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Polina Semionova: Sie tanzt mit dem Kopf - Mein Weg - Beruf und ...

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<strong>Polina</strong> <strong>Semionova</strong>: <strong>Sie</strong> <strong>tanzt</strong> <strong>mit</strong> <strong>dem</strong> <strong>Kopf</strong> - <strong>Mein</strong> <strong>Weg</strong> - <strong>Beruf</strong> <strong>und</strong> Chan... http://www.faz.net/s/Rub2309A3DB4F3C4474B93AA8610A24AE0A...<br />

Jury „eine Art wilden Zigeunertanz“ vor. „Die Jury war sich danach ein bisschen uneinig,<br />

was sie <strong>mit</strong> mir anfangen sollten.“ Schließlich beschloss man, die kleine <strong>Polina</strong> in eine<br />

vorläufige Ballettklasse aufzunehmen.<br />

„Der Spagat zwischen zwei Stühlen war vergleichsweise harmlos“<br />

Der Druck, sich ständig unter Beweis stellen zu müssen, bestimmte ihre Schulzeit. „<strong>Mein</strong><br />

heutiger Alltag als Primaballerina ist natürlich sehr stressig“, sagt <strong>Semionova</strong>. „Trotz<strong>dem</strong><br />

hatte ich als Kind noch deutlich mehr Stress.“ Zu einem langen Trainingstag kamen dann<br />

noch die Hausaufgaben. „Häufig saß ich bis Mitternacht am Schreibtisch.“ In der Freizeit<br />

stachelten sich die Bolschoi-Schüler außer<strong>dem</strong> zu ziemlich verrückten Trainingsmethoden<br />

an. „Der Spagat zwischen zwei Stühlen war da noch vergleichsweise harmlos“, erinnert sich<br />

<strong>Semionova</strong>. „Eine krasse Sache war, den 200 Meter langen Schulflur entlangzulaufen,<br />

in<strong>dem</strong> man sich nur <strong>mit</strong> den Zehen am Boden festkrallte <strong>und</strong> sich zentimeterweise nach<br />

vorn schob. Wir glaubten, das würde unsere Füße stärken.“<br />

Stand <strong>Polina</strong> als Kind beim Training oft eher in der Ecke, änderte sich das schlagartig im<br />

Alter von 17 Jahren. Vladimir Malakhov, heute Intendant des Staatsballetts Berlin, war<br />

damals zu Gast in Moskau <strong>und</strong> beobachtete das Mädchen während einer Übungsst<strong>und</strong>e.<br />

Spontan bot er ihr ein einjähriges Stipendium an - <strong>und</strong> ließ sie von diesem Zeitpunkt an<br />

nicht mehr aus den Augen. Im selben Jahr gewann <strong>Semionova</strong> völlig überraschend die<br />

Goldmedaille beim Internationalen Ballettwettbewerb <strong>und</strong> wurde erstmals einer breiten<br />

Öffentlichkeit bekannt. Nach ihrem Abschluss an der Ballettschule wäre die normale<br />

Karriere für eine Schülerin wie sie ein Engagement am Bolschoi-Theater gewesen.<br />

Gruppentänzerin, halbe Solistin, Solotänzerin, Primaballerina - so verläuft der Aufstieg<br />

unter Ballerinen normalerweise. Und so wäre er in ihrem Fall womöglich in Moskau<br />

verlaufen. <strong>Semionova</strong> aber erhielt ein außergewöhnliches Angebot aus Deutschland:<br />

Vladimir Malakhov, der gerade in Berlin <strong>mit</strong> <strong>dem</strong> Staatsballett eine völlig neue Kompanie<br />

gründete, engagierte sie vom Fleck weg als Erste Solotänzerin.<br />

„<strong>Mein</strong>e ersten Tage in Deutschland waren sehr schwierig“, erinnert sich <strong>Semionova</strong>. „Ich<br />

war noch minderjährig, durfte keinen Mietvertrag unterschreiben <strong>und</strong> kein Bankkonto<br />

eröffnen.“ Davon abgesehen sprach sie ausschließlich Russisch. Kollegen leisteten<br />

schließlich die nötigen Unterschriften, <strong>und</strong> <strong>Semionova</strong> zog <strong>mit</strong> ihrer Luftmatratze <strong>und</strong> ihrem<br />

