das Verhältnis der Führungskräfte und der Mit-<br />

arbeiter genannt.<br />

In den Organisationseinheiten wird das Thema Gesundheit seitens der Geschäftsführungen<br />

nicht offensiv angegangen. Die Betriebsräte sehen hier unterschiedliche Gründe. So ist es in<br />

der Einheit A die divisionale Organisationsstruktur, die eine klare Zuordnung des Themas<br />

erschwert. In der Konsequenz führt dies im Urteil der Gesprächspartnerin dazu, dass im Un-<br />

ternehmen niemand Verantwortung für das Thema Gesundheit übernimmt.<br />

In Einheit B gibt es mit dem Leiter der Einheit einen eindeutigen Ansprechpartner, der aller-<br />

dings als eher inaktiv auf dem Themenfeld bezeichnet wird. Die Geschäftsleitung nehme<br />

zwar die Vorschläge des Betriebsrates zur Gesundheitsförderung positiv auf, habe auch ihre<br />

Unterstützung bei der angedachten Befragung signalisiert, organisiere aber nichts selbst.<br />

Insbesondere in Zusammenhang mit der Diskussion um Leistungsverdichtung, Zielvorgaben<br />

und indirekte Steuerung formulieren die interviewten Betriebsräte den Eindruck, dass vieles<br />

vom Unternehmen auf die Mitarbeiter und ihr (Privat-)Verhalten geschoben werde und dass<br />

keinerlei Ansätze zu sehen seien, die Verhältnisse in der eigenen Organisation zu betrachten<br />

und gesundheitsgerecht zu gestalten (bspw. durch eine Gefährdungsbeurteilung).<br />

Positiv wird eine Aktion des Gesamtvorstandes erwähnt, der in diesem Jahr im Rahmen ei-<br />

ner Roadshow verschiedene Einheiten besucht habe. Diese Roadshow diente u.a. dazu,<br />

dass der Vorstand den Einheiten einen persönlichen Besuch abstattete, seine Vorhaben und<br />

Ziele vor den Mitarbeitern erläuterte und Schwerpunkte seiner Arbeit bekannt gab. In diesem<br />

Rahmen wurde auch das Thema Burnout angesprochen und auf die Agenda gesetzt. Dies<br />

wird so gedeutet, dass sich der Vorstand dieser Probleme durchaus bewusst ist und es somit<br />

Anknüpfungspunkte gibt – sofern es sich nicht nur um Lippenbekenntnisse handelt.<br />

Fazit<br />

Im betrachteten Unternehmen gibt es auf Gesamtunternehmensebene ein so benanntes<br />

Gesundheitsmanagement (GSM), das feste Strukturen und klare Verantwortlichkeiten be-<br />

sitzt. Im Abgleich mit dem Referenzmodell stellen sich jedoch Unterschiede heraus. Insbe-<br />

sondere wird ersichtlich, dass das GSM nicht nach den vier BGM-Prozessen (PDCA-Zyklus)<br />

arbeitet. Es ist nicht ersichtlich, auf welcher Datenbasis die Angebote und Maßnahmen ent-<br />

wickelt werden. Vieles scheint vor dem Hintergrund von Interessen der verschiedenen Abtei-<br />

lungen entwickelt. Zudem bedienen die Maßnahmen und Angebote lediglich verhaltensprä-<br />

ventive Aspekte. Eher klassische, d. h. verhältnismäßig orientierte Maßnahmen bzw. Einflüs-<br />

174


se sind nicht explizit genannt und können nur durch die Beteiligung der Fachabteilungen<br />

(Arbeitssicherheit, Betriebsärzte) angenommen werden.<br />

Es gibt zudem durch die Interviewpartner bestätigte Defizite bei der Implementierung eines<br />

einheitlichen Vorgehens auf die einzelnen Organisationsebenen. Maßnahmen und Angebote<br />

werden nur genutzt, wenn sie vor Ort abgerufen werden können. Als Treiber und dann auch<br />

als „Ausführende“ hierbei sehen sich in erster Linie die Betriebsräte, das Interesse der jewei-<br />

ligen Geschäftsleitungen hier aktiv zu werden, kann als sehr gering bezeichnet werden.<br />

Die gesetzlichen Anforderungen sind eher rudimentär abgedeckt. Es werden Gefährdungs-<br />

beurteilungen erstellt und Begehungen etc. durchgeführt. Eine aktive Einbindung der Be-<br />

triebsräte ist nicht zu erkennen, wohl aber eine Beteiligung in zumindest einer der betrachte-<br />

ten Einheiten (Teilnahme an Begehungen, Protokollverteiler).<br />

Im Unternehmen, so der Eindruck aus den Gesprächen, nimmt das Thema Gesundheit, ins-<br />

besondere das Thema psychosoziale Belastungen, resultierend aus vielfältigen Umstruktu-<br />

rierungen und zunehmenden Leistungsdruck, an Bedeutung auf beiden Seiten der Sozial-<br />

partner zu. Auf Seiten der Betriebsräte werden auf Ebene der Organisationseinheiten neue<br />

Analyseinstrumente erprobt, um die Belastungen bearbeitbar zu machen. Inwieweit diese<br />

Analyseergebnisse zu konkreten, dann vom Unternehmen implementierten Maßnahmen<br />

führen, bleibt abzuwarten.<br />

Fördernde und hemmende Faktoren für die betriebliche Gesundheitspolitik<br />

Um fördernde und hemmende Bedingungen auf der Strukturebene zu untersuchen, muss<br />

zunächst zwischen der Ebene des Gesamtunternehmens und der Ebene einzelner Unter-<br />

nehmenseinheiten differenziert werden.<br />

Betrachtet man zunächst die Ebene des Gesamtunternehmens, muss unter den fördernden<br />

Faktoren die Existenz eines Gesundheitsmanagements genannt werden. Hiermit zeigt das<br />

Unternehmen, dass es das Gesundheitsthema als ein relevantes Thema wahrnimmt und<br />

bearbeitet. In den dortigen Gremien sind die verschiedenen im Unternehmen existierenden<br />

Expertenabteilungen zusammengefasst, bspw. vereint sich im Gesundheitsforum die Kom-<br />

petenz des betriebsärztlichen Diensts, der Sozialberatung, der Arbeitssicherheit mit der der<br />

Personalabteilung und des (Gesamt-)Betriebsrates. Über das Gesundheitsmanagement<br />

werden Maßnahmenpakete entwickelt, die dann von einzelnen Unternehmenseinheiten „an-<br />

gefordert“ bzw. „abgerufen“ werden können. Allerdings handelt es sich dabei primär um ver-<br />

haltenspräventive Angebote. Darüber hinaus im Unternehmen vorhandene Daten, bspw. von<br />

Gefährdungsbeurteilungen,werden nicht systematisch für die Maßnahmenerarbeitung ge-<br />

nutzt. Vom Standpunkt der Integration kann dennoch festgestellt werden, dass die Vernet-<br />

zung und Bündelung von Expertise gut umgesetzt ist.<br />

175


Das eigentliche Strukturproblem tritt bei der Umsetzung des Gesundheitsmanagements in<br />

den einzelnen Unternehmenseinheiten auf. Es kommt kaum in sinnvoller Weise bei den Ein-<br />

heiten an. Das liegt vor allem daran, dass die Maßnahmen zur Gesundheitsförderung von<br />

den Akteuren vor Ort abgerufen werden müssen. Die örtliche Geschäftsleitung bzw. die Füh-<br />

rungskräfte zeigen diesbezüglich kaum Initiative. Das Gesundheitsmanagement ist also nicht<br />

systematisch in die gesamte Organisationsstruktur eingebettet. Einzig der Betriebsrat wird<br />

regelmäßig aktiv, um die Angebote auch umzusetzen. Somit zerfällt die auf der Ebene des<br />

Gesamtunternehmens fest verankerte Gesundheits-Infrastruktur vor Ort in seine Einzelteile.<br />

In der Summe zeigt sich ein uneinheitliches Bild nur lose miteinander verknüpfter Einzelinitia-<br />

tiven, die zudem in hohem Maße abhängig sind vom Engagement einzelner Personen, ins-<br />

besondere den Betriebsratsvorsitzenden. So verwundert es nicht, dass in den untersuchten<br />

Organisationseinheiten die betriebliche Gesundheitspolitik nicht stark ausgeprägt ist. Es fin-<br />

den einige Routinen (bspw. Begehungen) statt, und es werden einzelne Aktionen (bspw.<br />

Gesundheitstage) durchgeführt. Jedoch findet weder eine Verzahnung noch eine konzeptio-<br />

nelle Bearbeitung des Themas bspw. im Rahmen eines Arbeitsschutzausschusses statt.<br />

Dass der Betriebsrat (alleine) nicht in der Lage ist, mehr zu leisten, liegt weniger an seiner<br />

Bereitschaft zum Engagement, als vielmehr an seinen Ressourcen und seiner Stellung im<br />

Betrieb.<br />

Die Betriebsräte in den untersuchten Organisationseinheiten bestehen aus 11 Mitgliedern,<br />

wovon ein Mitglied (der bzw. die Vorsitzende) freigestellt ist. Die betriebsrätliche Arbeit lastet<br />

in erster Linie auf der freigestellten Person, das größte Problem dabei ist nach eigenen An-<br />

gaben das Zeitbudget. Als Betriebsrat sei man oft im Alltag gefangen, und bearbeite drin-<br />

gend zu erledigende Aufgaben. So wird das Thema Gesundheit zwar als ein wichtiges Hand-<br />

lungsfeld wahrgenommen, allerdings kann es aufgrund des Mangels an personellen Res-<br />

sourcen nicht konsequent verfolgt werden. Den Betriebsräten fehlt nach eigenen Angaben<br />

zurzeit ein Gesamtüberblick über den Prozess bzw. ein Konzept, wie das Thema Gesundheit<br />

optimalerweise angegangen werden kann oder sollte („Wie ist es? Wie soll es<br />

optimalerweise sein? Welche Maßnahmen sollen dafür ergriffen werden?“ Etc.). Derzeit be-<br />

finde man sich noch in einem Suchprozess. Verschärft wird das Problem durch den oben<br />

angesprochenen Strukturbruch zwischen der Zentrale und den dezentralen Einheiten. Die<br />

relevanten Prozesse sind zentralistisch (z. B. über den GBR, Gesundheitsforum, Personal-<br />

abteilung, Gesundheitsförderung, etc.) strukturiert, aber es muss vor Ort jemanden geben,<br />

der „etwas tut“.<br />

Trotz der beschriebenen Probleme ist der Betriebsrat derjenige, der diese Rolle übernimmt.<br />

Er muss somit als wichtigster Treiber gesundheitspolitischer Themen angesehen werden.<br />

Die Gründe für das hohe Engagement, vor allem der Betriebsratsvorsitzenden, liegen nach<br />

eigenen Angaben in der persönlichen Erfahrung mit Berichten aus der Belegschaft, die die<br />

176


Leistungsbedingungen und die gesundheitliche Situation im Unternehmen grenzwertig er-<br />

scheinen lassen. Zudem mangelt es an Alternativen: Andere Akteure, bspw. die Geschäfts-<br />

leitung, nehmen zwar keine Blockadehaltung ein (so lange keine großen Kosten entstehen),<br />

zeigen aber auch keinerlei Eigeninitiative. Zudem scheitern einige Vorhaben an der man-<br />

gelnden Bereitschaft der Führungskräfte, sich an der Umsetzung von Maßnahmen oder An-<br />

geboten zu beteiligen.<br />

Die Akteurskonstellation erweist sich in beiden untersuchten Unternehmenseinheiten nur als<br />

bedingt förderlich für die betriebliche Gesundheitspolitik. Herrscht in Einheit A Unklarheit<br />

über den relevanten Ansprechpartner, so ist dieser in Einheit B benennbar und scheint Akti-<br />

vitäten des Betriebsrates gegenüber nicht unaufgeschlossen zu sein. Dies wiederum stellt<br />

sich in Einheit A anders da. Auch für die Ebene des Gesamtunternehmens muss eher eine<br />

unterschiedliche Sichtweise auf die betriebliche Gesundheitspolitik angenommen werden,<br />

wobei die Trennlinie zwischen Verhältnisorientierung der Betriebsräte und Verhaltensorien-<br />

tierung der Unternehmensleitung verläuft. Der Betriebsrat der Einheit A steht zudem vor dem<br />

Problem, nicht ausreichend in die Abläufe des Arbeitsschutzes integriert zu werden. So bleibt<br />

er bei Sicherheitsbegehungen etc. eher „außen vor“.<br />

Obwohl der engagierte Betriebsrat ständig gegen hemmende Strukturen ankämpfen muss,<br />

zeigen sich Erfolge. Vor allem in den Befragungen werden Meilensteine der betrieblichen<br />

Gesundheitspolitik gesehen. Insbesondere die umfassendere Befragung in einer weiteren<br />

Organisationseinheit wird von den Gesprächspartnern der Einheit B als möglicher Initialpunkt<br />

gesehen, eine solche Befragung auch in der Unternehmenszentrale durchzuführen und letzt-<br />

lich auf das Gesamtunternehmen auszuweiten.<br />

Treiber bzw. Motoren für die betriebliche Gesundheitspolitik<br />

Wie oben dargelegt, kann die Struktur des Gesundheitsmanagements nicht für nachhaltige<br />

gesundheitspolitische Aktivitäten sorgen. Zentrale Treiber sind Einzelpersonen, hier im Be-<br />

sonderen die Betriebsräte in den einzelnen Unternehmenseinheiten. Von ihnen hängen zum<br />

einen die konkrete Ausgestaltung und der Umfang der Gesundheitsaktivitäten im Unterneh-<br />

men ab. Zum anderen liegt es an Ihnen, Impulse für ein weiteres Voranschreiten des<br />

Gesundheitsmanagements zu setzen. Die Anregung von Befragungen zur psychischen Be-<br />

lastungssituation könnte hier ein Mittel sein.<br />

Wahrgenommener Handlungs- und Entwicklungsbedarf<br />

Sinnvolle nächste Schritte können in beiden Einheiten sein, zunächst die vorhandenen Daten<br />

und Dokumente zu sichten und auf Schwachstellen hin durchzuarbeiten. Die Verortung der<br />

Verantwortlichkeiten an eine Stelle in den Einheiten und Betrauung dieser Stelle mit der Ko-<br />

ordination würde diesen ersten Schritt bestärken. Zudem könnte diese Stelle eine sinnvolle<br />

Schnittstelle darstellen zwischen betrieblicher Gesundheitspolitik vor Ort und dem GSM des<br />

177


Gesamtunternehmens. Unabdingbar sind spezifische Analysen, bspw. der psychischen Be-<br />

lastungen. Diese sollten allerdings in einem Gesamtkonzept erfolgen, das sicherstellt, dass<br />

aus der Analyse sinnvolle Maßnahmen erarbeitet werden können.<br />

Feedback-Workshop<br />

Das Angebot eines Feedback-Workshops ist durch den Betriebsrat einer Einheit in Anspruch<br />

genommen worden. Im Rahmen des Workshops wurde die Fallstudie mit den Betriebsrats-<br />

mitgliedern besprochen, und es wurde nach weiteren Strategien der betrieblichen Gesund-<br />

heitspolitik gesucht. Als Ergebnis wurden drei Ansätze erarbeitet: Positionierung des Be-<br />

triebsrates in der betrieblichen Gesundheitspolitik durch verstärkte Kommunikation mit der<br />

Belegschaft, Einforderung regelmäßiger Arbeitsschutzausschusssitzungen sowie die Durch-<br />

führung einer Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen.<br />

7.2.6 Fall 6: Vom „klassischen“ Arbeitsschutz zu Gesundheitsprojekten<br />

Eckdaten zum Unternehmen<br />

Bei dem Fallstudienunternehmen handelt es sich um ein weltweit agierendes Chemieunter-<br />

nehmen mit heute insgesamt ca. 97.000 Mitarbeitern, das in der zweiten Hälfte des 19. Jahr-<br />

hunderts in Deutschland gegründet wurde. Der untersuchte Produktionsstandort ist gleichzei-<br />

tig der größte Standort mit ca. 33.000 Mitarbeitern. Ein Drittel ist in der Produktion beschäf-<br />

tigt, ein Viertel arbeitet im Bereich Technik und die übrigen Mitarbeiter sind im Marketing, in<br />

der Forschung und Entwicklung sowie im Verwaltungs- und Dienstleistungsbereich tätig. Das<br />

Unternehmen ist in seiner Region der größte Arbeitgeber. Die Produktpalette umfasst das<br />

gesamte Spektrum der Chemieerzeugnisse. Im Wesentlichen wird für die weiterverarbeiten-<br />

de Industrie (z. B. Automobil-, Chemie-, Textil-, Bau- und Verpackungsindustrie, Landwirt-<br />

schaft, Energiewirtschaft) und nur zu einem kleinen Anteil für Endverbraucher produziert<br />

(Informationen aus Eigendarstellungen des Unternehmens).<br />

Der Betriebsrat besteht nach Interviewangaben momentan aus 53 Personen, davon sind 25<br />

freigestellte Betriebsräte. 46 Personen sind Mitglied bei der IG BCE (der gewerkschaftliche<br />

Organisationsgrad in der Belegschaft liegt nach Interviewangaben bei 70%). Die Struktur des<br />

Gremiums ist an eine Matrize angelehnt: Fachlich hat jedes Betriebsratsmitglied unterschied-<br />

liche Aufgaben in Ausschüssen und Kommissionen. Die Zugehörigkeit wird nach Möglichkeit<br />

entsprechend der Neigungen gewählt und ist langfristig angelegt. Daneben besitzt jedes Be-<br />

triebsratsmitglied eine operative Verantwortung für einen Funktionsbereich im Unternehmen.<br />

Der Betriebsrat hat zehn Ausschüsse, die sich weiter untergliedern, so dass es insgesamt<br />

über 100 Ausschüsse, Fachkommissionen und Arbeitskreise gibt.<br />

178


Im Rahmen der Fallstudie erklärten sich ausschließlich Betriebsratsmitglieder dazu bereit, an<br />

den Interviews teilzunehmen. Es fehlen somit die Sichtweisen anderer Akteure, die leider<br />

nicht bereit waren, an den Interviews teilzunehmen (geplant waren Interviews mit dem lei-<br />

tenden Betriebsarzt, der leitenden Fachkraft für Arbeitssicherheit und Vertretern aus der Per-<br />

sonal- bzw. der Geschäftsleitung). Interviewt wurden:<br />

der Betriebsratsvorsitzende (freigestellt), u.a. Mitglied im Arbeitsschutzausschuss (ASA),<br />

im gemeinsamen Umweltausschuss und im gemeinsamen Arbeitssicherheits- und<br />

Gesundheitsausschuss (ASIGU), seit dem Jahr 1990 im Betriebsrat und seit dem Jahr<br />

2000 dessen Vorsitzender;<br />

ein Betriebsrat (freigestellt), der seit dem Jahr 1996 im Betriebsratsgremium, seit dem<br />

Jahr 1998 Mitglied und seit dem Jahr 2002 Leiter des ASIGU;<br />

zwei weitere Betriebsräte (jeweils freigestellt), die aus einem anderen Unternehmensbe-<br />

reich als der Leiter des ASIGU kommen. Sie sind Mitglied u.a. im AT-Ausschuss und im<br />

europäischen Betriebsrat bzw. Mitglied im Personalausschuss. Sie sind gemeinsam in-<br />

terviewt worden, weil sie für ihren Funktionsbereich ein Gesundheitsprojekt betreut ha-<br />

ben.<br />

Alle Interviewpartner können auf eine mindestens zwei Jahrzehnte lange Unternehmenszu-<br />

gehörigkeit zurückblicken.<br />

Entwicklungsstand und Meilensteine der betrieblichen Gesundheitspolitik<br />

Entwicklungsstand<br />

Laut Vorabfragebogen zur Situation der betrieblichen Gesundheitspolitik haben sich die<br />

krankheitsbedingten Fehlzeiten und Unfallzahlen in den letzten zwei Jahren nicht verändert<br />

(in den Interviews wird jeweils von einem niedrigen Niveau gesprochen), jedoch haben die<br />

psychischen Belastungen und parallel dazu die Aktivitäten im BGM zugenommen. Ziel ist<br />

laut einer offiziellen Unternehmensdarstellung, die Reduzierung der Arbeitsunfälle und Be-<br />

rufskrankheiten bis zum Jahr 2020 weltweit um 80% gegenüber dem Jahr 2002. Für sein<br />

BGM ist das Unternehmen bereits mit Gesundheitspreisen ausgezeichnet worden bzw. hat<br />

sich in entsprechenden Rankings platzieren können.<br />

Grob zusammengefasst zeigen die Ergebnisse, so die Rückmeldung aus mehreren Inter-<br />

views, dass der Standard beim Thema Arbeitssicherheit als weitestgehend erfüllt angesehen<br />

werden kann, jedoch beim Thema Gesundheit starker Handlungsbedarf besteht. Zur Erstel-<br />

lung einer Ist-Analyse gibt es nach Angaben des Vorabfragebogens mehrere Instrumente, z.<br />

B. jährlich stattfindende Mitarbeiterbefragungen mit Gesundheitsthemen, einen jährlichen<br />

Bericht der arbeitsmedizinischen Abteilung über durchgeführte Maßnahmen sowie alle zwei<br />

Jahre einen Gesundheitsbericht, der mit Unterstützung der Betriebskrankenkasse erstellt<br />

179


wird.. Die Gefährdungsbeurteilungen werden laut Vorabfragebogen unter Einbindung der<br />

Fachkraft für Arbeitssicherheit, des Betriebsarztes und der Mitarbeiter durchgeführt, aller-<br />

dings ohne die Erfassung der psychosozialen Belastungen. Die aus der Gefährdungsbeurtei-<br />

lung abgeleiteten Maßnahmen werden hinsichtlich ihrer Umsetzung und ihrer Wirkungen<br />

dokumentiert. Die psychosozialen Belastungen werden, wie in einem Interview mitgeteilt, in<br />

einem ersten Schritt kollektiv erhoben (z. B. über Mitarbeiterbefragungen). In einem zweiten<br />

Schritt sollen, so der Interviewpartner weiter, sowohl die Führungskräfte als auch die Mitar-<br />

beiter ihre Eigenverantwortung stärker wahrnehmen, indem das Angebot an Maßnahmen zur<br />

Stressreduzierung intensiver genutzt wird. Dieses Angebot wird in einem anderen Interview<br />

als sehr umfangreich dargestellt. Es fehle bisher jedoch ein Schwerpunktthema „Gesundheit<br />

und gesundheitsförderliches Führen“.<br />

Der betriebsärztliche Dienst und die Fachkraft für Arbeitssicherheit stellen unternehmensin-<br />

tern bereitgestellte Dienste dar. Hierzu besteht laut einer Unternehmensbroschüre ein inter-<br />

nes Auditsystem, das den externen Auditierungsverfahren ISO 19011 und OHSAS 18001<br />

entspricht. Der ASA tagt nach Angaben aus dem Vorabfragebogen vier Mal jährlich, Unter-<br />

weisungen und Begehungen werden regelmäßig durchgeführt. Das ASIGU-Gremium setzt<br />

sich, wie in einem Interview berichtet, aus sieben Betriebsratsmitgliedern zusammen, die die<br />

unterschiedlichen unternehmerischen Funktionsbereiche abdecken sollen. Zu Einzelthemen<br />

sind Kommissionen gebildet worden, z. B. zur persönlichen Schutzausrüstung (PSA) und zur<br />

Gesundheitsförderung. Dem Vorabfragebogen kann entnommen werden, dass es neben<br />

dem ASA und dem ASIGU einen Arbeitskreis Gesundheit gibt, an dem das Management, der<br />

Betriebsrat, die Fachkraft für Arbeitssicherheit, der Werksarzt, die Krankenkasse und die<br />

Berufsgenossenschaft teilnehmen.<br />

In dem Unternehmen gibt es kein integriertes Arbeitsschutzmanagementsystem, keinen<br />

Gesundheitsbeauftragten oder Gesundheitszirkel. Rückkehrgespräche finden statt und es<br />

gibt weitere Module zur Wiedereingliederung (z. B. laut Interviewangabe einen Integrations-<br />

betrieb) sowie eine dazugehörige Betriebsvereinbarung, ohne dass ein BEM nach § 84 Abs.<br />

2 SGB IX existiert. Weitere Betriebsvereinbarungen sind in Vorbereitung (alle Informationen<br />

aus dem Vorabfragebogen). Insbesondere wurde in den Interviews immer wieder eine Be-<br />

triebsvereinbarung thematisiert, in der alle gesundheitlichen Themen untergebracht werden<br />

sollen, und über die seit fünf Jahren verhandelt wird. Zudem sind die Themen Sicherheit,<br />

Gesundheit und Umweltschutz in den Grundwerten bzw. den Leitlinien des Unternehmens<br />

verankert. Nach Eigendarstellungen des Unternehmens soll wirtschaftlichen Belangen kein<br />

Vorrang gegenüber Sicherheit, Gesundheits- und Umweltschutz eingeräumt werden.<br />

Schließlich steht der Belegschaft, wie sowohl durch den Vorabfragebogen als auch durch die<br />

Interviews zum Ausdruck kommt, ein umfangreiches Paket an BGF-Maßnahmen zur regel-<br />

mäßigen Verfügung, das durch permanente Sonderaktionen ergänzt wird.<br />

180


Meilensteine<br />

Als ein wichtiger, aber noch nicht erreichter Meilenstein werden die seit fünf Jahren andau-<br />

ernden Verhandlungen über eine Betriebsvereinbarung angeführt, mit der das Thema Ge-<br />

sundheit – zumindest nach dem Wunsch des ASIGU – umfassend geregelt werden soll. Be-<br />

standteil dieser Vereinbarung soll u.a. ein gesundheitsorientiertes Mitarbeitergespräch sein,<br />

das nach Auffassung eines Interviewpartners eine Art erste Gefährdungsbeurteilung auf der<br />

individuellen Ebene darstellen soll (arbeitsplatzbezogene Gefährdungsbeurteilungen ohne<br />

Erfassung psychischer Belastungen gibt es in dem Unternehmen seit zehn Jahren): „Das<br />

wäre für mich eigentlich das Ziel, das als ersten grundlegenden Schritt für eine betriebliche<br />

Gesundheitspolitik zu legen“. Mitarbeitergespräche werden bereits seit einigen Jahren<br />

durchgeführt. Diese seien aber, so die Interviewperson weiter, vor dem thematischen Hinter-<br />

grund der leistungsorientierten Entlohnung entstanden und diese Intention sei bei den Ge-<br />

sprächen noch immer mehrheitlich verbreitet.<br />

Vor ca. zwei Jahren ist durch die Personalabteilung ein Großprojekt gestartet worden, das<br />

mit seinen fünf Handlungsfeldern (u.a. Beschäftigungsfähigkeit) und 13 Teilprojekten, die<br />

teilweise schon vor dem Großprojekt gestartet waren, den Umgang mit dem demografischen<br />

Wandel bearbeiten soll. Offizielles Ziel ist es laut Eigendarstellungen des Unternehmens,<br />

diesen Wandel als Wettbewerbsvorteil zu nutzen und die Produktivität und Innovationsfähig-<br />

keit zu erhalten. Mehrere Teilprojekte haben einen inhaltlichen Bezug zum Thema Gesund-<br />

heit: Z. B. sollen die Arbeitsorganisation, die Arbeitsplatzgestaltung und der Arbeitsschutz mit<br />

Blick auf die Bedürfnisse einer alternden Belegschaft weiterentwickelt werden. Ein Teilprojekt<br />

in einem Funktionsbereich des Unternehmens hat sich explizit mit dem Thema Gesund-<br />

heitsmanagement auseinandergesetzt und kann als zweiter Meilenstein bezeichnet werden.<br />

Auf dieses Teilprojekt wird im Folgenden näher eingegangen (die Informationen stammen<br />

dabei, sofern nicht anders angegeben, aus den geführten Interviews):<br />

Das Projekt sei letztlich auf die Initiative eines Bereichsleiters zurückzuführen und beinhalte<br />

vier Themenfelder (a. metabolisches Syndrom, b. Stress, Depression, Burn-out, c. Rücken-<br />

beschwerden, d. Nichtraucherprogramm). Aus dem Projekt heraus hätten sich dann weitere<br />

Aktivitäten ergeben (z. B. Laufgruppen, Treffen zur gesunden Ernährung – „Selbstläufer“).<br />

Evaluiert wurde das Projekt anhand der Anzahl der medizinisch untersuchten Mitarbeiter,<br />

den erhobenen Diagnosen und den ausgesprochenen Empfehlungen für die Teilnahme an<br />

einzelnen Gesundheitsmodulen. Als Betriebsrat habe man für die Belegschaft in der Ver-<br />

pflichtung gestanden, dieses Thema zu begleiten. Eine besondere Gesundheitsmotivation<br />

oder eine auslösende Funktion schreibt man sich jedoch nicht zu. Die eigenen Aufgaben<br />

hätten eingangs darin bestanden, Überzeugungsarbeit und mentale Vorbereitung zu leisten<br />

(„Wir wollen die Leute aufklären und nicht zu etwas zwingen“.). Anschließend habe man sich<br />

auf die Vertrauensleute verlassen, die über die Umsetzung berichtet hätten („Wir haben es<br />

181


eigentlich laufen lassen“.). Eine Entscheidung über das weitere Vorgehen wird in den nächs-<br />

ten Monaten erwartet. Ein Roll-out der Aktivitäten würde jedoch begrüßt werden.<br />

Die Bedeutung des Tarifvertrags zum demographischen Wandel – als ggf. dritter Meilenstein<br />

– wird unterschiedlich eingeschätzt. Nach Ansicht eines Interviewpartners spielt der Tarifver-<br />

trag eine große Rolle in dem Unternehmen (z. B. für die Erstellung von<br />

Demografielandkarten und im Bereich der Weiterbildungen). In einem anderen Statement<br />

wird die Konsequenz aus dem Tarifvertrag lediglich in der Handlungsoption „Wertkonten mit<br />

dem Ziel des vorzeitigen Austritts aus dem Berufsleben“ gesehen. Und schließlich lautet eine<br />

Meinung: „Das Thema wird zum Thema Gesundheitsschutz meiner Meinung nach null An-<br />

dockmöglichkeiten geben“.<br />

Bewertung der betrieblichen Gesundheitspolitik<br />

Bewertung aus Sicht der Betriebsräte<br />

Allgemein wird dem Arbeits- und Gesundheitsschutz ein wachsender Stellenwert einge-<br />

räumt, der auf Trends wie permanente organisatorische Veränderungen, demografischer<br />

Wandel und immer kürzer werdende Innovationszyklen zurückgeführt werden könne. Zur<br />

Gesamtsituation des Gesundheitsthemas wird aber auch angeführt: „Es ist eine gewisse<br />

Ernüchterung da, dass man weiß, es gibt keine schnelle Lösung und es gibt ein schwieriges<br />

Stück Arbeit, in dem Thema etwas besser zu werden. Es gibt aber auch sicher das Ver-<br />

ständnis, dass wir an dem Thema etwas tun müssen“. Dem Arbeits- und Gesundheitsschutz<br />

übergeordnet seien die Themen Nachhaltigkeit und Transparenz als ein weltweiter Anspruch<br />

des Unternehmens, der sich insbesondere im Umweltschutz und der Arbeitssicherheit nie-<br />

derschlage. Demnach gebe es hier eine Abstufung zum Thema Gesundheit: „Erstmal muss<br />

unterschieden werden zwischen dem Thema Arbeitssicherheit und dem Thema Gesundheit.<br />

Das Thema Arbeitssicherheit wird bei uns sehr hochrangig aufgehängt, beim Thema Ge-<br />

sundheit muss jeder selbst schauen, wie er zu Recht kommt“. Entsprechend seien unfallge-<br />

neigte Arbeiten weitestgehend reduziert und die wenigen Unfälle bereite man zusammen mit<br />

der Berufsgenossenschaft auf. Ein BGM als Daueraufgabe existiere nicht – so die mehrheit-<br />

liche Auffassung. Gesundheit und Arbeitssicherheit werden als Projekte vorangetrieben, wo-<br />

bei die Verhältnisse in punkto Arbeitssicherheit in der Regel den Anforderungen entspre-<br />

chen, die gesundheitliche Situation laut Mitarbeiterbefragungen aber oft als bedenklich er-<br />

scheine. Hierzu passt eine Aussage, nach der das Thema Gesundheit noch nicht vollständig<br />

in die Unternehmensprozesse integriert ist: „Die Frage ist dann die Übertragung dieses Ma-<br />

nagementsystems wiederum in die alltägliche Arbeit. Dort sind wir mit Sicherheit, was Ar-<br />

beitsschutz angeht, weit voraus gegenüber Gesundheitsschutz“. Dies mache zudem die<br />

Auseinandersetzung mit den so genannten weichen Themen bzw. innovativen Ansätzen (z.<br />

B. gesundheitsorientiertes Mitarbeitergespräch, gesunde Führung) schwierig – sogar von<br />

182


einer Konkurrenz der beiden Handlungsfelder wird berichtet. Es mangele z. B. an Wissen,<br />

wie man Maßnahmen zur Eindämmung psychischer Belastungen im Betrieb umsetzen kön-<br />

ne. Anderseits wird die Meinung vertreten, dass die Arbeitssicherheit die Grundlage für den<br />

Arbeitsschutz darstelle. Kaum bemängelt, sondern eher positiv hervorgehoben wird der Um-<br />

fang an gesundheitsförderlichen Maßnahmen. Es fehle aber an einer Lotsenfunktion, die die<br />

Gesundheitsangebote koordiniert und dafür Sorge trägt, dass sie besser angenommen wird.<br />

Es sei ein Problem, die Angebote an den Mann und an die Frau zu bekommen, weil dafür<br />

das persönliche „Outen“ erforderlich sei und die Mitarbeiter kaum noch Platz auf ihrer „Fest-<br />

platte“ hätten. Einer Äußerung nach nimmt die Bedeutung des BEM zu und eine Implemen-<br />

tierung entsprechender Strukturen und Prozesse wird befürwortet („Ich finde es gut, wenn es<br />

richtig gemacht wird“.).<br />

Der Stellenwert des ASIGU innerhalb und außerhalb des Betriebsratsgremiums wird in ei-<br />

nem Statement als aufsteigend, aber immer noch niedrig bezeichnet. Durch die Erweiterung<br />

der Themenfelder komme es zu engeren Berührungspunkten mit den Inhalten aus anderen<br />

Betriebsratsausschüssen und dadurch auch mitunter zu Machtfragen. Der ASA sei politisch<br />

eine Stufe tiefer gehängt worden, z. B. sei nicht mehr der Arbeitsdirektor, sondern der Werk-<br />

leiter in dem Ausschuss vertreten. Unter den an der betrieblichen Gesundheitspolitik beteilig-<br />

ten Akteuren fühlten sich sowohl einzelne Führungskräfte, die Personalabteilung und die<br />

Werksärzte im Themenfeld federführend. Daneben wird bemängelt, dass eine hinreichende<br />

interdisziplinären Zusammenarbeit fehlt. Jede Disziplin (z. B. Arbeitsmedizin, Fachkraft für<br />

Arbeitssicherheit) sei für sich genommen gut aufgestellt, ohne dass vorhandene Synergien<br />

ausreichend genutzt würden. Als ein wirklicher Fortschritt wird in diesem Zusammenhang die<br />

ausstehende Verabschiedung der umfassenden Betriebsvereinbarung zum BGM eingestuft.<br />

Es wird aber auch die Meinung vertreten, dass deren Regelungsbereich eventuell zu ambi-<br />

tioniert sei und man mit einer weniger detaillierten Betriebsvereinbarung die stockenden Ver-<br />

handlungen eher wieder ins Rollen bringen könne: „Und die Frage ist, tut man ein bisschen<br />

weniger hinein und regelt das Andere sukzessive weiter“. Diese Frage diskutiere man auch<br />

in den eigenen Betriebsratsreihen. Es gehe mittlerweile längst nicht mehr nur um die Sache<br />

an sich, sondern es sei auch ein Politikum unter Personen geworden. Folglich wird in einem<br />

Interview vorgeschlagen: „Vielleicht sollte man mal jemanden aus der zweiten Verhandlungs-<br />

linie ranlassen“.<br />

Methodische Kompetenzen bezüglich des Einsatzes von Analysetools seien im Unterneh-<br />

men generell ausreichend vorhanden. Verbessert werden müssten die operativen Kompe-<br />

tenzen mit Blick auf das Ableiten und Umsetzen von Maßnahmen. Nach der kollektiven Be-<br />

trachtungsweise ist es nach Meinung eines Interviewpartners zudem notwendig, Maßnah-<br />

men bis auf das Individuum herunterzubrechen, z. B. als eine Konsequenz aus der Alters-<br />

strukturanalyse. Bei einzelnen Instrumenten wird noch Verbesserungspotenzial konstatiert.<br />

183


Beispielsweise seien Gesundheitszirkel bisher daran gescheitert, dass hier die Betriebsärzte<br />

die Führung übernehmen wollten. Auch ein vollständiger PDCA-Zyklus bei den Gefähr-<br />

dungsbeurteilungen sei noch nicht immer gewährleistet und die Erhebung psychischer Be-<br />

lastungen noch nicht integriert.<br />

Unabhängig vom Thema Gesundheit wird es als eine allgemeine Stärke des Unternehmens<br />

angeführt zu analysieren, daraufhin Projekte hochzufahren, zu initialisieren und durchzufüh-<br />

ren. Weniger gut sieht es laut Aussage eines Interviewten mit der Nachhaltigkeit aus: „Ein<br />

Feuer anzustecken ist einfach, aber es am Brennen zu halten ist schwierig“. Es bliebe zwar<br />

immer „etwas hängen“, aber es könnte mehr aus den Projekten herausgeholt werden.<br />

Abgleich mit dem Referenzmodell<br />

Die konkrete Ausgestaltung der betrieblichen Gesundheitspolitik muss sich stets an den indi-<br />

viduellen Gegebenheiten und Rahmenbedingungen eines Unternehmens orientieren. Darü-<br />

ber hinaus lassen sich jedoch Mindeststandards an eine erfolgreiche betriebliche Gesund-<br />

heitspolitik formulieren (s. Kapitel 3). Diese Standards werden nachfolgend mit den vorlie-<br />

genden Informationen aus dem Vorabfragebogen und den Aussagen der verschiedenen In-<br />

terviews abgeglichen.<br />

1. Formulierung einer klaren, inhaltlichen Zielsetzung<br />

Zu den Grundwerten und Leitlinien des Unternehmens gehören auch Sicherheit, Gesundheit<br />

und Umweltschutz. Diesen Themen gegenüber sollen die wirtschaftlichen Belange keinen<br />

Vorrang einnehmen. Das Sicherheits-, Gesundheits- und Umweltbewusstsein soll kontinuier-<br />

lich verbessert werden (Unternehmensdarstellung).<br />

2. Abschluss schriftlicher Vereinbarungen<br />

Im Unternehmen gibt es eine Betriebsvereinbarungen zur Wiedereingliederung. Darüber<br />

hinaus wird seit fünf Jahren über den Abschluss einer umfassenden Betriebsvereinbarung<br />

zum BGM kontrovers diskutiert.<br />

3. Einrichtung eines Lenkungsausschusses<br />

Ein Arbeitskreis Gesundheit ist eingerichtet. Mitglieder dieses Gremiums sind das Manage-<br />

ment, der Betriebsrat, der Werksarzt, die Fachkraft für Arbeitssicherheit, die Betriebskran-<br />

kenkasse und die Berufsgenossenschaft.<br />

4. Bereitstellung von Ressourcen<br />

Die Arbeitssicherheit und der betriebsärztliche Dienst stehen dem Unternehmen als interner<br />

Dienstleister jährlich jeweils mit mehr als 20.000 Stunden zur Verfügung. Neben den gesetz-<br />

lich vorgeschriebenen Gremien gibt es den Lenkungsausschuss, aber keinen Gesundheits-<br />

184


eauftragten. Für Gesundheitsprojekte werden darüber hinaus Ressourcen in Form von Zeit,<br />

Geld und Personal in variierenden Umfängen zur Verfügung gestellt.<br />

5. Festlegung personeller Verantwortlichkeiten<br />

Die personellen Verantwortlichkeiten in einzelnen Themenfeldern sind geregelt, laut Aussa-<br />

gen einiger Interviewteilnehmer jedoch nicht die Federführung im gesamten BGM-Prozess.<br />

Jeder handelt in seinem Aufgabenbereich.<br />

6. Qualifizierung von Experten und Führungskräften<br />

Arbeitssicherheit ist ein großes Thema für die Führungskräftequalifizierung. Weniger Ange-<br />

bote bestehen hingegen für präventive Gesundheitsansätze, die speziell auf die Führungs-<br />

kräfte zugeschnitten sind.<br />

7. Beteiligung und Befähigung der Mitarbeiter<br />

Regelmäßige Gesundheitszirkel gibt es im Unternehmen nicht, allerdings existiert ein um-<br />

fangreiches Qualifizierungsprogramm mit diversen Gesundheitsthemen. Zudem gibt es re-<br />

gelmäßige Mitarbeiterbefragungen, in denen auch Fragen zum Thema Gesundheit berück-<br />

sichtigt werden.<br />

8. Betriebliche Gesundheitsberichterstattung<br />

Die werksärztliche Abteilung erstellt in Zusammenarbeit mit der Sicherheits- und der Perso-<br />

nalabteilung sowie mit Unterstützung der Betriebskrankenkasse alle zwei Jahre einen<br />

Gesundheitsbericht sowie darüber hinaus in Eigenregie einen Bericht über durchgeführte<br />

Maßnahmen. Über die Themen Sicherheit, Gesundheit und Umweltschutz wird darüber hin-<br />

aus kontinuierlich in Broschüren, Jahresberichten etc. berichtet.<br />

9. Internes Marketing<br />

Das Thema Gesundheit ist im Internetauftritt des Unternehmens und auch im Intranet prä-<br />

sent. Auf Betriebsversammlungen wird über Gesundheitsaktionen und -themen regelmäßig<br />

informiert und berichtet.<br />

10. Durchführung der vier BGM-Prozesse<br />

Hinsichtlich der Arbeitssicherheit wird der PDCA-Zyklus in vielen Fällen verwirklicht. Eine<br />

systematische Durchführung der vier BGM-Prozesse mit den Teilschritten Diagnose, Pla-<br />

nung, Intervention und Evaluation findet bislang im Unternehmen nicht statt.<br />

11. Erfüllung gesetzlicher Anforderungen<br />

Die gesetzlichen Anforderungen können hier als weitestgehend erfüllt gelten. Die gesetzlich<br />

geforderten Gefährdungsbeurteilungen werden allerdings bislang ohne die Erhebung psy-<br />

185


chosozialer Belastungen erstellt. Auch existieren bisher einzelne Bausteine zur Wiederein-<br />

gliederung, aber noch kein institutionalisiertes BEM nach § 84 Abs. 2 SGB IX.<br />

12. Integration des BGM<br />

Ein in die betrieblichen Routinen integriertes BGM, das alle relevanten betrieblichen Akteure<br />

einbindet, kann derzeit noch nicht konstatiert werden. Allerdings kann aus den Interviews der<br />

Schluss gezogen werden, dass eine solche Integration zumindest für das Thema Arbeitssi-<br />

cherheit weit fortgeschritten ist.<br />

Zusammengefasst kann von einem für die Branche historisch bedingten guten Stand bei der<br />

Arbeitssicherheit bzw. beim Arbeitsschutz ausgegangen werden. Neue Themen und Belas-<br />

tungsformen finden allerdings nur allmählich Zugang bei den einzelnen Akteuren. Darüber<br />

hinaus scheinen derzeit noch einzelne BGM-Projekte das Bild zu prägen, aber ein integrier-<br />

tes BGM ist noch nicht verwirklicht.<br />

Akteure und Akteurskonstellationen in der betrieblichen Gesundheitspolitik<br />

Die Akteure im Überblick<br />

In den Interviews sind folgende Akteure bzw. Institutionen angeführt worden:<br />

Der Arbeitsdirektor hat keinen gewerkschaftlichen Hintergrund, sondern war zuvor Ma-<br />

nagementvertreter.<br />

Die Berufsgenossenschaft und die Gewerbeaufsicht werden regelmäßig in die betriebli-<br />

che Gesundheitspolitik einbezogen. Darüber hinaus gibt es eine Betriebskrankenkasse.<br />

Die Werksfeuerwehr übernimmt neben ihrer eigentlichen Funktion auch die Wartung der<br />

PSA.<br />

Es existiert eine betriebliche Sozialberatung. Es handelt sich laut einer Internetpräsenta-<br />

tion des Unternehmens um ein freiwilliges Angebot für Belegschaftsmitglieder und deren<br />

Angehörige. In Kooperation mit internen und externen Partnern werden u.a. Suchtbera-<br />

tung, Schuldnerberatung und Unterstützung bei psychosozialen Problemen und psycho-<br />

mentalen Belastungen angeboten.<br />

Innerhalb des Betriebsratsgremiums beschäftigt sich der ASIGU mit gesundheitsrelevan-<br />

ten Themen und Fragestellungen.<br />

Die Personalabteilung ist hauptverantwortlich für die Erarbeitung und Durchführung von<br />

Qualifizierungsmaßnahmen im Themenfeld Gesundheit.<br />

Ziel der Abteilung Arbeitssicherheit ist es, die Sicherheitskultur unternehmensweit nicht<br />

nur auf die klassischen technischen Sicherheitsmaßnahmen zu begrenzen, sondern eine<br />

186


gemeinsame Einstellung zum sicheren Handeln fortlaufend zu verbessern (laut Eigen-<br />

darstellung des Unternehmens).<br />

Die arbeitsmedizinische Abteilung ist am Standort für die Sicherstellung der arbeits- und<br />

notfallmedizinischen Betreuung und darüber hinaus weltweit für die Koordination und Re-<br />

vision von Arbeitsmedizin und Gesundheitsschutz im gesamten Unternehmen verant-<br />

wortlich (laut Eigendarstellung des Unternehmens).<br />

Der Betriebsrat in der Eigenwahrnehmung<br />

Nach Aussagen der Interviewpartner arbeitet der Betriebsrat generell kooperativ, konsens-<br />

und lösungsorientiert („Ich würde uns auf jeden Fall als extrem wehrhaft beschreiben, kon-<br />

struktiv“.). Konflikte würden nicht nach außen getragen und stünden auch nicht im Vorder-<br />

grund: „Ich sage immer: Rote Fahne schwenken, in den Klassenkampf rein zu gehen – das<br />

hilft uns nicht weiter, weil die Verantwortung nicht mehr so einfach zuzuordnen ist“. Als star-<br />

ke Arbeitnehmervertretung mit hoher Akzeptanz in der Belegschaft bevorzuge man eher lei-<br />

se Töne, könne aber auch bei Bedarf „richtig trommeln“. Es gebe eine klare Beschreibung<br />

der zukünftigen Ziele mit der Philosophie, selbst als Betriebsrat zu gestalten und nicht gestal-<br />

tet zu werden. Der Betriebsratsvorsitzende und sein Stellvertreter hätten ein Macht-<br />

Alleinstellungsmerkmal, agierten aber stets rückgekoppelt mit dem Gremium und den Aus-<br />

schüssen. Das Thema Gesundheit werde grundsätzlich durch den Vorsitzenden unterstützt,<br />

wobei er – wie in einem Interview hervorgehoben wird – die Aussteuerung der Gesamtinte-<br />

ressen immer zuerst im Auge habe (wenn beispielsweise wegen der Wirtschaftskrise das<br />

Thema Kurzarbeit aktuell wird, könne dies sein Engagement für das Thema Gesundheit ein-<br />

schränken). Arbeitssicherheit und Gesundheit seien umfassende Themen, weil sie immer mit<br />

der Mitarbeiterzufriedenheit, der Unternehmens- und Führungskultur sowie Motivation zu tun<br />

haben. Entsprechend seien der Arbeits- und Gesundheitsschutz wichtige Inhalte für die Be-<br />

triebsratswahlen und eine elementare Pflicht- und Basisarbeit für den Betriebsrat.<br />

Im Betriebsratsgremium gibt es jedoch offensichtlich unterschiedliche Ansichten, wie das<br />

Thema BGM weiter voran gebracht werden kann. So seien nicht alle Betriebsratsmitglieder<br />

wie die Mitglieder des ASIGU davon überzeugt, dass es ein fest installiertes gesundheitsori-<br />

entiertes Mitarbeitergespräch im Sinne einer Gefährdungsbeurteilung geben soll. Auch über<br />

den Regelungsumfang einer Betriebsvereinbarung variieren die Ansichten – gerade vor dem<br />

Hintergrund der lang andauernden Verhandlungen. Einigkeit besteht jedoch darin, dass der<br />

Betriebsrat das Thema Gesundheit insgesamt vorantreibt – wenn auch nicht als alleiniger<br />

Treiber. Einschränkend wird angeführt: „Trotzdem würde ich mir wünschen, dass der Be-<br />

triebsrat sich noch mehr um das Thema kümmern würde. Auch hier liegt die Klassik – Ent-<br />

gelt usw. – mehr im Vordergrund“. Einer anderen Aussage nach wird die Macht des Betriebs-<br />

187


ats als nicht groß genug bewertet, um als maßgeblicher Gestalter des BGM bzw. seiner<br />

Regelungsinhalte auftreten zu können.<br />

Die Entwicklung innerhalb des ASIGU wird in einem Statement als positiv beschrieben und<br />

sein Stellenwert steigere sich im Vergleich zu anderen Ausschüssen. Es sei gelungen, die<br />

thematische Vielfalt über den klassischen Arbeitsschutz hinaus zu erweitern und neue Belas-<br />

tungsfaktoren zu integrieren. Historisch seien die Ausschüsse für Arbeits- und Gesundheits-<br />

schutz und für Umweltschutz relativ unbeliebte Ausschüsse gewesen, weil das immer auch<br />

Themen für „Fachidioten“ gewesen seien, die am wenigsten in den Prozessen Zeit und Geld<br />

abgebildet worden wären. Operativ habe sich der ASIGU bewusst gegen die Teilnahme z. B.<br />

an Begehungen entschieden. Man möchte hier nicht als „Meckerer“ auftreten und stattdes-<br />

sen die einzelnen Produktionslinien besser einbeziehen. Der ASIGU soll eher beratend tätig<br />

werden. Aufgabe sei somit die Unterstützung der Kollegen in der Wahrnehmung der operati-<br />

ven Aufgaben. Ziel sei es, die Arbeitsbedingungen so zu gestalten, dass der Mitarbeiter, oh-<br />

ne eine über das normale Maß hinausgehende Gefährdung der Gesundheit, die Arbeit er-<br />

folgreich ausüben könne. Dabei müssten sowohl Ansätze der Verhaltens- wie auch der Ver-<br />

hältnisprävention genutzt werden. Als häufig auftretendes Problem im Kontakt mit der Beleg-<br />

schaft wird beschrieben: „Sobald sie präventiv kommen, fühlen die sich an ihrer Karriere ge-<br />

hindert. Wenn sie kurativ kommen, sind sie willkommen“. Die Einbindung in die Gesund-<br />

heitsgremien (ASA, Arbeitskreis Gesundheit) wird ebenso wie die Zusammenarbeit mit der<br />

Berufsgenossenschaft als gut eingeordnet. In den Nachhaltigkeitsrat bringe man sich be-<br />

wusst nicht ein, da man als Betriebsrat hierzu eine kritische Distanz wahren möchte.<br />

Hinsichtlich der Qualifizierung dauere es mindestens eine Amtsperiode, bis sich die ASIGU-<br />

Mitglieder das notwendige Fachwissen für das Thema Gesundheit angeeignet hätten, z. B.<br />

solle jedes Mitglied möglichst eine Ausbildung zur Fachkraft für Arbeitssicherheit absolvie-<br />

ren, Grundlagenseminare der IG BCE besuchen sowie interessengeleitet weitere Spezialisie-<br />

rungen machen (z. B. Weiterbildungsworkshops beim DGB ein Mal pro Jahr für eine Woche).<br />

Neben den externen werden auch interne Bildungsangebote in Anspruch genommen. Bei<br />

den externen Qualifizierungsangeboten seien mittlerweile die IG Metall und der DGB im<br />

Themenfeld Gesundheit besser aufgestellt als die eigene Gewerkschaft. Zu Beginn einer<br />

Amtsperiode werde – wenn möglich mit Unterstützung der IG BCE – eine Strategiefindungs-<br />

klausur einberufen, der eine weitere Klausur folge. Zwischendurch würden auch Klausuren<br />

mit den Sicherheitsfachkräften gemacht und z. B. die Sicherheitsarbeit anderer Betriebe be-<br />

trachtet und verglichen.<br />

Dem Gesamtgremium und insbesondere den nicht freigestellten Betriebsräten sei – so eine<br />

Meinung – noch nicht klar, welche Gestaltungsmöglichkeiten das ArbSchG und in diesem<br />

Rahmen das Betriebsverfassungsgesetz bieten würden. Auch wird von Konflikten zwischen<br />

Ausschüssen bei Fragen der Zuständigkeit berichtet, die im Zusammenhang mit Leistung<br />

188


und Gesundheit stehen (z. B. ist der Entgeltausschuss für das Thema Erschwerniszulage<br />

verantwortlich, was aber auch ein ASIGU-Thema ist). Dass das Betriebsratsgremium in sei-<br />

ner Gesamtheit nicht immer an einem Strang zieht, wird aufgrund der Größe des Gremiums<br />

als normal empfunden. Für Betriebsräte, die nicht im ASIGU vertreten seien, bliebe durch<br />

das Tagesgeschäft für das Thema Gesundheit nur wenig Zeit. Es begleite einen zwar stän-<br />

dig, stehe aber nie richtig im Vordergrund.<br />

Für eine erfolgreiche Betriebsratsarbeit seien strategische und operative Kompetenzen er-<br />

forderlich – letztere auch, um nicht die Bodenhaftung bzw. den Kontakt zur Belegschaft zu<br />

verlieren. Zu den allgemeinen Kompetenzen gehörten ein langer Atem, das Bohren dicker<br />

Bretter, sich immer wieder zu erneuern und neu zu hinterfragen, zuhören können sowie<br />

Lernfähigkeit und Wehrhaftigkeit: „Wenn ich einen halbwegs vernünftigen Arbeitgeber ge-<br />

genüber sitzen habe, der nutzt diese Kompetenz. Habe ich einen schwachen gegenüber<br />

sitzen, hat er Angst vor der Kompetenz“. Die Arbeit als Betriebsrat sei „extrem stressig“ und<br />

die Verantwortung „extrem hoch“, die zur Verfügung stehenden Ressourcen „eindeutig zu<br />

gering“. Ein Interviewpartner konstatiert, dass es ihm noch nicht gelungen sei, den Gesund-<br />

heitsaspekt in die eigene Arbeit besser einzubinden („Der Tag ist ausgefüllt“.). Man müsse<br />

eine Rollen- und Themenvielfalt beherrschen – als Beichtvater, Rechtsexperte, Personaler<br />

und Psychologe. Gleichzeitig müsse man auf dem aktuellen tagespolitischen Geschehen<br />

sein und die Trends bei der Vielzahl der Themen erkennen. Diese Komplexität sei im Prinzip<br />

nicht zu bewältigen, formuliert ein Befragter, obwohl ein breites Basiswissen vorhanden sei<br />

und man die Erfolge bei den Betriebsratswahlen (für die IG BCE-Fraktion) als Bestätigung<br />

der eigenen Arbeit ansieht.<br />

Die übrigen Akteure in der Wahrnehmung der Betriebsräte<br />

Der Arbeitsdirektor wird als primär geschäfts- und weniger als mitarbeiterorientiert beschrie-<br />

ben. Er leitete früher den ASA, was jetzt Aufgabe des Werksleiters sei, der so erhebliche<br />

Gestaltungsmacht im BGM habe. Der Arbeitsdirektor schalte sich erst nach dem Durchlaufen<br />

vieler Konfliktebenen als letzte klärende Instanz ein, die dann den Sachverhalt mit dem Be-<br />

triebsratsvorsitzenden versuche zu regeln. Kraft seiner Funktion sei er letztlich „Herrscher<br />

und Throner“. Es gebe keine prinzipielle Sperrung auf Arbeitgeber- bzw. Vorstandseite ge-<br />

gen das Thema psychische Belastungen, was vor zehn Jahren noch der Fall gewesen sei.<br />

Ein Interviewpartner ist sogar davon überzeugt, dass für den Vorstand Gesundheit mittler-<br />

weile ein zentrales Thema ist, das dort gut voran gebracht werden kann. Die Argumentation<br />

für BGM über harte wirtschaftliche Kennzahlen gestaltet sich einer anderen Aussage nach<br />

dennoch schwierig. Eher könne die Geschäftsleitung über so genannte Key Performance<br />

Indicators gewonnen werden.<br />

189


Die Rolle der Führungskräfte im Themenfeld Gesundheit wird von einem Interviewpartner<br />

sehr kritisch gesehen. Sie müssten hier stärker qualifiziert werden. Gerade beim gesund-<br />

heitsgerechten Führen existiere „dringender Nachholbedarf“. Dies sei eine der wichtigsten<br />

Aufgaben für die nächsten zehn Jahre („Führung und Gesundheit wird eigentlich nicht sehr<br />

ausgeprägt in Verbindung gebracht“.). Einige Führungskräfte blockierten aufgrund ihres leis-<br />

tungsorientierten Führungsstils sogar einen gesundheitsorientierten Ansatz. Etwaige Bonus-<br />

zahlungen richteten sich neben Leistungsparametern nur nach Sicherheits-, nicht aber nach<br />

Gesundheitskennziffern. Diese Kritik wird gemildert durch eine Aussage, nach der die Füh-<br />

rungskräfte im Rahmen eines BGM-Projekts in einem Funktionsbereich engagiert und vor-<br />

bildlich mitgewirkt hätten. Auch beherrschten beispielsweise die Produktionsschichtführer<br />

klassische Unterweisungen im Arbeitsschutz. Dafür seien aber sowohl bei den Mitarbeitern<br />

als auch bei den Führungskräften Unsicherheiten bei den neuen Belastungsformen unüber-<br />

sehbar. Erschwerend komme hinzu, dass die Führungskräfte oftmals ihren Verantwortungs-<br />

bereich innerhalb des Unternehmens wechselten. Diese Flexibilität konkurriere mit gesund-<br />

heitlicher Nachhaltigkeit. Fraglich sei, welche Rahmenbedingungen (z. B. steigende Arbeits-<br />

verdichtung durch höhere Produktionsvorgaben) die Führungskräfte wirklich beeinflussen<br />

könnten, die mit positiven Auswirkungen auf die Belastungsfaktoren einhergehen: „Wie kann<br />

ich die Gesundheit in Balance halten?“<br />

Die Personalabteilung wird als diejenige Fraktion beschrieben, die sich gegen die Verab-<br />

schiedung der umfassenden Betriebsvereinbarung zum BGM am heftigsten stemmt. Vermu-<br />

tet wird, dass sie dies aus Angst über zu viel Partizipation und Mitbestimmungsrechte tue,<br />

die aus der Betriebsvereinbarung für die anderen BGM-Beteiligten erwachsen könnte. Man<br />

wehre sich – wie auch die Geschäftsleitung – u.a. gegen die Nutzung des Mitarbeiterge-<br />

sprächs als ein Bestandteil der Gefährdungsbeurteilung. Die Kritik geht bis hin zu der Mei-<br />

nung, dass die Arbeit der Personalabteilung durch die Anwendung von rechtlichen Normen<br />

und nicht durch Vertrauen geprägt sei, weswegen Gesundheitsthemen hier nicht hergehör-<br />

ten. Dies passe nicht zu der politischen Führungsrolle der Personalabteilung hinsichtlich der<br />

Konzeption von Fortbildungsveranstaltungen, die ihr in mehreren Statements zugesprochen<br />

wird. Zu ausgeprägt sei z. B. der Forderungsgedanke bei Angeboten zur Gesundheitsförde-<br />

rung. In einer drastischeren Formulierung wird von der Regelungshoheit der Personalabtei-<br />

lung bei nicht ausreichender Fachkompetenz gesprochen. Beispielsweise habe die Perso-<br />

nalabteilung das oben geschilderte Großprojekt gar nicht in seinen Grundzügen gestaltet,<br />

sondern lediglich Themen gesammelt, die bereits in Projektform bearbeitet wurden, und als<br />

eigenes Großprojekt verkauft. Dabei wäre, so die weitere Schilderung der interviewten Per-<br />

son, ein gemischtes Team aus mehreren Funktionsbereichen der Sache dienlicher gewesen,<br />

weil der akademisch geprägten Personalabteilung die Erfahrung in der Produktion fehle.<br />

190


Grundsätzlich wird begrüßt, dass das Unternehmen noch immer über einen eigenen be-<br />

triebsärztlichen Dienst und eine eigene Abteilung für Arbeitssicherheit verfügt. Ein Outsour-<br />

cing dieser Dienste hätte Kompetenz- und Wirtschaftlichkeitsverlust zur Folge, wie in einem<br />

Interview hervorgehoben wird. Beide Institutionen – so die Auffassung eines Interviewpart-<br />

ners – unterstützen das gesundheitsorientierte Mitarbeitergespräch in einem vom ASIGU<br />

gewünschten Sinn und vertreten ein ganzheitliches Gesundheitsverständnis. Der leitende<br />

Werksarzt sei, wie der Interviewte weiter ausführt, darüber hinaus nicht so wissenschaftlich<br />

orientiert wie sein Vorgänger, sondern mehr an den Mitarbeitern dran. Das Niveau der ärztli-<br />

chen Betreuung wird allgemein als sehr gut und hochwertiger als die normale hausärztliche<br />

Betreuung bewertet.<br />

Bemängelt wird in mehreren Interviews, dass die drei zuletzt genannten Akteursgruppen –<br />

die Personalabteilung, der werksärztliche Dienst und die Fachkräfte für Arbeitssicherheit – in<br />

ihren jeweils klassischen Handlungsfeldern und damit parallel nebeneinander arbeiten. Dies<br />

täten sie auch aus Machtgründen, wodurch die Bearbeitung weicher Themen nur schleppend<br />

vorankomme: „Wir kämpfen momentan, in die internen Disziplinen Personalabteilung, Ar-<br />

beitsmedizin und Sicherheitsfachkräfte eine Linie reinzubringen“. Beschrieben wird ein Teu-<br />

felskreis beispielsweise bezüglich des Themas Stress. Die Personalabteilung behaupte,<br />

dass dies ein Thema der einzelnen Funktionsbereiche sei, und diese wiesen die Verantwor-<br />

tung an die Personalabteilung zurück: „Alle stellen sich im Kreis auf und jeder zeigt nach<br />

rechts und sagt: Du bist zuständig“. Hinderlich sei außerdem, dass Gesundheit häufig als<br />

Projekt behandelt wird: „Das ist wie ein Zug, der durchfährt. Da springen Leute auf und ab.<br />

Aber wer jetzt der Lokführer ist, dass können Sie so gar nicht sagen“. Weiter heißt es: „Es<br />

gibt da keine wiederkehrenden Strukturen. Es gibt Personen, die da öfter mal eingebunden<br />

sind“. Entsprechend bestehen für Mitarbeiter mit gesundheitlichen Problemen mehrere An-<br />

laufstellen: die Personalabteilung, die Vorgesetzten, die Sozialberatung, die Ambulanz und<br />

der Betriebsrat bzw. die Vertrauensleute.<br />

Von Seiten der Gewerkschaft und der Berufsgenossenschaft erwartet ein Interviewpartner<br />

vor allem zum Thema psychische Belastungen noch mehr Unterstützung. Innerhalb des Un-<br />

ternehmens werde dieses Feld am ehesten durch die Sozialberatung aufgegriffen. Über das<br />

Gesundheitsthema hinaus sei vor allem die Zusammenarbeit mit der IG BCE „ein ganz we-<br />

sentlicher Teil“ der Betriebsratsarbeit, wie in einem anderen Interview betont wird.<br />

Fazit<br />

Vorab ist hervorzuheben, dass in dieser Fallstudie nur Betriebsräte interviewt wurden und<br />

daher auch nur deren Sichtweise eingefangen werden konnte. Die entstandenen Eindrücke<br />

sind somit einseitig bzw. unvollständig.<br />

191


Die Befunde der Fallstudie deuten darauf hin, dass in dem Unternehmen abzustufende Qua-<br />

litäten in der betrieblichen Gesundheitspolitik existieren. Für die Arbeitssicherheit bzw. den<br />

Arbeitsschutz kann ein vergleichsweise hoher, für Unternehmen in dieser Branche und Grö-<br />

ße eher typischer Standard konstatiert werden. Die Themen werden darüber hinaus eng mit<br />

dem Umweltschutz verzahnt. Entsprechend werden die Reduzierung der Unfallzahlen und<br />

der Berufskrankheiten als wichtiger Zielparameter vorgegeben und hierzu eine Vielzahl ehr-<br />

geiziger Projekte ins Leben gerufen. Nicht so weit ist man offensichtlich bei der Behandlung<br />

der so genannten neuen Belastungsformen und „weichen“ gesundheitlichen Themen. Zu-<br />

mindest scheint es aber gelungen zu sein, sie auf die Agenda der betrieblichen Gesund-<br />

heitspolitik zu setzen. Es lassen sich in diesem Zusammenhang auch erste Erfolge ablesen,<br />

z. B. hinsichtlich der Entwicklung von Angeboten zum Umgang mit Stress und Burn-out.<br />

Insgesamt zeigt sich der Betriebsrat mit dem bisher Erreichten im Themenfeld Gesundheit<br />

noch nicht zufrieden. Auf Auszeichnungen für das unternehmenseigene BGM bzw. die gute<br />

Platzierung in den Rankings entsprechender BGM-Wettbewerbe wird entweder – explizit in<br />

einem Interview – kein großer Wert gelegt bzw. die Erfolge werden in den anderen Inter-<br />

views nicht als Beweis für ein ausdifferenziertes BGM angebracht. Andererseits wird betont,<br />

dass man diesbezüglich grundsätzlich auf dem richtigen Weg sei.<br />

Fördernde und hemmende Faktoren für die betriebliche Gesundheitspolitik<br />

Grundsätzlich scheint die Arbeitgeber-Betriebsratskonstellation ein fördernder Faktor zu sein.<br />

Zwar hat es nach Interviewaussagen gedauert, bis über neue Formen gesundheitlicher Be-<br />

lastungen gesprochen werden konnte. Allgemein kann man jedoch zu dem Schluss kom-<br />

men, dass die Arbeit des Betriebsrats eher konsens- als konfliktorientiert abläuft – im Sinne<br />

der für diese Branche durchaus typischen tarifpolitischen Kooperation und gemeinsamen<br />

zukunftsorientierten Industriepolitik. Mehrfach wird in den Gesprächen auf die gepflegte Kul-<br />

tur des Umgangs hingewiesen, wie sie in der Chemiebranche üblich sei. Das heißt allerdings<br />

nicht, dass Gesundheit immer als das Thema mit der höchsten Priorität behandelt wird.<br />

Vielmehr scheint es in seinem Stellenwert auch immer wieder Opfer globaler Entwicklungen<br />

zu sein. Beispielsweise habe sich durch die Wirtschaftskrise das Thema Kurzarbeit stark in<br />

den Vordergrund geschoben, wodurch wieder die Verhandlungen über die BGM-<br />

Betriebsvereinbarung hinten angestellt worden seien.<br />

Dass der ASIGU ein hohes Fachwissen zu gesundheitlichen Fragestellungen generiert, kann<br />

als weiterer Förderfaktor bezeichnet werden. Allein eine Amtsperiode würde es dauern, so<br />

eine Aussage, bis sich dessen Mitglieder das grundlegende Know-how angeeignet hätten.<br />

Damit ist es allerdings auch ein Expertengremium. Andere Betriebsratsmitglieder besitzen<br />

das Fachwissen in dieser Tiefe nicht, was nicht gleichzeitig ein Hemmnis sein muss. Die<br />

Personalabteilung wird jedoch in den Interviews bezüglich ihrer fachlichen Kompetenzen bei<br />

192


Gesundheitsthemen kritisiert. Wie stichhaltig diese Kritik ist und ob sich aus einem mögli-<br />

chen Kompetenzunterschied Hemmnisse ergeben, kann nicht beurteilt werden.<br />

In struktureller Hinsicht unterliegt das Thema Gesundheit einer stark differenzierten Bearbei-<br />

tung. Beispielsweise liegt die Organisation und Wartung der PSA in den Händen der Werks-<br />

feuerwehr – als Hauptansprechpartner für psychosoziale Belastungen werden u.a. die be-<br />

triebliche Sozialberatung und die arbeitsmedizinische Abteilung angeführt. Es liegt nahe, aus<br />

dieser Differenzierung zugleich eine Professionalisierung abzuleiten, die wiederum als ein<br />

fördernder Faktor bezeichnet werden kann. Und zumindest für die Felder Arbeitssicherheit<br />

und Arbeitsschutz wird von den Interviewten auch ein hoher Standard bescheinigt.<br />

Institutionell werden in dem Unternehmen für das Thema Gesundheit augenscheinlich Res-<br />

sourcen in einem nicht unerheblichen Umfang bereitgestellt. Auch die regelmäßige Einbin-<br />

dung externer Akteure (z. B. Berufsgenossenschaft) spricht für ein vergleichsweise gutes<br />

