Laudatio für Prof. Hellmuth Benesch - Dr. Margrit Egnér-Stiftung
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<strong>Laudatio</strong> <strong>für</strong><br />
<strong>Prof</strong>. <strong>Hellmuth</strong> <strong>Benesch</strong><br />
Lieber Herr <strong>Prof</strong>essor <strong>Benesch</strong>,<br />
Sie überstanden den zweiten Weltkrieg im Norden<br />
Russlands mit einer schweren Verwundung, die Sie<br />
sich als 19-Jähriger zuzogen. Dazu nachher noch<br />
etwas. Sie studierten nach Kriegsende in Jena Philosophie<br />
und Psychologie und schlossen dort mit einer<br />
Dissertation über «Rhythmus» 1953 ab. Die Rhythmologie<br />
blieb lange Ihr wissenschaftliches Haupthema.<br />
Sie flohen aus der ehemaligen DDR, bekamen einen<br />
Lehrauftrag an der Universität Tübingen und habilitierten<br />
sich mit einer Arbeit über Experimentelle Psychologie<br />
des Fernsehens. 1972 wurden Sie Ordinarius<br />
an der Universität Mainz und übernahmen dort die<br />
Abteilung <strong>für</strong> Klinische Psychologie. 1990 wurden Sie<br />
emeritiert und leben nun am Rheinblick in Wackernheim<br />
in der Nähe von Mainz. Ich möchte zuerst Ihre<br />
enzyklopädische Potenz würdigen, die sich in zwei<br />
vielbeachteten Standardwerken niederschlug.<br />
Jeder von uns hier Sitzenden, sofern ihm Universal -<br />
bildung noch etwas bedeutet (die Ihnen sehr viel<br />
bedeutete), kennt, zumeist aus der Studienzeit, die dtv-<br />
Atlanten, die in Bild und knappem Wort einen unvergleichlichen<br />
Ueberblick über wichtige Sachgebiete vermitteln.<br />
Inzwischen gibt es davon 24 Stück. Sie, Herr<br />
<strong>Prof</strong>essor <strong>Benesch</strong>, haben in herkulischer Arbeit den<br />
dtv-Atlas «Psychologie» in zwei Bänden vollbracht, der<br />
in 1. Auflage 1987 erschien, vor mehr als 20 Jahren, und<br />
inzwischen in der 12. Auflage und in Lizenzaus gaben in<br />
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vielen Sprachen, so in Arabisch, Russisch und Chinesisch,<br />
vorliegt. Die Gesamtauflage beträgt eine Viertelmillion.<br />
Dieses Werk ist auch eine Art Rettung der<br />
Seele, eben eine enzyklopädische. Wir ehren in Ihnen<br />
einen der letzten Generalisten in der Psychologie.<br />
Nicht minder beindruckend, vielleicht etwas weniger<br />
allgemein bekannt, ist Ihr fast 1000 Seiten starkes<br />
«Enzyklopädisches Wörterbuch Klinische Psychologie<br />
und Psychotherapie», zuerst im Beltz-Verlag 1995,<br />
dann in der Psychologie Verlags-Union, welches Sie<br />
ebenfalls in Ein-Mann-Arbeit (ganz ungewöhnlich <strong>für</strong><br />
ein Wörterbuch, das bekanntlich fast immer, heutzutage<br />
immer, ein Mehrpersonenwerk ist) in bewundernswertem<br />
Fleiss geschrieben haben. Eine Enzyklopädie<br />
will gesichertes Wissen in leicht verständlicher<br />
und dennoch wissenschaftlichen Ansprüchen genügender<br />
Darstellung vermitteln. Sie ist und bleibt ein<br />
ständig fortzuschreibendes Provisorium. Sie haben<br />
versucht, in 100 Artikeln eine als Nachschlagewerk<br />
nutzbare Gesamtübersicht über den genannten Themenbereich<br />
