Wege in eine verschlossene Welt - hsm siegen
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<strong>Wege</strong><br />
<strong>in</strong> e<strong>in</strong>e <strong>verschlossene</strong> <strong>Welt</strong><br />
Informationsschrift der Initiative gegen<br />
Gewalt im Alter e.V. Siegen<br />
<strong>in</strong> Zusammenarbeit mit dem<br />
LIONS-Club Siegen
Vorwort<br />
Als Mitglieder des LIONS-Clubs Siegen und LIONS INTERNATIONAL zugehörig, ist es unter<br />
anderem unser Bestreben, Menschen <strong>in</strong> materieller und seelischer Not zu helfen. So legen wir<br />
großen Wert darauf, dass die Förderung und Unterstützung Hilfsbedürftiger <strong>in</strong> unserer Region<br />
angemessen berücksichtigt wird. Hierbei stehen K<strong>in</strong>der und Jugendliche sowie ältere Menschen<br />
gleichermaßen im Vordergrund.<br />
Als vor 5 Jahren die „Initiative gegen Gewalt im Alter e.V. Siegen“ gegründet wurde, hat sich<br />
der LIONS-Club Siegen an der Erstellung der Informationsbroschüre „Gewalt gegen alte<br />
Menschen - Handeln statt Misshandeln“ beteiligt und e<strong>in</strong>e diesbezügliche Vortrags- und<br />
Diskussionsveranstaltung organisiert. Hierbei wurde die Bedeutung und Notwendigkeit der<br />
Arbeit dieser Initiative besonders verdeutlicht. Es gilt die Öffentlichkeit über die nicht seltene<br />
Notlage älterer Menschen schonungslos zu <strong>in</strong>formieren – <strong>in</strong>sbesondere aber durch Aufklärung<br />
und Unterstützung umfassende Abhilfe zu schaffen.<br />
Unsere besondere Wertschätzung f<strong>in</strong>den die Helfer, die im Rahmen dieser Arbeit großen<br />
persönlichen E<strong>in</strong>satz <strong>in</strong> ihrer Freizeit erbr<strong>in</strong>gen. Hier ist die diesbezügliche Initiative von Frau<br />
Christel Ruback besonders erwähnenswert. Gleichermaßen Dank gilt auch Frau Dipl.-<br />
Sozialpädagog<strong>in</strong> Tabea Graf, die das für unsere Gesellschaft so wichtige Thema “Umgang mit<br />
dementiell erkrankten älteren Menschen“ <strong>in</strong> ihrer Diplomarbeit e<strong>in</strong>gehend behandelt hat. Bei der<br />
hier vorliegenden Druckschrift handelt es sich um e<strong>in</strong>e Kurzfassung ihrer Examensarbeit, die sie<br />
mit der Note „sehr gut“ abschloss.<br />
Offenkundig stellt die demographische Entwicklung <strong>in</strong> unserer Zeit Familienangehörige und<br />
Pflegepersonal vor immer größer werdende Herausforderungen. Überlastungen der betreuenden<br />
Personen sowie Isolation der alten Menschen widersprechen häufig der Würde und dem<br />
Persönlichkeitsrecht.<br />
Aufklärung und Hilfe s<strong>in</strong>d gefragt, der LIONS-Clubs Siegen möchte hierzu e<strong>in</strong>en Beitrag leisten.<br />
Kajo Soemer, Präsident LIONS-Club Siegen
Lions-Ideale<br />
Humanität, Freiheit, Toleranz, soziale Gerechtigkeit<br />
und e<strong>in</strong>e darauf basierende demokratische Gesellschaft<br />
Lions-Aufgaben<br />
• Bedürftigen helfen<br />
• Das Geme<strong>in</strong>wohl fördern<br />
• <strong>Welt</strong>weite Hilfsaktionen unterstützen<br />
• Internationale Verständigung pflegen<br />
Lions-Pr<strong>in</strong>zipien<br />
Uneigennützige Hilfe ohne Ansehen von Rasse,<br />
Nationalität, Religion und politischer Ges<strong>in</strong>nung<br />
LIONS ist die mitgliederstärkste Hilfsorganisation der <strong>Welt</strong> mit<br />
1,5 Mio. Mitgliedern <strong>in</strong> 188 Ländern.<br />
LIONS INTERNATIONAL<br />
LIONS-CLUB SIEGEN<br />
In Deutschland gibt es 1.225 Clubs mit über 41.000 Mitgliedern.<br />
Der LIONS Clubs Siegen wurde im Oktober 1959 gegründet.
Inhaltsverzeichnis<br />
1. E<strong>in</strong>leitung 2<br />
2. Demenzen – Begriff und Klassifikation 2<br />
3. Die Alzheimer Demenz 4<br />
3.1 SYMPTOMATIK 4<br />
3.1.1 Primärsymptome 4<br />
3.1.2 Sekundärsymptome 5<br />
3.2 VERLAUF 6<br />
3.3 ZWEI GESETZE DER SENILEN DEMENZ 7<br />
4. Verstehender Umgang mit dementiell erkrankten Menschen 9<br />
5. Betreuungskonzepte 11<br />
6. Therapie dementiell erkrankter Menschen 13<br />
6.1 PFLEGERISCHE KONZEPTE 14<br />
6.1.1 Re-aktivierende Pflege nach Böhm 14<br />
6.1.2 Bezugspersonenpflege 15<br />
6.2 PSYCHOSOZIALE BEHANDLUNGSANSÄTZE 15<br />
6.2.1 Milieutherapie 16<br />
6.2.2 Kognitives Tra<strong>in</strong><strong>in</strong>g 20<br />
6.2.3 Aktivierungstherapie 21<br />
6.2.4 Ergotherapie 22<br />
6.2.5 Relitätsorientierungstra<strong>in</strong><strong>in</strong>g 22<br />
6.2.6 Selbsterhaltungstherapie 24<br />
6.2.7 Biographischer Ansatz 25<br />
6.2.8 Rem<strong>in</strong>iszenztherapie 26<br />
6.2.9 Musiktherapie 27<br />
6.2.10 Validation 29<br />
6.2.11 Snoezelen 32<br />
6.2.12 Basale Stimulation 33<br />
6.2.13 Der person-zentrierte Ansatz nach T. Kitwood 33<br />
7. Schlussbetrachtung und Ausblick 36<br />
8. Glossar 39<br />
9. Literaturverzeichnis 41<br />
10. Abkürzungsverzeichnis 42<br />
11. Abbildungsverzeichnis 43<br />
12. Wichtige überregionale Kontaktadressen – Wer kann helfen? 44<br />
1
1 E<strong>in</strong>leitung<br />
Seit etwa 40 Jahren kommt es <strong>in</strong> Deutschland und <strong>in</strong> den meisten anderen Industrieländern<br />
zu e<strong>in</strong>er erheblichen Umschichtung <strong>in</strong> der Altersstruktur der Bevölkerung.<br />
Bed<strong>in</strong>gt ist diese Umstrukturierung durch den Geburtenrückgang und e<strong>in</strong>e gestiegene<br />
und weiter steigende Lebenserwartung. Die gegenwärtige demographische Entwicklung<br />
ist gekennzeichnet durch e<strong>in</strong> dreifaches Altern der Gesellschaft: In Zukunft<br />
wird es sowohl absolut als auch relativ gesehen mehr ältere Menschen und unter<br />
ihnen mehr Hochaltrige geben. Es wird also zu e<strong>in</strong>er zunehmenden „Vergreisung“<br />
der Bevölkerung kommen. Das Lebensalter ist aber der bedeutendste Risikofaktor<br />
für Demenzen aller Art, <strong>in</strong>sbesondere auch für die Alzheimer Demenz (AD).<br />
Das Risiko, an dieser Demenz zu erkranken, steigt exponentiell mit dem Lebensalter<br />
an. Ab dem 60. Lebensjahr verdoppelt es sich etwa alle fünf Jahre. Man schätzt, dass<br />
der Anteil der an e<strong>in</strong>er Demenz vom Alzheimertyp Erkrankten bei den über<br />
90jährigen bei 40-50% liegt.<br />
Nach Expertenme<strong>in</strong>ung ist <strong>in</strong> den nächsten Jahren mit e<strong>in</strong>em rasanten Anstieg der<br />
Zahl der dementiell Erkrankten zu rechnen. Im Jahr 2030 dürfte es etwa 2,5 Mio.<br />
Demenzkranke <strong>in</strong> Deutschland geben. Somit s<strong>in</strong>d dementielle Erkrankungen e<strong>in</strong><br />
Problem mit Zukunft.<br />
2 Demenzen – Begriff und Klassifikation<br />
Der Begriff „Demenz“ stammt aus dem Late<strong>in</strong>ischen und kann mit „vom Geist (entfernt<br />
se<strong>in</strong>)“ übersetzt werden. Bei den meisten Demenzerkrankungen handelt es sich<br />
um sog. primäre Demenzen; sie s<strong>in</strong>d nicht zu heilen und nur schwer zu therapieren.<br />
Etwa die Hälfte der primären Demenzen machen degenerative Demenzen aus (vgl.<br />
Abb.1), zu denen v.a. die Alzheimer Demenz zählt; daher soll diese auch im Mittelpunkt<br />
der folgenden Ausführungen stehen.<br />
Nicht nur für Laien, sondern auch für Fachleute ist Morbus Alzheimer bis heute e<strong>in</strong>e<br />
rätselhafte Krankheit geblieben. Klare H<strong>in</strong>weise auf die Krankheitsursachen gibt es<br />
immer noch nicht. Unbestritten ist jedoch, dass genetische Faktoren e<strong>in</strong>e wichtige<br />
Rolle spielen. Des Weiteren konnte festgestellt werden, dass e<strong>in</strong> Mangel an bestimmten<br />
Informations-Botenstoffen im Gehirn, sog. Neurotransmittern, die Erkran-<br />
2
kungswahrsche<strong>in</strong>lichkeit erhöht. Man vermutet daher, dass e<strong>in</strong>e Komb<strong>in</strong>ation verschiedener<br />
