Seelische Bindung
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Verlusttraumata<br />
und ihre Folgen<br />
Prof. Dr. Franz Ruppert<br />
KSFH München
Was kann ein Mensch verlieren?<br />
• Eltern<br />
• Kinder<br />
• Geschwister<br />
• Partner<br />
• Verwandte<br />
• Freunde<br />
• Kollegen<br />
• Arbeitsplatz<br />
• Geld<br />
• Besitz<br />
• Heimat<br />
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• Zugehörigkeit<br />
• Ansehen<br />
• Gesundheit<br />
• Körperteile<br />
• Spiele<br />
• Schönheit<br />
• ...
etwas verlieren<br />
sich verlieren<br />
verloren sein<br />
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Verluste gehören zum<br />
menschlichen Dasein dazu. Sie<br />
können plötzlich und unerwartet<br />
oder vorhersehbar auftreten.<br />
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Verlustgefühle entstehen, wenn<br />
wir zu einer Person, einer Sache<br />
oder zu einer Situation eine<br />
seelische <strong>Bindung</strong> aufgebaut<br />
haben.<br />
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John Bowlby (2006). Verlust.<br />
Trauer und Depression.<br />
München: Ernst Reinhardt<br />
Verlag.<br />
Original: Attachment and Loss, Volume 3:<br />
Loss – Sadness and Depression. 1980<br />
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<strong>Seelische</strong> <strong>Bindung</strong><br />
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• ist auf besondere Personen<br />
bezogen und begrenzt,<br />
• ist exklusiv,<br />
• beruht auf Gefühlen,<br />
• ist auf Dauer angelegt,<br />
• vermittelt Zugehörigkeit.<br />
• <strong>Bindung</strong>sgefühle an<br />
Personen können mit<br />
Gegenständen, Tieren und<br />
Situationen verknüpft<br />
werden.
Merkmale der <strong>Bindung</strong> nach<br />
Bowlby (2006, S. 45ff.)<br />
• <strong>Bindung</strong>sverhalten äußert sich als:<br />
Beobachten, Schauen, Horchen,<br />
Blickwechsel, Begrüßungen, Nachfolgen,<br />
Rufen, Schreien, Anklammern<br />
• <strong>Bindung</strong>sverhalten ist ebenso wichtig wie<br />
Nahrungs- und Sexualverhalten<br />
• <strong>Bindung</strong>sverhalten ist immer aktiv<br />
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• <strong>Bindung</strong>sverhalten ist zielkorrigiertes Verhalten<br />
• <strong>Bindung</strong>sverhalten wird besonders aktiviert, wenn<br />
erforderlich<br />
• <strong>Bindung</strong>sverhalten ist mit den tiefsten Emotionen<br />
verknüpft<br />
• <strong>Bindung</strong>sverhalten trägt zum Überleben bei<br />
• <strong>Bindung</strong>sverhalten ruft Pflegeverhalten hervor<br />
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• Aktives <strong>Bindung</strong>sverhalten lebenslang ist<br />
nicht pathologisch<br />
• Es gibt gestörte Muster von<br />
<strong>Bindung</strong>sverhalten.<br />
• <strong>Bindung</strong>smuster werden durch<br />
frühkindliche Erfahrungen geprägt.<br />
• <strong>Bindung</strong>smuster wiederholen sich im Leben<br />
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Merkmale von <strong>Bindung</strong> (Fallbeispiel Jane (17<br />
Monate) aus Bowlby 2006, S. 402 f.)<br />
• Nach der Trennung von der Mutter Überspielen der<br />
Verlassenheitsangst durch Fröhlichkeit, Lachen,<br />
Lebhaftigkeit<br />
• Nach 4 Tagen Ruhelosigkeit, Reizbarkeit, Weinen,<br />
Selbsttröstung (Daumenlutschen) und Suche nach<br />
Körperkontakt, offenkundiger Stress und Verwirrung<br />
• Nach 5 Tagen aktives Suchen und Rufen nach der Mutter<br />
• Nach der Wiederkehr der Mutter sofortige Annäherung, in<br />