Hartschalenkoffer, den sie als Tischchen nutzte, in eine kleine Wohnung. „Möbel hatte ich<br />

keine“, sagt sie. „<strong>Mein</strong> letztes Geld ging für die vielen Hotelübernachtungen drauf, die nötig<br />

waren, bevor ich die Wohnung gef<strong>und</strong>en hatte. Die erste Gage nach einem Monat war wie<br />

ein Vermögen für mich.“ In Berlin fühlte sich <strong>Semionova</strong> anfangs einsam. „Die Stadt kam<br />

mir im Vergleich zu Moskau ausgestorben vor. Und wenn ich aus <strong>dem</strong> Theater nach Hause<br />

kam, war auch dort niemand. Keine Eltern, keine Geschwister. Das war ich nicht gewohnt.“<br />

„Manche Tänzer schlucken jeden Tag Voltaren“<br />

Die deutsche Presse allerdings feierte sie nach kürzester Zeit als „Baby Ballerina“.<br />

<strong>Semionova</strong> wurde zur gefragten Interviewpartnerin, weil sie ungeschminkt über den<br />

Profitänzer-Alltag erzählte: Von den Risiken, sich die Zähne auszuschlagen, wenn der<br />

Partner die Tänzerin bei Hebungen nicht richtig festhält. Oder von den ständigen<br />

Muskelschmerzen. „Manche Tänzer schlucken jeden Tag Voltaren“, sagt sie. Das<br />

Schlimmste aber sei, wenn Ballettmeister ihre Schüler als faul oder fett beschimpften. „Mit<br />

<strong>dem</strong> Gewicht hatte ich zum Glück nie ein Problem - ich kann essen, was ich will, <strong>und</strong><br />

nehme nicht zu.“ Mit <strong>dem</strong> Beschimpftwerden allerdings hat auch sie in ihrer Schulzeit zur<br />

Genüge Erfahrungen gemacht.<br />

Heutzutage freilich sind solche Probleme längst Vergangenheit. Heutzutage fordert man<br />

nicht mehr von ihr, dass sie sich Mühe gibt - man gibt sich Mühe <strong>mit</strong> ihr. In Berlin<br />

genehmigt man ihr jedes internationale Gastspiel bereitwillig. „Sonst könnten wir<br />

jemanden wie <strong>Polina</strong> gar nicht bei uns halten“, sagt Marie-Therese Volkmer vom Berliner<br />

Staatsballett. „Dann wäre sie längst auf <strong>und</strong> davon.“ Denn <strong>Semionova</strong> plagt schon eine<br />

neue Sorge: „Ich bin jetzt 26 - das ist noch ganz o.k.“, sagt sie. Ab 30 aber gilt eine<br />

Ballerina bereits als alt. Länger als bis 40 dauert kaum eine Karriere. Vorher will<br />

<strong>Semionova</strong> so viel wie möglich <strong>mit</strong>nehmen. Es gehe dabei um den Applaus, sagt sie, nicht<br />

ums Geld. Die Zahlen sprechen jedoch eine leicht andere Sprache: Im Durchschnitt<br />

verdient eine Solotänzerin nach Angaben des Staatsballetts etwa 4200 Euro im Monat. Sehr<br />

gute Solisten handeln ihre Gagen auf etwas mehr als 6000 Euro hoch. Kaum genug, um <strong>mit</strong><br />

40 ausgesorgt zu haben.<br />

Einen Plan B für ihr Leben nach <strong>dem</strong> Profitanz hat <strong>Polina</strong> <strong>Semionova</strong> bis jetzt noch nicht.<br />

„Ich will auf jeden Fall eine Familie <strong>und</strong> Kinder.“ Zum Ballett schicken allerdings wird sie<br />

ihre Kinder nicht. „So gut mein <strong>Weg</strong> bislang verlaufen ist - Tänzerkarrieren stecken voller<br />

Risiken <strong>und</strong> Qualen. Das einmal in seinem Leben durchzumachen ist ok. Zweimal wäre mir<br />

zu viel.“<br />

2 von 3 15.03.2011 16:03

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