Ursachen Auslöser für e<strong>in</strong>e Alzheimer Demenz ist.<br />
Degenerativ<br />
(50%)<br />
Primäre Demenzen<br />
(85%)<br />
Vaskulär<br />
(20%)<br />
Während die AD schleichend beg<strong>in</strong>nt, s<strong>in</strong>d die vaskulären oder Multi-Infarkt-Demenzen<br />
(MID), auf die 20% der primären Demenzen entfallen, durch e<strong>in</strong>en plötzlichen Beschwerdebeg<strong>in</strong>n<br />
und e<strong>in</strong>e stufenweise Verschlechterung gekennzeichnet (vgl. Abb.2). Bei etwa<br />
15% der primären Demenzen handelt es sich um Mischformen.<br />
Sekundäre Demenzen s<strong>in</strong>d Folgen anderer Erkrankungen. Werden diese rechtzeitig behandelt,<br />
verschw<strong>in</strong>den auch die dementiellen Symptome wieder. Ca. 15% aller Demenzen<br />
s<strong>in</strong>d sekundäre Demenzen.<br />
3<br />
Demenzen<br />
Gemischt<br />
(15%)<br />
Sekundäre Demenzen<br />
(15%)<br />
Abb. 1: E<strong>in</strong>teilung der Demenzerkrankungen (nach Maurer et al., 1993; entnommen aus Schaade,<br />
Ergotherapie, 1998, Abb. 1.1, S.4; ger<strong>in</strong>gfügig verändert)<br />
Intellekt<br />
5 10 15<br />
Zeit (<strong>in</strong> Jahren)<br />
MID<br />
Alzheimersche<br />
Krankheit<br />
Abb. 2: Der Verlauf der Alzheimerschen Krankheit im Vergleich zum Verlauf der Multi-<br />
Infarkt-Demenz (Reisberg, Hirnleistungsstörungen, 1987, S.93, Abb.4.1)
3 Die Alzheimer Demenz<br />
3.1 Symptomatik<br />
Sowohl für das Verständnis als auch für die Therapie e<strong>in</strong>er AD ersche<strong>in</strong>t es s<strong>in</strong>nvoll,<br />
Primär- und Sekundärsymptome zu unterscheiden.<br />
3.1.1 Primärsymptome<br />
Die Primär- oder Kernsymptome umfassen E<strong>in</strong>bußen bei den höheren Hirnleistungen.<br />
In der Regel unterscheidet man folgende sechs kognitive Ausfälle, die auch<br />
unter dem Begriff „6 A“ bekannt s<strong>in</strong>d:<br />
• AMNESIEN s<strong>in</strong>d Gedächtnisstörungen, die sich anfangs hauptsächlich im Bereich<br />
der Merkfähigkeit äußern. Zuerst ist nur das Kurzzeitgedächtnis gestört, so dass<br />
Term<strong>in</strong>e und Absprachen vergessen und Gegenstände verlegt werden. Ist <strong>in</strong> fortgeschrittenen<br />
Krankheitsstadien auch das Langzeitgedächtnis bee<strong>in</strong>trächtigt, löst<br />
sich die persönliche Lebensgeschichte immer mehr <strong>in</strong> e<strong>in</strong>zelne zusammenhanglose<br />
Gedächtnis<strong>in</strong>seln auf. Amnesien haben zeitliche, örtliche, situative und personelle<br />
Orientierungsstörungen zur Folge. Da sie somit zum Verlust der Selbständigkeit<br />
führen, stellen sie die folgenschwersten Symptome e<strong>in</strong>er AD dar.<br />
• Unter APHASIEN versteht man Sprachstörungen, die meist mit Wortf<strong>in</strong>dungsstörungen<br />
beg<strong>in</strong>nen. Der Betroffene hat Mühe, e<strong>in</strong>en Gegenstand zu benennen; daher<br />
zeigt er auf ihn oder versucht ihn mit anderen Worten oder mit Handbewegungen<br />
zu beschreiben. Später wird die Sprachproduktion zunehmend floskelhaft<br />
und ungenau und verliert sich schließlich <strong>in</strong> wenigen unverständlichen Lauten.<br />
• AGNOSIEN s<strong>in</strong>d Wahrnehmungsstörungen, bei denen der Patient die von se<strong>in</strong>en<br />
<strong>in</strong>takten S<strong>in</strong>nesorganen aufgenommenen E<strong>in</strong>drücke nicht mehr deuten kann.<br />
Agnosien können alle S<strong>in</strong>ne betreffen und führen schließlich dazu, dass auch<br />
vertraute Gegenstände, z.B. e<strong>in</strong>e Gabel, oder Personen, beispielsweise die eigene<br />
Tochter, nicht mehr erkannt werden.<br />
• Unter APRAXIEN s<strong>in</strong>d Störungen <strong>in</strong> der Handhabung von Objekten zu verstehen.<br />
Der Patient ist immer weniger <strong>in</strong> der Lage, Bewegungs- und Handlungsabläufe<br />
4
zu planen und zu steuern, sich s<strong>in</strong>nvoll, ziel- und zweckgerichtet zu bewegen.<br />
Zuerst tritt die Apraxie bei komplexeren Handlungsabläufen wie dem Telefonieren<br />
oder Autofahren auf; später s<strong>in</strong>d auch e<strong>in</strong>fachere motorische Abläufe wie<br />
Aufstehen, Waschen, Anziehen und Zur-Toilette-Gehen betroffen.<br />
• ABSTRAKTIONSSTÖRUNGEN führen dazu, dass der Kranke konkrete Inhalte nicht<br />
mehr verallgeme<strong>in</strong>ern und nicht mehr logisch, zusammenhängend und zielgerichtet<br />
denken, planen und handeln kann.<br />
• Unter e<strong>in</strong>er ASSESSMENTSTÖRUNG versteht man die Störung und schließlich den<br />
Verlust der Urteils- und Kritikfähigkeit. Der Betroffene verliert die Fähigkeit,<br />
zwischen Handlungsalternativen abzuwägen, Probleme zu erkennen und Lösungen<br />
zu f<strong>in</strong>den.<br />
3.1.2 Sekundärsymptome<br />
Sekundärsymptome s<strong>in</strong>d Folge- oder Begleitersche<strong>in</strong>ungen e<strong>in</strong>es dementiellen<br />
Prozesses. Sie stellen Reaktionen des Patienten auf se<strong>in</strong>e Defizite bzw. auf die Umweltanforderungen<br />
dar. Während die Primärsymptome bei jedem Erkrankten zu beobachten<br />
s<strong>in</strong>d, kann u.U. e<strong>in</strong> bestimmtes Sekundärsymptom bei e<strong>in</strong>em Patienten fehlen.<br />
Im E<strong>in</strong>zelnen ist Folgendes zu sagen:<br />
• Verbreitet ist e<strong>in</strong>e AFFEKTLABILITÄT. Die affektive Grundstimmung ist so labil,<br />
dass schon unbedeutende Reize z.T. völlig unangemessene Affekte und emotionale<br />
Reaktionen hervorrufen.<br />
• DEPRESSIONEN treten häufig im Frühstadium e<strong>in</strong>er AD auf.<br />
• ANGST ist bei den meisten Demenzkranken zu beobachten, und zwar <strong>in</strong> allen<br />
Stadien der Erkrankung.<br />
• Besonders belastend für die soziale Umwelt s<strong>in</strong>d PARANOIDE ENTWICKLUNGEN.<br />
Sie äußern sich oft <strong>in</strong> Form e<strong>in</strong>es Verfolgungs- oder Bestehlungswahns. Die<br />
Verdächtigungen richten sich meist gegen die engsten Bezugspersonen, was zu<br />
e<strong>in</strong>er weiteren Isolation des Erkrankten führt.<br />
• AGGRESSIVITÄT ist das Verhaltenssymptom, das Betreuer am meisten belastet.<br />
Sie ist häufig darauf zurückzuführen, dass der dementiell erkrankte Mensch das<br />
Verhalten se<strong>in</strong>er Umwelt nicht mehr versteht. Er erkennt nicht mehr die Notwendigkeit<br />
oder S<strong>in</strong>n und Zweck bestimmter Handlungen, z.B. bei der Körper-<br />
5
pflege. Daher erlebt er die Situation als bedrohlich und reagiert – verständlicherweise<br />
– mit Aggressionen.<br />
• UNRUHE UND ANGETRIEBENHEIT s<strong>in</strong>d Reaktionen auf Verzweiflung und Angst.<br />
Sie können sich <strong>in</strong> motorischer Unruhe, also z.B. ziellosem Umherwandern, aber<br />
auch <strong>in</strong> psychischer Unruhe äußern.<br />
• Infolge der VERMINDERUNG DES ANTRIEBS benötigt der Patient immer wieder<br />
äußere Anregungen, da ihm die Willenskraft fehlt, von sich aus etwas zu tun.<br />
• PERSEVERATION kann Betreuende zur Verzweiflung br<strong>in</strong>gen. Infolge der<br />
Amnesie vergisst der Patient fortwährend, was er schon gesagt und getan hat und<br />
wiederholt dies wieder und wieder.<br />
• TAG-NACHT-UMKEHR tritt v.a. auf, wenn Demenzkranke tagsüber zu wenig<br />
Anregung und Beschäftigung f<strong>in</strong>den.<br />
3.2 Verlauf<br />
Morbus Alzheimer beg<strong>in</strong>nt schleichend und unmerklich. Ungeachtet <strong>in</strong>dividueller<br />
Unterschiede kann der Krankheitsverlauf grob <strong>in</strong> drei Stadien e<strong>in</strong>geteilt werden.<br />
• Zunächst treten Gedächtnisstörungen, e<strong>in</strong> Nachlassen der Merkfähigkeit sowie<br />
gelegentliche Wortf<strong>in</strong>dungsstörungen und erste örtliche und zeitliche Orientierungsstörungen<br />