Unterstützungsniveau. Neben diesen aus Ressourcensicht fördernden Faktoren sollten aber<br />

die Bedenken der Befragten nicht unerwähnt bleiben: Selbst für den ASIGU werden weitere<br />

Ressourcen angemahnt. Und für Betriebsräte, die sich in anderen Themenfeldern bewegen,<br />

gehört Gesundheit zwar mit zum Tagesgeschäft. Dies ist aber offensichtlich sehr vielfältig, so<br />

dass man als Betriebsrat Themen der Zeit bzw. Trends aufgreifen müsse. Die Annahme,<br />

dass hierzu automatisch immer das Thema Gesundheit gehört, lässt sich aus den Interviews<br />

nicht unbedingt ableiten.<br />

Eine Reihe von Ausführungen in den Interviews weist darauf hin, dass die Zusammenarbeit<br />

– insbesondere zwischen der Personalabteilung, dem medizinischen Dienst und der Arbeits-<br />

sicherheit – Entwicklungspotenzial aufweist und somit derzeit eher als ein hemmender Fak-<br />

tor eingestuft werden kann. Die vorhandenen Strukturen (u.a. ASA und Arbeitskreis Gesund-<br />

heit) haben offenbar noch keine hinreichend integrierende Wirkung. Stattdessen werden ge-<br />

wisse Machtfronten sichtbar, z. B. wenn es um die Erweiterung bzw. Neugestaltung von Mit-<br />

arbeitergesprächen hin zu Gesundheitsgesprächen geht. Die Konfrontation mündet schließ-<br />

lich in der Auseinandersetzung um die Betriebsvereinbarung zum BGM. Dies sei eine „offene<br />

Wunde“, wie ein Interviewpartner aussagt. Diese „offene Wunde“ kann durchaus als Symp-<br />

tom der unbefriedigenden Kooperation und der ungeklärten Machtverhältnisse angesehen<br />

werden. Die Verweigerung der Arbeitgeberseite bzw. des betriebsärztlichen Dienstes, der<br />

Personalabteilung und der Abteilung für Arbeitssicherheit an der Fallstudie teilzunehmen,<br />

kann jedenfalls als ein Indiz für festgefahrene Verhandlungen gewertet werden.<br />

Auch innerhalb des Betriebsratsgremiums lassen sich Diskussionen – mit hemmender Wir-<br />

kung – erahnen, die sich einerseits um die Bedeutungshoheit des Gesundheitsthemas und<br />

dessen Einwirken in andere Ausschüsse außerhalb des ASIGU drehen und andererseits die<br />

Vorgehensweise bei der zukünftigen Ausgestaltung des BGM betreffen. Selbst wenn keine<br />

193


eindeutigen Hinweise auf daraus resultierende ernsthafte Machtkämpfe gefunden werden<br />

konnten, kann davon ausgegangen werden, dass – allein durch die Größe des Betriebsrats<br />

bedingt – immer wieder Reibungsverluste in der Bearbeitung des Gesundheitsthemas ent-<br />

stehen werden. Dass Gesundheit bereits jetzt als Querschnittsthema in allen Ausschüssen<br />

mitbehandelt wird, wurde in den Interviews nicht erkennbar. Auffällig sind schließlich die dif-<br />

ferierenden Meinungen der Befragten zur Bedeutung des Tarifvertrags zum demografischen<br />

Wandel. Es ist zumindest nicht deutlich geworden, dass der Tarifvertrag zu einer forcierten<br />

Gesundheitsdebatte im Betriebsratsgremium geführt hat.<br />

Sich hemmend auswirkende unterschiedliche Einstellungen zum Gesundheitsverständnis<br />

werden von den Interviewten unterschiedlich angemahnt. Mit Blick auf die Personalabteilung<br />

wird in einem Interview erwähnt, dass diese den Aspekt des Forderns wesentlich mehr be-<br />

tont als den Aspekt des Förderns, wenn es um gesundheitliche Themen geht. Inwieweit man<br />

sich seitens der Arbeitgeberseite und im Betriebsratsgremium außerhalb des ASIGU mit dem<br />

etablierten Arbeitsschutz zufrieden gibt, kann letztlich nicht beurteilt werden. Aus den Inter-<br />

views ist aber zumindest der Eindruck entstanden, dass – nicht bei den Interviewten – der<br />

ausgeprägte Schutz- und Sicherheitsaspekt den gesundheitsfördernden Aspekt und die Be-<br />

arbeitung psychosozialer Belastungen noch nicht im vollen Umfang zum Zuge kommen lässt.<br />

Vor allem die Führungskräfte scheinen diesbezüglich, so einige Aussagen, noch nicht immer<br />

hinreichend sensibilisiert zu sein.<br />

Treiber bzw. Motoren für die betriebliche Gesundheitspolitik<br />

In einem Interview wird unter Berufung auf die sehr komplexen Vorgänge im Unternehmen<br />

auf die Unmöglichkeit verwiesen, einzelne Ereignisse oder Personen für das Zustandekom-<br />

men von Projekten auf dem Feld der Gesundheit zu identifizieren. In der Tat fällt es aufgrund<br />

des vorhandenen Datenmaterials schwer, wesentliche Haupttreiber auszumachen, die für<br />

den aktuellen Status quo der betrieblichen Gesundheitspolitik und ihre zukünftige Entwick-<br />

lung verantwortlich sind bzw. sein könnten. Diese Einschätzung wird dadurch untermauert,<br />

dass Interviewangaben zufolge mehrere Akteure die Federführung des BGM in ihren Händen<br />

sehen. Ob dies tatsächlich so ist, kann aufgrund des eingeschränkten Personenkreises, der<br />

interviewt werden konnte, nicht beurteilt werden. Einen nicht unerheblichen Anteil an den<br />

Geschehnissen der letzten Jahre dürfte aber der ASIGU haben, der sich selbst in der Ver-<br />

gangenheit zunehmend auf neue Gesundheitsthemen eingelassen und sie über das Be-<br />

triebsratsgremium hinaus kommuniziert hat. Einer Aussage nach hat dabei der Wechsel des<br />

Ausschussleiters eine wichtige Rolle gespielt, da der alte Leiter sich überwiegend auf die<br />

klassischen Themen des Arbeitsschutzes konzentriert habe. Dieser Treiberfunktion steht<br />

aber offensichtlich der Konflikt um die BGM-Betriebsvereinbarung gegenüber.<br />

194


Als ein treibendes Element kann weiterhin die Tatsache betrachtet werden, dass das Thema<br />

Gesundheit im Prinzip dauerhaft in irgendeiner Form – meistens jedoch nur projektartig –<br />

bearbeitet wird. Als ein nachhaltiges Erfolgserlebnis wird z. B. die Einführung und Befolgung<br />

der Fahrradhelmpflicht – selbst in der Freizeit – genannt. Ein anderes Beispiel stellen die<br />

regelmäßigen Mitarbeiterbefragungen mit gesundheitlichen Fragestellungen dar. Ohne diese<br />

permanenten Aktivitäten wäre es vermutlich sehr viel schwieriger ein BGM aufzubauen, das<br />

die Einzelmaßnahmen zu einem sinnvollen Ganzen zusammenführt.<br />

Wahrgenommener Handlungs- und Entwicklungsbedarf<br />

Die Fallstudie bietet ernst zu nehmende Hinweise darauf, dass es neben der Ausdifferenzie-<br />

rung und Professionalisierung der betrieblichen Gesundheitspolitik noch nicht gelungen ist,<br />

ein ganzheitliches, integriertes BGM zu installieren. Daher wird Handlungsbedarf darin gese-<br />

hen, den Projektcharakter vieler Aktivitäten im Themenfeld gesund in eine kontinuierliche<br />

Bearbeitung im Sinne eines nachhaltigen BGM zu übertragen. Gerade die neben der Ar-<br />

beitssicherheit neu aufkommenden Themen bedürfen einer tieferen Integration in die Ge-<br />

schäftsprozesse und -strukturen sowie in das alltägliche Handeln. Damit einher kann ein<br />

Entwicklungsbedarf hinsichtlich der Kompetenzstärkung zur Bearbeitung psychischer Belas-<br />

tungen identifiziert werden.<br />

Zudem erscheint es notwendig, den Konflikt um die BGM-Betriebsvereinbarung unter den<br />

Beteiligten zu beseitigen. Eine belastende Beziehung lässt sich insbesondere zwischen dem<br />

Betriebsrat und der Personalabteilung erkennen. Zumindest fällt die Vorstellung schwer, wie<br />

der Betriebsrat auf Basis der in den Interviews geäußerten Urteile über die Personalabteilung<br />

mit dieser in konstruktive Verhandlungen über die weitere Ausgestaltung des BGM treten<br />

will. Ein Lösungsweg des Konflikts um die BGM-Betriebsvereinbarung kann auf Basis der<br />

Interviews allerdings nicht vorgezeichnet werden. Allgemein sichern schriftliche Vereinba-<br />

rungen aber das BGM ab.<br />

Feedback-Workshop<br />

Das Angebot eines Feedback-Workshops ist im Anschluss an die Studie durch verschiedene<br />

Akteure in Anspruch genommen worden. An der Veranstaltung haben der ASIGU-<br />

Vorsitzende, weitere Mitglieder des ASIGU, ein Sekretär der IGBCE, der leitende Werksarzt<br />

sowie ein weiterer Werksarzt teilgenommen.<br />

Die in der Fallstudie beschriebenen Befunde sind im Wesentlichen bestätigt worden. Insbe-<br />

sondere von den teilnehmenden Betriebsräten kam die Rückmeldung, dass man sich durch<br />

den Bericht „gut gesehen“ fühle.<br />

Die Erwartungen der Teilnehmer an den Workshop richteten sich u.a. an eine Impulssetzung<br />

für die Bearbeitung des Themas psychische Belastungen, an die Verbesserung der internen<br />

195


Beziehungen zwischen den verschiedenen Gesundheitsakteuren, die Entwicklung gemein-<br />

samer Ideen zum Thema Gesundheit (z. B. Hilfestellung zum Abschluss einer BV BGM) und<br />

eine Verbesserung des Verständnisses im BR-Gremium für Gesundheitsthemen.<br />

Die Relevanz psychischer Belastungen wurde allgemein bestätigt. Es wurde deutlich, dass<br />

eine präventive Bearbeitung dieses Themas insbesondere auf der Kollektivebene notwendig<br />

ist. Diskutiert wurde über die derzeitige Ausgestaltung der Wiedereingliederungsverfahren<br />

und die Frage, ob dieses Prozedere den Anforderungen des § 84 Abs. 2 SGB IX gerecht<br />

wird. Hinsichtlich des Instruments der Gesundheitszirkel wurde kritisch angemerkt, dass die<br />

dort erarbeiteten Vorschläge von Entscheidern nicht umgesetzt oder abgelehnt würden. Be-<br />

sonders von werksärztlicher Seite wurde betont, dass es in dem Unternehmen bereits viele<br />

Projekte zum Thema Gesundheit gebe, die gute Ergebnisse geliefert haben. Problematisch<br />

sei die Nachhaltigkeit solcher Ergebnisse. Bei den verschiedenen Projekten spiele auch im-<br />

mer die politische Dimension eine wichtige Rolle, bspw. hinsichtlich der Fragen, welche Ab-<br />

teilung federführend ist oder welche Stellen beteiligt werden sollten.<br />

Als zukünftige Handlungsfelder der betrieblichen Gesundheitspolitik wurden u.a. identifiziert:<br />

Leistungsfähigkeit der Belegschaft sichern<br />

Strukturen schaffen (bspw. Einsetzung von Gesundheitsbeauftragten in den Einheiten)<br />

Ressourcen bereitstellen<br />

Kommunikation und Kooperation zwischen der Personalabteilung und dem ASIGU ver-<br />

bessern<br />

ASIGU-Erfolge erzielen und im BR-Gremium vorweisen<br />

Zu einzelnen Punkten wurden mögliche Lösungsschritte andiskutiert.<br />

7.2.7 Fall 7: Implizit aktive Gesundheitspolitik ohne strukturelle Verankerung<br />

Eckdaten zum Unternehmen<br />

Bei dem Unternehmen der Fallstudie handelt es sich um einen Dienstleister für Call-Center-<br />

Lösungen, der insbesondere für kommunale Ver- und Entsorgungsunternehmen den telefo-<br />

nischen und elektronischen Kundendialog gestaltet. Dabei geht es um die gesamte Band-<br />

breite der Sachbearbeitung. Neben Call-Center-Tätigkeiten bietet das Unternehmen folgende<br />

Dienstleistungen an: evaluative Telefonie für Forschungseinrichtungen, arbeitsmarktpoliti-<br />

sche Akteure, Unternehmen und Verbände, Interviews und deren empirische Auswertung<br />

sowie Schulungs- und Qualifizierungsangebote für Menschen in Sprechberufen.<br />

196


Das Unternehmen wurde im Jahr 1999 gegründet und ist aus einer Arbeitnehmerinitiative<br />

von Beschäftigten eines ehemaligen Call-Centers innerhalb eines Finanzdienstleistungsun-<br />

ternehmens hervorgegangen.<br />

Zurzeit beschäftigt das Unternehmen ca. 50 Mitarbeiter, wovon der überwiegende Teil lang-<br />

fristig beschäftigt ist. Das Unternehmen ist seit seiner Gründung kontinuierlich gewachsen,<br />

mit einer geringen Fluktuationsrate innerhalb der Belegschaft: Viele der Mitarbeiter sind seit<br />

Gründung des Unternehmens dort tätig. Mittlerweile ist das Unternehmen über die verfügba-<br />

ren Räumlichkeiten hinausgewachsen. Daher wird das Unternehmen in naher Zukunft in ein<br />

anderes Gebäude mit größerem Platzangebot umziehen. Besonderes Augenmerk liegt dabei<br />

auf der ergonomischen Optimierung der Arbeitsplätze.<br />

Obwohl mehrere Gründungsmitglieder im Vorgängerunternehmen Betriebsratsmandate inne<br />

hatten, wurde im Fallunternehmen erstmalig Anfang 2009 ein Betriebsrat gewählt. Dieser<br />

besteht aus drei nicht freigestellten Mitgliedern und drei Ersatzmitgliedern. Sowohl der Be-<br />

triebsrats-Vorsitzende als auch der aktuelle Geschäftsführer waren in der Finanzdienstleis-<br />

tungsorganisation bereits Betriebsräte.<br />

Die Arbeit im Unternehmen ist projektförmig organisiert, d. h. die Mitarbeiter sind in der Re-<br />

gel je einem Auftraggeber zugeordnet und arbeiten räumlich getrennt.<br />

Im Unterschied zu vielen anderen Unternehmen der Call-Center-Branche verzichtet das Un-<br />

ternehmen bewusst auf einen hohen Standardisierungsgrad des Kundendialogs. Stattdessen<br />

werden die Gestaltung und damit auch die Verantwortung für den Telefondialog, abgesehen<br />

von grundlegenden Qualitätsstandards (z. B. Freundlichkeit), nahezu vollständig auf die ein-<br />

zelnen Agenten übertragen.<br />

Die Unternehmenskultur wird als „unaufdringlich“ beschrieben und ist von einer starken Be-<br />

teiligungsorientierung geprägt. Eigeninitiative sowie berufliche und persönliche Entwicklung<br />

von MitarbeiterInnen sind ausdrücklich gewünscht. Es herrscht eine hohe Beteiligungskultur<br />

bei flacher hierarchischer Ausdifferenzierung im Unternehmen.<br />

Für die vorliegende Fallstudie sind die folgenden Personen interviewt worden:<br />

der Betriebsratsvorsitzende, sein Stellvertreter sowie ein weiteres BR-Mitglied (alle nicht<br />

freigestellt) im Rahmen eines Gruppeninterviews;<br />

der Geschäftsführer des Unternehmens.<br />

Entwicklungsstand und Meilensteine der betrieblichen Gesundheitspolitik<br />

Entwicklungsstand im Fallstudienunternehmen<br />

Zunächst muss festgestellt werden, dass es keine etablierten formalen Strukturen zum Ma-<br />

nagement von Gesundheit oder Arbeitsschutz im Fallstudienunternehmen gibt. Nach Anga-<br />

197


en aus dem Vorabfragebogen und den Interviews stellt sich die Situation für das Unterneh-<br />

men wie folgt dar.<br />

Mit der Arbeitssicherheit und dem Gesundheitsschutz befassen sich der Betriebsarzt, die<br />

Geschäftsleitung, die Personalabteilung, der Betriebsrat sowie (in Zukunft) eine Fachkraft für<br />

Arbeitssicherheit. Die Verantwortlichen sind, falls erforderlich, in betriebsinternen Schulun-<br />

gen weitergebildet worden. Entscheidendes „Gremium“ der betrieblichen Gesundheitspolitik<br />

ist, wenn man so will, die Zusammenarbeit zwischen Betriebsrat und Geschäftsleitung. Ko-<br />

ordiniert werden die Aktivitäten durch den Geschäftsführer. Ein festes Budget für die<br />

Gesundheitspolitik existiert nicht.<br />

Das Thema Gesundheit ist zwar nicht explizit in einem Leitbild verankert, allerdings hat das<br />

Unternehmen im Rahmen eines Forschungsprojektes ein Leitbild erarbeitet, das nach Aus-<br />

kunft der Interviewpartner Anknüpfungspunkte und Synergieeffekte zur betrieblichen<br />

Gesundheitspolitik bietet.<br />

Im Unternehmen gibt es einen hohen Standard im Bereich Ergonomie der Bildschirmarbeits-<br />

plätze, bezahlte Pausen, etc. Es werden Untersuchungen der Augen durchgeführt sowie<br />

Stimmtrainings angeboten. Bei den Stimmtrainings werden auch eine gesundheitsgerechte<br />

Körperhaltung sowie Atmung vermittelt.<br />

Bei der Ausstattung an Arbeitsmitteln wird darauf geachtet, dass Tische, Stühle etc. ergono-<br />

mischen Anforderungen genügen bzw. auf dem aktuellen Stand der Technik sind (bspw.<br />

Bildschirme). Zur Verbesserung der Raumluft und des Büroklimas legt das Unternehmen<br />

Wert auf eine durch Pflanzen unterstützte Büroraumgestaltung.<br />

Laut den Informationen aus dem Vorabfragebogen fehlen regelmäßige Begehungen und<br />

Gefährdungsbeurteilungen, was aber nicht heißt, dass in der Vergangenheit keine Analysen<br />

durchgeführt worden sind. In verschiedenen Forschungsprojekten (s. Meilensteine) wurden<br />

Maßnahmen zur Prävention stressförderlicher Faktoren erarbeitet. Zudem werden durch eine<br />

entsprechende Lastenverteilung der Arbeitsaufgaben (Delegierung, Disponierung) sowie<br />

durch Ermöglichung von Sphären der Gestaltungs- und Entscheidungsfreiheit Anstrengun-<br />

gen unternommen, psychische Belastungen zu reduzieren. Die letzte Arbeitsplatzanalyse<br />

unter Berücksichtigung psychischer Belastungen wurde im Jahr 2005 durchgeführt. Die<br />

nächste Arbeitsplatzbegehung ist im Anschluss an den geplanten Umzug vorgesehen. Für<br />

den Umzug wurde in Zusammenarbeit mit einem externen Berater ein Konzept zur gesund-<br />

heitsgerechten Gestaltung der Arbeitsplätze erarbeitet und umgesetzt, das sich an aktuellen<br />

arbeitswissenschaftlichen Erkenntnissen orientiert. Die neuen Räume und Arbeitsmittel wer-<br />

den demnach entsprechend eingerichtet bzw. ausgesucht. Nach dem Umzug soll zudem<br />

erstmalig eine Fachkraft für Arbeitssicherheit bestellt werden, mit der zusammen Begehun-<br />

198


gen durchgeführt werden. Für das Jahr 2009/2010 ist eine weitere Gefährdungsbeurteilung<br />

geplant, die auch die psychischen Belastungen erhebt.<br />

Im Unternehmen gibt es zurzeit kein BEM, lediglich ein mit Krankenkassen abgestimmtes<br />

Vorgehen zur Wiedereingliederung. In der Unternehmenshistorie wurden laut Aussage des<br />

Geschäftsführers erst drei Mitarbeiter wiedereingegliedert.<br />

Maßnahmen der betrieblichen Gesundheitsförderung werden angeboten. Insgesamt betrach-<br />

tet wird im Unternehmen eine Vielzahl von eher mit der Telefontätigkeit einhergehender<br />

Maßnahmen (bspw. Stimmtrainings, Ergonomisches Sitzen) durchgeführt, jedoch gibt es<br />

keine Systematisierung im Sinne von Kennziffern, Managementverfahren, etc.<br />

Der im Jahr 2009 zum ersten Mal gewählte und implementierte Betriebsrat ist erst seit einem<br />

Jahr im Amt und noch in der Findungsphase. In Zukunft soll eine betriebsrätliche Strategie in<br />

Sachen Arbeits- und Gesundheitsschutz erarbeitet werden. Der Betriebsrat ist bestrebt, bei<br />

der gesundheitsgerechten Gestaltung der Arbeitsplätze in den neu zu beziehenden Räum-<br />

lichkeiten sowie bei der Auswahl von Analyseinstrumenten weiterhin mitzubestimmen. Bei<br />

der Auswahl der Fachkraft für Arbeitssicherheit hat er von seinen Mitbestimmungsmöglich-<br />

keiten bereits Gebrauch gemacht.<br />

Meilensteine<br />

Als Meilensteine werden von den Interviewpartnern die verschiedenen Forschungsprojekte<br />

genannt, an denen das Unternehmen teilgenommen hat. So wurde im Rahmen des Projek-<br />

tes „MAGQ: Motivation, Arbeit, Gesundheit, Qualität“ im Jahr 2003 erstmalig im Unterneh-<br />

men eine Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen mit dem Verfahren BAAM<br />

durchgeführt. Die Gefährdungsbeurteilung wurde im Jahr 2005 im Rahmen des Projektes „a-<br />

flex“ und unter besonderer Berücksichtigung alternskritischer Aspekte wiederholt und damit<br />

zugleich eine Evaluation der ersten Untersuchung vorgenommen.<br />

Ebenfalls 2005 nahm das Unternehmen mit Teilen der Belegschaft an dem Projekt „Galileo“<br />

teil mit dem Ziel, die Mitarbeiter zu mehr Bewegung anzuregen. Hierbei handelte es sich<br />

überwiegend um gesundheitsförderliche Aktivitäten wie Initiativen zum Betriebssport und die<br />

Anschaffung von Sportgeräten, mit denen die Mitarbeiter trainieren konnten.<br />

Die Gründung eines Betriebsrates im Jahr 2009 hat der betrieblichen Gesundheitspolitik ei-<br />

nen Anschub gegeben, indem bei einigen offenen Fragen Entscheidungen herbeigeführt<br />

werden konnten. Neben der Bestellung der FaSi ist hier auch die Erarbeitung eines Raum-<br />

konzeptes für die neuen Büroräume zu nennen.<br />

Ein weiterer Meilenstein wird im Umzug und der damit einhergehenden Berücksichtigung<br />

ergonomischer Aspekte gesehen, der im Jahr 2010 erfolgt ist.<br />

199


Bewertung der betrieblichen Gesundheitspolitik<br />

Bewertung aus Sicht der Interviewpartner<br />

Die Interviewpartner sehen das Unternehmen im Themenfeld „im Großen und Ganzen ge-<br />

sundheitlich gut aufgestellt“, insbesondere bei der Ergonomie am Arbeitsplatz, der Qualifizie-<br />

rung der Mitarbeiter sowie bei der Stimmbildung. Gesundheit ist in dem Maße stärker zum<br />

Thema geworden, je größer das Unternehmen wurde und dem damit notwendig gewordenen<br />

Umzug.<br />

Trotz der Teilnahme an verschiedenen Forschungsprojekten bedauern die Interviewpartner,<br />

dass die oftmals als gut und hilfreich angesehenen erarbeiteten Maßnahmenpläne nicht um-<br />

gesetzt werden, bzw. vieles als Einzelmaßnahme auf der Strecke bleibt und nicht konzeptua-<br />

lisiert wird. Ein Grund wird auch darin gesehen, dass in den Forschungsprojekten externer<br />

Sachverstand die Aktivitäten vorantreibt, die Maßnahmenumsetzung jedoch den innerbe-<br />

trieblichen Akteuren überlassen bleibt.<br />

Seitens des Betriebsrates wird der Krankenstand im Unternehmen als „katastrophal“ be-<br />

schrieben. Es gäbe somit einen sehr großen Leidensdruck, ein Betriebliches Gesundheits-<br />

management einzuführen. Nach Ansicht der Geschäftsleitung ist der Krankenstand insbe-<br />

sondere aufgrund der sehr schlechten räumlichen Bedingungen bezogen auf Platz, Lärm,<br />

Luft und Licht derart hoch. Ferner sei die Arbeit in einem Call-Center eine generell psychisch<br />

hoch belastende Tätigkeit, die kaum Kompensationsmöglichkeiten während der Arbeitszeit<br />

biete, und darüber hinaus keine Aufstiegschancen für die Beschäftigten bereithalte.<br />

Abgleich mit dem Referenzmodell<br />

Die konkrete Ausgestaltung der betrieblichen Gesundheitspolitik muss sich stets an den indi-<br />

viduellen Gegebenheiten und Rahmenbedingungen eines Unternehmens orientieren. Darü-<br />

ber hinaus lassen sich jedoch Mindeststandards an eine erfolgreiche betriebliche Gesund-<br />

heitspolitik formulieren (s. Kapitel 3). Diese Standards werden nachfolgend mit den vorlie-<br />

genden Informationen aus dem Vorabfragebogen und den Aussagen der verschiedenen In-<br />

terviews abgeglichen.<br />

1. Formulierung einer klaren, inhaltlichen Zielsetzung<br />

Im Rahmen der verschiedenen Projekte lassen sich Orientierungslinien des Unternehmens<br />

erkennen. Eine klare, inhaltliche Zielsetzung im Themenfeld Gesundheit existiert jedoch im<br />

Unternehmen nicht.<br />

2. Abschluss schriftlicher Vereinbarungen<br />

200


Es sind keine schriftlichen Vereinbarungen zur betrieblichen Gesundheitspolitik zwischen<br />

den Betriebsparteien geschlossen worden. Zurzeit sieht der Betriebsrat hierzu auch keine<br />

Notwendigkeit.<br />

3. Einrichtung eines Lenkungsausschusses<br />

Es existiert kein Ausschuss o.Ä. Absprachen werden auf informellen Wegen getroffen.<br />

4. Bereitstellung von Ressourcen<br />

Es werden projektbezogen Ressourcen (insbes. Arbeitszeit der Mitarbeiter) zur Verfügung<br />

gestellt. Eine kontinuierliche Einstellung von Ressourcen in bspw. Haushaltspläne findet<br />

nicht statt.<br />

5. Festlegung personeller Verantwortlichkeiten<br />

Verantwortlichkeiten für das Thema Gesundheit werden beim Geschäftsführer sowie beim<br />

Betriebsrat gesehen, es gibt jedoch keine fixierte Verantwortlichkeit.<br />

6. Qualifizierung von Experten und Führungskräften<br />

Aufgrund der Unternehmensgröße gibt es im Unternehmen keine Experten, die sich aus-<br />

schließlich mit dem Thema Gesundheit befassen. Führungskräfte werden nicht explizit auf<br />

diesem Gebiet geschult. Allerdings läuft das Thema Gesundheit in vielen Schulungen und<br />

Trainings (bspw. Stimmtrainings) mit.<br />

7. Beteiligung und Befähigung der Mitarbeiter<br />

Die Mitarbeiter sind aufgefordert, sich an Unternehmensentscheidungen zu beteiligen, bspw.<br />

in Projektsitzungen. Zudem wurden die Mitarbeiter in den verschiedenen Forschungsprojek-<br />

ten mit einbezogen.<br />

8. Betriebliche Gesundheitsberichterstattung<br />

Es existiert keine betriebliche Gesundheitsberichterstattung.<br />

9. Internes Marketing<br />

Aktivitäten zum Thema Gesundheit werden im Unternehmen bekanntgemacht.<br />

10. Durchführung der vier BGM-Prozesse<br />

Die vier BGM-Prozesse (PDCA-Zyklus) dienen als Grundgerüst für Aktivitäten im Bereich<br />

Gesundheit, jedoch kommt das Unternehmen selten über die Phase der Maßnahmengene-<br />

rierung hinaus.<br />

11. Erfüllung gesetzlicher Anforderungen<br />

Zwar wurden Gefährdungsbeurteilungen im Unternehmen durchgeführt, doch ist deren Aktu-<br />

alität nicht gegeben (letztmals 2005). Es werden Begehungen durchgeführt und die verpflich-<br />

201


tenden arbeitsmedizinischen Untersuchungen angeboten. Durch die Bestellung der FaSi<br />

erhofft sich das Unternehmen, zur Erfüllung gesetzlicher Anforderungen zu gelangen. Ein<br />

institutionalisiertes BEM existiert nicht.<br />

12. Integration des BGM<br />

In dem Unternehmen können positive Ansätze einer integrierten Bearbeitung des Themas<br />

Gesundheit beobachtet werden. Das Thema ist in den Köpfen der Akteure nachhaltig veran-<br />

kert und wird bei den Entscheidungsfindungen stets mitgedacht, wenn auch eher implizit. Im<br />

Rahmen von Reorganisationsprozessen, bspw. dem anstehenden Umzug werden Gesund-<br />

heitsaspekte berücksichtigt. Zudem sind die Entscheidungsträger stets auf der Suche nach<br />

Projekten, die auch das Unternehmen voranbringen.<br />

Akteure und Akteurskonstellationen in der betrieblichen Gesundheitspolitik<br />

Die Akteure im Überblick<br />

Als handelnde Akteure der betrieblichen Gesundheitspolitik sind in erster Linie der Ge-<br />

schäftsführer sowie der Betriebsrat zu nennen. Eine weitere wichtige Rolle nimmt der Beauf-<br />

tragte für Stimmtraining ein.<br />

Die Mitarbeiter sind im Rahmen von Projektmeetings eingebunden und können hier auch<br />

gesundheitsbezogene Anliegen einbringen. Allerdings wird dies nicht aktiv nachgefordert,<br />

und auch die Projektmeetings selbst werden nicht konsequent durchgeführt.<br />

Als externer Akteur führt ein betriebsärztlicher Dienst die vorgeschriebene Augenuntersu-<br />

chung im Unternehmen durch. Eine externe Fachkraft für Arbeitssicherheit ist mit entspre-<br />

chend geringem Zeitvolumen bestellt, Erfahrungen liegen noch nicht vor. Darüber hinaus gibt<br />

es einen externen Coach für Gesprächsführung, mit dem Ziel, die Mitarbeiter im Umgang mit<br />

den diversen Belastungen der Gesprächssituation zu schulen.<br />

Im Vorfeld des Umzugs wurde eine Stellungnahme bei der zuständigen Berufsgenossen-<br />

schaft zu den neuen Räumlichkeiten eingeholt, und es wurde ein externer Gutachter in die<br />

Planungen der Arbeitsplätze einbezogen.<br />

Der Betriebsrat<br />

Der Betriebsrat in der Eigenwahrnehmung<br />

Der Betriebsrat ist vielfach noch in der Findungsphase. Er profitiert von den Erfahrungen<br />

seines Vorsitzenden, der bereits im Vorgängerunternehmen als Betriebsrat aktiv war. Im<br />

Zuge der Implementierung eines Betriebsrates im Unternehmen haben sich die Akteure in-<br />

tensiv beraten und qualifizieren lassen und bspw. eine arbeitsrechtliche Schulung absolviert.<br />

Als schwierig wird von den nicht freigestellten Betriebsratsmitgliedern ihre Doppelbelastung<br />

erachtet: Die Betriebsratstätigkeiten fallen neben der normalen Arbeitstätigkeit an.<br />

202


Der Betriebsrat nimmt sich selbst als kooperativer Akteur wahr, der stets um „sinnvolle Lö-<br />

sungen“ bemüht ist. In Bezug auf die betriebliche Gesundheitspolitik sieht er sich selbst als<br />

„Co-Manager“. Das Thema Arbeits- und Gesundheitsschutz stünde bei den Betriebsratsmit-<br />

gliedern „weit oben“ auf der Agenda. In der betrieblichen Gesundheitspolitik versucht man<br />

bspw. im Sinne des Unternehmens Fördermittel für sinnvolle Maßnahmen zu erhalten, u.a.<br />

bei Integrationsämtern. Nach der Wahl des Betriebsrates konnten unter seiner Mitwirkung<br />

verschiedene Entscheidungen getroffen werden, die zuvor feststeckten. Insbesondere wird<br />

hier die Bestellung der FaSi genannt.<br />

Die Mitglieder des Betriebsrats sehen einen engen Zusammenhang zwischen der Gesund-<br />

heit der Mitarbeiter einerseits und der Arbeitsorganisation und Arbeitsumgebung anderer-<br />

seits. Eine potenzielle Ressourcenorientierung von Arbeit wird abgelehnt. „Arbeit ist Mittel<br />

zum Zweck und daher geht es darum, Beeinträchtigungen zu minimieren.“ Die Intention der<br />

betrieblichen Gesundheitspolitik des Betriebsrates ist es daher, die Verhältnisse zu ändern,<br />

unter denen Arbeit geleistet wird.<br />

Die Rolle des Betriebsrates wird vom Vorsitzenden durchaus auch skeptisch gesehen, da<br />

somit eine „Stellvertreterpolitik“ gefördert und die Motivation zur direkten Beteiligung der Mit-<br />

arbeiter geschmälert werde. Ziel des Betriebsrates werde es daher sein, die Beteiligung der<br />

Mitarbeiter aktiv zu fördern. Die Information der Mitarbeiter über die Aktivitäten des Betriebs-<br />

rates erfolge per Mail in Form eines Infobriefes sowie über persönliche Gespräche.<br />

Der Betriebsrat sieht seine Aufgabe insbesondere nach dem Umzug darin, dafür zu sorgen,<br />

dass dem Arbeits- und Gesundheitsschutz der Mitarbeiter auch weiterhin genüge getan wird.<br />

Für die eigenen Aktivitäten unterhält der Betriebsrat keine Ankoppelung an gewerkschaftli-<br />

che Aktivitäten, u. A. weil man davon ausgeht, dass Betriebe dieser Größenordnung für die<br />

Gewerkschaften „nicht von Interesse“ sind.<br />

Für den Betriebsrat zählen eher eigene strategische Kompetenzen. Dabei ist man sich be-<br />

wusst, sich bei der Betriebsgröße nicht um alle Einzelheiten kümmern zu können und überall<br />

Experte zu sein. Dies würde auch ob der Ermangelung einer Freistellung schnell zu Überfor-<br />

derung führen, da die Mitglieder des Betriebsrates nicht freigestellt sind. Es ist daher im Inte-<br />

resse des Betriebsrates, grobe Linien festzulegen und sich auf diese zu einigen und Maß-<br />

nahmen umzusetzen. Hoffnung und Ziel des BR ist es, dazu beizutragen, das Umsetzungs-<br />

defizit, das bei bisherigen Projekten das Problem war, zu beseitigen.<br />

Der Betriebsrat zieht es auch in Erwägung, eine Betriebsvereinbarung zu Themen der<br />

Gesundheitspolitik abzuschließen. Allerdings bestehe aktuell dazu keine Notwendigkeit, da<br />

man die eigenen Positionen recht nah an denen der Geschäftsleitung sehe, zum Beispiel bei<br />

dem neuen Raumkonzept.<br />

203


Der Betriebsrat in der Fremdwahrnehmung<br />

Der Betriebsrat wurde von „alten Hasen“ gegründet, deren Erwartungen an die Ausgründung<br />

und die weitere Entwicklung des Unternehmens nach Ansicht des Geschäftsführers ent-<br />

täuscht wurden. Das führt er maßgeblich auf einen zwei Jahre zuvor entstandenen Konflikt<br />

bei der Durchführung eines neuen Auftrages zurück. Das Unternehmen wurde mit einer ge-<br />

hörigen Portion Idealismus gegründet, vieles davon hat sich aber an der Realität abgeschlif-<br />

fen und zu nicht geklärten Rollenkonflikten geführt, die daraus resultieren, dass sich die An-<br />

fangsrollen mittlerweile ausdifferenziert hätten.<br />

Der Geschäftsführer teilt die Befürchtung des Betriebsrates hinsichtlich der Stellvertreterpoli-<br />

tik. Er sieht den Betriebsrat zukünftig in Sachen Partizipation als ersten Ansprechpartner und<br />

ist der Auffassung, dass die Belegschaft mit der Wahl des Betriebsrates diesen Teil delegiert<br />

hat. Direkte Verhandlungen mit der Belegschaft, wie in der Vergangenheit üblich, könnten<br />

jetzt nur noch mit ausdrücklicher Zustimmung des Betriebsrates erfolgen. Seitens der Ge-<br />

schäftsleitung wird dieser Umstand ausdrücklich begrüßt. Das Unternehmen habe mittlerwei-<br />

le eine Größe erreicht, bei der die Kommunikationsstrukturen zunehmend unübersichtlich<br />

würden, sodass es effizienter sei, einen Akteur zu haben, der die Interessen bündele. Ande-<br />

rerseits wird das Betriebsratsgremium als nicht unerheblicher Kostenfaktor gesehen. Die<br />

Kosten für wahrgenommene Seminare überstiegen bereits jetzt die der Führungskräfteschu-<br />

lungen. Bemängelt wird weiterhin das Misstrauen, dass der Geschäftsleitung seitens des<br />

Betriebsrates entgegengebracht wird, sodass man sich sofort in einer „Gemengelage“ befin-<br />

de, wenn man im Unternehmen etwas ändern wolle. Der partizipative Führungsstil der Ge-<br />

schäftsleitung werde vom Betriebsrat teilweise als Schwäche interpretiert. Auf Seiten der<br />

Geschäftsleitung entsteht so der Eindruck, dass der Betriebsrat darauf drängt, eine „traditio-<br />

nell institutionalisierte Rollenverteilung zwischen Arbeit und Kapital“ zu etablieren, was wie-<br />

derum dem Rollenverständnis des Geschäftsführers widerspricht. Der Umstand, dass sich<br />

Betriebsratsvorsitzender und Geschäftsführer schon sehr lange kennen, und beide um ihre<br />

jeweiligen Schwächen wissen, wird eher als Hindernis denn als förderlicher Faktor bei der<br />

„vertrauensvollen Zusammenarbeit“ gesehen.<br />

Die Geschäftsführung<br />

Der Geschäftsführer bekleidet seine Funktion bereits seit Gründung des Unternehmens.<br />

Heute ist er alleiniger Geschäftsführer und einer von vier Gesellschaftern des Unterneh-<br />

mens. Der Geschäftsführer hat die betriebliche Gesundheitspolitik bereits im Vorgängerun-<br />

ternehmen maßgeblich mitgestaltet, bspw. im Rahmen einer Erhebung der psychischen Be-<br />

lastungen im Jahr 1993/94 oder als Projektleiter eines gewerkschaftlichen Projektes zur "So-<br />

zialen Gestaltung der Arbeit in Call Centern – SoCa" im Jahre 2003.<br />

Die Geschäftsführung in der Eigenwahrnehmung<br />

204


Der Geschäftsführer sieht sich als proaktiver Gestalter der betrieblichen Gesundheitspolitik.<br />

Er ist und war stets offen für das Thema Gesundheit und hat bereits eine Vielzahl von Pro-<br />

jekten ins Unternehmen geholt und durchgeführt. Die Gesundheit der Mitarbeiter spielt für<br />

ihn eine entscheidende Rolle.<br />

Er würde gerne noch mehr Angebote unterbreiten, zum Beispiel Massagen für die Mitarbei-<br />

ter, jedoch scheitert vieles an der Finanzierung. Im Prinzip muss ein ausgegründetes Unter-<br />

nehmen die gleiche Dienstleistungsqualität wie interne Unternehmensteile zu einem geringe-<br />

ren Preis anbieten. Der daraus resultierende Preisdruck verhindert, dass zahlreiche wünsch-<br />

bare Dinge nicht in das Geschäftsmodell integriert werden können.<br />

Insgesamt bedauert der Geschäftsführer, dass das Unternehmen bereits in zahlreichen<br />

gesundheitsbezogenen Projekten vertreten war, aber viele als sinnvoll und wichtig erkannte<br />

Maßnahmen kaum umgesetzt werden konnten, u.a. aufgrund mangelnder Unterstützung bei<br />

der Maßnahmendurchsetzung sowie mangelnder Zeitressourcen, um die Maßnahmenum-<br />

setzung angemessen zu begleiten. Wenn man in einem anderen Unternehmen z. B. als ex-<br />

terner Berater etwas umsetzen wolle, sei das einfacher, weil eine Neutralität zugebilligt wer-<br />

de. Im eigenen Unternehmen hingegen befinde man sich sofort in einer Gemengelage, oft-<br />

mals herrsche Misstrauen zwischen den Betriebsparteien.<br />

Der Geschäftsführer vermutet außerdem, dass sein partizipativer Führungsstil ihm seitens<br />

des Betriebsrates mitunter als Schwäche ausgelegt wird.<br />

Der Geschäftsführer hat einen sehr differenzierten Blick auf die Arbeitstätigkeiten im Unter-<br />

nehmen. Es gehe darum, die Befindlichkeiten der Kunden zu kanalisieren und dann so<br />

schnell wie möglich weiter zu verarbeiten – insofern handele es sich um Emotionsarbeit.<br />

Solch eine Tätigkeit können seiner Ansicht nach nur emotional hoch belastbare Personen<br />

durchführen. Hier sei Coaching wichtig. Alles, was an Gesundheitsförderung getan werden<br />

kann, muss seiner Ansicht nach hier ansetzen. Es ginge hier nicht um die Lehre von Stan-<br />

dardfloskeln zur schnellen Abfertigung von Kunden, sondern um ein Coaching, das an der<br />

Rollensituation ansetze, also um ein psychologisches Training.<br />

Die Belastungen aus der Arbeitstätigkeit seien daher hauptsächlich psychischer Natur. Die<br />

psychischen Belastungen entständen unter anderem durch die Art der zu führenden Gesprä-<br />

che. Es müsse versucht werden, ein positives Selbstverständnis bei dieser Arbeit zu finden.<br />

Allerdings sieht sich der Geschäftsführer hier auch in einer Dilemmasituation: Alles, was an<br />

Trainings etc. als sinnvoll und wünschenswert erachtet wird, kostet zu viel Geld, das das<br />

Unternehmen nur schwer erwirtschaften kann. Daher ist das Unternehmen stets auf der Su-<br />

che nach kostengünstigen Lösungen, zu denen u.a. auch die Teilnahme an Forschungspro-<br />

jekten zählt.<br />

205


Der Geschäftsführer glaubt nicht daran, Probleme einfach lösen zu können, da sich seiner<br />

Erfahrung nach Probleme auf eine andere Ebene verlagern. Er ist aber der Ansicht, dass die<br />

Konfliktlinien im Unternehmen einmal erfasst, bewertet, aufgearbeitet und dokumentiert wer-<br />

den müssten. Das wurde schon mal intern versucht, scheiterte aber, weil die Fronten zu ver-<br />

härtet seien. Ohne Mediation käme man da nicht weiter, allerdings seien die betreffenden<br />

Akteure zurzeit noch nicht zu diesem Schritt bereit.<br />

Die Geschäftsführung in der Fremdwahrnehmung<br />

Die Geschäftsleitung wird als durchaus aktiv in der betrieblichen Gesundheitspolitik be-<br />

schrieben. Ihr wird die Teilnahme des Unternehmens an den verschiedenen Forschungspro-<br />

jekten zugeschrieben. Auch wird ihr Wissen in diesem Themenfeld anerkannt.<br />

Der Betriebsrat sieht die Geschäftsführung alles in allem beim Thema Gesundheit recht nah<br />

an seinen Positionen, bspw. beim Raumkonzept.<br />

Bemängelt wird jedoch, dass die Geschäftsführung ihre Führungsaufgabe nicht dahingehend<br />

wahrnehme, aktiv und dauerhaft darauf hinzuweisen, wie man bspw. richtig sitze. Insgesamt<br />

müssten gesundheitsbezogene Themen viel stärker in den Betrieb hinein kommuniziert und<br />

verankert werden, auch bei der Einarbeitung neuer Mitarbeiter. Es gebe grundsätzlich keine<br />

klar definierten Aufgabenbereiche. Das sei Stärke und Schwäche zugleich. Es existiere ein<br />

hohes Maß an Eigenverantwortlichkeit in der Arbeitsorganisation, aber andererseits gingen<br />

bestimmte Themen, wie etwa gesundes Verhalten am Arbeitsplatz, dann unter.<br />

Fazit<br />

Bei dem untersuchten Unternehmen handelt es sich um einen kleineren Betrieb mit etwa 50<br />

Mitarbeitern, der seit seiner Gründung im Jahr 1999 ständig gewachsen ist und nun an räum-<br />

liche, aber auch organisationale Grenzen stößt. Ferner muss darauf hingewiesen werden,<br />

dass die Größe des Unternehmens ein Grund dafür sein kann, dass wenig formale Struktu-<br />

ren existieren und Entscheidungsprozesse in hohem Maße informell ablaufen, sodass sich<br />

vieles einer direkten Analyse entzieht, zumal es eine starke Kultur der „Selbstvertretung“ der<br />

Mitarbeiter gibt, was die Prozesse für Außenstehende intransparent werden lässt. Es ver-<br />

wundert also nicht, dass im Unternehmen kein Betriebliches Gesundheitsmanagementsys-<br />

tem existiert. Es gibt weder Strukturen noch kontinuierliche Verfahren, die sich diesem The-<br />

ma widmen, obgleich die gesetzlichen Vorgaben des Arbeitsschutzes größtenteils erfüllt<br />

werden. Allerdings gibt es ein hohes Problembewusstsein seitens der Geschäftsleitung. Sie<br />

geht davon aus, dass die Mitarbeiter starken psychischen Belastungen ausgesetzt sind und<br />

deshalb in die Lage versetzt werden müssen, besser mit diesen Belastungen umgehen zu<br />

können. So hat das Unternehmen trotz seiner kleinen Größe bereits vielfache Versuche un-<br />

ternommen, das Thema Gesundheit zu platzieren. Beispielsweise nahm das Unternehmen<br />

an mehreren öffentlich geförderten Projekten zum Gesundheitsthema Teil. Die Nachhaltigkeit<br />

206


der daraus entstandenen Aktivitäten wird zwar von den Akteuren teilweise in Zweifel gezo-<br />

gen, die Teilnahme und die projektbezogenen Aktivitäten an sich können aber schon als po-<br />

sitiver Beitrag zur betrieblichen Gesundheitspolitik gewertet werden.<br />

Der Zusammenhang von Gesundheit, Arbeitszufriedenheit und Produktivität wird von allen<br />

Akteuren betont. Die Qualität der Arbeitsbedingungen wird als der maßgebliche Faktor ge-<br />

sehen, die Qualität der angebotenen Dienstleistung langfristig zu gewährleisten und damit<br />

am Markt bestehen zu können. Die Ausstattung der Arbeitsplätze kann, ebenso wie die Qua-<br />

lifizierung der Mitarbeiter, als gelungen bezeichnet werden. So gibt es zum Beispiel Stimm-<br />

coachings, Augenuntersuchungen und Sportangebote für die Mitarbeiter. Man ist stolz da-<br />

rauf, dass die Fluktuationsrate im Branchenvergleich äußerst niedrig ist. Gerne würde die<br />

Geschäftsleitung noch mehr anbieten, allerdings fehlt es dafür an Ressourcen. Abstriche<br />

müssen vor allem aufgrund des organisationalen Wachstums gemacht werden, durch den<br />

die räumlichen Kapazitäten seit einiger Zeit an ihre Grenzen gestoßen sind, was zu teilweise<br />

drastischen Verschlechterung der Arbeitsbedingungen geführt hat. Der geplante Umzug wird<br />

als Chance begriffen, die Arbeitsumgebung in den neuen Räumlichkeiten von Grund auf<br />

gesundheitsförderlich zu gestalten.<br />

Fördernde und hemmende Faktoren für die betriebliche Gesundheitspolitik<br />

Trotz hohem Problembewusstsein und wiederholter (projektförmiger) Bearbeitung des<br />

Gesundheitsthemas haben sich im Unternehmen keine nachhaltigen Strukturen etabliert. Es<br />

gibt keine Differenzierung von Verantwortlichkeiten, keine geregelten Entscheidungsstruktu-<br />

ren und keine kontinuierliche Gremienarbeit zum Gesundheitsmanagement. Im Wesentlichen<br />

liegt die Verantwortung für das Gesundheitsthema bei der Geschäftsführung. Es soll jedoch<br />

darauf hingewiesen werden, dass sehr umfangreiche formale Strukturen bei einem kleinen<br />

Unternehmen unter Umständen wenig sinnvoll und darüber hinaus kaum umsetzbar sind.<br />

Die strukturellen Hemmnisse im Fallstudienunternehmen erwachsen eher aus der Unter-<br />

nehmenskultur, die wiederum eng mit der Gründungsgeschichte und der weiteren Entwick-<br />

lung, die der Betrieb seither durchlaufen hat, verknüpft ist. Der Anspruch, direkte Partizipati-<br />

on in allen Entscheidungsprozessen zu ermöglichen und Hierarchien so flach wie möglich zu<br />

halten, führte zu einer hohen Beteiligungs- und Diskussionskultur, aber auch zu zähen Ent-<br />

scheidungsprozessen mit unklaren Kompetenzverteilungen, was ein Grund dafür sein kann,<br />

dass sich im Unternehmen keine nachhaltigen Strukturen der Gesundheitspolitik etablieren<br />

konnten. Jedoch befindet sich das Unternehmen momentan in einer Umbruchphase. Es ist<br />

nicht nur an räumliche, sondern auch an organisationale Grenzen gestoßen. Die Gründung<br />

des Betriebsrates kann in diesem Zusammenhang als Reaktion auf zunehmende Schwierig-<br />

keiten bei der Interessenvermittlung sowohl innerhalb der Belegschaft als auch zwischen<br />

Beschäftigten und Geschäftsleitung gesehen werden. Letztere begrüßt die Gründung aus-<br />

drücklich, da es zukünftig einen verbindlichen Ansprechpartner gibt, der die Interessen der<br />

207


Belegschaft bündelt und so effiziente Entscheidungsmechanismen ermöglicht. Wenngleich<br />

der Betriebsrat, ein knappes Jahr im Amt, sich noch in der Findungsphase befindet und aus<br />

lediglich drei nicht freigestellten Mitarbeitern besteht, kann er in Zukunft durchaus dazu bei-<br />

tragen, die beschriebenen strukturellen Hemmnisse zu überwinden.<br />

Zur Akteurskonstellation können keine endgültigen Aussagen getroffen werden, da sich noch<br />

kein Umgangsmodus zwischen Betriebsrat und Geschäftsleitung eingespielt hat. Eine Fach-<br />

kraft für Arbeitssicherheit ist zwar bereits bestellt und auch zum Teil in die Planungen einbe-<br />

zogen, die Zusammenarbeit wird aber erst nach dem Umzug in die größeren Büroräume<br />

intensiviert werden. Generell scheint das Verhältnis zwischen Betriebsräten und dem Ge-<br />

schäftsführer teilweise durch Misstrauen geprägt zu sein, was eventuell auch in nicht geklär-<br />

ten Rollenkonflikten der beiden Akteure seine Ursache haben kann. Der Geschäftsführer,<br />

früher selbst Betriebsrat, fühlt sich in seiner Rolle als „Chef“ einigermaßen unwohl. Für sein<br />

Zögern, als Spitze eines „normalen kapitalistischen Unternehmens“ aufzutreten, wird ihm<br />

andererseits vom Betriebsrat Führungsschwäche vorgeworfen. Der Betriebsrat, eigentlich ein<br />

Anhänger der „Selbstvertretung“, sieht hingegen die Existenz seines eigenen Gremiums als<br />

ein Zeichen des Scheiterns der ursprünglichen Gründungsidee, da er nun „Stellvertreterpoli-<br />

tik“ betreiben müsse. Diese Rollenkonflikte können beim Aufbau nachhaltiger Strukturen in<br />

der betrieblichen Gesundheitspolitik, ja generell bei der Steuerung des Unternehmens, zum<br />

Problem werden. Andererseits könnte das Gesundheitsthema aber auch die Betriebsparteien<br />

einen, zumal gerade bei Fragen der Gesundheit großes Einvernehmen zwischen beiden<br />

Akteuren herrscht. Beide teilen ein ähnliches Gesundheitsverständnis und identifizieren die<br />

gleichen Problembereiche im Unternehmen. Bemerkenswert ist, dass sowohl Betriebsrat als<br />

auch Geschäftsleitung eine ausgesprochen verhältnisorientierte Auffassung von betrieblicher<br />

Gesundheitspolitik vertreten. Eine Blockadehaltung kann beim Gesundheitsthema nicht beo-<br />

bachtet werden. Allerdings tendieren die Akteure dazu, salutogene Aspekte des Arbeitspro-<br />

zesses zu negieren. In der betrieblichen Gesundheitspolitik gehe es vor allem darum, das<br />

stets vorhandene „Leid“ der Beschäftigten zu lindern.<br />

Förderliche Faktoren finden sich bei der Kompetenz und dem Engagement der relevanten<br />

Personen. Hier ist besonders der Geschäftsführer hervorzuheben, der sich in der Vergan-<br />

genheit ein hohes Fachwissen aneignen konnte, auch durch die Beteiligung an öffentlich<br />

geförderten Projekten. Darüber hinaus ist er in der Lage, die Probleme im eigenen Unter-<br />

nehmen präzise zu analysieren, und versucht beständig, Verbesserungen herbeizuführen –<br />

wenngleich ihm das aufgrund oben genannter Probleme nicht immer gelingt. Der Betriebs-<br />

ratsvorsitzende ist ein erfahrener Interessenvertreter, der sich ebenfalls sehr für das Thema<br />

Gesundheit interessiert und entsprechend kompetent ist. In Zukunft möchte er mit seinem<br />

Gremium in diesem Feld verstärkt Initiative zeigen.<br />

208


Die finanziellen, personellen und zeitlichen Ressourcen sind im Unternehmen sui generis<br />

sehr begrenzt. Generell herrscht in der Call-Center Branche ein hoher Kostendruck, der laut<br />

Geschäftsführung verhindert, dass (noch) mehr Ressourcen zur Verbesserung der Gesund-<br />

heit der Mitarbeiter investiert werden kann. Als Beispiel wird ein umfassendes psychologi-<br />

sches Training aller Mitarbeiter angeführt, dass zwar als dringend notwendig, aber zugleich<br />

als nicht finanzierbar erachtet wird. Des Weiteren kann sich der Mangel an personellen und<br />

zeitlichen Ressourcen, der zum einen aus dem Marktdruck, zum anderen aus der dünnen<br />

Personaldecke resultiert, als Hemmnis für eine verstetigte betriebliche Gesundheitspolitik<br />

erweisen. Allerdings wird im Unternehmen einiges dafür getan, den Marktdruck nicht direkt<br />

an die Mitarbeiter weiterzugeben. So beziehen alle Mitarbeiter im Wesentlichen das gleiche<br />

Gehalt, ohne leistungsabhängige Komponenten, die Bezahlung liegt über dem branchenübli-<br />

chen Lohn, Erholungspausen werden vergütet und es wird (bisher) nicht „rund um die Uhr“,<br />

d. h. sieben Tag à 24 Stunden gearbeitet. Diese Faktoren können durchaus dazu beitragen,<br />

den Druck auf die Mitarbeiter zu mildern und ihre Gesundheit zu fördern.<br />

Treiber bzw. Motoren für die betriebliche Gesundheitspolitik<br />

Die betriebliche Gesundheitspolitik ist der Geschäftsleitung ein persönliches Anliegen, und<br />

sie kann als zentraler Treiber identifiziert werden. So beruhen die Teilnahme an den öffent-<br />

lich geförderten Projekten sowie zahlreiche Angebote zur Gesundheitsförderung auf seiner<br />

Initiative. In der Vergangenheit hat etwa der jetzige Betriebsratsvorsitzende die Entwicklung<br />

eines Leitbildes im Unternehmen angestoßen, welches von allen Befragten als wichtiger Mei-<br />

lenstein in der Entwicklung der Unternehmenskultur gesehen wird und das darüber hinaus<br />

Anknüpfungspunkte für die betriebliche Gesundheitspolitik bietet. In seiner jetzigen Position<br />

möchte der Betriebsrat stärker im Gesundheitsfeld aktiv werden und strebt u.a. Kooperatio-<br />

nen mit der ARGE (zur Förderung von Altersteilzeit) sowie mit Integrationsämtern (zur Förde-<br />

rung von Arbeitsplatzeinrichtungen) an.<br />

Wahrgenommener Handlungsbedarf<br />

Bisher laufen im Unternehmen zahlreiche Aktivitäten im Themenfeld Gesund isoliert vonei-<br />

nander ab. Zudem verpufften die Impulse, die durch die Teilnahme an Projekten angestoßen<br />

wurden, weitgehend. Daher bedarf es zunächst einer strukturierten Zusammenfassung und<br />

Evaluation der bisherigen Aktivitäten. Dabei sollten Verfahren, die sich bewährt haben, aus-<br />

gebaut bzw. institutionalisiert werden. Die Evaluation könnte auch dazu dienen, dass man<br />

sich darüber klar wird, was man eigentlich schon alles an positiven Dingen erreicht hat. Die<br />

allgemein eher negative Wahrnehmung der (Gesundheits-)Situation im Unternehmen steht<br />

beispielsweise auch im Widerspruch zu der von allen Interviewten zumindest implizit geäu-<br />

ßerten und objektiv nachvollziehbaren Ansicht nach überdurchschnittlichen Arbeitsbedingun-<br />

gen der Beschäftigten.<br />

209


Für das Unternehmen kann es in der jetzigen Entwicklung wichtig sein, dass sich ein profes-<br />

sioneller Modus des Zusammenwirkens zwischen Unternehmensleitung und Betriebsrat ei-<br />

nerseits und der Bündelung der Mitarbeiterinteressen über den Betriebsrat andererseits her-<br />

ausbildet. Diese Modi können zusammen für verbesserte Effizienz der Entscheidungsfindung<br />

und -umsetzung sorgen. So besteht die Chance, in Zukunft nachhaltige Strukturen der be-<br />

trieblichen Gesundheitspolitik zu etablieren.<br />

Dazu sollten die adressierten externen Akteure ebenfalls besser eingebunden werden. Erste<br />

Schritte in diese Richtung sind mit der Beauftragung einer Fachkraft für Arbeitssicherheit<br />

sowie mit dem Vorhaben, mit weiteren Akteuren bspw. den Integrationsämtern zu kooperie-<br />

ren, bereits gemacht.<br />

Feedback-Workshop<br />

Das Angebot eines Feedback-Workshops ist durch den Betriebsrat nicht in Anspruch ge-<br />

nommen worden.<br />

7.2.8 Fall 8: Etabliertes Co-Management<br />

Eckdaten zum Unternehmen<br />

Das Fallstudienunternehmen gehört einer Unternehmensgruppe aus dem Bereich der<br />

Medizinprodukteherstellung an. Seit der Gründung im Jahr 1936 ist das Unternehmen in<br />

Familienbesitz und derzeit in Form einer GmbH & Co. KG tätig. Am Hauptstandort in<br />

Nordrhein-Westfalen sind ca. 450 Personen beschäftigt, davon ca. 320 Mitarbeiter in der<br />

Produktion (am Standort arbeiten weiterhin ca. 80 Mitarbeiter in der Vertriebsgesellschaft<br />

und ca. 70 Mitarbeiter in der Verwaltung). In den Jahren nach 1990 war das Unternehmen<br />

aufgrund der wirtschaftlichen Situation gezwungen, massiv Stellen abzubauen. Damals wa-<br />

ren rund 1.000 Mitarbeiter in dem Unternehmen beschäftigt.<br />

Für jeden der drei Unternehmensbereiche gibt es einen Geschäftsführer, wovon der Ge-<br />

schäftsführer der Vertriebsgesellschaft gleichzeitig als Hauptgeschäftsführer fungiert. Der für<br />

alle Unternehmensbereiche zuständige Betriebsrat besteht aus elf Personen, von denen der<br />

Betriebsratsvorsitzende freigestellt ist. Überwiegend gehören die Mitglieder des Betriebsrats<br />

der IG Metall an.<br />

Das Unternehmen verfügt über einen weiteren Produktionsstandort im europäischen Ausland<br />

sowie mehrere internationale Tochter-Unternehmen und Vertretungen. Es ist nach DIN EN<br />

ISO 9001:2000 zertifiziert. In Deutschland hat man in der zweiten Hälfte des letzten Jahr-<br />

hunderts mehrere Konkurrenzunternehmen erworben.<br />

210


In dem im Rahmen der Fallstudie genauer betrachteten Produktionsbereich gibt es neben<br />

dem Geschäftsführer einen Betriebsleiter. In der nächsten Hierarchiestufe haben zehn Abtei-<br />

lungsleiter jeweils zwei bis sechs Gruppen unterschiedlicher Größe (zwei bis 25 Mitarbeiter)<br />

zu betreuen, denen jeweils ein Gruppenleiter vorsteht. Mitte der 90er Jahre des letzten Jahr-<br />

hunderts wurde die Arbeit im Produktionsbereich des Unternehmens von Grund auf neu ge-<br />

staltet: In einem umfangreichen Prozess und unter Einbindung externer Akteure wurde auf<br />

Gruppenarbeit umgestellt. Weitere prägende Merkmale finden sich in der Verwendung von<br />

quartalsmäßig abgeschlossenen Zielvereinbarungen und einer weitgehend flexiblen Jahres-<br />

arbeitszeit (alle bisherigen Angaben sind aus dem Vorabfragebogen bzw. den Interviews<br />

entnommen).<br />

Die Fehlzeiten lagen im Jahr 2008 bei 4,0% bzw. bei 14,7 Krankheitstagen pro Beschäftig-<br />

tem und damit jeweils unter dem Durchschnitt in der Metallgewerbeinnung (4,8% bzw. 17,7<br />

Tage). Der Anteil der Langzeiterkrankungen an den AU-Tagen liegt in dem Unternehmen mit<br />

34,6% ebenfalls deutlich unter dem Branchendurchschnitt mit 41,1%. In dem Unternehmen<br />

dominieren Muskel-Skeletterkrankungen (30%), Verletzungen und Vergiftungen (14,9%),<br />

Atmungserkrankungen (17,9%) sowie Erkrankungen des Kreislaufsystems (6,2%). Bemer-<br />

kenswert ist die Tatsache, dass der Krankenstand ab dem 40. Lebensjahr nur moderat an-<br />

steigt. Repräsentiert die Gruppe der 40-49Jährigen exakt den durchschnittlichen Kranken-<br />

stand von 4,0%, steigt dieser Wert bei der Gruppe der 50-59Jährigen lediglich auf 4,5% und<br />

bei den über 60Jährigen auf 4,8% an (Angaben aus dem Gesundheitsbericht für das Jahr<br />

2008, Erstellung durch Krankenkasse).<br />

Für die Erstellung der Fallstudie wurden die folgenden Personen einzeln bzw. in Gruppen<br />

interviewt:<br />

der Betriebsratsvorsitzende (freigestellt)<br />

ein BR-Ersatzmitglied (gleichzeitig Vorsitzender der Vertrauensleute), der stellvertretende<br />

BR-Vorsitzende und erneut der Betriebsratsvorsitzende im Rahmen eines Gruppeninter-<br />

views<br />

der Geschäftsführer für den Bereich Produktion und Logistik<br />

der Personalreferent (gleichzeitig Leiter der kaufmännischen Ausbildung)<br />

der Betriebsleiter<br />

der Gesundheitskoordinator (arbeitet im Reparaturservice)<br />

211


Entwicklungsstand und Meilensteine der betrieblichen Gesundheitspolitik<br />

Entwicklungsstand im Fallstudienunternehmen<br />

Die Strukturen des BGM sind in Form eines BGM-Konzeptes für den Produktionsbereich des<br />

Unternehmens niedergelegt. Danach ist das BGM Teil des Unternehmensleitbildes, das auf<br />

dem Fundament der Gruppenarbeit aufbaut. Neben dem BGM finden sich eine Reihe weite-<br />

rer Managementansätze (z. B. das Ideenmanagement und das Qualitätsmanagement) sowie<br />

die Bausteine Zielvereinbarungen, Kennzahlen und Entlohnung.<br />

Als oberstes Ziel des BGM-Konzeptes sollen die Projekte/Maßnahmen des BGM dazu die-<br />

nen, die Gesundheitsressourcen zu nutzen und auszubauen. Einzelziele werden in die Be-<br />

reiche der Risikoprävention (z. B. gesundheitsgerechte Gestaltung des Arbeitsumfelds) und<br />

des Gesundheitslernens (z. B. Verminderung von Risikoverhalten) eingeteilt. Das BGM des<br />

Unternehmens ist auf fünf Säulen aufgebaut (vgl. Abbildung 3: Säulen und Strukturen des<br />

BGM-Konzeptes). Dabei werden mit den jeweiligen Säulen unterschiedliche Ziele verfolgt:<br />

Gesundheitsschutz – Ziel: Einhaltung von Gesetzen, Vorschriften überwachen,<br />

Schwachpunkte offen legen (durch den Arbeitsschutzausschuss)<br />

Gesundheitsstabilisierung – Ziel: Präventivmaßnahmen (Kurse, Seminare, Untersuchun-<br />

gen)<br />

Arbeitsplatzgestaltung – Ziel: ergonomische Arbeitsplatzgestaltung, strukturelle und per-<br />

sonelle Maßnahmen der Organisation<br />

Suchtprävention – Ziel: präventive Maßnahmen gegen Missbrauch von Alkohol, Medika-<br />

menten und Drogen<br />

Gesundheitsgespräche – Ziel: Fehlzeiten analysieren, Gründe finden, Maßnahmen einlei-<br />

ten<br />

Neben den fünf BGM-Säulen, denen unterschiedliche Akteure zugeteilt sind, können der<br />

Abbildung drei weitere wesentliche Institutionen entnommen werden. Als zentrales Steue-<br />

rungsgremium ist der Lenkungskreis Gesundheit geschaffen worden (Teilnehmer: Betriebs-<br />

leiter, Gesundheitskoordinator, Geschäftsleitung, Betriebsratsvorsitzender). Mit ihm soll das<br />

BGM koordiniert, gesteuert und initiiert werden. Es handelt sich nach Interviewaussagen um<br />

das strategische Entscheidungsorgan in dem BGM-Konzept, das sich zweimal im Jahr zu-<br />

sammensetzt. Darüber hinaus tagt einmal jährlich der große Gesundheitszirkel. Vertreter<br />

aller Arbeitsbereiche aus der Produktion haben hier die Möglichkeit, Schwachstellen des<br />

BGM aufzuzeigen und gleichzeitig Ideen und Anregungen für deren Lösung einzubringen.<br />

Die Vorschläge werden entweder dem Lenkungskreis oder dem kleinen Gesundheitszirkel<br />

präsentiert. Letzterer trifft sich regelmäßig alle sechs bis acht Wochen. Die von extern oder<br />

212


intern eingebrachten Themen werden hier intensiv analysiert, konkrete Lösungsmaßnahmen<br />

erarbeitet und schließlich die Umsetzung begleitet.<br />

Abbildung 3:Säulen und Strukturen des BGM-Konzeptes<br />

(Quelle: Eigendarstellung des Unternehmens)<br />

Alle BGM-Aktivitäten (Arbeitszeit und sonstiger Ressourcenverbrauch) werden durch eine<br />

eigene Kostenstelle BGM erfasst. Hierzu werden nach Interviewangaben nicht die Investitio-<br />

nen gezählt, die im Rahmen des gesetzlich vorgeschriebenen Arbeits- und Gesundheits-<br />

schutzes ohnehin anfallen. Mit Hilfe dieser Kostenstelle werden die Kosten dem (finanziellen)<br />

Nutzen des BGM gegenübergestellt. Der Nutzen setzt sich aus den Zahlungen einer Kran-<br />

kenkasse über die Teilnahme an deren Bonus-System und in erster Linie durch die Steige-<br />

rung der Produktivität bei gleichzeitig sinkender Kostenentwicklung zusammen.<br />

213


Das BGM-Konzept ist nicht durch eine Betriebsvereinbarung verankert. Betriebsvereinba-<br />

rungen mit einem engen Bezug zu den Säulen des BGM sind für die Gesundheitsgespräche<br />

und die Suchtprävention abgeschlossen worden.<br />

Hinsichtlich des BEM ist nach Interviewaussagen ein Verfahren entwickelt worden, dass ein<br />

Mitarbeitergespräch nach einer vierwöchigen Erkrankung vorsieht. Dafür ist die Personalab-<br />

teilung zusammen mit dem Betriebsleiter und einem Mitglied des Betriebsrats verantwortlich.<br />

Ziel ist die Erstellung einer schriftlichen Vereinbarung über eine Wiedereingliederung, für<br />

deren Umsetzung der Betriebsleiter verantwortlich ist.<br />

Gefährdungsbeurteilungen werden für das gesamte Unternehmen durch die Fachkraft für<br />

Arbeitssicherheit federführend erstellt. Vorherrschende Themen sind laut Aussage eines<br />

Interviewten Lärm, Gefahrenstoffe und Galvanik, die im Arbeitsschutzausschuss besprochen<br />

werden (die Softwareergonomie ist Aufgabe der EDV-Abteilung).<br />

Unterweisungen und Begehungen werden in dem Unternehmen regelmäßig durchgeführt.<br />