zu geben. Sie zählten zur Vorbereitung<br />
Ihres Werkes alleine im 20. Jahrhundert 52 deutschsprachige<br />
Wörterbücher zum psychologischen Fachbereich.<br />
Es scheint sich bei der Seele also doch um ein allerzeiten<br />
und allerorts lebendiges Kerlchen zu handeln!<br />
Ich möchte in den Mittelpunkt meiner <strong>Laudatio</strong> jedoch<br />
nicht Ihr wissenschaftliches Werk, Sie verzeihen mir,<br />
sondern Ihren Lebensbericht stellen, den Sie unter<br />
dem Titel «Gestern und Heute» 1995 im Selbstverlag<br />
veröffentlichten. Ich bin Ihnen zu grossem Dank verpflichtet,<br />
dass Sie mir ein Exemplar dieser Biographie,<br />
welche zur Verteilung in Kreise Eingeweihter gedacht<br />
war, schenkten, denn nun gehöre ich auch zum Kreise<br />
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der Eingeweihten. Dieses Buch, von mir an einem<br />
sonnigen Januarvormittag in einem Zuge, fast möchte<br />
ich sagen: in einem Atemzuge, gelesen, handelt von<br />
dem Achtzehnjährigen in einer Militäreinheit von Verfemten<br />
und Verheizten, vom Partisanenkrieg, von der<br />
Weigerung, Offizier zu werden, vom Bauchschuss an<br />
der russischen Front. Aber auch von der Kindheit in<br />
Böhmen, von den Nachkriegsuniversitäten mit heute<br />
unvorstellbaren Dozenten-Studenten-Verhältnissen wie<br />
zu Nietzsches Basler Zeit, von dem unsäglichen Ulbricht-Regime<br />
in den Anfangsjahren der DDR, über<br />
Ihre Flucht aus Jena. Auch von Ihrer Ehefrau Eva, die<br />
Sie mit rührenden, adorierenden Worten beschreiben.<br />
Von vielen Reisen mit einem legendären VW-Bus durch<br />
die ganze Welt. Von Hunden, die sie liebten und die<br />
Sie liebten. Von beruflichen Erfolgen, akademischen<br />
Anerkennungen, aber auch vom Spiessrutenlaufen<br />
der <strong>Prof</strong>essoren durch die 68er Studentenschaft. Und<br />
von mit ungeheuerer Disziplin und Zähigkeit überstandenen<br />
Krankheiten. Und von unermüdlichen Aufgaben,<br />
die sich der <strong>Benesch</strong>sche Geist noch im Ruhestand<br />
zumutet. Sie schreiben trotz schrecklicher<br />
Schicksalsschläge (neben viel Glück in Ihrem Leben,<br />
dass Sie auch hatten – ich erinnere noch einmal an<br />
Ihre Frau Eva) mit feinem Humor, mit einem Lächeln<br />
über das merkwürdige Leben, welches uns das Leben<br />
zu leben aufgibt. Denn der einzige Sinn des Lebens<br />
besteht darin, es zu leben.<br />
Ich selbst bin 1947 geboren, 23 Jahre nach Ihnen, und<br />
muss Ihnen gestehen, dass mich beim Lesen Ihrer<br />
Kriegskapitel (und nicht nur dort) tiefe Scham ergriff<br />
über mein durchaus beschütztes Leben in psychologischer<br />
und materieller Sicherheit, ohne Krieg, ohne<br />
Verletzungen an Leib und Seele, welches ich bis heute<br />
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führen durfte. Man schämt sich anhaltend und tief über<br />
das unverdiente Glück, welches einem als einem Menschen,<br />
der nie hungern und frieren musste, der nie das<br />
Grauen einer Kriegfront erleben musste, zuteil wurde.<br />
Erlauben Sie mir, lieber Herr <strong>Prof</strong>essor <strong>Benesch</strong>, dass<br />
ich ohne Zusammenhang einfach einige Sätze aus<br />