auf. Im Ganzen ist aber <strong>in</strong> dieser Phase e<strong>in</strong> selbständiges und<br />
unabhängiges Leben noch möglich.<br />
• In der zweiten Phase dagegen setzt e<strong>in</strong>e selbständige Lebensführung bereits erhebliche<br />
Unterstützung voraus. Alle Auffälligkeiten des ersten Stadiums verstärken<br />
sich jetzt. Dies führt dazu, dass sogar e<strong>in</strong>fache alltägliche Anforderungen<br />
kaum mehr selbständig zu bewältigen s<strong>in</strong>d.<br />
• Das dritte, schwere Stadium e<strong>in</strong>er AD, das etwa 6 Jahre nach der Diagnosestellung<br />
erreicht wird, ist durch massive Bee<strong>in</strong>trächtigungen aller kognitiven Funktionen<br />
gekennzeichnet. Sprachproduktion und Sprachverständnis nehmen immer<br />
mehr ab, auch lange zurückliegende Gedächtnis<strong>in</strong>halte s<strong>in</strong>d kaum noch abrufbar.<br />
E<strong>in</strong>e selbständige Lebensführung ist nicht mehr möglich, da selbst e<strong>in</strong>fachste<br />
Verrichtungen des täglichen Lebens ohne Hilfe nicht zu bewältigen s<strong>in</strong>d.<br />
6
3.3 Zwei Gesetze der senilen Demenz<br />
Auch wenn Außenstehende die <strong>Welt</strong> e<strong>in</strong>es Dementen nie richtig werden verstehen<br />
können, kann doch e<strong>in</strong>e Reihe se<strong>in</strong>er seltsamen und rätselhaften Verhaltensweisen<br />
mit Hilfe der beiden „Gesetze der senilen Demenz“ verstehbar gemacht werden.<br />
Nach dem ersten Gesetz gel<strong>in</strong>gt die Übertragung von im Kurzzeitgedächtnis gespeicherten<br />
Informationen <strong>in</strong>s Langzeitgedächtnis nicht mehr oder zum<strong>in</strong>dest nicht<br />
mehr so, dass sie später wieder abgerufen werden können. Infolge dieser gestörten<br />
E<strong>in</strong>prägung er<strong>in</strong>nert sich der Betroffene nur an das <strong>in</strong> den letzten 30 Sekunden Gehörte<br />
– es sei denn, die Information hat starke Emotionen geweckt oder sie ist mehrfach<br />
wiederholt worden (vgl. Abb.3).<br />
Kurzzeitgedächtnis<br />
20-30 Sekunden<br />
gestörte E<strong>in</strong>prägung<br />
Das Phänomen der gestörten E<strong>in</strong>prägung lässt zahlreiche kognitive und emotionale<br />
Auffälligkeiten, die v.a. <strong>in</strong> der Anfangsphase der Erkrankung auftreten, verstehbar<br />
werden: das ständige Fragen nach der Uhrzeit, das wiederholte Erzählen derselben<br />
Geschichte, den raschen Stimmungswechsel bzw. das Wechseln des Themas mitten<br />
im Gespräch – der Kranke hat den Anlass für se<strong>in</strong>e Freude, se<strong>in</strong>en Zorn usw. vergessen<br />
bzw. er weiß nicht mehr, worüber gesprochen wurde. Zu diesen direkten<br />
Folgen kommen nicht weniger gravierende <strong>in</strong>direkte h<strong>in</strong>zu: Da Demenzkranke bemerken,<br />
dass sie Neuem und Unbekanntem nicht mehr gewachsen s<strong>in</strong>d, bleiben sie<br />
lieber zu Hause und meiden den Kontakt mit fremden Menschen. Andererseits folgen<br />
sie ihrer Hauptbezugsperson teilweise Schritt für Schritt, weil sie <strong>in</strong> ihr e<strong>in</strong>en<br />
unentbehrlichen Führer <strong>in</strong> ihrer ihnen immer fremder werdenden Lebenslandschaft<br />
sehen.<br />
7<br />
Langzeitgedächtnis<br />
lebenslänglich<br />
Abb. 3: Das erste Gesetz der senilen Demenz: Gestörte Informations-Transmission vom Kurz<strong>in</strong>s<br />
Langzeitgedächtnis (Buijssen, Senile Demenz, 1994, S.8)
Zur Erklärung der typischen Ausfallersche<strong>in</strong>ungen bei mittlerer und schwerer Demenz<br />
muss das zweite Gesetz herangezogen werden. Nun beg<strong>in</strong>nt auch das Langzeitgedächtnis<br />
abzubröckeln, und zwar gegenläufig zum Lebenslauf, so dass schließlich<br />
nur noch Er<strong>in</strong>nerungen aus den ersten Lebensjahren existieren. In Abweichung<br />
von dieser Gesetzmäßigkeit des „Gedächtnisabwickelns“ gehen komplizierte Fertigkeiten<br />
früher und stark emotional gefärbte oder häufig angesprochene Ereignisse<br />
später verloren als erwartet.<br />
Man kann das Gedächtnis mit e<strong>in</strong>em großen Bücherregal vergleichen, auf dem zahllose<br />
persönliche Tagebücher zu unterschiedlichen Themen und Personen stehen. In<br />
diesem Bild gesprochen, werden nach dem ersten Gesetz ke<strong>in</strong>e neuen Tagebücher,<br />
z.B. über die jüngsten Enkelk<strong>in</strong>der, mehr angelegt, während nach dem zweiten Gesetz<br />
die vorhandenen Tagebücher nach und nach umkippen und vom Regal fallen,<br />
d.h. verloren gehen, und zwar von der Gegenwart beg<strong>in</strong>nend und immer mehr zur<br />
Vergangenheit h<strong>in</strong> fortschreitend (vgl. Abb.4).<br />
SCHEMATISCHE DARSTELLUNG DES ABBAUS DES<br />
LANGZEITGEDÄCHTNISSES BEI DER ALZHEIMERSCHEN KRANKHEIT<br />
1. Das Gedächtnis e<strong>in</strong>es nichtdementen 77jährigen: alle Bücherbretter mit Tagebü-<br />
chern, <strong>in</strong> denen die Er<strong>in</strong>nerungen des ganzen Lebens gespeichert s<strong>in</strong>d, stehen noch.<br />
Jahre 77 70 60 50 40 30 20 10 3 0<br />
2. Das Gedächtnis e<strong>in</strong>es 77jährigen Dementen: Die Er<strong>in</strong>nerungen der letzten 17 Jahre<br />
s<strong>in</strong>d weg. Die Bücherbretter fallen um, zuerst das letzte, dann das vorletzte usw..<br />
Jahre 77 70 60 50 40 30 20 10 3 0<br />
3. Das Gedächtnis e<strong>in</strong>es 77jährigen mit fortgeschrittener Seniler Demenz: Nur die<br />
Er<strong>in</strong>nerungen der frühesten Lebensphase s<strong>in</strong>d noch vorhanden.<br />
Jahre 77 70 60 50 40 30 20 10 3 0<br />
Abb. 4: Das zweite Gesetz der Senilen Demenz: Abbau des Langzeitgedächtnisses bei der Alzheimer<br />
Demenz (Buijssen, Senile Demenz, 1994, S.15)<br />
8
Das Gesetz der verschw<strong>in</strong>denden Tagebücher macht viele im fortgeschrittenen<br />
Krankheitsstadium zu beobachtende Verhaltensweisen verstehbar. Hierzu gehört,<br />
dass immer mehr erlernte <strong>in</strong>strumentale Fähigkeiten wie das Bedienen e<strong>in</strong>er Kaffeemasch<strong>in</strong>e<br />
u.ä. und auch wichtige biographische Ereignisse verloren gehen, dass<br />
die Fähigkeit zur verbaler Kommunikation immer mehr erlischt und die personelle<br />
Desorientierung immer häufiger den Partner und die eigenen K<strong>in</strong>der erfasst.<br />
.<br />
4 Verstehender Umgang mit dementiell erkrank-<br />
ten Menschen<br />
GESETZE DER SENILEN DEMENZ<br />
Erstes Gesetz<br />
Die E<strong>in</strong>prägungsfähigkeit ist<br />
gestört; die Anlage neuer<br />
„Tagebücher“ gel<strong>in</strong>gt nicht<br />
mehr.<br />
Abb. 5: Die beiden Gesetze der senilen Demenz<br />
Bedauerlicherweise konzentriert sich die Pflege Demenzkranker immer noch weitgehend<br />
auf die Befriedigung der biologischen Grundbedürfnisse. Zum verstehenden<br />
Umgang aber gehört, dass auch die psychosozialen Bedürfnisse des Erkrankten beachtet<br />
werden. E<strong>in</strong>e herausragende Rolle spielt dabei das Sicherheitsbedürfnis, da<br />
der Alzheimer-Patient se<strong>in</strong>e <strong>Welt</strong> <strong>in</strong>folge der Er<strong>in</strong>nerungs-, Wahrnehmungs- und Orientierungsstörungen<br />
als unberechenbar und z.T. Furcht e<strong>in</strong>flößend erlebt.<br />
Ke<strong>in</strong>esfalls sollte man e<strong>in</strong>en Demenzkranken verändern wollen, ihn kritisieren, mit<br />
ihm diskutieren oder ihm Vorwürfe machen. Auch sollte er nicht bevormundet, belächelt<br />
oder bloßgestellt werden. Zu vermeiden s<strong>in</strong>d ferner sowohl Überforderung<br />
als auch Überversorgung (vgl. Abb.6).<br />
9<br />
Zweites Gesetz<br />
Das Langzeitgedächtnis löst<br />
sich – von der Gegenwart zur<br />
Vergangenheit h<strong>in</strong> – immer<br />
mehr auf; „Tagebücher“ ver-<br />
schw<strong>in</strong>den.