Darüber hinaus werden der Belegschaft mit Unterstützung von Krankenkassen umfangreiche<br />

Angebote der BGF (z. B. gesunde Ernährung im Betrieb, Anti-Stress-Trainings, Nichtrau-<br />

cherprogramme) unterbreitet. Die BGM-Maßnahmen werden ebenso einer Erfolgsbewertung<br />

unterzogen, wie auch die Zielerreichung der betrieblichen Gesundheitspolitik regelmäßig<br />

kontrolliert wird. In das Zielvereinbarungssystem der Führungskräfte auf Abteilungsleiterebe-<br />

ne sind jedoch keine gesundheitlichen Parameter integriert (Angaben aus dem Vorabfrage-<br />

bogen).<br />

Meilensteine<br />

Aus den Interviews lassen sich die wesentlichen Entwicklungsschritte des BGM wie folgt<br />

zusammenfassen: Das BGM in seiner derzeitigen Form ist ohne die Einführung der Grup-<br />

penarbeit nicht denkbar gewesen. Diese nur im Produktionsbereich des Unternehmens ein-<br />

geführte Art der Arbeitsorganisation habe maßgeblich dazu beigetragen, dass verschiedene<br />

Managementsysteme und Instrumente implementiert worden seien, z. B. das Qualitätsma-<br />

nagement, das Ideenmanagement, die Zielvereinbarungen und eben auch das BGM („Es<br />

passt eigentlich alles wunderbar zusammen, es hat nur verschiedene Ausprägungen“.).<br />

Hauptverantwortlich sowohl für die Einführung der Gruppenarbeit als auch später für die Im-<br />

plementierung des BGM war der Geschäftsführer des Produktionsbereichs, der als ein we-<br />

sentlicher Treiber und Gestalter des BGM-Prozesses betrachtet werden kann.<br />

Nach der Einführung der Gruppenarbeit kann das Angebot einer Krankenkasse, an deren<br />

Bonus-System teilzunehmen, als der nächste wichtige Meilenstein betrachtet werden. Das<br />

seit nunmehr zehn Jahren implementierte Bonus-System sieht unterschiedlich gestaffelte<br />

Rückzahlungen von Beitragsleistungen vor, wenn gewisse Kriterien erfüllt sind. Die höchste<br />

der drei Stufen verlangt die Reduzierung des Krankenstandes, der Arzneikosten und eine<br />

214


Verringerung der Krankenhausaufenthalte. Wenn zwei der drei Kriterien erfüllt sind, erfolgen<br />

die Rückerstattungen der Stufe drei: Mitarbeiter erhalten einen vollen Monatsbeitrag zurück.<br />

Zusätzlich profitiert das Unternehmen, wenn es nachweisen kann, dass in die Gesundheit<br />

der Mitarbeiter investiert wurde. Mit diesem Bonus-System finanziert das Unternehmen in<br />

wesentlichen Teilen seine Investitionen in das BGM.<br />

Ein weiterer Baustein, der inhaltlich nicht unmittelbar mit dem BGM verknüpft ist (die Be-<br />

triebsvereinbarung zur Beschäftigungssicherung bis 2012), habe den BGM-Prozess sehr<br />

gefördert, weil hiermit grundlegende Voraussetzungen (Vertrauen, gemeinsames Vorgehen<br />

mit dem Betriebsrat) geschaffen worden seien.<br />

Schließlich wird die Teilnahme an Wettbewerben oder Forschungsprojekten zum BGM ange-<br />

führt. Das Unternehmen kann sowohl auf mehrere Auszeichnungen in den letzten Jahren<br />

verweisen als auch durch wissenschaftliche Projekte immer wieder die Vorteilhaftigkeit sei-<br />

ner BGM-Aktivitäten belegen. Hervorzuheben ist insbesondere die Teilnahme an einem For-<br />

schungsprojekt der Universität Bielefeld, in dem die Bedeutung von Sozialkapital im Betrieb<br />

auf die Gesundheit der Mitarbeiter und den Unternehmenserfolg untersucht wurde (Badura<br />

et al. 2008). Aufbauend auf diesem Projekt und seinen Ergebnissen konnte das Fallstudien-<br />

unternehmen durch gezielte Investitionen in das betriebliche Sozialkapital eine deutlich posi-<br />

tive Kosten-Nutzen-Bilanz des BGM nachweisen. Neben der Fortführung bestehender BGM-<br />

Angebote wurden dabei auf der Basis von Befragungsdaten neue Maßnahmen initiiert. Hier-<br />

zu gehörten organisatorische Maßnahmen, Maßnahmen zur Informations- und Kommunika-<br />

tionsverbesserung sowie interne und externe Qualifizierungsmaßnahmen sowohl für die Be-<br />

legschaft (z. B. Konfliktbewältigung innerhalb der Gruppe) als auch für die Führungskräfte<br />

(Verbesserung des Führungsverhaltens). Zudem wurden mit Blick auf die Unternehmenskul-<br />

tur Führungsgrundsätze entwickelt und verabschiedet. Der im Branchenvergleich bessere<br />

Gesundheitsstand und die sehr niedrigen Unfallzahlen konnten auf ihrem jeweiligen Niveau<br />

gehalten werden. Als ein zentrales Ergebnis der Studie wurde festgehalten, dass die vorge-<br />

nommenen Investitionen in das Sozialkapital den Unternehmenserfolg nachweislich steigern<br />

konnten (Baumanns 2009).<br />

Bewertung der betrieblichen Gesundheitspolitik<br />

Bewertung aus Sicht der Interviewpartner<br />

In den Interviews werden die einzelnen Säulen des BGM-Konzeptes gleichberechtigt neben-<br />

einander gestellt. Auch gebe es z. T. Überschneidungen zwischen den Säulen. Historisch<br />

gesehen sei aber der Gesundheitsschutz durch seine im Vergleich engen gesetzlichen Vor-<br />

gaben schon länger etabliert als andere Bereiche. Betont wird, dass es auf die Entwicklung<br />

innerhalb der einzelnen Säulen ankomme. So ist beispielsweise über einen längeren Zeit-<br />

raum eine Rückenschule (Gesundheitsstabilisierung) angeboten worden, die aktuell auf die<br />

215


Anforderungen einzelner Arbeitsplätze spezifisch ausgerichtet wird, um so den individuellen<br />

Belastungen besser entgegenwirken zu können. Weiterhin wurden z. B. die ehemaligen<br />

Krankenrückkehrgespräche abgeschafft und an ihrer Stelle die Gesundheitsgespräche ein-<br />

geführt.<br />

In der Bewertung der Strukturen und Prozesse herrscht unter den Interviewten eine homo-<br />

gene Grundeinstellung: Man blickt positiv und nicht ohne Stolz auf das Erreichte zurück und<br />

wähnt sich im Vergleich mit anderen Unternehmen – in der Branche, aber auch allgemein –<br />

sehr „weit vorne“. Als maßgeblicher Akteur dieses Prozesses wird der Geschäftsführer des<br />

Produktionsbereichs angeführt. Wenn auch die Bedeutung der einzelnen Gremien und Insti-<br />

tutionen in Nuancen unterschiedlich beurteilt wird, wird doch insgesamt unterstrichen, dass<br />

die Strukturen und Prozesse als etabliert gelten können und sich als erfolgreich herausge-<br />

stellt haben. Das BGM sei „gut und sauber strukturiert“, erfolgreich auch in dem Sinne, als<br />

dass der Bottom up-Prozess des BGM gut funktioniere. Die Belegschaft habe die Erfahrung<br />

gemacht, dass man sich um ihre Anliegen kümmere, wohl wissend, dass nicht alle Wünsche<br />

sofort in die Tat umgesetzt würden. Zudem sei durch die verschiedenen Instanzen der Infor-<br />

mationsfluss über das BGM gesichert.<br />

Differenzierter wird die Tatsache bewertet, dass sich das BGM mit all seinen Strukturen und<br />

Prozessen, nicht nur mit den daraus erwachsenden Maßnahmen, lediglich auf den Produkti-<br />

onsbereich des Unternehmens bezieht. Mehrheitlich wird zwar betont, dass alle dort angebo-<br />

tenen Maßnahmen auch der Belegschaft in den übrigen Unternehmensbereichen zur Verfü-<br />

gung stehen und der Arbeits- und Gesundheitsschutz unternehmensweit verwirklicht sei.<br />

Dennoch wird Kritik geübt, z. B. an unterschiedlichen Regelungen zum Rauchverbot in den<br />

Unternehmensbereichen, und es wird hervorgehoben, dass der Zustand der betrieblichen<br />

Gesundheitspolitik vor allem im Angestelltenbereich noch ausbaufähig sei.<br />

Eine dauerhafte Herausforderung wird darin beschrieben, das BGM-System am Laufen zu<br />

halten. Dies gelänge einerseits immer wieder durch neue Anstöße von außen (z. B. neue<br />

rechtliche Vorgaben) und andererseits durch interne Anregungen neuer und Weiterentwick-<br />

lung bestehender Maßnahmen und Projekte.<br />

Eine weitere Herausforderung wird von vielen Interviewpartnern darin gesehen, die Mitarbei-<br />

ter noch mehr für das Thema Gesundheit zu begeistern, insbesondere sollen sie auch nach<br />

der Arbeit etwas für ihre Gesundheit tun. Die Belegschaft wird dabei als unterschiedlich aktiv<br />

hinsichtlich ihres gesundheitsbewussten Verhaltens eingestuft. Konkret wird vorgeschlagen,<br />

verstärkte Anreize zu setzen, damit die Mitarbeiter an Rückenschulen oder Nordic-Walking-<br />

Kursen teilnehmen, beispielsweise dadurch, dass die Teilnahme an auf Freiwilligkeit basie-<br />

renden Gruppenangeboten zum Teil als Arbeitszeit angerechnet wird.<br />

216


Keiner der Interviewpartner kann sich ernsthaft vorstellen, dass das BGM – auch bei ver-<br />

schlechterter wirtschaftlicher Lage und/oder einem Personalwechsel von Funktionsträgern<br />

des BGM – insgesamt zur Disposition gestellt wird. Dafür sei es in der Vergangenheit zu<br />

erfolgreich gewesen. Es bestehe höchstens Anpassungsbedarf hinsichtlich der Ausgestal-<br />

tung, sofern neue Entscheidungsträger andere Vorstellungen hinsichtlich des BGM verfolgen<br />

sollten.<br />

Abgleich mit dem Referenzmodell<br />

Die konkrete Ausgestaltung der betrieblichen Gesundheitspolitik muss sich stets an den indi-<br />

viduellen Gegebenheiten und Rahmenbedingungen eines Unternehmens orientieren. Darü-<br />

ber hinaus lassen sich jedoch Mindeststandards an eine erfolgreiche betriebliche Gesund-<br />

heitspolitik formulieren (s. Kapitel 3). Diese Standards werden nachfolgend mit den vorlie-<br />

genden Informationen aus dem Vorabfragebogen und den Aussagen der verschiedenen In-<br />

terviews abgeglichen.<br />

1. Formulierung einer klaren, inhaltlichen Zielsetzung<br />

Mit dem BGM-Konzept liegt eine generelle Zielbeschreibung vor. Diese Ziele werden bezo-<br />

gen auf die einzelnen BGM-Säulen konkretisiert. Weiterhin erfolgt eine kontinuierliche Wei-<br />

terentwicklung der Ziele. Anstöße hierzu gibt hierzu u.a. die Teilnahme an wissenschaftli-<br />

chen Studien.<br />

2. Abschluss schriftlicher Vereinbarungen<br />

Neben dem BGM-Konzept gibt es Betriebsvereinbarungen zu bestimmten Einzelaspekten<br />

wie den Gesundheitsgesprächen und dem Thema Sucht; eine Betriebsvereinbarung speziell<br />

zum BGM liegt allerdings nicht vor.<br />

3. Einrichtung eines Lenkungsausschusses<br />

Ein strategischer Lenkungskreis, der die Aktivitäten im BGM koordiniert und steuert, ist im-<br />

plementiert. Darüber hinaus sind ein großer Gesundheitszirkel sowie als operative Einheit<br />

ein kleiner Gesundheitszirkel installiert.<br />

4. Bereitstellung von Ressourcen<br />

Es existiert ein eigenes Gesundheitsbudget. Neben den gesetzlich vorgeschriebenen Akteu-<br />

ren des BGM gibt es einen Gesundheitskoordinator sowie in den Arbeitsgruppen jeweils ei-<br />

nen Ansprechpartner für das Thema Gesundheit.<br />

5. Festlegung personeller Verantwortlichkeiten<br />

Die Festlegungen sind erfolgt, ohne die Verantwortlichkeiten z. B. in Stellenbeschreibungen<br />

niederzulegen. Die Verantwortlichkeiten können in Einzelfällen nicht genau zugeordnet wer-<br />

den, was aber von den Interviewpartnern nicht als Problem dargestellt wird.<br />

217


6. Qualifizierung von Experten und Führungskräften<br />

Qualifizierungsmaßnahmen werden vorgenommen und resultieren z. T. aus Eigeninitiative<br />

der Akteure oder aus Ergebnissen von Mitarbeiterbefragungen.<br />

7. Beteiligung und Befähigung der Mitarbeiter<br />

Das BGM ist partizipativ ausgerichtet (z. B. in Form der Gesundheitszirkel) und wie auch bei<br />

den Führungskräften resultieren Qualifizierungsmaßnahmen aus Mitarbeiterbefragungen.<br />

8. Betriebliche Gesundheitsberichterstattung<br />

Mit Beginn der BGM-Einführung wird ein jährlicher Gesundheitsbericht durch eine Kranken-<br />

kasse erstellt. Dieser Bericht wird u.a. im Lenkungskreis vorgestellt und diskutiert.<br />

9. Internes Marketing<br />

Die Aktivitäten des BGM werden im Unternehmen regelmäßig bekannt gemacht. Allein durch<br />

die Teilnahme an BGM-Wettbewerben und wissenschaftlichen Projekten ist von einem ho-<br />

hen Bekanntheitsgrad des BGM auszugehen.<br />

10. Durchführung der vier BGM-Prozesse<br />

Die Kernprozesse Diagnose, Planung, Intervention und Evaluation (PDCA-Zyklus) werden im<br />

Rahmen des BGM regelmäßig durchlaufen.<br />

11. Erfüllung gesetzlicher Anforderungen<br />

Aus den Angaben des Vorabfragebogens kann von einer weitgehenden Erfüllung der gesetz-<br />

lichen Vorgaben ausgegangen werden. Die Gefährdungsbeurteilungen umfassen allerdings<br />

nicht die Erhebung psychosozialer Belastungsfaktoren. Es wird aber der Anspruch erhoben,<br />

sie durch Gespräche und im Rahmen regelmäßiger Mitarbeiterbefragungen zu erfassen. Bis<br />

auf eine fehlende Angabe zur Durchführung von CE-Analysen können keine Defizite ange-<br />

führt werden.<br />

12. Integration des BGM<br />

Das BGM wird mit einer Reihe anderer Managementansätze verknüpft (z. B. Qualitätsmana-<br />

gement, Organisationsentwicklung und Personalentwicklung). Diese zunächst positive Aus-<br />

sage aus dem Vorabfragebogen wird z. T. in den Interviews revidiert bzw. eingeschränkt.<br />

Auch stehen offensichtlich für die Personalentwicklung nur eingeschränkte Ressourcen zur<br />

Verfügung. Gerade durch das ausgeprägte Engagement der Geschäftsleitung im BGM und<br />

dessen partizipative Elemente (Gesundheitszirkel) kann aber insgesamt von einer fortge-<br />

schrittenen Integration ausgegangen werden.<br />

Zusammengefasst zeigen die Befunde ein hohes Niveau der betrieblichen Gesundheitspoli-<br />

tik. Verbesserungspotenziale lassen sich auf dieser Grundlage z. B. noch bei der Stellenbe-<br />

218


schreibung von Führungskräften hinsichtlich des Themas Gesundheit und bei dem Ab-<br />

schluss diesbezüglicher schriftlicher Vereinbarungen sowie bei der Nutzung von Mitbestim-<br />

mungsmöglichkeiten durch den Betriebsrat (z. B. Auswahl der Fachkraft für Arbeitssicher-<br />

heit) erkennen.<br />

Akteure und Akteurskonstellationen in der betrieblichen Gesundheitspolitik<br />

Die Akteure im Überblick<br />

Das BGM-Konzept des Unternehmens ist auf mehrere Schultern verteilt. Die Besetzung der<br />

einzelnen Positionen zeichnet sich durch eine langjährige Kontinuität aus. Jede Schlüsselpo-<br />

sition ist seit Aufnahme der BGM-Aktivitäten noch mit der gleichen Person besetzt. Bevor<br />

intensiver auf die Betriebsparteien eingegangen wird, werden die wichtigsten internen und<br />

externen Akteure und ihre Präsenz bzw. Tätigkeit im Rahmen des BGM kurz umrissen. Da-<br />

bei wird auf die Ausführungen des schriftlichen BGM-Konzeptes, die Ergebnisse des Vorab-<br />

Fragebogens und auf Aussagen der Interviewten zurückgegriffen.<br />

Der Geschäftsführer des Produktionsbereichs findet sich innerhalb der fünf BGM-Säulen<br />

zwar lediglich in der Gesundheitsstabilisation wieder, jedoch setzt er insbesondere durch<br />

seine Präsenz im Lenkungskreis immer wieder neue Impulse für die Weiterentwicklung<br />

des BGM.<br />

Der Betriebsleiter sorgt für die Organisation und die praktische Umsetzung der Maßnah-<br />

men vor Ort, wobei viele Anfragen durch den Gesundheitskoordinator aus dem kleinen<br />

Gesundheitszirkel an ihn herangetragen werden. Der Betriebsleiter ist in vier der fünf<br />

BGM-Säulen präsent und fehlt lediglich in der Säule Suchtprävention.<br />

Der Betriebsrat ist in allen BGM-Strukturen vertreten. Er findet sich sowohl in allen fünf<br />

Säulen des BGM-Konzepts wieder als auch im großen und kleinen Gesundheitszirkel<br />

sowie im Lenkungskreis. Der Betriebsratsvorsitzende sitzt im Arbeitsschutzausschuss, im<br />

Lenkungskreis und in den Zirkeln. In den Zirkeln sind darüber hinaus einzelne Mitglieder<br />

aus dem Betriebsrat vertreten.<br />

Der Gesundheitskoordinator nimmt insofern eine neutrale Stellung ein, als dass er weder<br />

Mitglied des Betriebsrats noch der Geschäftsführung ist. Seine Tätigkeitsschwerpunkte<br />

liegen weniger im klassischen Arbeits- und Gesundheitsschutz und folglich ist er in diese<br />

Säule auch nicht offiziell eingebunden. Vielmehr sucht er den engen Kontakt mit der Be-<br />

legschaft. Ihm obliegt die Moderation des großen und des kleinen Gesundheitszirkels,<br />

weiterhin ist er Mitglied im Lenkungskreis.<br />

Im Gegensatz zum Gesundheitskoordinator liegen die Hauptaufgaben der Fachkraft für<br />

Arbeitssicherheit im klassischen Arbeits- und Gesundheitsschutz. Als Mitglied im Arbeits-<br />

219


sicherheitsausschuss ist er in den BGM-Säulen Gesundheitsschutz und Arbeitsplatzge-<br />

staltung vertreten.<br />

Aus jedem Team im Produktionsbereich wurden Gruppensprecher für Gesundheit ge-<br />

wählt, die für die Filterung der gesundheitsrelevanten Themen aus ihrer Gruppe und für<br />

deren Weiterleitung an den kleinen Gesundheitszirkel verantwortlich sind.<br />

Die Abteilungsleiter sind zusammen mit der Fachkraft für Arbeitssicherheit für die Erstel-<br />

lung der Gefährdungsbeurteilungen verantwortlich. Zudem müssen sie in ihren Abteilun-<br />

gen für die Umsetzung der Maßnahmen sorgen, was insgesamt durch den Betriebsleiter<br />

koordiniert wird.<br />

Die Personalabteilung ist nur wenig in das BGM eingebunden. Sie erstellt z. B. den<br />

Schriftverkehr mit der Krankenkasse im Rahmen des Bonus-Systems. Ein Vertreter der<br />

Personalabteilung ist allerdings Mitglied im Arbeitssicherheitsausschuss.<br />

Weitere interne Akteure sind die Sicherheitsbeauftragten, die Kollegen der Arbeitsvorbe-<br />

reitung, die Frauenbeauftragte und der Schwerbehindertenvertreter. Sie agieren im<br />

Rahmen ihrer gesetzlichen Aufgaben, haben jedoch offensichtlich keine prägenden Ein-<br />

flüsse auf die Ausgestaltung des BGM-Konzeptes.<br />

Die bisherigen internen Akteure werden durch einige wichtige externe Akteure ergänzt. Der<br />

Betriebsarzt habe bei der BGM-Einführung intensiv mitgewirkt und ist auch in vier der fünf<br />

BGM-Säulen vertreten – er fehlt nur bei den Gesundheitsgesprächen. Seine Präsenz im Un-<br />

ternehmen wird in den Interviews trotz seines externen Status positiv hervorgehoben. Zu den<br />

weiteren externen Akteuren gehören zwei Krankenkassen, die in dem Unternehmen ihr Prä-<br />

ventions-Bonus-System eingeführt haben. Auch werden die Berufsgenossenschaft und die<br />

Gewerbeaufsicht eingebunden. Man gehe hier aktiv auf die Institutionen zu, um sich gerade<br />

bei offenen Fragestellungen deren Know-how einzuholen.<br />

Der Betriebsrat<br />

Der Betriebsrat in der Eigenwahrnehmung<br />

Innerhalb des elfköpfigen Betriebsratsgremiums herrscht keine feste Zuordnung von Perso-<br />

nen und Themen – auch nicht hinsichtlich des Themas Gesundheit. Jeder, der sich einbrin-<br />

gen möchte, ist dazu aufgefordert. Entsprechend individuell erfolgt die Weiterbildung hin-<br />

sichtlich gesundheitsspezifischer Themen.<br />

Als Hauptakteur des Betriebsrats für die betriebliche Gesundheitspolitik wird eindeutig von<br />

allen Interviewpartnern aus dem Betriebsrat der Vorsitzende hervorgehoben. Einzelne Mit-<br />

glieder des Gremiums kommen durch ihre Teilnahme am großen oder kleinen Gesundheits-<br />

220


zirkel mit dem Thema in Berührung. Hier sind sie jedoch nicht in erster Linie als Mitglieder<br />

des Betriebsrats, sondern als Kollegen aus den verschiedenen Produktionsgruppen etabliert.<br />

Es existiert keine eigene, innerhalb des Betriebsratsgremiums abgestimmte Strategie zum<br />

Thema Gesundheit. Man identifiziert sich stattdessen mit dem bestehenden BGM-Konzept,<br />

an dessen Ausgestaltung man sich einen maßgeblichen Anteil zuschreibt. Als Gremium ha-<br />

be man dabei eine begleitende und überwachende Funktion, z. B. hinsichtlich der ausgegli-<br />

chenen Gestaltung von Verhaltens- und Verhältnisprävention. Diesbezüglich sieht der Be-<br />

triebsrat derzeit in den freiwilligen und in der Freizeit angebotenen Maßnahmen der Verhal-<br />

tensprävention keine Gefahr, dass durch sie ein unerwünschter Verpflichtungscharakter ent-<br />

stehen könnte, an diesen Angeboten regelmäßig teilzunehmen. Eher wird die positive Ent-<br />

wicklung geschildert, sich zu Beginn des BGM-Prozesses überwiegend um die Gestaltung<br />

der Arbeitsplätze gekümmert zu haben. Mittlerweile sei es – auch durch den Beitrag des Be-<br />

triebsrats – gelungen, sich sehr viel breiter aufzustellen. Ein weiteres Beispiel für die beglei-<br />

tende und überwachende Funktion stellen die ehemaligen Krankenrückkehrgespräche und<br />

deren Weiterentwicklung zu Gesundheitsgesprächen dar. Deren Ablauf, Rahmenbedingun-<br />

gen und Ziele werden ebenso wie der Bereich der Suchtprävention in einer Betriebsverein-<br />

barung geregelt. Der Antrieb, gerade diese Bereiche schriftlich zu regulieren, wird damit be-<br />

gründet, dass die stark auf das Individuum bezogenen BGM-Bereiche nicht zum Nachteil der<br />

Betroffenen funktionalisiert werden dürfen. In einem dritten Beispiel wird beschrieben, wie<br />

man sich seitens des Betriebsrats gegen die Einführung eines neuen Schichtsystems hat<br />

durchsetzen können. Obwohl dieser durch die Geschäftsführung eingebrachte Vorschlag als<br />

Maßnahme aus einer BGM-Mitarbeiterbefragung hervorging und auf neuen medizinischen<br />

Erkenntnissen zum Thema Schichtarbeit aufbaute, beharrte der Betriebsrat auf dem von den<br />

Mitarbeitern akzeptierten alten System.<br />

Neben der begleitenden und kontrollierenden Funktion sieht sich der Betriebsrat auch in der<br />

Verantwortung, die Aktivitäten des BGM im Unternehmen bekannt zu machen und die Be-<br />

legschaft zur Beteiligung zu motivieren. Darüber hinaus fungiere der Betriebsrat als An-<br />

sprechpartner für die Belegschaft in Sachen Gesundheit. Zwar seien hierfür eigentlich die<br />

Gruppensprecher für Gesundheit vorgesehen. Durch die Wendung an den Betriebsrat ver-<br />

binde sich bei den Mitarbeitern jedoch die Hoffnung, dass die Probleme eher angegangen<br />

bzw. besser gelöst werden.<br />

Die Kooperation von Geschäftsleitung und Betriebsrat beim Thema Gesundheit wird als pro-<br />

duktiv beschrieben. Dies sei dadurch gefördert worden, dass der Betriebsrat von Beginn des<br />

Planungsprozesses aktiv durch die Geschäftsleitung eingebunden wurde. Es habe keinen<br />

Anlass gegeben, sich übergangen zu fühlen, sondern man sei in der Mitverantwortung, das<br />

BGM im Sinne der Mitarbeiter auszugestalten. Diese Chance habe der Betriebsrat ergriffen.<br />

Relativ schnell sei erkannt worden, dass es besser sei, sich aktiv mit in die Gestaltung des<br />

221


BGM einbringen zu können als eine Blockadepolitik zu betreiben. Dieses kooperative Vorge-<br />

hen sei nicht nur bei der Einführung und Weiterentwicklung des BGM gegeben, sondern<br />

kennzeichne die generelle Umgangsweise miteinander. Dies schließe das Auftreten von<br />

Konflikten und Meinungsverschiedenheiten keineswegs aus. Beide Betriebsparteien bemüh-<br />

ten sich jedoch stets um eine ausgewogene Lösung, die mit beidseitigen Zugeständnissen<br />

verbunden sei („Alles was erzwungen wird, führt zu Widerständen.“). Es kann von den Inter-<br />

viewpartnern nur ein Beispiel angefügt werden, dass zeitlich vor der BGM-Einführung liegt,<br />

bei dem es zu einem Einigungsstellenverfahren gekommen ist.<br />

Die Vorstellung, dass das BGM z. B. von einer neuen Geschäftsleitung gekippt werden könn-<br />

te, wird seitens des Betriebsrats als hypothetisch empfunden, da sich das BGM bewährt und<br />

Vorteile für das Unternehmen und für die Mitarbeiter gebracht habe („Die Mehrheit ist auch<br />

stolz auf so ein Gesundheitsmanagement – muss man ganz klar sagen“.). Stärker gewichtet<br />

wird dabei der Nutzen für die Mitarbeiter. So werden als zwei zukünftige Herausforderungen<br />

die Verbesserung der klimatischen Verhältnisse in einer Produktionshalle und die betriebli-<br />

che Weiterbildung (zwecks Möglichkeit eines Arbeitsplatzwechsels) benannt.<br />

Dass jedoch auch der wirtschaftliche Aspekt des BGM mitgedacht wird, zeigen Äußerungen<br />

zum Gesundheitsverständnis. U.a. heißt es, dass nur ein gesunder Mitarbeiter gleichzeitig<br />

auch ein guter – im Sinne von produktiver – Mitarbeiter sei. Die Einflussfaktoren auf die Ge-<br />

sundheit könnten nicht exakt zwischen dem Privat- und dem Arbeitsleben auseinanderdivi-<br />

diert werden („Gesundheit hört nicht am Werkstor auf“.). Jeder Bereich habe seine eigenen<br />

Herausforderungen und sollte im BGM Berücksichtigung finden.<br />

Von den Vertretern des Betriebsrats wird kein dringender Kompetenz- und Unterstützungs-<br />

bedarf zum Thema Gesundheit formuliert. Einzelne Funktionsträger haben sich parallel zur<br />

BGM-Weiterentwicklung geschult. Dabei wird auf unterschiedliche Bildungsträger – selbst<br />

auf Angebote der Arbeitgeberseite – zurückgegriffen. Das Spektrum an Weiterbildungsmög-<br />

lichkeiten im Themenfeld betriebliche Gesundheitspolitik wird als sehr weit und ausreichend<br />

angesehen. Es falle eher schwer, den Überblick über die Vielzahl der Angebote zu behalten.<br />

Hervorgehoben wird der Austausch innerhalb der IG Metall.<br />

Der Betriebsrat in der Fremdwahrnehmung<br />

Der Betriebsratsvorsitzende wird von den anderen Interviewpartnern in Sachen BGM als<br />

kompetent erlebt. Den Ausschlag für diese Einschätzung gibt weniger die – ebenfalls bestä-<br />

tigte – Fach-, sondern vielmehr die Sozialkompetenz. Diese äußere sich beispielsweise in<br />

dem Üben konstruktiver Kritik und gleichzeitig in der Formulierung eigener vernünftiger, d. h.<br />

realisierbarer Lösungsvorschläge.<br />

Am Anfang der BGM-Einführung habe der Vorsitzende auch Überzeugungsarbeit innerhalb<br />

des Gremiums leisten müssen. Mittlerweile habe sich Gesundheit aber als ein Thema etab-<br />

222


liert, mit dem der Betriebsrat bei der Belegschaft positiv in Erscheinung treten könne. Dass<br />

dabei nicht andere Themen vernachlässigt werden, wird vor allem als eine Aufgabe für den<br />

Vorsitzenden beschrieben.<br />

In der Stellungnahme eines Interviewpartners wird der Wunsch formuliert, dass sich das<br />

Gremium Betriebsrat in seiner Gesamtheit noch engagierter zeigen sollte, um die Beleg-<br />

schaft von den Vorteilen des BGM zu überzeugen – insbesondere im Hinblick auf die Teil-<br />

nahme an Maßnahmen der Verhaltensprävention. Einer anderen Auffassung nach ist es<br />

Aufgabe des Betriebsrats dafür zu sorgen, dass das BGM auch auf die anderen Unterneh-<br />

mensbereiche übertragen wird. Dieses Vorhaben müsse zusammen mit der Geschäftsleitung<br />

aus dem Produktionsbereich angegangen werden. Von der gleichen Person wird der Be-<br />

triebsrat eher als Unterstützer und weniger als Treiber oder Gestalter des BGM angesehen.<br />

Insgesamt wird der Umgang mit dem Betriebsrat eher als ein kooperatives Miteinander als<br />

ein konfrontatives Gegeneinander beschrieben. Dabei stelle die Art der Auseinandersetzung<br />

in dem Themenfeld Gesundheit keine Ausnahme im Vergleich zu anderen betriebspoliti-<br />

schen Themen dar. Meinungsverschiedenheiten gebe es insbesondere dort, wo es um die<br />

Dringlichkeit der Umsetzung von Maßnahmen und die Frage geht, ob die Teilnahme an den<br />

Maßnahmen als Arbeitszeit angerechnet wird. Es sei jedoch nicht erstaunlich und für den<br />

Gesamtprozess des BGM nicht gefährlich, dass die Betriebsparteien diesbezüglich unter-<br />

schiedliche Meinungen verträten.<br />

Die Geschäftsführung<br />

Die Geschäftsführung in der Eigenwahrnehmung<br />

Der Geschäftsführer beschreibt sich selbst als jemanden, der in seiner Vorgängerfirma durch<br />

Lean Production und Gruppenarbeit geprägt wurde. Er ist der Auffassung, dass Unterneh-<br />

men heute keine großen Prozessinnovationen mehr machen können und sich eher durch<br />

kleine Schritte fortentwickeln. Hierzu sei die Einbeziehung der Mitarbeiter unabdingbar. Auch<br />

beschreibe er als Geschäftsführer lieber Ziele als Wege und ließe den Mitarbeitern entspre-<br />

chend viele Freiräume, um diese Ziele zu erreichen.<br />

Zu der Einführung der Gruppenarbeit, des Qualitätsmanagements, des Ideenmanagements,<br />

der Zielvereinbarungen etc. habe der Ansatz des BGM gut gepasst. Entscheidend sei, dass<br />

die einzelnen Strukturelemente ineinandergreifen, was z. B. durch die weitgehende Perso-<br />

nenidentität in den Strukturen gesichert sei. Nur so habe man zudem das BGM in eine<br />

schlanke Organisation integrieren können, ohne es als Anhängsel zu empfinden.<br />

Das ihn antreibende Motiv bei allen Ansätzen – also auch beim BGM – ist der damit zu erzie-<br />

lende Return on Invest. U.a. seien mit dem BGM Wohlfühlfaktoren, Führungsverhalten und<br />

Leistung positiv zu beeinflussen. Dies sei allerdings nur zu erreichen, wenn BGM als eine<br />

223


kontinuierliche Aufgabe verstanden werde. Mit der dauerhaften Senkung des Krankenstands<br />

ist seiner Auffassung nach ein wichtiges Ziel des BGM erreicht worden. Viel wichtiger sei<br />

aber der durch BGM induzierte „Wohlfühlfaktor“, durch den dann letztlich die Produktivität<br />

gesteigert werde.<br />

Wie schon bei der Einführung der Gruppenarbeit habe er als Geschäftsführer den Betriebsrat<br />

von Beginn an in die Konzeption des BGM einbezogen. Gemeinsam mit dem Betriebsrats-<br />

vorsitzenden habe er dann die Strukturen des BGM kontinuierlich aufgebaut. Aufgrund der<br />

engen Zusammenarbeit fällt es ihm schwer, eine Grenze zwischen seinen Aufgaben und<br />

denen des Betriebsratsvorsitzenden im Rahmen des BGM zu ziehen. Auch lege man das<br />

BGM-Budget gemeinsam am Jahresanfang fest, wobei er sich allerdings die letzte Entschei-<br />

dungsbefugnis vorbehalte.<br />

Der partizipative Ansatz des BGM bringe es mit sich, dass der Belegschaft keine Neuerun-<br />

gen aufgezwängt werden könnten. Dies verdeutliche z. B. der vorerst gescheiterte Versuch<br />

der Einführung eines neuen Schichtsystems. Eine solche Einführung könne auch nicht im<br />

Rahmen des BGM eingeleitet, sondern müsse zwischen Betriebsrat und der Geschäftsfüh-<br />

rung in einem anderen Rahmen abgestimmt werden. Lediglich ein Pilotprojekt in einem<br />

überschaubaren Produktionsbereich könne über das BGM laufen.<br />

Die Geschäftsführung in der Fremdwahrnehmung<br />

Der Geschäftsführer des Produktionsbereiches wird von allen Interviewpartnern als der Initia-<br />

tor und Treiber des BGM anerkannt. Er habe die konzeptionelle Grundlage des BGM gelegt<br />

als logische Fortsetzung des eingeschlagenen Wegs der Gruppenarbeit. Früh habe er er-<br />

kannt, dass ein gesunder Mitarbeiter leistungsfähiger und damit produktiver ist und damit<br />

einen positiven Zusammenhang zwischen Investitionen in Gesundheit und der Produktivität<br />

hergestellt. Mit dieser Überzeugung habe er das BGM vorgelebt und gegen Widerstände im<br />

Unternehmen behauptet. Der Betriebsrat kann von keinen negativen Erfahrungen in der<br />

BGM-Zusammenarbeit berichten. Er sei stets einbezogen worden bzw. habe ausreichend<br />

Einflussmöglichkeiten gehabt. Interessengegensätze zeigten sich allerdings immer wieder<br />

bezüglich der Schnelligkeit, mit der die BGM-Maßnahmen umgesetzt werden und bezüglich<br />

der Frage, ob einzelne Maßnahmen innerhalb oder außerhalb der Arbeitszeit stattfinden soll-<br />

ten. In der Regel sei in den Diskussionen aber ein guter Lösungsweg gefunden worden.<br />

Fazit<br />

Das BGM ist durch die im Laufe des Jahrzehnts entwickelten Verfahren und Mechanismen<br />

gewachsen. Es scheint so gefestigt, dass weder wirtschaftliche Krisenzeiten noch ein neuer<br />

Geschäftsleiter in der Produktion mit einer neuen Ausrichtung das etablierte BGM gefährden<br />

können. Es ist nicht zu erkennen, dass eine Partei oder ein Akteur ein Verfahren oder ein<br />

Mechanismus für seine individuellen Interessen missbraucht oder es gegen das BGM ein-<br />

224


setzt.<br />

Das Beispiel der (vorerst gescheiterten) Einführung eines neuen Schichtsystems zeigt auf,<br />

dass Regulierungsbereiche – in diesem Fall die Arbeitszeit – mit gesundheitlichen Themen<br />

verbunden werden. Zweitens kann es als Beleg dafür stehen, dass keine Entscheidungen<br />

gegen großen Widerstand der Mitarbeiter getroffen, sondern sie von der Notwendigkeit der<br />

Veränderungen überzeugt werden sollen, die für positive Auswirkungen auf ihre Gesundheit<br />

stehen.<br />

Als das Hauptgremium des BGM ist der Lenkungskreis zu betrachten. Hier werden immer<br />

wieder neue Impulse gesetzt. Zudem beruht das BGM-Konzept gleichzeitig darauf, dass<br />

auch der einzelne Mitarbeiter die Möglichkeit hat, seine Anliegen und Ideen einzubringen.<br />

Entweder direkt oder über die Arbeit des kleinen Gesundheitszirkels, der als das regelmäßig<br />

arbeitende Organ des BGM bezeichnet werden kann. Der große Gesundheitszirkel hingegen<br />

fungiert eher als eine Denkfabrik (Think tank).<br />

Dass die Akteure – wenn auch mit unterschiedlichen Interessen – insgesamt an einem<br />

Strang ziehen, liegt sicherlich auch an der frühzeitigen Einbindung des Betriebsrats durch die<br />

Geschäftsleitung. Das entwickelte BGM-Konzept trägt die Handschrift beider Betriebspartei-<br />

en und trifft daher auf breite Anerkennung. Dieses frühzeitige Einbinden hat wiederum einen<br />

erfolgreichen Vorläufer – die Einführung der Gruppenarbeit Mitte der 90er Jahre – gehabt.<br />

Fördernde und hemmende Faktoren für die betriebliche Gesundheitspolitik<br />

Als ein wesentlicher Förderfaktor kann angeführt werden, dass jeder der befragten Akteure<br />

mit dem BGM Erfolgserlebnisse verbinden kann – individueller Art und vor allem für das Un-<br />

ternehmen bzw. für die Mitarbeiter. Weiterhin sind zwischen den einzelnen Akteuren bzw.<br />

zwischen den Betriebsparteien keine größeren Differenzen hinsichtlich der Ausgestaltung<br />

des BGM auszumachen, die ein ernsthaftes Problem darstellen oder in Machtfragen münden<br />

könnten. Fest machen lässt sich diese Einschätzung beispielsweise an der Frage der Krank-<br />

heitsverursachung (arbeitsbedingt/lebensstilbedingt). Hier gibt es keine konfliktbehafteten<br />

Differenzen zwischen den Betriebsparteien. Als förderlich kann zudem das interne Gefüge<br />

des Betriebsratsgremiums bezeichnet werden, das die hervorgehobene Stellung des<br />

Gesundheitsthemas offensichtlich akzeptiert und unterstützt. Das Gremium fungiert als rea-<br />

gierender und kontrollierender Begleiter des BGM-Prozesses hinsichtlich der ausgeglichenen<br />

Gestaltung von Verhaltens- und Verhältnisprävention. Weiterhin kann die Ressourcenaus-<br />

stattung als vergleichsweise gut eingestuft werden. Es gibt ein eigenes Gesundheitsbudget<br />

und einen Gesundheitsbeauftragten, der einen Teil seiner Arbeitszeit in diese Funktion in-<br />

vestieren kann. Auch durch die regelmäßigen Zirkelsitzungen werden zunächst erst einmal<br />

Ressourcen gebunden, die als nicht selbstverständlich gelten können. Schließlich haben sich<br />

durch eine gewisse Personenkontinuität und die lange Zeit, seit der es im Unternehmen ein<br />

225


BGM gibt, bei den einzelnen Akteuren Erfahrungen, Kompetenzen und Wissen angesam-<br />

melt, die der kontinuierlichen Weiterentwicklung des BGM dienen können.<br />

Hemmschwellen bzw. Verbesserungspotential für das BGM sind dort zu erkennen, wo Anre-<br />

gungen aus dem Verwaltungs- oder Vertriebsbereich des Unternehmens in den Arbeits-<br />

schutzausschuss oder in den BGM-Prozess eingebracht werden sollen. Auffällig ist zudem<br />

die eher schwache Anbindung der Personalabteilung in das BGM-Geschehen, was seine<br />

Ursache u.a. in der geringen Personalkapazität in diesem Bereich haben dürfte – ein Kontra-<br />

punkt zu der oben angeführten günstigen Ressourcenausstattung. Zu der Verknüpfung der<br />

verschiedenen Management-Ansätze gibt es ebenso divergierende Meinungen wie zu der<br />

Frage, inwieweit der demographische Wandel in den Überlegungen des BGM eine Rolle<br />

spielt. In beiden Bereichen scheinen die Potenziale des BGM noch nicht voll ausgeschöpft<br />

zu sein. Schließlich kann zumindest hinterfragt werden, wie partizipativ der BGM-Ansatz<br />

bzw. wie groß der Einfluss auf Mitarbeiterebene wirklich ist. Diese Frage kann mit einer Aus-<br />

sage begründet werden, nach der nur im Lenkungskreis wichtige Entscheidungen für die<br />

Weiterentwicklung des BGM getroffen werden können.<br />

Treiber bzw. Motoren für die betriebliche Gesundheitspolitik<br />

Der Geschäftsführer ist die federführende Person des BGM und eindeutig als dessen Haupt-<br />

treiber einzuordnen. Nach der ebenfalls von ihm initiierten Einführung der Gruppenarbeit hat<br />

er diesen Ansatz konsequent fort- und das BGM eingeführt. Zusätzliche Dynamik kommt<br />

offensichtlich durch die enge Zusammenarbeit mit dem Betriebsratsvorsitzenden zustande.<br />

Dieser kann durch das BGM positive Nachrichten an die Belegschaft senden und ist inner-<br />

halb des Betriebsratsgremiums als der Treiber für das Thema Gesundheit akzeptiert. Als der<br />

einzig Freigestellte im Betriebsrat kann er als Co-Manager des BGM verstanden werden.<br />

Insgesamt fällt die Abgrenzung der Aufgaben des Geschäftsführers und des Betriebsratsvor-<br />

sitzenden schwer, wobei in den Interviews immer wieder klar wurde, dass die Motivation zum<br />

BGM klassischerweise mit den jeweiligen Rollen der beiden Akteure verbunden ist. Der Ge-<br />

schäftsführer sieht im BGM eine sich lohnende Investition in das Humankapital und demnach<br />

Vorteile für das Unternehmen am Markt. Der Betriebsratsvorsitzende hat in erster Linie das<br />

Wohlbefinden der Kolleginnen und Kollegen im Sinn – während und außerhalb der Arbeits-<br />

zeit und nach dem Arbeitsleben. Unterschiedliche Ansichten von der Geschäftsleitung und<br />

dem Betriebsratsvorsitzenden kommen weiterhin bei dem Abschluss von Betriebsvereinba-<br />

rungen zum Ausdruck. Der Geschäftsführer möchte sich eher an dem orientieren, was man<br />

ursprünglich mit einem Instrument erreichen möchte, ohne sich dabei in schriftlichen Einzel-<br />

heiten zu verlieren. Der Betriebsratsvorsitzende ist geneigt, Anliegen in detaillierter Form<br />

schriftlich zu fixieren, sofern es um besonders sensible persönliche Bereiche der Mitarbeiter<br />

geht. Diese Unterschiede ändern aber nichts an der Einschätzung, dass diese beiden Akteu-<br />

re maßgebliche Treiber der betrieblichen Gesundheitspolitik sind.<br />

226


Im Vergleich dazu hat das Betriebsratsgremium im BGM keine herausragende Stellung. Ein-<br />

zelne Mitglieder sind zwar in allen BGM-Strukturen und -Prozessen vertreten, dennoch kann<br />

der Betriebsrat nicht als der eigentliche Motor angesehen werden. Die Grenzen des betriebs-<br />

rätlichen Einflusses werden daran deutlich, dass sich das BGM – auch noch nach zehn Jah-<br />

ren – mit seinen auf Partizipation ausgelegten Strukturen auf den Produktionsbereich des<br />

Unternehmens beschränkt. Der Betriebsrat hat sich in den Gesprächen nicht als die Instituti-<br />

on präsentiert, die diesen Zustand unbedingt ändern möchte bzw. ändern kann. Man beruft<br />

sich darauf, dass alle BGM-Angebote für das gesamte Unternehmen gelten und die Ge-<br />

schäftsführer in den anderen Unternehmensbereichen kein Interesse an einer tiefer greifen-<br />

den BGM-Einführung hätten.<br />

Wahrgenommener Handlungs- und Entwicklungsbedarf<br />

Entwicklungspotenzial für die zukünftige Arbeit des Betriebsrats im Rahmen der betrieblichen<br />

Gesundheitspolitik kann erstens mit Blick auf das Gremium selbst und zweitens mit Blick auf<br />

das BGM identifiziert werden. Hinsichtlich der Aufstellung als Betriebsrat können folgende<br />

Punkte angeführt werden:<br />

Die Gestaltungs- und Entscheidungsfunktion ist durch den Betriebsratsvorsitzenden domi-<br />

niert. Einzelne Betriebsratsmitglieder finden sich in den Gesundheitszirkeln wieder, wo sie<br />

aber primär als Mitarbeiter und nicht in der Funktion Betriebsrat in Erscheinung treten. Um<br />

die Verantwortung im Gremium auf mehrere Schultern zu verteilen, könnte z. B. ein Stellver-<br />

treter benannt werden, der in die Aufgaben, die der Vorsitzende im Lenkungskreis etc. hat,<br />

eingearbeitet wird. Darüber hinaus könnte sich das Betriebsratsgremium neben seiner Kont-<br />

rollfunktion im Rahmen des BGM noch aktiver an dessen Ausgestaltung beteiligen, z. B. in-<br />

dem Ideen in den kleinen Gesundheitszirkel oder in den Lenkungsausschuss eingebracht<br />

werden.<br />

Die bisherige Qualifizierung zu verschiedenen Gesundheitsthemen geschieht im Wesentli-<br />

chen auf individuelle Initiative hin. Eine abgestimmte Fort- und Weiterbildung einzelner Be-<br />

triebsratsmitglieder zu verschiedenen Gesundheitsthemen könnte – insbesondere vor dem<br />

Hintergrund neuer gesundheitsbezogener Problemstellungen in der Arbeitswelt – den Pro-<br />

zess der aktiven BGM-Ausgestaltung weiter unterstützen.<br />

Eine stärkere Rollen- bzw. Aufgabenabgrenzung zwischen dem Betriebsratsvorsitzenden<br />

und dem Geschäftsführer könnte ggf. zu mehr Klarheit der jeweiligen Verantwortungsberei-<br />

che führen.<br />

Mit Blick auf den Status quo des BGM werden für den Betriebsrat folgende Handlungsfelder<br />

identifiziert:<br />

227


Das BGM-Konzept könnte über seine jetzige Form hinaus auch durch eine Betriebsvereinba-<br />

rung festgeschrieben werden. Eine schriftliche Fixierung könnte sich dann als vorteilhaft er-<br />

weisen, wenn sich wesentliche Rahmenparameter, beispielsweise durch Neubesetzung von<br />

Positionen wie die des Geschäftsführers, ändern. Zudem sollte der Versuch unternommen<br />

werden, das BGM mit seinem partizipativen Ansatz (z. B. großer und kleiner Gesundheitszir-<br />

kel) auf das gesamte Unternehmen zu übertragen. Weiterhin sollte der Gesundheitsbericht<br />

der Krankenkasse durch eine datengetriebene betriebliche Gesundheitsberichterstattung – z.<br />

B. in Form von Jahresberichten – ausgebaut werden. Dieser Bericht könnte gleichzeitig als<br />

Kommunikationsmedium dienen, um das BGM in der Belegschaft noch präsenter zu ma-<br />

chen. Ebenfalls könnte die Personalabteilung stärker in den BGM-Prozess eingebunden<br />

werden, z. B. durch die Teilnahme in entsprechenden Gremien oder durch die Erarbeitung<br />

gesundheitsspezifischer Themen der Personalentwicklung. Schließlich könnte mit Blick auf<br />

die Nutzung von Synergieeffekten die Verknüpfung des BGM mit anderen Managementan-<br />

sätzen, z. B. mit dem Qualitätsmanagement, vorangetrieben werden.<br />

Feedback-Workshop<br />

Das Angebot eines Feedback-Workshops im Anschluss an die Studie ist durch das Fallstu-<br />

dienunternehmen in Anspruch genommen worden. An der Veranstaltung haben teilgenom-<br />

men: der Geschäftsführer, der Vertreter der Personalabteilung, der Betriebsleiter, der BR-<br />

Vorsitzende, sein Stellvertreter und ein weiteres BR-Mitglied, das nicht in die Interviews ein-<br />

gebunden war.<br />

Die Teilnehmer sahen die Situation des BGM im Unternehmen durch den Fallstudienbericht<br />

insgesamt gut dargestellt. Das positive Bild des BGM sei bestätigt worden. Mit Hilfe des<br />

Workshops erhoffte man sich weiteres Verbesserungspotenzial für das eigene BGM zu iden-<br />

tifizieren – auch durch den Vergleich mit anderen Fallstudienunternehmen.<br />

Während der Ergebnispräsentation wurde durch die Teilnehmer u.a. als Vorteil des Produkti-<br />

onsbetriebs herausgestellt, dass die Kommunikationsprozesse aufgrund der flachen Hierar-<br />

chie gut funktionieren. Der bislang nicht erfolgte Roll out des BGM in das gesamte Unter-<br />

nehmen (mit Vertrieb und Verwaltung) wurde an der fehlenden Bereitschaft der jeweiligen<br />

Geschäftsführer und Abteilungsleiter festgemacht. Insgesamt habe es aber seit der Durch-<br />

führung der Interviews im Rahmen der Fallstudie eine positive Entwicklung gegeben, die sich<br />

z. B. darin äußere, dass die beiden Geschäftseinheiten überhaupt an der im Produktionsbe-<br />

reich bereits etablierten Mitarbeiterbefragung teilgenommen haben. Diskutiert wurde die Ver-<br />

knüpfung des BGM mit anderen Managementansätzen im Unternehmen. Wie bereits bei den<br />

Interviews wurden hier unterschiedliche Standpunkte deutlich, inwieweit hier noch ungenutz-<br />

te Potenziale liegen.<br />

Als wichtige Handlungsfelder der Zukunft wurden benannt:<br />

228


Vertrieb und Verwaltung in das BGM einbeziehen<br />

Ergebnisse der dritten Mitarbeiterbefragung umsetzen<br />

Beteiligungsquote bei den Maßnahmen zur individuellen Verhaltensprävention verbes-<br />

sern<br />

Zu einzelnen Punkten wurden mögliche Lösungsschritte andiskutiert.<br />

7.2.9 Fall 9: Suche nach neuen Lösungen trotz elaborierter Strukturen im BGM<br />

Eckdaten zum Unternehmen<br />

Die vorliegende Fallstudie wurde in einem Unternehmen durchgeführt, das Tochter einer<br />

weltweit agierenden Aktiengesellschaft ist, die in erster Linie Produkte und Dienstleistungen<br />

in der Informationstechnik- und Telekommunikationsbranche anbietet. Bei dem Fallstudien-<br />

unternehmen handelt es sich um einen Produktionsbetrieb im norddeutschen Raum, in des-<br />

sen Zuständigkeit die Bereitstellung und Wartung der regionalen technischen Telekommuni-<br />

kations-Infrastruktur fällt. Derzeit beschäftigt das Fallunternehmen ca. 1200 Mitarbeiter an<br />

ca. 50 Einzelstandorten in der Region. Die Größe der Einzelstandorte variiert von 150 bis zu<br />

5 Mitarbeitern. Die Mitarbeiterstruktur ist gekennzeichnet durch einen niedrigen Frauenanteil,<br />

einen niedrigen Beamtenanteil sowie einen hohen Anteil an Vollzeitarbeitsplätzen.<br />

Gegliedert ist das Unternehmen in sechs Ressorts, die je von einem Ressortleiter geführt<br />

werden. Die Ressorts umfassen je ca. 180-200 Mitarbeiter und gliedern sich weiter auf in<br />

jeweils ca. 10-12 Teams. Die Teams sind von unterschiedlicher Größe und setzen sich laut<br />

Konzernrichtlinie aus einem Teamleiter und durchschnittlich 17 Mitarbeitern zusammen. Da-<br />

rüber hinaus gibt es im Unternehmen Querschnittsabteilungen wie bspw. die Personalabtei-<br />

lung. Diese sind meist klein und schlank gehalten, d. h. es wird auf Ressourcen des Kon-<br />

zerns zurückgegriffen oder es werden Dienstleistungen ausgelagert.<br />

Der Betriebsrat des Unternehmens setzt sich aus 19 Mitgliedern zusammen, davon 6 Frei-<br />

gestellte vor Ort und 1 Freigestellter im Gesamtbetriebsrat des Konzerns.<br />

Für die Erstellung der Fallstudie sind die folgenden Akteure interviewt worden:<br />

der freigestellte Vorsitzende des Betriebsrates,<br />

der nicht freigestellte Vorsitzende des ASUG-Ausschusses,<br />

vier überwiegend freigestellte Mitglieder des BR-Gremium (Gruppendiskussion),<br />

der Niederlassungsleiter,<br />

der Gesundheitskoordinator / Experte Personalmanagement der Niederlassung,<br />

229


die externe Fachkraft für Arbeitssicherheit der Niederlassung,<br />

eine Betriebsärztin des Konzerns sowie<br />

die für die Koordination der betriebsärztliche Betreuung des Unternehmens zuständige<br />

Betriebsärztin des externen Dienstleisters.<br />

Entwicklungsstand und Meilensteine der betrieblichen Gesundheitspolitik<br />

Im Unternehmen existiert ein Arbeitsschutzausschuss (ASA), der in der Regel vier Mal im<br />

Jahr tagt. Im Unternehmen werden regelmäßig Gefährdungsbeurteilungen mit Unterstützung<br />

der Fachkraft für Arbeitssicherheit durchgeführt. Federführend in der Organisation für die<br />

Ermittlung und Beurteilung der Gefährdungen und Belastungen sowie für die Maßnahmen-<br />

umsetzung ist die Abteilung Produktion und Betriebsmanagement, Team Business Administ-<br />

ration. Zur Gefährdungsbeurteilung existiert eine Gesamtbetriebsvereinbarung. Die Gefähr-<br />

dungsbeurteilung wird in regelmäßigen Abständen wiederholt und auch die durchgeführten<br />

Maßnahmen werden einer Wirkungskontrolle unterzogen. Dies geschieht insbesondere<br />

durch die Fachkraft für Arbeitssicherheit, die bspw. Begehungen nutzt, um die Maßnahmen-<br />

durchführung zu überprüfen. Im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung werden allerdings kei-<br />

ne psychosozialen Belastungen erhoben. Letztere werden in der Konzernbefragung mit er-<br />

hoben und im Rahmen von Gesundheitszirkeln weiter bearbeitet.<br />

Im Unternehmen existiert ein integriertes Arbeitsschutz-Managementsystem, das allerdings<br />

nicht zertifiziert ist. Die Mitarbeiter werden regelmäßig unterwiesen, und es finden regelmä-<br />

ßige Begehungen im Bereich Arbeitsschutz statt. An diesen nehmen die jeweilige Ressortlei-<br />

ter, der Schwerbehindertenvertreter und der Betriebsarzt teil, sowie die diese koordinierende<br />

Fachkraft für Arbeitssicherheit.<br />

Die gesetzlichen Anforderungen eines BEM nach § 84 Abs. 2 SGB IX werden erfüllt und sind<br />

im Rahmen einer Betriebsvereinbarung auf Unternehmensebene geregelt. Vor dieser Be-<br />

triebsvereinbarung wurden bereits Rückkehrgespräche geführt und Eingliederungen gemäß<br />

dem „Hamburger Modell“ nach § 74 SGB V durchgeführt.<br />

Die betriebsärztliche Betreuung erfolgt ebenso wie die Betreuung durch die Fachkraft für<br />

Arbeitssicherheit über einen externen Dienstleister. Eine Besonderheit besteht darin, dass<br />

die Fachkraft für Arbeitssicherheit bereits früher als Angestellter des Unternehmens tätig<br />

war, ehe diese und damit auch ihre Dienste an den externen Dienstleister abgegeben wur-<br />

den.<br />

Im Personalbereich ist zur Unterstützung der Geschäftsführung eine weitere Stelle angesie-<br />

delt, die sich projektmäßig mit dem Thema Gesundheit befasst. Dieser Mitarbeiter bearbeitet<br />

unter Personalentwicklungsgesichtspunkten das Thema Gesundheit und soll zukünftig enger<br />

mit der Prozessorganisation verzahnt werden.<br />

230


Bisher wurde keine Ist-Analyse speziell zum Thema Gesundheit im Unternehmen durchge-<br />

führt. Allerdings wird das Thema Gesundheit im Rahmen verschiedener Analyseprozesse mit<br />

erhoben. So fanden bspw. im Jahr 2009 zwei Mitarbeiterbefragungen statt, die sich auch mit<br />

gesundheitsbezogenen Aspekten auseinandersetzten. Dies geschah zum einen im Rahmen<br />

der zweijährlich durchgeführten konzernweiten Mitarbeiterbefragung und zum anderen im<br />

Rahmen einer auf Initiative des Betriebsrates initiierten Befragung der Mitarbeiter mit dem<br />

„Index Gute Arbeit“. Im Rahmen der konzernweiten Mitarbeiterbefragung werden auch ein-<br />

zelne Fragen zur psychischen Belastungssituation gestellt, welche jedoch nicht systematisch<br />

unter der Thematik „Psychische Belastungen“ bearbeitet werden.<br />

Des Weiteren werden im Unternehmen Maßnahmen der Gesundheitsförderung angeboten<br />

und durchgeführt. Hier gilt es zu unterscheiden zwischen konzernweit angebotenen Maß-<br />

nahmen und Maßnahmen des Unternehmens. Die konzernweiten Angebote und Maßnah-<br />

men (bspw. Grippeschutzimpfungen, Medical Check, Darmkrebsvorsorge, gesundheitsbezo-<br />

gene Trainings für Führungskräfte) werden durch eine eigene in der Konzernzentrale ange-<br />

siedelte Abteilung erarbeitet und in die Fläche ausgerollt. Neben den Konzernangeboten<br />

stellt das Fallstudienunternehmen an zwei Standorten den Mitarbeitern einen Massagesessel<br />

zur Nutzung zur Verfügung. Außerdem läuft seit zwei Jahren eine Aktion „Mehr Bewegung“,<br />

in dessen Rahmen den Mitarbeiter für neue sportliche Aktivitäten /Seminare eine finanzielle<br />

Unterstützung gewährt wird. Gesundheitstage werden im Unternehmen nicht mehr durchge-<br />

führt, da die Resonanz bisheriger Gesundheitstage aufgrund der dezentralen Standorte un-<br />

befriedigend ausgefallen ist. Zum Beginn des aktuellen Jahres wurde zudem eine Gesund-<br />

heits-Bonus-Card eingeführt, auf die weiter unten eingegangen wird.<br />

Das Unternehmen führt keine explizite Erfolgsbewertung von gesundheitsbezogenen Maß-<br />

nahmen durch. Als Steuergröße für Aktivitäten im BGM dient die sogenannte „Gesundheits-<br />

quote“, anhand derer ein konzernweites Monitoring erfolgt. Diese Kennzahl wird monatlich<br />

ermittelt und dient konzernweit als Benchmark und somit implizit als Erfolgsindikator der be-<br />

trieblichen Gesundheitsarbeit. Die Gesundheitsquote wird zum Teil bis auf Teamebene her-<br />

unter gebrochen. Im untersuchten Unternehmen liegt die Gesundheitsquote bei ca. 96%,<br />

was im konzernweiten Vergleich als sehr gut bewertet wird. Ziel ist es, stabil mindestens<br />

97% zu erreichen. Maßnahmen erfolgen in aller Regel reaktiv, d. h. erst dann, wenn ein Indi-<br />

kator, z. B. die Gesundheitsquote oder die Ergebnisse der Mitarbeiterbefragung des Kon-<br />

zerns, den definierten Zielrahmen über- bzw. unterschreiten.<br />

Auf Konzernebene existiert ein BGM, das durch eine im Jahr 1997 abgeschlossene „Rah-<br />

mengesamtbetriebsvereinbarung festgelegt ist. Übergeordnetes Ziel des dort vereinbarten<br />

BGM ist in erster Linie die Schaffung gesundheitsgerechter Arbeitsbedingungen, die Förde-<br />

rung der Gesundheit der Mitarbeiter und die Verbesserung ihrer Arbeitszufriedenheit. In die-<br />

231


ser Betriebsvereinbarung sind die betrieblichen Rahmenbedingungen, Strukturen und Pro-<br />

zesse festgeschrieben.<br />

Auf Konzernebene wird ein monatlicher Report zur Situation der Gesundheit im Unterneh-<br />

men erstellt. Die Daten werden über Niederlassungen bis auf einzelne Unternehmenseinhei-<br />

ten herunter gebrochen, so sie mehr als 50 Mitarbeiter haben. Es werden dabei folgende<br />

Datenquellen genutzt: unternehmensinterne Personaldaten, Gesundheitsberichte der Kran-<br />

kenkassen, Mitarbeiterbefragungen sowie Arbeitsplatzanalysen und Belastungsanalysen<br />

nach Arbeitsschutzrecht. Diese werden zu einem Gesundheitsreporting zusammengefasst.<br />

Das zentrale Gremium des BGM ist nach dem in der Betriebsvereinbarung dargelegten<br />

BGM-Konzept der auf Niederlassungsebene einzurichtende „Arbeitskreis Gesundheit“. Ihm<br />

kommt die Aufgabe zu, die regelmäßig erscheinenden örtlichen Reportings zu analysieren<br />

und ggf. Maßnahmen zu beschließen. Ein solcher Arbeitskreis existiert auch im untersuchten<br />

Unternehmen und setzt sich zusammen aus dem Leiter Human Resources, einem Mitglied<br />

des Betriebsrates, dem Schwerbehindertenvertreter, der FaSi sowie einem externen Vertre-<br />

ter eines Gesundheitsdienstleisters (Führungskräfteberatung); er tagt im Unternehmen 3-4<br />

Mal im Jahr. Der Leiter Human Ressources des Fallstudienunternehmens ist zudem Beauf-<br />

tragter für das BGM und bekleidet im Unternehmen die Funktion des Gesundheitskoordina-<br />

tors. Die jeweiligen Gesundheitskoordinatoren der verschiedenen Standorte und Niederlas-<br />

sungen des Konzerns treffen sich einmal jährlich, um die Strukturen und Prozesse des BGM<br />

einer Bewertung zu unterziehen.<br />

Auf Veranlassung des Arbeitskreises Gesundheit sind in der Vergangenheit in verschiede-<br />

nen Organisationseinheiten der Niederlassung Gesundheitszirkel eingerichtet worden, die<br />

von einem externen Moderator geleitet wurden. Diese Gesundheitszirkel werden meist auf<br />

Veranlassung der Gesundheitsquote oder aufgrund der Befragungsergebnisse eingerichtet.<br />

Auf Basis der Rahmengesamtbetriebsvereinbarung nehmen an diesen Zirkeln auf freiwilliger<br />

Basis Mitarbeiter des betroffenen Bereiches teil. Im Fallstudienunternehmen wurde zum<br />

Zeitpunkt der Interviews in einer Einheit ein Gesundheitszirkel durchgeführt.<br />

Im Rahmen des BGM stellt das Unternehmen ein Budget für gesundheitsbezogene Aktivitä-<br />

ten bereit. Dieses beträgt derzeit zwölf Euro je Mitarbeiter und Jahr, was im untersuchten<br />

Unternehmen ein Budget von ca. 14.400 € ergibt.<br />

Die neu eingeführte Bonuscard wurde im Arbeitskreis Gesundheit auf Initiative des Arbeitge-<br />

bers und in Zusammenarbeit mit dem ASA und dem BR-Fachausschuss erarbeitet. Sie wur-<br />

de im November 2009 im Rahmen einer Belegschaftsversammlung vorgestellt und startete<br />

zu Beginn des laufenden Jahres. Im Rahmen dieser Bonuscard werden gesundheitsbezoge-<br />

ne Aktivitäten der Mitarbeiter mit Punkten bewertet, die der Mitarbeiter sammeln kann. Dabei<br />

muss es sich um Aktivitäten handeln, die der Mitarbeiter neu aufnimmt. Es werden auch Ak-<br />

232


tivitäten ohne Vereinsbindung berücksichtigt. Für alles gibt es Punkte (auch für BMI und<br />

Fußweg zur Arbeit). Für Vorsorgeuntersuchungen und Kurse wie etwa Yoga erhält man<br />

mehr Punkte. Unter den Teilnehmern werden unter den Mitarbeitern, die mehr als 1000<br />

Punkte gesammelt haben, am Ende einer Periode (nach einem Jahr) Preise verlost. Diese<br />

sind nach drei Kategorien, entsprechend der Summe der Punkte, gestaffelt. Ziel der Bonus-<br />

card soll es ein, das Thema Gesundheit über die Laufzeit eines Jahres in den Köpfen der<br />

Mitarbeiter zu verankern. Die Bonuscard soll über den Newsletter des Unternehmens immer<br />

wieder thematisiert und damit wach gehalten werden.<br />

Bewertung der betrieblichen Gesundheitspolitik<br />

Bewertung aus Sicht der Interviewpartner<br />

Die Interviewpartner des Unternehmens stimmen in der Bewertung der Tätigkeiten zum klas-<br />

sischen Arbeitsschutz überein und sehen das Unternehmen gut aufgestellt. Die Ausstattung<br />

der Arbeitsplätze wird überwiegend als gut bis sehr gut bezeichnet. Es finden regelmäßige<br />

Begehungen statt, an denen die Fachkraft, Mitglieder des Betriebsrates und Führungskräfte<br />

teilnehmen. Die Mitarbeiter werden regelmäßig unterwiesen. Die Bonuscard wird überein-<br />

stimmend begrüßt, obwohl die Betriebsparteien sich lange darüber stritten.<br />

Auf Seiten des Arbeitgebers sind die Themenfelder Arbeits- und Gesundheitsschutz,<br />

Gesundheitsförderung sowie BEM ausreichend adressiert und die Aktivitäten werden positiv<br />

bewertet, die Bereiche werden systematisch und strukturiert bearbeitet. Auch die von der<br />

Konzernspitze gesetzten Rahmenbedingungen werden als hilfreich beurteilt, und es beste-<br />

hen ausreichend Freiräume, betriebsbezogene Aktivitäten anzustoßen, bspw. die Bonus-<br />

card.<br />

Das Gesundheitsverständnis hat sich übereinstimmend in der Vergangenheit sehr verändert.<br />

Noch vor zwanzig Jahren, so bspw. die Vertreter des Fallstudienunternehmens übereinstim-<br />

mend, hat man rein technischen Arbeitsschutz betrieben. In den letzten Jahren sind die<br />

Gesundheits- und Human Ressource-Themen kontinuierlich wichtiger geworden und im Un-<br />

ternehmen wie im Konzern verstärkt aufgegriffen worden.<br />

Das Thema Gesundheit wird aus Sicht der Geschäftsleitung stark durch die Arbeitstätigkei-<br />

ten und durch die vielfachen Veränderungen im Konzern und im Unternehmen der letzten<br />

Jahre geprägt. So habe die Produktivität in den letzten Jahren stetig zugenommen, zugleich<br />

aber auch die Arbeits- und Anforderungsdichte an das Personal. Zudem seien die Produkti-<br />

onsprozesse, die das Unternehmen zu gestalten habe, sehr komplex. Im Fokus der Aktivitä-<br />

ten im Bereich Gesundheit stehen daher für die Geschäftsleitung Belastungssituationen und<br />

Stress. Ihre Aktivitäten zielten auf die Befähigung der Mitarbeiter und insbesondere der Füh-<br />

rungskräfte zum Umgang mit den sich wandelnden Arbeitsbedingungen und in diesem Zu-<br />

sammenhang auf eine präventive Gesundheitspolitik unter Einbezug psychosomatischer<br />

