07.01.2013 Aufrufe

„Junge Fahranfänger und Kraftfahrerausbildung im internationalen ...

„Junge Fahranfänger und Kraftfahrerausbildung im internationalen ...

„Junge Fahranfänger und Kraftfahrerausbildung im internationalen ...

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Skript zur Vorlesung:<br />

<strong>„Junge</strong> <strong>Fahranfänger</strong> <strong>und</strong><br />

<strong>Kraftfahrerausbildung</strong> <strong>im</strong> <strong>internationalen</strong><br />

Vergleich“<br />

Prof. Bernhard Schlag<br />

10.06.09<br />

http://www.autohaus-schnitzler.de/standard/page.cfm/30075<br />

ausgearbeitet von: Fanny Heyne<br />

Vincent Neumann


Fanny Heyne<br />

Vincent Neuman<br />

1) Junge <strong>Fahranfänger</strong><br />

1.1) Statistiken- die Hochrisikogruppe der jungen <strong>Fahranfänger</strong><br />

Junge <strong>Fahranfänger</strong> zwischen 18 <strong>und</strong> 24 Jahren sind <strong>im</strong> Straßenverkehr die gefährdetste<br />

Gruppe. Straßenverkehrsunfälle sind in diesem Alter die Todesursache Nr. 1, noch vor<br />

Selbstmord. Besonders junge Männer sind gefährdet. Ihr Risiko liegt noch etwa dre<strong>im</strong>al<br />

höher, als das junger Frauen, auch unter Berücksichtigung der Expositionsrate. Junge<br />

Menschen zwischen 18 <strong>und</strong> 24 stellen zur Zeit ca. 10% der Gesamtbevölkerung in den<br />

OECD-Staaten dar. Jedoch liegt ihr Anteil bei den <strong>im</strong> Straßenverkehr Getöteten bei ca. 1/3<br />

<strong>und</strong> ihr Anteil an der Zahl der <strong>im</strong> Verkehr Verunglückten beträgt fast 30% (Vgl. Abb. 1). Im<br />

Vergleich zu anderen Altersgruppen haben sie ein drei- bis vierfach erhöhtes Risiko <strong>im</strong><br />

Straßenverkehr zu sterben <strong>und</strong> ein fünffaches Risiko zu verunglücken. Circa 25 000 junge<br />

Menschen zwischen 15 <strong>und</strong> 24 werden jährlich in den OECD-Staaten bei Verkehrsunfällen<br />

getötet. Zusätzlich sterben <strong>im</strong> Schnitt mit jedem <strong>im</strong> Straßenverkehr getöteten Jugendlichen 1,3<br />

weiter Menschen (z.B. Mitfahrer, andere Verkehrsteilnehmer).<br />

Anteil<br />

0,35<br />

0,3<br />

0,25<br />

0,2<br />

0,15<br />

0,1<br />

0,05<br />

0<br />

unter<br />

15<br />

Verteilung Getöteter, Verunglückter <strong>im</strong> Kfz.-Verkehr<br />

nach Alter (2000)<br />

15-18 18-25 25-35 35-45 45-55 55-65 über<br />

Alter<br />

65<br />

Verunglückte Getötete Bevölkerung<br />

Abb. 1: Verteilung Getöteter <strong>und</strong> Verunglückter <strong>im</strong> Kfz-Verkehr nach Alter (2000)<br />

Häufige Ursachen für Unfälle dieser Altersgruppe sind das Abkommen von der Fahrbahn<br />

aufgr<strong>und</strong> überhöhter Geschwindigkeit <strong>und</strong> der Verlust der Kontrolle über das Fahrzeug oder<br />

Alkohol <strong>und</strong> Drogen. Auch fällt auf, dass es besonders Alleinfahrten sind, die in Unfällen<br />

enden (auch, wenn man die Zahlen an der Expositionsrate relativiert), Nachtfahrten oder auch<br />

Fahrten in Begleitung von Gleichaltrigen. Wobei man hier genauer differenzieren muss: Mit<br />

einem Beifahrer sinkt das Risiko zunächst, mit mehreren wächst es dann wieder an.<br />

Zur Entwicklung dieser Zahlen für die 18- bis 24-jährigen in den letzten Jahren ist zu sagen,<br />

dass man einerseits zwar eine stetige Abnahme der absoluten Verunglückten- <strong>und</strong><br />

Getötetenzahlen seit 1980 beobachten kann, dass diese jedoch andererseits damit<br />

zusammenhängen, dass die Bevölkerungszahl in dieser Zeit ebenfalls zurückging. Das Risiko<br />

<strong>und</strong> die relativen Zahlen sind somit nicht gesunken (Vgl. Abb. 2)!<br />

Skript <strong>„Junge</strong> <strong>Fahranfänger</strong>/ <strong>Kraftfahrerausbildung</strong> <strong>im</strong> <strong>internationalen</strong> Vergleich“<br />

Prof. Bernhard Schlag<br />

2


Fanny Heyne<br />

Vincent Neuman<br />

Abb.2: Verunglückte <strong>und</strong> getötete 18- bis 24-jährige bei Straßen-<br />

verkehrsunfällen 1980 bis 2003<br />

Die folgenden, etwas aktuelleren Graphiken verdeutlichen noch einmal drastisch, wie<br />

unverhältnismäßig häufig junge Menschen <strong>im</strong> Straßenverkehr verunglücken (Vgl. Abb. 3)<br />

<strong>und</strong> getötet werden (Vgl. Abb. 4). Besonders interessant ist hier das Geschlechterverhältnis.<br />

Männer verunglücken in jeder Altersgruppe ähnlich oft, wie Frauen, jedoch werden sie<br />

wesentlich häufiger getötet, <strong>und</strong> das nicht nur in der Risikogruppe der 18- bis 24-jährigen.<br />

Zusätzlich lässt sich aus den Graphiken ablesen, dass in der von uns betrachteten<br />

Altersgruppe die Betroffenen meist als Pkw-Benutzer am Verkehr teilnahmen.<br />

Abb. 3: Straßenverkehrsunfälle 2005: Verunglückte<br />

Skript <strong>„Junge</strong> <strong>Fahranfänger</strong>/ <strong>Kraftfahrerausbildung</strong> <strong>im</strong> <strong>internationalen</strong> Vergleich“<br />

Prof. Bernhard Schlag<br />

3


Fanny Heyne<br />

Vincent Neuman<br />

Abb.4: Straßenverkehrsunfälle 2005: Getötete<br />

1.2) Unterschiede zwischen jungen <strong>und</strong> erfahrenen Fahrern<br />

In Fahrversuchen wurden die Unterschiede zwischen jungen <strong>und</strong> erfahrenen Fahrern<br />

untersucht.<br />

Dabei fand man keine großen Unterschiede in der psychophysischen Leistungsfähigkeit der<br />

beiden Gruppen. Wenn Unterschiede gef<strong>und</strong>en wurden, dann sogar in die positive Richtung<br />

für die jungen Fahrer. So zeigten sie z.B. eine bessere Reaktionsgeschwindigkeit als ältere<br />