der Folge auch vermehrt ungehorsames Verhalten<br />
• Beim Ablösen von der Pflegemutter Ambivalenzkonflikte<br />
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Attachment: Aufbau einer<br />
<strong>Bindung</strong><br />
Detachment: Lösung aus einer<br />
<strong>Bindung</strong><br />
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Merkmale von <strong>Bindung</strong> (Fallbeispiel John (17<br />
Monate) aus Bowlby 2006, S. 405 ff.)<br />
• Nach der Trennung von der Mutter zunächst 2 Tage Kooperationsbereitschaft,<br />
freundliches Verhalten gegenüber der Kinderkrankenschwester, ruhiges<br />
Spielverhalten<br />
• Enttäuschung und Protest bei Trennungen von der K.k.<br />
• Ab dem 3. Tag steigender Kummer, weinen und Traurigkeit, Rückzug,<br />
Festhalten am Teddy als Ersatzobjekt<br />
• Ab dem 5. Tag stille Verzweiflung, keine Kontaktsuche mehr, aggressives<br />
Verhalten, Apathie, Interesselosigkeit<br />
• Heftiges Weinen, kann nicht mehr getröstet werden<br />
• Wehrt sich gegen der Kontakt mit der Mutter nach deren Rückkehr, Wut auf<br />
die Mutter und den Vater<br />
• Noch mit 4,5 Jahren deutliche Angst vor Verlust der Mutter und plötzlich<br />
provozierendes und feindseliges Verhalten<br />
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<strong>Seelische</strong> <strong>Bindung</strong><br />
beginnt mit dem Zeitpunkt der<br />
Zeugung/Empfängnis,<br />
entwickelt sich während der<br />
Schwangerschaft,<br />
prägt sich bei und nach der<br />
Geburt und<br />
verfestigt sich in den ersten drei<br />
Lebensjahren.<br />
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Die zentrale <strong>Bindung</strong> für jeden<br />
Menschen ist die <strong>Bindung</strong> an die<br />
Mutter.<br />
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Wesentliche seelische<br />
<strong>Bindung</strong>en<br />
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• Mutter-Kind<br />
• Vater-Kind<br />
• Mann-Frau<br />
• Kind-Kind<br />
• Täter-Opfer
Durch <strong>Bindung</strong> entsteht zwischen zwei<br />
Lebewesen eine gemeinsame seelische<br />
Struktur. <strong>Bindung</strong>en werden aufgebaut durch<br />
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• Kontakt über alle<br />
Sinne (Körper, Augen,<br />
Ohren ...)<br />
• Austausch von<br />
Gefühlen (Angst,<br />
Liebe, Ärger ...)<br />
• Austausch von Bildern<br />
und Gedanken
<strong>Seelische</strong> <strong>Bindung</strong> beruht auf<br />
einem <strong>Bindung</strong>sbedürfnis und auf<br />
<strong>Bindung</strong>sbereitschaft. Beide<br />
Prozesse entwickeln und<br />
verstärken sich wechselseitig.<br />
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Biochemische Grundlagen<br />
• Lustgefühle Sexualhormone<br />
(Testosteron, Oestrogen)<br />
• Verliebtsein Dopamin, Adrenalin,<br />
Serotonin<br />
• <strong>Bindung</strong> Oxytocin<br />
• Treue Vasopressin<br />
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Oxytocin („schnelle Geburt“)<br />
• Löst Geburtswehen aus<br />
• Befördert den Milchfluss<br />
• Verringert Stresshormon Cortisol<br />
• Wird bei Zärtlichkeiten ausgeschüttet<br />
• Wird beim Geschlechtsakt stimuliert<br />
• Fördert die Mutter-Kind-<strong>Bindung</strong><br />
• Stabilisiert die Paarbindung<br />
• Fördert das Eingehen zwischenmenschlicher Kontakte<br />
• Fördert Ruhe, Wohlbefinden und Vertrauen<br />
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Hypothese: Die Fähigkeit zur<br />
<strong>Bindung</strong> beruht auch auf der<br />
Existenz von Spiegelnervenzellen<br />
im menschlichen Gehirn.<br />