evormunden oder<br />
kontrollieren<br />
Die Grundhaltung bei e<strong>in</strong>em verstehenden Umgang mit Demenzkranken ist geprägt<br />
von Empathie, Wertschätzung und Kongruenz; zudem gilt es, das Subjektse<strong>in</strong><br />
des Klienten zu respektieren, d.h. <strong>in</strong> ihm nicht nur e<strong>in</strong> Objekt zu sehen, und die ganze<br />
Person nach Leib, Seele und Geist <strong>in</strong> ihrer e<strong>in</strong>zigartigen Subjektivität mit ihrer<br />
s<strong>in</strong>gulären Biographie zu akzeptieren und wertzuschätzen. Hilfreiche Pr<strong>in</strong>zipien bei<br />
der Umsetzung dieser Grundhaltung s<strong>in</strong>d Ressourcen-, Bedürfnis- und Biographieorientierung<br />
(vgl. Abb. 7).<br />
Empathie<br />
Anerkennung des<br />
Klienten als Subjekt<br />
BEGLEITENDE PERSONEN SOLLTEN<br />
DEN DEMENZKRANKEN NIE<br />
verändern wollen,<br />
ihn kritisieren<br />
oder mit ihm<br />
diskutieren<br />
Ressourcenorientierung<br />
auslachen oder<br />
belächeln<br />
Abb. 6: Zu vermeidende Verhaltensweisen im Umgang mit dementiell erkrankten Menschen<br />
(erstellt nach Grond, Pflege Demenzkranker, 2000, S.84f.)<br />
Wertschätzung<br />
Angemessene<br />
Grundhaltung<br />
10<br />
ausschimpfen,<br />
bloßstellen oder<br />
ihm Vorwürfe<br />
machen<br />
Kongruenz<br />
Biographieorientierung<br />
überversorgen oder<br />
überfordern<br />
Beachtung der Bedürfnisse<br />
des Klienten<br />
Abb. 7: Wichtige Aspekte e<strong>in</strong>er angemessenen Grundhaltung gegenüber dementiell veränderten<br />
Klienten
Die Kommunikation nimmt bei der Begleitung dementiell Erkrankter e<strong>in</strong>e Schlüsselposition<br />
e<strong>in</strong>. Dabei s<strong>in</strong>d folgende Grundsätze zu beachten:<br />
• Blickkontakt halten, dazu ggf. <strong>in</strong> die Hocke gehen<br />
• <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em ruhigen, natürlichen Tonfall und <strong>in</strong> der üblichen Lautstärke sprechen<br />
• kurze, e<strong>in</strong>fache Sätze benutzen, die jeweils nur e<strong>in</strong>e Mitteilung enthalten und<br />
ke<strong>in</strong>e Auswahlmöglichkeiten bieten<br />
• Worte mit gestischen und mimischen Signalen unterstreichen<br />
• vorzugsweise an frühere Gewohnheiten, Interessen und Liebl<strong>in</strong>gsbeschäftigungen<br />
anknüpfen<br />
• autoritär-belehrende und verk<strong>in</strong>dlichende Ansprache vermeiden<br />
• mit Fortschreiten der Erkrankung immer stärker nonverbale Kommunikation<br />
e<strong>in</strong>setzen<br />
5 Betreuungskonzepte<br />
Bed<strong>in</strong>gt durch den ständig wachsenden Anteil Demenzkranker an der Bewohnerschaft<br />
von Alten- und Pflegeheimen stellt sich verschärft die Frage, ob e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>tegrative<br />
Betreuung zusammen mit orientierten Bewohnern oder e<strong>in</strong>e Unterbr<strong>in</strong>gung <strong>in</strong><br />
speziellen Wohnbereichen vorzuziehen ist.<br />
Bei e<strong>in</strong>er Separation, d.h. e<strong>in</strong>er qualifizierten Sonderbetreuung dementiell Erkrankter,<br />
lässt sich leichter e<strong>in</strong>e bedürfnisgerechte Umwelt schaffen, und zwar nicht nur<br />
im räumlichen, sondern auch im arbeitskonzeptionellen und personellen Bereich.<br />
Auch werden dadurch Arbeitsabläufe und Wohnbereichsorganisation erleichtert und<br />
e<strong>in</strong>e gezielte Fortbildung der Betreuungspersonen ermöglicht. Zudem wird so vermieden,<br />
dass sich orientierte Bewohner gestört fühlen. Diesen Vorteilen stehen aber<br />
auch gravierende Nachteile gegenüber: Bei e<strong>in</strong>er Separation besteht die Gefahr, dass<br />
Demenzkranke überfürsorglich betreut werden, zu wenig Anregung erhalten und<br />
sich u.U. als Störenfriede ausgegrenzt fühlen. Es fehlen die stimulierenden, stützenden<br />
und fördernden Kontakte mit orientierten Bewohnern.<br />
Die Integration dementiell Erkrankter bietet ebenfalls Vor- und Nachteile, die aus<br />
der obigen Darstellung der Separation ableitbar s<strong>in</strong>d. E<strong>in</strong>e <strong>in</strong>tegrative Betreuung<br />
11
kann allerd<strong>in</strong>gs nur befürwortet werden, wenn der Anteil an Demenzkranken niedrig<br />
ist – empfohlen wird das Verhältnis 1:5 – und der erhöhte Platzbedarf berücksichtigt<br />
wird. Da der kritische Schwellenwert heute vielfach überschritten wird und dadurch<br />
gehäuft herausfordernde Verhaltensweisen wie Schreien, Schlagen usw. auftreten,<br />
setzt sich mehr und mehr die spezialisierte und separierte Unterbr<strong>in</strong>gung durch. Dies<br />
beruht auch auf der Erkenntnis, dass die Interessenlage der orientierten Bewohner,<br />
die ja auch Anspruch auf e<strong>in</strong>en ungestörten Lebensabend haben, ebenfalls zu berücksichtigen<br />
ist.<br />
Zunehmend entstehen <strong>in</strong> Europa <strong>in</strong>novative, auf die Betreuung Demenzkranker spezialisierte<br />
E<strong>in</strong>richtungen, und zwar mit der Begründung, dass nur so e<strong>in</strong>e optimale<br />
Betreuungsqualität gewährleistet werden könne. Nur Spezialisierung ermögliche es,<br />
das gesamte Milieu – Umgang, Organisation und Architektur – und auch das Angebot<br />
sozialer Dienstleistungen systematisch und konsequent auf die Bedürfnisse dementiell<br />
Erkrankter auszurichten. Konkret bedeutet dies die Schaffung kle<strong>in</strong>er, überschaubarer<br />
Strukturen, d.h. Wohngruppen oder Hausgeme<strong>in</strong>schaften.<br />
Leitgedanken des Hausgeme<strong>in</strong>schaftskonzepts s<strong>in</strong>d Dezentralisierung – die Zentrale<strong>in</strong>richtungen<br />
(Speisesäle, Zentralküchen, Wäschereien u.a.) werden <strong>in</strong> die e<strong>in</strong>zelnen<br />
Hausgeme<strong>in</strong>schaften verlagert – und Normalität. Bekannte Beispiele für <strong>in</strong>novative<br />
E<strong>in</strong>richtungen nach dem Wohngruppenpr<strong>in</strong>zip s<strong>in</strong>d das Verpleeghuis Hogewey bei<br />
Amsterdam, das Haus de Bleer<strong>in</strong>ck <strong>in</strong> Emmen / Niederlande, das dänische Demenzzentrum<br />
Haderslev und das Schweizer Krankenheim Sonnweid 1 .<br />
Offenbar deutet sich damit e<strong>in</strong> erneuter Paradigmenwechsel an. Es entsteht die<br />
vierte Generation von Altenpflegeheimen. Während <strong>in</strong> den 60er Jahren pflegebedürftige<br />
„Insassen“ „verwahrt“, d.h. <strong>in</strong> e<strong>in</strong>fachster Weise und bei m<strong>in</strong>imalem E<strong>in</strong>satz<br />
von Technik <strong>in</strong> Mehrbettzimmern gepflegt wurden, und <strong>in</strong> den Häusern der<br />
zweiten Generation mit ihrer stereotypen Krankenhausarchitektur, der strengen<br />
funktionalen Gliederung und der Überbetonung der Technik die „pflegebedürftigen<br />
Patienten“ meist <strong>in</strong> Drei- oder Zweibettzimmern „behandelt“ wurden, wurden <strong>in</strong> den<br />
80er Jahren nach dem Leitbild „Wohnheim“ bzw. „Hotel“ <strong>in</strong> aufgelockert gruppierten<br />
Baukomplexen E<strong>in</strong>zelzimmer e<strong>in</strong>gerichtet. Die Pflege wurde durch Therapie ergänzt,<br />