Fahrer, <strong>und</strong> sie waren auf diesem Gebiet die Gruppe mit dem besten Ergebnis.<br />

Unterschiede zeigten sich aber z.B. bei der Fahrzeugbeherrschung. Besonders <strong>im</strong> ersten<br />

halben Jahr aktiven Fahrens ergeben sich Probleme be<strong>im</strong> Fahrzeughandling. Solche<br />

Schwierigkeiten sind bei erfahrenen Fahrern dann nicht mehr typisch.<br />

Problematisch ist auch, dass die subjektive Sicherheit der jungen Fahrer schneller steigt, als<br />

die objektive Sicherheit, was objektiv betrachtet natürlich die Sicherheit stark verringert.<br />

Dieser über die Motivation vermittelte Effekt, aber auch lückenhafte Fähigkeiten bei<br />

<strong>Fahranfänger</strong>n führen zu sehr unterschiedlichem Fahrverhalten der jungen Menschen.<br />

Sowieso sind <strong>„Junge</strong> Fahrer“ keine homogene Gruppe. Sie unterscheiden sich also nicht nur<br />

von erfahrenen Fahrern, sondern es gibt ebenfalls Unterschiede innerhalb ihrer Gruppe.<br />

Beispielsweise ist z.B. das Risikoverhalten junger Fahrer sehr verschieden ausgeprägt.<br />

1.3) Zwei Probleme junger <strong>Fahranfänger</strong>: sie sind unerfahren <strong>und</strong> jung<br />

Es gibt zwei Gründe für das besonders hohe Risiko junger <strong>Fahranfänger</strong> <strong>im</strong> Straßenverkehr.<br />

Zum einen gibt es die sogenannte „Anfängerproblematik“. Sie bezeichnet das Problem, das<br />

junge Fahrer <strong>Fahranfänger</strong> sind, <strong>und</strong> somit unerfahren. Dieses Problem tritt unkorreliert vom<br />

Alter in jeder Gruppe von <strong>Fahranfänger</strong>n in ähnlicher Ausprägung auf. Wenn diese<br />

Anfängerproblematik jedoch der einzige Gr<strong>und</strong> für das erhöhte Verunfallungsrisiko wäre,<br />

wären junge <strong>Fahranfänger</strong> nicht stärker gefährdet als ältere <strong>Fahranfänger</strong>.<br />

Der zweite Problembereich wird „Jugendlichkeitsproblematik“ genannt <strong>und</strong> bezeichnet das<br />

erhöhte Risiko junger Fahrer auf gr<strong>und</strong> ihrer Entwicklungslage <strong>und</strong> Motivation.<br />

Skript <strong>„Junge</strong> <strong>Fahranfänger</strong>/ <strong>Kraftfahrerausbildung</strong> <strong>im</strong> <strong>internationalen</strong> Vergleich“<br />

Prof. Bernhard Schlag<br />

4


Fanny Heyne<br />

Vincent Neuman<br />

1.3.1) Anfängerproblematik<br />

Im Folgenden werden Problembereiche von <strong>Fahranfänger</strong>n vorgestellt:<br />

� Fahrzeugbeherrschung<br />

o beansprucht Ressourcen <strong>und</strong> Zeit (z.B. den richtigen Gang suchen, Wo ist der<br />

Blinker?)<br />

o Überreaktion bei Fehlern<br />

� Fehlende Automatismen<br />

o weiteres zu Automatismen s. unten<br />

� visuelle Suche<br />

o da der <strong>Fahranfänger</strong> noch stark mit dem Fahrzeughandling statt mit der<br />

Fahrsituation beschäftigt ist, sucht er eher Stabilisierungs- statt<br />

Führungsinformationen<br />

� Aufmerksamkeitszuwendung<br />

o die Aufmerksamkeit liegt zum Großteil be<strong>im</strong> Fahrzeughandling, nicht bei der<br />

Fahrzeugführung<br />

o <strong>Fahranfänger</strong> sind ablenkbarer (z.B. durch Nebenaufgaben oder Mitfahrer)<br />

o begrenzte Aufmerksamkeit <strong>und</strong> begrenzte Fähigkeit zu Mehrfachaufgaben<br />

� Gefahrenerkennung<br />

o weniger zuverlässig <strong>und</strong> langsamer<br />

� Gefahrenantizipation<br />

o das Voraussehen der Situationsentwicklung funktioniert noch nicht so gut<br />

� Risikowahrnehmung<br />

o das Risiko wird unterschätzt<br />

� Selbsteinschätzung<br />

o man selbst überschätzt sich (dadurch hervorgerufen, dass man in den meisten<br />

Fahrsituationen lernt, dass es funktioniert, wie man es macht, weil schwere<br />

Unfälle relativ gesehen selten sind; man bekommt keine negative<br />

Rückmeldung, wenn eine Situation gefährlich oder grenzwertig war)<br />

Fehlende Automatismen tragen also zu den Problemen von <strong>Fahranfänger</strong>n bei. Nach<br />

Anderson (1983) entsteht Automatisierung in einem dreistufigen Prozess:<br />

1) Deklarative Phase(kognitive Phase)<br />

In dieser Phase handelt man wie nach einem „Drehbuch“, Schritt für Schritt, also<br />

sequentiell. Relevante Reize werden zuerst erkannt, dann klassifiziert <strong>und</strong> erst dann<br />

wird entsprechend gehandelt. Diese Phase ist mit einem hohen Zeit- <strong>und</strong><br />

Ressourcenbedarf verb<strong>und</strong>en <strong>und</strong> sie ist bewusstseinspflichtig.<br />

2) Kompilierungsphase (assoziative Phase)<br />

Hier werden einzelne Handlungsschritte schon verkettet <strong>und</strong> die Ausblendung falscher<br />

Reaktionen ist möglich.<br />

3) Prozedurale Phase (autonome Phase)<br />

In dieser letzten Phase werden die Handlungen automatisiert ausgeführt. Dafür<br />

benötigt man dann wenig Zeit <strong>und</strong> Ressourcen <strong>und</strong> auch eine parallele<br />

Handlungsausführung ist möglich.<br />

Skript <strong>„Junge</strong> <strong>Fahranfänger</strong>/ <strong>Kraftfahrerausbildung</strong> <strong>im</strong> <strong>internationalen</strong> Vergleich“<br />

Prof. Bernhard Schlag<br />

5


Fanny Heyne<br />

Vincent Neuman<br />

Ein anderes Modell, das Modell des Erwerbs von Fahrexpertise nach Rasmussen (1984),<br />

besagt, dass Handlungen je nach Art der Handlung <strong>und</strong> nach Expertise bzw. Erfahrung auf<br />

unterschiedlichen Ebenen reguliert wird:<br />

Symbole<br />

Zeichen<br />

Wissensbasiert<br />

Abb.5: Modell des Erwerbs von Fahrexpertise nach Rasmussen (1984)<br />

1.3.2) Jugendlichkeitsproblematik<br />

Regelbasiert Erkennen<br />

Fertigkeitsbasiert<br />

Hinweisreize (cues)<br />

Sensorischer Input<br />

(Wahrgenommene Situation)<br />

Verstehen<br />

Gewahr<br />

werden<br />

Gerade junge Menschen sehen Fahrzeuge nicht nur als „Transportgefäße“, sondern sie<br />

bedeuten mehr für sie: Soziale Vorteile („sozial besser sein als andere“), Ich-Erweiterungen,<br />