233


Themen. Den Führungskräften komme eine Schlüsselposition zu, wenn es darum ginge, das<br />

Thema Gesundheit in die Belegschaft hineinzutragen. Ein Teamleiter müsse auch in der La-<br />

ge sein, Vertrauen aufzubauen, um auch personenbezogene und familiäre Probleme erken-<br />

nen zu können. Gesundheit wird von den interviewten Vertretern der Geschäftsleitung zu-<br />

dem als wichtiges Thema bei der Positionierung als guter Arbeitgeber und im Wettbewerb<br />

um Fachkräfte gesehen.<br />

Die Geschäftsleitung identifiziert zwei Strategien im Umgang mit diesen Entwicklungen: Zum<br />

einen müsse die Belastungssituation erträglicher gemacht werden, zum anderen müsse der<br />

Belastete in die Lage versetzt werden, mit den Belastungen besser umzugehen. Während<br />

die erste Strategie aufgrund des Konkurrenzdrucks als schwierig eingestuft wird, konzentrie-<br />

ren sich die Aktivitäten im Unternehmen aus Sicht der Geschäftsleitung momentan eher auf<br />

letzteres.<br />

Für die Geschäftsleitung stellt es kein Problem dar, dass psychische Belastungen nicht in<br />

einem eigenen Verfahren strukturiert erhoben werden. Man ist bislang nicht davon über-<br />

zeugt, dass eine zusätzliche Befragung o. Ä. sinnvoll ist. Es gebe bereits sehr viele Feed-<br />

backmechanismen im Unternehmen, die das Thema mit bearbeiteten, bspw. würden psychi-<br />

sche Belastungen durch die regelmäßige Mitarbeiterbefragung erhoben und gesondert do-<br />

kumentiert. Somit bestehe eine Möglichkeit, gezielt an offensichtlichen Problembereichen<br />

anzusetzen. Für das Thema psychische Belastungen werde verstärkt der externe Dienstleis-<br />

ter genutzt.<br />

Allerdings wird seitens der Betriebsräte auch berichtet, dass bei den externen Dienstleistern<br />

(betriebsärztlicher Dienst, Fachkraft für Arbeitssicherheit) Unsicherheit hinsichtlich der Zu-<br />

ständigkeiten beim Thema psychische Belastungen bestünden, weshalb man dieses Thema<br />

in die allgemeine Befragung integriert habe. Bei der Bearbeitung der Ergebnisse der Mitar-<br />

beiterbefragung werden die externen Akteure jedoch eher nicht hinzugezogen.<br />

Seitens der interviewten Betriebsärzte des BGM des Konzerns wird darauf hingewiesen,<br />

dass die psychischen Belastungen weiterhin im Rahmen der Mitarbeiterbefragung ermittelt<br />

werden sollen, dass allerdings die Auswahl der Fragen zurzeit überprüft und die Anzahl aus-<br />

geweitet werden soll, um somit den aktuellen Stand der arbeitspsychologischen und arbeits-<br />

wissenschaftlichen Erkenntnisse im Rahmen dieser Befragung integrieren zu können.<br />

In den Einschätzungen der Vertreter der Geschäftsführung des Fallstudienunternehmens<br />

wird es durchaus kritisch gesehen, dass Gesundheitsthemen nicht aus einer Hand erledigt<br />

werden. Das Unternehmen zersplittere sich in sehr viele Niederlassungen und kleinere Or-<br />

ganisationseinheiten, was zu erheblichen Abstimmungsproblemen bei der Durchführung von<br />

Maßnahmen führe und sowohl für das Unternehmen wie den Konzern gelte. Zudem wird ein<br />

Kernproblem aller Maßnahmen, die erarbeitet werden ist, darin gesehen, dass deren Erfolge<br />

234


nicht evaluiert werden könnten bzw. sich nicht aus der Gesundheitsquote herauslesen lie-<br />

ßen. Der Aufwand einer solchen Messung sei evtl. auch im Vergleich zum Erkenntnisgewinn<br />

zu groß. Alles, was daher getan werden könne, so der Geschäftsführer, sei Aufmerksamkeit<br />

und Motivation zu erzeugen.<br />

Insgesamt fehle im Unternehmen eine ganzheitliche Betrachtungsweise der Gesundheits-<br />

thematik und eine entsprechend durchdachte Umsetzung im Unternehmen, so eine Aussage<br />

der Fachkraft, die er am Nebeneinander von ASA und AK Gesundheit festmacht, welche in<br />

anderen Niederlassungen besser verzahnt seien, bspw. durch gemeinsame Sitzungen. Zent-<br />

rale Herausforderung des BGM ist es für die Fachkraft, eine einheitliche Struktur für Themen<br />

der Gesundheit hinzubekommen, bspw. Gesundheitsmanagement und Qualitätsmanage-<br />

ment zu verzahnen oder das Thema Gesundheit einheitlich und systematisch in alle Zu-<br />

sammenhänge einzubinden. Die Einschätzung, wonach dem Unternehmen eine ganzheitli-<br />

che Betrachtungsweise des Themas Gesundheit und eine entsprechend durchdachte Um-<br />

setzung im Unternehmen fehlen, wird auch von den interviewten Vertretern des Betriebsra-<br />

tes geteilt.<br />

Die Sicht des Betriebsrates auf das Thema Gesundheit gestaltet sich mitunter differenzierter<br />

bei ähnlichen Schlussfolgerungen. Für den Betriebsrat stehen der Arbeits- und Gesundheits-<br />

schutz und damit das Thema Gesundheit mittlerweile an erster Stelle. Dies begründe sich<br />

aus der Einsicht, dass sich aufgrund der stetigen Umstrukturierung die Belastungen der Mit-<br />

arbeiter geändert hätten bzw. angestiegen seien („objektive Verschlechterung der Arbeitsbe-<br />

dingungen“, Personalabbau bei gleichbleibendem Arbeitsanfall, hohes Durchschnittsalter<br />

etc.).<br />

Aufgrund der Organisationsstrukturen, so ein interviewter Betriebsrat, werde es für das Un-<br />

ternehmen generell immer schwieriger, sich um den Arbeits- und Gesundheitsschutz zu<br />

kümmern, da bspw. Ressourcen zurückgefahren oder Querschnittsabteilungen ausgelagert<br />

werden. Eine abnehmende Mitarbeiterzahl führe zudem zu einer Reduzierung der Betriebs-<br />

ratsmandate.<br />

Die Vertreter des Betriebsrates beurteilen das Spannungsverhältnis zwischen Konzernebene<br />

und Niederlassungsebene als problematisch. Aufgrund ungeklärter Zuständigkeiten würden<br />

hier zeitnahe und effektive Maßnahmen erschwert bzw. verhindert. Zudem wird es als kri-<br />

tisch eingeschätzt, dass im Unternehmen (wie im Konzern) erst bei Vorliegen von Spätindi-<br />

katoren wie der Gesundquote gehandelt wird.<br />

Die Gefährdungsbeurteilung ist nach Ansicht des Betriebsrates bisher nicht aktiv im Sinne<br />

eines präventiven Vorgehens genutzt worden. Hier wurde, seiner Ansicht nach, bisher nur<br />

nach Standardkriterien beurteilt und anlassbezogen, bspw. bei Umzügen oder neuen Raum-<br />

belegungen. Die Gesamtbetriebsvereinbarung zur Gefährdungsbeurteilung habe zwar dazu<br />

235


geführt, dass flächendeckend eine Gefährdungsbeurteilung vorhanden sei. Der Betriebsrat<br />

äußert sich aber kritisch über die Qualität der Gefährdungsbeurteilung, insbesondere vor<br />

dem Hintergrund, dass die psychosozialen Belastungen nicht integriert seien und Hinweise<br />

zur alternsgerechten Arbeitsplatzgestaltung fehlten.<br />

Hinsichtlich eines BGM werden von den Betriebsratsvertretern wesentliche Elemente im<br />

Fallstudienunternehmen vermisst. So würden bspw. keine inhaltlichen Ziele festgelegt bzw.<br />

herunter gebrochen, keine ausführliche Ist-Analyse durchgeführt und die durchgeführten<br />

Maßnahmen würden nicht evaluiert. Ein Vorgehen gemäß dem PDCA-Regelkreis existiere<br />

nur in Teilbereichen bzw. werde erst bei Vorliegen bspw. einer „schlechten“ Gesundheitsquo-<br />

te oder auffälliger Befragungswerte eingeleitet.<br />

Die Einbeziehung der Führungskräfte wird vom Betriebsrat kritisch eingeschätzt. Er sieht die<br />

Führungskräfte vor Ort bei Gesundheitsthemen nicht systematisch eingebunden. Zudem wird<br />

bemängelt, dass es für die Führungskräfte zwar diesbezügliche Veranstaltungen gebe, diese<br />

aber nicht verbindlich seien. Der Aspekt der Verbindlichkeit wird von den interviewten Vertre-<br />

tern der Abteilung Gesundheit und Sicherheit jedoch anders dargestellt. Demnach sind<br />

Schulungen zu Gesundheitsthemen für die Führungskräfte obligatorisch.<br />

Abgleich mit dem Referenzmodell<br />

Die konkrete Ausgestaltung der betrieblichen Gesundheitspolitik muss sich stets an den indi-<br />

viduellen Gegebenheiten und Rahmenbedingungen eines Unternehmens orientieren. Darü-<br />

ber hinaus lassen sich jedoch Mindeststandards an eine erfolgreiche betriebliche Gesund-<br />

heitspolitik formulieren (s. Kapitel 3). Diese Standards werden nachfolgend mit den vorlie-<br />

genden Informationen aus dem Vorabfragebogen und den Aussagen der verschiedenen In-<br />

terviews abgeglichen.<br />

1. Formulierung einer klaren, inhaltlichen Zielsetzung<br />

Im Rahmen der Gesamtbetriebsvereinbarung BGM besteht eine klare inhaltliche Zielsetzung.<br />

Diese steht der BV als Präambel vor und bezieht sich auf den Gesundheitsbegriff der WHO.<br />

Als übergeordnetes Ziel werden die Schaffung gesundheitsgerechter Arbeitsbedingungen,<br />

die Förderung der Gesundheit der Mitarbeiter und die Verbesserung ihrer Arbeitszufrieden-<br />

heit genannt.<br />

Zudem ist das Thema als basales soziales Prinzip in der Sozialcharta des Konzerns veran-<br />

kert. Darin wird die Gesundheit und Sicherheit der Mitarbeiter insbesondere durch die Ent-<br />

wicklung der Arbeitsbedingungen erwähnt und als wichtige zentrale Aufgabe des Unterneh-<br />

mens angesehen.<br />

2. Abschluss schriftlicher Vereinbarungen<br />

236


Im Unternehmen existiert eine Vielzahl schriftlicher Vereinbarungen zwischen den Betriebs-<br />

parteien. Dabei handelt es sich zum einen um unternehmenseigene Betriebsvereinbarungen<br />

(bspw. BV Arbeitsstätten), zum anderem um Gesamtbetriebsvereinbarungen, welche auf<br />

Konzernebene abgeschlossen wurden wie bspw. eine Gesamtbetriebsvereinbarung zur Ge-<br />

fährdungsbeurteilung oder die Rahmengesamtbetriebsvereinbarung zur betrieblichen<br />

Gesundheitsförderung/BGM.<br />

3. Einrichtung eines Lenkungsausschusses<br />

Im Fallstudienunternehmen sind verschiedene Steuerkreise eingerichtet, die sich mit ver-<br />

schiedenen Aspekten des Gesundheitsthemas befassen. So befassen sich zum einen der<br />

Arbeitsschutzausschuss entsprechend des Arbeitssicherheitsgesetzes mit den Themen Ar-<br />

beitsschutz und Arbeitssicherheit und zum anderen der Arbeitskreis Gesundheit mit der Ana-<br />

lyse der regelmäßig erstellten Reportings zur Situation der Gesundheit im Unternehmen.<br />

4. Bereitstellung von Ressourcen<br />

Der Konzern stellt im Jahr 2010 einen Betrag je Mitarbeiter von zwölf Euro für Projek-<br />

te/Maßnahmen BGM zur Verfügung bzw. ca. 14.400 € für das Unternehmen. Darüber hinaus<br />

werden den Akteuren zeitliche Ressourcen eingeräumt.<br />

5. Festlegung personeller Verantwortlichkeiten<br />

Die personellen Verantwortlichkeiten sind auf verschiedene Schultern verteilt. Im Rahmen<br />

des BGM gibt es entsprechend der GBV auch im untersuchten Unternehmen einen Gesund-<br />

heitskoordinator. Darüber hinaus gibt es einen Personalreferenten, der sich mit dem<br />

Gesundheitsthema befasst sowie die externe Fachkraft für Arbeitssicherheit, die den klassi-<br />

schen Arbeitsschutz betreut.<br />

6. Qualifizierung von Experten und Führungskräften<br />

Der Konzern fördert die Beschäftigten mit einem vielfältigen Angebot an Schulungen und<br />

Weiterbildungen. Die Führungskräfte sind dabei eine wichtige Zielgruppe. Im Fokus steht<br />

hierbei neben der notwendigen Basisqualifizierung die Förderung guter Führungs- und Fach-<br />

kräfte. In diesem Rahmen werden auch spezielle, für die Führungskräfte zum Teil verpflich-<br />

tende Module zum Thema Gesundheit angeboten sowie eine Gesundheitswoche für Füh-<br />

rungskräfte.<br />

7. Beteiligung und Befähigung der Mitarbeiter<br />

Die Mitarbeiter werden im Rahmen der Mitarbeiterbefragungen und den sich ggf. anschlie-<br />

ßenden Gesundheitszirkeln an der Analyse und Beurteilung gesundheitsbezogener Aspekte<br />

ihrer Arbeit beteiligt. Zudem können sich die Mitarbeiter im Rahmen der Angebote der<br />

Gesundheitsförderung an bestimmten Maßnahmen beteiligen.<br />

237


8. Betriebliche Gesundheitsberichterstattung<br />

Im Unternehmen existiert eine konzernbezogene Gesundheitsberichterstattung, in der<br />

gesundheitsrelevante Kennzahlen und Analysen zusammengefasst sind. Im Fallstudienbe-<br />

trieb existiert als Grundlage für die Arbeit des Steuerkreises Gesundheit das entsprechende<br />

Reporting zur Situation der Gesundheit.<br />

9. Internes Marketing<br />

Das interne Marketing kann auf Grundlage unterschiedlicher Eindrücke aus den Interviews<br />

nicht abschließend beurteilt werden. Viele Angebote laufen über die institutionalisierten In-<br />

formationskanäle (bspw. Intranet) und sind bekannt. Es ist anzunehmen, dass bspw. das<br />

vielfältige Angebot des Konzerns bereits derart internalisiert ist, dass es nicht mehr wahrge-<br />

nommen wird. Zudem findet im Fallstudienunternehmen zu bestimmten Anlässen ein inter-<br />

nes Marketing statt, bspw. im Rahmen der Einführung der Bonuscard.<br />

10. Durchführung der vier BGM-Prozesse<br />

Die Durchführung der vier BGM-Prozesse ist institutionalisiert und geschieht bspw. in Hin-<br />

blick auf die Gesundheitsquote anlassbezogen. Die Maßnahmen werden hinsichtlich ihrer<br />

Durchführung in der Regel durch die FaSi überprüft oder anhand des Vergleichs der Ergeb-<br />

nisse zweier aufeinanderfolgender Mitarbeiterbefragungen.<br />

11. Erfüllen gesetzlicher Anforderungen<br />

Die gesetzlichen Anforderungen werden durch das Unternehmen und den Konzern größten-<br />

teils erfüllt, wobei anzumerken ist, dass die Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastun-<br />

gen im Rahmen der allgemeinen Mitarbeiterbefragung erfolgt und die Bearbeitung der ermit-<br />

telten Belastungsschwerpunkte nicht flächendeckend erfolgt. Eine Gefährdungsbeurteilung<br />

der physischen Gefährdungen und Belastungen wird flächendeckend durchgeführt, und es<br />

ist ein BEM nach § 84 Abs. 2 SGB IX implementiert. Als klassisches Steuergremium ist im<br />

Fallstudienunternehmen ein Arbeitsschutzausschuss eingerichtet.<br />

12. Integration des BGM<br />

Das Thema Gesundheit ist in Teilen in die betrieblichen Routinen und Prozesse integriert.<br />

Für die Führungskräfte werden gezielt Schulungen verbindlich vorgeschrieben, die zur<br />

Schaffung gesundheitsgerechter Arbeitsbedingungen beitragen sollen. Im Rahmen von Ver-<br />

änderungsprojekten wird das Thema Gesundheit nicht explizit mitbearbeitet.<br />

Akteure und Akteurskonstellationen in der betrieblichen Gesundheitspolitik<br />

Die Akteure im Überblick<br />

Im Fallstudienunternehmen sind zahlreiche, unterschiedliche Akteure an der betrieblichen<br />

Gesundheitspolitik beteiligt. Neben dem Niederlassungsleiter und dem Personalverantwortli-<br />

238


chen, der zugleich Gesundheitskoordinator ist, ist eine weitere Stelle in der Geschäftsleitung<br />

mit dem Thema Gesundheit befasst. Auf Betriebsratsseite sind vor allem der Vorsitzende<br />

sowie der Ausschussvorsitzende zu nennen, die auch in die verschiedenen gesundheitsbe-<br />

zogenen Gremium des Fallstudienunternehmens eingebunden sind. Aber auch die weiteren<br />

Betriebsratsmitglieder sind überwiegend sehr aktiv in der betrieblichen Gesundheitspolitik,<br />

was sich bspw. in der gemeinsamen Bearbeitung der Ergebnisse der Gute-Arbeit-Index-<br />

Befragung zeigt.<br />

Darüber hinaus sind die zuständige Fachkraft für Arbeitssicherheit, der Betriebsarzt sowie<br />

die Sicherheitsbeauftragten aktiv in die betriebliche Gesundheitspolitik eingebunden.<br />

Auf Ebene des Konzerns kümmert sich eine eigens eingerichtete Abteilung um Angebote zur<br />

Unterstützung der Gesundheit und Sicherheit der Beschäftigten bei der Arbeit. Die erarbeite-<br />

ten Angebote und Maßnahmen sind sehr vielfältig und beinhalten Bewegungs-, und Ernäh-<br />

rungsangebote ebenso wie bspw. Trainings zu Kurzentspannungsverfahren. In dieser Abtei-<br />

lung ist auch die Zuständigkeit für die Ermittlung der psychischen Belastungen im Rahmen<br />

der Mitarbeiterbefragung angesiedelt. Allerdings wird diese Abteilung lediglich mittelbar im<br />

Fallstudienunternehmen aktiv.<br />

Der Betriebsrat<br />

Der Betriebsrat besteht aus 19 Mitgliedern, wovon 6 Freigestellte vor Ort und 1 Freigestellter<br />

im Gesamtbetriebsrat in der Konzernzentrale arbeiten. Des Weiteren gibt es im Unterneh-<br />

men ca. 18 zusätzliche Auskunftspersonen, die in die Betriebsratsarbeit ebenso mit einbezo-<br />

gen werden, wie die Vertrauensleute. Diese Miteinbeziehung wird auch aufgrund der in der<br />

großen Fläche verteilten Standorte als sinnvoll erachtet.<br />

Die BR-Arbeit ist gekennzeichnet durch eine ausgeprägte, autonom arbeitende (Fach-) Aus-<br />

schusskultur. Zentraler Ausschuss ist dabei der Betriebsausschuss, über den die Aus-<br />

schussarbeit koordiniert wird. Zudem findet einmal im Jahr eine Strategieklausur statt, in der<br />

das Betriebsratsgremium die Aktivitäten und Ziele des Jahres plant bzw. festlegt.<br />

Neben dem Betriebsausschuss gibt es Fachausschüsse zu den Themen Arbeits- und<br />

Gesundheitsschutz, Arbeitszeit, Tarifangelegenheiten, Beamtenangelegenheiten, IT sowie<br />

Qualifizierung. Die Fachausschüsse handeln in ihren Themenfeldern weitgehend autonom,<br />

gemeinsame Besprechungen sind möglich („Die sind da völlig frei.“). Anliegen des Betriebs-<br />

rats werden in den meisten Fällen im Fachausschuss vorbereitet und besprochen, bevor<br />

man auf die höhere bzw. betriebliche Ebene (Arbeitsschutzausschuss, Arbeitskreis Gesund-<br />

heit) wechselt. Es ist auch möglich, dass die Ausschüsse mit einem entsprechenden Mandat<br />

des Betriebsrates mit dem Arbeitgeber bestimmte Aspekte verhandeln.<br />

239


In der Regel sind die Vorsitzenden der Fachausschüsse freigestellte BR, Ausnahme ist der<br />

Fachausschuss Arbeitsschutz und Gesundheit (halbe Freistellung). Jedes Betriebsratsmit-<br />

glied ist in mindestens zwei bis drei Ausschüssen vertreten. Zur Sicherstellung des Informa-<br />

tionsflusses werden in den Ausschüssen Protokolle geführt, die den Betriebsratsmitgliedern<br />

sowie den Auskunftspersonen einsichtig sind.<br />

Der Vorsitzende des Betriebsrates sieht sich selbst in der Rolle des Generalisten, während<br />

die Fachkompetenz in den Ausschüssen angesiedelt sei („Nach unserer Logik sitzen da die<br />

Experten.“).<br />

Der Betriebsrat in der Eigenwahrnehmung<br />

Die Ressourcen des Betriebsrats werden als sehr gut beschrieben, und die Strukturen be-<br />

stehen über eine lange Zeit. Die handelnden Akteure im Betriebsrat nehmen ihr Mandat be-<br />

reits über einen langen Zeitraum wahr.<br />

Die Mitglieder des Betriebsrates schätzen sich und ihr Handeln überwiegend kooperativ und<br />

konsensorientiert ein. „Grundsätzlich sind wir glaube ich kein Betriebsrat, der die Strategie<br />

der Konfrontation beherrscht.“ Man sei als Betriebsrat eher auf Co-Management ausgerichtet<br />

und sehe ganz gute Chancen, dass man mit dem Arbeitgeber gemeinsam etwas in Bewe-<br />

gung setzen könne. Nichtsdestotrotz sieht sich der Betriebsrat auch in der Lage zu einem<br />

konfrontativem Vorgehen, was allerdings als Ausnahme beschrieben wird.<br />

Der Betriebsrat verfolgt insgesamt keine eigene gesonderte Strategie zum Thema Gesund-<br />

heit, obwohl das Thema Gesundheit an oberster Stelle der betriebsrätlichen Themen steht.<br />

Allerdings sieht sich der Betriebsrat beim Thema Gesundheit noch in einem Lernprozess<br />

begriffen.<br />

Die Ergebnisse der konzernweiten Mitarbeiterbefragung sowie die Gesundheitsquote hätten<br />

sowohl auf Betriebsrats- als auch auf Seiten der Geschäftsleitung des Fallstudienunterneh-<br />

mens Anlass dazu gegeben, sich mehr um das Thema Gesundheit zu kümmern („Es gibt<br />

eine Tendenz, dass sich die Arbeitsbedingungen echt verschlechtern“).<br />

An erster Stelle stehe das Thema Gesundheit beim Betriebsrat seit ca. fünf Jahren. Diese<br />

Umgewichtung der Themen resultiere auch aus der Einsicht, dass es für Betriebsräte spezi-<br />

ell vor dem Hintergrund zunehmender Privatisierungen und Umstrukturierungen trotz vieler<br />

Erfolge immer schwieriger werde, Arbeitsplätze zu sichern, zudem vor dem Hintergrund,<br />

dass viele Vorgaben in der Konzernzentrale getroffen würden und der Einfluss der Nieder-<br />

lassungen zurückginge. Zum anderen wird dieses Priorisieren auf ansteigende Belastungssi-<br />

tuationen der Mitarbeiter zurückgeführt. Die Arbeitsbelastung pro Mitarbeiter habe zuge-<br />

nommen. Hinzukomme das hohe Durchschnittsalter im Unternehmen von 49 Jahren, wobei<br />

es kaum Mitarbeiter über 55 Jahre gebe. Die vielfältigen Umstrukturierungen hätten auch zu<br />

240


einem Personalabbau geführt, gleichzeitig bliebe die zu bewältigende Arbeitsmenge kon-<br />

stant. Eine weitere Ursache steigender Belastungen wird in den Zielvereinbarungen gese-<br />

hen, die die Mitarbeiter unter Druck setzten.<br />

Der Betriebsrat sieht sich insbesondere durch den Abschluss von unternehmensbezogenen<br />

Betriebsvereinbarungen als Motor der betrieblichen Gesundheitspolitik. So wurde bspw. die<br />

örtliche Betriebsvereinbarung zum BEM auf sein Drängen hin verhandelt und abgeschlos-<br />

sen, obwohl die Geschäftsleitung bei der bisherigen Praxis der Wiedereingliederung nach<br />

dem „Hamburger Modell“ bleiben wollte. Eine weitere Betriebsvereinbarung, die auf Initiative<br />

des Betriebsrates geschlossen wurde, ist die BV Arbeitsstätten. Darin ist die räumliche Aus-<br />

gestaltung der Büros unter Einbezug ergonomischer Aspekte geregelt. Sie stellte eine Reak-<br />

tion des Betriebsrates auf das vom Konzern auf eine externe Einheit verlagerte Flächenma-<br />

nagement (Outsourcing der Flächen) sowie auf die Deregulierung staatlicher Arbeitsschutz-<br />

vorschriften dar.<br />

Auch in den Gremien der Niederlassung zum Thema Gesundheit, bspw. im Arbeitskreis Ge-<br />

sundheit, in die der Betriebsrat eingebunden ist, sieht man sich gut aufgestellt und als Trei-<br />

ber von Gesundheitsthemen.<br />

Der Fachausschuss Arbeits- und Gesundheitsschutz wird in der Eigenwahrnehmung als gu-<br />

tes, kompetentes Gremium geschildert. Fachlich seien die Kompetenzen im Gremium hoch<br />

und der Betriebsrat sieht sich „für das Tagesgeschäft“ gut gerüstet. Der Vorsitzende des<br />

Ausschusses sei Spezialist innerhalb des Betriebsrates für das Thema und kümmere sich<br />

insbesondere um das Thema psychosoziale Belastungen, das aus verschiedenen Gründen<br />

(z. B. Umstrukturierungen) als zunehmend wichtig wahrgenommen werde.<br />

Strategisch wird seitens der Betriebsräte noch Verbesserungsbedarf gesehen, insbesondere<br />

bei der Platzierung des Themas bei den Mitarbeitern und den Führungskräften. Defizite bzw.<br />

Weiterbildungsbedarf sieht man bei allen Akteuren im Themenfeld psychische Belastungen.<br />

Durchaus kritisch gesehen wird, dass das Thema Gesundheit mitunter sehr stark auf den<br />

Ausschuss Arbeits- und Gesundheitsschutz fokussiert sei.<br />

Gleichwohl sieht man sich in der Eigenwahrnehmung auch kritisch und gesteht sich ein, das<br />

Thema vor nicht allzu langer Zeit nicht an prominenter Stelle bearbeitet zu haben. Als Grund<br />

wird u.a. genannt, dass die Arbeitsbedingungen vor einigen Jahren noch erheblich besser<br />

gewesen seien. Bis auf das Thema Arbeitszeit seien der AuG-Ausschuss und sein Vorsit-<br />

zender lange Zeit „einsame Kämpfer“ gewesen. Man habe als Betriebsrat nicht unbedingt<br />

das gemacht, was man hätte machen können. Bemängelt wird, dass es kein breites Grund-<br />

bewusstsein zum Thema im gesamten Betriebsratsgremium gibt. Es wird die Ansicht vertre-<br />

ten, dass noch viel zu viele Aktivitäten in den entsprechenden Ausschuss geschoben wür-<br />

den. Mitunter wird in den Gesprächen mit den Betriebsräten die die Vermutung geäußert,<br />

241


das Thema wäre längst verschwunden, wenn es der BR-Vorsitzende und der Vorsitzende<br />

des AuG-Ausschusses nicht ständig anschieben würden. Weiter fehlt es an Vertrautheit mit<br />

einzelnen gesundheitsbezogenen Instrumenten in der Breite des Betriebsratsgremiums, z. B.<br />

zum Umgang mit der Gefährdungsbeurteilung.<br />

Durch die Entscheidung zur Durchführung des DGB-Index „Gute Arbeit“ wurde viel Kommu-<br />

nikation zu dem Thema angestoßen und das Thema in den Gremien und in der Belegschaft<br />

publik gemacht. Der DGB-Index wurde allerdings auch aufgrund des Impulses der Gewerk-<br />

schaft durchgeführt.<br />

Das Ergebnis der Befragung mit dem Index Gute Arbeit fiel nach Ansicht der Betriebsräte<br />

ernüchternd aus. „Über alles gesehen haben wir ein […] Ergebnis, so schlecht.“ Der Be-<br />

triebsrat hat aus den Ergebnissen Handlungsfelder für seine betriebsrätliche Arbeit abgeleitet<br />

(bspw. Lärm, Temperatur, Arbeiten am PC), bei denen er Handlungsbedarf sieht. Als Maß-<br />

nahme aus der Befragung beschloss der Betriebsrat, weitere Informationen in den Teams<br />

einzuholen. Zurzeit besuchen der Ausschuss-Vorsitzender und ein weiteres Mitglied des<br />

AuG-Ausschuss die Teams vor Ort, besprechen die Ergebnisse und suchen nach Lösungs-<br />

möglichkeiten. Mit diesen Ergebnissen wird der Betriebsrat dann auf den Arbeitgeber zuge-<br />

hen und auf Verbesserungen drängen.<br />

Seitens der Betriebsräte wird es als interessant und hilfreich für die eigene Arbeit bezeichnet,<br />

dass die Index-Ergebnisse, auch wenn sie schlecht ausfielen, zu den Ergebnissen der Mitar-<br />

beiterbefragung passten. Beide Befragungen zusammengenommen hätten Themenbereiche<br />

aufgezeigt, an denen der Betriebsrat weiter arbeiten wolle und die auch seitens des Unter-<br />

nehmens weiter bearbeitet würden.<br />

Die Zusammenarbeit mit den gewerkschaftlichen Akteuren wird positiv eingeschätzt, und<br />

Unterstützungsangebote werden vom Betriebsrat des Unternehmens auch genutzt. Es wird<br />

begrüßt, dass die Gewerkschaften das Thema Gesundheit verstärkt auf die Agenda setzen<br />

und es werden Parallelen gesehen hinsichtlich der Lernprozesse, Gesundheit als wichtiges<br />

Thema zu erkennen. Die Aufgabe der Gewerkschaft wird darin gesehen, für die Verbesse-<br />

rung der Arbeitsbedingungen und der Belastungssituation der Arbeitnehmer einzutreten,<br />

insbesondere wenn die Rahmenbedingungen ständigen Veränderungen ausgesetzt seien.<br />

Der Betriebsrat in der Fremdwahrnehmung<br />

Die Zusammenarbeit mit dem Betriebsrat wird seitens der Geschäftsleitung positiv gesehen,<br />

insbesondere die regelmäßige Arbeit in den Gremien (bspw. AK Gesundheit) oder anlassbe-<br />

zogen in der Arbeitsgruppe zur Bonuscard. Die Arbeit des Betriebsrates wird als sehr kon-<br />

struktiv und kooperativ beschrieben. Insbesondere der Vorsitzende des AuG-Ausschusses<br />

wird als Fachmann wahrgenommen und wertgeschätzt. Konflikte entständen eher bei The-<br />

242


men wie Standortveränderungen bzw. Standortkonzentrationen, die mit Arbeitsplatzabbau<br />

einhergingen.<br />

Die Rolle des Betriebrats wird von den Gesprächspartnern insbesondere in der betrieblichen<br />

Gesundheitspolitik als Co-Management beschrieben. Der Betriebsrat bringt sich aktiv ein und<br />

gestaltet mit. Allerdings wünscht man zugleich ein verstärktes Einbringen in diesem Themen-<br />

feld. Man ist sich zudem bewusst, dass der Betriebsrat aufgrund der Erwartungen der Beleg-<br />

schaft auch eine bestimmte Rolle einnehmen muss. Bspw. wird der Betriebsrat als sehr aktiv<br />

hinsichtlich Überwachung der Durchführung der Gefährdungsbeurteilung wahrgenommen.<br />

Es werden auch Interdependenzen betont: Ein eigenes Gesundheitsmanagement „kann der<br />

Betriebsrat nicht aufbauen“, andererseits kann die Unternehmensführung ohne Betriebsrat<br />

keine Maßnahmen umsetzen. Bei den Themen Arbeitsdruck und Arbeitsbelastungen wird<br />

der Betriebsrat seit ca. vier Jahren verstärkt wahrgenommen. Die Forderungen seitens des<br />

Betriebsrates werden als zunehmend kompetenter und ideologiefreier beschrieben. Nichts-<br />

destotrotz sieht die Geschäftsleitung „noch viel Nachholbedarf“ auf Seiten des Betriebsrates<br />

bei diesen Themen.<br />

Die Durchführung der Mitarbeiterbefragung mit dem Index Gute Arbeit wurde seitens des<br />

Betriebsrates initiiert, die Zusammenarbeit mit der Geschäftsleitung diesbezüglich aber als<br />

vertrauensvoll und gut eingeschätzt. Die Geschäftsleitung war frühzeitig involviert und stellte<br />

zudem die finanziellen Mittel bereit. Dies wird zum Teil auch auf das gute persönliche Ver-<br />

hältnis des Geschäftsführers und des Betriebsratsvorsitzenden zurückgeführt und stellt eine<br />

Besonderheit der Niederlassung dar.<br />

Der Einfluss, den der Betriebsrat auf die Gefährdungsbeurteilung ausübt, wird von der Fach-<br />

kraft als „relativ klein“ beschrieben, was darauf zurückgeführt wird, dass das Verfahren ins-<br />

gesamt vom Gesamtbetriebsrat abgestimmt wurde. Er sieht zudem ein tiefergehendes Prob-<br />

lem darin, dass auf Konzernebene bereits vieles verhandelt wurde, wodurch den Akteuren<br />

vor Ort und damit auch dem Betriebsrat wenig Handlungsspielraum bleibt.<br />

Die übrigen Akteure<br />

Die übrigen Akteure in der Eigenwahrnehmung<br />

Das Thema Gesundheit wird seitens der GL als wichtiges Thema angesehen; dies auch vor<br />

dem Hintergrund der Gewinnung von Fachkräften, wenn sich das Unternehmen als guter<br />

Arbeitgeber positionieren will. Die Interviewpartner auf Seiten der Geschäftsleitung zeigen<br />

sich sehr offen für das Thema Gesundheit. Neben einem guten Geschäftsmodell und guten<br />

Prozessen seien Mitarbeitergesundheit und -zufriedenheit gerade für Dienstleistungsunter-<br />

nehmen der wichtigste Erfolgsfaktor. Investitionen in Zufriedenheit und Gesundheit werden<br />

als langfristiges Investment gesehen. Einflussgrößen für Gesundheit im betrieblichen Kontext<br />

243


werden insbesondere in der Arbeitsmotivation, der Fitness, der Arbeitsfreude, einer stabilen<br />

psychische Verfassung der Mitarbeiter und Führungskräfte sowie in einem guten sozialen<br />

Klima am Arbeitsplatz gesehen.<br />

Den Führungskräften wird eine Schlüsselposition zugeschrieben, wenn es darum geht, das<br />

Thema Gesundheit in die Belegschaft hineinzutragen. Ein Teamleiter müsse in der Lage<br />

sein, Vertrauen aufzubauen, um auch um personenbezogene und familiäre Probleme erken-<br />

nen zu können. Der Fokus gesundheitspolitischer Aktivitäten liegt aus Sicht der Geschäftslei-<br />

tung überwiegend auf verhaltensbezogenen Maßnahmen, nicht zuletzt, da man die Verhält-<br />

nisse als gut ansieht.<br />

Als Motor der betrieblichen Gesundheitspolitik wird insbesondere das Personalressort gese-<br />

hen, sowohl auf Konzernebene, als auch auf Unternehmensebene. Zudem wird dem Ar-<br />

beitskreis Gesundheit eine zentrale Rolle zugeschrieben.<br />

Allerdings wird die Trennung von Arbeitsschutzausschuss und Arbeitskreis Gesundheit<br />

durchaus problematisch gesehen. Hier sei eine engere Verknüpfung der beiden Gremium<br />

sinnvoll. Ebenfalls zurückhaltend beurteilt werden die Instrumente Gesundheitszirkel und<br />

Fokusgruppe, da sie aufwändig zu organisieren seien und man nicht immer ausreichend<br />

Freiwillige für eine Teilnahme finde.<br />

Als ein weiteres Defizit wird genannt, dass das Thema Arbeits- und Gesundheitsschutz nicht<br />

in einer Hand liege. Als weiteres Kernproblem wird genannt, dass sich die Maßnahmen nicht<br />

evaluieren oder in der Gesundheitsquote ablesen ließen.<br />

Von Seiten der Geschäftsführung wird geäußert, in Zukunft einen größeren Wert darauf zu<br />

legen, im Rahmen des Arbeitskreises Gesundheit verstärkt in Richtung Prävention zu arbei-<br />

ten. Dieser Bereich sei gesetzlich nicht ausführlich umrissen. Hier müsse man selbst<br />

Schwerpunkte setzen. Die rein arbeitsschutzrechtlichen Bereiche seien überschaubar, die<br />

Möglichkeiten, damit Effekte zu erzielen, aber begrenzt.<br />

Ein Kernproblem bei allen Maßnahmen, die durchgeführt werden, wird darin gesehen, dass<br />

Erfolge nicht evaluiert werden könnten bzw. sie sich nicht aus der Gesundheitsquote heraus-<br />

lesen ließen. Alles, was getan werden könne, sei Aufmerksamkeit und Motivation zu schaf-<br />

fen. Dennoch ist man der festen Überzeugung, dass jeder investierte Euro in Gesundheit um<br />

ein vielfaches zurückkommt. Diese Sichtweise wird auch auf Seiten der Konzernleitung ver-<br />

mutet.<br />

Im Vergleich zu anderen Unternehmen sehen sich die Akteure der Geschäftsleitung, sowohl<br />

auf Konzern- wie auf Unternehmensebene gut aufgestellt. „Es wird bereits sehr viel getan.“<br />

Die übrigen Akteure in der Fremdwahrnehmung<br />

244


Die Geschäftsleitung wird bezogen auf die Gesundheitspolitik in der Fremdwahrnehmung als<br />

kooperativer Akteur wahrgenommen, der dem Thema einen wichtigen Stellenwert beimesse<br />

und dem selbst daran gelegen sei, das Thema Gesundheit voranzubringen. Als Auslöser für<br />

diese Einstellung der Geschäftsleitung werden aber auch konzerneigene Umfragewerte ge-<br />

sehen sowie die Gesundheitsquote, die nicht so sehr den Erwartungen entsprochen hätte.<br />

Es wird kritisiert, dass sich die Geschäftsleitung in ihren Aktivitäten zu sehr auf das Thema<br />

Führungskräfteschulung fokussiere und das Thema eher top-down angehe.<br />

In den Gremien zum Thema Gesundheit wird die Geschäftsleitung nicht immer proaktiv bzw.<br />

als ein mit wenig Eigeninitiative auffallender Akteur wahrgenommen. Die Geschäftsleitung<br />

nutze bspw. den Arbeitskreis Gesundheit eher selten, um Initiativen vorzubringen, es sei<br />

denn es lägen „schlechte Zahlen“ vor. Präventivgedanken kämen von dieser Seite nicht.<br />

Die Verhandlungen zur Betriebsvereinbarung BEM gestalteten sich zäh und die Geschäfts-<br />

leitung musste gedrängt werden, sie zu unterzeichnen. Merkliche Ausgestaltungen dieser<br />

Betriebsvereinbarung im Organisationsablauf werden nicht festgestellt.<br />

Generell sieht der Betriebsrat aber mit Blick auf die Geschäftsleitung des Unternehmens<br />

keine unüberwindbaren Gräben. Vielmehr wird der Arbeitgeber auf diesem Themenfeld als<br />

Akteur wahrgenommen, der selbst etwas bewegen möchte – auch wenn dies vermutlich ge-<br />

trieben sei durch die schlechten Befragungsergebnisse.<br />

Fazit<br />

Der Systemzustand der betrieblichen Gesundheitspolitik ist formal betrachtet als sehr gut<br />

ausgebaut zu beurteilen. Es sind zahlreiche Instrumente und Verfahren vorhanden, die die<br />

vielfältigen Aspekte des Themas Gesundheit abdecken. Im Fallstudienunternehmen sind die<br />

Themenfelder Arbeits- und Gesundheitsschutz, Gesundheitsförderung sowie BEM ausrei-<br />

chend adressiert, werden systematisch und strukturiert bearbeitet und sind mit Verantwort-<br />

lichkeiten versehen. Auch die konzernseitig gesetzten Rahmenbedingungen können als un-<br />

terstützend und hilfreich beurteilt werden. Gleichzeitig bestehen für die Akteure vor Ort aus-<br />

reichend Freiräume, betriebsbezogene Aktivitäten anzustoßen, bspw. die Bonuscard oder<br />

die Betriebsvereinbarung Arbeitsstätten.<br />

Das untersuchte Unternehmen gehört zudem zu einem Konzern, der bereits im Jahr 1997 in<br />

einer Gesamtbetriebsvereinbarung Vorgehensweisen und Strukturen im Rahmen eines BGM<br />

festgeschrieben hat. In dieser Gesamtbetriebsvereinbarung sind wesentliche Elemente des<br />

hier zugrunde gelegten Referenzmodells, bspw. AK Gesundheit, Gesundheitskoordinator,<br />

Zielfestlegung, enthalten. Allerdings konnte auch eine mangelnde Verzahnung der Aktivitä-<br />

ten im Rahmen des BGM mit den klassischen Arbeitssicherheitsthemen festgestellt werden,<br />

bspw. die getrennte Arbeit im Arbeitsschutzausschuss und im AK Gesundheit. Bricht man<br />

245


das GM herunter auf die Ebene der Niederlassung, ist festzustellen, dass auch auf Ebene<br />

des Fallstudienunternehmens die Strukturen entsprechend der GBV BGM ausgestaltet sind.<br />

Gleichzeitig existieren neben diesen Strukturen weitere Strukturen, welche sich zum Teil<br />

intensiv mit Themen der betrieblichen Gesundheitspolitik befassen, die aber nicht integriert<br />

betrachtet werden. Ein Austausch zwischen den verschiedenen Strukturen, bspw. Arbeits-<br />

schutzausschuss und AK Gesundheit, kann lediglich aufgrund der Personenidentität unter-<br />

stellt werden. Jedoch ist auch deutlich geworden, dass diese beiden Gremien thematisch<br />

unterschiedliche Aspekte bearbeiten: Der ASA ist für Arbeitsschutzthemen entsprechend der<br />

gesetzlichen Bestimmungen und mitsamt der gesetzlichen Mitbestimmung zuständig, wäh-<br />

rend der AK Gesundheit eher zur Bearbeitung der Gesundheitsquote mit gesundheitsförder-<br />

lichen Maßnahmen tendiert.<br />

Fördernde und hemmende Faktoren für die betriebliche Gesundheitspolitik<br />

Trotz vorhandener Strukturen sehen die Akteure des Fallstudienunternehmens weiteren<br />

Handlungsbedarf in der betrieblichen Gesundheitspolitik und befinden sich in einem anhal-<br />

tenden Suchprozess, bspw. nach Lösungen im Umgang mit „neuen“ Belastungsformen, dem<br />

Umgang mit psychischen Belastungen oder dem demografischen Wandel. Der Betriebsrat<br />

hat in diesem Suchprozess eine eigene Befragung initiiert, steht bei der Analyse der Ergeb-<br />

nisse jedoch teilweise hilflos vor der Frage, wie diese in betriebliches Handeln umgesetzt<br />

werden können. Derzeit werden die Ergebnisse in erster Linie zum Agenda-Setting der Be-<br />

triebsratsarbeit genutzt.<br />

Förderlich ist allerdings die Kooperationsbereitschaft der Betriebsparteien. So wurden die<br />

Ergebnisse der jeweiligen Befragungen (Index und Konzernmitarbeiterbefragung) ausge-<br />

tauscht und in die betrieblichen Routinen eingespeist, um gemeinsam Aktivitäten und Maß-<br />

nahmen zu erarbeiten.<br />

Dennoch führen die vorhandenen Unsicherheiten dazu, dass bisherige Strukturen und Hand-<br />

lungsmuster aufrechterhalten oder weitere aufgesetzt werden. So werden auf Betriebsrats-<br />

seite bspw. zentrale Arbeiten noch überwiegend im AuG-Ausschuss getätigt und nicht im<br />

gesamten Gremium. Auf Seiten der Geschäftsleitung wird eine weitere Stelle mit dem Thema<br />

Gesundheit betraut, diese wird aber nicht in die bestehenden Routinen und Verfahren einge-<br />

bunden.<br />

Zum Teil ist eine Überforderung der Akteure ob der Vielzahl der unterschiedlichen Aktivitäten<br />

festzustellen. So werden bspw. verschiedene Aspekte von Gesundheit in zwei Ausschüssen<br />

(ASA, AK Gesundheit) behandelt, obwohl es sich aufgrund der Interdependenz der Gesund-<br />

heitsaspekte anbieten würde, diese Gremien stärker zu verzahnen.<br />

246


Treiber bzw. Motoren für die betriebliche Gesundheitspolitik<br />

Im Fallstudienunternehmen können mehrere Treiber der betrieblichen Gesundheitspolitik<br />

ausgemacht werden.<br />

Der Betriebsrat hat in den letzten Jahren verstärkt das Thema Gesundheit auf seine Agenda<br />

gesetzt. Mit dem Einsatz des „Index Gute Arbeit“ liegt sogar ein betriebsrätlich initiiertes Ana-<br />

lyseergebnis für die Qualität der Arbeitsbedingungen vor. Zentraler Machtpromotor im Be-<br />

triebsrat, um das Thema voranzutreiben, ist der Betriebsratsvorsitzende. Zudem findet sich<br />

im Vorsitzenden des AuG-Ausschusses gleichzeitig ein Fachpromotor. Diese werden auch<br />

seitens der Geschäftsleitung als aktive Treiber wahrgenommen.<br />

Dies gilt auch umgekehrt für die Geschäftsleitung, auch hier sind die Akteure sehr aktiv. Der<br />

Geschäftsführer betont die Wichtigkeit des Themas durch die Einsetzung eines Referenten,<br />

der ihm in diesem Thema zuarbeitet, der allerdings nicht mit den sonstigen Strukturen im<br />

Unternehmen verzahnt ist. Der Personalleiter ist im Rahmen seiner Rolle als Gesundheits-<br />

koordinator stark engagiert, obwohl er seine Ressourcen überwiegend seinen personalwirt-<br />

schaftlichen Aufgaben widmen muss. Er ist zentraler Treiber bei der Einführung der Gesund-<br />

heitscard gewesen.<br />

Wahrgenommener Handlungsbedarf<br />

Die vorgefundene Situation im untersuchten Unternehmen beinhaltet neben einer tendenziel-<br />

len Gefahr der Überforderung der Akteure aufgrund der vielfältigen Lern- und Suchprozesse<br />

vielfältige Möglichkeiten. Im Grunde genommen sind die Strukturen vorhanden und müssten<br />

letztlich „nur“ zusammengeführt werden. Wie man aber an diesem Beispiel auch sieht, reicht<br />

es nicht aus, dass allein gute Strukturen vorhanden sind. Darüber hinaus müssen auch die<br />

Prozesse kontinuierlich laufen und in möglichst allen Unternehmensbereichen zur Anwen-<br />

dung kommen. Hierbei ist insbesondere die vollständige Anwendung des PDCA-Zyklus zu<br />

nennen sowie die Integration des Themas Gesundheit in die Führungsroutinen. Es erscheint<br />

notwendig, dass die vorhanden Strukturen und Prozesse hinterfragt und zu einem „eigenen“,<br />

auf das Fallstudienunternehmen bezogenen BGM-Haus zusammengefügt werden. So könn-<br />

ten die verschiedenen Säulen Arbeitsschutz und -sicherheit, Gesundheitsförderung und der<br />

Integration des Themas in alle Management- und Führungsprozesse unter einem gemein-<br />

samen Dach dieses BGM-Haus bilden. Hier gilt es, insbesondere die auf operativer Ebene<br />

vorhandenen Instrumente und Angebote, bspw. Gefährdungsbeurteilung, Gesundheitszirkel,<br />

Wiedereingliederungsgespräche stärker zu nutzen und sie zu verzahnen.<br />

247


Feedback-Workshop<br />

Das Angebot eines Feedback-Workshops wurde durch den Betriebsrat in Anspruch genom-<br />

men worden. Der Workshop fand im Rahmen einer Betriebsratsausschusssitzung statt, an<br />

der auch der Gesundheitskoordinator des Unternehmens teilgenommen hat. Insbesondere<br />

über die Bedeutung des Indikators „Gesundheitsquote“ wurde im Rahmen dieses Workshops<br />

intensiv diskutiert. Ihre Verwendung als alleinige bzw. ausschlaggebende Kennzahl im Rah-<br />

men der betrieblichen Gesundheitspolitik wird von Betriebsratsseite aus kritisiert.<br />

Aufgrund des Wechsels der Geschäftsführung ist es derzeit nicht möglich, die weitere Ent-<br />

wicklung der betrieblichen Gesundheitspolitik vorherzusagen. Den Teilnehmern des Feed-<br />

back-Workshops ist durch die Veranstaltung (wieder) deutlich geworden, wie komplex und<br />

vielschichtig das Thema Gesundheit ist, aber auch welche brachliegenden Potenziale im<br />

Konzern und damit auch im Betrieb vorhanden sind.<br />

7.2.10 Fall 10: Viele Einzelaktivitäten ohne ein gemeinsames Dach<br />

Eckdaten zum Unternehmen<br />

Bei dem Fallstudienunternehmen handelt es sich um einen Gemeinschaftsbetrieb zweier<br />

Unternehmen – ein Stahl- und ein Schmiedewerk – an einem Standort im Osten Deutsch-<br />

lands. Der Gemeinschaftsbetrieb gehört zu einer bundesweit tätigen, ca. 50 Unternehmen<br />

umfassenden Unternehmensgruppe. Die jeweiligen Gruppenunternehmen agieren aber rela-<br />

tiv autonom, d. h. die Geschäftsführung vor Ort trägt die Verantwortung, ohne zeitraubende<br />

Abstimmungsprozesse zwischen Mutter- und Tochterunternehmen bspw. in einer AG-<br />

Struktur.<br />

Die Stahlproduktion und -verarbeitung kann am Standort des Gemeinschaftsbetriebs auf<br />

eine über 200-jährige Tradition zurückblicken. Im Jahr 1997 wurde der Gemeinschaftsbetrieb<br />

in die Unternehmensgruppe übernommen und 2002 als Geschäftsbereich als Schmiedewer-<br />

ke organisiert. Im August 2004 wurde die Gießerei selbständig und bildet den zweiten Teil<br />

des Gemeinschaftsbetriebs.<br />

Das Unternehmen stellt Freiformschmiedestücke und Ringwalzerzeugnisse her, die auf<br />

Wunsch mechanisch vor- oder fertig bearbeitet werden. Den Stahl liefert das auf demselben<br />

Firmengelände ansässige Stahlwerk. Das Unternehmen fertigt Stahlformgussteile mittels<br />

Handformgussverfahren für den Schiffsbau, Energiemaschinenbau, Formenbau und den<br />

allgemeinen Maschinenbau.<br />

Der Betriebsrat des Gemeinschaftsbetriebs setzt sich aus 11 Mitgliedern und zwei „aktiven<br />

Nachrückern“ zusammen, wovon zwei Betriebsräte voll und zwei weitere teilfreigestellt sind.<br />

248


Die Mitglieder des Betriebsrates rekrutieren sich aus verschiedenen Unternehmensberei-<br />

chen.<br />

Betriebsratsausschüsse bestehen zu den Themen Arbeitsschutz und Soziales, Personal,<br />

EDV, Lohn & Gehalt, betriebliches Vorschlagswesen; zudem gibt es einen Wirtschaftsau-<br />

schuss. Der Organisationsgrad der Belegschaft liegt bei über 80%.<br />

Auf Ebene der Unternehmensgruppe gibt es eine Arbeitsgemeinschaft der Unternehmensbe-<br />

triebsräte, die sich einmal im Jahr trifft, keine Beteiligungsrechte besitzt, aber Informations-<br />

möglichkeiten hat bzw. über die wirtschaftlichen Aktivitäten der Gruppe informiert wird.<br />

Für die Erstellung der Fallstudie sind folgende Personen interviewt worden:<br />

der Betriebsratsvorsitzende des Gemeinschaftsbetriebs; die Person ist freigestellt und<br />

bekleidet das Amt des Betriebsratsvorsitzenden seit 20 Jahren; im Unternehmen ist er<br />

seit mehr als 30 Jahren tätig;<br />

ein weiteres Betriebsratsmitglied, bereits seit 42 Jahren im Unternehmen und zurzeit<br />

mit einer 2/5-Stelle als Betriebsrat teilfreigestellt; die Person ist zudem Vorsitzender<br />

des Arbeitsschutzausschusses des Betriebsrats und ist eines von zwei Betriebsrats-<br />

mitgliedern im ASA des Gemeinschaftsbetriebs;<br />

ein weiteres teilfreigestelltes Betriebsratsmitglied; Diese Person ist bereits seit 40 Jah-<br />

ren im Unternehmen und seit 1990 im Betriebsrat; sie leitet den Personalausschuss<br />

des Betriebsrates, ist Mitglied im betriebsrätlichen Arbeitsschutzausschuss, ist die<br />

zweite Vertreterin des Betriebsrates im ASA und Mitglied im Aufsichtsrat des Gemein-<br />

schaftsbetriebs; zudem ist sie seit über 13 Jahren Schwerbehindertenvertreterin.<br />

die Fachkraft für Arbeitssicherheit der Schmiede- und Stahlwerke, die seit über 12 Jah-<br />

ren im Gemeinschaftsbetrieb in dieser Funktion ist.<br />

Entwicklungsstand und Meilensteine der betrieblichen Gesundheitspolitik<br />

Entwicklungsstand<br />

Im Rahmen der Fallstudie kann auf die Informationen des Vorabfragebogens sowie die ge-<br />

führten Einzelinterviews mit der Fachkraft für Arbeitssicherheit sowie mit drei Betriebsräten<br />

zurückgegriffen werden.<br />

Das Unternehmen kommt dem Vorabfragebogen zufolge seinen gesetzlichen Verpflichtun-<br />

gen im Arbeits- und Gesundheitsschutz nach. Es werden die notwendigen Unterweisungen<br />

durchgeführt sowie durch die Fachkraft koordinierte Begehungen der Arbeitsbereiche. Zu-<br />

249


dem wird, ebenfalls durch die Fachkraft koordiniert, eine Gefährdungsbeurteilung durchge-<br />

führt, die auch einer Wirkungskontrolle unterzogen wird.<br />

Im Unternehmen gibt es einen vierteljährlich tagenden Arbeitsschutzausschuss entspre-<br />

chend Arbeitssicherheitsgesetz. Allerdings haben im Jahr 2009 keine ASA-Sitzungen statt-<br />

gefunden und es ist nicht gewährleistet, ob dies im laufenden Jahr anders sein wird.<br />

Seit 1998 werden im Unternehmen hauseigene Gefährdungsbeurteilungen durchgeführt. Die<br />

Beurteilungen erfolgen in der Regel bei Arbeitsplätzen, die neu eingerichtet werden. Insge-<br />

samt finden die Gefährdungsbeurteilungen jedoch in unregelmäßigen Abständen statt. Im<br />

Rahmen dieser Gefährdungsbeurteilung werden, so die Fachkraft, auch psychische Belas-<br />

tungen ermittelt und beurteilt. Laut Vorabfragebogen wurde diese Frage verneint, weshalb<br />

davon auszugehen ist, dass von der Fachkraft die psychischen Belastungen der Mensch-<br />

Maschine-Schnittstelle gemeint werden. Eine Betriebsvereinbarung der Betriebsparteien zum<br />

Thema „Gefährdungsbeurteilung“ existiert nicht. Im Gemeinschaftsbetrieb sind gesundheits-<br />

bezogene Betriebsvereinbarungen zur betriebsärztlichen Betreuung und zum Thema<br />

Schutzbrillen abgeschlossen.<br />

Die Federführung bei der Ermittlung und Analyse liegt bei der Fachkraft. Sie erstellt zudem<br />

Vorschläge für Verbesserungsmaßnahmen und Pläne zur Umsetzung. Die Verantwortung für<br />

die Gefährdungsbeurteilung insbesondere hinsichtlich daraus resultierender Maßnahmen<br />

liegt bei den jeweiligen Betriebs- bzw. Bereichsleitern. Die Verantwortlichkeiten im Arbeits-<br />

und Gesundheitsschutz sind im Unternehmen an die Führungskräfte delegiert und in die<br />

Stellenbeschreibungen der Führungskräfte mit aufgenommen. Es finden regelmäßige Schu-<br />

lungen für die Ebene der Führungskräfte statt, in denen u. a. auch zu Themen des Arbeits-<br />

und Gesundheitsschutzes geschult wird.<br />

Neben der Gefährdungsbeurteilung werden im Unternehmen regelmäßig Unterweisungen<br />

durchgeführt. Die Fachkraft initiiert zudem ca. vierteljährlich Begehungen, an denen auch<br />

Vertreter des Betriebsrates teilnehmen. Zu diesen Begehungen werden Protokolle geführt, in<br />

denen Maßnahmen und personelle Verantwortlichkeiten festgehalten werden.<br />

Die betriebsärztliche Betreuung des Gemeinschaftsbetriebs ist derzeit nicht bestellt. Nach<br />

einem etwas längeren Suchprozess soll mit einem externen Anbieter ein Vertrag über die<br />

werksärztliche Betreuung abgeschlossen werden. Die Fachkraft für Arbeitssicherheit ist in<br />

einem Unternehmensteil des Gemeinschaftsunternehmens angestellt und bereits seit länge-<br />

rem in dieser Funktion im Unternehmen tätig. Des Weiteren gibt es im Gemeinschaftsbetrieb<br />

Sicherheitsbeauftragte, die im steten Austausch mit der Fachkraft stehen, von ihr auch In-<br />

formationen zu Themen des Arbeits- und Gesundheitsschutzes erhalten. Auf Ebene der Un-<br />

ternehmensgruppe findet jährlich ein Treffen der Fachkräfte für Arbeitssicherheit statt. Diese<br />

Treffen dienen in erster Linie dem Informationsaustausch.<br />

250


Im Rahmen eines öffentlich geförderten Projektes erarbeitet der Gemeinschaftsbetrieb der-<br />

zeit die Einführung eines BEM. Bisher wurden langzeiterkrankte Mitarbeiter in Abstimmung<br />

mit der Schwerbehindertenvertretung wieder eingegliedert, in Zukunft soll sich ein eigens<br />

installiertes BEM-Team um die Wiedereingliederung Langzeiterkrankter Mitarbeiter küm-<br />

mern. Dieses Team wird aus Vertretern von Geschäftsleitung und Betriebsrat sowie den be-<br />

trieblichen Gesundheitsexperten bestehen.<br />

Neben der oben genannten hauseigenen Gefährdungsbeurteilung wurde im Rahmen eines<br />

weiteren öffentlich geförderten Projektes für den Bereich Stahlwerk eine Gefährdungsbeur-<br />

teilung speziell der alternssensiblen Gefährdungen und Belastungen (unter Mitberücksichti-<br />

gung psychischer Belastungen) von einem externen Beratungsunternehmen durchgeführt.<br />

Im Rahmen dieses Projekts wurde ein Steuerkreis eingerichtet, der das Vorgehen begleitet,<br />

koordiniert und über die Maßnahmenvorschläge entschieden hat. Der Steuerkreis setzte sich<br />

zusammen aus Vertretern der Geschäftsführung bzw. dem Betriebsleiter, dem Betriebsrats-<br />

vorsitzender bzw. BR-Vertretern aus dem Stahlwerk, einem Vertreter der Personalabteilung,<br />

der Sicherheitsfachkraft, einem Meistervertreter sowie den externen Beratern. Die Maßnah-<br />

menplanung erfolgte aufgrund verschiedener Analysen, zu denen die Instrumente der al-<br />

ternskritischen Gefährdungsbeurteilung, eine Altersstrukturanalyse und der vorhandene<br />

Qualifizierungs- und Schulungsplan des Stahlwerkes eingesetzt wurden. Mit diesem Projekt<br />

wurde zudem der Tarifvertrag zum Demografischen Wandel im Stahlbereich umgesetzt.<br />

In der Vergangenheit wurden vereinzelt Gesundheitstage in Kooperation mit Krankenkassen<br />

durchgeführt. Ebenfalls in Zusammenarbeit mit Krankenkassen wurde vor drei Jahren eine<br />

Mitarbeiterbefragung zu den Themen Gesundheitsbefindlichkeit, gesundheitliche Probleme,<br />

Stress, Arbeitsdruck, Arbeitsverdichtung, Führungsverhalten, Arbeitsschutz etc. durchge-<br />

führt. Aus den Ergebnissen dieser Befragung resultierte bspw. die komplette Erneuerung der<br />

Kantine mitsamt „gesundem Speiseplan“, die auch offiziell zur „Förderung der Gesundheit<br />

der Belegschaft“ aufgeführt wird.<br />

Für den Gemeinschaftsbetrieb existiert kein explizites BGM. Aus den Interviews gibt es aber<br />

Hinweise, dass auf Gruppenebene Aktivitäten stattfinden und dort auch Strukturen (u.a. ein<br />

Steuerkreis) eingerichtet sind.<br />

Meilensteine<br />

Der Bereich des klassischen Arbeits- und Gesundheitsschutzes wird schon sehr lange Zeit<br />

durch eine interne Fachkraft für Arbeitssicherheit abgedeckt.<br />

Als Meilensteine können insbesondere das Demografieprojekt sowie ein öffentliches geför-<br />

dertes Projekt zur Einführung eines BGM angesehen werden. Darüber hinaus kann auch die<br />

Neugestaltung der Kantine als Meilenstein bezeichnet werden; sie wird in der Informations-<br />

251


zeitschrift der Unternehmensgruppe als erfolgreiche Maßnahme der Gesundheitspolitik dar-<br />

gestellt.<br />

Bei dem Demografieprojekt handelt es sich um ein im Jahr 2006 und 2007 durchgeführtes<br />

Projekt zur Förderung und zum Erhalt der Beschäftigungsfähigkeit durch eine erfolgreiche<br />

Personalpolitik. Im Rahmen dieses Projektes wurde im Unternehmen eine auf das Gemein-<br />

schaftsunternehmen bezogene und auf die einzelnen Bereiche herunter gebrochene Alters-<br />

strukturanalyse erstellt. In einem weiteren Schritt wurde eine Qualifikationsbedarfsplanung<br />

für die einzelnen Arbeitsbereiche erstellt. Diese beiden Verfahren wurden verbunden mit<br />

einer alternsgerechten Gefährdungsbeurteilung, in der als alternssensibel geltende Faktoren<br />

der Arbeitstätigkeiten ermitteltet, beurteilt und Maßnahmen abgeleitet wurden. Im Rahmen<br />

dieser alternsgerechten Gefährdungsbeurteilung wurde auch das Thema psychische Belas-<br />

tungen per Expertenverfahren in Form von durch die Experten moderierten Mitarbeitergrup-<br />

pen mit bearbeitet.<br />

Das Projekt zur Einführung eines BEM lief in diesem Jahr erst an und befindet sich im An-<br />

fangsstadium. Im Rahmen dieses Projektes soll im Unternehmen ein BEM-Team gegründet<br />

und geschult werden, welches in Zukunft langzeiterkrankte Mitarbeiter unter Berücksichti-<br />

gung der speziellen Belastungssituation des ausgeübten Arbeitsplatzes wieder in den Ar-<br />

beitsprozess eingliedert. Zudem sollen in diesem Rahmen die Führungskräfte geschult wer-<br />

den im Umgang mit dem Instrument BEM und in den gesundheitsbezogenen Zusammen-<br />

hängen.<br />

Bewertung der betrieblichen Gesundheitspolitik<br />

Die betriebliche Gesundheitspolitik aus Sicht der Interviewpartner<br />

Die befragten Akteure sehen sich im Bereich des klassischen Arbeits- und Gesundheits-<br />

schutzes gut aufgestellt. Es wird zudem kein Handlungsbedarf bei der Gefährdungsbeurtei-<br />

lung gesehen, auch wenn diese lediglich implizit durch die Betrachtung der Mensch-<br />

Maschine-Schnittstelle psychische Belastungen miterfasst. Eine eigenständige darüber hin-<br />

aus gehende Gefährdungsbeurteilung psychosozialer Belastungen wird nicht durchgeführt,<br />

von den Interviewten aber auch nicht vermisst. Zudem wurde das Thema im Rahmen der<br />

alternsgerechten Gefährdungsbeurteilung durch den externen Akteur im Rahmen eines<br />

Gruppengesprächs mit den Mitarbeitern des Stahlwerks durch ein Expertenverfahren erfasst<br />

und bearbeitet. Seitens der Betriebsräte wird aber auch darauf verwiesen, dass man sich<br />

selbst und als Gremium nicht ausführlich mit dem Thema psychische Belastungen befasst<br />

hat.<br />

Die bisherige Praxis des Arbeitsschutzausschusses (ASA) wird seitens der Betriebsräte als<br />

positiv bewertet, für das Jahr 2009 aber wird bemängelt, dass das Gremium in dieser Form<br />

in diesem Jahr kein einziges Mal getagt hat. Diesen Umstand haben die Betriebsräte bereits<br />

252


an mehreren Stellen (bspw. im Aufsichtsrat) angesprochen und auf den Missstand hingewie-<br />

sen. Als Betriebsrat ist man zuversichtlich, dass der ASA im laufenden Jahr in angemesse-<br />

ner Anzahl zusammentreten wird und hofft so auf Besserung. Für die Zeiten, in denen der<br />

ASA stattgefunden hat, wird er als gut arbeitendes Gremium beschrieben, in dem die Akteu-<br />

re gut und zielführend zusammengearbeitet haben. Hingegen ist die Fachkraft der Meinung,<br />

dass sich die betrieblichen Akteure ausreichend in anderen Steuerkreisen, bspw. im Rahmen<br />

des Demografie-Projektes getroffen und sich zum Thema Gesundheit ausgetauscht haben.<br />

Ein BEM wird derzeit im Rahmen eines öffentlich geförderten Projektes im Unternehmen<br />

eingeführt. Der Anstoß zur Einführung eines BEM kam im Zuge des Demografie-Projekts vor<br />

ca. einem Jahr von Betriebsratsseite. Bereits im Vorfeld hatte bereits die Personalabteilung<br />

Interesse an der Einführung von „Rückkehrgesprächen“, die allerdings, so die interviewten<br />

Betriebsräte, ihrerseits abgelehnt wurden. Als dann der Betriebsrat die Teilnahme an dem<br />

öffentlich geförderten Projekt anregte, konnten sich Geschäftsleitung und Betriebsrat auf ein<br />

solches Vorgehen im Rahmen eines Forschungsprojektes einigen.<br />

Aus den Analysen, die im Rahmen des Demografie-Projektes zu alternsgerechter Arbeit<br />

durchgeführt wurden, sind Maßnahmen für den Bereich Stahlwerk erarbeitet und zum Teil<br />

auch umgesetzt worden. Allerdings wird seitens der Betriebsräte bemängelt, dass die Abar-<br />

beitung nicht sehr kontinuierlich verläuft und viele Maßnahmen noch nicht konsequent um-<br />

gesetzt sind. Die Maßnahmendurchführung wird durch die Fachkraft koordiniert bzw. durch<br />

das Personalwesen gesteuert. Der Betriebsrat, so die interviewten Betriebsräte, ist bei der<br />

Maßnahmenumsetzung mehr oder weniger außen vor und muss teilweise auch Informatio-<br />

nen aktiv einfordern. Es wird seitens der Betriebsräte positiv vermerkt, dass aus dem Projekt<br />

ein sehr detaillierter Umsetzungsplan existiert, der zudem personell unterfüttert ist und auf<br />

den man sich stets beziehen könne. Insgesamt wird dieses Projekt positiv beurteilt. In der<br />

Beschäftigung mit dem demografischen Wandel wurde, so die Betriebsräte, vieles angesto-<br />

ßen.<br />

Der Steuerkreis, der im Rahmen dieses Demografie-Projektes eingesetzt wurde, wurde nicht<br />

als dauerhaftes Gremium etabliert. In diesem Zusammenhang wird von den Betriebsräten<br />

berichtet, dass es bereits im Projekt Terminschwierigkeiten auf Seiten der Geschäftsleitung<br />

gab, und sie nicht regelmäßig an den Sitzungen teilgenommen habe. Der Steuerkreis wurde<br />

aus Sicht des Betriebsrats seitens der Geschäftsführung nicht ausreichend ernst genommen.<br />

Ein institutionalisiertes, systematisches BGM gibt es laut Vorabfragebogen und Interviews im<br />

Gemeinschaftsbetrieb nicht. Allerdings berichtet die Geschäftsleitung der Unternehmens-<br />

gruppe über Aktionen und Maßnahmen unter dem Titel BGM. Beispielsweise wurde die Er-<br />

neuerung der Kantine gegenüber der Unternehmensgruppe und durch einen Artikel in der<br />