Dadurch haben Menschen die<br />
Fähigkeit, andere Menschen in<br />
sich zu simulieren.<br />
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Wenn zwei Personen sich wie<br />
eine Einheit erleben, hat ihre<br />
<strong>Bindung</strong> eine symbiotische<br />
Qualität.<br />
Auch größere Menschengruppen<br />
können symbiotisch verbunden<br />
sein.<br />
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Beziehung ist eine<br />
Rahmenbedingung für <strong>Bindung</strong>,<br />
nicht ihre Ursache. Es gibt<br />
Beziehungen ohne und mit <strong>Bindung</strong><br />
(z.B. eine seelische <strong>Bindung</strong> an ein<br />
abgetriebenes Kind).<br />
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„<strong>Bindung</strong>sbeziehung“<br />
Karin Grossmann und Klaus<br />
Grossmann (2004). <strong>Bindung</strong>en –<br />
das Gefüge psychischer<br />
Sicherheit. Stuttgart: Klett-Cotta.<br />
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Jeder Mensch lebt<br />
auf der seelischen Ebene<br />
in einem Geflecht von<br />
<strong>Bindung</strong>sbeziehungen,<br />
das mindestens vier Generationen<br />
umfasst.<br />
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Arten von <strong>Bindung</strong>en<br />
(nach Bowlby, Ainsworth)<br />
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• Sichere <strong>Bindung</strong><br />
• Unsicher-ambivalente<br />
<strong>Bindung</strong><br />
• Unsicher-vermeidende<br />
<strong>Bindung</strong><br />
Franz Ruppert
Formen der <strong>Bindung</strong><br />
nach M. Maine und E. Hesse<br />
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• Organisierte <strong>Bindung</strong><br />
• Desorganisierte,<br />
chaotische <strong>Bindung</strong>
Das Konzept der „Feinfühligkeit“<br />
(M. Ainsworth)<br />
• - die kindlichen Signale mit großer<br />
Aufmerksamkeit und ohne Verzögerung<br />
wahrnehmen,<br />
• - die Signale aus der Perspektive des<br />
Säuglings richtig deuten (z.B. bedeutet<br />
Weinen Hunger, Unwohlsein,<br />
Schmerzen oder Langeweile?),<br />
• - angemessen auf die kindlichen Signale<br />
reagieren und zwar<br />
• - innerhalb einer für das Kind tolerablen<br />
Frustrationszeit.<br />
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Kinder reagieren mit hoher<br />
Sensibilität auf <strong>Bindung</strong>sverluste.<br />
Sie erleben sie als seelische<br />
Verletzung.<br />
Ihr Vertrauen schwindet und<br />
verwandelt sich in Misstrauen<br />
und Ärger.<br />
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Ein Verlusttrauma ist ein<br />
Ereignis, bei dem ein Mensch<br />
etwas für ihn existentiell<br />
Wichtiges verliert, zu dem er eine<br />
emotionale <strong>Bindung</strong> aufgebaut<br />
hat.<br />
Je stärker die <strong>Bindung</strong> ist, desto<br />
größer ist das Verlusttrauma.<br />
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Größtmögliche Verlusttraumata<br />
• Den Tod der Mutter<br />
entstehen durch<br />
• Die Trennung von der Mutter<br />
• Den Tod eines eigenen Kindes<br />
• Den Tod des Vaters<br />
• Den Tod eines Geschwisters<br />
• Den Tod eines Partners<br />
• Den Tod eines Freundes<br />
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Gefühle und Reaktionsweisen bei<br />
drohenden oder erlebten<br />
<strong>Bindung</strong>sverlusten<br />
• Alarmreaktionen, Angst bis<br />
hin zur Panik<br />
• Protest, Ärger und Wut<br />
• Rückzug, Traurigkeit bis<br />
hin zur Depression<br />
• Spaltung der Persönlichkeit<br />
• Verschiebung der<br />
seelischen Schmerzen in<br />
körperliche Schmerzen<br />