Kraft <strong>und</strong> Entfaltung, Entwicklungschancen („sich als Person entwickeln <strong>und</strong> wachsen“),<br />

nicht zuletzt räumliche Mobilität. Diese Wünsche <strong>und</strong> Motive junger Menschen passen genau<br />

zu den Möglichkeiten die Fahrzeuge <strong>und</strong> Straßen bieten. Angebot <strong>und</strong> Nachfrage st<strong>im</strong>men<br />

hier gut überein.<br />

Insgesamt hat das Fahren einen hohen symbolischen Wert: Fahren wird assoziiert mit<br />

Freiheit, Rebellion, Offenheit für neue Erfahrungen, mit persönlichem Wachstum <strong>und</strong> einem<br />

„überlegenen Leben“ auf der Überholspur. Auch die Fahrzeuge selbst markieren Status,<br />

symbolisieren Macht, sind ein Mittel der Individuation <strong>und</strong> ein Instrument der<br />

Unabhängigkeit. Ihre Beherrschung ist das sichtbarste Zeichen der Initiation ins<br />

Erwachsenenleben. Solche Eindrücke <strong>und</strong> Werte werden durch Filme wie „American<br />

Graffiti“, „Easy Rider“, „Rebel Without a Cause“ oder auch „Thelma and Louise“ unterstützt.<br />

Einige Punkte zur Entwicklungspsychologie <strong>und</strong> Fahrsozialisation:<br />

Überlegen, was zu<br />

tun ist<br />

Sehen, was zu<br />

tun ist<br />

Reiz-Reaktions-<br />

Kopplung<br />

(prompting)<br />

1. Neues zu erfahren ist <strong>im</strong>mer mit Risiken verb<strong>und</strong>en. Erfolg ist nie sicher ...<br />

2. Bereits vor Erwerb der Fahrerlaubnis wird gelernt: Erwartungen, Wünsche, Modelle ...<br />

3. Nach der Fahrerlaubnis wird weitergelernt – oft in sicherheitsabträglicher Weise.<br />

4. Die Annäherung an Grenzen <strong>und</strong> ihre Überwindung ist eine Entwicklungsaufgabe des<br />

Jugendalters.<br />

5. Aktivationslust (“sensation seeking”) ist <strong>im</strong> jungen Alter <strong>und</strong> speziell bei jungen<br />

Männern höher. Risikobereitschaft erhöht die Unfallwahrscheinlichkeit - aber: “alles<br />

Andere ist langweilig. (näheres dazu s. unten)<br />

Skript <strong>„Junge</strong> <strong>Fahranfänger</strong>/ <strong>Kraftfahrerausbildung</strong> <strong>im</strong> <strong>internationalen</strong> Vergleich“<br />

Prof. Bernhard Schlag<br />

planen<br />

Regel<br />

anwenden<br />

automatisch<br />

reagieren<br />

Zielgerichtetes<br />

Verhalten<br />

6


Fanny Heyne<br />

Vincent Neuman<br />

6. Erwerb der Fahrerlaubnis als Übergangssymbol zwischen den<br />

Entwicklungsabschnitten (“Initiation”).<br />

7. Fahrerlaubnis <strong>und</strong> Kraftfahren sind entwicklungspsychologisch überladen: Als<br />

Symbol persönlicher Entwicklung <strong>und</strong> des gesellschaftlichen Status´.<br />

8. Die Beherrschung dieser Impulse <strong>und</strong> des sozialen Drucks überfordert junge<br />

Menschen:<br />

zuerst: FAHREN??? (Ich? Kann ich das?)<br />

dann: FAHREN!!! (Ja! Ich kann das! � Selbstüberschätzung)<br />

zuletzt: FAHREN.... (gelassener fahren, souveräner werden)<br />

9. Die Lernphasen stellen unterschiedliche Anforderungen. Verteiltes Lernen, je nach<br />

Problemlage, ist effektiver als massiertes Lernen nur zu Beginn.<br />

Das Konzept des „sensation seeking“ wurde von Zuckerman (1976) entwickelt.<br />

Abb. 6: Annäherungs- <strong>und</strong> Vermeidungstendenzen in Abhängigkeit von Sensationslust <strong>und</strong> Angst<br />

(nach Zuckerman, 1976)<br />

Die Annäherungstendenzen liegen in den “sensations”, also der Aktivationslust oder<br />

Empfindungsstärke. Diese werden z.B. durch die Attraktivität, den Anreizwert <strong>und</strong> die<br />

Ungewissheit des Ausgangs einer Handlung gespeist. Folgendes Beispiel zeigt, wie die<br />

Aktivationslust bei einem gewissen Handlungsausgang sinkt:<br />

"Nehmen wir ... an, (ein) Spiel sei so, dass, wer anfängt, <strong>im</strong>mer durch einen best<strong>im</strong>mten<br />

einfachen Trick gewinnen kann. Darauf aber sei man nicht gekommen - es ist also ein Spiel.<br />

Nun macht uns jemand darauf aufmerksam - <strong>und</strong> es hört auf, ein Spiel zu sein“ (Wittgenstein,<br />

1956).<br />

Vermeidungstendenzen andererseits werden durch die Angst aufgr<strong>und</strong> wahrgenommener<br />

Gefährdung hervorgerufen.<br />

Das opt<strong>im</strong>ale <strong>und</strong> angestrebte Aktivationsniveau hängt nun von beiden Faktoren, der<br />

Attraktivität der Aufgabe <strong>und</strong> der wahrgenommenen Gefahr ab. Es liegt nicht <strong>im</strong> Bereich<br />

geringster Angst. (s. Abb.6)<br />

Skript <strong>„Junge</strong> <strong>Fahranfänger</strong>/ <strong>Kraftfahrerausbildung</strong> <strong>im</strong> <strong>internationalen</strong> Vergleich“<br />

Prof. Bernhard Schlag<br />

7


Fanny Heyne<br />

Vincent Neuman<br />

Im Folgenden findet sich eine zusammenfassende Darstellung verschiedener Faktoren des<br />

Jugendlichkeitsrisikos:<br />

Abb. 7: Zusammenfassung verschiedener Risikofaktoren junger <strong>Fahranfänger</strong><br />

1.4) Das Forschungsprojekt „Young Driver Risks and Effective Countermeasures“<br />

findet weitere Einflussfaktoren auf das Risiko junger <strong>Fahranfänger</strong><br />

Die unter 1.1. aufgeführten Statistiken zeigen, dass ein dringender Veränderungsbedarf<br />

besteht. Auf Gr<strong>und</strong> dieses Problems setzten sich die ECMT Minister (europäische Konferenz<br />

der Verkehrsminister), die assoziierten Staaten <strong>und</strong> die europäische Union<br />

