08.01.2013 Aufrufe

Vichy, die Königin der Thermen - Udo Haafke

Vichy, die Königin der Thermen - Udo Haafke

Vichy, die Königin der Thermen - Udo Haafke

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Reiseinformationen Frankreich<br />

<strong>Vichy</strong>, <strong>die</strong> <strong>Königin</strong> <strong>der</strong> <strong>Thermen</strong><br />

Bericht von <strong>Udo</strong> <strong>Haafke</strong><br />

François schlurft auf abgewetzten Pantinen in <strong>die</strong> Trinkhalle. Ein verbeulter<br />

Becher baumelt am hellbraunen Le<strong>der</strong>band vor <strong>der</strong> Brust des<br />

Rentners. Er nimmt das Trinkgefäß heraus, hält es unter einen <strong>der</strong> zahlreichen<br />

Wasserhähne, <strong>die</strong> aus <strong>der</strong> hellblau gekachelten Wand herausragen.<br />

Schwefliger Geruch wabert in <strong>der</strong> Weite des Raumes, den künstliche<br />

Lampen erhellen. François setzt das gefüllte Glas an <strong>die</strong> Lippen,<br />

leert es vorsichtig bis zur Neige. Für einen Moment hält er inne, verfolgt<br />

intensiv den Weg des Getränks in <strong>die</strong> Tiefen seines Körpers. Dann<br />

macht er kehrt und verlässt gemächlich den von feucht-warmer Luft<br />

geschwängerten Raum. Den kunstvoll geschmiedeten Blumenrosetten an<br />

den Fenster- und Türrahmen widmet er keinerlei Aufmerksamkeit. Zu oft<br />

schon hat er sie gesehen; sie verlieren ihre künstlerische Bedeutung,<br />

sind nur noch notwendiges Übel, wenn man ihnen dreimal am Tag,<br />

über<strong>die</strong>s zwangsläufig begegnet.<br />

"Ich bin jeden Morgen kurz nach 6 hier, dann komme ich zur<br />

Mittagszeit und nochmals um 8 abends," erzählt er, während er eine<br />

<strong>der</strong> weißen Bänke im weitläufigen Parc des Sources auswählt und sich<br />

schwerfällig auf ihr nie<strong>der</strong>lässt. Die ersten Sonnenstrahlen suchen mühsam<br />

ihren Weg durch das dichte Laubwerk <strong>der</strong> Platanen, jedoch ohne<br />

allzu großen Erfolg. "Es bleibt hier immer schön kühl, selbst wenn <strong>die</strong><br />

Sonne im Zenit steht." François blinzelt neidvoll zu einem kleinen<br />

Pavillon herüber, an dem eine Frau Tische und Stühle für das<br />

Tagesgeschäft aufstellt. Blaues Neonlicht umrahmt rhythmisch blinkend<br />

einen Werbetext: pastilles de <strong>Vichy</strong>. "Die hat´s gut! Die verkauft ihre<br />

Pfefferminzbonbons und darf ab und zu mal einen lutschen. Und ich?<br />

Ich bin auf Diät und muss mir <strong>die</strong>ses schweflige, warme Wasser verabreichen!<br />

Alles nur <strong>der</strong> Gesundheit zuliebe. Schon seit Jahren, aber an<br />

<strong>die</strong>sen merkwürdigen Geschmack habe ich mich bis heute nicht<br />

gewöhnt!" Er schüttelt sich. "Na ja, Hauptsache es hilft."<br />

Seit Ende des 16.Jahrhun<strong>der</strong>ts kommen <strong>die</strong> Menschen nach <strong>Vichy</strong>, um<br />

<strong>die</strong> heilsamen Kräfte <strong>der</strong> <strong>Thermen</strong> und Quellen zu erleben. Dem damaligen<br />

Stand <strong>der</strong> Medizin zufolge, wurde <strong>die</strong> Wirkung von Trinkkuren und<br />

Bä<strong>der</strong>n mit Zauberei und Magie erklärt. Berühmte Persönlichkeiten <strong>der</strong><br />

Zeitgeschichte sorgten für einen hohen Bekanntheitsgrad des Ortes am<br />

Rande <strong>der</strong> wohl größten Vulkanlandschaft Europas im Herzen <strong>der</strong><br />