Informationszeitschrift als BGM-Maßnahme dargestellt. Berichte über Aktionen werden ein-<br />

253


gefordert, es gibt allerdings keinen formalisierten Austausch über BGM-Aktivitäten. Auf Seite<br />

des Betriebsrates gibt es einen Akteur, der sich ausführlich mit dem Thema BGM befasst<br />

und auch ein BGM-Konzept erarbeitet hat. Im Austausch mit der Geschäftsleitung ist es ein<br />

Streitpunkt, welche Aspekte und Themen zu einem BGM gezählt werden sollen und welche<br />

nicht und wie die Verantwortlichkeiten geregelt sein sollen.<br />

Aktivitäten zum BGM finden im Unternehmen eher unterschwellig statt und werden lediglich<br />

auf der Ebene der Unternehmensgruppe zum Zwecke einer Außendarstellung gesammelt.<br />

Weder auf Unternehmensebene noch auf Gruppenebene sind die Betriebsräte aktiv einge-<br />

bunden (bspw. bei der Erarbeitung der Maßnahmen des BGM) noch werden sie informiert.<br />

Die Geschäftsleitung des Gemeinschaftsbetriebs spielt zwar auf der übergeordneten Ebene<br />

mit, aber aus Sicht der Betriebsräte sickert nichts weiter durch.<br />

Die FaSi sieht die tragenden Säulen beim BGM in der Personalabteilung und in der Ge-<br />

schäftsleitung. Sie erstellt Berichte, die an die entsprechenden Gremien des Unternehmens-<br />

gruppen-BGM weitergeleitet werden. Die Entwicklung von Maßnahmen läuft seiner Ansicht<br />

nach eher unterschwellig, eine aktive Kommunikationspolitik, bspw. in Form gezielter Infor-<br />

mationen an die Mitarbeiter, finde nicht statt.<br />

Die Fachkraft wird vom Betriebsrat als aktiv wahrgenommen und ihre Funktion beschränkt<br />

sich aus BR-Sicht nicht auf die Beratung allein. Die Zusammenarbeit mit der Fachkraft wird<br />

als gut bewertet, allerdings werde sie nicht aktiv zur Beratung des Betriebsratsgremiums<br />

bzw. des betriebsrätlichen Arbeitsschutzausschusses herangezogen.<br />

Die betriebliche Gesundheitspolitik im Gemeinschaftsbetrieb wird als durchwachsen beurteilt,<br />

vieles sei Stückwerk ohne ein gemeinsames Dach. Die Betriebsräte sehen noch großen<br />

Handlungsbedarf, berichten aber von ihren Erfahrungen, dass sie bei der Geschäftsleitung<br />

bei konkreten Vorschlägen oft auf taube Ohren stießen. Generell wird die betriebliche<br />

Gesundheitspolitik seitens der Betriebsräte als wenig koordiniert wahrgenommen. Die Exper-<br />

ten seien überwiegend auf ihrer spezifischen Handlungsebene tätig, eine Zusammenführung<br />

dieser Aktivitäten im Sinne einer integrierten Gesundheitspolitik stehe noch aus,<br />

Abgleich mit dem Referenzmodell<br />

Die konkrete Ausgestaltung der betrieblichen Gesundheitspolitik muss sich stets an den indi-<br />

viduellen Gegebenheiten und Rahmenbedingungen eines Unternehmens orientieren. Darü-<br />

ber hinaus lassen sich jedoch Mindeststandards an eine erfolgreiche betriebliche Gesund-<br />

heitspolitik formulieren (s. Kapitel 3). Diese Standards werden nachfolgend mit den vorlie-<br />

genden Informationen aus dem Vorabfragebogen und den Aussagen der verschiedenen In-<br />

terviews abgeglichen.<br />

1. Formulierung einer klaren, inhaltlichen Zielsetzung<br />

254


Im Gemeinschaftsbetrieb ist das Thema Gesundheit in Form von Grundsätzen bzw. einem<br />

Unternehmensleitbild verankert.<br />

2. Abschluss schriftlicher Vereinbarungen<br />

Die Frage nach schriftlichen Vereinbarungen wurde in den geführten Interviews negativ be-<br />

antwortet. Es ist demnach auch keine Betriebsvereinbarung abgeschlossen, die sich mit<br />

BGM befasst.<br />

3. Einrichtung eines Lenkungsausschusses<br />

Es wurde kein permanenter Steuerungskreis zum Thema Gesundheit eingerichtet. Allerdings<br />

werden zeitlich begrenzt zu bestimmten Anlässen Steuerkreise gebildet, bspw. im Rahmen<br />

des Demografieprojektes. Dieser konnte aber nicht nachhaltig über die Projektzeit hinaus<br />

installiert werden. Auch der gesetzlich vorgeschriebene ASA ist seit einem Jahr verwaist und<br />

kann nicht als Steuerkreis angesehen werden.<br />

4. Bereitstellung von Ressourcen<br />

Es werden keine Ressourcen in Form eines finanziellen Budgets speziell für Gesundheits-<br />

themen zur Verfügung gestellt.<br />

5. Festlegung personeller Verantwortlichkeiten<br />

Personellen Verantwortlichkeiten in Form eines Gesundheitsbeauftragten oder<br />

-koordinators gibt es im Unternehmen nicht. Laut Angaben im Vorabfragebogen werden die<br />

Aktivitäten zum Arbeits- und Gesundheitsschutz durch die unternehmenseigene Fachkraft für<br />

Arbeitssicherheit koordiniert.<br />

6. Qualifizierung von Experten und Führungskräften<br />

Es werden für die Führungskräfte Schulungen angeboten, diese beschäftigten sich aber bis-<br />

her nur selten mit Gesundheitsthemen. Für die nahe Zukunft plant das Unternehmen, ent-<br />

sprechend des Vorabfragebogens, Schulungen speziell zum Thema Gesundheit durchzufüh-<br />

ren. Beispielsweise sollen im Rahmen der BEM-Einführung die Führungskräfte zu dem The-<br />

ma geschult werden.<br />

7. Beteiligung und Befähigung der Mitarbeiter<br />

Die Mitarbeiter konnten sich an einer von der Krankenkasse initiierten Mitarbeiterbefragung<br />

beteiligen, aus deren Ergebnisse die Geschäftsleitung bspw. die Erneuerung der Kantine<br />

veranlasste. Darüber hinaus findet im Unternehmen keine aktive Einbeziehung der Mitarbei-<br />

ter in die Analyse der gesundheitlichen Situation bzw. zur Erarbeitung von Themen der be-<br />

trieblichen Gesundheitspolitik (bspw. in Form von Gesundheitszirkeln) statt. Des Weiteren<br />

finden auch keine gesundheitsbezogenen Schulungen oder Qualifizierungen, neben den<br />

Unterweisungen, statt.<br />

255


8. Betriebliche Gesundheitsberichterstattung<br />

Im Unternehmen existiert keine betriebliche Gesundheitsberichterstattung. Als Kennzahlen<br />

werden lediglich die Krankheitsquote und die Unfallzahlen erhoben.<br />

9. Internes Marketing<br />

Interne Kommunikation von Gesundheitsthemen findet nur sehr vereinzelt statt. Teilweise,<br />

bspw. bei der Erneuerung der Kantine, werden Berichte über die Informationszeitschrift der<br />

Unternehmensgruppe kommuniziert.<br />

10. Durchführung der vier BGM-Prozesse<br />

Es ist aufgrund der Datenlage nicht ersichtlich, inwieweit die vier BGM-Prozesse (Diagnose,<br />

Planung, Intervention, Evaluation) durchschritten werden. Für die Gefährdungsbeurteilung<br />

wird dies durch die Fachkraft, die den Zyklus in ihrer Arbeit berücksichtigt, bejaht. Inwieweit<br />

dies auch für die im Rahmen des Demografieprojektes gemachten Analysen und erarbeite-<br />

ten Maßnahmen zutrifft, kann nicht abschließend beurteilt werden.<br />

11. Erfüllung gesetzlicher Anforderungen<br />

Aufgrund der Antworten des Vorabfragebogens ist davon auszugehen, dass die gesetzlichen<br />

Anforderungen erfüllt werden, wenn sie auch zum Teil nachlässig behandelt werden, wie<br />

bspw. der ASA. Neben dem ASA werden im Unternehmen die notwendigen Unterweisungen<br />

durchgeführt, es werden Begehungen auf Initiative der Fachkraft durchgeführt und es wird<br />

Gefährdungsbeurteilung erstellt, allerdings ohne Berücksichtigung psychosozialer Belastun-<br />

gen. Ein BEM wird derzeit erarbeitet.<br />

12. Integration des BGM<br />

Das Thema Gesundheit ist nur rudimentär bis gar nicht in die betrieblichen Prozesse inte-<br />

griert. Für die Gefährdungsbeurteilungen sind zwar die Meister und Vorgesetzte in den Ar-<br />

beitsbereichen zuständig, werden aber erst durch den Impuls der Fachkraft tätig, der sie an-<br />

spricht, wenn eine Gefährdungsbeurteilung ansteht. Das Thema Gesundheit ist auch nicht in<br />

die Stellenbeschreibungen der Führungskräfte aufgenommen, und weiterhin sind die Mitar-<br />

beiter nicht in gesundheitsbezogene Prozesse einbezogen.<br />

Im Unternehmen gibt es ein Umweltmanagementsystem, aber kein Arbeitsschutzmanage-<br />

mentsystem. Aufgrund der Interviews existiert kein integriertes Managementsystem.<br />

Akteure und Akteurskonstellation in der betrieblichen Gesundheitspolitik<br />

Die Akteure im Überblick<br />

Im Unternehmen können verschiedene Akteure in der betrieblichen Gesundheitspolitik aus-<br />

gemacht werden. Neben der Geschäfts- und der Personalleitung sowie dem Betriebsrat ist<br />

256


dies in erster Linie die Fachkraft für Arbeitssicherheit. Diese ist bereits längere Zeit im Unter-<br />

nehmen tätig und somit mit viel Erfahrungen „nah am Geschehen“.<br />

Die Bestellung eines Betriebsarztes wird zurzeit vorangetrieben. Es bestand eine langjährige<br />

Zusammenarbeit mit einem (externen) Arbeitsmediziner, der allerdings in Ruhestand gegan-<br />

gen ist, weshalb die Bestellung momentan vakant ist.<br />

Als weitere Stellen befassen sich laut Vorabfragebogen die Bereichsleiter und die Meister mit<br />

dem Thema Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz sowie unterstützend die Sicherheits-<br />

beauftragten.<br />

Im Rahmen der Fallstudie wurden lediglich drei Betriebsratsmitglieder und die Fachkraft in-<br />

terviewt werden, was bei den folgenden Ausführungen einschränkend zu berücksichtigen ist.<br />

Der Betriebsrat<br />

Der Betriebsrat in der Eigenwahrnehmung<br />

Im Betriebsrat wird das Thema Gesundheit in erster Linie von dem zuständigen Arbeits-<br />

schussausschuss bearbeitet. Der Vorsitzende des Ausschusses wird im Rahmen seiner Zeit-<br />

ressourcen als engagiert beschrieben. Er selbst gibt an, häufig konzeptionell zu arbeiten,<br />

detaillierte Papiere mit Vorschlägen zu erstellen, die er dann an die Geschäftsleitung weiter-<br />

leitet oder im ASA vorträgt. Mit der Arbeit des Betriebsratsausschusses zeigt er sich eher<br />

unzufrieden, er finde zwar Zuhörer, aber leider nur wenige, die sich aktiv und konstruktiv<br />

beteiligen würden. Dies sei allerdings auch dadurch bedingt, dass die Kollegen aufgrund von<br />

Schichtarbeit zeitlich sehr unflexibel seien. Die Wahrnehmung von Terminen sowie die all-<br />

tägliche Arbeit blieben somit oft an der Person des Ausschussvorsitzenden hängen, der le-<br />

diglich teilfreigestellt sei. Diese Ausschussarbeit wird auch von den anderen Betriebsräten<br />

als verbesserungswürdig erachtet.<br />

Innerhalb des Betriebsratsgremiums gibt es laut Fragebogen keine formulierte Strategie zum<br />

Themenfeld Arbeit und Gesundheit. Aus den Interviews heraus kann festgestellt werden,<br />

dass das Gesundheitsthema eher einen nachgeordneten Stellenwert einnimmt. Für die Be-<br />

triebsratsarbeit im Allgemeinen gibt es laut Vorsitzenden keine Priorisierung bestimmter<br />

Themen. Die Hauptthemenfelder, mit denen sich der Betriebsrat befassen müsse, seien aber<br />

‚Arbeitsplatzsicherung’, ‚Einkommen’, ‚Qualifizierung’ und ‚Gesundheit’, wobei die Reihenfol-<br />

ge durchaus als Rangfolge gelesen werden kann. Als vom Betriebsrat initiierte gesundheits-<br />

bezogene Aktivitäten werden von den interviewten Betriebsräten die Einführung der alterns-<br />

gerechten Gefährdungsbeurteilungen im Rahmen des Demografieprojektes genannt.<br />

Das Betriebsratsgremium tagt wie die meisten Ausschüsse wöchentlich, und die einzelnen<br />

Mitglieder beteiligen sich im Rahmen ihrer Tätigkeitsbereiche. Zum Zwecke der strategi-<br />

schen Ausrichtung veranstaltet der Betriebsrat jährlich eine dreitägige Klausur mitsamt ex-<br />

257


terner Beratung, auf der Themen und Prioritäten der Betriebsratsarbeit des Folgejahres dis-<br />

kutiert werden. Allerdings wird einschränkend hinzugefügt, dass diese Pläne eher selten er-<br />

folgreich im Alltag umgesetzt werden könnten.<br />

Die Nichtdurchführung der ASA-Sitzungen wurde vom Betriebsrat an mehreren Stellen be-<br />

mängelt, u.a. beschwerte man sich im Aufsichtsrat darüber. Allerdings scheute der Betriebs-<br />

rat letztlich vor einer Eskalation zurück, ließ sich beschwichtigen und auf das laufende Jahr<br />

vertrösten, für das Besserung gelobt wurde. Die Frage, wie verfahren werden soll, wenn der<br />

Arbeitgeber auch im laufenden Jahr keinen ASA durchführt, blieb in den Gesprächen unbe-<br />

antwortet.<br />

Ein wichtiges Anliegen des Betriebsrates ist es, ein „ordentliches Gesundheitsmanagement“<br />

zu etablieren. Allerdings ist man mit dieser Vorstellung noch weit von der Geschäftsleitung<br />

entfernt, die sich gegen einen integrierten Ansatz wehrt. Ein interviewter Betriebsrat hält es<br />

für notwendig, zunächst eine Betriebsvereinbarung zum BGM abzuschließen, in der Struktu-<br />

ren und Aufgaben des BGM geregelt weürden. BGM wird als sehr komplexes Themenfeld<br />

beschrieben, mit dem ein hoher Anspruch verbunden sei. Eine Betriebsvereinbarung könne<br />

hier zunächst einzelne Inhalte regeln.<br />

Der Betriebsrat, so ein anderer Interviewpartner könne, wenn er wolle, die Konflikte, bspw.<br />

im BGM, weiter eskalieren lassen und müsse sich selbstkritisch fragen, ob er nicht zu wenig<br />

Druck ausgeübt habe. Es bestehe zudem der Eindruck, dass man sich vielfach mit Verweis<br />

auf die Wirtschaftskrise auf später vertrösten ließe.<br />

Eine eigene Motorfunktion wird seitens der Betriebsräte als problematisch angesehen. Wenn<br />

der Betriebsrat sich als Motor engagiere, aber andererseits nicht über die ausreichenden<br />

Kapazitäten verfüge, das Thema voranzutreiben, reibe er sich auf. Trotz aller Problematik<br />

sieht sich der Betriebsrat aber dennoch als treibende Kraft in der betrieblichen Gesundheits-<br />

politik und verweist auf das Demografie- und das BEM-Projekt, die durch ihn mit angestoßen<br />

wurden.<br />

Speziell im Themenfeld Gesundheit wird eine grundlegende Fachkompetenz als unabding-<br />

bar angesehen. Sie stelle die Basis für jede strategische Arbeit dar. Hierzu mangele es nicht<br />

an Qualifizierungsmöglichkeiten. Der Betriebsrat nimmt regelmäßig Qualifizierungsangebote<br />

der Gewerkschaft wahr und besucht Tagungen, Schulungen, Workshops, etc. Im Themen-<br />

feld BGM wird der Betriebsrat von einem Interviewpartner als überfordert wahrgenommen.<br />

Es mangele dem Betriebsrat an ausreichenden (personellen) Ressourcen. Zudem wird<br />

durchaus speziell für dieses Thema Qualifizierungsbedarf gesehen und es bedürfe einer<br />

Umsetzungskompetenz, die es möglich mache, erworbenes Wissen praktisch umzusetzen.<br />

Als wichtige Betriebsratsaufgaben sieht der Betriebsratsvorsitzende es an, Wege zu ebnen<br />

und Zielrichtungen zu diskutieren. Der Betriebsrat müsse stets das Vertrauen der Mitarbeiter<br />

258


ehalten, realistische Ziele formulieren und kritikfähig bleiben. Eine etwaige betriebspoliti-<br />

sche Eskalation von Seiten des Betriebsrates müsse gut überlegt sein. Zudem wird die Eini-<br />

gungsstelle aufgrund der bestehenden Mitbestimmungsstrukturen im Stahlbereich als unüb-<br />

liches Mittel bewertet. Das betriebspolitische Vorgehen zeichne sich eher durch kleine<br />

gesundheitspolitische Schritten in Richtung Ziel aus. In diesem Sinne seien bspw. das<br />

Demografieprojekt und die BEM-Einführung Schritte, um das Thema Gesundheit im Unter-<br />

nehmen bekannt zu machen und zu verankern.<br />

Der Betriebsrat in der Fremdwahrnehmung<br />

Die Rolle des Betriebsrats wird als aktiv wahrgenommen, der Betriebsrat versuche sich ein-<br />

zubringen und unterbreite im Themenfeld Gesundheit Vorschläge. Diese Rolle wird grund-<br />

sätzlich als positiv bewertet, wenngleich darauf hingewiesen wird, dass der Betriebsrat im<br />

Arbeitsschutz hinsichtlich der fehlenden Fachkenntnis nicht immer „eine große Hilfe“ sein<br />

könne.<br />

Der Betriebsrat fordere von der Geschäftsleitung sehr viel, wobei machbare Vorschläge auch<br />

in Angriff genommen würden. Insgesamt wird der Betriebsrat eher als „Forderer“ und weni-<br />

ger als aktiver Akteur wahrgenommen, was allerdings auch sein gutes Recht sei.<br />

Für die betriebsrätliche Arbeitsschutzausschuss-Arbeit wird die Fachkraft nicht hinzugezo-<br />

gen. Sie äußert in diesem Zusammenhang aber eher verdeckt den Wunsch, stärker zu ko-<br />

operieren und vom Betriebsrat bei gesundheitsbezogenen Fragen um Rat gefragt zu werden<br />

und ihn zu unterstützen. Im Allgemeinen beurteilt die Fachkraft die Zusammenarbeit mit dem<br />

Betriebsrat als relativ gut, obschon sie selbst als Fachkraft um betriebspolitische Neutralität<br />

bemüht sei. Zwischen den Zeilen scheint aber durch, dass sich die Fachkraft den Betriebsrat<br />

mit seinen rechtlichen Möglichkeiten in manchen Dingen stärker an ihrer Seite wünsche.<br />

Die Geschäftsführung<br />

Die Geschäftsführung in der Fremdwahrnehmung<br />

Die Kommunikationsprozesse im Betrieb werden als nicht optimal beschrieben, es werden<br />

Kommunikationsstörungen sowohl zwischen Geschäftsleitungsebene und nachgeordneten<br />

Führungsebenen als auch zwischen den Betriebsparteien beschrieben. Insbesondere wird<br />

der Informationsfluss bemängelt. Die Geschäftsleitung sollte die Führungskräfte stärker be-<br />

teiligen und sie ihr Erfahrungswissen einbringen lassen, da sie auch näher an den Proble-<br />

men seien, anstatt mit restriktiven Vorgaben zu arbeiten.<br />

Im Bezug auf ein BGM wird die Geschäftsleitung als zurückhaltend beschrieben. „Da traut<br />

man sich nicht richtig ran“. Obwohl sich der Betriebsrat für die betriebliche Präventionsarbeit<br />

einsetze und hier von der Geschäftsleitung Konzepte einfordere, blieben die Reaktionen aus.<br />

Auch im Rahmen des Projektes zur alternsgerechten Arbeitsgestaltung fühlt sich der Be-<br />

259


triebsrat außen vor gelassen, da Informationen nicht von selbst weitergegeben würden, son-<br />

dern sie eingefordert werden müssten.<br />

Nicht nur im Themenfeld Gesundheit gibt es im Gemeinschaftsbetrieb viele Machtspiele zwi-<br />

schen Geschäftsführung und Betriebsrat, in denen die Geschäftsleitung auf Durchsetzung<br />

ihrer Entscheidungen dringt, ggf. auch durch „Umschiffung“ (bspw. mangelnder Informations-<br />

fluss) des Betriebsrates. Die Zusammenarbeit mit der Geschäftsleitung wird als schwierig<br />

beschrieben. Auch in anderen Ausschüssen, bspw. dem Personalausschuss gibt es das<br />

Grundproblem der angespannten Zusammenarbeit zwischen den Betriebsparteien. Es ist sei<br />

schwierig geworden, kurzfristig zu Lösungen zu kommen. Zum Beispiel gibt es für 2010 noch<br />

keine verbindlichen Schichtpläne.<br />

Das Grundproblem wird darin gesehen, dass die Geschäftsleitung vor Ort alleine die Ent-<br />

scheidungsmacht haben möchte. Zwar sei man als Betriebsrat kompromissbereit, aber man<br />

sieht bei der Geschäftsleitung keine Bereitschaft, die Sichtweisen der Betriebsräte zu verste-<br />

hen. Zudem gebe es eine unbestimmte Angst von Seiten der Geschäftsleitung, dass der<br />

Betriebsrat Dinge fordern könnte, die sie nicht umsetzen wolle, und Diskussionen seien un-<br />

erwünscht. Zentraler Punkt sei das Thema ‚Hochbelasteter Arbeitsplatz im Stahlwerk’ mit der<br />

akuten Belastungssituation. Hier verweist der Betriebsrat auf den geltenden Tarifvertrag, in<br />

dem festgeschrieben ist, wie damit umzugehen sei, bemängelt aber auch, dass dieser im<br />

Unternehmen nicht umgesetzt sei und auch keine Impulse in diese Richtung von der Ge-<br />

schäftsleitung ausgingen.<br />

Fazit<br />

Die betriebliche Gesundheitspolitik, dies muss einschränkend vorweg gesagt werden, kann<br />

lediglich auf Grundlage der überwiegend mit Betriebsräten sowie der Fachkraft für Arbeitssi-<br />

cherheit geführten Interviews sowie der Informationen des ausgefüllten Vorabfragebogens<br />

beurteilt werden.<br />

Der Gemeinschaftsbetrieb kommt seinen gesetzlichen Verpflichtungen im Arbeits- und<br />

Gesundheitsschutz weitgehend nach, obwohl mit dem ASA ein entscheidendes Gremium<br />

derzeit nicht tagt.<br />

Es gibt kein implementiertes und nachhaltiges BGM. Maßnahmen der Gesundheitsförderung<br />

werden vereinzelt durchgeführt, allerdings mangelt es hier an der Kommunikation und<br />

Miteinbeziehung der Belegschaft.<br />

In einem Teil des Gemeinschaftsbetriebs wurde vor kurzem ein öffentlich gefördertes Projekt<br />

zur alternsgerechten Arbeitsgestaltung durchgeführt, mit dem der Tarifvertrag Stahl zu die-<br />

sem Thema umgesetzt werden sollte. Des Weiteren ist der Gemeinschaftsbetrieb dabei, ein<br />

260


BEM einzuführen. Im Rahmen dieser Einführung erfolgen zudem umfassende Schulungen<br />

verschiedener betrieblicher Arbeitsschutzakteure sowie der Führungskräfte zum Thema.<br />

Insgesamt gesehen ist die betriebliche Gesundheitspolitik in Bewegung, ohne dass abzuse-<br />

hen ist, welcher Weg langfristig verfolgt werden soll. Die Betriebsräte stoßen bei der Bearbei-<br />

tung des Themas teilweise an Grenzen.<br />

Bemühungen der Geschäftsleitung hinsichtlich eines BGM sind nicht ausreichend transpa-<br />

rent bzw. werden Anregungen der Unternehmensgruppe zum BGM nicht aufgegriffen, was<br />

zu Misstrauen der Betriebsräte und der Beschäftigten in mögliche BGM-Aktivitäten führen<br />

kann.<br />

Fördernde und hemmende Faktoren für die betriebliche Gesundheitspolitik<br />

Die Beschäftigung mit dem Thema Gesundheit im Rahmen von diversen Projekten trägt da-<br />

zu bei, Unternehmen und Belegschaft für das Thema zu sensibilisieren. Allerdings sind keine<br />

Strukturen vorhanden bzw. „ruhen“, die das Thema weitertragen könnten. Auch im Rahmen<br />

der Projekte geschaffene Strukturen sind bislang nicht nachhaltig etabliert worden.<br />

Die Akteure des Unternehmens spielen jeweils ihre spezifischen Rollen und bearbeiten „au-<br />

tonom“ ihren jeweiligen Teilaspekt der betrieblichen Gesundheitspolitik. Es entsteht sehr<br />

stark der Eindruck, dass die Akteure unterschiedliche Strategien in der betrieblichen<br />

Gesundheitspolitik verfolgen, ohne sich dabei in die Karten sehen zu lassen. Auch mit Blick<br />

auf die Betriebsparteien findet eine überwiegend machtorientierte Regulation betrieblicher<br />

(Gesundheits-)Interessen statt.<br />

Der Betriebsrat hat zwar die verschiedenen Projekte vorangetrieben, allerdings ist seiner-<br />

seits keine eindeutige Gesamtstrategie erkennbar. Das Thema Gesundheit wird lediglich von<br />

einem teilfreigestellten Kollegen bearbeitet, der das Thema konzeptionell angeht, aber<br />

scheinbar auch im Betriebsrat Probleme hat, Mitstreiter zu finden. Das Thema Gesundheit<br />

wird zwar als wichtiges, aber tendenziell nachrangiges Thema betriebsrätlicher Arbeit ange-<br />

gangen. Zudem scheint der Betriebsrat überwiegend in der Position des Fordernden zu ver-<br />

harren, bspw. wird die Durchführung der Maßnahmen aus dem Demografieprojekt gefordert.<br />

Treiber bzw. Motoren für die betriebliche Gesundheitspolitik<br />

Als treibende Ereignisse können die bereits erwähnten Projekte ausgemacht werden. Perso-<br />

nengebundene Triebkräfte sind nicht auf den ersten Blick auszumachen. Bezogen auf die<br />

Projekte kann der Betriebsrat als Anschieber ausgemacht werden. Allerdings ist dadurch der<br />

Motor nicht in ausreichendem Maß ins Laufen gekommen. Insbesondere die Geschäftslei-<br />

tungsebene wird als zögerlich und teilweise bremsend beschrieben, konnte im Rahmen der<br />

Fallstudie aber dazu nicht selbst befragt werden.<br />

261


Durch die Projekte ist es nicht gelungen, nachhaltige Strukturen der betrieblichen Gesund-<br />

heitspolitik zu schaffen, bspw. löste sich der Steuerkreis nach Projektende wieder auf. Auch<br />

die verschiedenen Akteure erscheinen im Nachgang zu den Projekten irritiert, welcher Weg<br />

weiter beschritten werden soll.<br />

Als künftiger Treiber könnten sich die Vorgaben der Unternehmensgruppe herausstellen.<br />

Hier gibt es Bestrebungen, das Thema Gesundheit stärker zu bearbeiten und auch Struktu-<br />

ren für ein BGM aufzubauen. Allerdings ist hier noch keine eindeutige Entwicklung abzuse-<br />

hen.<br />

Wahrgenommener Handlungsbedarf<br />

Für den Gemeinschaftsbetrieb kann unter Berücksichtigung der begrenzten Datenlage drin-<br />

gender Handlungsbedarf in der Reaktivierung des ASA konstatiert werden. Der ASA könnte<br />

zur Wiederaufnahme zunächst die Erfahrungen der verschiedenen Projekte zusammentra-<br />

gen und auswerten. Zudem sollte der ASA als Entscheidungsgremium verstetigt werden, so<br />

dass er ggf. zur Drehscheibe eines aufzubauenden BGM ausgebaut werden könnte. Damit<br />

könnte ein Gremium geschaffen werden, welches alle unternehmensrelevanten Gesund-<br />

heitsentscheidungen vorbereitet und trifft sowie die verschiedenen Maßnahmen koordiniert<br />

und delegiert.<br />

Das Thema Gesundheit sollte verstärkt in die betrieblichen Strukturen und Prozesse inte-<br />

griert werden. Ein erster Schritt hierzu könnten die anstehenden Führungskräfteschulungen<br />

im Rahmen der BEM-Einführung darstellen. Allerdings sollte in Hinblick auf die Nachhaltig-<br />

keit der betrieblichen Gesundheitspolitik darauf geachtet werden, dass es sich nicht um eine<br />

einmalige, auf einen speziellen Aspekt betrieblicher Gesundheitspolitik konzentrierte Veran-<br />

staltung handelt. Zudem bieten Veränderungsprojekte die Möglichkeiten, das Thema Ge-<br />

sundheit zu integrieren.<br />

Des Weiteren bietet sich im Zuge der Zusammenführung der Erfahrungen aus den verschie-<br />

denen gesundheitsbezogenen Projekten und Aktivitäten an, die vorhandene Daten zu einem<br />

betrieblichen Gesundheitsbericht zusammenzutragen und ggf. zu ergänzen. Somit böte sich<br />

dem Unternehmen die Möglichkeit aufgrund einer intensiven Analyse der gesundheitlichen<br />

Situation im Unternehmen weitere Aktivitäten zu planen bzw. zu erarbeiten.<br />

Im Zuge dessen, aber auch unabhängig davon bedarf es eines gesundheitspolitischen<br />

Überbaus in Form einer Konzeption, die auf den Gemeinschaftsbetrieb herunter gebrochen<br />

wird. Dies könnte bspw. über eine Betriebsvereinbarung erfolgen.<br />

Die verschiedenen Akteure sollten die betriebliche Gesundheitspolitik als Möglichkeit begrei-<br />

fen, im Sinne der Organisation kooperativ „gesunde Arbeit“ zu schaffen. Somit könnte nicht<br />

262


zuletzt die Attraktivität des Unternehmens als Arbeitgeber in der Region für qualifizierte<br />

Fachkräfte gesteigert werden.<br />

Feedback-Workshop<br />

Das Angebot eines Feedback-Workshops ist durch den Betriebsrat nicht in Anspruch ge-<br />

nommen worden.<br />

7.3 Zusammenfassung der empirischen Befunde<br />

Im Folgenden werden zunächst einige zentrale Projektergebnisse zusammenfassend im<br />

Überblick dargestellt, um anschließend (s. Kapitel 7.4) eine differenziertere Betrachtung und<br />

Spiegelung der Ergebnisse mit den eingangs formulierten Hypothesen vorzunehmen. Be-<br />

rücksichtigung finden dabei jeweils die Aussagen der Experteninterviews (Kapitel 7.1) sowie<br />

die Erkenntnisse aus zehn betrieblichen Fallstudien (Kapitel 7.2).<br />

Zugleich werden an dieser Stelle – trotz aller Unterschiedlichkeiten im Detail – erste Trends<br />

mit Blick auf die betriebliche Gesundheitspolitik sowie das Handeln der Arbeitnehmervertre-<br />

tungen in diesem Themenfeld herausgearbeitet. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Aus-<br />

sagekraft der Befunde aufgrund des gewählten qualitativen Forschungsdesigns und der Se-<br />

lektivität der untersuchten Stichprobe begrenzt ist und sich die Interpretation der Ergebnisse<br />

somit zunächst auf das hier betrachtete Sample beschränkt. Für eine Erhärtung der Befunde<br />

bedarf es zukünftig weiterer, auch quantitativer Forschung. Gleichwohl erfolgt in Kapitel 8 der<br />

vorsichtige Versuch eine weitergehenden, generalisierenden Interpretation der Befunde so-<br />

wie im abschließenden Kapitel 9 die Formulierung daraus abgeleiteter Empfehlungen.<br />

Status quo der betrieblichen Gesundheitspolitik<br />

Zunächst einmal lassen die Ergebnisse der vorliegenden Studie eine deutliche Aufmerksam-<br />

keit für das Thema Gesundheit erkennen – bei den betrieblichen Akteuren „vor Ort“ sowie bei<br />

den überbetrieblichen Experten und Institutionen. Verantwortlich hierfür ist ein steigender<br />

Problemdruck in den Betrieben: Insbesondere die Alterung der Belegschaften sowie neue<br />

Arbeitsanforderungen und in Folge davon neue Belastungen und Beanspruchungsfolgen<br />

sind als relevante Treiber zu benennen. Hervorgehoben wird dabei allseits die Zunahme<br />

psychischer Belastungen und Beeinträchtigungen. Auf der anderen Seite wird allerdings<br />

deutlich, dass das bisherige Handeln in der Praxis häufig nicht geeignet ist, gerade die psy-<br />

chosozialen Risiken wirksam zu bearbeiten, und die verantwortlich handelnden Akteure<br />

diesbezüglich vor einer großen Herausforderung stehen. Darüber hinaus ist wahrnehmbar,<br />

dass das Thema Psyche zwar in den Betrieben ein Stück weit aus der Tabuzone herausge-<br />

kommen ist, jedoch auf einer eher abstrakten Ebene behandelt wird. Das individuelle Einge-<br />

263


stehen psychischer Probleme wird in Teilen immer noch als mangelnde Belastbarkeit bzw.<br />

als persönliche Schwäche angesehen.<br />

Was die Ausgestaltung einer erfolgreichen, nachhaltig wirksamen betrieblichen Gesund-<br />

heitspolitik betrifft, so erfordert dies, wie bereits in Kapitel 3 deutlich gemacht wurde, dreier-<br />

lei: die konsequente Verfolgung gesetzlicher Zielvorgaben, bedarfsorientierte Projekte zur<br />

betrieblichen Gesundheitsförderung sowie die Etablierung eines in die betrieblichen Routinen<br />

integrierten Gesundheitsmanagements. Diesbezüglich lassen unsere Projektergebnisse fol-<br />

gendes erkennen:<br />

Hinsichtlich der Erfüllung gesetzlicher Anforderungen zeigen die Projektbefunde eine weit-<br />

gehende Orientierung am klassischen Arbeits- und Gesundheitsschutz: So ist beispielsweise<br />

in den untersuchten Fallbetrieben mehrheitlich ein regelmäßig tagender Arbeitsschutzaus-<br />

schuss vorhanden. Auch Begehungen finden offenbar routinegemäß, unter Einbindung des<br />

Betriebsrats, statt. Arbeitsmedizinische Vorsorgeuntersuchungen gehören ebenfalls zum<br />

Standardprogramm der Betriebe. Deutlicher Nachhol- bzw. Entwicklungsbedarf zeigt sich<br />

hingegen bei der Gefährdungsbeurteilung: Als Instrument zur Erfassung physischer Belas-<br />

tungen durchaus in den Betrieben etabliert, findet die Gefährdungsbeurteilung jedoch mehr-<br />

heitlich oftmals ohne die Berücksichtigung der psychosozialen Belastungen statt. Auch das<br />

ebenfalls gesetzlich vorgeschriebene BEM ist – wie unsere Befunde zeigen – derzeit noch<br />

längst nicht in allen Betrieben als Routineverfahren implementiert.<br />

Weit verbreitet in der Praxis – so das Ergebnis der Studie – sind hingegen mittlerweile ver-<br />

haltenspräventive Maßnahmen zur betrieblichen Gesundheitsförderung. In den untersuchten<br />

Betrieben werden zahlreiche Maßnahmen für die Mitarbeiter angeboten wie beispielsweise<br />

Trainings zur Verbesserung der körperlichen Fitness, Rückenschulen, Ernährungskurse oder<br />

Anti-Stress-Trainings.<br />

Weniger häufig werden Gesundheitszirkel durchgeführt: In den Fallbetrieben dieser Studie ist<br />

dieses Instrument lediglich in vier von zehn Betrieben regelmäßig eingesetzt worden. Weite-<br />

re Maßnahmen im Themenfeld Gesundheit, wie beispielsweise Krankenrückkehrgespräche,<br />

kommen ebenfalls nur in einem Teil der Betriebe zum Einsatz.<br />

Was die Implementierung eines systematischen, in die betrieblichen Routinen integrierten<br />

Gesundheitsmanagements betrifft, so lassen die Befunde unserer Studie erste positive An-<br />

sätze in Richtung Strukturaufbau (Lenkungsausschuss, Gesundheitsbeauftragter) erkennen.<br />

Darüber hinaus sind jedoch in nahezu durchgängig deutliche Entwicklungsbedarfe zu kon-<br />

statieren. Dies betrifft (im Abgleich mit dem Referenzmodell in Kapitel 3) insbesondere die<br />

folgenden Punkte:<br />

die Formulierung messbarer inhaltlicher Ziele, die im Einklang mit den jeweiligen Un-<br />

ternehmenszielen stehen;<br />

264


die regelmäßige und konsequente Umsetzung der BGM-Prozesse (PDCA-Zyklus) mit<br />

den vier Teilschritten Diagnose, Planung, Intervention und Evaluation;<br />

den Aufbau einer aussagekräftigen betrieblichen Gesundheitsberichterstattung;<br />

die Verknüpfung des Themas Gesundheit mit anderen Querschnittsaufgaben im Un-<br />

ternehmen;<br />

eine verbesserte Qualifizierung der betrieblichen Akteure sowie die Unterstützung<br />

durch überbetriebliche Experten und Institutionen.<br />

Betriebsräte in der betrieblichen Gesundheitspolitik<br />

Mit Blick auf die im Rahmen unserer Studie fokussierten Arbeitnehmervertretungen können<br />

die Befunde der vorliegende Studie wie folgt zusammengefasst und interpretiert werden:<br />

Betriebsräte betrachten die betriebliche Gesundheitspolitik als ein wichtiges Handlungsfeld<br />

im Rahmen ihrer Interessenvertretung. Sie zeigen sich motiviert und engagiert, anlassbezo-<br />

gen größere Projekte oder einzelne Maßnahmen zu initiieren, zu begleiten und über diesen<br />

Weg das Thema Gesundheit im Betrieb insgesamt zu befördern bzw. weiterzuentwickeln.<br />

Dabei sind Betriebsräte grundsätzlich eher auf Konsens und Kooperation mit dem Arbeitge-<br />

ber ausgerichtet. In der praktischen Ausgestaltung der betrieblichen Gesundheitspolitik fin-<br />

den sich neben Beispielen eines guten, konstruktiven Zusammenspiels beider Betriebspar-<br />

teien aber durchaus auch konflikthafte, konfrontative Situationen, die in Einzelfällen in juristi-<br />

schen Auseinandersetzungen enden können. Darüber hinaus ist festzustellen, dass trotz<br />

allseits betonter zunehmender Relevanz die betriebliche Gesundheitspolitik in der Regel für<br />

Betriebsräte kein Top-Thema darstellt, das höchste Priorität besitzt. Vielmehr wird die Inte-<br />

ressenvertretung im Alltag von anderen Themen wie beispielsweise Arbeitsplatzsicherung,<br />

Arbeitszeitregelungen, Lohnpolitik etc. dominiert. Die Gesundheitspolitik wird dabei zu wenig<br />

als Querschnittsaufgabe betrachtet, die einen engen Bezug zu anderen betriebsrätlichen<br />

Handlungsfeldern aufweist, und dementsprechend als ein integraler Bestandteil betrachtet<br />

werden sollte.<br />

Hinzu kommt, dass – zumindest in den hier betrachteten Betriebsratsgremien – nur selten<br />

eine eigene, gemeinsam abgestimmte und detailliert ausformulierte Strategie für die betrieb-<br />

liche Gesundheitspolitik existiert. Vielmehr besteht innerhalb der Gremien häufig Uneinigkeit<br />

über die Bedeutung des Themas Gesundheit. Oftmals – dies gilt vor allem in Großunterneh-<br />

men – wird das Thema an die verantwortlichen Ausschüsse delegiert, in anderen Fällen wird<br />

es von engagierten Einzelpersonen „in die Hand genommen“.<br />

Weitere erschwerende Faktoren mit Blick auf ein aktiveres, stärker strategisch ausgerichte-<br />

tes Handeln in der betrieblichen Gesundheitspolitik sind: zu geringe personell-zeitliche Res-<br />

sourcen, die (Über-)Komplexität der Thematik, deutliche Unsicherheiten und unzureichende<br />

265


Kompetenzen in der Lokalisierung, Identifizierung und adäquaten Bearbeitung insbesondere<br />

psychosozialer Belastungen.<br />

Das bisher Gesagte hat zur Folge, dass die Betriebsräte durchaus als aktive, engagierte<br />

Mitgestalter der betrieblichen Gesundheitspolitik auftreten, aber unseres Erachtens noch zu<br />

wenig eine Orientierung an einem elaborierten BGM erkennen lassen und zudem zu wenig<br />

eine strategische Motor- bzw. Treiberfunktion für die gesamte Thematik einnehmen. An bei-<br />

den Punkten besteht unseres Erachtens zukünftig deutlicher Qualifizierungs- und Unterstüt-<br />

zungsbedarf durch überbetriebliche Experten sowie insbesondere durch die Gewerkschaften<br />

(s. dazu im Detail Kapitel 9).<br />

Die bisherige Inanspruchnahme gewerkschaftlicher Unterstützungsangebote seitens der<br />

Betriebsräte variiert mit Blick auf die unterschiedlichen Branchen sowie hinsichtlich gewerk-<br />

schaftsspezifischer Angebote.. Im klassischen Arbeitsschutz wähnen die meisten der Befrag-<br />

ten die Gewerkschaften gut aufgestellt. Darüber hinaus werden zum Teil passgenaue, be-<br />

triebspraktische Angebote und Instrumente vermisst oder es wird beklagt, dass sich die Ge-<br />

werkschaft auf dem Feld der betrieblichen Gesundheitspolitik insgesamt nicht stärker enga-<br />

giert (oder es sogar zurückfährt). Ein Unterschied zwischen Betriebsräten und Gewerkschaf-<br />

ten lässt sich hinsichtlich der Einschätzung individueller Verhaltensprävention ausmachen.<br />

Während ihre Bedeutung von den Betriebsräten hervorgehoben und häufig gleichrangig mit<br />

der Verhältnisprävention gesehen wird, wird von den gewerkschaftlichen Interviewpartnern<br />

eindeutig der Verhältnisprävention ein größeres Gewicht beigemessen.<br />

Abschließend positiv zu erwähnen ist in diesem Kontext, dass unsere Befunde erste Hinwei-<br />

se geben, dass sich Betriebsräte zunehmend in ihren Branchen bzw. regional miteinander<br />

vernetzen, um sich über das Thema Gesundheit auszutauschen.<br />

7.4 Spiegelung der Befunde mit den Projekthypothesen<br />

Bezogen auf die eingangs formulierten sieben Projekthypothesen lassen sich aus den Fall-<br />

studien und den Experteninterviews folgende – nicht repräsentative – Schlüsse ziehen:<br />

These 1: Betriebs- und Personalräte verfolgen nur selten ein integriertes gesundheits-<br />

bezogenes Politikmodell.<br />

Dieser sicherlich hohe Anspruch kann tatsächlich in keinem der Fallstudienunternehmen als<br />

erfüllt angesehen werden. Ein integriertes gesundheitsbezogenes Politikmodell geht über die<br />

Konzeption einer eigenen Gesundheitsstrategie durch den Betriebsrat hinaus. Sein ganzes<br />

Handeln muss quasi unter steter Berücksichtigung gesundheitlicher Fragestellungen und<br />

Lösungen ablaufen. Als integriert kann ein solches Politikmodell erst dann gelten, wenn sich<br />

diese Denkweise auch bei dem Arbeitgeber und den anderen Akteuren im Unternehmen<br />

266


durchgesetzt hat und das Thema Gesundheit in den betrieblichen Routinen präsent ist. Nicht<br />

zuletzt in großen Unternehmen wird aber deutlich, dass es bereits innerhalb des Betriebs-<br />

ratsgremiums Probleme geben kann, sich auf eine gemeinsame Gesundheitsstrategie zu<br />

einigen bzw. das Thema überhaupt so relevant werden zu lassen, dass man sich über eine<br />

Strategie Gedanken macht. Zudem ist in keinem Unternehmen deutlich geworden, dass für<br />

das Thema Gesundheit ein anderes Politikmodell verfolgt wird bzw. dass dieses Handlungs-<br />

feld einem anderen Regulationsmuster zwischen den Betriebsparteien unterliegt als andere<br />

Themen- bzw. Konfliktfelder. Abschließend kann als Unterstützung der These angeführt<br />

werden, dass sich viele der befragten Betriebsräte erst auf dem Weg sehen, sich intensiver<br />

mit der betrieblichen Gesundheitspolitik auseinanderzusetzen. Hierzu muss zudem zunächst<br />

ein Prozess durchschritten werden, in dessen Rahmen das ggf. vorhandene Arbeitsschutz-<br />

verständnis in ein ganzheitliches Gesundheitsverständnis mitsamt Präventions- und Be-<br />

triebsorientierung überführt wird. Daher kann eher von einem betriebspolitischen Entwick-<br />

lungsfeld, als von einem ausgereiften Politikfeld gesprochen werden.<br />

These 2: Betriebs- und Personalräte sehen im BGM zunächst nur eine systematische-<br />

re Gesundheitsförderung auf freiwilligem Terrain.<br />

Diese These kann nach Auswertung der Fallstudien nur z. T. aufrechterhalten werden. Der<br />

eigene mit einem BGM verbundene Anspruch reicht weiter und basiert auf dem insgesamt<br />

doch als ganzheitlich zu betrachtendem Gesundheitsverständnis im Sinne einer Ausgewo-<br />

genheit zwischen Verhältnis- und Verhaltensprävention. Allerdings scheint die betriebspoliti-<br />

sche Zustimmungsbereitschaft zu verhaltenspräventiven Gesundheitsförderungsmaßnah-<br />

men höher zu sein als zu Arbeitsschutzmaßnahmen, die ggf. seitens der Belegschaft negativ<br />

goutiert werden und bei deren Durchsetzung sich der Betriebsrat „unbeliebt“ machen könnte.<br />

Überraschend ist dabei, dass viele der Befragten vor allem in der individuellen Verhaltens-<br />

prävention noch weitreichende Potenziale sehen und sich eine diesbezüglich aktivere Beleg-<br />

schaft wünschen. Die These kann dort bestätigt werden, wo die Betriebsräte mit einem BGM<br />

von der Geschäftsleitung oder einem übergeordneten Konzerns konfrontiert werden, auf<br />

dessen Ausgestaltung sie keinen oder nur geringfügigen Einfluss hatten. Hier wird in der Tat<br />

der Vorwurf laut, dass es bei diesen BGM-Ansätzen an einem präventiven Ansatz fehlt.<br />

These 3: Ein integriertes BGM macht es erforderlich, dass Betriebs- und Personalräte<br />

das Thema Gesundheit auch in ihren eigenen Gremien als Querschnittsaufgabe be-<br />

treiben.<br />

Auf jeden Fall kann auf Basis der Fallstudien die Aussage unterstützt werden, dass ein sol-<br />

ches Verständnis hilfreich ist. Wie bereits oben angedeutet, zeigt sich aber gerade in größe-<br />

ren Betriebsratsgremien mit einer entsprechenden Vielzahl an Ausschüssen, dass Gesund-<br />

heit als Querschnittsthema innerhalb des Gremiums noch wenig verbreitet ist. Dies kann<br />

267


unterschiedliche Ursachen haben (z. B. tragen die Betriebsräte, die sich auf das Thema Ge-<br />

sundheit spezialisiert haben, das Thema erst gar nicht in das Gremium hinein bzw. werden<br />

vom Gremium nicht beratend hinzugezogen). Oder es wird dort als Einmischung in die jewei-<br />

lige Ausschussarbeit aufgefasst. Im Einzelfall könnte es sich sogar als günstiger erweisen,<br />

wenn sich der Gesundheitsausschuss und der Betriebsratsvorsitzende auf eine Gesund-<br />

heitsstrategie einigen, ohne dass diese in langen Grabenkämpfen im gesamten Gremium<br />

(endlos) diskutiert wird. Dies ist aber höchstens als zweitbeste Lösung zu betrachten. Viel-<br />

versprechender ist es, das eigene Gremium mitzunehmen und zu überzeugen, u.a. damit die<br />

einzelnen Betriebsratsmitglieder in ihren betrieblichen Verantwortungsbereichen das Thema<br />

präsent und bearbeitbar machen und sich mit den Rückkopplungen beschäftigen, die das<br />

Thema Gesundheit mit ihrem spezifischen Verantwortungsbereich (z. B. Personalentwick-<br />

lungs- oder EDV-Ausschuss) aufwirft.<br />

These 4: Der Einfluss der Betriebs- und Personalräte auf die Organisation (hier: die<br />

Integration) des Gesundheitsschutzes als Dienstleistung und Querschnittsaufgabe ist<br />

unterentwickelt.<br />

Zunächst ist festzuhalten, dass sich die Betriebsräte in der Regel ihrer Beteiligungs- bzw.<br />

Mitbestimmungsrechte hinsichtlich der Bestellung entsprechender Experten des Gesund-<br />

heitsschutzes (Betriebsarzt, Fachkraft für Arbeitssicherheit) bewusst sind. Die Kooperations-<br />

beziehungen zu den Akteuren sind in den Fallstudien sehr verschieden. Sie reichen von ei-<br />

ner engen Zusammenarbeit bis hin zur Nicht-Wahrnehmung – selbst innerhalb eines Unter-<br />

nehmens. Deutlich wird aber, dass der Einfluss auf die Arbeitsweise der Akteure – nicht un-<br />

bedingt überraschend – gering ist, und somit auch die Förderung der Integration des<br />

Gesundheitsschutzes Grenzen erfährt. Die These wird demnach durch die Fallstudien be-<br />

kräftigt.<br />

These 5: Trotz akzeptierter Wichtigkeit des Themas werden Mitbestimmungs- und Ini-<br />

tiativrechte (u.a. § 87.1.7 BetrVG) wenig genutzt (Gefährdungsbeurtei-<br />

lung/Pflichtenübertragung etc.) und zudem nicht ausreichend für die verschiedenen<br />

gesundheitsrelevanten betrieblichen Bereiche (z. B. Personalbemessung, Lohngestal-<br />

tung, Projektorganisation) integrierend weiterentwickelt.<br />

Es hat sich bestätigt, dass das Thema Gesundheit in allen Fallstudien bei den Betriebsräten<br />

eine (mittlerweile) steigende Priorität genießt. Auch werden die vielfältigen Mitbestimmungs-<br />

möglichkeiten in diesem Bereich wahrgenommen und als ein Förderfaktor für die eigene Ar-<br />

beit bezeichnet. In vielen Interviews wird aber ausgesagt, dass unabhängig von dem eigenen<br />

Unternehmen bei vielen anderen Betriebsräten diese Mitbestimmungs- und Initiativrechte<br />

noch nicht hinreichend präsent sind. Für die eigene Arbeit wird mehrheitlich der Anspruch<br />

erhoben, die rechtlichen Möglichkeiten nutzen zu wollen – spätestens im Konfliktfall, wenn<br />

268


sich der Arbeitgeber gegen Maßnahmen sperrt. Dagegen sprechen Angaben aus dem Vor-<br />

abfragebogen (vgl. obige Thesen zum Stand der betrieblichen Gesundheitspolitik), nach de-<br />

nen beispielsweise ein insgesamt unbefriedigender Stand hinsichtlich ganzheitlicher Gefähr-<br />

dungsbeurteilungen vorliegt. Im Gesamtbild kann der Schluss gezogen werden, dass die<br />

rechtlichen Möglichkeiten noch nicht voll ausgeschöpft werden bzw. nicht als eskalations-<br />

würdiges Thema angesehen werden. Das Thema Gesundheit ist dadurch ebenfalls noch<br />

nicht ausreichend in andere betriebliche Bereiche integriert, wenngleich hier aus den Fallstu-<br />

dien eine Reihe von Teilerfolgen sichtbar wird.<br />

These 6: Die „Handlungshemmnisse“ sind weniger in allgemeinen Orientierungsdefizi-<br />

ten zum Thema Gesundheit und Arbeit zu suchen, sondern eher in jeweils aktuellen<br />

Rahmenbedingungen, betriebstypischen Mitbestimmungskulturen, dem Rollenselbst-<br />

verständnis von Arbeitnehmervertretungen sowie in strategischen Orientierungs- und<br />

Wissensdefiziten.<br />

Diese These bedarf einer Modifizierung dahingehend, dass in beiden Bereichen Defizite er-<br />

kannt werden konnten. Es gibt demnach einerseits allgemeine Orientierungsdefizite. Erinnert<br />

sei in diesem Zusammenhang daran, dass Gesundheit einerseits als gesellschaftliches<br />

Trendthema präsent ist und damit als äußerst relevant für das Feld Arbeit und Gesundheit<br />

wahrgenommen wird. Andererseits gilt Gesundheit als sehr komplexes Thema, was zu-<br />

nächst einer allgemeinen Orientierung entgegenwirken kann. Andererseits haben sich in den<br />

Fallstudien die betrieblichen Rahmenbedingungen, Mitbestimmungskulturen, Rollenver-<br />

ständnisse und die strategischen Orientierungs- und Wissensdefizite als die dominanteren<br />

Handlungshemmnisse herausgestellt. Es ließen sich eine Vielzahl von Beispielen für die ein-<br />

zelnen Punkte aufführen. Zusammengefasst kann festgehalten werden, dass allgemeine<br />

Orientierungsdefizite zum Thema Gesundheit und Arbeit eine Rolle spielen, jedoch die jewei-<br />

lige Unternehmenshistorie die betriebliche Gesundheitspolitik weit mehr prägt.<br />

These 7: Die entsprechenden gewerkschaftlichen Initiativen und Unterstützungs-, so-<br />

wie die vorhandenen Weiterbildungsangebote überbrücken z. Zt. noch nicht nachhal-<br />

tig die Handlungshemmnisse der Arbeitnehmervertretungen in Richtung einer aktiven<br />

betrieblichen Gesundheitspolitik.<br />

Auch diese These kann in ihrer Grundaussage weiter vertreten werden. Von der Mehrheit<br />

der Befragten werden die in Kapitel 5.1 beschriebenen Aktivitäten und die aktuellen Weiter-<br />

bildungsangebote der Gewerkschaften begrüßt und eine Reihe von Betriebsräten befindet<br />

sich in einem noch nicht abgeschlossenen Klärungsprozess, wie die Angebote genutzt wer-<br />

den können. Nicht wenige der befragten Betriebsräte fühlen sich aber (noch) nicht in ihrem<br />

Engagement für die betriebliche Gesundheitspolitik durch die Gewerkschaften beeinflusst. In<br />

diesem Fall „verpuffen“ diesbezügliche Aktivitäten, ohne dabei weiteren Schaden anzurich-<br />

269


ten oder Nutzen zu stiften. In vereinzelten Stellungnahmen wird außerdem Kritik laut an der<br />

Gestaltung von Kampagnen bzw. einzelner Aspekte sowie an der Palette der Weiterbil-<br />

dungsangebote. Das kann, muss aber keine negativen Konsequenzen für die Inanspruch-<br />

nahme von gewerkschaftlichen Angeboten nach sich ziehen. Insgesamt hat sich der Ein-<br />

druck verdichtet, dass durch die gewerkschaftlichen Aktivitäten ein großer Beitrag zur Sensi-<br />

bilisierung für Gesundheitsthemen in den Unternehmen geleistet werden kann. Weiterhin<br />

sind Fortschritte zu verzeichnen, wenn es um die Bereitstellung konkreter Instrumente und<br />

weiterer Unterstützungsangebote für die Betriebsräte geht – insbesondere durch die Kam-<br />

pagnen und Initiativen. Der – sicherlich hohe – Anspruch, damit insgesamt die Handlungs-<br />

hemmnisse der Arbeitnehmervertretungen in Richtung einer aktiven betrieblichen Gesund-<br />

heitspolitik nachhaltig aufzulösen, konnte aber bisher nur ansatzweise eingelöst werden.<br />

270


8. Diskussion der Ergebnisse<br />

8.1 Faktoren- und Strukturmodell als Hintergrund fördernder und hemmender Bedin-<br />

gungen<br />

Wurden in den vorherigen Kapiteln die Ergebnisse der Interviews und Fallstudien eher sys-<br />

tematisch dargestellt und mit den Projektthesen kontrastiert, erfolgt an dieser Stelle der Ver-<br />

such, die Befunde zu interpretieren und vorsichtig in Richtung von Konsequenzen und Emp-<br />

fehlungen zu verallgemeinern.<br />

Es wird somit im Folgenden die kasuistische Gebundenheit der Fallstudien verlassen, um<br />

über eine möglichst große Varianz der ausgewählten Fälle eine Heuristik für „viele andere“<br />

zu entwickeln. Dies scheint umso dringlicher angesichts der vieldimensionalen „Unsicherhei-<br />

ten“, die auf Seiten der Betriebsräte, der Arbeitgeber und der betrieblichen Gesundheitsak-<br />

teure in den Interviews und Fallstudien wahrgenommen wurden. Diese Unsicherheiten spei-<br />

sen sich u. E. aus den folgenden drei Herausforderungen, auf die ab Kapitel 8.1.1 näher ein-<br />

gegangen wird:<br />

der Mitbestimmung im Bereich der betrieblichen Gesundheitspolitik,<br />

einem geänderten Belastungspanorama und Gesundheitsverständnis,<br />

der Entwicklung von BGM als Organisationsverpflichtung.<br />

Neben diesen Herausforderungen gibt es u. E. weitere Kontextbedingungen, warum diese<br />

Unsicherheiten vierzehn Jahre nach Inkrafttreten des ArbSchG und einer noch längeren For-<br />

schungstradition zu Fragen von psychischen Belastungen und ihren Konsequenzen für die<br />

Gesundheit der Beschäftigten und die Arbeitseffizienz existieren.<br />

Als eine erste Kontextbedingung kann die Verbandspolitik der Sozialpartner betrachtet wer-<br />

den: Wenn man die vorhandenen Diffusionsstudien (z. B. Pfaff u. a. 2008, Blume u. a. 2003,<br />

WSI-Betriebsrätebefragungen 2004/2005 (vgl. Ahlers und Brussig 2004) und 2008/2009) zur<br />

Umsetzung von BGM, der Durchführung von Gefährdungsbeurteilungen und von psychi-<br />

schen Belastungsanalysen mit den gesundheitsbezogenen Zertifikaten, Rankings und aus-<br />

gelobten Preisen vergleicht, muss man feststellen, dass die Arbeitgeberverbände auf einen<br />

hohen Erfüllungsgrad, Gewerkschaften jedoch auf das genaue Gegenteil verweisen können.<br />

Da keine Aussagen über die quantitative Verteilung unserer Befunde gemacht werden kön-<br />

nen, ist diese Kontroverse hier nicht entscheidbar. Gleichwohl sind die Wahrnehmungen der<br />

Verbände und ihre strategischen Orientierungen und Dienstleistungen eine nicht zu unter-<br />

schätzende Kontextbedingung im Einzelfall. Im Einzelfall deshalb, weil die Nutzung von<br />

Dienstleistungen, z. B. der Angebote der ver.di.-Initiative „Faire Arbeit“, zwar spezielle be-<br />

triebliche Bedingungen voraussetzt, aber zugleich damit die Argumentationsmuster von Ar-<br />

271


eitgeberverbänden bedient und Polarisierungen auf Betriebs- und Verbandsebene prolon-<br />

giert werden.<br />

Auch bezüglich des Kontextfaktors Branche lassen sich aus der vorliegenden Studie nur<br />

schwer Verallgemeinerungen ableiten, zumal lediglich vier Branchen (Chemie, Metall, IT und<br />

Finanzdienstleistungen) untersucht wurden und bereits hier die Verbandspolitik in den Bran-<br />

chen sehr unterschiedlich orientiert und polarisiert war (vgl. Kapitel 7.1.6). Doch jenseits der<br />

Verbandspolitiken zeichneten sich in den Fallstudien recht deutlich Branchenunterschiede<br />

ab:<br />

Betriebe, die durch eine spezifische Gefahrentradition (Chemie, Automobil) und über eine<br />

entsprechend ausgebildete Arbeitsschutzorganisation verfügten, waren tendenziell weniger<br />

für BGM und die „neuen“ Belastungsformen sensibel als die Betriebe des Dienstleistungsbe-<br />

reichs, bspw. IT- und Finanzdienstleister, die traditionell über ein anderes Belastungspano-<br />

rama verfügen und so eher für Themen der psychischen Belastungen offen waren.<br />

Ein weiteres verbreitetes Erklärungsmuster für die eher geringe offensive Nutzung der Chan-<br />

cen einer ganzheitlichen betrieblichen Gesundheitspolitik ist der Kontextfaktor Betriebsgröße:<br />

Aufgrund der Fallstudien können keine Aussagen über Kleinbetriebe getroffen werden, aber<br />

mittlere Betriebe und große bzw. deren relativ autonomen Standorte und Konzernteile haben<br />

zwar ihre größentypischen Probleme, Blockaden und besonderen Stärken, aber die vorlie-<br />

genden Befunde weisen eher Vorteile zur Umsetzung von BGM und einem planvollen Abbau<br />

psychischer Belastungen im mittelbetrieblichen Segment auf. Festzustellen ist, dass, wenn<br />

einmal ein BGM durch die Betriebsräte und Geschäftsführungen auf den Weg gebracht ist,<br />

sich schneller und effektiver BGM-Strukturen und -Prozesse aufbauen und integrieren lassen<br />

(vgl. u. a. Schleicher u. a. 2000).<br />

Des Weiteren hat sich in den Fallstudien die Konzerngebundenheit als ein ambivalenter Kon-<br />

textfaktor erwiesen. Tochtergesellschaften können prinzipiell sowohl von den BGM-<br />

Ressourcen des Mutterkonzerns profitieren, als auch in ihrer Entwicklung eines individuellen<br />

BGM durch das allgemeine BGM-Konzept des Mutterkonzerns – zunächst – eingeschränkt<br />

werden.<br />

Schließlich sind Globalfaktoren wie die demografische Entwicklung („mit BGM dem Fachkräf-<br />

temangel begegnen“) oder Wirtschaftskrisen („kein Geld für BGM“) anzuführen. Doch liefern<br />

diese Kontextvariablen, die wir in unseren Fallstudien variieren konnten, kaum Erklärungen<br />

für diese inhaltlichen „Unsicherheiten“ und „Abstinenz-Phänomenen“, die sich sogar bei den<br />

Betriebsräten, die ihre Motorfunktion wahrnehmen oder schon gemeinsam mit dem Arbeit-<br />

geber auf dem Wege sind, ein BGM zu entwickeln, zeigten.<br />

Da sich betriebliche Gesundheitspolitik aber nicht über den Grad an Abweichungen von den<br />

gesetzlichen Vorgaben oder an einem BGM-Standard (siehe hierzu unser Referenzmodell<br />

272


Kapitel 3) „schulmeistern“ und weiterentwickeln lässt, muss konstatiert werden, dass kom-<br />

plexe betriebliche Bedingungen die objektiven Herausforderungen spezifisch „verarbeiten“<br />

und zu mehr oder weniger produktiven BGM-Ergebnissen führen.<br />

Das folgende Schema soll nun die Bedingungen und die typischen „Ergebnisse“ verdeutli-<br />

chen und über den Einzelfall der untersuchten Betriebe hinaus die Möglichkeit eröffnen,<br />

Konsequenzen und Interventionsmöglichkeiten zu entwickeln. Im Folgenden wird dieser<br />

Interpretationsrahmen mit seinen Konzepten erläutert, um die sich daraus anschließende<br />

Darstellung von hemmenden und fördernden Faktoren betriebsrätlichen Engagements für<br />

eine integrierte Gesundheitspolitik im Kontext dieses Referenzmodells verstehen zu können.<br />

Abbildung 4: Faktoren- und Strukturmodell für die „Motorfunktion“ von Betriebsräten<br />

8.1.1 Zu den objektiven Herausforderungen<br />

Die drei zentralen Herausforderungen wurden einleitend und im Kontext der Befunddarstel-<br />

lungen in den Kapiteln 3, 4 und 7 bereits erläutert, so dass an dieser Stelle nur die wesentli-<br />

chen Punkte zugespitzt und zusammengefasst dargestellt werden.<br />

273


Veränderte Mitbestimmung<br />

Im Verhältnis zum traditionellen Verständnis des Arbeits- und Gesundheitsschutzes mit sei-<br />

ner weithin noch überwiegenden Orientierung an Grenzwerten, Unfallverhütungsvorschriften<br />

etc., ist heute der Gesundheitsschutz weitgehend „verbetrieblicht“, d. h. externe Orientie-<br />

rungswerte, Empfehlungen, Normen etc. müssen betrieblich als geltend festgelegt bzw.<br />

schutzzweckbezogen modifiziert werden. Es gibt also auch hier Gestaltungsspielräume des<br />

Arbeitgebers. Dies gilt ebenfalls für viele Verfahrensvorschriften des ArbSchG, so beispiels-<br />

weise für die Durchführung der Gefährdungsbeurteilung, die Pflichtenübertragung, die Un-<br />

terweisungen der Mitarbeiter, ihre Beteiligung im betrieblichen Arbeits- und Gesundheits-<br />

schutz und die Rolle der Führungskräfte dabei.<br />

In den Betrieben, d. h. „vor Ort“, müssen die Art und Weise (Methoden, Instrumente, Zielwer-<br />

te, Zielkriterien etc.) und die Organisation des Arbeits- und Gesundheitsschutzes bzw. des<br />

BGM zwischen den betrieblichen Sozialpartnern verbindlich ausgehandelt, fixiert und weiter-<br />

entwickelt werden – was keineswegs bedeutet , dass eine gelebte „gute Praxis“ zwangsläufig<br />

neu verhandelt werden muss, gleichwohl auch sie dem gesetzlichen Verbesserungsgebot<br />

unterliegt.<br />

Hierin liegt, neben den Überwachungsaufgaben des Betriebsrates und den Nachweisver-<br />

pflichtungen des Arbeitgebers, die rechtliche Quelle für die „Motorfunktion“ der Betriebsräte<br />

in Form des Mitbestimmungs- und Initiativrechtes nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG in Verbin-<br />

dung mit dem ArbSchG und seinen Verordnungen. Für den Arbeitgeber bedeutet diese Mit-<br />

bestimmung des Betriebsrates – neben den keineswegs trivialen Analyse-, Gestaltungs-, und<br />

Organisationsaufgaben – eine Pflicht und ein neues Terrain der Beteiligung, die nicht selten<br />

einhergeht mit vielen Befürchtungen.<br />

Verändertes Belastungspanorama und Gesundheitsverständnis<br />

Das klassische und sicherlich weiterhin unverzichtbare Unfallschutzverständnis als Kern ei-<br />

ner pathogenen Gefahrensicht auf das Arbeitsgeschehen steht nicht nur einer salutogenen<br />

Perspektive gegenüber, sondern auch Gefährdungen aus „psychischen Belastungen“ meh-<br />

ren das Wahrnehmungs- und Betätigungsfeld des modernen Arbeits- und Gesundheits-<br />

schutzes. Letztere scheinen sich zudem – so die derzeitige Evidenzbasis beispielweise der<br />

Krankenkassen – in den letzten Jahren massiv zu verstärken. Dabei geht es vor Ort vor al-<br />

lem um drei Kernfragen:<br />

1. Wird die (Multi-)Kausalität zwischen psychisch relevanten Arbeitsbedingungen und Er-<br />

krankung, Stress bzw. Beeinträchtigung des „Wohlbefindens“ als relevantes Phänomen<br />

anerkannt?<br />

274


2. Wird die Relevanz nicht physikalisch/körperlicher Gefahren – also insbesondere Gefähr-<br />

dungen psychischer Natur – in der konkreten Organisation gesehen oder eher gering ge-<br />

schätzt?<br />

3. Werden salutogene Faktoren von Arbeits- und Organisationsbedingungen als relevant<br />

und als gestaltbar angesehen?<br />

Die Herausforderung liegt vor allem in der organisationsspezifischen und einvernehmlichen<br />

Klärung dieser Fragen und dem Ergreifen entsprechender Konsequenzen.<br />

BGM-Organisationsverpflichtung<br />

Die Organisation des Arbeitsschutzes war schon immer gesetzlich im Arbeitssicherheitsge-<br />

setz vorgegeben (ASA, Fachkräfte etc.). Der oben skizzierte Wandel (rechtlich und belas-<br />

tungsbezogen) erfordert jedoch andere, diesen Aufgaben angemessene Strukturen und Pro-<br />

zesse, die gemäß § 3 Abs.2 ArbSchG zudem auf die Beteiligung der Mitarbeiter und die Ver-<br />

antwortung der Führungskräfte setzen.<br />

Zu der Frage, wie dies nun konkret zu geschehen hat, gibt es zwar viele Empfehlungen und<br />