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Je jünger ein Kind ist, desto<br />
weniger kann es eine zeitweise<br />
oder dauernde Trennung von<br />
seiner Mutter seelisch ertragen.<br />
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Kinder können den Tod nicht nur<br />
auf der <strong>Bindung</strong>sebene nicht<br />
begreifen, sie haben auch noch<br />
kein geistiges Konzept für Tod.<br />
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Kindliche Bewältigungsversuche<br />
• Tod spielen<br />
von Tod<br />
• Fragen, Fragen, Fragen, um zu verstehen<br />
• In die Rolle des Verstorbenen schlüpfen<br />
• Sich Ersatzpersonen wählen<br />
• An die Rückkehr des Toten glauben<br />
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Für ein Kind, das seine Mutter<br />
verliert, ist es sinnvoll, möglichst<br />
lange daran zu glauben, dass die<br />
Mutter noch lebt und wieder<br />
zurück kommt.<br />
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Kinder, die ihre Eltern verlieren,<br />
verlieren allmählich ihre<br />
<strong>Bindung</strong>sfähigkeit, weil ihr<br />
<strong>Bindung</strong>ssystem abgeschaltet<br />
werden muss, um eine<br />
Übererregung und damit den Tod<br />
des Kindes zu verhindern.<br />
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Die Folge sind wahllose und<br />
oberflächliche <strong>Bindung</strong>sversuche<br />
an potentielle Ersatzeltern.<br />
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Der Trauma-<br />
Schutzmechanismus, die<br />
seelische Spaltung, verhindert<br />
den Trauerprozess.<br />
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Langfristige Symptome von Kindern,<br />
die früh ihre Eltern verlieren<br />
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• Überängstlichkeit<br />
• Anhänglichkeit<br />
• Aggressionshemmung<br />
• Bleiben in der<br />
Kindlichkeit<br />
• Suche nach dem<br />
verstorbenem Elternteil in<br />
Partnern oder eigenen<br />
Kindern<br />
• Suizidneigung
Todesfälle können<br />
• ein Schocktrauma hervorrufen, wenn sie<br />
plötzlich geschehen (z.B. bei einem<br />
Verkehrsunfall)<br />
• eine lang anhaltende traumatische Situation<br />
erzeugen, wenn sie sich lange ankündigen<br />
(z.B. bei einer unheilbaren Krankheit).<br />
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Reaktionen von Eltern auf den Tod eines<br />
eigenen Kindes, das plötzlich stirbt<br />
• Abgrundtiefer seelischer Schmerz<br />
• Wut und Verzweiflung<br />
• Suche nach Schuld und<br />
Verantwortung<br />
• Suche nach dem Sinn,<br />
Orientierungslosigkeit<br />
• Partnerschaftskonflikte<br />
• Vernachlässigung der anderen<br />
Kindern<br />
• Wunsch nach sozialem Rückhalt<br />
• dissoziative Abwehrreaktionen<br />
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Traumatische Reaktionen bei<br />
traumatischen Verlusten<br />
• Übererregung, Überflutung durch Schmerz<br />
• Betäubung<br />
• Trennung von Denken und Fühlen<br />
• Depersonalisation<br />
• Derealisation<br />
• Abspaltung der Erfahrung<br />
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Nicht hilfreiche Reaktionen des sozialen<br />
Umfeldes auf Verlusttraumata<br />
• Beschwichtigen<br />
• Aufforderungen, schnell zu vergessen<br />
• Tabuisieren<br />
• Aufdrängen von Trauerhilfe<br />
• Bürokratische Forderungen<br />
• Ausnützen der Hilflosigkeit<br />
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Hilfreiche Reaktionen des<br />
sozialen Umfeldes<br />
• Klares, einfühlsames Überbringen der<br />
Todesnachricht<br />
• bei der Wahrheit bleiben<br />