Straßensicherheitsziele, welche durch konkrete Handlungen zur Reduzierung des Risikos<br />

junger Fahrer erreicht werden sollen. Im Zeitraum von 2000 bis 2012 zielen sie eine 50%ige<br />

Verringerung der Verkehrstoten an.<br />

Das Forschungsprojekt des Joint OECD/ECMT Transport Research Centre (JTRC) mit dem<br />

Titel „Young Driver Risks and Effective Countermeasures“ fand ähnliche Unfallarten, wie die<br />

unter 1.1. genannten:<br />

- hauptsächlich Unfälle bei Alleinfahrten <strong>und</strong> Unfälle durch Kontrollverlust, auch<br />

überproportional häufig Unfälle, bei denen der Fahrer in den Gegenverkehr gerät<br />

- Unfälle bei Nachtfahrten oder/<strong>und</strong> am Wochenende, mit mehreren Beifahrern <strong>und</strong> bei<br />

überhöhter Geschwindigkeit<br />

Zusätzlich zu schon <strong>im</strong> Text genannten Einflussfaktoren auf das Risiko junger <strong>Fahranfänger</strong><br />

zählen:<br />

- Fahren ohne Gurt<br />

- Fahren unter Alkoholeinfluss<br />

- besonders bei jungen Männern steigende Zahl der Drogenfahrten<br />

- Motivation, das Ziel so schnell wie möglich zu erreichen<br />

- Wunsch anzugeben<br />

- physische <strong>und</strong> emotionale Unreife<br />

- Persönlichkeit<br />

- soziale Normen (z.B. Gruppendruck)<br />

Skript <strong>„Junge</strong> <strong>Fahranfänger</strong>/ <strong>Kraftfahrerausbildung</strong> <strong>im</strong> <strong>internationalen</strong> Vergleich“<br />

Prof. Bernhard Schlag<br />

8


Fanny Heyne<br />

Vincent Neuman<br />

- jugendlicher Lebensstil <strong>und</strong> die Rolle der Jugend in der Gesellschaft<br />

- Grenzen austesten<br />

- die Fahraufgabe selbst<br />

- aus finanziellen Gründen fahren junge Leute oft ältere Autos mit geringerer<br />

Sicherheitsausstattung<br />

- die Gehirnteile, die verantwortlich für die Impulshemmung <strong>und</strong> das Abwiegen von<br />

Konsequenzen sind, befinden sich noch in der Entwicklung<br />

- Müdigkeit, Ablenkung (z.B. durch Handys,…), etc.<br />

Einige Gründe, warum junge Männer gefährdeter sind, als junge Frauen:<br />

- fahren häufiger <strong>und</strong> mehr<br />

- geneigter Risiken zu akzeptieren<br />

- höhere Sensation Seeking Werte<br />

- häufigere Geschwindigkeitsüberschreitungen <strong>und</strong> antisoziales Verhalten<br />

- stärkere Überschätzung der eigenen Fahrfähigkeiten<br />

- lassen sich stärker von ihren Fre<strong>und</strong>en beeinflussen<br />

- höherer Testosteron-Spiegel<br />

Zusammenfassend kann man an dieser Stelle also feststellen, dass das erhöhte Risiko junger<br />

Fahrer prinzipiell aus den Faktoren Unerfahrenheit, Alter <strong>und</strong> Geschlecht resultiert <strong>und</strong><br />

durch ein Zusammenspiel vieler sowohl personenseitiger, als auch Umweltfaktoren<br />

zustande kommt!<br />

Das JTMC empfiehlt zwei Arten von Gegenmaßnahmen: zunächst den höchstmöglichen<br />

Straßensicherheitsstandart sicherstellen, was allen Fahrern, nicht nur den jungen zu Gute<br />

kommt. Und um dann noch die Lücke zwischen jungen <strong>und</strong> erfahrenen Fahrern zu schließen,<br />

sehen sie einen Ansatz bei der <strong>Kraftfahrerausbildung</strong>. Verschiedene Länder handhaben die<br />

Fahrausbildung unterschiedlich, jedoch gibt es auch Ähnlichkeiten. Unter dem folgenden<br />

Punkt 2 werden verschiedene Wege zum Führerscheinerwerb dargestellt<br />

2) <strong>Kraftfahrerausbildung</strong> <strong>im</strong> <strong>internationalen</strong> Vergleich<br />

2.1) Die alte Situation der <strong>Fahranfänger</strong> in Deutschland<br />

<strong>Fahranfänger</strong> in Deutschland sind nach ihrer Fahrausbildung auf sich allein gestellt. Sie<br />

erfahren keine gezielte Unterstützung bei der Entwicklung von Gefahrenkognition <strong>und</strong> -<br />

antizipation. Zudem stehen sie durch formale <strong>und</strong> informelle Regeln unter sozialem Druck.<br />

Sie sind sofort nach dem Führerscheinerwerb dem vollen Risiko ausgesetzt, ohne einen<br />

„Schonraum“ zu haben. <strong>Fahranfänger</strong> lernen intuitiv nach „Versuch <strong>und</strong> Irrtum“. Dieser hohe<br />

Stellenwert des Erprobens ist ganz besonders jugendtypisch. Zudem erfahren <strong>Fahranfänger</strong><br />

subjektiv eine geringe Irrtumswahrscheinlichkeit, was zu Selbstüberschätzung führt. Bei all<br />

diesen Faktoren steht die Frage <strong>im</strong> Raum, ob das zumutbar ist für Neulinge in so einem<br />

gefährlichen Lebensbereich?!<br />

Skript <strong>„Junge</strong> <strong>Fahranfänger</strong>/ <strong>Kraftfahrerausbildung</strong> <strong>im</strong> <strong>internationalen</strong> Vergleich“<br />

Prof. Bernhard Schlag<br />

9


Fanny Heyne<br />

Vincent Neuman<br />

2.2) Drei Bereiche unterschiedlicher Kompetenzen als Voraussetzung sicheren Fahrens<br />

1. Fahrzeugbeherrschung <strong>und</strong> Reaktionsfähigkeit<br />

� Voraussetzung des Fahrenlernens<br />

2. Wahrnehmungskompetenz<br />

� Gefahrenkognition <strong>und</strong> Gefahrenantizipation: Situationseinschätzung<br />

3. Psychosoziale Kompetenz<br />

� Gr<strong>und</strong>lage des Sozialverhaltens <strong>im</strong> Straßenverkehr<br />

� Wodurch selbst “gelenkt”? Von der Kontrolle des Fahrzeugs zur Selbstkontrolle<br />

2.3) Inhalte <strong>und</strong> Ziele der Fahrausbildung bezogen auf das hierarchische 4-Ebenen-<br />

Modell<br />

Abb.8: GADGET: Guarding Automobile Drivers through Guidance Education and Technology<br />

2.4) Welche Wege zum Führerscheinerwerb gibt es prinzipiell?<br />

In den meisten europäischen Ländern wird die pädagogische Orientierung bevorzugt. Es<br />

gibt dort also meist Fahrschulen, die aktive <strong>und</strong> gezielte Erfahrungen fördern sollen. Eine<br />