Auvergne. Den geologischen Beson<strong>der</strong>heiten <strong>der</strong> Region verdanken<br />

auch noch einige weitere Orte den Status eines Thermalbades (La<br />

Parc des Sources<br />

Thermalquelle<br />

Das Thermalbad<br />

Thermalbad - innen


Reiseinformationen Frankreich<br />

<strong>Vichy</strong>, <strong>die</strong> <strong>Königin</strong> <strong>der</strong> <strong>Thermen</strong><br />

Bericht von <strong>Udo</strong> <strong>Haafke</strong><br />

Bourboule, Chatel-Guyon, Le Mont-Dore o<strong>der</strong> Royat), doch gilt <strong>Vichy</strong> als<br />

<strong>die</strong> ungekrönte <strong>Königin</strong> unter ihnen. Als zwei Töchter Ludwigs XV. den<br />

Sommer des Jahres 1785 hier verbrachten, sagte ihnen zwar <strong>die</strong> Kur,<br />

weniger jedoch <strong>die</strong> einfachen, äußeren Umstände zu, <strong>die</strong> nicht im<br />

Mindesten den Ansprüchen des Hochadels entsprachen. Ihr Neffe<br />

Ludwig XVI. sollte sich den architektonischen Gegebenheiten widmen,<br />

größere Bä<strong>der</strong> und annehmbare Unterkünfte errichten.<br />

Vor allem <strong>die</strong> Anwesenheit Napoleons III. zwischen 1861 und 1866<br />

zu recht erfolgreich verlaufenden Kuren sorgte für einen nun heftig einsetzenden<br />

Boom, <strong>der</strong> <strong>Vichy</strong> endgültig erfasste. Napoleon ließ den Fluss<br />

Allier eindämmen, machte <strong>die</strong> sumpfige Uferlandschaft urbar, legte ausgedehnte<br />

Gärten an, das heutige Arboretum. Straßen, Boulevards wurden<br />

gebaut, herrschaftliche Häuser und Paläste zur Unterkunft des<br />

Kaisers und seines Gefolges. Jedoch auch <strong>die</strong> weltlichen Vergnügungen<br />

Die Oper<br />

ließ man nicht außer acht und richtete am südlichen Ende des Parc des<br />

Sources 1865 ein Casino ein. Noch nachhaltiger jedoch prägt <strong>die</strong><br />

Belle Époque das heutige Aussehen <strong>der</strong> Stadt. Insbeson<strong>der</strong>e <strong>die</strong><br />

Einweihung des Opernhauses 1903, unweit des Casinos, und des großen<br />

Thermalbades in klassischer Jugendstilarchitektur mit orientalischem<br />

Einfluss belegen <strong>die</strong>s eindrucksvoll. Auch <strong>der</strong> Parc des Sources bekam<br />

ein Jugendstilaccessoire, dessen Dimension durch den mittlerweile ausgesprochen<br />

wuchtigen Baumbestand jedoch geradezu niedlich wirkt:<br />

eine verschnörkelte Metallgalerie, 700 Meter lang, als wertvolles<br />

Präsent aus <strong>der</strong> Weltausstellung von 1889.<br />

Die Zahlen <strong>der</strong> Kurgäste stiegen stetig an, sodass noch weitere Bä<strong>der</strong><br />

in <strong>der</strong> Stadt hinzukamen und <strong>die</strong> Kapazität an Unterkünften erhöht werden<br />

musste. Eine Tatsache sowie das gut funktionierende Telefonnetz,<br />

<strong>die</strong> <strong>Vichy</strong> zum zweifelhaften Ruhm während des 2.Weltkrieges verhalf,<br />

als sich das aus Paris und Bordeaux vertriebene Parlament in <strong>der</strong> Stadt<br />

etablierte, in <strong>der</strong> ehrwürdigen Halle <strong>der</strong> Oper <strong>die</strong> Regierung gestürzt<br />

wurde und sich gegen nur geringen Wi<strong>der</strong>stand <strong>der</strong> machtbesessene<br />

Marschall Philippe Petain für 4 Jahre zum Staatsoberhaupt machen<br />

ließ. Eine kurze, aber heftige Hauptstadtzeit folgte.<br />

"Früher bin ich wohl etwas zu häufig auf dem Allier-See geru<strong>der</strong>t.<br />

Daher vermutlich mein Rheuma.<br />

Hotel de Ville<br />

Hausfasade in <strong>der</strong> Rue de Clemenceau<br />

Passage Giboin


Reiseinformationen Frankreich<br />

<strong>Vichy</strong>, <strong>die</strong> <strong>Königin</strong> <strong>der</strong> <strong>Thermen</strong><br />