• Unterstützung bei behördlichen Kontakten<br />
• Hilfe bei der Gegenwartsorientierung<br />
• Orientierungsmöglichkeit an anderen mit gleichen<br />
Erfahrungen<br />
• Hilfe nicht aufdrängen, Angebote machen, präsent<br />
sein<br />
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Marion Krüssmann und Andreas<br />
Müller-Cyran (2005). Trauma<br />
und frühe Intervention.<br />
Möglichkeiten und Grenzen der<br />
Krisenintervention. Stuttgart:<br />
Pfeiffer bei Klett-Cotta.<br />
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Verluste müssen betrauert<br />
werden. Nur durch das Zulassen<br />
von Schmerz und Tränen wird<br />
eine <strong>Bindung</strong> abgeschwächt und<br />
gelöst.<br />
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Verlusttraumata erschüttern das<br />
Weltverständnis. Sie bringen<br />
religiöse Menschen in<br />
Glaubenszweifel und wecken bei<br />
nicht-religiösen Menschen ein<br />
Bedürfnis nach Sinnvermittlung.<br />
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Was erschwert es, ein Verlusttrauma<br />
seelisch zu integrieren?<br />
• Weigerung, den Verlust zu akzeptieren<br />
• Verharren im Vorwurf und in der Wut<br />
• Verschweigen des Verlustes<br />
• Sozialer Rückzug<br />
• Einschränkung der eigenen Lebensfreude<br />
• Aufgeben von Lebenszielen<br />
• Betäubung durch Drogen und Medikamente<br />
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Verlusttraumata führen zu einer<br />
besonderen Variante von<br />
Suizidalität: Sterben wollen, um<br />
mit dem geliebten Verstorbenen<br />
wieder zusammen zu sein.<br />
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Was hilft, ein Verlusttrauma<br />
seelisch zu integrieren?<br />
• Akzeptanz des Verlustes<br />
• Keine Schuldzuweisungen mehr<br />
• Zulassen aller Gefühle, auch der Wut und<br />
der Enttäuschung Raum geben<br />
• Zulassen von Schmerz und Trauer<br />
• Vorstellung, dass eine verstorbene Person in<br />
Frieden ist und sich freut, dass die anderen,<br />
die sie lieben, gut weiterleben.<br />
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Depressive Episoden<br />
(ICD 10, F32)<br />
• Andere häufige Symptome sind:<br />
• 1. Verminderte Konzentration und Aufmerksamkeit<br />
• 2. Vermindertes Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen<br />
• 3. Schuldgefühle und Gefühle von Wertlosigkeit<br />
• 4. Negative und pessimistische Zukunftsperspektiven<br />
• 5. Suizidgedanken, erfolgte Selbstverletzung oder<br />
Suizidhandlungen<br />
• 6. Schlafstörungen<br />
• 7. Verminderter Appetit<br />
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Depressive Episoden<br />
(ICD 10, F32)<br />
• ... gedrückte Stimmung,<br />
Interessensverlust,<br />
Freudlosigkeit, Verminderung<br />
des Antriebs, Verminderung der<br />
Energie, erhöhte Ermüdbarkeit,<br />
Aktivitätseinschränkung ...<br />
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Depressionstheorien, die eher<br />
beschreiben als erklären<br />
• Medizinisch: Stoffwechselstörung<br />
• Tiefenpsychologisch: chronifizierte Trauer<br />
und Wendung der Aggression gegen die<br />
eigene Person<br />
• Lerntheoretisch: erlernte Hilflosigkeit<br />
• Kognitionstheoretisch: falsche, negative<br />
Einstellungen und Denkweisen<br />
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Depressive Symptome sind<br />
aus Sicht der MP Reaktionen<br />
der menschlichen Seele auf<br />
den Verlust von<br />
Gefühlsbindungen. In ihnen<br />
spiegelt sich eine<br />
Verlusttrauma-Erfahrung<br />
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wieder.