Fahrausbildung findet statt.<br />

Die juristische Orientierung andererseits wird bevorzugt in den USA, in Neuseeland <strong>und</strong> in<br />

Australien angewendet. Sie kommt eher einer Kontrolle der <strong>Fahranfänger</strong> gleich.<br />

Restriktionen <strong>und</strong> Auflagen werden verhängt <strong>und</strong> so sollen Risiken vermieden werden.<br />

Skript <strong>„Junge</strong> <strong>Fahranfänger</strong>/ <strong>Kraftfahrerausbildung</strong> <strong>im</strong> <strong>internationalen</strong> Vergleich“<br />

Prof. Bernhard Schlag<br />

10


Fanny Heyne<br />

Vincent Neuman<br />

Bei beiden Orientierungen gilt: Erfahrungen <strong>und</strong> Lernen sind Voraussetzungen für sicheres<br />

Fahren. Das Problem besteht aber darin, dass die jungen Leute max<strong>im</strong>al viel in der Zeit<br />

max<strong>im</strong>aler Gefahren, nämlich den ersten Jahren selbstständigen Fahrens, lernen. Die Frage ist<br />

nun, wie man dieses „experience paradox“ auflösen kann. Ist Erfahrung kompr<strong>im</strong>ierbar?<br />

Drei Lösungsansätze existieren:<br />

a) Supervision in dieser Lernphase: Begleitetes Fahren<br />

b) Auflagen zur Verringerung des Risikos<br />

c) Graduierungssysteme ( = Stufenführerschein)<br />

zu a) Supervision in dieser Lernphase: Begleitetes Fahren<br />

Eigentlich ist es für die Sicherheit von <strong>Fahranfänger</strong>n ja umso besser, je später sie den<br />

Führerschein machen. Warum wurden dann aber solche Modelle wie das begleitete Fahren ab<br />

17 eingeführt? Die folgende Graphik verdeutlicht das Prinzip: mit einer längeren<br />

Fahrerfahrung, die hier durch die Begleitung möglichst sicher gestaltet wird, soll das<br />

Unfallrisiko in der späteren Phase des selbstständigen Fahrens verringert werden. Positive<br />

Auswirkungen dieses Modells wurden empirisch nachgewiesen, jedoch muss man bedenken,<br />

dass diese Ergebnisse auch durch soziale Selektion bedingt sein könnten (vielleicht kann<br />

gerade die eigentliche Problemgruppe nicht am Programm teilnehmen).<br />

Abb. 9: Begleitetes Fahren ab 17<br />

zu b) Auflagen zur Verringerung des Risikos<br />

Auflagen für <strong>Fahranfänger</strong> gibt es in vielen Ländern.<br />

Zum Beispiel gibt es für sie ja auch in Deutschland die<br />

0,00‰-Grenze.<br />

Weitere Beispiele finden sich in den USA, wobei es<br />

hier in den verschiedenen B<strong>und</strong>esstaaten aber<br />

unterschiedliche Regelungen gibt. Diese<br />

Einschränkungen gelten für alle <strong>Fahranfänger</strong>, nicht<br />

erst nach Auffälligkeiten, also spezialpräventiv:<br />

www.fuehrerschein.info/?page=infos&Id=2<br />

Skript <strong>„Junge</strong> <strong>Fahranfänger</strong>/ <strong>Kraftfahrerausbildung</strong> <strong>im</strong> <strong>internationalen</strong> Vergleich“<br />

Prof. Bernhard Schlag<br />

11


Fanny Heyne<br />

Vincent Neuman<br />

- Supervision / Begleitung durch Erwachsene mit größerer Fahrerfahrung, <strong>im</strong> weiteren<br />

besonders auch während riskanter Fahrzeiten (nachts)<br />

- teilweis mit Kennzeichnung von Anfängerfahrzeugen („L“)<br />

- Null-Promille-Regel, soweit nicht ohnehin Alkoholverbot<br />

- Nachtfahrbeschränkungen (night-curfews, unterschiedlich zwischen 1 - 4 Uhr in<br />

Massachussets bis 21 - 5 Uhr in New York)<br />

- Restriktionen bei der Mitnahme von Passagieren<br />

- schnellere Intervention bei Auffälligkeit<br />

- Nachweis einer "clean record" als Voraussetzung für den regulären Führerschein<br />

- spezifische Gestaltung des vorläufigen Führerscheins<br />

Ziele von begleitetem Fahren <strong>und</strong> Auflagen: Lernen bei verringertem Risiko, gleichzeitige<br />

Unterstützung <strong>und</strong> Kontrolle<br />

- 1 : 1 Lernsituation<br />

- Unmittelbare Einwirkung (kontingent)<br />

- eingeschränkte Fahrzeugnutzung; auch: Desattraktivierung des Autofahrens?<br />

- verlängertes <strong>und</strong> verteiltes Lernen<br />

- psychische Entlastung durch klare Regeln<br />

- verstärkte Motivation, nicht aufzufallen<br />

zu c) Graduierungssysteme<br />

Auch für die Graduierungssysteme finden sich Beispiele in verschiedenen Ländern:<br />

Gr<strong>und</strong>ausbildung:<br />

30 Theorie-St<strong>und</strong>en ca. 20 Fahrst<strong>und</strong>en<br />

Phase 1 Glattfahrbahn-Kurs Überlandschulung<br />

(1 St<strong>und</strong>e) ("Verkehrssicherheitspaket"):<br />

8 St<strong>und</strong>en Theorie <strong>und</strong><br />

mindestens 10 Fahrst<strong>und</strong>en<br />

Führerscheinprüfung<br />

Vorläufiger (befristeter)<br />

Führerschein<br />

Phase 2 Selbständige Fahrerfahrung<br />

(Mindestens 4 Monate,<br />

höchstens 24 Monate)<br />

Glattfahrbahn-Kurs<br />

(4 St<strong>und</strong>en)<br />

Theoriekurs<br />

(4 St<strong>und</strong>en)<br />

Endgültiger (unbefristeter)<br />

Führerschein<br />

Fahren <strong>im</strong> Dunkeln<br />

(4 St<strong>und</strong>en)<br />

Abb. 10: Ein lernbasiertes Modell: PKW-Fahrausbildung in Norwegen <strong>und</strong> Finnland bis teilweise 1999<br />

Das abgebildete Vorgehen wurde in Norwegen <strong>und</strong> Finnland bis teilweise 1999 durchgeführt.<br />

Graduierungssysteme haben insgesamt einen positiven Effekt auf die Sicherheit der<br />

<strong>Fahranfänger</strong> <strong>und</strong> führen zu einer mehr oder weniger deutlichen Reduktion der Unfälle. Hier<br />

Skript <strong>„Junge</strong> <strong>Fahranfänger</strong>/ <strong>Kraftfahrerausbildung</strong> <strong>im</strong> <strong>internationalen</strong> Vergleich“<br />