der „Bewohner“ sollte „aktiviert“ werden. Diese bis heute am weitesten verbreitete<br />
Form das Altenpflegeheims wird seit dem Jahr 2000 allmählich abgelöst<br />
durch e<strong>in</strong> nach dem Leitbild der Hausgeme<strong>in</strong>schaft geprägtes Pflegeheim, bei dem<br />
12
den „Mitgliedern“ <strong>in</strong> alltagsnaher Normalität Geborgenheit vermittelt werden soll<br />
(vgl. Abb.8).<br />
PARADIGMENWECHSEL<br />
IN DER STATIONÄREN ALTENPFLEGE<br />
Generation Leitbild Nutzer Dienstleistung / Tätigkeit<br />
I Verwahranstalt Insasse Verwahrung<br />
II Krankenhaus Patient Behandlung<br />
III Wohnheim / Hotel Bewohner Aktivierung<br />
IV Hausgeme<strong>in</strong>schaft Mitglied Normalität / Geborgenheit<br />
Abb.8: Paradigmenwechsel <strong>in</strong> der stationären Altenpflege (entnommen aus S. Arend, Die vierte Generation,<br />
AP 5/2002, S.53)<br />
6 Therapie dementiell erkrankter Menschen<br />
Im Zusammenhang mit der Arbeit mit Demenzkranken kann der Begriff „Therapie“<br />
nur <strong>in</strong> dem S<strong>in</strong>n verwendet werden, den das griechische Verb „therapeue<strong>in</strong>“ ursprünglich<br />
hat: „beistehen“, „helfen“. Dabei ist e<strong>in</strong> wichtiger Leitgedanke, von den<br />
noch vorhandenen Möglichkeiten des Dementen ausgehend, durch aktivierende Betreuung<br />
die Grenzen h<strong>in</strong>auszuschieben, und zwar nach dem Motto „Fördern durch<br />
Fordern ohne zu überfordern“.<br />
Entgegen der heute immer noch zu beobachtenden Priorisierung der medikamentösen<br />
Behandlung e<strong>in</strong>er AD sollte die Pharmakotherapie immer nur die ultima ratio<br />
se<strong>in</strong>. Sie ist angezeigt, wenn das Verhalten des Klienten unhaltbar, hemmungslos<br />
und gefährlich ist.<br />
1 Näheres zu diesen E<strong>in</strong>richtungen bei Cofone et al., Innovativer Umgang mit Dementen, 2000, S.93-104<br />
13
6.1 Pflegerische Konzepte<br />
In der Pflege kam es – ähnlich wie bei der Unterbr<strong>in</strong>gung – <strong>in</strong> den letzten 50 Jahren<br />
mehrfach zu e<strong>in</strong>em Paradigmenwechsel. In den 50er Jahren praktizierte man e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>tuitive,<br />
unreflektierte, kustodiale Pflege auf <strong>in</strong>dividueller Basis. In den nächsten beiden<br />
Dekaden dom<strong>in</strong>ierte e<strong>in</strong>e stark mediz<strong>in</strong>isch ausgerichtete Pflege. Diese funktionale,<br />
sachliche, gefühlsneutrale Pflege wurde zu Beg<strong>in</strong>n der 80er Jahre abgelöst von<br />
der ganzheitlichen Pflege, e<strong>in</strong>er Beziehungspflege, bei der man sich bemüht, die Situation<br />
des Pflegebedürftigen zu verstehen und nicht nur den Körper, sondern Körper,<br />
Seele und Geist als E<strong>in</strong>heit zu pflegen. Statt von e<strong>in</strong>em defizitären Altersbild<br />
auszugehen, stehen jetzt die noch vorhandenen Kompetenzen und Ressourcen des<br />
Klienten im Vordergrund.<br />
Bei der aktivierenden Pflege liegt der Focus auf der Sicherung und Förderung der<br />
noch verfügbaren Fähigkeiten des alten verwirrten Menschen. Oberster Grundsatz<br />
ist: Der Klient macht möglichst viel selbst („Helfen mit der Hand <strong>in</strong> der Hosentasche“).<br />
6.1.1 Re-aktivierende Pflege nach Böhm<br />
In den 80er Jahren entwickelte der Wiener Pflegeforscher Böhm aus der Praxis heraus<br />
e<strong>in</strong> Pflegekonzept, bei dem er je nach Verwirrtheitsgrad der Bewohner verschiedene<br />
Pflegetechniken anwandte. Aktivierende Pflege hält er nur für s<strong>in</strong>nvoll bei Patienten,<br />
deren Kurzzeitgedächtnis gut erhalten ist. Dom<strong>in</strong>iert das Langzeitgedächtnis,<br />
wird geprüft, ob der Demenzkranke noch genügend „Lebenstrieb“ hat, um <strong>in</strong> die<br />
„Realwelt“, aus der er geflüchtet ist, wieder zurückzukehren, ob er also re-aktiviert<br />
werden kann und sollte. Ist dies nicht der Fall, greift man auf die Technik des Rem<strong>in</strong>iszierens<br />
zurück und arbeitet mit stark emotionalen Inhalten; man belässt den Dementen<br />
<strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Gefühlswelt und versucht, ihm mit Validation gerecht zu werden.<br />
Erst <strong>in</strong> der term<strong>in</strong>alen Phase erfolgt nur noch e<strong>in</strong>e re<strong>in</strong>e Grundpflege, bei der man<br />
den Demenzkranken „<strong>in</strong> Ruhe lässt“ und beim Sterben begleitet.<br />
Kernziel ist bei Böhm die Autonomie der Pflegebedürftigen; daher sollen auch ihre<br />
Ordnungsvorstellungen akzeptiert und überhaupt soll mehr Toleranz gegenüber dem<br />
verwirrten alten Menschen geübt werden. Optimal ist es daher, wenn der Patient z.B.<br />
se<strong>in</strong> Bett selbst macht und die Pflegende ihn dabei emotional, aus der Biographie<br />
schöpfend, unterstützt – ob das Bett dann „richtig“ gemacht ist, ist nicht wesentlich.<br />
14
6.1.2 Bezugspersonenpflege<br />
Ausgehend von der Erkenntnis, dass dementiell Erkrankte e<strong>in</strong>e feste Bezugsperson<br />
brauchen, wurde das Konzept der Bezugspersonenpflege entwickelt, bei dem jeder<br />
Pflegeperson bestimmte Bewohner zugeordnet s<strong>in</strong>d, für die sie alle<strong>in</strong> zuständig ist,<br />
bei denen sie – mit wenigen Ausnahmen – alle anfallenden Tätigkeiten (Wecken,<br />
Waschen, Ankleiden, Br<strong>in</strong>gen des Frühstücks, Richten der Medikamente usw.) übernimmt<br />
und für deren psychosoziales Wohl sie verantwortlich ist. Dieses Konzept<br />
steht im krassen Gegensatz zum Alltag <strong>in</strong> vielen Pflegeheimen heute. Bei der Übersiedlung<br />
<strong>in</strong> e<strong>in</strong> Heim sieht sich der demenzkranke Klient – ohneh<strong>in</strong> desorientiert –<br />
üblicherweise e<strong>in</strong>er großen Zahl ihm unbekannter Mitbewohner und Mitarbeiter<strong>in</strong>nen<br />
<strong>in</strong> den e<strong>in</strong>zelnen Funktionsbereichen vom Hausmeister bis h<strong>in</strong> zum Heimleiter<br />
gegenüber. Auch die Pflegekräfte wechseln ständig, und zwar nicht nur schichtweise,<br />
sondern z.T. auch tätigkeitsbezogen.<br />
6.2 Psychosoziale Behandlungsansätze<br />
Noch immer wird e<strong>in</strong>e Demenz für weitgehend unbee<strong>in</strong>flussbar gehalten. H<strong>in</strong>ter<br />
dieser E<strong>in</strong>stellung steckt vermutlich das zählebige Defizitmodell des Alters. Dieses<br />
lange Zeit vertretene Modell sah im Altern e<strong>in</strong>e homogene, defizitäre Entwicklung,<br />
bei der es e<strong>in</strong>dimensional zu e<strong>in</strong>em Abbau <strong>in</strong>tellektueller, aber auch emotionaler Fähigkeiten<br />
kommt. Diese Theorie kann heute als gründlich widerlegt angesehen werden,<br />
da Altern weder mit e<strong>in</strong>em universellen noch mit e<strong>in</strong>em generellen Abbau kognitiver<br />
Leistungsfähigkeit e<strong>in</strong>hergeht, d.h. die Alterungsprozesse weder bei allen älteren<br />
Menschen zu beobachten s<strong>in</strong>d noch alle kognitiven Funktionen betreffen. Daher<br />
werden heute anstelle des Defizitmodells differentielle Modelle vertreten, die<br />
diese <strong>in</strong>ter<strong>in</strong>dividuellen Diskrepanzen betonen und Faktoren beschreiben, die diese<br />
