Text und Nachweise - htwg konstanz
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Unterschiede europäischer <strong>und</strong><br />
chinesischer Bildkunst<br />
Die europäische <strong>und</strong> chinesische Bildkunst<br />
Die Kunst der europäischen Maler war geprägt durch<br />
die Tradition der Renaissance <strong>und</strong> des Barock. Leonardo<br />
da Vinci, Michelangelo, Raffael <strong>und</strong> die Meister<br />
der sakralen Kunst des Barock waren ihre Vorbilder<br />
<strong>und</strong> Lehrer. Diese hatten plastisch - realistische<br />
Kunstwerke geschaffen - als Fresken in Palästen <strong>und</strong><br />
Kirchen, als große Rahmen- <strong>und</strong> Altarbilder in glänzenden<br />
Ölfarben für weltliche <strong>und</strong> geistliche Fürsten;<br />
sie beherrschten die Perspektive <strong>und</strong> die Anatomie<br />
der menschlichen Körper, die sie durch kräftige Hell-<br />
Dunkel - Effekte modellierten <strong>und</strong> durch Schatten<br />
hervorhoben. Das zentrale Thema dieser Tradition<br />
war der Mensch.<br />
Nun traten Castiglione <strong>und</strong> seine Gefährten in eine<br />
künstlerische Welt, die von der ihren völlig verschieden<br />
war. Nicht der Mensch war das zentrale Thema<br />
dieser Kunst, sondern die Natur. Dabei erstrebten<br />
die chinesischen Künstler keine realistische Darstellung.<br />
Sie gestalteten Ideallandschaften, Landschaften<br />
als Ausdruck des „qi“, der „Beseeltheit“ der Natur.<br />
Häufig waren sie Maler, Dichter <strong>und</strong> Kalligraphen in<br />
einer Person. Ihre Werke waren also Bilder, Kalligraphien<br />
<strong>und</strong> Gedichte in einem – ausgeführt auf Seide<br />
<strong>und</strong> Papier mit gleichem Pinsel <strong>und</strong> gleicher Tusche.<br />
Sie drückten gewissermaßen Wesen <strong>und</strong> Stimmung<br />
von Gedichten aus, oft hineingemalt in den Himmel<br />
über der Landschaft, über Blumen, Kiefern <strong>und</strong> Bambus.<br />
Was man über die Werke des Künstlers Wang Wei<br />
(701-761) sagte, gilt für die besten Beispiele chinesischer<br />
Naturkunst: Kostet man die Gedichte des Wang Wei,<br />
so sind darin Gemälde; betrachtet man seine Gemälde, so<br />
sind darin Gedichte. 30)<br />
Traditionelle chinesische Landschaftsbilder sind also<br />
– die Vereinfachung sei erlaubt – gemalte Naturgedichte.<br />
Sie kennen keine geometrische Perspektive,<br />
keine Modellierung der Körper durch Hell <strong>und</strong> Dunkel,<br />
keine Schatten <strong>und</strong> kaum eine naturgetreue Anatomie.<br />
Ihr Ausdrucksmittel ist der elegante Pinselzug,<br />
die dynamische Linie, sowohl in den Schriftzeichen<br />
als auch in der Darstellung der Berge, Gewässer <strong>und</strong><br />
Pflanzen, der Gebäude <strong>und</strong> Boote, der kleinen, fast<br />
„körperlosen“ Menschen, die in einer vom „Dao“ erfüllten<br />
Natur aufgehen.<br />
Möglichkeit einer Synthese?<br />
Beide Traditionen begegneten sich nun am chinesischen<br />
Kaiserhof. Man versteht leicht, dass eine völlige<br />
Synthese kaum möglich war. Zwar wurden die Merkmale<br />
der europäischen Bildkunst durchaus geduldet,<br />
oft geschätzt, ja bew<strong>und</strong>ert, sogar vom Kaiser. Doch<br />
Qianlong erwartete natürlich, dass sich die Jesuitenmaler<br />
in die chinesische Tradition einfügten. Zu mächtig<br />
war diese Tradition, <strong>und</strong> Kalligraphie <strong>und</strong> Tuschemalerei<br />
waren die höchstgeachteten Künste überhaupt.<br />
So entstand ein eigenartiger chinesisch - europäischer<br />
Mischstil, der von Castiglione zur Meisterschaft gebracht<br />
<strong>und</strong> von Attiret, Sichelbarth <strong>und</strong> sogar von<br />
chinesischen Hofmalern übernommen wurde. 31)<br />
Interkulturelles Schaffen – kulturelle Unterschiede<br />
Die Bilder, die am Qianlong - Hof entstanden, waren<br />
in der Regel Gemeinschaftswerke. Castiglione <strong>und</strong><br />
seine europäischen Mitbrüder legten zum Beispiel<br />
die Perspektive fest, übernahmen die Gestaltung der<br />
Porträts, der Körper von Menschen <strong>und</strong> Tieren, während<br />
die chinesischen Künstler die Kleider <strong>und</strong> Gebäude,<br />
die Pflanzen <strong>und</strong> die Landschaften in ihrer Art<br />
hinzufügten. Ein solches Arbeiten mit wechselndem<br />
interkulturellem Team macht es oft schwer festzustellen,<br />
welche Maler an einem Bild tätig waren. 32)<br />
Leicht erkennt man aber den europäischen Einfluss an<br />
der Modellierung durch Licht <strong>und</strong> Schatten, an der<br />
naturgetreuen Anatomie <strong>und</strong> Plastizität. Der Unterschied<br />
zu traditionell chinesischen Bildern ist offensichtlich,<br />
andererseits aber auch der Unterschied zu<br />
den viel ausgeprägteren Hell - Dunkel - Effekten auf<br />
europäischen Werken des Spätbarock. Den Körpern<br />
auf den Bildern, die am Qianlong Hof entstanden,<br />
fehlt oft der Schlagschatten, den der Kaiser nicht liebte,<br />
<strong>und</strong> oft stehen „europäische“ Menschen <strong>und</strong> Tiere<br />
in einer „chinesischen“ Landschaft oder scheinen in<br />
den weniger gelungenen Werken als „Fremdkörper“<br />
ohne Schatten über dem Boden zu schweben. 33)<br />
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