Prof. Bernhard Schlag<br />

12


Fanny Heyne<br />

Vincent Neuman<br />

zeigten sich jedoch nicht nur positive Ergebnisse eines solchen Führerscheinerwerbs, sondern<br />

auch negative: so hatten Fahrer, die den Glattfahrbahnkurs (4h) gemacht hatten, mehr Unfälle<br />

auf glatter Straße als Leute, die diesen erweiterten Kurs noch nicht gemacht hatten. Das<br />

entspricht einer typischen Kompensationsreaktion.<br />

Es ist statistisch bekannt dass <strong>Fahranfänger</strong> eine größere Kollisionsunfallwahrscheinlichkeit<br />

aufweisen als erfahrene Fahrer. Historisch gesehen ist die Idee einer graduellen Fahrerlaubnis<br />

schon 25 Jahre alt, jedoch hat diese Idee viele verschiedene Stadien durchlaufen <strong>und</strong> seine<br />

Wurzeln in 3 Arten des Fahrlizenzerwerbs:<br />

� konventioneller Lizenzerwerb<br />

� Lizenzerwerb auf Bewährung<br />

� provisorischer Lizenzerwerb<br />

Diese 3 Arten unterscheiden sich wie folgt:<br />

Be<strong>im</strong> konventionellen Lizenzerwerb muss der Fahrschüler, nachdem er eine Lernerlaubnis<br />

erhalten hat (durch Seh- <strong>und</strong> Wissenstest) eine Fahrprüfung ablegen in der er min<strong>im</strong>ale<br />

Kompetenz <strong>im</strong> Umgang mit dem Auto unter Beweis stellen kann <strong>und</strong> erhält bei Bestehen eine<br />

unbegrenzte Fahrlizenz. Fahrfehlverhalten wird in diesem System mit Warnungen,<br />

Bußgeldern <strong>und</strong> schließlich Entzug der Fahrerlaubnis geahndet<br />

Der Lizenzerwerb auf Bewährung zeichnet sich dadurch aus, dass <strong>Fahranfänger</strong>n schneller als<br />

bei einer konventionellen Führerscheinvergabe Strafen bei Fahrfehlern ausgesprochen werden<br />

oder als ult<strong>im</strong>ative Maßnahme die Fahrerlaubnis entzogen werden kann durch härtere<br />

Bestrafung von Verkehrsdelikten. In dieser „Probezeit“ dient das Abschreckungskonzept als<br />

Gr<strong>und</strong>gerüst, da sicheres Fahrverhalten durch harte Bestrafung bei Nichtverfolgung gestärkt<br />

wird <strong>und</strong> das System zugleich als „fair“ erlebt wird, da man <strong>im</strong> Gr<strong>und</strong>e für Fehler härter als<br />

üblich bestraft wird, die sonst allerdings auch Konsequenzen nach sich ziehen. Es gibt wenige<br />

Evaluationsstudien zu dieser Art von Führerscheinvergabe, aber die wenigen existenten<br />

zeigen keine signifikanten Verbesserungen in der Unfallrate der Fahrschüler verglichen mit<br />

einer konventionellen Fahrschulgruppe.<br />

Provisorischer Lizenzerwerb ist gekennzeichnet durch explizite Anerkennung der<br />

Unerfahrenheit der neuen Fahrer <strong>und</strong> möchte sie prinzipiell vor für <strong>Fahranfänger</strong> gefährlichen<br />

Situationen bewahren wie z.B. ein Nachtfahrtenverbot, welches sich in Studien zum<br />

Unfallrisiko positiv ausgewirkt hat, jedoch oft nicht signifikant oder mit einem starken Effekt.<br />

Wie auch der Lizenzerwerb auf Bewährung werden Verkehrsdelikte härter geahndet als bei<br />

einer handelsüblichen Führerscheinvergabe.<br />

Die graduelle Fahrerlaubnis übern<strong>im</strong>mt aus diesen Drei Systemen verschiedene Elemente wie<br />

z.B. das beaufsichtigte Fahren des konventionellen Führerscheins, wobei es aber diese<br />

Lernperiode als kritisch ansieht <strong>und</strong> diese nicht übersprungen werden kann. Es werden auch<br />

Beschränkungen wie bei einer provisorischen Führerscheinvergabe vorgenommen die den<br />

Rahmen, wann, mit wem, wo <strong>und</strong> wie der <strong>Fahranfänger</strong> fährt vorgenommen. Allerdings<br />

werden nun die Einschränkungen systematisch Schritt für Schritt aufgehoben, statt alle mit<br />

einmal. Schließlich enthält es ein Strafsystem ähnlich dem Bewährungssystem, das<br />

Sanktionen schon bei minderen Verstößen vorsieht, wie z.B. die Verlängerung der graduellen<br />

Lizenz (bzw. der „Probezeit“)<br />

Das graduelle System will also das Hauptproblem junger Fahrer, mangelnde Erfahrung,<br />

schrittweise reduzieren bei min<strong>im</strong>aler Risikoexposition. Dieses Problem nennt man in der<br />

Fachliteratur auch das „Young driver paradox“ das besagt, junge Fahrer müssen so viel wie<br />

Skript <strong>„Junge</strong> <strong>Fahranfänger</strong>/ <strong>Kraftfahrerausbildung</strong> <strong>im</strong> <strong>internationalen</strong> Vergleich“ 13<br />

Prof. Bernhard Schlag


Fanny Heyne<br />

Vincent Neuman<br />

möglich fahren um sicher <strong>im</strong> Verkehr zu werden, sind dadurch aber einem hohen Risiko<br />

ausgesetzt <strong>und</strong> ebenso ein hohes Risiko für andere Verkehrsteilnehmer. Anhand einer stetig<br />

aufbauenden „Freischaltung“ von <strong>im</strong>mer mehr Bereichen die nur geübte Fahrer meistern<br />

können wie alleine fahren, Fahren bei Nacht oder das Transportieren von Mitfahrern lernen<br />

<strong>Fahranfänger</strong> Verantwortung zu übernehmen, vorausschauend zu fahren <strong>und</strong> sich selbst in<br />

risikoreichen Situationen besser einzuschätzen.<br />

Es gibt umfangreiche Evaluationsstudien zu gradueller Führerscheinvergabe die allesamt von<br />

positiven Effekten berichten, wobei die Bef<strong>und</strong>e von Studien aus Neuseeland, Kanada <strong>und</strong><br />

den Vereinigten Staaten von Amerika allerdings stark schwanken, von 4% bis zu 60%<br />

verminderte Unfallrate. Dies kann zum einen durch unterschiedliche<br />

Führerscheinvergabesysteme erklärt werden, da jedes Land ein spezielles System hat <strong>und</strong><br />

andererseits durch unterschiedliche statistische Auswertungsmethoden <strong>und</strong><br />

Untersuchungsdesigns die von einfachen Vorher-Nachher Messungen ohne Kontrollgruppe<br />

bis zu mehrfachen Zeitreihenmessungen reichten. Zusätzlich beziehen die<br />

Fahrerlaubnisprogramme unterschiedliche Zielgruppen ein, denn während das<br />

neuseeländische System nur für Fahrer bis zu 25 entwickelt wurde, ist das kanadische für<br />