Standards, z. B. OHSAS, SCOHS, ASKA (vgl. dazu u. a. Ritter und Langhoff 1998, Blume<br />

und Schleicher 2003), aber keine konkreten und bindenden Rechtsvorgaben. Im Gegenteil:<br />

Der Arbeitgeber ist gefordert, organisationsspezifisch ein gefährdungsangemessenes BGM<br />

zu entwickeln und nachhaltig zu betreiben. Hier liegt einmal mehr eine Gestaltungsaufgabe<br />

und Mitbestimmungsverpflichtung des Arbeitgebers vor.<br />

Diesen Herausforderungen hat sich jedes Unternehmen – wie und wann auch immer – in<br />

seiner Historie gestellt: Sie hat diese Anforderungen „verarbeitet“ und ist zu einem spezifi-<br />

schen Ergebnis bzw. Entwicklungsstadium gelangt. Dieser Weg, der im Extremen auch als<br />

kollektiver „Prozess der Verdrängung“ verlaufen kann, ist von spezifischen betrieblichen Be-<br />

dingungen, also von den Strukturen und den Akteuren bestimmt, d. h. auch die potenzielle<br />

und tatsächliche „Motorfunktion des Betriebsrates“ ist eine „Auswirkung“ dieser Bedingungen<br />

zu einem bestimmten Zeitpunkt. Natürlich spielen, wie bereits oben ausgeführt, auch bei<br />

dem Erfüllen der BGM-Organisationsverpflichtung weitere Kontextfaktoren wie beispielswei-<br />

se der demografische Wandel oder eine Konzerngebundenheit eine mehr oder minder starke<br />

Rolle.<br />

8.1.2 Betriebliche Bedingungen<br />

Wenn die konstatierbare Unsicherheit im Umgang mit den Herausforderungen und die Va-<br />

rianz bzw. Unterschiedlichkeit der betrieblichen Praktiken und Ergebnisse nicht allein über<br />

die Kontextfaktoren Branche, Konzerngebundenheit, Größe etc. erklärt werden können, rü-<br />

275


cken die betrieblichen Bedingungen als die entscheidenden „Moderatorvariablen“ in den Fo-<br />

kus.<br />

Über die Fallstudien haben wir auf der Suche nach den Bedingungen für eine aktive Motor-<br />

funktion der Betriebsräte in der betrieblichen Gesundheitspolitik lernen müssen, dass es sich<br />

hierbei in der Regel weder um ethisch getriebene, voluntaristische Akte, noch um rein ratio-<br />

nal erklärbare und langfristig strategische Handlungsmuster handelt.<br />

Vielmehr entstehen die weiter unten beschriebenen „typischen Prozesskonstellationen“ (s.<br />

Kap. 8.1.3) in der betrieblichen Gesundheitspolitik einerseits als Folge relativ invarianter be-<br />

trieblicher Bedingungen, die wir hier unter „Strukturen“ subsummiert haben (a), oder sie ent-<br />

stehen durch sich selbst verstärkende, Handlungen der betrieblichen Sozialpartner und<br />

Gesundheitsakteure (b).<br />

a) Strukturen<br />

Wissen<br />

Nicht von ungefähr stellen alle ernstzunehmenden BGM-Konzepte das möglichst<br />

evidenzbasierte Wissen um die pathogenen und salutogenen Arbeits- und Organisationsbe-<br />

dingungen sowie das Wirksamwerden entsprechender Maßnahmen in das Zentrum von Or-<br />

ganisation und Aktion (vgl. u. a. Badura u. a. 2010, Zimolong und Elke 2006). Zuweilen geht<br />

man sogar so weit, ein gesundheitsbezogenes „Wissensmanagement“ als Organisationsver-<br />

pflichtung zu definieren (Blume 2010a).<br />

Diese Sicht vom Standpunkt eines elaborierten BGM fokussiert auf eine überprüfbare, inte-<br />

grierte formelle und gemeinsame Wissensbasis für Betriebsräte, Geschäftsführer und<br />

Gesundheitsakteure als Grundlage gemeinsamer rationaler Entscheidungen und kontinuierli-<br />

cher Verbesserung. Unabhängig davon, dass dieser Idealzustand wohl nur sehr selten anzu-<br />

treffen sein wird, ist das betriebliche Handeln und Erleben auch von anderen Wissensarten<br />

bestimmt, z. B.: von den Erfahrungen der Betriebsräte im Rahmen ihrer (Sozial-<br />

)Beratungsfunktion, von Vorurteilen gegenüber psychischen Belastungen/Erkrankungen,<br />

von, Vermutungen und Mythenüber die geringen Belastungen im Bürobereich etc.<br />

Komplementär existieren diese Wissensarten auch auf Seiten der Mitarbeiter, der Führungs-<br />

kräfte, der Personalabteilung und der Geschäftsführung und widersprechen unter Umstän-<br />

den evidenzbasierten Fakten und Erkenntnissen über Wirkungen und Auswirkungen von<br />

Gefährdungen und Belastungen.<br />

Kurz: Es kommt nicht nur darauf an, welche Wissensart jeweils dominant ist, sondern auch,<br />

wie sie sich im Unternehmen auf die relevanten Akteursgruppen verteilt. Wie die Fallstudien<br />

zeigen, geht es schließlich im Rahmen der betrieblichen Gesundheitspolitikangesichts ihrer<br />

Herausforderungen um folgende, besonders prekäre Wissensbereiche:<br />

276


psychische Belastungen (Rolle, Wirkungsweise und (Maßnahmen-)Gestaltung ,<br />

rechtliches Wissen über die Handlungsbedingungen von Betriebsräten,<br />

Gefährdungsbeurteilung (Instrumente und, verfahrensmäßige Ausgestaltung),<br />

BGM (Nutzen, Aufwand etc. eines integrierten BGM).<br />

Natürlich gehört zu der Moderatorvariable „Wissen“ auch der dynamische Aspekt, also die<br />

Veränderung und Wirkung von Wissen dazu: Wie, wann und auf welchem Wege versuchen<br />

z. B. Betriebsräte und/oder Geschäftsführungen ihren Wissensstand zu verbessern?<br />

Ressourcen<br />

Wissen und Wissensaneignung, bspw. Qualifizierung, sind sicherlich auch unter dem Blick-<br />

winkel der Ressourcen einzuordnen. Dies gilt insbesondere für Betriebsräte, die in der Regel<br />

mit „gedeckelten“ Weiterbildungsbudgets die gesamte Breite ihrer betriebspartnerschaftli-<br />

chen Aufgaben abzudecken haben. Auch sind die Beratungsressourcen, die ihnen das ASiG<br />

(§ 9 Abs. 2) in Person des Betriebsarztes und der Fachkraft für Arbeitssicherheit formell zu<br />

Verfügung stellt, für die oben skizzierten prekären Wissensbereiche selten profund nutzbar.<br />

Schließlich stehen ihnen (nach näherer Abstimmung mit dem Arbeitgeber) Sachverständige<br />

ihrer Wahl zur Verfügung (§ 80 Abs.3 BetrVG).<br />

Weiterhin geht es im Kontext der Moderatorvariable „Ressourcen“ nicht nur um diejenige der<br />

Wissensaneignung, sondern bei den Betriebsräten vor allem auch um die zeitlichen Res-<br />

sourcen und die benötigten Personalkapazitäten. Fehlende Freistellungen, zu geringe Pro-<br />

fessionalisierung, notwendige Priorisierung von Problemen, Überforderungen und/oder Ab-<br />

wehr von „neuen“ Themen und Aufgaben etc. sind Erscheinungsformen einer „Mangelwirt-<br />

schaft“ in der Betriebsratsarbeit, die das Engagement in der betrieblichen Gesundheitspolitik<br />

bzw. die Motorfunktion von Betriebsräten empfindlich einschränken können (vgl. dazu u. a.<br />

die Kapitel 7.1.4 und 7.3).<br />

Organisation<br />

Ein elaboriertes BGM verspricht auch für Betriebsräte Entlastung durch etablierte, legitimier-<br />

te und professionelle Verfahren (vgl. u. a. Blume 2010b) – auch wenn die strategische<br />

Steuerungs-, Orientierungs-, und Motorfunktion im „Steuerkreis Gesundheit“ als Dauerauf-<br />

gabe bei der BGM-Entwicklung erhalten bleibt.<br />

In der Tat zeigen auch Beispiele aus den Fallstudien, wie sich im Bereich des klassischen<br />

Arbeitsschutzes entlastende, weil funktionierende, Managementsysteme über Jahrzehnte<br />

herausbilden konnten, die sich aber gleichwohl bspw. angesichts der neuen Herausforde-<br />

rungen des gewandelten Gefährdungspanoramas häufig als veränderungs- und lernresistent<br />

erweisen.<br />

277


Wenn also die Organisation des bestehenden Arbeits- und Gesundheitsschutzes, nebst<br />

Gesundheitsförderung, eine wichtige Moderatorvariable für die Motorfunktion des Betriebsra-<br />

tes ist, muss auch die Organisation des Betriebsrates selbst mit einbezogen werden. Hier<br />

spielen die Arbeitsprozesse des Betriebsrates, also seine Arbeitsteilung (Ausschüsse, Zu-<br />

ständigkeiten, Spezialisierung etc.), seine Entscheidungsstrukturen (Vorsitzender, geschäfts-<br />

führender Ausschuss, informale Strukturen etc.) und auch die für das Wahlamt Betriebsrat<br />

wichtige (politische) Fraktionierung eine wichtige Rolle. Letztere bestimmt nicht unwesent-<br />

lich, mit welcher Priorität und Orientierung die betriebliche Gesundheitspolitik seitens des<br />

Betriebsrates betrieben wird. Aber auch die formellen und informellen Arbeitsbeziehungen<br />

mit dem betrieblichen Sozialpartner sind hier konstitutiv, genauso wie das ggf. spezifische<br />

Verhältnis von örtlichen und Gesamt- bzw. Konzernbetriebsräten: Wenngleich der Arbeits-<br />

und Gesundheitsschutz rechtlich bei den örtlichen Betriebsräten verankert ist, so können die<br />

örtlichen Betriebsräte jedoch den Gesamt- bzw. Konzernbetriebsrat mit der Aushandlung und<br />

Exekution eines BGM beauftragten (Übertragungsbeschlüsse). Zudem besteht in großen,<br />

spartenmäßig organisierten Betrieben häufig die Schwierigkeit vor Ort, keinen für die<br />

Gesundheitspolitik gesamtverantwortlichen Vertreter des Arbeitgebers als Verhandlungs-<br />

partner anzutreffen.<br />

Beteiligungskultur<br />

Unter der Moderatorvariable Beteiligungskultur werden in diesem Zusammenhang drei As-<br />

pekte verstanden:<br />

1. die Kultur der Beziehung zwischen den Sozialpartnern<br />

2. die Kultur der Beziehung zwischen Betriebsrat und den Mitarbeitern sowie<br />

3. die Kultur der Mitarbeiter-Partizipation im Organisationsalltag und speziell im Arbeits- und<br />

Gesundheitsschutz<br />

Zur Kultur der Beziehung zwischen den Sozialpartnern<br />

Die im Rahmen der Industriesoziologie bzw. den Forschungen zu „Industriellen Beziehun-<br />

gen“ erarbeiteten Typologien betrieblicher Arbeitsbeziehungen (z. B. Minssen und Riese<br />

2007, Müller-Jentsch u. a. 1998, Kotthoff 1981) zeigen Konstellationen und zu Ritualen ge-<br />

ronnene Praktiken der Interessenaushandlung und gegenseitigen Wertschätzung bzw. der<br />

betriebsrätlichen Funktionalisierung und Organisation auf, die zu ändern, zu überlagern oder<br />

(temporär) zu durchbrechen massiver und nachhaltiger Anstrengungen bedürfen.<br />

So wird z. B. ein „ignorierter Betriebsrat“ mit seiner Initiative für eine wirksame Gesundheits-<br />

politik wenig Gehör beim Arbeitgeber finden, es sei denn er schafft es, die Belegschaft (nicht<br />

mehr ignorierbar) in den Prozess mit einzubinden.<br />

278


Eine Beteiligungskultur des „Co-Managements“ hingegen ist quasi für ein integriertes BGM<br />

wie geschaffen. Ob sich aber ein Co-Management aus einem BGM-Prozess als generalisier-<br />

te neue Kultur herausbilden kann, wenn zuvor Misstrauen und Konflikte die „Leitkultur“ domi-<br />

nierten, steht auf einem anderen Blatt. Genauso problematisch erscheint die Nachhaltigkeit<br />

einer Koexistenz zweier, nebeneinander existierender Mitbestimmungs- bzw. Beteiligungs-<br />

kulturen.<br />

Zur Kultur der Beziehung zwischen Betriebsrat und den Mitarbeitern<br />

Auch wenn die Beziehung zwischen Betriebsrat und den Mitarbeitern ein relativ autonomes<br />

Politikfeld ist, hat die Industriesoziologie in den obigen Typologien immer auch dieses Ver-<br />

hältnis mit bedacht.<br />

So fällt einem dominant vertretungsorientierten Betriebsrat ein Co-Management leichter als<br />

einem Betriebsrat, der seine Orientierungen und seine Verhandlungspraxis im Extremfall<br />

„basisdemokratisch“ über die Mitarbeiter legitimieren lässt.<br />

Gerade im Bereich der Gesundheitspolitik, bei der es letztlich auch um nachhaltig gesundes<br />

Verhalten von Mitarbeitern und Führungskräften in salutogenen Strukturen geht, ist die Frage<br />

der Beteiligung ein zentraler Faktor, zu dem der Betriebsrat initiativ viel beizutragen hat.<br />

Aber auch die Nachhaltigkeit, das Gewicht bzw. die Wirksamkeit der Motorfunktion des Be-<br />

triebsrates sind entscheidend von der Sensibilisierung und Aktivierbarkeit der Mitarbeiter<br />

abhängig.<br />

Zur Kultur der Mitarbeiter-Partizipation im Organisationsalltag und speziell im Arbeits- und<br />

Gesundheitsschutz<br />

Das Betriebsverfassungsgesetz sowie das Arbeitsschutzrecht beinhalten zahlreiche Beteili-<br />

gungsrechte und Mitwirkungspflichten der Mitarbeiter zu Fragen des Arbeits- und Gesund-<br />

heitsschutzes (vgl. u. a. Faber und Blume 2001, Blume 2010a). Der Arbeitgeber hat dem-<br />

nach eine Organisationsverpflichtung, ohne dass irgendwo fixiert ist, wie er z. B. das Erörte-<br />

rungsrecht gemäß § 82 BetrVG organisiert oder die Mitarbeiter bei der Gefährdungsbeurtei-<br />

lung beteiligt.<br />

Ist die Beteiligung der Mitarbeiter im Arbeits- und Gesundheitsschutz somit ein Gestaltungs-<br />

feld des Arbeitgebers, ruft es sofort den Betriebsrat und seine Beteiligungsrechte auf den<br />

Plan bzw. evoziert damit potenziell seine Motorenfunktion.<br />

Handlungen der Akteure<br />

Gerade die betriebliche Gesundheitspolitik scheint von jeher stark durch die jeweiligen Ak-<br />

teure, also durch Persönlichkeiten und Persönliches geprägt zu sein. Davon unberührt bleibt<br />

279


der Anspruch des Managements, das Thema Gesundheit in die betrieblichen Strukturen und<br />

Prozesse möglichst personenunabhängig zu integrieren.<br />

Hier spielen das individuelle Erleben von Belastungen, Krankheit, Unfällen und die (entspre-<br />

chende) Sensibilität und Aufmerksamkeit gegenüber anderen von Leiden Betroffenen eine<br />

wichtige Rolle für das treibende Engagement von Betriebsratsmitgliedern und Akteuren im<br />

Arbeits- und Gesundheitsschutz. Aber auch Vorstände verbinden persönliche Grenzerfah-<br />

rungen wie einen Herzinfarkt, Bandscheibenvorfälle etc. häufig mit ihren betriebspolitischen<br />

Orientierungen zum BGM.<br />

Ein anderes Motiv kann in den machtrationalen, persönlichen Vorteilskalkülen verortet wer-<br />

den. Schließlich gibt es Personen, die eher aus politischer Überzeugung die betriebliche<br />

Gesundheitspolitik (strategisch) vorantreiben wollen. Diese drei personengebundenen Dis-<br />

positionen für ein Engagement in der betrieblichen Gesundheitspolitik treten in der Regel<br />

durchmischt auf und werden durch Kompetenzen (Wissen, Strategie, Empathie) oder ihr<br />

Fehlen überformt. Sie haben aber im realen Prozess wesentliche Auswirkungen auf den poli-<br />

tischen Wirkungsgrad der Akteure und ihre „Verausgabungsneigung“ bzw. ihre Gesundheit.<br />

Betriebsrats-Gremien<br />

Die in den Fallstudien befragten Betriebsräte, verkörperten in sehr unterschiedlicher „Mi-<br />

schung“ die oben genannten Dispositionen (erfahrungsbasiert, machtrational, politisch moti-<br />

viert). Über diese individuellen Dispositionen hinaus bestimmt ihre jeweilige Position und<br />

Rolle im Betriebsrat ihren gesundheitspolitischen Wirkungsgrad, aber gegebenenfalls auch<br />

ihre „Überforderung“. Beispielsweise spielen sich dominant erfahrungsgetriebene Betriebsrä-<br />

te in der betrieblichen Gesundheitspolitik eher ins „Abseits“, weil ihr moralischer Auftritt und<br />

die Dominanzansprüche für das Thema nicht nur die anderen „bedrängt“, sondern ihre zu-<br />

meist vorhandene gesundheits- bzw. arbeitsschutzfachliche Kompetenz zum Selbstschutz<br />

abgewehrt oder nicht ernst genommen wird. Traditionell wird dieser Betriebsratstyp eher für<br />

die Arbeitssicherheit und somit für eine klassisch eher randständige politische Aufgabe „ab-<br />

gestellt“.<br />

Als „Wahlgremium mit Vier-Jahresrhythmus“ muss das Thema Gesundheit, wenn es nach-<br />

haltig in Richtung eines BGM entwickelt werden soll, für die Beschäftigten sichtbar und spür-<br />

bar betrieben werden. Das bedeutet strukturell, für die Reproduktion des Betriebsrates als<br />

Gremium und persönlich für einzelne Mitglieder, muss entweder die betriebliche Gesund-<br />

heitspolitik oberste Priorität haben und dann auch erfolgreich sein, oder sie wird durch ande-<br />

re Themen/Aufgaben massiv überpriorisiert. Wenn also keine Erfolgspotenziale des Themas<br />

für die Reproduktion der Institution Betriebsrat durch die Belegschaft wahrgenommen wer-<br />

den (von allen oder von Fraktionen des Gremiums) ist eine Motorfunktion für die Weiterent-<br />

wicklung der betrieblichen Gesundheitspolitik eher unwahrscheinlich.<br />

280


Das führt direkt zu der Rolle und dem Einfluss des Betriebsratsvorsitzenden, der in der Regel<br />

eine (in-)formelle Richtlinienkompetenz inne hat. Wenn diese Schlüsselperson nicht über-<br />

zeugt und kompetent das Thema Gesundheit aufnimmt und entsprechend das Gremium ori-<br />

entiert, wird sich nur selten eine relevante Initiativ- und Treiberfunktion des Betriebsrates<br />

entwickeln. Darüber hinaus spielt hier einmal mehr die branchenspezifische Ausformung<br />

spezifischer Themen und Risikowahrnehmungen in mehr oder weniger funktionierenden Ri-<br />

tualen und Organisationsformen eine große Rolle. Überall dort, wo der klassische Arbeits-<br />

schutz in der Betriebsratsarbeit und in der betrieblichen Gesundheitspolitik keinen großen<br />

Stellenwert haben – also z. B. im Finanzdienstleistungsbereich – ist es für ein Gremium<br />

leichter, sich inhaltlich und strategisch in der betrieblichen Gesundheitspolitik neu aufzustel-<br />

len und eine Motorfunktion zu entwickeln.<br />

Gesundheitsakteure<br />

Für diese Personengruppe – also Fachkräfte für Arbeitssicherheit, Betriebsärzte, Personaler<br />

– waren in den Fallstudien folgende persönliche Kalküle für ihr Verhältnis zur betrieblichen<br />

Mitbestimmung, den Betriebsräten und zu den Herausforderungen des Arbeits- und<br />

Gesundheitsschutzes ausschlaggebend:<br />

Im Rahmen ihrer Beratungsfunktion für die Betriebsräte und Geschäftsführungen werden sie<br />

eher selten als eine treibende und fachlich orientierende Kraft gesehen. Eingebunden in die<br />

Strukturen eines Arbeitsschutzmanagements verteidigen sie eher das Bestehende und ste-<br />

hen einem mitbestimmten Einfluss der Betriebsräte auf ihre Praxis und einer Erweiterungen<br />

des Arbeits- und Gesundheitsschutzes vor allem in Hinblick auf psychische Belastungen<br />

häufig defensiv bis abwehrend gegenüber.<br />

Dies mag sowohl mit mangelnder einschlägiger Qualifikation und den von den vielen, vor<br />

allem kleinen und mittleren Unternehmen restriktiv gehandhabten Einsatzzeiten zusammen-<br />

hängen. Dies erklärt aber nicht, warum sie nicht selber eine Motorfunktion in Richtung eines<br />

integrierten BGM auch als Chance ihrer eigenen Entwicklung übernehmen. Es scheinen vor<br />

allem in großen Betrieben und Konzernen institutionelle Arrangements mit Personalabteilun-<br />

gen vorzuliegen, die sich in Abhängigkeiten, Konkurrenzen und einer eher konservativen<br />

defensiven Behandlungen neuer thematischer und operativer Herausforderungen ergänzen<br />

und verstärken.<br />

Wenn Gesundheitsakteure, z. B. Betriebsärzte, die die „Erosion“ ihres klassischen Status<br />

durch BGM-Aktivitäten zu kompensieren versuchen, offensiv werden, laufen sie in Organisa-<br />

tionen Gefahr, ebenfalls als Exoten gebrandmarkt oder ausgewechselt zu werden.<br />

Inwieweit hier die externen Gesundheitsakteure, also die staatliche Aufsicht, die Aufsichts-<br />

personen der Berufsgenossenschaften und die Krankenkassen eine Perspektiven eröffnende<br />

Funktion für die betriebliche Gesundheitspolitik einnehmen, ist ebenfalls häufig eine Frage<br />

281


der jeweils agierenden Personen. Und dies obwohl in der „Gemeinsamen Deutschen Ar-<br />

beitsschutzstrategie“ recht präzise Vorgaben für die Überwachungspraxis z. B. der Gefähr-<br />

dungsbeurteilung psychischer Belastungen formuliert worden sind.<br />

Aber auch Betriebsräte nutzen zum Zweck der Durchsetzung dieser neuen Themen die ex-<br />

ternen Gesundheitsakteure der staatlichen Aufsicht oder die der Berufsgenossenschaften,<br />

nicht durchgängig.<br />

Geschäftsführungen und Führungskräfte<br />

Die persönlichen Motive, sich als Top-Manager mit betrieblicher Gesundheitspolitik zu befas-<br />

sen, dürften sich von denen der Betriebsräte nicht wesentlich unterscheiden. Gleichwohl sind<br />

die Rollenzuweisungen und Verantwortlichkeiten andere. Formal rechtlich für alles im Ar-<br />

beits- und Gesundheitsschutze organhaftend verantwortlich zu sein, kann je nach Branche<br />

schon eine nicht unerhebliche Belastung darstellen. Entsprechend sind dort, wo tatsächliche<br />

Gefahren für Leib und Leben der Mitarbeiter bestehen Entlastungsstrukturen aufgebaut und<br />

mehr oder minder effizient eingespielt.<br />

Das neue Gefährdungspanorama, insbesondere die sogenannten psychischen Belastungen,<br />

sind bislang kaum haftungsrelevant. Sie fallen zwar in den Pflichtbereich des ArbSchG, kön-<br />

nen aber bislang risikolos ignoriert oder ihre Bearbeitung auf die „lange Bank“ geschoben<br />

werden.<br />

Ebenso ist im Set der kurzfristigen Erfolgsorientierung der Nutzen eines BGM unter Umstän-<br />

den zwar einsichtig, aber nur selten ein relevanter Faktor für eine persönliche Erfolgsbilanz<br />

als Vorstand oder Geschäftsführer.<br />

Gesundheitsförderung ist im Kontext einer freiwilligen betrieblichen Sozialpolitik dagegen<br />

einfacher und wirksamer zu positionieren als beispielsweise eine Gefährdungsbeurteilung<br />

psychischer Belastungen, die in zentralen betrieblichen Prozessen Unruhe, Unsicherheit und<br />

fragwürdige Veränderungen zu evozieren verspricht.<br />

Diese Unsicherheit, die ggf. noch von Verbänden auf beiden Seiten genährt wird, lässt eine<br />

Vorstellung, dass all dies zudem noch der Mitbestimmung zufällt, häufig zu einer Bedrohung<br />

heranwachsen.<br />

Dies wird umso deutlicher, wenn in Vorstands- bzw. Geschäftsführungsgremien, vor allem<br />

die für das operative Geschäft zuständigen Akteure sich eher ablehnend positionieren und<br />

BGM (wieder) auf Rückenschule und Unfallschutz fokussiert sehen wollen.<br />

282


8.1.3 Typische Prozesskonstellationen<br />

Die Herausforderungen für die betriebliche Gesundheitspolitik werden gemäß des vorge-<br />

schlagenen Interpretationsmodells in und mit den betrieblichen Bedingungen verarbeitet und<br />

führen als Auswirkung dieser Kontexte und Prozesse zu temporären Ergebnissen, die wir in<br />

unserer Studie zu vier typischen „Prozesskonstellationen“ kondensiert haben.<br />

Der Begriff der „Prozesskonstellation“ wird dem Begriff des „Systemzustandes“ vorgezogen,<br />

um den dynamischen Aspekt dieser Typologie zu betonen. Denn unter der Fragestellung<br />

welche hemmenden und fördernden Faktoren eine Motorfunktion des Betriebsrates beein-<br />

flussen, sind „Zustände“ eher selbst wieder Bedingung oder institutionell zu verstehen, nicht<br />

aber als mehr oder minder stabile/labile Handlungskonstellation aller Beteiligten. Entspre-<br />

chend interessieren hier auch mehr die in den jeweiligen Konstellationen angelegten Repro-<br />

duktions- und Transformationsmechanismen als ihre komplexen Entstehungsprozesse.<br />

In den Fallstudien waren alle Typen in unterschiedlicher Ausprägung und Prägnanz reprä-<br />

sentiert und konnten entsprechend hinsichtlich ihrer Dynamik und betriebsrätlichen Rolle im<br />

Prozess als Fälle betrachtet werden.<br />

Stagnation oder Zufriedenheit<br />

Diese Konstellation ist zumeist in solchen Unternehmen auffindbar, die in der Lage sind, den<br />

Arbeitsschutz professionell und kontinuierlich den Gefahrentwicklungen (Technik und Ar-<br />

beitsprozesse) anzupassen oder in denen Veränderungen nicht mit sichtbaren gesundheitli-<br />

chen Folgen verbunden sind. In beiden Fällen besteht kein wahrgenommener Problemdruck,<br />

der über die bestehenden Rituale, Standards und Praktiken hinausweist.<br />

Die objektiven Veränderungen des Belastungspanoramas scheinen in dieser Organisation<br />

nicht stattzufinden oder ihre Auswirkungen (bspw. Krankheit) werden als persönliches<br />

Schicksal (Biologie), persönliches Verschulden (Lebensweise), maximal als persönliche<br />

Überforderung (fehlende Passung zwischen Person und Aufgabe) interpretiert. Entspre-<br />

chend ist es typisch für diese Konstellation, dass alle beteiligten Akteure an der Aufrechter-<br />

haltung dieser Wahrnehmungsmuster interessiert und aktiv beteiligt sind – so auch die Be-<br />

triebsräte.<br />

Im Extrem bilden sich analog zu den gesellschaftlichen Tabuzonen und Unsicherheiten im<br />

Umgang mit psychischen Erkrankungen oder Zusammenbrüchen „blinde Flecke“ heraus, die<br />

für diejenigen, die von entsprechenden Gefährdungen und Belastungen in Mitleidenschaft<br />

gezogen werden, keine Chance zulassen, ihre Probleme in der Organisation so zu positio-<br />

nieren, dass ihnen – von wem auch immer – verhältnisbezogen geholfen wird.<br />

In den Betriebsräten solcher Konstellationen befinden sich häufig „Fallarbeiter“, die über in-<br />

dividuelle Unterstützung von Mitarbeitern die Verhältnisse stabilisieren helfen, dabei aber<br />

283


selten in der Lage sind, ihr Fallwissen über Folgen von Belastungen aus der Arbeit abstra-<br />

hierend im Gremium zu kommunizieren. In derselben Rolle befinden sich unter solchen Be-<br />

dingungen auch engagierte Betriebsärzte und Fachkräfte für Arbeitssicherheit.<br />

Die Unternehmungsleitung tritt in dieser Konstellation in der Regel nicht in Erscheinung, wo-<br />

hingegen sich die Personalabteilung zustandssichernd auf deviantes Fehlzeitverhalten fo-<br />

kussiert. Solch eine Konstellation erweist sich als relativ stabil, weil sie die Gesundheitspolitik<br />

entweder aus anderen betriebsratsrelevanten Politik- und Konfliktfeldern auslagert oder aber<br />

in der Lage ist, die gesamten bislang auftretenden Veränderungsanforderungen an die Un-<br />

ternehmens- und Beteiligungskultur selbstregulativ zu verarbeiten.<br />

In solchen Phasen der Organisationsentwicklung werden innovative und auf Veränderung<br />

drängende Personen eher als Bedrohung erlebt, die sich im Betriebsrat bzw. in der betriebli-<br />

chen Gesundheitspolitik persönlich mit wenigen Erfolgsaussichten aufreiben.<br />

Destabilisiert wird eine solche Konstellation entweder durch massive, extern induzierte Ver-<br />

änderungen (Markt, Fusion etc.) oder durch relevante interne Ereignisse, zu denen vor allem<br />

relevante Personalveränderungen an entscheidender Stelle gehören.<br />

Polarisiert blockierend<br />

Viele Wege führen in die Konstellation einer polarisierten, sich blockierenden Gesundheits-<br />

politik, die sich zudem noch dadurch auszeichnet, dass keine produktive Entwicklung statt-<br />

findet. So kann bspw. ein plötzlicher Strategiewechsel des Betriebsrats(-vorsitzenden) für<br />

den Arbeitgeber den Zustand der „Zufriedenheit“ aufbrechen lassen und die Unternehmens-<br />

leitung auf allen Terrains der neuen Herausforderung in eine unsicherheitsbedingte Defensi-<br />

ve drängen.<br />

Wissensgefälle, Mitbestimmungsanmaßungen, Unverständnis gegenüber den quasi plötzlich<br />

aus dem Boden schießenden psychischen Belastungen, Infragestellen der bisherigen Routi-<br />

nen und Positionen zum Arbeitsschutz oder die Priorisierung völlig anderer Herausforderun-<br />

gen lassen einen initiativen Betriebsrat schnell zur Bedrohung werden, die es zunächst ein-<br />

mal abzuwehren gilt.<br />

Die rituellen Figuren dieser Abwehr sind vor allem Folgende:<br />

Alles, was der Betriebsrat fachlich fundiert vorbringt, sind nur Behauptungen oder selekti-<br />

ve gewerkschaftliche Propaganda.<br />

Rechtliche Pflichten (z. B. die Befassung mit den veränderten Belastungen der Mitarbei-<br />

ter in der Arbeit) werden geleugnet – und damit auch das Initiativrecht der Betriebsräte.<br />

284


Die Auseinandersetzung wird an Juristen delegiert, die ihrerseits in Unkenntnis der kom-<br />

plexen sachlichen Umstände in die justiziablen Konfliktlösungsmechanismen, also Ge-<br />

richte und Einigungsstellen, steuern.<br />

Führungskräfte, das Personalwesen und, wo möglich, auch die klassischen Gesund-<br />

heitsakteure werden in die Abwehrphalanx einbezogen.<br />

Betriebsräte – sofern genügend Motivation und zeitliche Ressourcen vorhanden sind bzw. im<br />

Prozess aktiviert werden – rüsten entlang dieser Abwehrlinien ebenfalls auf:<br />

Sie machen z. B. eigene Erhebungen (z. T. mit Unterstützung der Gewerkschaft) zum<br />

Nachweis der Relevanz der Gefährdungen und Belastungen.<br />

Sie sensibilisieren und/oder mobilisieren die Beschäftigten.<br />

Sie gehen ebenfalls in die juristisch dominierte Auseinandersetzung.<br />

Wenn es aus Sicht und Interesse des Arbeitgebers darum gehen soll, substanzielle Verände-<br />

rungen in der betrieblichen Gesundheitspolitik so lange wie möglich hinauszuzögern, also<br />

den polarisierten Zustand zu prolongieren, bietet sich der juristische Weg an, im Zweifel<br />

durch alle Instanzen bis hin zum Bundesarbeitsgericht. Dieser Weg ist zwar teuer (Eini-<br />

gungsstellenvorsitzende, Sachverständige, Rechtsanwälte) aber effektiv (in der Regel 1-2<br />

Jahre).<br />

Da nun auch eine juristische betriebene Polarisierung absehbar zu einer formalen Lösung<br />

kommt (Einigungsstellenspruch oder richterliche Verfügung), können sich diese Lösungen für<br />

welche Seite auch immer, als Pyrrhussiege herausstellen. Wenig praktikable Handlungsauf-<br />

lagen (z. B. zu einer Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen) können dann als<br />

Anlass und Quelle neuerlicher Polarisierung genutzt werden (z. B. die fehlende Einigung<br />

über angemessene Maßnahmen zur Belastungsreduzierung).<br />

Eine solche Prozesskonstellation ist nur destabilisierbar wenn<br />

a) ein Legitimationsverlust für eine Seite eintritt (Führungskräfte, Öffentlichkeit, Eigner),<br />

b) der Nutzen für übergeordnete Ziele wegfällt oder nicht mehr vermittelbar ist,<br />

c) sich Unsicherheiten abbauen und über legitimierende Verfahren absicherbar erscheinen<br />

und/oder<br />

d) der Betriebsrat sich glaubhaft bereit erklärt, eine politische Deeskalation zu betreiben.<br />

Im Kontext einer solchen Prozesskonstellation ist die Motorfunktion des Betriebsrates die<br />

Quelle des Prozesses und entsprechend an seine endlichen Ressourcen gebunden. In Un-<br />

ternehmen, in denen die „begrenzte Eskalation von Konflikten“ nicht geübte Praxis ist, kön-<br />

285


nen solche polarisierten Konstellationen – u. a. wenn sie lang andauern und auch „unterhalb<br />

der Gürtellinie“ geführt werden – zu einer nachhaltigen Erosion des „Sozialkapitals“ führen.<br />

Orientierend (neues Terrain erkunden)<br />

„Wenn man schon etwas Neues machen muss, dann sollte man es erst im Rahmen eines<br />

Pilotprojektes ausprobieren“. Ein solches Vorgehen kann Ängste und Befürchtungen auf bei-<br />

den Seiten abbauen helfen, kann aber auch als Ausdruck von neugierigem Experimentieren<br />

oder als Suche nach unternehmensangemessenen Lösungen verstanden werden. Der<br />

„Treibhauseffekt“ solcher Pilotierungen (z. B. auf dem Terrain psychischer Belastungen oder<br />

eines BEM) lässt solche Projekte schnell im Alltag neuer Prioritäten und Herausforderungen<br />

versanden, wenn nicht von beiden Seiten – also auch von der Unternehmensleitung – neue<br />

Energie in Form von nachhaltigen Orientierungen, bereitgestellten Ressourcen und getroffe-<br />

nen Entscheidungen in den Prozess eingespeist werden. Bei einer nur einseitigen Promotion<br />

durch die Betriebsräte droht der Prozess der Erkundung, gegebenenfalls wieder, in einer<br />

Polarisierung abzugleiten oder macht eine mühselige Reaktivierung erforderlich.<br />

Die konstitutiven Elemente dieser Prozesskonstellation sind die neuen Terrains im Arbeits-<br />

und Gesundheitsschutz und die damit verbundenen Unsicherheiten der Entscheider. Was<br />

liegt da näher, als sich auf beiden Seiten sachverständige Unterstützung zu organisieren und<br />

gegebenenfalls über den „Streit der Gelehrten“ sich in neue Polarisierungsfallen zu begeben.<br />

Ebenso polarisierungsträchtig und mit wenig neuen Erfahrungswerten verbunden ist, häufig<br />

mit der guten Absicht gegenseitiger Vertrauensbildung für die verbindliche neue Gesund-<br />

heitspolitik, die schnelle Konstruktion von Betriebsvereinbarungen zu Gefährdungsbeurtei-<br />

lungen, BGM etc.. . Diese Vereinbarungen sind wegen der relativen Unkenntnis der fachli-<br />

chen Zusammenhänge und fehlender betriebsspezifischer Praxiserfahrungen auf dem neuen<br />

Terrain in der Regel sehr abstrakt und entsprechend schwer umzusetzen.<br />

Dieselbe Situation, die vorschnelle Betriebsvereinbarungen evoziert – Vereinbarungen über<br />

den Prozess solcher Erkundungen oder der Entwicklung von BGM-Strukturen seien hier<br />

ausdrücklich ausgenommen – kann aber auch zu einem kontrollierten Erproben anderer Be-<br />

teiligungs- und Aushandlungsformen führen, die beispielsweise im Kontrast mit der bislang<br />

erprobten Konfliktkultur steht, wenn in der Gesundheitspolitik (partikular) gemeinsam gestal-<br />

tet wird und auf anderen Feldern die juristischen Diskurse dominieren.<br />

Von daher ist diese Prozesskonstellation in der Regel sehr labil und bedarf viel politischer<br />

Umsicht und vor allem Respekt vor den Unsicherheiten des Anderen, zumal wenn dieser<br />

Suchprozess in einen „kohärenten Lernprozess“ überführt werden soll.<br />

Kohärenter Lernprozess<br />

286


Die Prozesskonstellation eines kohärenten Lernprozesses als Weg zu einer nachhaltigen<br />

betrieblichen Gesundheitspolitik und einem integrierten BGM erscheint auf den ersten Blick<br />

einfach:<br />

Unternehmensleitung und Betriebsrat erarbeiten verbindliche Entwicklungspläne, beispiels-<br />

weise für ein gesundheitsbezogenes Analyse- und Berichtswesen, mit aussagekräftigen<br />

Kennzahlen für das Controlling eines kontinuierlichen Verbesserungsprozesses. Das Unter-<br />

nehmen stellt die erforderlichen Ressourcen zur Verfügung und bindet die Führungskräfte in<br />

die Prozesse ein. Als Orientierungspunkt der Entwicklung wird beispielsweise die Auditierung<br />

nach einem Standard für ein Managementsystem vereinbart usw.<br />

Doch ist auch ein solch einvernehmlicher Organisationsentwicklungsprozess in der Regel<br />

steiniger und risikoreicher als man auf der „Steuerkreisebene“ vielfach vermutet. Die Integra-<br />

tion von BGM in eine Organisation bedarf der Sensibilität und des Respekts unterschied-<br />

lichster Interessen, Machtkonstellationen, Kulturen und Wissenslagen. Entsprechend bedarf<br />

es eines qualifizierten und gut ausgestatteten „Gesundheitsmanagers“, der der Unterneh-<br />

mensleitung und dem Betriebsrat berichtspflichtig ist und die Orientierungen des Steuerkrei-<br />

ses umzusetzen und strategisch weiterzuentwickeln weiß. Dazu sollte er mit allen Akteuren<br />

(Arbeitsschutz, Führungskräfte, Personalwesen) zusammenarbeiten, d. h. beispielsweise<br />

ihre Funktionen und Rollen im BGM-Prozess gemeinsam entwickeln, Synergien stiften, aber<br />

auch über ggf. schmerzhafte Neuverteilungen von Aufgaben und Kompetenzen verhandeln.<br />

Aber auch juristisch gestützte „Klärungsprozesse“ – durchaus mit der Option, dies als Ultima<br />

Ratio über die Einigungsstelle klären zu lassen – können Bestandteil einer robusten Pro-<br />

zesskonstellation kohärenten Lernens sein, bspw. wenn sich der Betriebsrat mit dem Arbeit-<br />

geber über „erforderliche Maßnahmen des Arbeitsschutzes“ nach einer Gefährdungsbeurtei-<br />

lung in der Finanzbuchhaltung oder der Betriebsmittelkonstruktion streitet. Damit dieser Kon-<br />

flikt nicht zeitlich oder inhaltlich ausufert kann durchaus mit der Option als Ultima Ratio die-<br />

ser Konflikt über die Einigungsstelle mediiert oder gar entschieden werden.<br />

Das nun folgende Kapitel 8.2 fasst vor dem Hintergrund dieses Interpretationsrahmens die<br />

Ergebnisse der Fallstudien in Form einer verallgemeinerten Gegenüberstellung von Chancen<br />

und Hemmnissen für Betriebsräte, aber auch Arbeitgeber zusammen. Das damit beabsich-<br />

tigte Herausheben von Widersprüchen und Ambivalenzen auf dem Weg zu einem integrier-<br />

ten BGM bietet aus Sicht der Autoren die Basis für das Verstehen von Dilemmata und Ent-<br />

wicklungsprozessen, für die in Kapitel 9 entsprechend geeignete Interventionen und unter-<br />

stützende Angebote vorgeschlagen werden.<br />

287


8.2 Chancen und Hemmungen für eine aktive, integrierte betriebliche Gesundheitspo-<br />

litik<br />

Im Folgenden werden Chancen und Hemmungen für das betriebsrätliche Engagement und<br />

die Motorfunktion von Betriebsräten in der betrieblichen Gesundheitspolitik zusammenge-<br />

fasst, die in den Interviews und den Fallstudienunternehmen wahrgenommen wurden. Ent-<br />

lang des Faktoren- und Strukturmodells (s. Abb. 4) werden dabei fördernde und hemmende<br />

Bedingungen zunächst auf Betriebsratsseite und anschließend auf Seiten der Arbeitgeber<br />

beschrieben und zugespitzt. An dieser Stelle sei noch einmal daran erinnert, dass eine ver-<br />

allgemeinernde Zuordnung (positiv oder negativ wirkender Faktor) wenig sinnvoll erscheint.<br />

Vielmehr scheinen die spezifischen Bedingungen des betrieblichen Kontextes ausschlagge-<br />

bend zu sein, ob sich die jeweiligen Faktoren – die zudem in Wechselwirkung zueinander<br />

stehen – eher positiv oder negativ auswirken.<br />

8.2.1 Objektive Herausforderungen: „geänderte Mitbestimmung“<br />

Mit der Neufassung des ArbSchG eröffnete sich, wie bereits erwähnt, für die betrieblichen<br />

Interessenvertretungen ein über die klassische Überwachungsfunktion im Arbeitsschutz hin-<br />

aus gehendes Feld der betrieblichen Gesundheitspolitik. Gleichzeitig wurden die Interessen-<br />

vertretungen zu Verantwortungsträgern für eine ordnungsgemäße Umsetzung des ArbSchG,<br />

da dessen Rahmenregelungen im Zuge der betrieblichen Gesundheitspolitik konkretisiert<br />

und betrieblich handhabbar gemacht werden müssen (Verbetrieblichung). Die Einflussmög-<br />

lichkeiten der Betriebsräte machen nunmehr nicht mehr an der Überwachung der Einhaltung<br />

gesetzlicher Regelungen halt, sondern erstrecken sich in ihrer Motorfunktion darüber hinaus<br />

auch auf Aspekte der (Mit-)Gestaltung der Arbeits- und Leistungsbedingungen. Diesen As-<br />

pekt bezeichnen wir als „geänderte Mitbestimmung“ (s. 8.1).<br />

Betriebsratsambivalenzen<br />

Chancen:<br />

Für die Seite der Interessenvertretung wird vor dem Hintergrund der Projektergebnisse zu-<br />

nächst eine Chance darin gesehen, die Arbeits- und Leistungsbedingungen human bzw.<br />

menschengerecht mitzugestalten. Diese Gestaltungsmöglichkeiten werden durch die Mitbes-<br />

timmungsrechte des § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG in Verbindung mit dem unbestimmten Auftrag<br />

des ArbSchG eröffnet. Die klassische historische und bis zu den Wurzeln der Arbeiterbewe-<br />

gung zurückreichende Forderung betrieblicher Interessenvertreter nach menschengerechten<br />

Arbeitsbedingungen kann im Rahmen der betrieblichen Gesundheitspolitik gestaltet werden.<br />

Diese komfortablen Mitbestimmungsmöglichkeiten werden in den Interviews der beiden Ar-<br />

288


eitspakete mit den Betriebsräten anerkannt, jedoch unterschiedlich in Aktionen bzw. Forde-<br />

rungen umgesetzt.<br />

Bedingt durch diese Möglichkeiten ergibt sich zudem eine stärkere Positionierung und Integ-<br />

ration des Themas Gesundheit in die betriebsrätliche Arbeit als Chance der betrieblichen<br />

Gesundheitspolitik. Durch die in den Mitbestimmungsmöglichkeiten implizit enthaltene Eini-<br />

gungsoption wird das Thema Gesundheit attraktiv für Interessenvertretungen, auch durchaus<br />

knappe Ressourcen zu investieren. Historisch bedingt wurde das Gesundheitsthema inner-<br />

halb von Interessenvertretungen eher als Rand- oder Expertenthema in verschiedenen Aus-<br />

schüssen bearbeitet, nicht zuletzt da ihm kein großes politisches Machtpotenzial zugespro-<br />

chen wurde. Diese „Ausschusskultur“ konnte auch bei einzelnen Betriebräten der Fallstudien<br />

beobachtet werden, wenngleich hier die durchaus gesehenen Chancen nicht immer genutzt<br />

wurden. Die Chance für betriebliche Gesundheitspolitik wird anders wahrgenommen, wenn<br />

sich die führenden betriebsrätlichen Akteure des Themas annehmen und es sich zu eigen<br />

machen.<br />

Durch die Präventionsorientierung des ArbSchG erhält die betriebliche Gesundheitspolitik<br />

Relevanz in den vielfach in Unternehmen anzutreffenden Veränderungsprojekten.<br />

Betriebräten eröffnet sich die Möglichkeit, Veränderungsprojekte als Gegenstand der betrieb-<br />

lichen Gesundheitspolitik anzusehen und beide Themen miteinander zu verknüpfen und so-<br />

mit wiederum die sich ändernden Arbeitsbedingungen für die Mitarbeiter zu verbessern. Die-<br />

se Chancen werden (noch) selten proaktiv wahrgenommen. Es sind aber durchaus Ansätze<br />

erkennbar, das Thema Gesundheit reaktiv auf Veränderungsprojekte anzuwenden, bspw.<br />

um die vielfältigen Irritationen von Umstrukturierungen aufzufangen.<br />

Letztlich besteht eine weitere Chance der geänderten Mitbestimmung in der Ermöglichung<br />

einer größeren Partizipation und Teilhabe der Mitarbeiter an der Gestaltung ihrer Arbeitsbe-<br />

dingungen, die auch durch das ArbSchG gefordert und orientiert ist (§ 3. Abs. 2 und §§ 14-<br />

17 ArbSchG). Darüber hinaus ist Partizipation auch sachlich notwendig, wenn es bspw. um<br />

die Beurteilung psychischer Belastungen geht, um die Akzeptanz persönlicher Arbeitsmittel<br />

oder um die Akzeptanz von verhaltensbezogener Prävention. Den Beschäftigten wird so eine<br />

aktive Rolle im betrieblichen Gestaltungsprozess zugewiesen, die aber in den Unternehmen<br />

unterschiedlich gelebt wird.<br />

Die folgende Darstellung fasst noch einmal übersichtlich die wesentlichen Chancen aus Be-<br />

triebsratssicht zusammen:<br />

289


Abbildung 5: Chancen-Wahrnehmung des Betriebsrats „geänderte Mitbestimmung“<br />

Hemmungen:<br />

Trotz dieser vielfältigen politischen Chancen, die eine geänderte Mitbestimmung im Bereich<br />

der betrieblichen Gesundheitspolitik mit sich bringt (bringen kann), konnten bei den Betriebs-<br />

räten zugleich auch Hemmungen ausgemacht werden. Durch die geänderte Mitbestimmung<br />

wird den Betriebsräten ein höheres Maß an Verantwortung für die Arbeits- und Leistungsbe-<br />

dingungen übertragen, als dies bei klassischen Überwachungsaufgaben der Fall gewesen<br />

ist. Diese Verantwortung wird in vielen Fällen noch nicht in vollem Umfang bzw. von allen<br />

Mitgliedern des Betriebsratsgremiums wahrgenommen oder wird von einer eher fordernden<br />

denn mitgestaltenden Mitbestimmungskultur überlagert. Dieses Verbleiben in alten Hand-<br />

lungsmustern hemmt die Weiterentwicklung der betrieblichen Gesundheitspolitik.<br />

Der durch die geänderte Mitbestimmung implizierte Zwang zur Mitgestaltung der betriebli-<br />

chen Gesundheitspolitik treibt Interessenvertretungen mitunter in ein nicht gewolltes Co-<br />

Management. Dies birgt die Gefahr, autonome Positionen gegenüber der Sache und den<br />

Beschäftigten aufzugeben.<br />

Eine weitere Hemmung ist die mit der gestiegenen Verantwortung einhergehende Befürch-<br />

tung einer Überforderung mit dem komplexen Thema Gesundheit. Dieser Komplexität stehen<br />

zudem recht eingeschränkte Ressourcen insbesondere in Hinblick auf Wissen, Personal und<br />

Zeit gegenüber. Als Hemmung wird zudem wahrgenommen, dass wenn es zu einer Aufwer-<br />

tung der Gesundheitspolitik im Unternehmen wie im Gremium kommt, damit eigentlich ande-<br />

re priorisierte Themen in den Hintergrund treten.<br />

290


Durch die geänderte Mitbestimmung wird das Auftreten vielfältiger neuer Reibungspunkte in<br />

der Betriebspolitik und ein Wandel der Mitbestimmungskultur angestoßen. Dies verunsichert<br />

auf beiden Seiten und führt zuweilen zu juristisch dominierten Auseinandersetzungen (Eini-<br />

gungsstellen), die gegebenenfalls. bislang aber nicht Kulturbestandteil waren. Die geänderte<br />

Mitbestimmung scheint die Interessenvertretungen stärker in die Rolle einer Stellvertreterpo-<br />

litik zu zwingen. Sie geraten „zwischen die Stühle“, müssen auf der einen Seite die Interes-<br />

sen der Mitarbeiter vertreten, auf der anderen Seite aber verantwortliche betriebliche<br />

Gesundheitspolitik in den Gremien machen. Zudem eröffnet ein beteiligungsgestütztes BGM<br />

dem Arbeitgeber viele Möglichkeiten – so die Befürchtungen der Betriebsräte – ihre Arbeit zu<br />

unterlaufen.<br />

Die folgende Darstellung fasst noch einmal übersichtlich die wesentlichen Hemmungen aus<br />

Betriebsratssicht zusammen:<br />

Abbildung 6: Hemmende Faktoren Betriebsräte “geänderte Mitbestimmung“<br />

291


Arbeitgeberambivalenzen<br />

Chancen:<br />

Für die Arbeitgeberseite besteht die Chance, durch die geänderte Mitbestimmung die Be-<br />

triebsräte in die betrieblichen gesundheitspolitischen Entscheidungen mit einzubinden. Eine<br />

aktive Einbindung der Interessenvertretung fördert die Legitimation der geplanten Maßnah-<br />

men und trägt dazu bei, Irritationen bereits im Vorfeld zu bearbeiten, bspw. im Rahmen der<br />

erstmalig durchgeführten Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen. Für den Arbeit-<br />

geber kann es auch von Interesse sein, den Betriebsrat als Ansprechpartner wahrzunehmen,<br />

von dessen Wissen und dessen Einfluss er für die betriebliche Gesundheitspolitik und für die<br />

Erfüllung seiner Verpflichtungen profitieren kann. Dies gilt zudem für die Gestaltung und die<br />

Akzeptanzsicherung von Maßnahmen bei Mitarbeitern und Führungskräften. Durch ein früh-<br />

zeitiges Einbeziehen der Betriebsräte können Konflikte minimiert werden.<br />

Aufgrund der geänderten Mitbestimmung und der damit verbundenen Notwendigkeit, die<br />

Betriebsräte frühzeitig in die Planungen der Gesundheitspolitik mit einzubeziehen, bedarf es<br />

hierfür klarer und verbindlich definierter Ziele und Bewertungskriterien, was letztlich zur Ent-<br />

lastung der Verantwortlichen beiträgt. Eine in diesem Zuge zu erfolgende abgestimmte<br />

Priorisierung des Gesundheitsthemas trägt zu einer besseren Kalkulierbarkeit von Vorgehen<br />

und Maßnahmen bei.<br />

Hemmungen:<br />

Die im Kontext der geänderten Mitbestimmung identifizierten Hemmungen auf Arbeitgeber-<br />

seite konnten deutlicher als bei den Betriebsräten wahrgenommen werden.<br />

Eine Hemmung ist in erster Linie auf Seiten der Verbände zu verorten, während sich die Un-<br />

ternehmensverantwortlichen sehr wohl dem Thema Gesundheit verpflichtet fühlen. Auf Sei-<br />

ten der Verbände wird verstärkt ein Eingriff in die Autonomie des Arbeitgebers beispielweise<br />

bei Personaleinsatzplanung und -bemessung sowie die Gestaltung der Arbeits- und Leis-<br />

tungsbedingungen befürchtet.<br />

Insbesondere in Unternehmen mit einer nicht stark ausgeprägten Mitbestimmungskultur wird<br />

die betriebliche Gesundheitspolitik durch Befürchtungen gehemmt, den erweiterten Mitbes-<br />

timmungsrechten fielen letztlich alle unternehmerischen Entscheidungen zum Opfer. Da Ge-<br />

sundheit mit allem zusammenhängen kann, besteht die Befürchtung darin, dass die Mitbe-<br />

stimmung keine Grenzen mehr hat.<br />

Hemmungen resultieren auch aus der hohen Unsicherheit, die die ergebnisoffene Forderung<br />

der Arbeitsschutzgesetzgebung mit sich bringt. Es besteht Unsicherheit, wo „Leitplanken“<br />

sind oder welche Grenzen und Maßstäbe für eine „humane Gestaltung“ zu wählen sind<br />

(Überwachungsrechte des Betriebsrates).<br />

292


Durch die geänderte Mitbestimmung kommen zusätzliche Aufgaben auf den Arbeitgeber zu,<br />

insbesondere, wenn die Interessenvertretung ihre inititativrechtlichen Möglichkeiten wahr-<br />

nimmt. Eine solche Initiative wird oftmals gut vorbereitet sein und hat zur Folge, dass der<br />

Arbeitgeber in eine strukturelle Defensive gerät, die letztlich dazu beiträgt, dass die betriebli-<br />

che Gesundheitspolitik gehemmt wird.<br />

Zudem besteht die Befürchtung, dass das Thema Gesundheit den unternehmerischen Alltag<br />

zu sehr dominiert und dass aufgrund dieser Priorisierung von Gesundheit die Verhältnismä-<br />

ßigkeit in Bezug auf andere dringliche Themen in den Hintergrund tritt.<br />

Die folgende Abbildung soll auszugsweise die wesentlichen Ambivalenzen auf Arbeitgeber-<br />

seite zusammenfassend verdeutlichen:<br />

Abbildung 7: Hemmende Faktoren und Chancenwahrnehmung Arbeitgeberseitig (Auszug)<br />

Für beide Betriebsparteien besteht jedoch in der betrieblichen Gesundheitspolitik eine Chan-<br />

ce für eine gleichgerichtete Zusammenarbeit im Aufbau einer (gesundheitsbezogenen) Mit-<br />

bestimmungskultur. Doch auch hier kann sich eine hemmende Ambivalenz auftun, wenn<br />

beispielsweise eine konstruktive, weil gemeinsame Gesundheitspolitik sich zu einer Art in-<br />

stabilen „Parallelwelt“ neben einer juristisch dominierten Konfliktkultur in anderen zentralen<br />

Politikfeldern entwickelt.<br />

293


8.2.2 Objektive Herausforderungen: „geändertes Belastungspanorama“<br />

Das geänderte Belastungspanorama ist hier dadurch gekennzeichnet, dass über die<br />

Mensch-Maschine-Schnittstelle hinaus zunehmend die Mensch-Mensch-Schnittstelle in den<br />

Fokus der betrieblichen Gesundheitspolitik gerät. Stellvertretend hierfür sind die vielfach<br />

konstatierte Zunahme psychosozialer Belastungen und die empirisch belegbare Zunahme<br />

psychischer Erkrankungen – mit entsprechenden Folgen für das frühzeitige Ausscheiden aus<br />

dem Erwerbsleben.<br />

Betriebsratsambivalenzen<br />

Die objektive Herausforderung eines geänderten Belastungspanoramas wird in unterschied-<br />

lichen Facetten und z. T. sehr ambivalent wahrgenommen und thematisiert.<br />

Chancen:<br />

In den Interviews und Fallstudien konnten eine Reihe Chancen wahrgenommen werden, die<br />

für eine intensivere Auseinandersetzung der Interessenvertretungen mit dem geänderten<br />

Belastungspanorama sprechen.<br />

Von Betriebsräten wird positiv konstatiert, dass überhaupt endlich über „weiche Faktoren“<br />

gesprochen werden kann. Die Thematisierung von psychischen Belastungen wird deshalb<br />

von Betriebsräten als großer Gewinn empfunden weil z. B. zeitlich begrenzte Projekte, Aus-<br />

wirkungen von Reorganisationen oder der Vertriebsstress unter Gesundheitsgesichtspunkten<br />

bearbeitet werden können.<br />

Für Betriebsräte bietet das Thema psychischer Belastungen endlich auch einen Anlass, über<br />

Führungskräfte und deren (gesundheitliche) Vorbildfunktion zu sprechen. Es können nun-<br />

mehr die Ursachen psychischer Belastungen nicht nur in der Gestaltung des Arbeitsplatzes,<br />

der Arbeitsbedingungen, der Arbeitsaufgabe und der Arbeitsumgebung gesucht werden,<br />

sondern vor allem die sozialen Einflüsse in der Organisation sind auf den Prüfstand zu stel-<br />

len und dabei auch die Frage des Führungsverhaltens in den Mittelpunkt zu rücken.<br />

Weiterhin kann von Betriebsräten der Versuch unternommen werden, die aktuellen Rationa-<br />

lisierungsformen gerade durch die Bearbeitung des Themas psychische Belastungen zu ent-<br />

schärfen. Die Argumentation wird sozusagen auf den Kopf gestellt. Gerade weil vieles darauf<br />

hindeutet, dass eine globalisierte Wirtschaftswelt eine humane Gestaltung des Arbeitslebens<br />

aus dem Blick verliert, liege in der sachgerechten Verknüpfung von Technik, Organisation<br />

und sozialen Beziehungen eine Chance zur Überwindung dieser Schwierigkeiten.<br />

Weiterhin bietet das erweiterte Gesundheitsverständnis die Chance, Überforderungen und<br />

Überlastungen als akute Gefährdungen der Gesundheit zu minimieren. Diese vor allem in<br />

den Fallstudienunternehmen mit Dienstleistungscharakter vorkommende Forderung basiert<br />

294


auf der betriebsrätlichen Wahrnehmung, dass der Leistungsdruck in den letzten Jahren mas-<br />

siv zugenommen hat und die Vorgaben nicht mehr zu erfüllen sind.<br />

Von der Diskussion über das geänderte Belastungspanorama versprechen sich die Betriebs-<br />

räte zudem eine Entlastung hinsichtlich der Betriebsratsarbeit. Damit wird nicht ihre Funktion<br />

als Ansprechpartner für die Belegschaft in Frage gestellt. Vielmehr besteht das erklärte Ziel<br />

darin, durch die Installierung präventiver Lösungen und Verfahren weniger als „Mülleimer<br />

des Betriebes“ dienen zu müssen. Beispielsweise könnten immer wiederkehrende Be-<br />

schwerden über Arbeitsbedingungen durch eine umfassende Gefährdungsbeurteilung aufge-<br />

fangen und beseitigt werden, ohne dass der Betriebsrat sich wie früher in jeden Einzelfall<br />

detailliert einbringen muss.<br />

Damit ist ein weiterer förderlicher Aspekt verbunden: Betriebsräte sehen bei der Durchfüh-<br />

rung der Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen die Möglichkeit, die Mitarbeiter<br />

intensiver als bisher einzubinden. Eine Verbesserung der Beteiligung wird nicht nur für die<br />

Belegschaft selbst, sondern auch für den Arbeitgeber als vorteilhaft propagiert.<br />

Schließlich liefert das geänderte Belastungspanorama für die Betriebsräte eine gute Begrün-<br />

dung für einen bedarfsgerechten Einsatz von Gesundheitsförderung. Gefordert bzw. erhofft<br />

wird in diesem Zusammenhang eine höhere Inanspruchnahme solcher Angebote. Sie wer-<br />

den von den Betriebsräten nicht als Alternative, sondern als Ergänzung zu den übrigen<br />

Handlungsfeldern der betrieblichen Gesundheitspolitik verstanden.<br />

Die folgende Darstellung fasst noch einmal übersichtlich die wesentlichen Chancen aus Be-<br />

triebsratssicht zusammen:<br />

295


Abbildung 8: Chancen-Wahrnehmung des Betriebsrats „geändertes Belastungspanorama“<br />

Hemmungen:<br />

Pointiert lassen sich die Hemmungen wie folgt zusammenfassen: Was sind psychische Be-<br />

lastungen?<br />

Über die Frage nach einem Verstehen der Zusammenhänge und klarer Definitionen geht es<br />

auch um die fehlende Vorstellung darüber, wie man psychische Belastungen erkennen und<br />

messen kann – z. B. im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung. Aber auch der gestalterische<br />

Umgang mit dem Thema, also die Vermeidung von krankheitsverursachenden psychischen<br />

Belastungen im betrieblichen Alltag, wirft aktivitätshemmende Fragen auf. Diese Unsicher-<br />

heiten gelten sowohl für den Gesamtkomplex der psychischen Belastungen als auch für ein-<br />

zelne Krankheitsbilder (z. B. Burnout und Depressionen).<br />

Das Thema psychische Belastungen wird nicht mehr als ein Tabuthema eingestuft. Dies trifft<br />

aber offensichtlich nur auf eine allgemeine und nicht auf Individuen fokussierte Form der<br />

Kommunikation in den Unternehmen zu. Die Konkretisierung in Form von “Mitarbeiter X ist<br />

psychisch krank“ wird nach wie vor als ein schwieriger Schritt empfunden, der mit Nachteilen<br />

für die sich „outenden“ Betroffenen verbunden wird. Allgemein wird zwar zugestanden, dass<br />

alle mehr oder weniger arbeitsbedingten Stress empfinden. Damit ist aber noch nicht akzep-<br />

tiert, dass dieser zur individuellen Überforderung oder sogar zu Krankheiten führen kann.<br />

Der Ansatz der Ressourcenorientierung in Form von individuellen Maßnahmen der Verhal-<br />

tensprävention findet Berücksichtigung. Die Betriebsräte befürchten allerdings eine zu starke<br />

Konzentration auf diese Ansätze. Damit werde der klare Blick auf die Mängel und Defizite, z.<br />

B. der Arbeitsorganisation, versperrt. Es wird daher die Frage aufgeworfen, ob eine Kom-<br />

296


pensation der psychischen Belastungen allein durch verhaltenspräventive Angebote wirklich<br />

möglich ist.<br />

Weiterhin ist eine fachliche Verunsicherung bei Betriebsräten festzustellen, die von ihren<br />

Mitbestimmungsrechten Gebrauch machen oder vom Arbeitgeber freiwillig in die Gestaltung<br />

der betrieblichen Gesundheitspolitik einbezogen werden. Dieser Punkt korrespondiert mit<br />

den oben beschriebenen Aspekten des Erkennens und des Umgangs von und mit psychi-<br />

schen Belastungen. Er wird dort noch prägnanter, wo Betriebsräte aktiv bei der Analyse und<br />

Erarbeitung von Maßnahmen teilnehmen, z. B. im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung.<br />

Die Kommunikation über psychische Belastungen birgt keine Garantie dafür, dass das Phä-<br />

nomen tatsächlich untersucht oder angegangen wird. Stress, Zeitdruck, zunehmende Ar-<br />

beitsverdichtung etc. sind zwar viel diskutierte Erscheinungen des modernen Arbeitslebens,<br />

ihre Bearbeitung nimmt aber keine wirkliche Relevanz oder hervorgehobenen Priorität im<br />

Betrieb so auch im Betriebsrat ein.<br />

Auch die Wahrnehmung von Betriebsräten z. B. aus Ihrer sozialen Betreuungsfunktion her-<br />

aus, dass die Beschäftigten (zunehmend) ihre privaten Probleme mit in den Betrieb bringen<br />

und sich dort z. B. durch die Sozialberatung betreuen lassen oder ansonsten eine ungesun-<br />

des Leben führen, motiviert nicht dazu, für diese verhältnispräventive Anstrengungen zu<br />

entwickeln.<br />

Unabhängig davon, wie sehr diese privaten Probleme einen arbeitsbedingten Anteil aufwei-<br />

sen, stellen sie für die Bearbeitung der psychischen Belastungen offensichtlich eine weitere<br />

Herausforderung dar. Es müssen beispielsweise Ressourcen zur Verfügung gestellt und<br />

vertrauensvolle Ansprechpersonen ernannt werden. Gerade auf Arbeitgeberseite und bei<br />

den Führungskräften muss zudem eine Akzeptanz geschaffen werden, sich um persönliche<br />

Anliegen im betrieblichen Kontext zu kümmern.<br />

Schließlich wird in Äußerungen von Betriebsräten auch die hemmende Ansicht deutlich, dass<br />

humane Arbeits- und Leistungsbedingungen ohne gesundheitsgefährdende psychische Be-<br />

lastungen eine Utopie sind. Die Dynamik und Komplexität der modernen Arbeitswelt würden<br />

es geradezu bedingen, dass Phänomene wie Stress keine vermeidbaren Kollateralschäden<br />

sind, sondern inhärente Bedingungen des globalen Wirtschaftens sind.<br />

Die folgende Darstellung fasst noch einmal übersichtlich die wesentlichen Hemmungen aus<br />

Betriebsratssicht zusammen:<br />

297


Abbildung 9: Hemmende Faktoren Betriebsräte “geändertes Belastungspanorama“<br />

Arbeitgeberambivalenzen<br />

Auf Arbeitgeberseite finden sich gleichermaßen Ambivalenzen, die eher für oder gegen eine<br />

hervorgehobene Bearbeitung psychischer Belastungen und die Auseinandersetzung mit dem<br />

geänderten Belastungspanorama sprechen.<br />

Chancen:<br />

Einer ökonomischen Argumentation nach erweisen sich belastungsgerechte und möglichst<br />

beeinträchtigungsfreie Arbeitsprozesse und -bedingungen als produktiver. Mit dem Abbau<br />

von Hindernissen, Erschwerungen, Überforderungen etc. wird die Hoffnung verbunden die<br />

Präsentismuskosten zu senken und persönliche Leistungsreserven zu aktivieren. Neben<br />

diesen internen Möglichkeiten der Effizienzsteigerung erwartet man auch im Umfeld positive<br />

Auswirkungen, die dem Unternehmen letztlich zu gute kommen. So soll eine ganzheitliche<br />

betriebliche Gesundheitspolitik das Unternehmen attraktiver am Arbeitsmarkt und bei Kun-<br />

den machen.<br />

Neben diesem betriebswirtschaftlichen Kalkül werden Überlegungen betriebspolitischer Art<br />

formuliert, die die Vorteilhaftigkeit der Bearbeitung psychischer Belastungen betonen. Hierzu<br />

gehört die Ansicht, die Akzeptanz von technischen und organisatorischen Maßnahmen durch<br />

legitimierte, mitbestimmte Auswahl -und Gestaltungskriterien steigern zu können. Das Auf-<br />

298


greifen der psychosozialen Problematik biete die Gelegenheit, mit den Betriebsräten in einen<br />

Dialog einzutreten und diesbezügliche Standards und Maßstäbe zu entwickeln.<br />

Hemmungen:<br />

Das Thema psychische Krankheiten kommt auch auf Arbeitgeberseite mehr und mehr aus<br />

der Tabuzone heraus. Strittig ist weniger ihr Vorkommen, sondern vielmehr die Frage, in-<br />

wieweit die psychischen Erkrankungen arbeitsbedingt sind. In diesem Zusammenhang wird<br />

an die Eigenverantwortung appelliert, sich rechtzeitig zu „outen“ und sich Hilfe zu organisie-<br />

ren bzw. die Instanzen zu nutzen, die weitere Unterstützungsmöglichkeiten vermitteln kön-<br />

nen.<br />

In extremer Ausprägung kann der oben beschriebene Vorbehalt so verstanden werden, dass<br />

zwischen einer psychischen Erkrankung und der Arbeit kein kausaler oder auch nur indirek-<br />

ter Bezug herzustellen ist. Demnach entlastet man sich als Arbeitgeber durch eine solche<br />