Die schwersten Depressionen<br />
entstehen durch den Verlust der<br />
Mutter-Kind-<strong>Bindung</strong>, d.h. wenn<br />
ein Kind die <strong>Bindung</strong> an seine<br />
Mutter verliert und nicht fähig<br />
ist, diese aus eigener Kraft<br />
wieder herzustellen.<br />
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„Endogene“ Depressionen<br />
können das Ergebnis sein,<br />
• dass eine Mutter, die ein<br />
Verlusttrauma erlitten hat,<br />
für ihr Kind emotional nicht<br />
erreichbar ist;<br />
• dass ein Kind das<br />
Verlusttrauma seiner Mutter<br />
als seine eigene seelische<br />
Struktur übernimmt und<br />
erlebt.<br />
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Adoption:<br />
Rechtliche Regelungen durch<br />
- das Adoptionsgesetz<br />
(§§1741- 1772 BGB, Buch 4)<br />
- das Adoptionsvermittlungsgesetz<br />
- Adoptionswirkungsgesetz<br />
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Durch eine Adoption erwirbt ein<br />
angenommenes Kind die gleiche<br />
Rechtsstellung, die ein leibliches<br />
Kind von Eltern hat (Name,<br />
elterliche Sorge, Unterhalt, Erbe,<br />
Sozialleistungen, Steuer ...).<br />
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Adoptionsprozess<br />
• Freigabe eines Kindes zur Adoption (Einwilligung<br />
der leiblichen Eltern, 8 Wochen Frist)<br />
• Suchen geeigneter Eltern für ein Kind (u.a.<br />
Mindestalter 21+25, Höchstalter 41+35;<br />
gesichertes Einkommen,ausreichender Wohnraum,<br />
Gesundheit, Religionszugehörigkeit)<br />
• Adoptionspflege (ca. 1 Jahr), Beratung<br />
• Vollzug der Adoption durch das<br />
Vormundschaftsgericht<br />
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Edda Harms und Barbara Strehlow (Hg.)<br />
(2004). Adoptivkind – Traumkind in der<br />
Realität. Göttingen: Vandenhoeck &<br />
Ruprecht.<br />
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Adoption bedeutet für das<br />
<strong>Bindung</strong>en sind<br />
nicht ersetzbar.<br />
Ihr Verlust kann nur<br />
betrauert werden.<br />
adoptierte Kind<br />
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• einen Abbruch und<br />
Verlust der Mutterbindung<br />
• keinen Aufbau oder<br />
Verlust der Vaterbindung<br />
• Verlust der Zugehörigkeit<br />
zu einer Herkunftsfamilie<br />
• Bei Auslandsadoption:<br />
Verlust der Zugehörigkeit<br />
zu einem Land und Volk
Adoptionen stellen für Säuglinge<br />
und kleine Kinder ein<br />
Verlusttrauma dar. Sie erleben<br />
sich hilflos und ohnmächtig, die<br />
<strong>Bindung</strong> zu ihrer Mutter<br />
wiederherzustellen.<br />
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Eine als traumatisch erlebte Trennung<br />
von der Mutter führt zu einer<br />
Aufspaltung der Identitätsstruktur des<br />
Kindes. Ein Teil versucht zu<br />
überleben und die Trennung zu<br />
verdrängen. Der andere Teil ist in<br />
seinem Schmerz ohnmächtig erstarrt<br />
Er zieht sich auf ein<br />
Existenzminimum zurück.<br />
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Adoptionen dienen für Adoptiveltern zuweilen dazu,<br />
das Adoptivkind unbewusst als Ersatz<br />
• für ein eigenes verstorbenes Kind<br />
• einen früh verstorbenen Elternteil<br />
• ein verstorbenes Kind der Eltern oder<br />
Großeltern<br />
• Eine im Familiensystem<br />
verheimlichte Person (z.B. einen<br />
verschwiegenen Vater) zu nehmen.<br />
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Mögliche mehrgenerationale Folge einer<br />
Adoption: der traumatisierte<br />
Identitätsanteil einer adoptierten Mutter<br />
wird durch ihr Kind sichtbar gemacht.<br />
Folge: schwere Depressionssymptomatik<br />
in der 2. Generation, d.h. beim Kind einer<br />
adoptierten Mutter (Ruppert 2005, S. 135<br />
ff.)<br />
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Geschafft!<br />
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