<strong>Fahranfänger</strong> generell gemacht worden, unabhängig vom Alter <strong>und</strong> das amerikanische pr<strong>im</strong>är<br />

für Fahrer unter 18 Jahren.<br />

In Auszügen ein paar Studien:<br />

Die 2001er Studie aus Nova Scotia (Kanada) von Mayhew et al. (2001) zeigte eine<br />

Reduzierung von Unfällen bei einer Stichprobe von 16-jährigen <strong>Fahranfänger</strong>n, die <strong>im</strong> Jahr<br />

1995 mit Hilfe des graduellen Fahrerlaubnissystems ihren Führerschein machten, von 24%<br />

<strong>im</strong> Vergleich mit einer Kontrollgruppe, die ihren Führerschein noch auf dem konventionellen<br />

Wege erhalten hat, aus dem Jahr 1993. Verglichen mit den <strong>Fahranfänger</strong>n des graduellen<br />

Systems des Jahres 1996 verringerte sich die Crashrate um 36%, wieder verglichen mit der<br />

1993er Gruppe. Fortschritte wurden bei allen <strong>Fahranfänger</strong>n beobachtet <strong>und</strong> die Unfallrate<br />

von jungen Fahrern hat 1995 generell um 19% abgenommen <strong>im</strong> Vergleich mit 1993.<br />

Boase <strong>und</strong> Tasca haben 1998 in ihrer Ontario-Studie anhand eines Prä-Posttest-<br />

Gruppenvergleichs festgestellt dass die gesamte Unfallzahl pro 10 000 <strong>Fahranfänger</strong>n einer<br />

1995er Programmgruppe <strong>im</strong> Vergleich mit einer 1993er Kontrollgruppe von <strong>Fahranfänger</strong>n<br />

um 31% gesunken ist. Die Crashrate ist bei allen Altersgruppen gefallen, um 16% bei den 16-<br />

19jährigen bzw. 42% bei 20-24jährigen, 38% bei den 25-34jährigen, 37% in der Gruppe der<br />

35-44jährigen, 24% bei 45-54 Jahre alten <strong>Fahranfänger</strong>n <strong>und</strong> 19% bei 55jährigen <strong>und</strong> darüber.<br />

Ebenfalls wurden die Effekte von Alkohol-, Autobahn- <strong>und</strong> Nachtfahrverbot untersucht <strong>und</strong><br />

für positiv bef<strong>und</strong>en.<br />

Der Automobile Club California berichtet dass die Nummer tödlicher Unfälle <strong>und</strong> Unfälle mit<br />

Verletzungen bei 16-jährigen <strong>Fahranfänger</strong>n um 23% gefallen ist seitdem das graduelle<br />

Fahrlizenzprogramm 1998 eingeführt wurde. Jugendliche Todesfälle <strong>und</strong> Verletzungen in<br />

Autos die von 16-jährigen gefahren wurden, gingen ebenfalls um 40% zurück.<br />

Foss, Feaganes <strong>und</strong> Rodgman berichten in ihrer 2001er Studie über die Evaluation des neu<br />

eingeführten Systems in North Carolina von einem Rückgang der Pro-Kopf Crashrate von 16jährigen<br />

<strong>Fahranfänger</strong>n von 23% (27% bei Adjustierung des Crashtrends der 25-34 jährigen).<br />

Dieser Rückgang zieht sich durch alle Unfallschweregrade nach Einführung des Programms.<br />

Tödliche Unfälle gingen um 57% zurück, Unfälle mit Verletzungen um 28%, <strong>und</strong> Unfälle<br />

Skript <strong>„Junge</strong> <strong>Fahranfänger</strong>/ <strong>Kraftfahrerausbildung</strong> <strong>im</strong> <strong>internationalen</strong> Vergleich“<br />

Prof. Bernhard Schlag<br />

14


Fanny Heyne<br />

Vincent Neuman<br />

ohne Verletzungen um 23%. Zusätzlich haben sich Unfälle bei Nacht um 43% verringert <strong>und</strong><br />

Unfälle am Tag um 20%.<br />

Zusammenfassend kann man sagen dass Evidenzen für die Wirksamkeit der graduellen<br />

Fahrerlaubnis täglich steigen, wobei auch hervorzuheben ist dass die <strong>im</strong>plementierten<br />

Programme in Kanada für <strong>Fahranfänger</strong> jeden Alters gelten, somit auch gezeigt werden kann<br />

dass die Sicherheitsgewinne für alle Fahrergruppen von Bedeutung sind, nicht nur für junge<br />

<strong>Fahranfänger</strong> sondern auch für ältere. Unklar ist allerdings die Antwort auf die Frage warum<br />

diese Programme so effektiv sind, z.B. ob es einfach daran liegt dass die Programme zu<br />

sichererem Fahren führen, oder die Vorteile durch indirekte Verhaltensbeeinflussungen<br />

zustande kommen wie z.B. weniger Risikoexposition für <strong>Fahranfänger</strong> oder Verlängerung <strong>im</strong><br />

Prozess der Fahrausbildung generell. Wirken sie einfach weil Reifungseffekte länger Zeit<br />

haben einzusetzen, dank der verlängerten Fahrausbildung oder wirken sie, weil Möglichkeiten<br />

zur Fertigkeitsverbesserung sowohl hergestellt werden als auch Verbesserungen an sich<br />

produziert werden? Diese Fragen sind in der weiteren Forschung zu klären. Ähnlich verhält es<br />

sich mit der Breite <strong>und</strong> Streuung der positiven Ergebnisse. Die Variabilität der<br />

Studienergebnisse aufzuklären sollte bei der zukünftigen Forschung ein Hauptziel sein.<br />

Ein weiteres Beispiel für ein Graduierungssystem findet sich in Neuseeland:<br />

* Ein Supervisor muß mindestens 20 Jahre alt sein <strong>und</strong> eine Full<br />

Driver's License seit mindestens zwei Jahren besitzen.<br />

Abb.11: Beispiel Neuseeland: ein lern- <strong>und</strong> entwicklungsbezogenes Graduierungssystem<br />

Konsequenzen<br />

Stufe Zugangsvoraussetzungen Auflagen<br />

Learner's Permit - schriftliche <strong>und</strong> mündliche Tests<br />

- Tests der Seh- <strong>und</strong> Hörfähigkeit<br />

Restricted License - 6 Monate Fahrerfahrung mit dem<br />

Learner's Permit<br />

(3 Monate, wenn ein anerkannter<br />

Fahrkurs erfolgreich absolviert<br />

wurde)<br />

- Praxistest<br />

Full License - 18 Monate Fahrerfahrung mit der<br />

Restricted License<br />

(9 Monate, wenn ein anerkannter Kurs<br />

bestanden wurde)<br />

- die Periode der Restricted License wird<br />

bei unsicherem Fahrverhalten<br />

(Auffälligkeiten, Unfälle) ausgedehnt<br />

- Supervision*<br />

- kein Alkohol<br />

- kein Alkohol<br />

- keine Passagiere (außer bei<br />

Supervision)<br />

- Nachtfahrverbot zwischen<br />

22 Uhr <strong>und</strong> 5 Uhr (außer<br />

bei Supervision)<br />

1. Gesellschaftliche Verantwortung für schützende Rahmenbedingungen.<br />

2. In der gesamten Fahrsozialisation müssen die Entwicklungs- <strong>und</strong> Lernstufen passend<br />

aufgegriffen werden.<br />

3. Entwicklung <strong>und</strong> Lernen brauchen Zeit! Entwicklungsschritte, die be<strong>im</strong> selbständigen<br />