Argumentation von jeglicher Form der Verantwortung, und die Erkrankung wird ausschließ-<br />

lich auf unternehmensexterne Bedingungen, z. B. das familiäre Umfeld, zurückgeführt. Diese<br />

pointierte Form der Meinungsäußerung wird in den Interviews allerdings nicht geäußert.<br />

Die Themen Psyche und Stress werden weiterhin unter dem Aspekt einer „Übersensibilisie-<br />

rung“ kritisch begutachtet. Fragebögen können beispielsweise in diesem Zusammenhang als<br />

Auslöser fungieren, der die Mitarbeiter erst auf die Idee bringt, dass sie psychisch belastet<br />

sind. Sie geben somit eher Anlass für eine neue – dramatischere – Beschreibung des sub-<br />

jektiven Empfindens, als dass sie ein Instrument zur Objektivierung von Belastungserschei-<br />

nungen sind.<br />

Eine übermäßige Auseinandersetzung mit dem Thema birgt zudem – aus Arbeitgebersicht –<br />

die Gefahr, dass aktuelle Rationalisierungsbestrebungen in den Unternehmen ins Stocken<br />

geraten oder gar zurückgenommen werden könnten. Dieser Punkt ist zwar nicht direkt in den<br />

Interviews angesprochen worden, ergibt sich aber als Umkehrschluss aus den in vielen Fall-<br />

studienunternehmen beobachtbaren Bemühungen zur Rationalisierung von Arbeitsabläufen,<br />

beispielsweise aktenlose Sachbearbeitung, Standardisierung/Automatisierung von Backoffi-<br />

ce-Funktionen in den Finanzdienstleistungsunternehmen. Eine Schwierigkeit für die Bearbei-<br />

tung neuer Belastungsformen im Sinne von „weichen Faktoren“ wird darin gesehen, dass es<br />

sich um subjektive Formen des Belastungsempfindens handelt. Dahinter steckt letztlich das<br />

Phänomen, dass Belastungen – selbst wenn sie z. B. wie Lärm oder Licht physikalisch gut<br />

zu objektivieren sind – zu unterschiedlichen Beanspruchungen führen. In der Konsequenz<br />

würde dies eine stark individualisierte Lösungssuche zur Beseitigung gesundheitsgefährden-<br />

der Belastungen führen.<br />

Eine weitere damit verbundene Konsequenz aus Arbeitgebersicht ist, dass das geänderte<br />

Belastungspanorama als grenzenloses Feld zum “Nörgeln“ und Mitbestimmen genutzt – aus<br />

299


Arbeitgebersicht von den Arbeitnehmern und deren Vertretung missbraucht – werden kann.<br />

Es fehlen daher „Leitplanken“, Grenzwerte und Standards. Die Frage, was man als Arbeitge-<br />

ber gestalten kann und muss, gerät zur unüberschaubaren Spekulation.<br />

Die Ansicht, dass Führung Arbeitgeberangelegenheit ist, stellt einen möglichen Ausweg aus<br />

dem Feld der Spekulation dar. Viele Gestaltungsfragen werden somit der Diskussion entzo-<br />

gen und gesundheitsorientiertes Führen eine Angelegenheit der Arbeitgeberseite, die Be-<br />

rücksichtigung finden kann, aber nicht muss.<br />

Ein Argument, dass bereits seitens der Arbeitnehmervertretung geäußert wurde, findet sich<br />

schließlich auch auf Arbeitgeberseite wieder. Es gehe in „unserer“ Branche einfach nicht<br />

ohne stressauslösende Momente und Situationen – und darauf habe man sich einzustellen.<br />

Die folgende Abbildung soll auszugsweise die wesentlichen Ambivalenzen auf Arbeitgeber-<br />

seite zusammenfassend verdeutlichen:<br />

Abbildung 10: Hemmende Faktoren und Chancenwahrnehmung Arbeitgeberseitig (Auszug)<br />

300


8.2.3 Objektive Herausforderungen: „BGM-Organisationsverpflichtung“<br />

Unternehmen sind per Gesetz nicht dazu verpflichtet ein BGM zu institutionalisieren. Insofern<br />

ist die Organisationsverpflichtung u. a. aus § 3 Abs. 2 ArbSchG als eine Verpflichtung des<br />

Unternehmens zu verstehen, eine für die eigenen betrieblichen Gegebenheiten angemesse-<br />

ne Organisationsform zu finden und kontinuierlich weiterzuentwickeln.<br />

Betriebsratsambivalenzen<br />

Ein umfassendes und integriertes BGM (vgl. Kapitel 3) wird von den Betriebsräten (noch)<br />

nicht durchweg als eine Organisationsverpflichtung eingestuft. Zwar ist man sich seinen Ver-<br />

pflichtungen und Handlungsmöglichkeiten im Rahmen des klassischen Arbeitsschutzes in<br />

der Regel bewusst. Das bedeutet aber nicht, dass diesen auch immer nachgekommen wird<br />

bzw. diese genutzt werden.<br />

Chancen:<br />

In der Tendenz argumentieren alle Betriebsräte derart, dass ihre Mitgestaltung einer „geeig-<br />

neten Organisation“ für die nachhaltige Lösung der betrieblichen Gesundheitsprobleme von<br />

zentraler Wichtigkeit und ein umfassendes BGM sowohl ethisch als auch für den Unterneh-<br />

menserfolg unverzichtbar sei. Diese Globalsicht muss aber keineswegs mit einem ganzheitli-<br />

chen Verständnis von BGM verbunden sein, sondern schließt auch partikulare Vorstellungen<br />

(BEM, Arbeitsschutzmanagementsysteme etc.) mit ein. Das unten formulierte Hemmnis der<br />

mitunter fehlenden fachlichen Qualifikation bzw. zeitlichen und personellen Ressourcen kann<br />

dadurch erleichtert werden, dass der Betriebsrat durch fachlich und sozial kompetente BGM-<br />

Beauftragte und Gesundheitsakteure unterstützt und das BGM durch sie vorangetrieben<br />

oder gar geleitet werden. Begrüßt wird eine solche Funktion gerade dann, wenn mit ihr eine<br />

neutrale Position zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerinteressen verbunden wird.<br />

Die Organisationsverpflichtung des BGM wird außerdem als Chance begriffen, (endlich) ver-<br />

bindliche Aufgaben und Verantwortlichkeiten für alle Führungsebenen zu schaffen. In den<br />

Interviews wird u. a. die gesundheitliche Vorbildfunktion der Führungskräfte kritisch beäugt.<br />

Vor allem in den Fallstudienunternehmen, bei denen sich eine ausgeprägte Kooperation der<br />

obersten Führungskräfte und des Betriebsrats zeigt, wird mit der Einführung eines BGM<br />

auch eine Sensibilisierung der Führungskräfte für Gesundheitsthemen erwartet.<br />

Die Fallstudien haben ergeben, dass ein vollständiger PDCA-Zyklus derzeit noch kein obliga-<br />

torischer Bestandteil der verschiedenen BGM-Konzepte ist. Gleichwohl ist man sich über die<br />

Notwendigkeit eines auf Nachhaltigkeit ausgelegten BGM bewusst. Die Einhaltung des Zyk-<br />

lus, so die bisherigen Erfahrungen, erlaube eine gute Kontrolle der Wirksamkeit des BGM<br />

und einzelner Maßnahmen. Die systematische Entwicklung präventiv einsetzbarer Stan-<br />

dards, Ziele und Kennzahlen erscheint aber insgesamt als noch ausbaufähig.<br />

301


Im Gegensatz zur unten bemängelten formalisierten Mitbestimmung ohne zählbare Auswir-<br />

kungen für die gesundheitliche Situation der Mitarbeiter wird die Möglichkeit, dass durch das<br />

BGM eine verstärkte Wirksamkeit der Mitbestimmung zu verzeichnen sei, als Chance wahr-<br />

genommen. Dies wird auf die Integration von Forderungen in Verfahren zurückgeführt (bei-<br />

spielsweise wird nicht nur eine Gefährdungsbeurteilung durchgesetzt, sondern auch festge-<br />

legt, welche Rolle die Betriebsräte bei deren Erstellung einnehmen). Damit wird das ständige<br />

Nachhaken bzw. der dauerhafte Kampf um Mitbestimmung überflüssig.<br />

Dieser Vorteil wird nicht nur auf die Arbeit der Betriebsräte bezogen. Das BGM lasse zudem<br />

eine bessere Partizipation der Beschäftigten zu (z. B. durch Gesundheitszirkel). Es fördere<br />

demnach die Transparenz und Berücksichtigung der Mitarbeiterbedürfnisse.<br />

Die folgende Darstellung fasst noch einmal übersichtlich die wesentlichen Chancen aus Be-<br />

triebsratssicht zusammen:<br />

Abbildung 11: Chancen-Wahrnehmung des Betriebsrats „BGM-Organisationsverpflichtung“<br />

302


Hemmungen:<br />

Es bestehen Befürchtungen und Erfahrungen, dass das von der Arbeitgeberseite – z. T.<br />

auch in der Diktion der Krankenkassen – ausformulierte BGM lediglich auf verhaltenspräven-<br />

tive Individualangebote reduziert wird. Maßnahmen wie „Rückenschule und Co.“ werden<br />

außerdem nicht immer unbedingt dem Bedarf entsprechend angeboten und in Ihrer Wirkung<br />

überprüft. In der Konsequenz wird es zusätzliche Energie seitens des Betriebsrats erfordern,<br />

den konzeptionellen Vorstellungen der Arbeitgeberseite eigene Ideen entgegenzusetzen.<br />

Hinzu kommt, dass dem arbeitgeberseitig organisierten Gesundheitsmanagement nur<br />

schwer etwas „Autonomes“ entgegen zu setzen ist. So wird auch der fachliche Nachholbe-<br />

darf bei gleichzeitig fehlenden Ressourcen der Betriebsräte im Rahmen eines BGM zur<br />

Achillesferse der Beteiligung.<br />

Als problematisch kann auch die BGM inhärente Tendenz zu einem „Co-Management“ ver-<br />

standen werden, denn die Schwierigkeit eine interessenbezogene Autonomie zu bewahren,<br />

wird hier u. U. noch auf anderen Terrains virulent: Beispielsweise kann der Betriebsrat –<br />

wenn (nur) im Rahmen des BGM eng, harmonisch und mit einer auf anderen Feldern der<br />

Betriebspolitik bisher unbekannten Vertraulichkeit mit der Arbeitgeberseite zusammengear-<br />

beitet wird – gegenüber der Belegschaft in eine schwierige Rechtfertigungssituation geraten.<br />

Eng damit verbunden ist die Befürchtung, dass der Betriebsrat im BGM als eigenständiger<br />

Akteur nicht mehr sichtbar wird – er geht quasi als Akteur in den BGM-Verfahren unter. Dies<br />

kann sowohl in einer starken Co-Management-Rolle, als auch in einem vom Arbeitgeber do-<br />

minierten BGM-Konzept passieren.<br />

Eine andere Gefahr wird darin gesehen, dass sich Mitbestimmungs- und Initiativrechte in<br />

BGM-Routinen „müde laufen“. In solchen Fällen nimmt der Betriebsrat seine Aufgaben im<br />

Arbeits- und Gesundheitsschutz zwar in kooperativer und durchaus auch konfrontativer Wei-<br />

se mit dem Arbeitgeber zusammen wahr. Das Problem liege jedoch darin, dass die institutio-<br />

nalisierten Strukturen und Prozesse keine sichtbaren oder für die Mitarbeiter fühlbaren Er-<br />

gebnisse nach sich ziehen. Das BGM schwimme wie „Öl auf dem Wasser“ und die Belas-<br />

tungssituation der Beschäftigten verbessere sich nicht wahrnehmbar.<br />

Schließlich prägen sich Hemmnisse in der Form Zentrum/Peripherie auf zweierlei Art aus.<br />

Zum einen zeigen sich örtliche Betriebsräte davon überzeugt, dass sie vor Ort tatkräftig das<br />

BGM mit organisieren können und wollen. Ihre Aktivitäten kommen aber nicht zum Zuge,<br />

weil sie durch die (Konzern-)Zentrale ausgebremst würden bzw. diese andere Vorstellung<br />

eines BGM-Konzepts durchsetze. Die örtlichen Betriebsräte fühlen sich aber nicht nur durch<br />

die Arbeitgeber eingeschränkt. Zum anderen stören sie sich auch daran, dass das, was auf<br />

der Ebene des Gesamtbetriebsrats im Rahmen des BGM vereinbart wird, die Belastungen<br />

303


vor Ort kaum berücksichtigt. Diese Zwiespältigkeit wird vor allem in überregional aufgestell-<br />

ten Unternehmen virulent.<br />

Die folgende Darstellung fasst noch einmal übersichtlich die wesentlichen Hemmungen aus<br />

Betriebsratssicht zusammen:<br />

Abbildung 12: Hemmende Faktoren Betriebsräte “BGM-Organisationsverpflichtung“<br />

Arbeitgeberambivalenzen<br />

Auch auf Seiten der Arbeitgeber wird ein umfassendes BGM überwiegend nicht als Organi-<br />

sationsverpflichtung eingestuft bzw. wird eine Notwendigkeit zur Erweiterung vorhandener<br />

Strukturen etc. nicht gesehen. In den untersuchten Unternehmen, in denen ein BGM bereits<br />

weitergehend eingeführt und zum Teil etabliert ist, zeigen sich die Chancen des BGM.<br />

Chancen:<br />

Durch die Festlegung einer geeigneten Organisation und von geeigneten Strukturen wird<br />

auch die bestehende Mitbestimmung kanalisiert und einer „professionellen“ Gesundheitspoli-<br />

tik zugeführt. Das BGM ermöglicht hier eine geordnete und zielgerichtete betriebliche<br />

Gesundheitspolitik. Diese reagiert nicht anlassbezogen oder ist akteursgetrieben, sondern ist<br />

in einen betriebsoffenen Diskurs eingebettet, der sich an klar vereinbarten Zielen orientiert.<br />

Das BGM kanalisiert zudem auch Forderungen verschiedener Akteure, bspw. von Betriebs-<br />

räten, Vertrauensleuten und Mitarbeitern und lenkt sie in geordnete Bahnen. Durch die im<br />

BGM erfolgte Festlegung von Strategien und Zielen entlasten sich die Geschäftsführung<br />

bzw. Unternehmensvorstände vor allem aufgrund der klar definierten Umsetzungsstrukturen.<br />

304


Gesundheitsrelevante Prozesse werden effizienter und steuerbarer und somit verbessert<br />

sich auch die Wirtschaftlichkeit durch PDCA-Zyklus, Kennziffern etc.<br />

Im Rahmen eines umfassenden BGM muss zudem die stetige Kompetenz- und Wissenser-<br />

weiterung organisiert werden. Unternehmen sind somit gezwungen, gesundheitsbezogenes<br />

Wissen systematisch und strukturiert zu beschaffen, zu verbreiten und zu aktualisieren. Da-<br />

mit verbindet sich ein Prozess organisationalen Lernens, welcher auf die Kernressourcen<br />

Human- und Sozialkapital von Unternehmen zielt. Auf diese Weise trägt das BGM zur Siche-<br />

rung der Wettbewerbsfähigkeit bei. Diese Aspekte konnten insbesondere bei größeren Un-<br />

ternehmen nachhaltig festgestellt werden.<br />

Ein gut gestaltetes BGM beinhaltet die weitere Chance, Synergien im Unternehmen zu er-<br />

zeugen und für andere betriebliche Dienstleister anschlussfähig zu sein. Hierdurch wird eine<br />

stärkere Verzahnung nicht nur der verschiedenen gesundheitsbezogenen Einzelaktivitäten<br />

(Arbeitsschutz, BGF etc.) ermöglicht, sondern auch die Verzahnung innerbetrieblicher<br />

Dienstleister bspw. Personalmanagement, Qualitätsmanagement, Einkauf, IT insgesamt.<br />

Hemmungen:<br />

Die wahrgenommen Hemmungen auf Arbeitgeberseite, der Organisationsverpflichtung BGM<br />

nachzukommen, wurzeln in einer begrenzten Sicht auf das Themenfeld Gesundheit und der<br />

weit verbreiteten Aufsplitterung des Themas in verschiedene Unterthemen oder Unteraspek-<br />

te, denen zudem unterschiedliche Aufmerksamkeit gewidmet wird.<br />

Hier ist zum einen der vermehrt vorgetragene Verweis zu nennen, dass Aktivitäten des BGM<br />

bereits im Rahmen von Kooperationen mit den Krankenkassen durchgeführt werden. Oft-<br />

mals wird das BGM nicht weiter differenziert, und es werden lediglich die verschiedenen<br />

Krankenkassenaktivitäten in Form von Gesundheitsförderungsmaßnahmen (bspw. Fitness-<br />

angebote, Anti-Stress-Trainings) unter BGM subsummiert. Auch wenn letzteres zutreffend<br />

ist, liegt das daraus resultierende Hemmnis für die betriebliche Gesundheitspolitik in einer<br />

Verkürzung der Sichtweise und Beschränkung auf einen Teilaspekt.<br />

Tiefgreifender erscheint hingegen die Hemmung, bestehende Organisationsstrukturen des<br />

„klassischen“ Arbeits- und Gesundheitsschutzes aufzubrechen und in Hinblick auf ein um-<br />

fassendes BGM zu erweitern. Somit ist weiterhin der Arbeitsschutzausschuss das Gremium,<br />

welches in der Regel Themen Arbeitssicherheit und Gesundheit berät, und es sind insbe-<br />

sondere die betrieblichen Arbeitsschutzexperten, insbesondere Betriebsärzte und Fachkräfte<br />

für Arbeitssicherheit, die dort das Gesundheitsthema bearbeiten. Verbunden mit diesen Or-<br />

ganisationsstrukturen sind auch die Rollen der Akteure stark geprägt vom klassisch- techni-<br />

schen Arbeitsschutzdenken, nicht selten mit dem betrieblichen Umweltschutz einhergehend<br />

und oftmals nicht bereit, sich einem umfassenden Gesundheitsmanagement zu öffnen. Letzt-<br />

lich führt dies dazu, dass die BGM-Organisationsverpflichtung nicht über die bereits beste-<br />

305


hende klassische Arbeitssicherheitsorganisation erweitert wird und sich die Bemühungen der<br />

Arbeitgeberseite darauf beschränken, auf den vorhandenen Arbeitsschutzausschuss und die<br />

bestellten Fachkräfte bzw. Betriebsärzte zu verweisen. Hierin sehen sie die Organisations-<br />

verpflichtung erfüllt und darüber hinaus keinen weiteren Handlungsbedarf.<br />

In eine ähnliche Richtung gehen Hemmungen in Unternehmen, in denen bereits ein Arbeits-<br />

schutzmanagementsystem (ASM-System) existiert, zum Teil ist die Abgrenzung zu weiteren<br />

Themenfeldern der betrieblichen Gesundheitspolitik, bspw. der Gesundheitsförderung, hier<br />

noch deutlicher zu sehen. Statt auch hier den Themenkreis zu erweitern und auf ein umfas-<br />

sendes BGM hinzuwirken, bauen Unternehmen nicht selten ein Parallelsystem auf, welches<br />

sich mit den vom ASM-System „vor der Tür belassenen“ Aspekte der betrieblichen Gesund-<br />

heitspolitik befasst.<br />

Was unterbleibt, ist eine Zusammenführung und/oder Bündelung der unterschiedlichen und<br />

von verschiedenen Stellen bzw. Gremien behandelten Aspekte betrieblicher Gesundheitsar-<br />

beit. Dieses Vorgehen erzeugt vielfach Redundanzen und hemmt eine umfassende betriebli-<br />

che Gesundheitspolitik.<br />

Überforderungen und damit Hemmnisse resultieren auch in der Unsicherheit bezüglich der<br />

Steuerung eines umfassenden BGM. Die Akteure der Unternehmensleitung konzentrieren<br />

sich auf vorhandene Kennzahlen des Arbeitsschutzes (bspw. 1000-Mann-Quote) oder der<br />

Personalabteilung (bspw. Fehlzeiten) und fühlen sich ausreichend gerüstet anhand dieser<br />

Kennzahlen das komplexe Thema betrieblicher Gesundheit steuern zu können.<br />

Ein weiteres Hemmnis betrifft die Sicht der Arbeitgeber auf die „Gegenseite“ und die Be-<br />

fürchtung, dass durch eine umfassende BGM-Organisation Mitbestimmung über das „wün-<br />

schenswerte“ hinaus zementiert wird und durch das BGM dem Betriebsrat Tür und Tor ge-<br />

öffnet werden, auf nahezu alle die betrieblichen Entscheidungen Einfluss nehmen zu kön-<br />

nen.<br />

Nicht zuletzt scheuen auf beiden Seiten der Betriebsparteien die Akteure vor dem (vermute-<br />

ten) Aufwand zurück, der mit einem Nachkommen der Organisationsverpflichtung im Rah-<br />

men eines umfassenden BGM verbunden ist. Insbesondere der Anfangsaufwand wird als<br />

sehr hoch eingeschätzt und zugleich mit einer geringeren Priorität versehen als vermeintlich<br />

wichtiger erachtete Entscheidungen.<br />

Die folgende Abbildung soll auszugsweise die wesentlichen Ambivalenzen auf Arbeitgeber-<br />

seite zusammenfassend verdeutlichen:<br />

306


Abbildung 13: Hemmende Faktoren und Chancenwahrnehmung Arbeitgeberseitig (Auszug)<br />

8.2.4 Betriebliche Bedingungen<br />

Wie schon in Kapitel 8.1 entwickelt, spielen für die betriebliche Gesundheitspolitik die be-<br />

trieblichen Bedingungen eine bedeutende Rolle bei der „Verarbeitung der Herausforderun-<br />

gen“. Insbesondere das in den Unternehmen vorhandene gesundheitsbezogene Wissen, die<br />

bereitgestellten Ressourcen, die Organisation der betrieblichen Gesundheitspolitik, die Betei-<br />

ligungs- bzw. Mitbestimmungskultur und die Akteure. Hierzu konnten im Rahmen des Projek-<br />

tes Hemmnisse ausgemacht werden, die im Folgenden verallgemeinernd zusammengefasst<br />

werden. Bei der Beschreibung der Akteure erfolgt vor dem Hintergrund der Projektthematik<br />

eine Fokussierung auf die Betriebsräte.<br />

Wissen<br />

Hemmend auf die betriebliche Gesundheitspolitik wirken insbesondere vorgefundene Wis-<br />

sensdefizite der Akteure bzw. der Betriebsparteien und Unternehmen hinsichtlich ihrer Rech-<br />

te und Pflichten, zum Themenkomplex psychischer Belastungen und zur im ArbSchG gefor-<br />

derten „menschengerechten Arbeitsgestaltung“. Ein weiteres Defizit ist hinsichtlich des Wis-<br />

sensstandes über Analysemethoden, Gestaltungsoptionen, anwendbaren Verfahren und<br />

307


Instrumenten auszumachen. Zudem existiert Unklarheit hinsichtlich des Nutzens eines ganz-<br />

heitlichen und integrierten BGM sowie damit einhergehenden nötigen Strukturen und Pro-<br />

zessen.<br />

Die beschriebenen Defizite wirken in besonderem Maße als Hemmnis, wenn sie auf beiden<br />

Seiten der Betriebsparteien bzw. asymmetrisch vorhanden sind. Läuft die betriebliche<br />

Gesundheitspolitik im ersten Fall Gefahr, nicht auf dem aktuellen Stand der Erkenntnisse zu<br />

agieren, so birgt die zweite Konstellation die Gefahr, dass sich die Betriebsparteien in unter-<br />

schiedlichen Wissens- und Machtsituationen wiederfinden.<br />

Die häufig anzutreffende Fokussierung der aktiven Gesundheitsakteure auf die (Unfall-)<br />

Schutzperspektive wirkt auf die Wissensentwicklung im erweiterten Gefährdungs- und<br />

Gesundheitsverständnis ebenfalls hemmend. Die Akteure verharren zu lange in den routi-<br />

nierten Strukturen bspw. des Arbeitsschutzausschusses und der dort eingespielten Vertei-<br />

lung der Akteursrollen.<br />

Folgen dieser Hemmnisse sind, dass im Rahmen der betrieblichen Gesundheitspolitik My-<br />

then, Vorurteile und Halbwissen die Diskussion auf allen Ebenen beherrschen und somit<br />

eine sachliche, evidenzbasierte Bearbeitung von Belastungen und eine gemeinsame Strate-<br />

gie- und Organisationsentwicklung be- bzw. verhindern.<br />

Ressourcen<br />

Eng mit dem Thema Wissen verknüpft ist der Aspekt der Ressourcenausstattung. Die Pro-<br />

jektergebnisse vermitteln den Eindruck, dass diese eher ein Hemmnis als ein Förderfaktor<br />

für die betriebliche Gesundheitspolitik ist. Es sind dies zu knappe Kapazitäten (Personal/Zeit)<br />

für eine Weiterentwicklung des BGM. Die Ursachen hierfür stellen sich für die Akteure jedoch<br />

unterschiedlich dar.<br />

Betriebsräte sehen sich in ihren Unternehmen oftmals einer restriktiven Freistellungspolitik<br />

nach § 37 Abs. 2 und Abs. 7 und § 38 BetrVG ausgesetzt. Das bedeutet nicht, dass ihnen<br />

die gesetzlich zustehenden Ressourcen und Fortbildungsmöglichkeiten verwehrt werden. Es<br />

werden darüber hinaus jedoch keine nennenswerten Zugeständnisse gemacht, die sich posi-<br />

tiv auf die Bearbeitung des Gesundheitsthemas auswirken könnten. Zugleich sehen sich<br />

viele Betriebsräte mit vielen parallel laufenden Projekten und weiteren „Baustellen“ im Be-<br />

trieb konfrontiert. Die Priorisierung der Themen und Kapazitäten richtet sich meistens gegen<br />

die Gesundheitspolitik, weil die übrigen Anliegen in der Regel als zeitkritischer oder operativ<br />

wichtiger (z. B. Nachteilausgleich) eingeschätzt werden. Dies führt in der Tendenz dazu,<br />

dass sich meistens einige wenige Betriebsräte ausschließlich mit dem Thema Gesundheit<br />

befassen (Spezialisierung), die anderen Betriebsräte des Unternehmens jedoch gar nicht.<br />

Die nach dem ASiG benannten Betriebsärzte sind, sofern sie Externe des Unternehmens<br />

sind, in den strikten Rahmen der Einsatzstunden eingebunden, was keine ausreichende Be-<br />

308


atungskapazität zulässt, um sich an dem Aufbau eines BGM nachhaltig zu beteiligen. Ande-<br />

re Experten wie Fachkräfte für Arbeitssicherheit sehen sich mit diversen Aufgaben konfron-<br />

tiert, die über das BGM hinausgehen (z. B. Umweltschutz) oder sind mit klassischen Arbeits-<br />

schutzaufgaben (u. a. Begehungen, Untersuchungen) ausgelastet.<br />

Führungskräfte werden häufig so eingeschätzt, dass sie bereits mit ihren Unterweisungs-<br />

pflichten für ihren Bereich überfordert sind. Des Weiteren werden zu große Führungsspan-<br />

nen konstatiert: Es gebe einerseits die Führungskräfte, die ohne weitere Sensibilisierungs-<br />

maßnahmen einen gesundheitsfördernden Führungsstil leben, andererseits aber auch dieje-<br />

nigen, die allein aufgrund ihrer fachlichen Qualifikation in die Leitungsfunktion gekommen<br />

seien und jegliches Gespür für gesundheitliches Handeln vermissen ließen. Gerade in die-<br />

sen Fällen bemängeln die Betriebsräte, dass Gesundheit als Führungsaufgabe bzw. das<br />

BGM nur als ein weiterer Stressor neben den vielen anderen Aufgaben empfunden werde.<br />

Organisation der laufenden Gesundheitspolitik<br />

Die durch die Organisation der laufenden Gesundheitspolitik hervorgerufenen Hemmnisse<br />

wurden bereits unter dem Aspekt der Organisationsverpflichtung dargestellt. Insbesondere<br />

resultieren diese Hemmnisse aus einer fehlenden Kooperation der verschiedenen Akteure<br />

und Gremien sowie mangelnder Abstimmung und nicht erbrachten Gefügeleistungen zwi-<br />

schen bzw. von:<br />

den ASIG-Akteuren/Abteilungen,<br />

Personalabteilung und Arbeits-<br />

schutz/Betriebsärzten/Sozialberatung/Gesundheitsförderung,<br />

obigen Akteuren und weiteren gesundheitsrelevanten Dienstleistern wie Einkauf, IT,<br />

Arbeitsvorbereitung etc.,<br />

den zuvor genannten Akteuren und dem Linienmanagement bzw. den Führungskräften<br />

nachgelagerten Führungsebenen.<br />

Die Hemmnisse der betrieblichen Gesundheitspolitik betreffen zum einen die unklar geregel-<br />

ten Kompetenzen (z. B.: Wer koordiniert was mit wem, und wie sind die Zuständigkeiten ge-<br />

regelt?). Ein weiteres Hemmnis besteht darin, dass es trotz der Vielzahl durchgeführter<br />

Maßnahmen und Projekte in den seltensten Fällen eine konstruktive gesundheitsbezogene<br />

Wirkungskontrolle gibt mit der der PDCA-Zyklus abgeschlossen bzw. neu in Gang gesetzt<br />

wird. Ein drittes Hemmnis liegt in der mangelnden übergreifenden Zielsetzung eines umfas-<br />

senden Gesundheitsmanagements. So ist nicht immer klar geregelt, welche Ziele mit einzel-<br />

nen Maßnahmen verfolgt werden und wie nachgelagerte Hierarchieebenen die gesundheits-<br />

politischen Ziele in betriebliche Routinen integrieren sollen.<br />

309


Beteiligungs- bzw. Mitbestimmungskultur<br />

Die Beteiligungs- bzw. Mitbestimmungskultur stellt für die betriebliche Gesundheitspolitik ein<br />

wesentliches Element dar und ist Teil der sie strukturierenden betrieblichen Bedingungen. Im<br />

Rahmen der Mitbestimmungskultur werden als Hemmnisse insbesondere die Unsicherheit<br />

im betrieblichen Umgang mit Gesundheitsthemen, offen oder versteckt vorhandene, einge-<br />

fahrene Konfliktlösungsroutinen sowie eine mögliche Disbalance von Wissen und Kompe-<br />

tenzen zwischen den Betriebsparteien gesehen.<br />

Die Unsicherheit im betrieblichen Umgang mit Gesundheitsthemen beziehen sich zum einen<br />

auf Unklarheiten in Hinblick auf Erfordernis und Grenzen der Mitbestimmung bei solchen<br />

Themen, zum anderen auf die Dominanz rechtsbasierter Kommunikation und daraus resul-<br />

tierender juristischer Strategie- und Konfliktlösungen.<br />

Es finden dabei selten konstruktiv-rationale Argumentationen statt, wie das Thema Gesund-<br />

heit im Unternehmen verortet werden kann. Vielmehr wird die Frage, ob und in welchem<br />

Ausmaß Mitbestimmung besteht zur Hauptkonfrontationszone, die in der Regel dann juris-<br />

tisch ausgefochten wird.<br />

Polarisierungen dieser Art werden noch befördert von der – in beiderseitigem Einvernehmen<br />

– Tabuisierung einer möglichen Eskalation des Konfliktes vor der Einigungsstelle. Vielmehr<br />

suchen diese Betriebsparteien nach Lösungen, die „im Haus“ bleiben, auch wenn damit ein<br />

unbefriedigender Zustand einzementiert wird.<br />

Diese hemmenden Szenarien können häufig auf unterschiedliche Wissens- und Kompetenz-<br />

zustände der Betriebsparteien zurückgeführt werden. Festzustellen ist dabei auch, dass das<br />

Thema Gesundheit auf Seiten des Arbeitgebers, meist nachrangig an die Personalabteilung<br />

delegiert oder lediglich im Rahmen seitens der Versicherungsträger „gesponserter Gesund-<br />

heitsförderung“ bedient wird. Entsprechend ist Gesundheit kein Chefthema (mehr) und be-<br />

darf keiner weiteren Befassung auf diesem Level.<br />

Betriebsrat als Akteur<br />

Der Betriebsrat als Akteur kann differenziert werden in das Gremium als Ganzes und in Ein-<br />

zelpersonen. Aus beiden Sichtweisen ergeben sich Hemmnisse für die Umsetzung eines<br />

ganzheitlich orientierten BGM.<br />

Innerhalb des Betriebsratsgremiums wird Gesundheit oftmals – korrespondierend mit den<br />

mangelnden Ressourcen – an eine Person oder an einen Ausschuss delegiert („Dann macht<br />

mal!“). Das Thema Gesundheit wird dann nicht als Querschnittsaufgabe verstanden. Hem-<br />

mend kann es sich auch auswirken, wenn der Vorsitzende bzw. der Geschäftsführende Aus-<br />

schuss des Betriebsrats das Thema Gesundheit bzw. BGM nicht zur „Chefsache“ machen.<br />

Wenn diese Schlüsselperson nicht überzeugt und kompetent das Thema Gesundheit auf-<br />

310


nimmt und entsprechend das Gremium orientiert, wird sich nur selten eine relevante Initiativ-<br />

und Treiberfunktion des Betriebsrates entwickeln. Ausnahmen sind diejenigen Betriebsrats-<br />

initiativen zur operativen Weiterentwicklung schon installierter und bewährter AuG-Prozesse<br />

mit Praktiken, die aber höchstens selektiv die Herausforderungen der derzeitigen Gesund-<br />

heitspolitik aufzugreifen in der Lage sind. Diese selektiven Motorfunktionen verlaufen in der<br />

Regel auch in den dafür vorgesehenen Wegen und Gremien, die sich wiederum häufig<br />

schwer tun, neue Themen und Praktiken (z. B. psychische Belastungen und integrierte Ge-<br />

fährdungsbeurteilungen) aufzugreifen.<br />

Beide Aspekte können sich in ihrer Wirkung potenzieren. Als Folge hiervon – aber auch als<br />

ein eigenständiges Hemmnis – kann sich das Gesundheitsverständnis im gesamten Gremi-<br />

um eher klassisch-schutzorientiert ausprägen. Nicht beseitigte Unsicherheiten bei den The-<br />

men psychischer Belastungen und Salutogenese können dazu führen, in diesem Verständnis<br />

zu verharren. Schließlich kann das Gremium die Komplexität des Themas und den Umfang<br />

der (Mitbestimmungs-)Aufgaben erahnen. Als Konsequenz werden eigentlich notwendige<br />

Diskussionen um das Thema Gesundheit verdrängt und andere (alte) Prioritäten beibehal-<br />

ten.<br />

Als Wahlgremium im Vier-Jahresrhythmus muss außerdem das Thema Gesundheit, wenn es<br />

nachhaltig in Richtung eines BGM entwickelt werden soll, für die Beschäftigten sichtbar und<br />

spürbar betrieben werden.<br />

Bei hoch engagierten und aufgrund persönlicher Erfahrungen motivierten „Gesundheitsakti-<br />

visten“ aus dem Betriebsrat besteht die Gefahr, sich ständig unter Druck zu setzen und die<br />

„Widersacher“ mit z. T. moralischen Argumenten zu bedrängen. Dies kann dazu führen, we-<br />

niger ernst genommen oder sogar ausgegrenzt bzw. gemieden zu werden. Daran kann sich<br />

ein noch stärkeres (verzweifeltes) Engagement bis hin zu einem Teufelskreis entwickeln,<br />

aber auch Resignation eintreten.<br />

Wie oben bereits für das gesamte Gremium konstatiert, können des weiteren Tabuthemen<br />

(z. B. psychische Krankheiten), die Komplexität des Themas und Unsicherheiten in Mitbes-<br />

timmungs- und Verfahrensfragen zu einer Überforderung von Einzelpersonen führen und so<br />

die Abwehr und Verdrängung der Probleme begünstigen. Dies muss nicht nur Gesundheits-<br />

akteure aus dem Betriebsrat betreffen. Schließlich sei ein Hemmnis erwähnt, nach dem sich<br />

Betriebsräte als „Sozialberater“ sehr mit dem Einzelfall (z. B. auch im BEM) befassen und<br />

sich daher zu wenig Raum für strukturelle und verhältnispräventive Gesundheitspolitik las-<br />

sen.<br />

311


9. Handlungsempfehlungen des Projektes<br />

Handlungsempfehlungen haben generell den schmalen Grat zu beachten, der einerseits<br />

durch den Anschein von „Besserwisserei“, andererseits durch das Hase-Igel-Phänomen<br />

(„Machen wir doch schon lange so!“) markiert wird.<br />

Aber im Rahmen dieses explorativen Projekt kommt noch eine weitere Problematik hinzu:<br />

Das Vexierbild von fehlender Verallgemeinerbarkeit aus der einen und die Tiefenschärfe der<br />

empirischen Ergebnisse aus der anderen Sicht.<br />

Wohl wissend, dass auch der in Kapitel 8 erfolgte Versuch einer vorsichtigen Generalisie-<br />

rung von Strukturen sowie Akteurs- und Prozesskonstellationen, die Einfluss auf die Motor-<br />

funktion des Betriebsrates in der betrieblichen Gesundheitspolitik haben, das „Dilemma“<br />

nicht gänzlich zu lösen im Stande ist (vgl. auch Pongratz und Trinczek 2010), sollen für fol-<br />

gende Bereiche Empfehlungen gegeben werden:<br />

1) Strategie- und Zielentwicklung aus Betriebsratssicht<br />

2) Wissens- und Kompetenzbildung<br />

Diese Fokussierung unserer Empfehlungen basiert zum einen auf dem im Kapitel 8.2 zuge-<br />

spitzten Phänomen, dass eine Vielzahl von Hemmnissen zwar auf Wissens- und Kompe-<br />

tenzdefiziten fußt, zugleich aber – je nach Prozesskonstellation – von Ziel- und Strategie-<br />

Problemen überlagert wird und in der Folge davon relativ stabile Blockierungen einer Weiter-<br />

entwicklung ergeben können.<br />

Des Weiteren bietet diese Zuspitzung von Empfehlungen sowohl internen als auch externen<br />

Akteuren (Betriebsräte, Geschäftsführer und Gesundheitsakteure auf der einen, Bildungsan-<br />

bieter, Verbände, Berater, Einigungsstellenvorsitzende auf der anderen Seite) die Möglich-<br />

keit, ihre derzeitige Praxis mit ihnen zu spiegeln und sich ggf. von ihnen anregen zu lassen.<br />

Damit im Folgenden Redundanzen vermieden werden, sollen den jeweiligen Empfehlungen<br />

nicht alle Facetten ihrer Begründung aus den Projektergebnissen beigefügt werden. Ein je-<br />

weils kursorischer Bezug wird für ein Verständnis ausreichen.<br />

Zur Strategie- und Zielentwicklung aus Betriebsratssicht<br />

Greift man das Konzept der vier Prozesskonstellationen (vgl. Kapitel 8.1) auf und verfolgt<br />

quasi rückwärts die Bedingungen, die Ökonomie und Kräfte, die den Entwicklungen zugrun-<br />

de liegen, so ergeben sich für die Betriebsräte jeweils sehr unterschiedliche Ausgangsbedin-<br />

gungen, die eine positive, auf ein integriertes BGM zielende Dynamik bzw. die Überwin-<br />

dung/Transformation der jeweiligen Prozesskonstellation begünstigen oder hemmen.<br />

Spätestens seit Kurt Lewin wissen wir, dass der Bearbeitung von „negativen Kräften“, also<br />

das Abbauen von Hemmungen, die Personen bzw. Organisationen daran hindern, erfolgrei-<br />

312


che Strategien zu entwickeln, ein Vorrang eingeräumt werden sollte. Das bedeutet jedoch<br />

keineswegs eine Vernachlässigung der Herausarbeitung und Stabilisierung schon wahrge-<br />

nommener Chancen und „positiver“ Kräfte. Vielmehr reflektiert diese Fokussierung auf die<br />

Hemmungen zweierlei: Einmal ist es in der Regel viel aufwendiger und schwieriger Hemm-<br />

nisse abzubauen und ggf. die Kräfte, die den Zielen entgegenstehen, zu neutralisieren oder<br />

sie auf die eigene „Seite“ zu ziehen. Zum anderen fokussieren die gängigen Interventions-<br />

und Überzeugungsmuster in der betrieblichen Gesundheitspolitik auf die Nutzen-<br />

Argumentation und entlassen die nicht Einsichtigen häufig impliziert als „Ungläubige“ oder<br />

„unbelehrbare Verschwender“ betriebspolitischer Potenziale (Betriebsräte) oder gar von<br />

(Human-)Ressourcen (Arbeitgeber).<br />

Unsere Empfehlungen aus den Fallstudien und insbesondere auch aus den Feedback-<br />

Workshops greifen entsprechend vorrangig die Hemmnisse auf, die im Betriebsrat einer der<br />

jeweiligen Prozesskonstellation angemessenen Strategiebildung entgegenstehen. Sie aufzu-<br />

decken, ernst zu nehmen und dann zu bearbeiten ist dabei die Grundorientierung.<br />

Dafür macht es Sinn, sowohl für interne als auch externe Changeagents – sich z. B. der<br />

Hemmungen zu bedienen, die wir in Kapitel 8.2 zusammengefasst haben.<br />

Aber auch für die Interventionsangebote der Gewerkschaften ist der Respekt vor den Prob-<br />

lemen und Hemmungen der Betriebsräte eine wesentliche Erfolgsbedingung. Erst ein nicht<br />

schulmeisterliches Aufgreifen von Bedenken, Befürchtungen, strategischen Dilemmata, Frik-<br />

tionen in den Mitbestimmungskulturen etc. signalisiert die Ernsthaftigkeit eines Unterstüt-<br />

zungsangebots und lässt den ggf. aufkommenden Beigeschmack einer Instrumentalisierung<br />

für andere Zwecke nicht aufkommen.<br />

Wichtig für diese Vorgehensweise ist, dass nicht sofort die gesamte Komplexität der laufen-<br />

den Gesundheitspolitik, also auch der Arbeitgeber und der Gesundheitsakteure, in die Be-<br />

trachtung der Handlungskonstellation einbezogen wird. Der Anfang sollten möglichst mit der<br />

personellen, organisatorischen und wissensbezogenen Aufstellung des Betriebsrats in der<br />

betrieblichen Gesundheitspolitik gemacht werden – sprich: die Positionierung und strategi-<br />

sche Ausrichtung sollte zunächst innerhalb des Betriebsratsgremiums erfolgen.<br />

Beispielsweise macht es wenig Sinn über die Beweggründe des Arbeitgebers zu spekulie-<br />

ren, die laufende Gesundheitsförderung nicht zu einem integrierten BGM auszubauen, wenn<br />

im Betriebsrat selbst explizite und verdeckte Bedenken gegenüber einer solchen Entwick-<br />

lungsperspektive bestehen (z. B. Autonomieverlust im Themenbereich Gesundheit oder/und<br />

Co-Management vers. Konflikt-Kultur).<br />

Ebenso unfruchtbar und für die jeweils betroffenen engagierten Betriebsratsmitglieder aufrei-<br />

bend sind die Hemmungen/Ungeklärtheiten auf dem Terrain der Prioritäten, Synergien,<br />

313


Querschnittsaufgaben, die eine offensive Motorfunktion des Betriebsrats in der Gesundheits-<br />

politik nachhaltig behindern.<br />

Da viele Betriebsräte zu einer solchen „Selbstreflexion“ nur schwerlich in der Lage sind<br />

(Münchhauseneffekt), macht es Sinn, diesen Prozess einer gesundheitspolitischen Strategie-<br />

findung „moderieren“ zu lassen. Aber auch solche vielfach als „Teambildungsprozesse“ be-<br />

lächelten Interventionen wird vielfach Widerstand entgegengesetzt, nicht zuletzt da sich be-<br />

währte Fronten, Abhängigkeiten und Aufgaben im Betriebsrat verschieben könnten. Einmal<br />

mehr hat hier die Rolle des Vorsitzenden ein großes Gewicht und das in jeder Beziehung.<br />

Über diese generellen Empfehlungen hinaus sollen im Folgenden zu den einzelnen Prozess-<br />

konstellationen einige Vorstellungen beschrieben werden, die ein BGM förderliches Navigie-<br />

ren von Betriebsräten in den Prozesskonstellationen oder gar eine Transformation derselben<br />

begünstigen.<br />

Handlungsempfehlungen für die Prozesskonstellation „Stagnation/Zufriedenheit“<br />

Diese Prozesskonstellation ist, wie schon aufgezeigt, durch eine relative Stabilität gekenn-<br />

zeichnet: Es funktioniert, und das augenscheinlich für alle Beteiligten (vgl. Kapitel 8.1).<br />

Die typischen Stabilisatoren (Case Worker, blinder Fleck: Psychische Belastungen etc.) die-<br />

ser Konstellation sind selbst Bestandteil der Betriebsratskultur und Praxis.<br />

Für Betriebsratsmitglieder oder/und Berater/Gewerkschafter, die angesichts der Herausfor-<br />

derungen insbesondere sichtbarer Belastungsveränderungen in den Arbeitssystemen diese<br />

Zufriedenheit und Stagnation als nicht mehr für angemessen halten, ist es erfolgsentschei-<br />

dend, die derzeitige Praxis wertzuschätzen und nicht über „gute Praxis“ oder BGM-<br />

Referenzmodelle abzuqualifizieren.<br />

Wertschätzung bedeutet aber nicht Widersprüche, (Wissens-)Defizite und „Selbstzufrieden-<br />

heiten“ gut zu heißen. Vielmehr geht es dabei um die Herausarbeitung ihrer positiven Aspek-<br />

te, ihrer Grenzen und Anschlussfähigkeiten an die neuen Herausforderungen.<br />

Wenn ein Betriebsratsgremium sich einer auch solchen Diskussion verweigert („zurzeit nicht<br />

wichtig“), bleibt nur noch das Warten auf externe oder interne Ereignisse, die die alte Ord-<br />

nung in Bewegung zu bringen in der Lage sind. Abwarten, Anknüpfungspunkte und Anlässe<br />

aufgreifen und nicht penetrant und vorwurfsvoll das Thema bemühen zu können ist die<br />

Schlüsselkompetenz der Gesundheitsaktivisten in dieser Konstellation.<br />

Handlungsempfehlungen für die Prozesskonstellation „Polarisierung“<br />

Es ist ab einem bestimmten Punkt („point of no return“) unerheblich, wer die betriebliche<br />

gesundheitspolitische Auseinandersetzung hauptsächlich zugespitzt hat, sich verweigert,<br />

blockiert oder nach dem Richter ruft. Der Prozess gewinnt eine Eigendynamik, die letztlich<br />

314


über die betriebsverfassungsrechtlichen Rituale bestimmt, aber nicht zwangsläufig über sie<br />

gelöst wird.<br />

Da nicht nur Arbeitgeber in einer solchen Situation der zeitlichen Verschiebung des „Unver-<br />

meidlichen“ – beispielsweise einer Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen – poli-<br />

tisch zu profitieren scheinen, sondern auch Betriebsräte sich im Vorfeld realer Gestaltungs-<br />

verantwortung zu stabilisieren in der Lage sind, ist es zur Vermeidung von „Pyrrhussiegen“<br />

entlang der juristischen Auseinandersetzung (Betriebsräten) zu empfehlen, auch über geeig-<br />

nete Zeitpunkte und Verfahren der Deeskalation nachzudenken.<br />

Beispielsweise haben sich hierfür gemeinsame (Arbeitgeber und Betriebsrat) Informations-<br />

veranstaltungen zum strittigen Thema mit erfahrenen Fachleuten bewährt. Aber auch ein<br />

bewusstes, einen gemeinsamen Lernprozess ermöglichendes Abrücken von so genannten<br />

„Maximalforderungen“ kann zum geeigneten Zeitpunkt die letztlich gemeinsam zu betreiben-<br />

de Gesundheitspolitik wieder in die Spur bringen. Dies gelingt insbesondere dann, wenn ein<br />

großes Wissensgefälle von Betriebsrat zur Geschäftsführung besteht oder auf beiden Seiten<br />

(zu) wenig konkrete Vorstellungen darüber existieren, wie man ein konkretes BGM oder eine<br />

Gefährdungsbeurteilung macht:<br />

Handlungsempfehlungen für die Prozesskonstellation „Orientierend (Neues Terrain erkun-<br />

dend)“<br />

Damit eine polarisierte Prozesskonstellation nicht auf die Dauer für beide Seiten Macht- und<br />

Sozialkapital verzehrend wirkt, ist es wichtig, möglichst gemeinsam neue orientierende<br />

Schritte zu vereinbaren. Da bspw. eine Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen in<br />

der Regel für beide Seiten eine mit vielen Befürchtungen, Erwartungen und objektiven Un-<br />

wägbarkeiten verbunden ist, sind Pilotierungen von Instrumenten, Verfahren und Entschei-<br />

dungsprozesse über Verbesserungsmaßnahmen ein probater Weg.<br />

Hierzu bedarf es unserer Empfehlung nach keiner elaborierten und mit viel Aufwand ausge-<br />

handelten Betriebsvereinbarung, sondern eine verfahrensorientierte „Regelungsabrede“<br />

reicht in der Regel aus. Wichtig ist jedoch bei jeder Pilotierung, dass vorab die Ziele, die Kri-<br />

terien der Beurteilung und das Zeitfenster für die ggf. erforderliche Modifizierung, sowie das<br />

Roll-Out festgelegt werden. Damit kann dem berüchtigten „Treibhauseffekt“ vorgebeugt wer-<br />

den, ohne einen gemeinsamen Lernprozess die Luft zu nehmen.<br />

Einigungsstellenvorsitzenden ist entsprechend anzuraten, solche Lernprozesse zu initiieren,<br />

gar im Zweifel per Spruch zu evozieren, denn vielfach sind wenig praktikable Betriebsverein-<br />

barungen die Quelle weiterer Polarisierungen oder/und versandender Engagements auf Sei-<br />

ten der Betriebsräte.<br />

315


Weiterhin sind Betriebsräte gut beraten, wenn sie sich für einen gemeinsamen Erkundungs-<br />

prozess in Richtung eines integrierten BGM oder eines BEM in aller Vorsicht entschieden<br />

haben, darauf hinzuwirken, Fachberatung aus einer Hand anzuschieben, zumindest aber<br />

nicht dem Streit von Sachverständigen die politischen Bühne zu überlassen. Entsprechend<br />

ist die Auswahl derselben neben strategischen und fachlichen Kompetenzen auch an der<br />

potenziellen Akzeptanz für beide Seiten zu orientieren.<br />

Handlungsempfehlungen für die Prozesskonstellation „Kohärenter Lernprozess“<br />

Da unsere Befunde eindeutig aufzeigen, dass eine betriebsrätliche Vorstellung eines inte-<br />

grierten BGM kaum existiert (vgl. u. a. S. 265) und es von daher auch nicht verwundert, das<br />

weder ein integriertes gesundheitsbezogenes Politikmodell die Betriebsräte orientiert, noch<br />

Gesundheit als Querschnittsaufgabe positiv erlebt wird, sind vielfach die Gremien von einem<br />

kohärenten Lernprozess noch weit entfernt. Dies gilt auch für den Fall, dass der Arbeitgeber<br />

signalisiert, dass er sich auf einem entsprechenden Weg machen und sein BGM nach einem<br />

Standard in zwei Jahren auditieren lassen möchte.<br />

Unsere Empfehlungen für den Einstieg und das Kurshalten von Betriebsräten in dieser Pro-<br />

zesskonstellation sind folgende:<br />

eine intensive Befassung mit dem Thema BGM als integriertes Managementsystem<br />

(operativ) beispielsweise anhand verschiedener Referenzmodelle/Standards<br />

intensive Befassung mit dem Thema BGM als integriertes Managementsystem,<br />

d. h. auf beiden Seiten muss eine Akzeptanz und Verträglichkeit eines Co-<br />

Managements hergestellt werden, und die Entwicklungsprozesse müssen mit entspre-<br />

chenden (politischen und fachlichen) Ressourcen ausgestattet werden<br />

eine Zielsetzung und Planung erarbeiten, wie und wann Gesundheit als Querschnitt-<br />

saufgabe aller anderen betriebsrätlichen Politikbereiche werden soll<br />

Vereinbarung von verbindlichen (jährlichen) Überprüfungen der mit diesem Weg ver-<br />

folgten Ziele des Betriebsrats und ihrer Resonanz auf Seiten der Beschäftigten<br />

Dabei sollten die anfangs formulierten Bedenken, Befürchtungen, strategischen Widersprü-<br />

che und Unsicherheiten gewertschätzt d. h. wieder auf den Tisch kommen und mit der realen<br />

Entwicklung gespiegelt werden: die (Mit-)Entwicklung und (Mit-)Führung eines verantwortli-<br />

chen „Gesundheitsmanagers“ ist als eine Daueraufgabe des Betriebsrats einzuplanen; das<br />

Controlling und die Motorfunktion des Betriebsrats ebenfalls.<br />

Zur „Wissens- und Kompetenzbildung“<br />

Die obigen Empfehlungen zum strategischen Umgang mit gesundheitspolitischen Dilemma-<br />

ta, Hemmungen und Orientierungen, haben – wie schon bemerkt – immer auch eine Wis-<br />

316


sens- und Kompetenzkomponente. Diese muss nicht alleine als bloßes Defizit daherkom-<br />

men, sondern ist nicht selten auch durch die Verteilung von Wissen im Betriebsratsgremium<br />

und im Verhältnis zur Geschäftsführung sowie bei den anderen Gesundheitsakteuren ein<br />

wesentlicher Hemmfaktor. Desweiteren haben wir in Kapitel 5.3 im Rahmen unserer Recher-<br />

che aufzeigen können, dass es für die Betriebsräte ein breites Angebot an Qualifizierungs-<br />

möglichkeiten in dem Themenfeld Gesundheit gibt, das mehr oder weniger die Herausforde-<br />

rungen an die Betriebliche Gesundheitspolitik aufgreift. Allein der Bereich eines integrierten<br />

BGM war als wenig besetzt gekennzeichnet worden (vgl. S. 45 ff). Wenn es scheinbar schon<br />

alles und in sicherlich angemessener Qualität gibt, sind augenscheinlich die Hemmungen,<br />

diese Angebote zielgerichtet zu nutzen, immer noch sehr groß bzw. systemisch gesehen<br />

dem Kontext der betriebsrats- und betriebsspezifischen Prozesskonstellationen geschuldet.<br />

An dieser Stelle setzen unsere Empfehlungen zur Wissens- und Kompetenzentwicklung an.<br />

Die folgenden Empfehlungen, die sich an Bildungsträger, Berater und Einigungsstellenvorsit-<br />

zende und nicht zuletzt an Ihre Kunden richten, sind auf zwei Aspekte fokussiert:<br />

a) den Ausgleich von Wissensgefällen in der Organisation und die unterschiedliche Allokati-<br />

on von Wissen/Kompetenzen bei verschiedenen Akteuren bzw. Akteursgruppen;<br />

b) die didaktische Orientierung an betriebsspezifischen Lernprozessen, da die Bearbeitung<br />

von Hemmnissen in spezifischen Prozesskonstellationen nur mit unmittelbarem Organi-<br />

sationsbezug möglich ist. Wissenschaftlich basiertes Wissen zu Gesundheit und arbeits-<br />

bedingten Risiken sowie nutzenorientierte Ziel- und Strategiemuster sind dagegen eher<br />

noch betriebsunabhängig vermittelbar.<br />

Zu a) Ausgleich von Wissensgefällen:<br />

Wenn es um Wissensgefälle geht, stehen in erster Linie Betriebsratsvorsitzende und Ge-<br />

schäftsführer in doppelter Weise im Fokus. Zum einen sind Sie häufig im Verhältnis zu Ihren<br />

Gremien bzw. Stäben nicht ausreichend orientiert/informiert, zum anderen sind die Betriebs-<br />

räte in der Regel gesundheitsbezogen besser in Kenntnis als Vorstände und Geschäftslei-<br />

tungen. Von daher bietet es sich an, Orientierungsangebote für Betriebsratsvorsitzende (ca.<br />

einen halben Tag) anzubieten, die:<br />

betriebsübergreifend (auch) gemeinsam mit Geschäftsführern oder<br />

als betriebliches „Events“ gemeinsam mit Geschäftsführern<br />

organisiert werden. Die Themen sollten stark konflikt- und vorurteilsbelastet sein, wie bei-<br />

spielsweise psychische Belastungen, Präsentismus, BGM, „Pflicht und Kür im Arbeits- und<br />

Gesundheitsschutz“ etc., um schon hier vorhandene Hemmungen und Befürchtungen ge-<br />

meinsam aufgreifen und bearbeiten zu können.<br />

317


Die zweite Zielgruppe einer Homogenisierung von Wissen sind die Gesundheitsakteure und<br />

Personaler im Verhältnis zu den Betriebsräten. Hier sollten komplexitätsreduzierende Ange-<br />

bote (strukturiertes orientierendes Fachwissen, Auswahlkriterien, Standards etc.) zu Metho-<br />

den/Instrumenten z. B. der Gefährdungsbeurteilung, vor allem psychischer Belastungen,<br />

Maßnahmen- und Gestaltungsoptionen, Spielregeln, „Pflichten und Kür“, sowie zu integrier-<br />

tem BGM darauf zugeschnitten werden, eine gemeinsame Wissensbasis zu erzeugen und<br />

ggf. sogar „gemeinsame“ Barrieren und Vorurteile abzubauen. Neben den fachlichen Aspek-<br />

ten und Auswahloptionen sollte vor allem der Rollenklärung im Prozess einer sich dynamisch<br />

entwickelnden betrieblichen Gesundheitspolitik ein wesentlicher Zeitanteil des Angebots ein-<br />

geräumt werden. Entsprechend kann das Qualifizierungsangebot betrieblich (Kon-<br />

zern/Großbetrieb) als auch überbetrieblich angeboten werden.<br />

Eine dritte Zielgruppe, die bislang in den einschlägigen Weiterbildungsangeboten relativ we-<br />

nig Beachtung findet, aber für einen präventiven Gesundheitsschutz und ein integriertes<br />

BGM eine wichtige Rolle spielt, sind die Projektleiter und Berater, die für betriebliche Pro-<br />

zessoptimierung, Six-Sigma, IT-Projekte oder Reorganisationsprozesse etc. verantwortlich<br />

zeichnen. Sie sind in der Regel mit Kenntnissen über die Auswirkungen ihrer Projekte auf die<br />

Gesundheit und das Wohlbefinden der Betroffenen nebst alternativen Gestaltungsmöglich-<br />

keiten selten belegt. Darüber hinaus erscheinen Betriebsräte ihnen zudem eher als „Stören-<br />

friede“ ihrer Projektordnungen. Auf der anderen Seite absorbieren Veränderungsprojekte<br />

ohne betriebsrätliche Einbindung und Beachtung menschengerechter Arbeitsgestaltung die<br />

Betriebsratsarbeit sehr. Hier können gemeinsame Qualifizierungsangebote, die wertschät-<br />

zend die Probleme der Projektverantwortlichen und Betroffenen aufgreifen und die konstruk-<br />

tive sowie die unterstützende Rolle der Betriebsräte thematisieren, großen Nutzen stiften.<br />

Realistischer weise dürfte die aktuelle Nachfrage für solche Angebote noch sehr stark von<br />

klaren Vorgaben der Top-Ebene, also z. B. von einer Entscheidung eines „Steuerkreises<br />

Gesundheit“ abhängen.<br />

Schließlich sollten auch Einigungsstellenvorsitzenden und Arbeitsrichtern, die nicht nur in<br />

polarisierten Prozesskonstellationen die Aufgabe haben, die betriebliche Gesundheitspolitik<br />

aus dem juristischen Fahrwasser zu leiten, spezifische Weiterbildungsangebote zu den fach-<br />

lich strittigen Themen wie z. B. psychische Belastungen, Gefährdungsbeurteilung angeboten<br />

werden In all diesen Angeboten sollte vor allem die praktische Vision/Orientierung an einem<br />

integrierten BGM-Prozess wesentlicher Bestandteil der Arbeit sein. Auch sollten hier die<br />

Vorurteile, Hemmungen, Unsicherheiten und Wissensdefizite auf Seiten der Arbeitgeber,<br />

aber auch auf Seiten der Betriebsräte aufgegriffen werden, damit auch hier die juristische<br />

Regelung produktive Lernprozesse in der Gesundheitspolitik mehr als bislang zu eröffnen in<br />

der Lage ist.<br />

318


Zu b) Didaktische Orientierung an betriebsspezifischen Lernprozessen<br />

Es kann nicht die Aufgabe von Empfehlungen aus diesem Projekt sein, profunde didaktische<br />

Konzepte zu entwerfen und vorzustellen. Vielmehr müssen wir uns darauf beschränken, ei-<br />

nige Anregungen auf der Grundlage unserer Projektergebnisse zu geben:<br />

Die wesentliche Empfehlung, die wir angesichts der Bedeutung betriebsrätlicher Hemmun-<br />

gen sich aktiv auf den Weg zu einem integrierten BGM zu machen, ist die Verbindung zwi-<br />

schen Wissensvermittlung und organisationalem Lernen. Diese Verbindung kann unseres<br />

Erachtens nicht nur mit dem seminarüblichen „Die Teilnehmer dort abholen, wo sie stehen“,<br />

also einer Wissensvermittlung mit einer betrieblichen und persönlichen Ankerung erreicht<br />

werden, sondern bedarf darüber hinaus Konzeptionen, die über längere Zeit (mindestens ein<br />

Jahr) mit den Teilnehmern und ihren betrieblichen Erfahrungen im Wechselspiel zwischen<br />

Wissensaneignung und Erfahrungsbildung arbeiten. In solchen Konzepten, die beispielswei-<br />

se von ver.di NRW im Rahmen von „Faire Arbeit“ erprobt wurden, sollen Beratung, Erfah-<br />

rungsaustausch und Wissens-und Sozialkompetenzvermittlung in einer Seminarsequenz von<br />

„2+1+1+1“ Tagen zusammengeführt werden:<br />

Die sachlichen Themen (psychische Belastungen, rechtliche Situation etc.) und Methoden-<br />

vermittlung (z. B. Kraftfeldanalyse, Belegschaftsbefragung) einer solchen Sequenz werden<br />

über eine wissensangleichende Einführung hinaus durch die Prozesskonstellationen der<br />

Teilnehmern und deren reale Bearbeitung im Betrieb bestimmt. Die Entwicklung von . kon-<br />

kreten „Hausaufgaben“ und deren Erfolge, Auswirkungen und Probleme nach einem Viertel-<br />

jahr bieten dabei den jeweiligen Lernimpuls. Wenn sich nach Ablauf einer solchen Sequenz<br />

noch weitere gemeinsame Aktivitäten der Teilnehmerinnen in Richtung Netzwerk ergeben,<br />

ist das sicherlich ein wünschenswerter Nebeneffekt.<br />

Doch auch bei solchen Konzepten ist zu beachten, dass die reale Ungleichzeitigkeit der be-<br />

triebliche Prozesse und die verschiedenen jeweils repräsentierten Prozesskonstellationen<br />

die noch zu verarbeitende Vielfalt überschreiten kann und entsprechende Segmentierungen<br />

der Teilnehmer/Betriebe nach sich ziehen muss. Weiterhin ist auch hier darauf zu achten,<br />

dass die Rückbindung im Betriebsrat, insbesondere an den Vorsitz bzw. geschäftsführenden<br />

Ausschuss stattfindet. Schließlich macht es auch hier Sinn, dass mindestens zwei Betriebs-<br />

räte je Betrieb teilnehmen, die dann ggf. auch „Gäste“ aus der Personalabteilung oder Fach-<br />

kräfte mitbringen können.<br />

Solche Lernkonzepte können natürlich auch als Weiterbildung für Gesundheitsakteure mit<br />

Betriebsräten zusammen angeboten werden, in denen dann verstärkt die Rollenklärung der<br />

Beteiligten und die Strategieentwicklung einen breiten Raum einnehmen sollte.<br />

Welchen thematischen Anlass solche Angebote schließlich aufgreifen sollen/können, ist si-<br />

cherlich von Branche zu Branche und zielgruppenspezifisch auszuloten. Doch werden sich<br />

319


auf Grund der in unseren Fallstudien und Interviews gefunden Defizite, Mythen und Vorurtei-<br />

le die Themen:<br />

psychische Belastungen, Salutogenese, Gefährdungsbeurteilung (Methoden und Ver-<br />

fahren), menschengerechte Arbeitsgestaltung, integriertes BGM als Struktur und Pro-<br />

zess,<br />

komplexitätsreduzierende Angebote (strukturiertes orientierendes Fachwissen, Aus-<br />

wahlkriterien, Standards etc.),<br />

strategisch orientierende Angebote für die betriebsrätliche Entscheider zu spezifischen<br />

Themen und<br />

begleitende Umsetzungsworkshops/Sequenzen zur betrieblichen Praxis<br />

zielführend kombinieren lassen.<br />

Abschließend sei daran erinnert, dass eine wesentliche Hürde für die betriebsrätliche Motor-<br />

funktion betrieblicher Gesundheitspolitik in der schwierigen Integration der Gesundheitsarbeit<br />

als Querschnittsaufgabe und der „Koexistenz“ von Konflikt- und Co-Management bzw. Pola-<br />

risierung und Mitgestaltung bei der Durchsetzung/Entwicklung von BGM und in Kombination<br />

bzw. Kontrast mit anderen Politikfeldern liegt. Diese immer wieder auch in persönlichen Dis-<br />

sonanzen und strategischen Widersprüchen Ausdruck findenden Dilemmata, lassen sich<br />

selten über/in klassischen betriebsübergreifenden Weiterbildungsveranstaltungen zielführend<br />

bearbeiten. Hier sollten die ganzen Gremien beraten, ggf. mediiert, und entwickelt werden.<br />

Dies verweist einmal mehr auf die Rolle der (Betriebsräte-)Berater, die auf diesem Terrain<br />

der Kompetenz- und Wissensvermittlung besondere Verantwortung tragen. Sie sollten aus<br />

unserer Projektsicht vor allem:<br />

auf die Wissensentwicklung im Unternehmen orientieren,<br />

Wissensgefälle zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber abbauen (möglichst auf beiden<br />

Seiten gleiche „Bilder“ erzeugen und damit eine tragfähige Kommunikationsbasis<br />

schaffen),<br />

widersprüchliche Mitbestimmungskulturen, Prozesskonstellationen strategische Unsi-<br />

cherheiten und Dilemmata zum expliziten Gegenstand machen (z. B.: Was kommt<br />

nach der „Polarisierung“?),<br />

(Pilot-)Projekte als „Lernorte“ fördern und mit klaren Lernzielen für die betrieblichen<br />

Akteure belegen und controllen helfen,<br />

Gesundheitspolitik als auch immer stark „persönlich“ strukturiertes Terrain (Vorurteile,<br />

Erfahrungen, Betroffenheit etc.) bearbeiten.<br />

Trotz eines anderen Rollensets tragen auch Einigungsstellenvorsitzende und Arbeitsrichter<br />

hier über den juristischen Diskurs Mitverantwortung für lernförderliche Entwicklungen auf<br />

320


dem Weg zu einem integrierten Betrieblichen Gesundheitsmanagement. Auch für sie sind<br />

geeignete Weiterbildungsangebote möglichst auf der Basis von authentischen Fallkonstella-<br />

tionen anzubieten. Hier bietet sich auch die Einbeziehung von Betriebsräten und beispiels-<br />

weise Personalern an.<br />

Das folgende Schema fasst nun abschließend und exemplarisch einige unserer Empfehlun-<br />

gen zur Wissens- und Kompetenzvermittlung zusammen, indem es versucht, den typischen<br />

Prozesskonstellationen Seminar-/Weiterbildungsinterventionen zuzuordnen. Dabei bedeutet<br />

ein (X), dass diese Form geeignet ist; ein (?) deutet an, dass hier von Fall zu Fall die Geeig-<br />

netheit geprüft werden sollte; ein (-) verweist auf eine Untauglichkeit für diese Konstellation:<br />

Prozess-<br />

Konstellation<br />

Interventionen<br />

etc.<br />

„Stagnation“<br />

oder Akzeptanz des<br />

Status Quo<br />

„Polarisierung“<br />

(konflikthaft –<br />

blockierend)<br />

Workshop-<br />

Sequenzen<br />

(Netzwerke/<br />

Entwicklung)<br />

Angebote für<br />

BRV/GF<br />

(Orientierung)<br />

Tabelle 4: Exemplarische Empfehlungen und Prozesskonstellationen<br />

Empfehlungen an Gewerkschaften und Verbände<br />

Ein weiterer Adressat der Projektempfehlungen sind die Gewerkschaften und Verbände.<br />

Sowohl den Gewerkschaften und den Arbeitgeberverbänden ist es aus Sicht des Projektes<br />

zu empfehlen, die Betriebe in der Deeskalation bzw. Transformation oder Weiterentwicklung<br />

vorgefundener Handlungskonstellationen zu unterstützen. Gerade die in den letzten Jahren<br />

im Rahmen gewerkschaftlicher Kampagnen entwickelten Instrumente (vgl. Kapitel 5.1) stie-<br />

ßen z. B. bei vielen der interviewten Betriebsräte auf positive Resonanz. Gleichzeitig werden<br />

jedoch neue Konfliktlinien auf der Ebene der Sozialverbände sichtbar – erinnert sei an die<br />