Unterschiede erklären können.<br />
Daher entspricht es nicht dem Stand der Forschung, e<strong>in</strong>e resignative Haltung an den<br />
Tag zu legen und e<strong>in</strong>en therapeutischen Erfolg von vornhere<strong>in</strong> auszuschließen. Und<br />
<strong>in</strong> der Tat existieren zahlreiche psychosoziale Behandlungsansätze, die leider längst<br />
nicht alle bekannt s<strong>in</strong>d und daher viel zu selten angewandt werden. Darunter gibt es<br />
ke<strong>in</strong>en „besten“ oder „wertvollsten“. Jede e<strong>in</strong>zelne Intervention hat jeweils spezifische<br />
Indikationen, Inhalte und Zielsetzungen und häufig führt nur e<strong>in</strong>e Komb<strong>in</strong>ation<br />
verschiedener Verfahren zum therapeutischen Erfolg. Im Folgenden soll mit der<br />
15
Darstellung der Milieutherapie begonnen werden, da diese als ganzheitlicher therapeutischer<br />
Ansatz e<strong>in</strong>e den anderen Interventionen übergeordnete Behandlungsstrategie<br />
darstellt (vgl. Abb.9).<br />
Verändernde<br />
Konzepte<br />
Realitätsorientierung<br />
Verhaltens-<br />
therapie<br />
Kognitives<br />
Tra<strong>in</strong><strong>in</strong>g<br />
6.2.1 Milieutherapie<br />
Aktivierende<br />
Konzepte<br />
Psychologische<br />
Umgangskonzepte<br />
für Demente<br />
Für die Krankheitsbewältigung ist die Gestaltung des Milieus ebenso wichtig wie<br />
spezifische Interventionen. Das Milieu besteht nicht nur aus der physikalischen<br />
Umwelt, sondern auch aus den sozialen und <strong>in</strong>terpersonalen Beziehungen. Sowohl<br />
die Gestaltung des räumlichen Umfelds, und zwar von der Architektur über die E<strong>in</strong>richtung<br />
bis h<strong>in</strong> zur Raumtemperatur, und die Strukturierung des Tagesablaufs als<br />
auch die Kommunikation zwischen Personal und Klient, die Atmosphäre im Wohn-<br />
16<br />
Validation nach Feil<br />
Biographiearbeit<br />
Snoezelen<br />
Basale Stimulation<br />
Rem<strong>in</strong>iszenztherapie<br />
Musiktherapie<br />
Kunsttherapie<br />
MILIEUTHERAPIE<br />
Organisation, Architektur, Angehörigenarbeit<br />
Akzeptierende<br />
Konzepte<br />
Kommunikationskonzepte<br />
Stimulative<br />
Konzepte<br />
Kreative<br />
Therapien<br />
Abb. 9: Gliederung der psychosozialen Behandlungsansätze <strong>in</strong> der Arbeit mit Demenzkranken<br />
(entnommen aus Cofone et al., Innovativer Umgang mit Dementen, 2000, S.38,<br />
Schaubild 8; leicht verändert)
ereich oder der dem Klienten zugestandene Grad der Selbständigkeit können den<br />
Krankheitsverlauf fördern oder hemmen.<br />
Die Kerngedanken der Milieutherapie s<strong>in</strong>d, dass die Umgebung sich an den Demenzkranken<br />
anpassen muss, da dieser nicht mehr <strong>in</strong> der Lage ist, sich an se<strong>in</strong> Umfeld<br />
anzupassen, und dass verloren gegangene B<strong>in</strong>nenstrukturen dementiell Erkrankter<br />
durch entsprechende Außenstrukturen ersetzt werden können. Dazu ist e<strong>in</strong><br />
Leit-, Orientierungs- und Schutzgefüge zu schaffen, <strong>in</strong> das die Klienten e<strong>in</strong>gebunden<br />
und durch das sie aktiviert und beruhigt werden. Zu den wichtigsten Komponenten<br />
e<strong>in</strong>es solchen dementengerechten Milieus gehört e<strong>in</strong>e gut überschaubare, stressfreie,<br />
aber nicht anregungsarme Umgebung. Dabei liegt der Schlüssel zu e<strong>in</strong>er<br />
dementenspezifischen Raumstruktur <strong>in</strong> der Komb<strong>in</strong>ation schützender und anregender<br />
Elemente. Im E<strong>in</strong>zelnen zählen dazu sichere und h<strong>in</strong>dernisfreie Wanderwege,<br />
überschaubare Wohngruppen mit e<strong>in</strong>em wohnzimmerähnlichen Geme<strong>in</strong>schaftsbereich<br />
sowie der Zugang zu e<strong>in</strong>em e<strong>in</strong>gefriedeten Außengelände. Diese Raumstrukturen<br />
fördern die Erhaltung der Autonomie, ermöglichen soziale Kontakte und Begegnungen<br />
sowie Eigenbeschäftigung und Gruppenaktivitäten.<br />
Das Wohnumfeld muss orientierungserleichternd gestaltet werden. Dabei sollte auf<br />
folgende Orientierungshilfen geachtet werden: große Kalender und Uhren sowie Tages-<br />
und Wochenplan zur zeitlichen Orientierung, gut lesbare Namensschilder an<br />
den Zimmern, Beschriftungen an jeder Tür, Dämmerleuchten und Wegmarkierung<br />
zum WC zur räumlichen Orientierung und Familienphotos an der Wand sowie Namensschilder<br />
an der Dienstkleidung der Mitarbeiter<strong>in</strong>nen zur personellen Orientierung.<br />
Bei der Gestaltung der Räumlichkeiten ist darauf zu achten, dass die E<strong>in</strong>richtung<br />
klar und e<strong>in</strong>fach gegliedert, H<strong>in</strong>dernisse (Stufen u.ä.) vermieden oder zum<strong>in</strong>dest<br />
deutlich gekennzeichnet s<strong>in</strong>d, dass ke<strong>in</strong>e als H<strong>in</strong>dernisse misszuverstehenden<br />
Fußbodenmarkierungen vorgenommen werden und dass es Nischen für Kommunikation<br />
und Rückzug sowie e<strong>in</strong>en zentralen E<strong>in</strong>- und Ausgang gibt, der zu überwachen<br />
ist, aber offen bleibt, um das Gefühl des E<strong>in</strong>geschlossense<strong>in</strong>s zu vermeiden.<br />
Die Umgebung sollte vertraut und doch anregend se<strong>in</strong>, sie sollte Reize setzen, ohne<br />
aber Verwirrung zu stiften und Aufregung zu fördern. Für die nötige Konstanz <strong>in</strong> der<br />
Umgebung sorgen bekannte Möbel, Bilder, Kleidung und v.a. vertraute Personen,<br />
aber auch e<strong>in</strong> konstant strukturierter Tagesablauf, bei dem Essen, Tätigkeiten und<br />
Erholung immer <strong>in</strong> der gleichen Reihenfolge aufe<strong>in</strong>ander folgen. Häufiger Personalwechsel,<br />
fehlende Bezugspersonen, Unruhe durch Renovierungen und Umbauten<br />
17
im Haus verschlechtern i.d.R. den Krankheitszustand. Andererseits muss aber auch<br />
vermieden werden, dass die gewohnte Umgebung langweilig wirkt und zu e<strong>in</strong>er sensorischen<br />
Deprivation und e<strong>in</strong>er sozialen Isolation beiträgt. Wünschenswert s<strong>in</strong>d klare<br />
Orientierungshilfen, angenehme Farben und gelegentliches Abspielen von Musikstücken,<br />
die dem Geschmack der Klienten entsprechen. Negativ wirken sich Unruhe<br />
erzeugende Stimuli aus. Dazu gehören e<strong>in</strong>e Dauerbeschallung mit Musik, ständig<br />
laufende Fernsehgeräte, häufige Stationsdurchsagen, erschreckende Bilder, Angst<br />
verursachende Schatten u.ä.. Unbekannte auditive Reize kann der demente Ältere<br />
nicht lokalisieren und nicht verarbeiten. Daher lösen sie bei ihm Angst aus.<br />
Zu e<strong>in</strong>er der Demenzerkrankung angemessenen Umgebung gehören auch unterschiedliche<br />
Flächen und Gegenstände, deren Berührung als angenehm empfunden<br />
wird und positive Assoziationen weckt, sowie D<strong>in</strong>ge, die die Klienten anfassen und<br />
herumtragen können. Dazu zählen Zeitschriften, Tücher, Taschen, Körbe u.a.. Demenzkranke<br />
blättern beispielsweise <strong>in</strong> Zeitschriften, ohne den Inhalt aufzunehmen,<br />