Fahren wichtig sind - wie die Fähigkeit, sich in andere hineinzuversetzen, oder die<br />

Kontrolle der eigenen Emotionen, gerade wenn es Probleme gibt - brauchen Zeit!<br />

Skript <strong>„Junge</strong> <strong>Fahranfänger</strong>/ <strong>Kraftfahrerausbildung</strong> <strong>im</strong> <strong>internationalen</strong> Vergleich“<br />

Prof. Bernhard Schlag<br />

15


Fanny Heyne<br />

Vincent Neuman<br />

3) Fazit: Was ist zu tun um die Sicherheit junger Fahrer zu<br />

erhöhen?<br />

Das unter 1.4. angesprochene Forschungsprojekt der JTRC kommt abschließend zu einigen<br />

Empfehlungen, wie man konkret die Sicherheit junger Fahrer erhöhen kann:<br />

• Die Bekämpfung der Probleme der jungen Fahrer verlangt<br />

eine Kombination von Gegenmaßnahmen <strong>und</strong> diese<br />

müssen an die verschiedenen Umstände <strong>und</strong> Bedingungen<br />

der verschiedenen Länder angepasst werden.<br />

• Öffentliches Bewusstsein schaffen. Trotz ihres großen<br />

Potentials sind Verkehrssicherheitsmaßnahmen oft wenig<br />

beliebt.<br />

• Verfügbarkeit <strong>und</strong> Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel stärken. Umgekehrt z.B. für<br />

Alkohol <strong>und</strong> Drogen. Soziale Normen stärken<br />

• Begleitetes Fahren. Viel Erfahrung sammeln unter nicht so risikoreichen<br />

Bedingungen. (Z.B. brachte eine Erhöhung der Übungsst<strong>und</strong>en von 50 auf 120<br />

St<strong>und</strong>en 40% weniger Unfälle in den ersten zwei Jahren selbständigen Fahrens.) Keine<br />

Alleinfahrten unter 18 Jahren! Die Alleinfahrphase, die direkt nach dem<br />

Führerscheinerwerb folgt, ist besonders gefährlich.<br />

• Integration in ein Graduierungssystem: Verteiltes, effektiveres Lernen.<br />

• Protektive Restriktionen in der ersten Phase selbständigen Fahrens (z.B.<br />

Nachtfahrverbot in der ersten Zeit selbstständigen Fahrens).<br />

• Die stärkste Reduzierung des Risikos wird von einer strengen Gesetzgebung <strong>und</strong><br />

allgemeinen Verkehrssicherheitsmaßnahmen erwartet. (Geschwindigkeits-<br />

regelungen, Gesetze gegen Drogen <strong>und</strong> Alkohol, Gurtpflicht)<br />

• Die Anwendung von Technik (wie z.B. Adaptive Cruise Control, Black Boxes oder<br />

Elektronische Stabilitätskontrolle) könnte das Risiko vermindern. Die Auswirkungen<br />

solcher Technik auf junge Fahrer sollten aber noch weiter untersucht werden.<br />

• Verbesserung der Fahrausbildung: stärkerer Fokus auf self-awareness <strong>und</strong> das<br />

Verständnis der Risikofaktoren.<br />

• Um sicherheitsrelevante Einstellungen, die sich meist schon vor dem Fahralter<br />

herausbilden, <strong>und</strong> das Risikoverständnis der jungen Fahrer zu verändern kann<br />

persuasive Kommunikation genutzt werden.<br />

Exkurs: Einstellungs- <strong>und</strong> Verhaltensänderung <strong>im</strong> Erwachsenenalter<br />

Programme, die entwickelt wurden, um gefährliche Verhaltensweisen Erwachsener zu<br />

verändern oder ihnen vorzubeugen, sollten auf einer klaren normativen Idee gründen<br />

(Welche Verhaltensweisen sollte das Programm idealer weise fördern?), sie sollten zudem<br />

eine deskriptive Gr<strong>und</strong>lage haben (Wie trifft der Erwachsene die Entscheidung ohne das<br />

Programm?) <strong>und</strong> sie sollten eine verordnende Komponente besitzen (Was kann die<br />

Erwachsenen realistisch dazu bewegen ihre Entscheidungen näher an der idealistischen<br />

Norm zu fällen?).<br />

Skript <strong>„Junge</strong> <strong>Fahranfänger</strong>/ <strong>Kraftfahrerausbildung</strong> <strong>im</strong> <strong>internationalen</strong> Vergleich“<br />

Prof. Bernhard Schlag<br />

16


Fanny Heyne<br />

Vincent Neuman<br />

Es wird eine schrittweise Einführung der Gegenmaßnahmen empfohlen:<br />

- Zunächst soll das höchstmögliche Straßensicherheitslevel angepriesen werden <strong>und</strong> eine<br />

rigorose Durchsetzung der Verkehrs-Gesetze sichergestellt werden, besonders hinsichtlich<br />

Geschwindigkeit, Alkohol, Drogen <strong>und</strong> Gurtnutzung.<br />

- Danach solle ein Einführung langer Phasen begleiteten Fahrens <strong>und</strong> die Einführung<br />

protektiver Maßnahmen während der Anfangszeit (0-Promille-Grenze,…) durchgesetzt<br />

werden.<br />

- Darauf folgend wird eine Verbesserung des Fahrtrainings empfohlen, das dann Fokus auf<br />

self-awareness <strong>und</strong> das Verständnis der Umstände für sicheres Fahren lenkt.<br />

- Zuletzt soll ein Verständnis für die Vorteile technischer Lösungen entstehen (als<br />

Assistenz- oder Überwachungssysteme) <strong>und</strong> eine selektive Einführung effektiver Technik<br />

geschehen.<br />

4) Literatur<br />

European Conference of Ministers of Transport/ Council of Ministers: Road Safety. Young<br />

driver risks and effective Counter-Measures, 2006<br />

Schlag, B.: Folien zur Vorlesung Verkehrspsychologie <strong>„Junge</strong> <strong>Fahranfänger</strong> <strong>und</strong><br />

<strong>Kraftfahrerausbildung</strong> <strong>im</strong> <strong>internationalen</strong> Vergleich“ ,12.06.09<br />

S<strong>im</strong>pson, H.M.: The evolution and effectiveness of graduated licensing. Journal of Safety<br />

Research 34 (2003), 25-34<br />

Skript <strong>„Junge</strong> <strong>Fahranfänger</strong>/ <strong>Kraftfahrerausbildung</strong> <strong>im</strong> <strong>internationalen</strong> Vergleich“<br />

Prof. Bernhard Schlag<br />

17

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!