Kontroverse um den Index Gute Arbeit. Diese Konfliktlinien können sich im negativen Fall auf<br />

die betriebliche Ebene niederschlagen.<br />

Vertiefung zu<br />

psychischen<br />

Belastungen<br />

(Recht/<br />

Methodik)<br />

Vertiefung<br />

BGM<br />

(Recht/<br />

Methodik,<br />

Modelle)<br />

OE-Sichten und<br />

Methoden<br />

(Situationsanalyse)<br />

für<br />

Gesundheitsakteure<br />

(Rolle/<br />

Mitbestimmung/<br />

BGM)<br />

? X - - ? ?<br />

X X ? ? X ?<br />

„Orientierung“<br />

(Terrain erkunden) X X X X X X<br />

„Kohärenter<br />

Lernprozess“ ? - ? ? - X<br />

Ziel verbandlicher und gewerkschaftlicher Gesundheitspolitik und Bildungsarbeit sollte es<br />

daher sein, den Betrieben und Betriebsräten strategisch wie operativ in der Entwicklung ei-<br />

321


ner gemeinsam orientierten betrieblichen Gesundheitspolitik Hilfen anzubieten. Das schließt<br />

sicherlich auch die Pointierung von unterschiedlichen Standpunkten und Orientierungen mit<br />

ein. Hier sollte aber zur Vermeidung von unfruchtbaren Dauerpolarisierungen auch außer-<br />

halb der Tarifverhandlungen eine „Arena“ gefunden werden, die eine gemeinsame Austra-<br />

gung dieser Dissense ermöglicht.<br />

Die Gewerkschaften und Verbände sollten dazu beitragen, dass die Betriebe eine eindeutige<br />

Sicht auf gesetzliche Tatbestände, Pflichten und Möglichkeiten erhalten. Konflikte, die etwa<br />

daher rühren, dass juristische Mythen, etwa die einer direkten qualifizierten Mitbestimmung<br />

bei der Personalbemessung über den Gesundheitsschutz, aufrechterhalten werden, sind<br />

durch klare Stellungsnahmen und Orientierungen zu begegnen.<br />

Gemeinsam verfasste Erklärungen oder Grundpositionen empfehlen sich auch weiterhin zur<br />

Deeskalation und dienen der allgemeinen Orientierung der betrieblichen Akteure. In diesem<br />

Bereich gibt es bereits positive Ansätze, bspw. die gemeinsame Erklärung von BDA und<br />

DGB zur „Zukunft einer zeitgemäßen betrieblichen Gesundheitspolitik“, die Tarifverträge<br />

„Gestaltung des demografischen Wandels“ in der Eisen- und Stahlindustrie von 2006 und<br />

„Lebensarbeitszeit und Demografie" der Chemie-Sozialpartner oder die Gemeinsame Erklä-<br />

rung im Tarifvertrag des privaten Bankgewerbes von 2010. Je enger diese gemeinsamen<br />

Erklärungen an der betrieblichen Wirklichkeit orientiert sind und je konkreter sie Orientierun-<br />

gen für die Gestaltung der betrieblichen Gesundheitspolitik unterbreiten, umso erfolgreicher<br />

und fruchtbringender werden sich solche Erklärungen auf die Gesundheitspolitik in den Be-<br />

trieben auswirken.<br />

Neben diesen qualitativen Aspekten sollten Ergebnisse aus dem Projekt ernst genommen<br />

werden, nach denen auch die quantitativen Ressourcen der Gewerkschaften eine bedeuten-<br />

de Rolle spielen. So kann es nur besorgniserregend sein, wenn sich Betriebsräte über feh-<br />

lende Angebote ihrer eigenen Gewerkschaft beklagen und sich an andere Gewerkschaften<br />

bzw. an private Anbieter richten. Dies kann sicherlich nicht als ein durchgängig angeführter<br />

Mangel verallgemeinert werden. Dennoch dürfte es als Handlungsaufforderung aufgefasst<br />

werden, zukünftig noch bzw. wieder mehr Ressourcen für das Themenfeld Arbeit und Ge-<br />

sundheit zu reservieren.<br />

322


10. Literatur<br />

AGV (2009a): Gesundheitsschutz. Unternehmen kümmern sich. In: KI Sozialpolitische Kurzinformation<br />

04/2009, S.2.<br />

AGV (2009b): AGV Jahresauftaktveranstaltung 2009. In: KI Sozialpolitische Kurzinformation 02/2009,<br />

S.1-3.<br />

Ahlers, E. (2010): Arbeitsbedingungen von Beschäftigten in Betrieben mit ergebnisorientiert gesteuerten<br />

Arbeitsformen. In: WSI-Mitteilungen 7/2010, S. 351-356.<br />

Ahlers, E./Brussig, M. (2004): Gesundheitsbelastungen und Prävention am Arbeitsplatz – WSI Betriebsrätebefragung<br />

2004. In: WSI-Mitteilungen 11/2004, S. 617-624.<br />

Arbeitgeberverband Stahl e. V./IG Metall Bezirksleitung Nordrhein-Westfalen (2006): Tarifvertrag zur<br />

Gestaltung des demografischen Wandels. Gelsenkirchen<br />

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und daraus resultierende Kosten für die Betriebe. In: Badura, B./Schellschmidt, H./Vetter, C. (Hrsg.):<br />

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Bäcker, G./Bispinck, R./Hofemann, K./Naegele, G. (2000): Sozialpolitik und soziale Lage in Deutschland.<br />

Band 1: Ökonomische Grundlagen, Einkommen, Arbeit und Arbeitsmarkt, Arbeit und Gesundheitsschutz.<br />

3. Aufl., Wiesbaden : VS Verlag für Sozialwissenschaften.<br />

Badura, B./Behr, M./Greiner, W./Rixgens, P./Ueberle, M. (2008): Sozialkapital. Grundlagen von Gesundheit<br />

und Wettbewerbsfähigkeit. Berlin/Heidelberg/New York: Springer.<br />

Badura, B./Schellschmidt, H./Vetter, C. (Hrsg.) (2006): Fehlzeitenreport 2005. Arbeitsplatzunsicherheit<br />

und Gesundheit. Berlin/Heidelberg/New York: Springer.<br />

Badura, B./Schellschmidt, H./Vetter, C. (Hrsg.) (2010a): Fehlzeitenreport 2009. Arbeit und Psyche:<br />

Belastungen reduzieren, Wohlbefinden fördern. Berlin/Heidelberg/New York: Springer.<br />

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Geschlechteraspekte im Betrieblichen Gesundheitsmanagement. Berlin/Heidelberg/New<br />

York: Springer.<br />

Badura, B./Walter, U./Hehlmann, T. (2010b): Betriebliche Gesundheitspolitik. Der Weg zur gesunden<br />

Organisation. Zweite, vollständig überarbeitete Auflage. Berlin/Heidelberg: Springer.<br />

BAG vom 08.06.2004, 1 ABR 4/03 und 1 ABR 13/03, Lexetius.com/2004,2821 und<br />

Lexetius.com/2004,2074<br />

BAG vom 12.08.2008, 9 AZR 1117/06, Lexetius.com/2008,2145<br />

BAG vom 15.01.2002, 1 ABR 13/01, Lexetius.com/2002,1085<br />

BAVC (2008): Tarifvertrag „Lebensarbeitszeit und Demografie“ - Umsetzung aus einem Guss. Chemie-Sozialpartner<br />

präsentieren gemeinsame Erläuterungen. Berlin: BAVC.<br />

BDA (2009): Betriebliche Gesundheitsförderung: Unternehmen engagiert und erfolgreich – Positionspapier.<br />

Berlin: BDA.<br />

Bertelsmann <strong>Stiftung</strong>/<strong>Hans</strong>-<strong>Böckler</strong>-<strong>Stiftung</strong> (Hrsg.) (2004): Zukunftsfähige betriebliche Gesundheitspolitik.<br />

Vorschläge der Expertenkommission. Gütersloh.<br />

BIT e. V. (2002): Befragung von Betriebsräten und Geschäftsleitungen in ausgewählten Regionen<br />

Nordrhein-Westfalens zum Thema: Veränderungen im Arbeitsleben - Schwerpunkt psychische Fehlbelastungen<br />

am Arbeitsplatz. Abschlussbericht an die <strong>Hans</strong>-<strong>Böckler</strong>-<strong>Stiftung</strong><br />

BIT e. V./Siegerland Consult e. V./TBS beim DGB NRW e. V. (2005): Projektdokumentation Motivation-Arbeit-Gesundheit-Qualität<br />

(MAGQ). Oberhausen und Bochum.<br />

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Springer, S. 105-132.<br />

323


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Blume, A./Badura, B./Walter, U./Schleicher, R./Münch, B./Lange, A. (2003): Machbarkeitsstudie: Manager<br />

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Borchardt, A./Göthlich, S. E. (2007): Erkenntnisgewinnung durch Fallstudien. In: Albers, S./Klapper,<br />

D./Koradt, U./Walter, A./Wolf, J. (Hrsg.): Methodik der empirischen Forschung. 2. Auflage, Gabler:<br />

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Breucker, G. (2001): Qualitätssicherung betrieblicher Gesundheitsförderung. Ergebnisse aus dem<br />

Europäischen Netzwerk für betriebliche Gesundheitsförderung. In: Pfaff, H./Slesina, W. (Hrsg.): Effektive<br />

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Weinheim/München: Juventa, S. 127-144.<br />

Bundesarbeitgeberverband Chemie e. V./Bergbau, Chemie, Energie (2008): Tarifvertrag „Lebensarbeitszeit<br />

und Demografie“. Lahnstein<br />

Der Spiegel (2010): Burn-out-Geständnis, Heft 10/2010, S. 113. Hamburg: Spiegel-Verlag.<br />

DGB-Index Gute Arbeit GmbH (2007): DGB-Index Gute Arbeit 2007 – Der Report. Hamburg.<br />

DGB-Index Gute Arbeit GmbH (2008): DGB-Index Gute Arbeit 2008 – Der Report. Hamburg.<br />

DGB-Index Gute Arbeit GmbH (2009a): DGB-Index Gute Arbeit 2009 – Der Report. Hamburg.<br />

DGB-Index Gute Arbeit GmbH (2010): Gute Arbeit. Hamburg.<br />

Diekmann, A. (2003): Empirische Sozialforschung. Grundlagen, Methoden, Anwendungen. 10. Auflage,<br />

Reinbek: Rowohlt.<br />

Dressel, C. (2008): Die Erwerbsbeteiligung von Männern und Frauen – Deutschland im Europäischen<br />

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und Gesundheit. Geschlechteraspekte im Betrieblichen Gesundheitsmanagement. Berlin/Heidelberg/New<br />

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Flick, U./ Kardorff, U./ Steinke, I. (Hrsg.) (2005): Qualitative Forschung: Ein Handbuch. 4. Auflage,<br />

Reinbek: Rowohlt, S. 13-29.<br />

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326


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Konzept, Möglichkeit und Grenzen. In: Pfaff, H./Slesina, W. (Hrsg.): Effektive betriebliche<br />

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(Stand: 15.03.2009)<br />

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http://fidi.verdi.de (10.02.2009).<br />

Ver.di Landesbezirk Hamburg (2007): Projekt „Faire Arbeit“. Projektskizze. Hamburg.<br />

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im Zeichen der Krise. In: Die BKK. Zeitschrift der betrieblichen Krankenversicherung. Heft<br />

2/2010, S. 102-109.<br />

327


II. Zur Situation des Arbeits- und Gesundheitsschutzes bzw. der Gesundheitsförderung<br />

1. Verantwortung, Beratung, Qualifikation<br />

Wie stellen Sie die arbeitsmedizinische und sicherheitstechnische<br />

Betreuung sicher?<br />

(bitte ankreuzen)<br />

� durch Einsatz einer Fachkraft für Arbeitssicherheit (FASi)<br />

� durch Einsatz eines Betriebsarztes<br />

� durch Anwendung des „Unternehmermodells“<br />

Stunden<br />

pro Jahr<br />

intern extern<br />

Sitzungen des Arbeitsschutzausschusses (ASA), sofern vorhanden mal im Jahr<br />

Schriftliche Pflichtenübertragung an Vorgesetzte/ Führungskräfte/ Baustellenleiter/<br />

Meister etc.<br />

� ja � nein<br />

Anzahl Sicherheitsbeauftragte:<br />

Anzahl Ersthelfer:<br />

Wie sind die betrieblichen AuG-Verantwortlichen/ -Beauftragte aus- und weitergebildet wor-<br />

den? (Mehrfachnennungen möglich)<br />

� Seminare der Berufsgenossenschaft � Seminare der gesetzlichen KK (GKK)<br />

� in betriebsinternen Schulungen � Seminare der Branchen/ Verbände<br />

� sonstiges: � private Anbieter (Seminare)<br />

2. Aktivitäten im Arbeits- und Gesundheitsschutz (Mehrfachnennungen möglich)<br />

� regelmäßige Unterweisung: wie oft pro Jahr ? ca. mal<br />

� sicherheitstechnische Abnahme „neuer“ Maschinen/ Anlagen/ Arbeitsmittel<br />

� regelmäßige Begehungen: wie oft pro Jahr ? ca. mal<br />

Protokolle abgelegt? � ja � nein<br />

Maßnahmen dokumentiert? � ja � nein<br />

� CE-Gefahrenanalyse bei wesentlichen Änderungen an Maschinen/ Anlagen<br />

329


� Wird im Unternehmen eine Gefährdungsbeurteilung durchgeführt<br />

(z.B. gemäß § 5/6 ArbSchG/ § 3 BetrSichV/ § 3 BildschArbV)?<br />

� ja � nein � geplant für dieses Jahr<br />

Wenn ja, wird dazu ein spezielles Standardmodell/ Verfahren z.B. der BG genutzt?<br />

Welches? und von wem?<br />

� Wurden auch psycho-soziale Belastungen ermittelt und beurteilt?<br />

� ja � nein � geplant für dieses Jahr<br />

Wenn ja, wird dazu ein spezielles Standardmodell/ Verfahren genutzt?<br />

Welches? ______________________________________________________________<br />

� Welche Maßnahmen des wurden aus der Gefährdungsbeurteilung abgeleitet?<br />

______________________________________________________________________________<br />

______________________________________________________________________________<br />

______________________________________________________________________________<br />

� Was wird bei Ihrer Gefährdungsbeurteilung dokumentiert?<br />

(Mehrfachnennungen möglich)<br />

� Gefährdungen (am Arbeitsplatz/ durch Arbeitsmittel)<br />

� Maßnahmen<br />

� Umsetzung der Maßnahmen<br />

� Wirkung der Maßnahmen<br />

� sonstiges: _____________________________________________________________<br />

� Wer hat die Gefährdungsbeurteilung durchgeführt bzw. hat den Auftrag bekommen? (Mehrfachnennungen<br />

möglich)<br />

� der Unternehmer<br />

� die Fachkraft für Arbeitssicherheit (FASi)<br />

� der Betriebsarzt<br />

� private Anbieter<br />

� sonstige:<br />

� Wann wurde erstmals, wann die letzte Gefährdungsbeurteilung durchgeführt?<br />

Erste (Jahr) : _________ Letzte (Datum): _________<br />

330


� Gibt es für das Unternehmen einen Gesundheitsbericht (bspw. von der Krankenkasse)<br />

� ja � nein � geplant für dieses Jahr<br />

Wenn ja (geplant), wer hat diesen erstellt? ________________________________________<br />

� Werden im Unternehmen Mitarbeiterbefragungen durchgeführt?<br />

� ja � nein � geplant für dieses Jahr<br />

Wenn ja(geplant), zu welchen Themen?<br />

_________________________________________________________________________________<br />

_________________________________________________________________________________<br />

__<br />

� Gibt es ein (integriertes) Arbeitsschutzmanagementsystem in Ihrem Unternehmen?<br />

� ja � nein � geplant für dieses Jahr<br />

� Gibt es einen Arbeitskreis Gesundheit in Ihrem Unternehmen?<br />

� ja � nein � geplant für dieses Jahr<br />

Wer / welche Funktionsträger nimmt / nehmen an diesem teil?<br />

_________________________________________________________________________________<br />

� Gibt es in Ihrem Unternehmen einen Gesundheitsbeauftragten?<br />

� ja � nein � geplant für dieses Jahr<br />

� Welche Projekte wurden in letzter Zeit im Unternehmen zum Thema Arbeit und Gesundheit durchge-<br />

führt?<br />

_________________________________________________________________________________<br />

_________________________________________________________________________________<br />

� Werden im Unternehmen Gesundheitszirkel durchgeführt?<br />

� ja � nein � geplant für dieses Jahr<br />

� Ist das Thema Gesundheit in Form von Unternehmensgrundsätzen bzw. in einem Unternehmensleit-<br />

bild verankert?<br />

� ja � nein � geplant für dieses Jahr<br />

� Welche(s) Arbeitszeitsystem(e) werden im Unternehmen angewandt?<br />

_________________________________________________________________________________<br />

_________________________________________________________________________________<br />

� Finden im Unternehmen Rückkehrgespräche statt?<br />

� ja � nein � geplant für dieses Jahr<br />

� Gibt es im Unternehmen ein betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) gemäß § 84 Abs. 2<br />

Sozialgesetzbuch IX?<br />

� ja � nein � geplant für dieses Jahr<br />

331


3. Aktivitäten im Bereich Gesundheitsförderung? (Mehrfachnennungen möglich)<br />

gesunde Ernährung im Betrieb � regelmäßig � durch GKK* unterstützt � geplant für 2009<br />

Rückenschule im Betrieb � regelmäßig � durch GKK* unterstützt � geplant für 2009<br />

Anti-Stress-Training � regelmäßig � durch GKK* unterstützt � geplant für 2009<br />

Nichtraucherprogramm � regelmäßig � durch GKK* unterstützt � geplant für 2009<br />

Sportliche Angebote � regelmäßig � durch GKK* unterstützt � geplant für 2009<br />

präventions-medizinische Untersuchungen � regelmäßig � durch GKK* unterstützt � geplant für 2009<br />

Sonstige gesundheitsförderliche Maßnahmen:<br />

* GKK = Gesetzliche Krankenkasse<br />

__________________________________________________________________________________<br />

4. Aktivitäten des Betriebsrates im Themenfeld Gesundheit<br />

Welche Aktivitäten hat der BR bisher im Bereich „Arbeit und Gesundheit“ durchgeführt?<br />

__________________________________________________________________________________<br />

__________________________________________________________________________________<br />

__________________________________________________________________________________<br />

Welche Betriebsvereinbarung(en) zum Thema Gesundheit wurde(n) im Unternehmen abgeschlossen?<br />

� Gefährdungsbeurteilung<br />

� Betriebliches Eingliederungsmanagement<br />

� weitere:<br />

______________________________________________________________<br />

____________________________________________________________________<br />

____________________________________________________________________<br />

� Mitbestimmung bei der Auswahl des Verfahrens zur Gefährdungsbeurteilung<br />

� Mitbestimmung bei der Auswahl von Fachkraft für Arbeitssicherheit<br />

� Mitbestimmung bei der Auswahl des Betriebsarztes<br />

332


Anhang 2: Interviewleitfaden für Betriebs- und Personalräte (Arbeitspaket 1)<br />

Angaben zur Interviewperson und Institution<br />

Themen- und Fragestellung<br />

A) Allgemeine Informationen<br />

1. Funktion/Aufgabenbereich der Interviewperson<br />

2. Kurzer Werdegang der Interviewperson<br />

3. Kurzvorstellung der Institution<br />

Vom Interview unabhängige Dokumentenanalyse<br />

4. Literatur von/über der/die Interviewperson<br />

5. Literatur von/über der/die Institution<br />

B) Sichtweise BGM<br />

6. Was umfasst für Sie die betriebliche Präventionsarbeit? (Nachfragen bzgl. Abgrenzung<br />

Arbeits- und Gesundheitsschutz, BGF, Eingliederung)<br />

7. Gibt es hierzu in Ihrem Unternehmen andere Sichtweisen? Z.B. hinsichtlich<br />

a) physischen und insbesondere psychosozialen Belastungsfaktoren<br />

b) der Relevanz von Verhaltens- bzw. Verhältnisprävention<br />

c) der betrieblichen und/oder der persönlichen Verursachung von Krankheit<br />

d) der Relevanz des demographischen Wandels<br />

8. Hat sich die Bedeutung des Themas „BGM“ bei den Akteuren nach Ihrer Einschätzung<br />

verändert? Inwiefern? Wieso?<br />

9. Wieso engagieren Sie sich im Bereich der betrieblichen Präventionsarbeit?<br />

C) Situation des BGM im Unternehmen<br />

10. Bitte beschreiben Sie aus Ihrer Sicht den Stand der Aktivitäten zur betrieblichen Präventionsarbeit!<br />

11. Welche maßgeblichen (Fehl)Entwicklungen hat es gegeben? (Auslöser?)<br />

12. Lassen sich aus Ihrer Sicht Initiatoren für das bisher Erreichte identifizieren? (ggf.<br />

Rangfolge bilden)<br />

13. Wie sehen Sie Ihre Rolle/die Rolle des BR in der Entwicklung? (Abwägung strategisch<br />

– operativ)<br />

14. Welche Instrumente des BGM werden von wem mit welchem Hintergrund forciert?<br />

D) Akteurskonstellationen<br />

15. Werden Sie hinreichend in den BGM-Prozess einbezogen – oder wie bringen Sie sich<br />

ein? Bitte erzählen Sie von besonders gelungenen bzw. misslungenen Einbeziehungsprozessen!<br />

16. Wer trifft die wichtigen Entscheidungen – allgemein und im Rahmen des BGM? Wie<br />

kommen diese Entscheidungen zustande?<br />

17. Wie werden diesbezüglich Entscheidungen im BR getroffen?<br />

18. Welche Erwartungen stellen Sie an die einzelnen Akteure des BGM?<br />

19. Ziehen alle Akteure der betrieblichen Prävention in Ihrem Unternehmen an einem<br />

Strang?<br />

20. Mit wem arbeiten Sie besonders eng zusammen (intern und extern)? Auf welche Inhalte<br />

bezieht sich diese Zusammenarbeit? Mit wem gibt es nur wenig Kontakte?<br />

21. Welche Konflikte gab und gibt es? Wie werden Lösungen generiert?<br />

22. Bitte beschreiben Sie die aus Ihrer Sicht typische Akteurskonstellation im Rahmen<br />

333


des BGM!<br />

Themen- und Fragestellung<br />

E) Hypothesenkonfrontation<br />

23. Wie kann es Ihnen gelingen, das Thema BGM in betriebliche Prozesse zu integrieren<br />

trotz anderer Prioritätensetzung auf der Arbeitgeberseite?<br />

24. Wenn Ihnen das nicht gelingen sollte – würden Sie sagen: Lieber ein bisschen BGF,<br />

als gar kein BGM?<br />

25. Verhindert ein Arbeitsschutzmanagementsystem ein ganzheitliches BGM?<br />

26. Was machen Sie, um auch psychosoziale Belastungen in der Gefährdungsbeurteilung<br />

zu berücksichtigen?<br />

27. Was machen Sie, um (initiativrechtliche eingeleitete) Gefährdungsbeurteilungen mit<br />

dem BGM zu vernetzen?<br />

28. Welche Konsequenzen ergeben sich für Sie aus der Deregulierung der Arbeitsschutzvorschriften?<br />

F) „BR-Bilder“<br />

29. Wie würden Sie sich als BR beschreiben? Wozu gibt es Sie und wie handeln Sie?<br />

30. Vergleichen Sie sich bitte mit anderen BR, die Sie kennen!<br />

31. Als wie engagiert würden Sie sich beim Thema „BGM“ bezeichnen – Skala von 1 bis<br />

10? Woran machen Sie Ihre Einstufung fest?<br />

32. Was müsste sich ändern, damit Sie sich mehr engagieren?<br />

33. Wie glauben Sie, würde die Belegschaft Sie als BR beschreiben?<br />

34. Welche Erwartungen stellt nach Ihrer Ansicht die Belegschaft an Ihre strategische/operative<br />

Rolle – speziell auch beim Thema „BGM“?<br />

G) Kompetenz- und Unterstützungsbedarf<br />

35. Aufgaben – Kompetenzen – Verantwortung: Passt das bei Ihnen zusammen, wenn<br />

Sie an Ihre Tätigkeit im Rahmen des BGM denken?<br />

36. Was bedeutet es für Sie, „kompetent“ beim Thema „BGM“ zu sein?<br />

37. Haben Sie ausreichend Ressourcen, um das Thema „BGM“ zu bewältigen?<br />

a) Rechtlich<br />

b) Personell<br />

c) Zeitlich<br />

38. Welche Kompetenzen und Fähigkeiten bringen Sie mit, um die betriebliche Präventionsarbeit<br />

nach Ihren Vorstellungen zu gestalten?<br />

39. Welche zusätzlichen Kompetenzen würden Sie sich für Ihre Arbeit wünschen?<br />

40. Benötigen Sie eher politisch-strategische oder fachliche Kompetenzen für das Thema<br />

„BGM“?<br />

41. Glauben Sie, dass Sie der Unternehmensleitung gegenüber auch als zu kompetent<br />

erscheinen können?<br />

42. Von welchen Institutionen erwarten Sie sich Unterstützung? Welche Rolle spielen die<br />

Gewerkschaften hierbei?<br />

43. Welche Angebote haben Sie in der Vergangenheit genutzt? Erfahrungen?<br />

44. Halten Sie das derzeitige Angebot zum Kompetenz- und Unterstützungsbedarf für<br />

ausreichend? Was müsste getan werden? Was sagen Ihre BR-Kollegen?<br />

334


Anhang 3: Interviewleitfaden gewerkschaftliche Akteure (Arbeitspaket 1)<br />

Themen- und Fragestellung<br />

A) Allgemeine Informationen<br />

Angaben zur Interviewperson und Institution<br />

Funktion/Aufgabenbereich der Interviewperson<br />

Kurzer Werdegang der Interviewperson<br />

Kurzvorstellung der Institution<br />

Vom Interview unabhängige Dokumentenanalyse<br />

Literatur von/über der/die Interviewperson<br />

Literatur von/über der/die Institution<br />

Hintergrund der gewerkschaftlichen Kampagne (Zielsetzung, Einbettung der Kampagne<br />

in gesamtes gewerkschaftliches Handeln). Abgleich der Vorabinformationen<br />

B) Zu den gewerkschaftlichen Aktivitäten<br />

1) Allgemein<br />

Welche Angebote machen Sie als Gewerkschaft Ihren Mitgliedern/den Betriebsräten<br />

im Themenfeld betriebliche Gesundheitspolitik? Bspw. Informationen, Schulungen,<br />

Kampagnen, betriebsbezogene Betreuung.<br />

Werden in diesen Angeboten auch die jeweiligen „Partner“ einbezogen? Werden<br />

bspw. auch die Unternehmensleitung angesprochen?<br />

2) Historie<br />

Aus welchen Aktionen sind gewerkschaftliche Aktivitäten zur Gesundheitspolitik<br />

entstanden? Gibt es historische Vorbilder (bspw. HdA)?<br />

Kann zum historischen Umgang der Branche/der Gewerkschaft/der Betriebe mit<br />

dem Thema Gesundheit eine Aussage getroffen werden? Fließt diese historische<br />

Entwicklung in die jetzigen Aktivitäten ein? Oder bricht sie damit?<br />

Wie gestaltet(e) sich der innergewerkschaftliche Meinungsbildungsprozess, der<br />

zur Kampagne führte? Gab/Gibt es Wiederstände?<br />

3) Aktueller Stand/Zukunft<br />

An welche Adressaten richten sich die gewerkschaftlichen Aktivitäten? Wie werden<br />

einzelne Akteursgruppen (BR/PR, Vertrauensleute, Mitglieder) angesprochen?<br />

Was sind Beweggründe für Gewerkschaften, das Politikfeld „betriebliche Gesundheitspolitik“<br />

zu besetzen? Welche Ziele verfolgt die Gewerkschaft mit den gewerkschaftlichen<br />

Aktivitäten zur Gesundheitspolitik? (Dienstleister, Mitgliedergewinnung,<br />

aktiver Gestalter)?<br />

Gibt es Untersuchungen zum Thema Gesundheit, die in der Branche durchgeführt<br />

wurden und die Grundlage der gewerkschaftlichen Aktivitäten bilden? Gibt es Initiativen,<br />

(weitere) eigene Erhebungen durchzuführen?<br />

Werden im Rahmen der gewerkschaftlichen Aktivitäten Koalitionen mit anderen<br />

sozialpolitischen Akteuren (GKV, BG, StafA, BAuA etc.) gesucht und eingegangen?<br />

Wie gestaltet sich diese Zusammenarbeit?<br />

Wie sehen die Kampagnen das Verhältnis BR/PR und Unternehmensleitungen?<br />

Werden die Aktivitäten evtl. auf unterschiedliche Verhältnisse ausgerichtet (bspw.<br />

werden dem BR eines konfliktbeladenen Verhältnisses andere Instrumente an die<br />

Hand gegeben)?<br />

Nehmen die gewerkschaftlichen Aktivitäten auch die rechtlichen Verpflichtungen<br />

(bspw. Gefährdungsbeurteilung, Organisationsverpflichtung) zum Arbeits- und<br />

335


Themen- und Fragestellung<br />

Gesundheitsschutz als Ansatzpunkt ihrer Aktionen/Interventionen? Unterstützen<br />

die Kampagnen die BR/PR beim Einfordern dieser Verpflichtungen?<br />

Welchen Beitrag können speziell die gewerkschaftlichen Kampagnen zum Aufbau<br />

eines BGM leisten?<br />

Was könnten Knackpunkte der gewerkschaftlichen Aktivitäten sein?<br />

4) Verständnis der betrieblichen Akteure<br />

Welches Bild von BR/PR legt die Kampagne zugrunde? Gibt es grundliegende<br />

Orientierungen, an denen sie das BR-Handeln festmachen lässt, bspw. Norminhalte,<br />

Klassengegensatz, Kulturbindung, Machthandeln, Interaktionskultur)?<br />

Was sind Beweggründe für BR/PR, sich beim Thema Gesundheit an die Gewerkschaft<br />

zu wenden? (hilflos, strategische Unterstützung, Know-How-Nutzung etc.)<br />

Welche Ansatzpunkte besitzen BR/PR, um die gewerkschaftlichen Unterstützungsangebote<br />

in ihren Betrieben zu platzieren? Wird an Stellschrauben angesetzt,<br />

welche BR/PR auch wirklich beeinflussen können?<br />

Welche Machtressourcen werden durch die gewerkschaftlichen Aktivitäten angesprochen?<br />

Hat die Zielgruppe Machtressourcen, um Aktivitäten in ihrem Umfeld<br />

durchzuführen?<br />

Wird das Thema Gesundheit in den Betrieben von den BR/PR in den bisherigen<br />

Mustern der betrieblichen Interessenregulierung aufgegriffen (bspw. antagonistisch,<br />

zum Aufzeigen von Missständen) oder wird das Thema Gesundheit zu Neuregulierung<br />

der Beziehungen genutzt?<br />

Legen BR/PR beim Thema Gesundheit den Fokus überwiegend auf verhaltenspräventive<br />

Maßnahmen? Wenn ja, warum?<br />

Nutzen BR/PR psychosoziale Belastungen als sinnvolles/effizienzförderliches Gestaltungsfeld<br />

im Unternehmen bzw. schieben das Thema initiativrechtlich an?<br />

Wenn nein, warum nicht?<br />

Gibt es bei BR/PR die Bestrebung, die verschiedenen Aktivitäten im Bereich Gesundheit<br />

(bspw. Gefährdungsbeurteilung, BEM, Gesundheitsförderung) zu einem<br />

integrierten Ansatz zusammenzufassen?<br />

Verfolgen die BR/PR, die die Kampagne nutzen, einen ganzheitlichen BGM-<br />

Ansatz? Werden die Bausteine der Kampagne als Bausteine der betrieblichen<br />

Gesundheitspolitik genutzt?<br />

Sehen Sie Unterschiede im Umgang mit dem Thema Gesundheitspolitik in Abhängigkeit<br />

von der Unternehmensgröße?<br />

Wie wird die Rolle des BR/PR im Themenfeld Gesundheit von dem Verbandsvertreter<br />

gesehen (juristisch/politisch)? Wie stellt sie sich in der Realität dar? Gibt es<br />

Abweichungen? Wenn ja, wie werden diese erklärt?<br />

Gibt es „Extreme“, an denen sich die Kampagne verdeutlichen lässt?<br />

Betriebliche Gesundheitspolitik: Ziele, Strategien, Akteure, Positionen<br />

Bestehen in Unternehmen bereits Arbeitsschutzmanagementsysteme, tendieren<br />

diese eher zu einer Verbindung mit dem Umweltschutz und anderen technisch fokussierten<br />

Dienstleistungen, denn mit einem ganzheitlichen BGM.<br />

5) Bewertung<br />

Welche ihrer gewerkschaftlichen Aktivitäten sind besonders gut oder weniger erfolgreich<br />

verlaufen?<br />

Wie schätzen Sie den Bekanntheitsgrad der gewerkschaftlichen Aktivitäten ein?<br />

Werden ggf. die verschiedenen Zielgruppen (BR/PR, VL, Mitglieder) erreicht? Sind<br />

336


Themen- und Fragestellung<br />

die Zielgruppen homogen?<br />

Wie werden die gewerkschaftliche Aktivitäten in Unternehmen/von den Belegschaften<br />

wahrgenommen?<br />

Wie wird das Anliegen der gewerkschaftlichen Aktivitäten von anderen Akteuren<br />

wahrgenommen, verstanden und beurteilt (Arbeitgeberverbände, Sozialversicherungsträger,<br />

Politik, Allgemeine Öffentlichkeit)?<br />

Wie beurteilen Sie die Nachhaltigkeit der gewerkschaftlichen Aktivitäten in den Betrieben,<br />

z. B. Sensibilisierung und Aktivierung; Steigerung von Gesundheit, Wohlbefinden,<br />

Arbeitssicherheit im Unternehmen; wirtschaftlicher Erfolg, Fehlzeiten,<br />

Fluktuation?<br />

Wurden durch die gewerkschaftlichen Aktivitäten in den Betrieben nachhaltige<br />

Strukturen geschaffen? Wurde ein BGM-System aufgebaut?<br />

C) Auswirkungen der gewerkschaftlichen Aktivitäten<br />

Wie wird das Thema der gewerkschaftlichen Aktivitäten vom BR/PR transportiert?<br />

Ist es eher ein Widerstandskonzept, ein Interventionskonzept oder ein Perspektiv-<br />

und Innovationskonzept?<br />

Welche Rolle spielen gewerkschaftliche Vertrauensleute? Sind diese in die gewerkschaftlichen<br />

Aktivitäten eingebunden und wie? Wie stehen die Vertrauensleute<br />

der Kampagne gegenüber?<br />

Welche Akteure sind „Motor der betrieblichen Gesundheitspolitik“ in den betreuten<br />

Betrieben?<br />

Was sind Erfolge/Misserfolge der gewerkschaftlichen Aktivitäten in den Betrieben?<br />

D) Kompetenz-/Unterstützungsbedarf<br />

Wie sehen die Gewerkschaften den Kompetenzbedarf der betrieblichen Akteure?<br />

Welche sonstigen Einflussgrößen gibt es für BR, um kompetent handeln zu können?<br />

Sind diese Kompetenzen ausreichend, um den Anforderungen an eine betriebliche<br />

Gesundheitspolitik nachkommen zu können? Wo gibt es Defizite? Wo sehen Sie<br />

Nachholbedarf?<br />

Was bedeutet es für Sie, von einem „kompetenten“ BR beim Thema „Gesundheit“<br />

zu sprechen?<br />

Halten Sie die vorgesehenen Ressourcen des BR für ausreichend, um das Thema<br />

„Gesundheit“ zu bewältigen (z. B. Recht, Personal, Zeit)?<br />

Welche Diagnoseverfahren zur gesundheitlichen Situation werden in den Unternehmen<br />

angewandt? Sind die BR/PR in der Lage, mit diesen Verfahren und Instrumenten<br />

umzugehen?<br />

Wie kann es dem BR gelingen, das Thema „Gesundheit“ in betriebliche Prozesse<br />

zu integrieren trotz anderer Prioritätensetzung auf der Arbeitgeberseite?<br />

Was können Sie als Gewerkschaft als weitere Unterstützungsleistungen anbieten?<br />

Was ist bereits angedacht?<br />

337


Anhang 4: Interviewleitfaden für Vertreter der Sozialversicherungen (Arbeitspaket 1)<br />

Themen- und Fragestellung<br />

A) Allgemeine Informationen<br />

Angaben zur Interviewperson und Institution<br />

1. Funktion/Aufgabenbereich der Interviewperson<br />

2. Kurzer Werdegang der Interviewperson<br />

3. Kurzvorstellung der Institution<br />

Vom Interview unabhängige Dokumentenanalyse<br />

4. Literatur von/über der/die Institution und ggf. der/die Interviewperson<br />

B) Dienstleistungsangebot<br />

5. Im Vorfeld klären: Welche Dienstleistungen werden für Betriebe zum Thema „Gesundheit“<br />

angeboten?<br />

6. Welches Verständnis zur betrieblichen Gesundheitspolitik bzw. zum BGN verbirgt<br />

sich hinter Ihrem Dienstleistungsangebot?<br />

7. Welche Dienstleistungen richten sich speziell an BR? Wie kam es zu der Entwicklung<br />

dieser Angebote? Wie werden diese Angebote von den BR angenommen?<br />

8. Was meinen Sie, was speziell die BR von Ihnen erwartet, z.B. bestimmte Dienstleistungen?<br />

9. Welche Pläne gibt es für die Zukunft hinsichtlich des Dienstleistungsangebotes –<br />

auch im Hinblick auf BR?<br />

10. Sehen Sie sich als Sozialversicherung überhaupt in der Verantwortung, spezielle Angebote<br />

für BR zu entwickeln?<br />

C) Thema „Gesundheit“<br />

11. Wie schätzen Sie das Bewusstsein für die Wichtigkeit des Themas „Gesundheit“ auf<br />

Arbeitgeber- bzw. auf Arbeitnehmerseite, beim BR und bei den Gewerkschaften ein?<br />

12. Sehen das andere Ihnen bekannte Akteure auch so? Wo gibt es Unterschiede?<br />

13. Hat sich nach Ihrer Einschätzung das Bewusstsein bei den jeweiligen Institutionen<br />

verändert? Inwiefern? Wozu diese Veränderung?<br />

14. Wie wird über das Thema „Gesundheit“ im Unternehmen von Arbeitgeber- bzw. Arbeitnehmerseite<br />

und BR kommuniziert? Beispielsweise mit Blick auf<br />

a. Abgrenzung Arbeits- und Gesundheitsschutz, BGF, Eingliederung, BGM<br />

b. Physische und psychische Belastungsfaktoren<br />

c. „Gute Arbeit“<br />

d. Relevanz von Verhaltens- bzw. Verhältnisprävention<br />

e. Krankheit als betriebliche und/oder persönliche Verursachung<br />

15. Was meinen Sie, welche Erwartungen verbinden BR mit ihrem (Nicht)-Engagement<br />

beim Thema „Gesundheit“?<br />

D) Zugang ins Unternehmen („Einfallstor“)<br />

16. Welche Zugangswege gibt es für Sie bzw. wie kommt der Kontakt mit den Unternehmen<br />

zustande?<br />

17. Von wem geht bei den Unternehmen die Initiative aus (z.B. Leitung, FaSi, BR)?<br />

(Rangfolge bilden) Welche Motive verfolgen die Akteure dabei?<br />

18. Welche Erfahrungen haben Sie persönlich mit BR in dieser Anbahnungsphase gemacht?<br />

19. Was tun Sie, um den BR in die Intervention von Beginn an einzubinden?<br />

20. Was finden Sie für Situationen bzw. Konstellationen zwischen den betrieblichen Akteuren<br />

vor, wenn Sie in die Betriebe gehen?<br />

21. Können Sie Fälle schildern, in denen der BR maßgeblicher Initiator gewesen ist?<br />

Was war die Motivation des BR hierbei?<br />

22. Wie wird von anderen Unternehmensakteuren in dieser Phase über den BR kommuniziert?<br />

338


E) Interventionsverlauf<br />

23. Wie gestaltet sich nach der Anbahnungsphase der weitere Prozess?<br />

24. Wie beziehen Sie den BR während der Intervention mit ein?<br />

25. Welche Konflikte (auch mit dem BR) und welche Lösungen gibt es?<br />

26. Können Sie ein Fallbeispiel besonders gelungener bzw. misslungener Intervention<br />

beschreiben, bei der der BR maßgeblichen Einfluss hatte?<br />

27. Welche Rolle(n) spielt der BR im Prozess der Umsetzung (Extrembeispiele, z.B. „gescheiterte<br />

Fälle“, und fördernde und hemmende Bedingungen)?<br />

28. Handelt es sich eher um eine strategische oder eine operative (z.B. Erstellung und<br />

Verwendung von Instrumenten) Rolle, die der BR im Verlauf einnimmt?<br />

29. Bitte beschreiben Sie typische Konstellationen, wie der BR im Unternehmen mit den<br />

anderen Gesundheitsakteuren agiert! (Extrembeispiele)<br />

F) „BR-Bilder“<br />

30. Bitte beschreiben Sie Ihr typisches „Bild“, das Sie vom BR haben (oder auch Bilder)!<br />

31. Als wie engagiert würden Sie den BR beim Thema „Gesundheit“ bezeichnen – Skala<br />

von 1 bis 10? Woran machen Sie Ihre Einstufung fest?<br />

32. Was müsste sich ändern, damit der BR sich mehr engagiert?<br />

33. Wie wünschen Sie sich einen „optimalen“ BR? Was tun Sie (Ihre Institution) dafür,<br />

dass sich dieser Wunsch erfüllt?<br />

34. Welche Erwartungen stellt nach Ihrer Ansicht die Belegschaft an die strategische/operative<br />

Rolle des BR – speziell auch beim Thema „Gesundheit“?<br />

G) Kompetenz- und Unterstützungsbedarf der BR<br />

35. Welche allgemeinen Kompetenzen sollte der BR mitbringen, um seine Aufgaben zu<br />

erfüllen?<br />

36. Was bedeutet es für Sie, von einem „kompetenten“ BR beim Thema „Gesundheit“ zu<br />

sprechen?<br />

37. Halten Sie die vorgesehenen Ressourcen des BR für ausreichend, um das Thema<br />

„Gesundheit“ zu bewältigen? (z.B. Recht, Personal, Zeit)<br />

38. Wie kann es dem BR gelingen, das Thema „Gesundheit“ in betriebliche Prozesse zu<br />

integrieren trotz anderer Prioritätensetzung auf der Arbeitgeberseite?<br />

39. Wie kompetent darf ein BR beim Thema „Gesundheit“ überhaupt sein?<br />

40. Von welcher Institution sollte der BR sich Unterstützung einholen? Welche Rolle spielen<br />

die Gewerkschaften hierbei?<br />

41. Halten Sie die derzeitigen Aktivitäten zum Kompetenz- und Unterstützungsbedarf für<br />

ausreichend? Was müsste getan werden?<br />

42. Welche sonstigen Einflussgrößen gibt es für BR, um kompetent handeln zu können?<br />

(z.B. Betriebsgröße)<br />

339


Anhang 5: Vorabfragebogen zur Situation des betrieblichen Gesundheitsgeschehens<br />

(Arbeitspaket 2)<br />

I. Zum Unternehmen (Unternehmen bzw. Unternehmenseinheit)<br />

1. Name: _____________________________________________________________<br />

2. Unternehmensform:<br />

3. Adresse:<br />

4. Telefon / Fax:<br />

5. Internet / E-Mail:<br />

6. Branche:<br />

7. Mitarbeiterzahl:<br />

8. Konzerngebundenheit:<br />

9. BR-<br />

Zusammensetzung<br />

_____________________________________________________<br />

________<br />

_____________________________________________________<br />

_____________________________________________________<br />

________________<br />

_____________________________________________________<br />

________<br />

_____________________________________________________<br />

________<br />

_____________________________________________________<br />

________<br />

< 100<br />

nein ja<br />

> 100–250<br />

> 250–1000<br />

Obergesellschaft:<br />

______________________________<br />

> 1000<br />

BR-Gremium besteht aus __ Mitgliedern /davon freigestellt ________<br />

10. Ansprechpartner<br />

Geschäftsführung: Name: ___________________________<br />

Durchwahl:___________________<br />

E-Mail: ____________________________________________________<br />

11. Ansprechpartner<br />

Betriebsrat: Name: ___________________________<br />

Durchwahl:___________________<br />

E-Mail: ____________________________________________________<br />

12. Ansprechpartner<br />

Gesundheitsschutz<br />

im Betriebsrat: Name: ___________________________<br />

Durchwahl:___________________<br />

E-Mail: ____________________________________________________<br />

340


II. Zum Status Quo des Arbeits- und Gesundheitsschutzes (AuG) und des Betrieblichen<br />

Eingliederungsmanagements (BEM)<br />

1. Verantwortung, Beratung, Qualifikation<br />

a) Welche Stellen befassen sich in Ihrem Unternehmen mit dem Thema Arbeitssicherheit<br />

und Gesundheitsschutz?<br />

� Fachkraft für Arbeitssicherheit � Betriebsarzt<br />

� Personalabteilung � Betriebsrat<br />

� Weitere_______________________________________________________________<br />

___<br />

b) Wie sind die betrieblichen AuG-Verantwortlichen/ -Beauftragte aus- und weitergebildet<br />

worden?<br />

�<br />

Seminare der Berufsgenossenschaft<br />

� Seminare der gesetzlichen KK (GKK)<br />

� in betriebsinternen Schulungen � Seminare der Branchen/ Verbände<br />

� Sonstiges:_______________________<br />

2. Aktivitäten zur Arbeitssicherheit<br />

� private Anbieter (Seminare)<br />

a) Werden in Ihrem Unternehmen die erforderlichen Unterweisungen der Mitarbeiter regelmäßig<br />

durchgeführt?<br />

� Ja � Nein � Zum Teil<br />

b) Werden in Ihrem Unternehmen regelmäßige Begehungen durchgeführt?<br />

� Ja � Nein � Zum Teil<br />

Wenn ja, wie oft?<br />

� jährlich � alle 2 Jahre � alle 3 Jahre � mehr als 3 Jahre<br />

Werden Begehungsprotokolle erstellt?<br />

� Ja � Nein<br />

c) Werden in Ihrem Unternehmen CE-Analysen durchgeführt?<br />

� Ja � Nein � Zum Teil<br />

341


d) Wird im Unternehmen eine Gefährdungsbeurteilung (z.B. gemäß §§ 5 und 6<br />

ArbSchG/§ 3 BetrSichV/§ 3 BildschArbV) durchgeführt?<br />

� Ja � Nein � geplant für 2009/2010<br />

Wenn ja, wird für die physische/körperliche Gefährdungen und Belastungen ein spezielles<br />

Standardmodell/ Verfahren (ggf. ein selbstentwickeltes) genutzt?<br />

Welches?<br />

___________________________________________________________________<br />

i) Welche Stelle(n) / Funktion(en) ist federführend bei der Erstellung der Gefährdungsbeurteilung?<br />

________________________________________________________________<br />

________________________________________________________________<br />

________________<br />

ii) Werden im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung auch psycho-soziale Belastungen<br />

ermittelt und beurteilt?<br />

� Ja � Nein � geplant für 2009/2010<br />

Wenn ja (geplant), wird (soll) dazu ein spezielles Standardmodell/ Verfahren<br />

genutzt?<br />

Welches?<br />

_______________________________________________________________<br />

iii) Werden die aus der Gefährdungsbeurteilung resultierenden und durchgeführten<br />

Maßnahmen auf Ihre Wirksamkeit überprüft?<br />

� Ja � Nein � teilweise<br />

iv) Wird die Gefährdungsbeurteilung in regelmäßigen Abständen wiederholt?<br />

� Ja � Nein Im Abstand von ___ Jahren / Monaten<br />

e) Gibt es ein (integriertes) Arbeitsschutzmanagementsystem in Ihrem Unternehmen?<br />

� Ja � Nein � geplant für 2009/2010<br />

Wenn ja: Ist diese zertifiziert?<br />

� ja, durch ____________________________<br />

� nein<br />

f) Gibt es im Unternehmen ein betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) gemäß<br />

§ 84 Abs. 2 Sozialgesetzbuch IX?<br />

� Ja � Nein � geplant für 2009/2010<br />

342


III. Zum Gesundheitsmanagement<br />

1. Ist das Thema Gesundheit in Form von Unternehmensgrundsätzen bzw. in einem<br />

Unternehmensleitbild verankert?<br />

� Ja � Nein � geplant für 2009/10<br />

2. Sind in Ihrem Unternehmen schriftliche Festlegungen zum Thema Gesundheit verfasst<br />

(bspw. Konzepte, Organisationsanweisungen, Richtlinien)?<br />

� Ja � Nein � geplant für 2009/10<br />

Wenn ja, welche?<br />

________________________________________________________<br />

3. Werden für die Führungskräfte ihres Unternehmens Schulungen zum Thema Gesundheit<br />

angeboten?<br />

� Ja � Nein � geplant für 2009/10<br />

4. Ist „Gesundheit“ Bestandteil der Stellenbeschreibung von Führungskräften?<br />

� Ja � Nein � geplant für 2009/10<br />

5. Welche Entscheidungs- und Beratungsgremien zu Gesundheitsfragen gibt es in<br />

Ihrem Unternehmen? Welche Funktionsträger nehmen daran teil? (Mehrfachnennungen<br />

möglich!)<br />

� ASA (Arbeitsschutzausschuss)<br />

�<br />

�<br />

„Arbeitskreis Gesundheit“,<br />

bzw.:<br />

Sonstige, und<br />

zwar:<br />

_________________________________________<br />

__________________________________________________<br />

______<br />

6. Gibt es in Ihrem Unternehmen einen Gesundheitsbeauftragten bzw. einen Beauftragten<br />

für das Betriebliche Gesundheitsmanagement?<br />

� Ja � Nein � geplant für 2009/10<br />

7. Welche Stelle/Funktion koordiniert in Ihrem Unternehmen die Aktivitäten zum Arbeits-<br />

und Gesundheitsschutz?<br />

______________________________________________________________________<br />

______________________________________________________________________<br />

__________________<br />

8. Wird für den Arbeits- und Gesundheitsschutz bzw. für das Betriebliche Gesundheitsmanagement<br />

ein festes Budget zur Verfügung gestellt<br />

� Ja � Nein<br />

Wenn ja, in welcher Höhe? Ca.: ____________ €<br />

Wer verfügt über dieses Budget?<br />

____________________________________________<br />

____________________________________________<br />

__________<br />

343


9. Werden im Unternehmen Gesundheitszirkel durchgeführt?<br />

� Ja � Nein � geplant für 2009/10<br />

10. Finden im Unternehmen Rückkehrgespräche statt?<br />

� Ja � Nein � geplant für 2009/10<br />

11. Gibt es in Ihrem Unternehmen ein institutionalisiertes Betriebliches Gesundheitsmanagement?<br />

� Ja (weiter mit Frage 11 a.) � Nein (weiter mit Frage 12)<br />

11 a.<br />

11 b.<br />

Was gab den Anlass zur Einrichtung eines Betrieblichen Gesundheitsmanagements?<br />

_________________________________________________________________<br />

_________________________________________________________________<br />

____________________________<br />

Welche Ziele verfolgt das Unternehmen mit diesem Betrieblichen Gesundheitsmanagement?<br />

_________________________________________________________________<br />

_________________________________________________________________<br />

____________________________<br />

11 c. Existiert eine Betriebsvereinbarung zu diesem Thema?<br />

_________________________________________________________________<br />

_________________________________________________________________<br />

____________________________<br />

12. 1Hat<br />

das Unternehmen bislang eine Ist-Analyse / Bestandsaufnahme zum Thema<br />

2 Arbeit und Gesundheit der Beschäftigten durchgeführt?<br />

� Ja � Nein � geplant für 2009/10<br />

wenn ja, wie sah diese aus? ____________________________________________<br />

____________________________________________<br />

____________________________________________<br />

_______________<br />

13. Welche Kennzahlen zum Thema Gesundheit werden in Ihrem Unternehmen erhoben?<br />

_______________________________________________________________________<br />

_______________________________________________________________________<br />

________________<br />

14. Gibt es für das Unternehmen einen Gesundheitsbericht von der Krankenkasse?<br />

� Ja, von _______________ � Nein � geplant für 2009/10<br />

344


15. Gibt es für das Unternehmen eine (interne) Gesundheitsberichterstattung<br />

16.<br />

� Ja, von _______________ � Nein � geplant für 2009/10<br />

Aktivitäten zur betrieblichen Gesundheitsförderung (Verhaltens- und Verhältnisorientierte<br />

Maßnahmen)? (Mehrfachnennungen möglich)<br />

(*GKK = Gesetzliche Krankenkasse)<br />

gesunde Ernährung im Betrieb � regelmäßig �<br />

Rückenschule im Betrieb � regelmäßig �<br />

Anti-Stress-Training � regelmäßig �<br />

Nichtraucherprogramm � regelmäßig �<br />

Sportliche Angebote � regelmäßig �<br />

Gesundheitstage � regelmäßig �<br />

präventions-medizinische Untersuchungen<br />

Veränderung von Führungsverhalten<br />

(bspw. durch Schulung zur gesundheitsgerechten<br />

Mitarbeiterführung)<br />

„gesundheitsorientierte“ Kommunikation<br />

und Transparenz<br />

(bspw. Intranet, Betriebszeitung,<br />

Besprechungen)<br />

� regelmäßig �<br />

� regelmäßig �<br />

� regelmäßig �<br />

durch GKK* unterstützt<br />

durch GKK* unterstützt<br />

durch GKK* unterstützt<br />

durch GKK* unterstützt<br />

durch GKK* unterstützt<br />

durch GKK* unterstützt<br />

durch GKK* unterstützt<br />

durch GKK* unterstützt<br />

durch GKK* unterstützt<br />

Gibt es weitere Maßnahmen zur Verhaltens- und Verhältnisprävention?<br />

� geplant für 2009/10<br />

� geplant für 2009/10<br />

� geplant für 2009/10<br />

� geplant für 2009/10<br />

� geplant für 2009/10<br />

� geplant für 2009/10<br />

� geplant für 2009/10<br />

� geplant für 2009/10<br />

� geplant für 2009/10<br />

_______________________________________________________________________<br />

_______________________________________________________________________<br />

_______________________________________________________________________<br />

17. Wie erfolgt die Partizipation der Beschäftigten im Rahmen der betrieblichen<br />

Gesundheitspolitik (bspw. Einbindung der Mitarbeiter in Gesundheitszirkel, Feedbackprozesse,<br />

Mitwirkung an der Arbeitsgestaltung)?<br />

_______________________________________________________________________<br />

_______________________________________________________________________<br />

________________<br />

345


18. Mit welchen der nachfolgenden Managementansätzen und Führungsinstrumenten<br />

ist BGM bzw. sind die Aktivitäten im Feld Arbeitssicherheit und Gesundheit in Ihrem<br />

Unternehmen verknüpft?<br />

Qualitätsmanagement � ja � nein � geplant für<br />

2009/10<br />

Organisationsentwicklung � ja � nein � geplant für<br />

2009/10<br />

Personalentwicklung � ja � nein � geplant für<br />

2009/10<br />

Wissensmanagement � ja � nein � geplant für<br />

2009/10<br />

Betriebliches Eingliederungsmanagement<br />

� ja � nein �<br />

geplant für<br />

2009/10<br />

Zielvereinbarungen � ja � nein � geplant für<br />

2009/10<br />

Sonstiges: ________________________________________________________<br />

___________________<br />

19. Welche konkreten Projekte führen Sie zurzeit in Ihrem Unternehmen zum Themenfeld<br />

Arbeitssicherheit und Gesundheit durch?<br />

_______________________________________________________________________<br />

_______________________________________________________________________<br />

________________<br />

20. Werden die im Rahmen der betrieblichen Gesundheitsarbeit durchgeführten Aktivitäten<br />

(bspw. Maßnahmen aus der Gefährdungsbeurteilung, Aktivitäten der<br />

Gesundheitsförderung) einer Erfolgsbewertung unterzogen?<br />

� Ja � Nein<br />

21. Findet eine regelmäßige Bewertung der Zielerreichung der betrieblichen Gesundheitspolitik<br />

statt?<br />

� Ja � Nein<br />

22. Sofern ein institutionalisiertes Betriebliches Gesundheitsmanagement (BGM) vorhanden<br />

ist: Werden die Strukturen und Prozesse des BGM (regelmäßig) einer Qualitätsbewertung<br />

unterzogen?<br />

� Ja � Nein<br />

Wenn ja, wie sieht diese<br />

aus?<br />

________________________________________________<br />

________________________________________________<br />

346


IV. Zur Mitbestimmung im Arbeits- und Gesundheitsschutz sowie Betrieblichem<br />

Gesundheitsmanagement<br />

1.<br />

2.<br />

3.<br />

Gibt es eine klar formulierte Strategie des BR/PR zum Themenfeld „Arbeit und Gesundheit“<br />

� Ja � Nein � geplant für 2009/10<br />

wenn ja (geplant), wie lautet diese?<br />

________________________________________________________________________<br />

________________________________________________________________________<br />

________________________________________________________________________<br />

________________________<br />

Welche Aktivitäten hat der BR bisher im Bereich „Arbeit und Gesundheit“ initiiert<br />

bzw. durchgeführt?<br />

________________________________________________________________________<br />

________________________________________________________________________<br />

________________________________________________________________________<br />

Gibt es eine klar formulierte Strategie des BR/PR zum Themenfeld „Arbeit und Gesundheit“<br />

� Gefährdungsbeurteilung<br />

�<br />

Betriebliches Eingliederungsmanagement<br />

� Betriebliches Gesundheitsmanagement<br />

� Weitere:<br />

____________________________________________________________________<br />

4. Bei welchen Themen bzw. Bestellungen bestimmt ihr BR-Gremium aktiv mit?<br />

� Mitbestimmung bei der Auswahl des Verfahrens zur Gefährdungsbeurteilung<br />

�<br />

�<br />

Mitbestimmung bei der Auswahl von Fachkraft für Arbeitssicherheit<br />

Mitbestimmung bei der Auswahl des Betriebsarztes<br />

347


V. Aktuelle und zukünftige Herausforderungen für das<br />

Unternehmen<br />

1.<br />

Welchen aktuellen Herausforderungen sieht sich das Unternehmen ausgesetzt?<br />

� Marktturbulenzen<br />

� Umgestaltungsprojekte:<br />

� die Produktion betreffend � die Verwaltung betreffend<br />

� Umgestaltungen im technischen Be-<br />

� Outsourcing<br />

� reich Weitere Herausforderungen: ______________________________________<br />

______________________________________<br />

______________________________________<br />

2. Welche Effekte auf die Beschäftigung in Ihrem Unternehmen erwarten Sie in den<br />

nächsten ein bis fünf Jahren?<br />

Erwartete Effekte für die Beschäftigten (Zeithorizont: 1-5 Jahre)<br />

� Einstellungen � Kurzarbeit<br />

�<br />

Entlassungen � Qualifikationserweiterungen<br />

� Weitere Effekte: ____________________________________________________<br />

____________________________________________________<br />

____________________________________________________<br />

348


Anhang 6: Interviewleitfaden für Fallstudien-Interviews (Arbeitspaket 2)<br />

Themen- und Fragestellung<br />

A) Allgemeine Informationen<br />

Angaben zur Interviewperson und Institution<br />

1. Funktion/Aufgabenbereich der Interviewperson<br />

2. Kurzer Werdegang der Interviewperson<br />

B) Systemzustand<br />

Beschreibung, Bewertung, Entwicklung und zukünftige Herausforderungen der betrieblichen<br />

Gesundheitsarbeit/des BGM<br />

3. Wie würden Sie den Zustand der betrieblichen Gesundheitsarbeit aktuell für die einzelnen<br />

Bereiche beschreiben?<br />

a. AuG<br />

b. BGF<br />

c. BEM<br />

4. Wie beurteilen Sie den Status quo des Betrieblichen Gesundheitsmanagements insgesamt?<br />

a. Strukturen<br />

b. Diagnose<br />

c. Ziele<br />

d. Intervention<br />

e. Evaluation<br />

5. Ist das Thema Gesundheit als ein Querschnittsthema in allen entscheidungsrelevanten<br />

Bereichen etabliert?<br />

6. Wie hat sich die betriebliche Gesundheitsarbeit entwickelt (Meilensteine)?<br />

7. Welchen Anteil hat der BR an diesem Zustand bzw. an dieser Entwicklung?<br />

8. Welche zukünftigen Herausforderungen bestehen für die betriebliche Gesundheitsarbeit<br />

bzw. allgemein für das Unternehmen?<br />

9. Ggf. spezifische Fragestellungen pro Fallstudie, die sich aus den jeweiligen Vorab-<br />

Fragebogen ergeben<br />

C) Akteure<br />

Beschreibung und Bewertung des Handelns und der Zusammenarbeit der Akteure im<br />

Themenfeld Gesundheit – inkl. der Entwicklung und der zukünftigen Herausforderungen<br />

10. Welche Akteure gibt es im Themenfeld Gesundheit? (vgl. Vorabfragebogen)<br />

11. Mit wem arbeiten Sie hinsichtlich des Themas Gesundheit unternehmensintern oder -<br />

extern zusammen?<br />

12. Welche anderen tragenden Akteurskonstellationen gibt es zum Thema Gesundheit?<br />

13. In welcher Weise ist der BR als Akteur eingebunden?<br />

14. Wie schätzen Sie die Bereitschaft zur Kooperation der verschiedenen Akteure insgesamt<br />

ein?<br />

15. Wie stellt sich die Qualität der Zusammenarbeit im Zeitverlauf aus Ihrer Sicht dar?<br />

16. An welchen Schnittstellen sehen Sie noch Entwicklungspotenziale für die Zukunft?<br />

17. Wo gibt es gelingende Akteurskonstellationen in anderen Themenfeldern, die auch<br />

für das Thema Gesundheit genutzt werden könnten (bzw. nicht funktionierende Konstellationen,<br />

die sich hier auswirken)?<br />

349


D) Gesundheitsverständnis<br />

Eigen- und Fremdwahrnehmung von Gesundheitsverständnis und betrieblicher Gesundheitsarbeit<br />

18. Inwieweit teilen Sie die WHO bzw. ILO-Definition für Gesundheit? (mündlich vortragen<br />

bzw. Definition auf Zettel präsentieren)<br />

19. Welche Einflussfaktoren gibt es Ihrer Meinung nach auf die Gesundheit – z.B. arbeitsbedingte<br />

oder lebensstilbedingte Einflussfaktoren?<br />

20. Inwiefern hat sich Ihr Gesundheitsverständnis im Zeitverlauf verändert? Warum?<br />

21. Wie unterscheidet sich das Gesundheitsverständnis bei den einzelnen Akteuren (GL,<br />

BR, FK, BA, FaSi)?<br />

22. Was umfasst für Sie die betriebliche Gesundheitsarbeit?<br />

a. AuG, BGF, BEM<br />

b. verhaltens- und/oder verhältnisorientierte Prävention<br />

23. Wie bewerten Sie die von Ihrem Verständnis abweichenden Sichtweisen der einzelnen<br />

Akteure (GL, BR, FK, BA, FaSi) auf die betriebliche Gesundheitsarbeit?<br />

24. Wie könnte ihrer Meinung nach ein einheitliches Gesundheitsverständnis bei den Akteuren<br />

hergestellt werden?<br />

E) Motor<br />

Beschreibung von Personen und Institutionen, die das Thema Gesundheit im Unternehmen<br />

vorantreiben bzw. in der (Weiter)Entwicklung behindern<br />

25. Welche Personen treiben im Unternehmen das Thema Gesundheit voran?<br />

a. Mit welcher Motivation?<br />

b. In welcher Art und Weise?<br />

26. Welche Rolle spielt die Arbeit des BR bei der (Weiter)Entwicklung des Themas Gesundheit<br />

nach Ihrer Ansicht?<br />

a. BR-Vorsitzender<br />

b. BR-Verantwortlicher für das Thema Gesundheit<br />

c. BR-Gremium insgesamt<br />

27. Was meinen Sie welche Interessen mit diesem (Nicht)Engagement von den einzelnen<br />

Gruppen verfolgt werden?<br />

28. Welchen Beitrag leisten Sie persönlich zur (Weiter)Entwicklung des Themas Gesundheit?<br />

a. Mit welcher Motivation?<br />

b. In welcher Art und Weise?<br />

29. Gibt es Personen, die das Thema Gesundheit erschweren oder sogar blockieren?<br />

a. Wer mit welcher Motivation (Arbeitgeber, Führungskräfte, Mitarbeiter)?<br />

b. In welcher Art und Weise?<br />

30. Wie hat sich das (Nicht-)Engagement bei diesen Personen im Zeitverlauf entwickelt –<br />

insbesondere beim BR?<br />

a. Welche Beweggründe nehmen Sie für diese Entwicklung an?<br />

31. Wie beurteilen Sie das Handeln der jeweiligen Akteure?<br />

32. Von welcher Seite müsste zukünftig mehr Einsatz kommen, um das Thema Gesundheit<br />

voranzutreiben?<br />

350


F) Verfahren und Mechanismen<br />

Beschreibung und Bewertung von Verfahren und Mechanismen, die das Thema Gesundheit<br />

fördern bzw. hemmen<br />

33. Bitte beschreiben Sie anhand eines Beispiels, wie sich die Beteiligten auf ein Verfahren<br />

verständigt haben!<br />

34. Wie ist die Vorgehensweise, wenn man sich über Verfahren/Mechanismen nicht einigen<br />

kann?<br />

35. Wie bewerten Sie die Mitbestimmungsmöglichkeiten des BR bei der Gestaltung und<br />

dem Einsatz von Verfahren? Sind diese im Themenbereich Gesundheit besonders<br />

gut?<br />

36. Welche (gesundheitsspezifischen) Instrumente, Verfahren oder Institutionen treiben<br />

die betriebliche Gesundheitsarbeit aus Ihrer Sicht voran? Inwiefern?<br />

37. Welche (gesundheitsspezifischen) Instrumente, Verfahren oder Institutionen haben<br />

eher eine hemmende Wirkung? Inwiefern?<br />

G) An- und Abkopplungsprozesse<br />

Beschreibung und Bewertung von (unternehmensinternen) Prozessen, in die das Thema<br />

Gesundheit integriert werden könnte<br />

38. Gibt es Themen (Herausforderungen/Veränderungsprozesse), an denen das Thema<br />

Gesundheit angekoppelt werden könnte – oder auch Synergien mit anderen Querschnittsaufgaben<br />

im Unternehmen?<br />

39. Halten Sie eine solche Ankopplung grundsätzlich für einen gangbaren Weg oder sollte<br />

das Thema Gesundheit separat behandelt werden (ggf. Bsp. aus der Vergangenheit)?<br />

40. Welche Themen (Herausforderungen/Veränderungsprozesse) gibt es, die einer besseren<br />

Präsenz des Gesundheitsthemas eher entgegenstehen?<br />

H) Fördernde und hemmende Bedingungen<br />

Beschreibung und Bewertung von unternehmensspezifischen Rahmenbedingungen, die<br />

das Thema Gesundheit fördern bzw. hemmen<br />

41. Welche fördernden Bedingungen für die betriebliche Gesundheitsarbeit erkennen Sie<br />

(über die genannten Ankopplungsprozesse hinaus)?<br />

a. betriebliche Ebene<br />

b. überbetriebliche Ebene<br />

42. Welche erschwerenden/ hemmenden Bedingungen existieren dagegen neben den<br />

genannten Abkopplungsprozessen?<br />

a. betriebliche Ebene<br />

b. überbetriebliche Ebene<br />

43. Welchen Einfluss haben die betrieblichen Rahmenbedingungen?<br />

a. Marktumfeld<br />

b. Branche<br />

c. Unternehmensgröße<br />

d. Mitarbeiterstamm<br />

e. Unternehmensform<br />

f. Wirtschaftskrise<br />

g. Ggf. weitere Faktoren aus dem Vorab-Fragebogen<br />

351


I) Kompetenz- und Unterstützungsbedarf<br />

Beschreibung und Bewertung des Kompetenz- und Unterstützungsbedarfs bei den für<br />

das Thema Gesundheit verantwortlichen Personen bzw. beim BR<br />

44. Welche innerbetrieblichen Kompetenzen beim Thema Gesundheit sehen Sie – insbesondere<br />

beim BR?<br />

a. strategische Kompetenzen<br />

b. operative Kompetenzen<br />

c. fachliche Kompetenzen<br />

d. methodische Kompetenzen<br />

e. soziale Kompetenzen<br />

45. Welche Maßnahmen hat es in der Vergangenheit gegeben, um die Kompetenzen<br />

weiter zu verbessern?<br />

46. In welchen Bereichen gibt es neben dem vorhandenen know-how noch Kompetenz-<br />

und Unterstützungsbedarf – insbesondere beim BR?<br />

J) Anbieter<br />

Beschreibung und Bewertung des Angebots von Bildungsträgern im Bereich der betrieblichen<br />

Gesundheitspolitik<br />

47. Wer ist für die Kompetenzentwicklung beim Thema Gesundheit verantwortlich?<br />

48. Inwieweit sind Sie mit den derzeitigen Anbietern zufrieden?<br />

49. Welche Angebote sollte es darüber hinaus von welcher Institution unbedingt geben?<br />

352

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