Bericht von <strong>Udo</strong> <strong>Haafke</strong><br />

Damals gab es auch nicht <strong>die</strong>se neumodischen Begriffe wie Wellness!"<br />

François kratzt sich im schütteren Haupthaar. "Meine Altersgenossen<br />

und ich, wir wären gern nochmal jung und würden Gesundheitsurlaub<br />

machen, so wie <strong>die</strong> vielen Touristen es tun. Mit allem was dazugehört:<br />

Massagen, Sauna, Fitnessstudio o<strong>der</strong> Sport in den tollen Anlagen am<br />

westlichen Seeufer. O<strong>der</strong> Golf...!" Dann berichtet François schwärmerisch<br />

von <strong>der</strong> goldenen Ära <strong>der</strong> Oper, als ein kultureller Höhepunkt den<br />

nächsten jagte und Richard Strauss höchstpersönlich 1935 <strong>die</strong> Oper<br />

Salome zur Uraufführung brachte, <strong>Vichy</strong> als Hauptstadt <strong>der</strong> Musik<br />

glänzte. Heute sind <strong>die</strong> Inszenierungen wohl perfekter, jedoch weniger<br />

zahlreich und spektakulär. Der Glamour <strong>der</strong> 30er indes hat sich überlebt.<br />

Lediglich <strong>die</strong> 1995 liebevoll restaurierten Jugendstilelemente im<br />

Treppenhaus o<strong>der</strong> im Großen Saal, <strong>die</strong> Blumendekors an den Wänden<br />

spiegeln <strong>die</strong> verspielte und verschwen<strong>der</strong>ische Lebensfreude wi<strong>der</strong>.<br />

Unweit <strong>der</strong> Oper, am Rande des Parks befindet sich in einem tempelartigen<br />

Rundbau eine weitere Thermalquelle, an <strong>der</strong> je<strong>der</strong>, <strong>der</strong> mag o<strong>der</strong><br />

muss, sein tägliches Scherflein abholen kann. Gleich daneben eines <strong>der</strong><br />

in Frankreich so beliebten Karussells mit wippenden Holzpferdchen, in<br />

zarten Pastelltönen anmutig bemalt, und von Kin<strong>der</strong>n stark frequentiert.<br />

Vis-a-vis liegt eine ausgedehnte Fußgängerzone in <strong>der</strong> <strong>die</strong> Belle Époque<br />

weitgehend dominiert. Beson<strong>der</strong>s hübsch wirken <strong>die</strong> kleinen, überdachten<br />

Passagen, in denen Souvenirläden genauso zu finden sind wie<br />

allerfeinste Restaurants.<br />

Information: www.franceguide.com, www.ville-vichy.com<br />

Anreise: Nach <strong>Vichy</strong> gelangt man am schnellsten mit <strong>der</strong> Air France<br />

von allen deutschen Flughäfen, teilweise mit Zwischenstop in Paris, teilweise<br />

aber auch direkt nach Clermont-Ferrand. Von hier aus weiter mit<br />

dem Bus o<strong>der</strong> Mietwagen. Mit dem PKW dauert <strong>die</strong> Fahrt ins Herz<br />

Frankreichs recht lang. Die Autobahnen sind teils mautpflichtig.<br />

Unterkunft: Zahlreiche Hotels jeglicher Preiskategorie stehen zur<br />

Verfügung, auch Ferienhäuser in <strong>der</strong> näheren Umgebung. An <strong>der</strong><br />

Rezeption können meist Termine in den <strong>Thermen</strong> für Massagen o<strong>der</strong><br />

Anwendungen gebucht werden.<br />

Aktiv: Verschiedene Wassersportaktivitäten auf dem Lac d´Allier (Kanu,<br />

Segeln, Ru<strong>der</strong>n), dazu Tennis, Mountain-Bike, Golf etc. im Parc<br />

Omnisports. Für Kin<strong>der</strong> bietet <strong>der</strong> Parc du Soleil am Seeufer unterschiedliche<br />

Spielmöglichkeiten, zum Teil mit Animation.<br />

Park an <strong>der</strong> Oper<br />

Place De Gaulle<br />

Pavillon im Parc des Sources<br />

Kirche in <strong>der</strong> Rue G. Clemenceau

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!