oder sie rollen sie wie e<strong>in</strong> Rohr zusammen. Gerade sie brauchen vielfältige taktile<br />
Stimulationen; werden diese ihnen zur Verfügung gestellt, „müssen“ sie nicht ständig<br />
an ihrer Kleidung herumnesteln, Kleidungsstücke aus dem Schrank holen u.ä..<br />
Auch Schmusetiere, Teddys und Puppen haben ihre Bedeutung, da der demente ältere<br />
Mensch, der alle geistigen Fähigkeiten nach und nach verliert, etwas Weiches<br />
sucht, das er an sich drücken und an das er sich schmiegen kann.<br />
Schaffen positiver<br />
Erlebnisse<br />
(Spaziergänge,<br />
Ausflüge etc.)<br />
E<strong>in</strong>deutige Strukturierung<br />
der Umgebung<br />
Feste<br />
Strukturierung<br />
der Zeit<br />
MILIEU-<br />
THERAPEUTISCHE<br />
GESTALTUNG<br />
DERUMWELT<br />
Abb. 10: Milieutherapeutische Umweltgestaltung zur Kompetenzerhaltung und Vermittlung<br />
von Sicherheit (erstellt nach Fuhrmann et al., Abschied vom Ich, 1995, S.97, Abb. 9)<br />
18<br />
Übertragung<br />
e<strong>in</strong>facher,<br />
biographieorientierter<br />
Aufgaben<br />
Anpassung der<br />
Kommunikation
Um Angst, Depressionen und Schläfrigkeit vorzubeugen, sollte auf e<strong>in</strong>e ausreichende<br />
Beleuchtung auf den Fluren und <strong>in</strong> den Geme<strong>in</strong>schaftsräumen geachtet werden.<br />
Die Helligkeit wirkt als äußerer Zeitgeber und trägt zur Normalisierung des Schlaf-<br />
Wach-Rhythmus und zur Stimmungsaufhellung bei.<br />
Familienähnliche Wohngruppen, „normale“ Möblierung und Alltagskleidung tragendes<br />
Personal können dazu beitragen, den Verlust an vertrauter Umgebung zu<br />
kompensieren und Nähe und Sicherheit zu vermitteln. Auch s<strong>in</strong>d Besuche von Familienangehörigen<br />
sehr hilfreich. Schließlich stellen diese e<strong>in</strong>en wesentlichen Teil der<br />
alten, vertrauten Umgebung dar. Sie kennen die Klientenbiographie am besten und<br />
geben dem Kranken durch ihre Besuche das Gefühl, noch von Bedeutung zu se<strong>in</strong>.<br />
Hirnleistungse<strong>in</strong>bußen führen zu Orientierungsstörungen auch <strong>in</strong> Bezug auf die Zeit,<br />
so dass diese nicht mehr s<strong>in</strong>nvoll gestaltet werden kann. Daher muss auf e<strong>in</strong>e Anregung<br />
und Sicherheit bietende Tagesstrukturierung, die dem „normalen“ Leben angepasst<br />
ist, geachtet werden. Fixpunkte wie Mahlzeiten, fest e<strong>in</strong>geplante Spaziergänge,<br />
regelmäßige Ruhezeiten u.a. strukturieren den Tag. Anregungs-, Handlungsund<br />
Beruhigungsangebote wechseln mite<strong>in</strong>ander ab(vgl. Abb.10).<br />
Bei der Erstellung e<strong>in</strong>es dementengerechten Tagesprogramms müssen folgende Gesichtspunkte<br />
berücksichtigt werden: Die Aufmerksamkeits- und Konzentrationsspanne<br />
wird immer kürzer und liegt im fortgeschrittenen Stadium meist nur bei 15-20<br />
M<strong>in</strong>uten. In dieser Zeit sollten die Aktivitäten bewältigt werden können. Bei den Inhalten<br />
der Aktivierungsangebote muss bedacht werden, dass emotionale Persönlichkeitsmerkmale<br />
relativ lange erhalten bleiben; daher sollte gefühlsbetonten Gruppenangeboten<br />
wie geme<strong>in</strong>samem S<strong>in</strong>gen, aufheiternden Beschäftigungen u.ä. Vorrang<br />
e<strong>in</strong>geräumt werden. Handlungsrout<strong>in</strong>en, die das Altgedächtnis fördern, wie Putzen,<br />
Essenszubereitung usw., sollten <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er die S<strong>in</strong>ne ansprechenden Art und Weise angeboten<br />
werden: Die vertrauten Handlungen sollten durch vertraute Gegenstände<br />
(Kochutensilien aus früheren Lebensphasen des Klienten), vertraute Gerüche und<br />
e<strong>in</strong> vertrautes Ambiente („alte“ Küchenmöbel) unterstützt werden. Um Bestätigung,<br />
Anerkennung und e<strong>in</strong>e Steigerung des Selbstwertgefühls zu ermöglichen, s<strong>in</strong>d Angebote<br />
zu wählen, die e<strong>in</strong>en Bezug zum bisherigen Lebensstil haben und die mit<br />
Freude und Spaß verbunden s<strong>in</strong>d. Auch s<strong>in</strong>d die Aufgaben so zu verteilen, dass Umfang<br />
und Schwierigkeitsgrad der Tätigkeiten den gegenwärtigen Kompetenzen der<br />
Bewohner entsprechen.<br />
19
Vermutlich wichtigstes Element e<strong>in</strong>es dementengerechten Milieus ist e<strong>in</strong>e konstante,<br />
e<strong>in</strong>fühlsame Bezugsperson. Nur sie ermöglicht e<strong>in</strong> optimales E<strong>in</strong>gehen auf die Gefühle<br />
des Dementen, nur zu ihr kann Vertrauen wachsen, das dann Geborgenheit und<br />
Sicherheit vermittelt.<br />
E<strong>in</strong> weiteres wichtiges Strukturpr<strong>in</strong>zip e<strong>in</strong>es dementengerechten Milieus ist die biographische<br />
Orientierung. Konkret bedeutet dies, dass Pflegekräfte möglichst viel<br />
über den e<strong>in</strong>zelnen Klienten wissen sollten und se<strong>in</strong>e Gewohnheiten, Vorlieben sowie<br />
Verarbeitungs- und Bewältigungsmuster <strong>in</strong> ihre Arbeit mite<strong>in</strong>beziehen müssen.<br />
Vermittler dieser lebensgeschichtlichen und persönlichkeitsspezifischen Aspekte<br />
s<strong>in</strong>d naturgemäß vorwiegend Angehörige und enge Freunde. Diese müssen daher <strong>in</strong><br />
das Milieu e<strong>in</strong>bezogen werden, und zwar nicht nur als Informanten über das Leben<br />
und die Eigenarten des Kranken, sondern auch als Kont<strong>in</strong>uität verkörpernde, emotionale<br />
B<strong>in</strong>deglieder zu se<strong>in</strong>em bisherigen Leben.<br />
Außerordentlich problematisch s<strong>in</strong>d gegensätzliche Vorstellungen <strong>in</strong>nerhalb der<br />
Mitarbeiterschaft über den Umgang mit Demenzkranken und die dabei zu verfolgenden<br />
Ziele. Wesentlich für die Entwicklung e<strong>in</strong>es angemessenen therapeutischen<br />
Milieus ist die Harmonie <strong>in</strong>nerhalb des Mitarbeiterteams. Im Idealfall besteht dieses<br />
Team nur aus Personen, die überzeugt s<strong>in</strong>d, dass sich ihre Arbeit lohnt, die e<strong>in</strong>e<br />
weitgehend e<strong>in</strong>heitliche Vorstellung von dem haben, was dem e<strong>in</strong>zelnen Klienten<br />
dient, und die den Klienten als Menschen achten und sensibel s<strong>in</strong>d für se<strong>in</strong>e Bedürfnisse.<br />
E<strong>in</strong> schlechtes Arbeitsmilieu hat außerordentlich negative Auswirkungen auf<br />
das Wohn- und Pflegemilieu der Klienten. Da e<strong>in</strong> harmonisches Team sich kaum<br />
durch Zufall bildet, muss strikt darauf geachtet werden, dass die richtigen Personen<br />
e<strong>in</strong>gestellt werden. Dabei sollten E<strong>in</strong>stellungen und Haltungen noch höher gewichtet<br />
werden als Kenntnisse und Fertigkeiten, da letztere notfalls noch erworben werden<br />
können, während E<strong>in</strong>stellungen und Haltungen kaum zu verändern s<strong>in</strong>d.<br />
6.2.2 Kognitives Tra<strong>in</strong><strong>in</strong>g<br />
Dementielle Erkrankungen führen <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie zu kognitiven E<strong>in</strong>bußen. Daher<br />