Ihrem Buch zitiere, die sich mir eingeprägt haben.<br />
Zum Krieg:<br />
«In Brandzeiten braucht niemand Erlebnissteige -<br />
rungen wie zu Normalzeiten.»<br />
«Die herzzerreissende Trennung der Menschen voneinander<br />
war das Grundgefühl der Zeit.»<br />
«Seither weiss ich, wie Untergangsstimmung sich als<br />
Gefühl erfrorener Verzweiflung ausnimmt.»<br />
«Ein solches Dasein entblättert alle Tarnungen des<br />
zivilen Lebens. Manchmal war der Feigling mutig und<br />
der Held ein Angstpaket.»<br />
Zur Schule:<br />
«Was die Schule allgemein betraf, so störten mich vor<br />
allem die vielen Menschen auf einem Haufen. Man<br />
wurde ständig durch Lehrer oder Mitschüler von eigenen<br />
Gedanken abgelenkt.»<br />
Zur Religion:<br />
«Es ist im Grunde unerheblich, ob wir an Gott glauben<br />
oder nicht, er übersteigt allemal unser Erkenntnisvermögen.»<br />
Zur Psychologie:<br />
«Für mich ist die Psychologie ein Raritätenkabinett mit<br />
angeschlossener Mechanikerwerkstätte. Man kann ihr<br />
eine gewisse Flatterhaftigkeit nicht absprechen.»<br />
«Es sind vor allem neue Namen erfunden worden, un -<br />
gezählte Detailuntersuchungen mit entsprechenden<br />
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Abwandlungen dazugekommen; aber neue Grundideen<br />
zum Psychischen findet man schwerlich.»<br />
«Inzwischen herrscht auf dem psychologischen Buchmarkt<br />
das Abundanzdilemma: Menge verdeckt Horizont.<br />
Die Uebersichtsliteratur wird gemieden.»<br />
Zur Universität:<br />
«Falls jemand die übervölkerten Universitäten sanieren<br />
will, wäre sein Augenmerk hauptsächlich zu richten<br />
auf kleinere Lerngruppen; auf eine Themenwahl,<br />
die stärker zur Lebensbefähigung beiträgt; auf an -<br />
schauliche Vermittlungen sowie auf Massnahmen zur<br />
Bewährungskritik der Lehre und Studienmotivation.»<br />
Zur Freizeit:<br />
«Vieux-Boucau an der Atlantikküste besuchten wir Jahr<br />
<strong>für</strong> Jahr im September und holten uns vom Markt die<br />
köstlichen Austern, weshalb wir den Platz Austerlitz<br />
nannten.» Warum das letzte Zitat, werden sich alle fragen?<br />
Ganz einfach: Es hat einen Bezug zu mir, denn ich<br />
fahre ebenfalls seit Jahr und Tag in die Ferien nach Vieux-<br />
Boucau an die Côte-d’Argent! Leider ist das verschlafene<br />
Nest auch nicht mehr das, was es war, sondern wie alles<br />
in dieser Welt überfüllt von Menschen (siehe oben!).<br />
Lieber Herr <strong>Prof</strong>essor <strong>Benesch</strong>, Sie erhalten den <strong>Egnér</strong>-<br />
Preis 2008 nicht nur <strong>für</strong> Ihr wissenschaftliches Lebenswerk,<br />
sondern auch und vor allem <strong>für</strong> Ihr Werk Ihres<br />
Lebens, welches Sie sich gegen übelste Widerstände<br />
und Zeitläufte abgerungen und erkämpft haben und<br />
welches mir tiefen Respekt abgenötigt hat. Sie sind ein<br />
wahrhaft Unzeitgemässer. Und das ist das höchste<br />
Prädikat, welches zu vergeben ist.<br />
Bitte empfangen Sie den Preis aus den Händen von<br />
<strong>Dr</strong>. Lanter.<br />
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