kommt dem gezielten Tra<strong>in</strong><strong>in</strong>g kognitiver Funktionen im Rahmen e<strong>in</strong>er Demenztherapie<br />
besondere Bedeutung zu. Dies gilt allerd<strong>in</strong>gs nur für die Frühphase des dementiellen<br />
Prozesses, bei der lediglich leichte kognitive Störungen auftreten. Für Krankheitsphasen,<br />
<strong>in</strong> denen die Gedächtnis- und Aufmerksamkeitsstörungen bereits deutlich<br />
ausgeprägt s<strong>in</strong>d, liegen z.Z. noch ke<strong>in</strong>e Übungsprogramme vor.<br />
20
Mit geeigneten Tra<strong>in</strong><strong>in</strong>gsprogrammen s<strong>in</strong>d gewisse Verbesserungen von Gedächtnis-<br />
und Aufmerksamkeitsleistungen zu erzielen. Es sollte allerd<strong>in</strong>gs darauf geachtet<br />
werden, dass der Schwierigkeitsgrad der Übungen den dem Klienten verbliebenen<br />
Möglichkeiten angepasst ist, damit es nicht zu Misserfolgserlebnissen kommt.<br />
Das Gedächtnistra<strong>in</strong><strong>in</strong>g nach F. Stengel ist geeignet für leicht bis mittelgradig<br />
dementiell Erkrankte. Dabei werden <strong>in</strong> unterschiedlichen Spielen und Übungen<br />
schwerpunktmäßig bestimmte kognitive Funktionen tra<strong>in</strong>iert. Die Aufgaben knüpfen<br />
an Vorwissen und Vorerfahrung an und s<strong>in</strong>d so konzipiert, dass sie Spaß machen<br />
und geistig anregen.<br />
Besonders erfolgversprechend ist bei Demenzkranken das Gedächtnistra<strong>in</strong><strong>in</strong>g über<br />
Bra<strong>in</strong>storm<strong>in</strong>g. Dabei versucht man das Langzeitgedächtnis, das erst relativ spät<br />
angegriffen wird, zum Arbeiten anzuregen, <strong>in</strong>dem der Klient Begriffe assoziierend<br />
mite<strong>in</strong>ander verb<strong>in</strong>det und, solange die Krankheit es zulässt, auch noch Gefühle und<br />
Erlebniser<strong>in</strong>nerungen e<strong>in</strong>fließen lässt. Bei dieser Methode wird e<strong>in</strong> Begriff (z.B.<br />
Herbst) <strong>in</strong> den Raum gestellt, zu dem dem Kranken, wenn er darüber nachdenkt,<br />
immer neue D<strong>in</strong>ge und Empf<strong>in</strong>dungen e<strong>in</strong>fallen. Bra<strong>in</strong>storm<strong>in</strong>g stellt e<strong>in</strong>e gute Möglichkeit<br />
dar, verbliebene Fähigkeiten und Möglichkeiten hervorzulocken, besonders<br />
wenn es mit Rhythmus, Bewegung, Automatismen und unter E<strong>in</strong>beziehung möglichst<br />
vieler S<strong>in</strong>ne praktiziert wird.<br />
6.2.3 Aktivierungstherapie<br />
Die Aktivierungstherapie geht vom Aktivationsmodell aus. Dabei versucht man<br />
durch zielgerichtete, zeitlich strukturierte und kont<strong>in</strong>uierliche Aktivitäten die noch<br />
vorhandenen körperlichen, geistigen, emotionalen und sozialen Fähigkeiten des Klienten<br />
zu fördern und zu erhalten. Die hierbei e<strong>in</strong>zusetzenden Mittel s<strong>in</strong>d vielfältig<br />
und umfassen geistige Aktivitäten (Gespräche, Gedächtnistra<strong>in</strong><strong>in</strong>g, Vorlesen, Diskussionen<br />
u.a.), motorische Aktivitäten (Spaziergänge, Gymnastik, Spiele), handwerklich-gestalterische<br />
Aktivitäten (Malen, Stricken, Holzarbeiten usw.), musischgesellige<br />
Aktivitäten (S<strong>in</strong>gen, Musizieren, Spielen) und Aktivitäten des täglichen<br />
Lebens (Kochen, Backen, E<strong>in</strong>kaufen, Körperpflege u.a.). Wenn die Biographie des<br />
Klienten und die vorhandenen E<strong>in</strong>schränkungen mitberücksichtigt werden, kann die<br />
Aktivierungstherapie das seelische und soziale Wohlbef<strong>in</strong>den verbessern, die Grobund<br />
Fe<strong>in</strong>motorik fördern und die S<strong>in</strong>neswahrnehmungen stimulieren.<br />
21
E<strong>in</strong>e gute Gelegenheit zur Aktivierung bieten auch Feste, Ausflüge und Gottesdienste.<br />
Besonders Jahreszeitenfeste, kirchliche Feste, Geburtstage und Jubiläen stellen<br />
Höhepunkte im Heimalltag dar und bewirken Orientierung. Sie s<strong>in</strong>d von hohem therapeutischem<br />
Wert, wenn Demenzkranke Lieder und Sitztänze e<strong>in</strong>studieren oder<br />
beim Backen, Kochen, Tischdecken oder bei der Raumgestaltung e<strong>in</strong>gebunden s<strong>in</strong>d.<br />
Geme<strong>in</strong>sam erlebte Freude beim S<strong>in</strong>gen, Lachen, Klatschen, Tanzen, Essen und<br />
Tr<strong>in</strong>ken verb<strong>in</strong>det emotional mite<strong>in</strong>ander.<br />
6.2.4 Ergotherapie<br />
Im Lauf des dementiellen Abbauprozesses geht die Bewältigung von immer mehr<br />
früher „k<strong>in</strong>derleichten“ Alltagsaufgaben verloren. Diese krankheitsbed<strong>in</strong>gten Verluste<br />
werden nicht selten noch verstärkt durch fehlende pflegerische Aktivierung<br />
oder durch „Überpflege“. Die Folge davon s<strong>in</strong>d Rückzug, Passivität und Langeweile.<br />
Daher ist es dr<strong>in</strong>gend geboten, den Klienten die Gelegenheit zu geben, sich s<strong>in</strong>nvoll<br />
zu beschäftigen. Hier kann die Ergotherapie mit ihren beiden Bestandteilen<br />
„Beschäftigungstherapie“ und „Arbeitstherapie“ e<strong>in</strong>e wertvolle Hilfe se<strong>in</strong>. In ihrem<br />
Rahmen werden ganz unterschiedliche Techniken im S<strong>in</strong>ne von Handarbeit oder<br />
leichter handwerklicher Arbeit angeboten. E<strong>in</strong>fache, an alltägliche Verrichtungen<br />
anknüpfende Tätigkeiten wie Handarbeiten, Wäschezusammenlegen, Kochen, Abwaschen<br />
usw. sollten im Vordergrund stehen. So hat es sich z.B. bewährt, die Therapie<br />
<strong>in</strong> der Teeküche durchzuführen, dort geme<strong>in</strong>sam Kaffee zu kochen und zu<br />
tr<strong>in</strong>ken, e<strong>in</strong>en Pudd<strong>in</strong>g zuzubereiten u.ä.. Zuweilen entwickeln dementiell Erkrankte<br />
hier – aus ihrem Langzeitgedächtnis heraus – erstaunliche praktische Fertigkeiten.<br />
Ziele der Ergotherapie s<strong>in</strong>d die Aktivierung der Erlebnisfähigkeit und die Schaffung<br />
sozialer Kontakte. Daneben soll e<strong>in</strong>e Strukturierung des Tagesablaufs erreicht und<br />
das Selbstvertrauen gestärkt werden. Letzteres gel<strong>in</strong>gt besonders gut, wenn behutsam<br />
an frühere Tätigkeiten der Klienten angeknüpft wird.<br />
6.2.5 Realitätsorientierungstra<strong>in</strong><strong>in</strong>g<br />
E<strong>in</strong> Demenzkranker vergisst immer mehr der für die Bewältigung se<strong>in</strong>es Alltags relevanten<br />
Informationen. Häufig weiß er nicht mehr, wo er wohnt, wie spät es ist, mit<br />
wem er vor kurzem gesprochen hat usw.. Er verliert mehr und mehr den Kontakt zur<br />
Realität. Das Realitätsorientierungstra<strong>in</strong><strong>in</strong>g (ROT), e<strong>in</strong>e Ende der 50er Jahre <strong>in</strong> den<br />
22
USA entwickelte Therapie, hat das Ziel, diesen drohenden Bruch mit der Wirklichkeit<br />
abzuwenden und den verwirrten älteren Menschen wieder <strong>in</strong> die allgeme<strong>in</strong> anerkannte<br />
Realität zu führen. Um dies zu erreichen, werden dem Klienten mehrmals<br />
am Tag Informationen über Wochentag, Uhrzeit, Raum, Wetter u.ä. gegeben.<br />
Zentrale Zielstellung des ROT ist die Verbesserung der räumlichen, zeitlichen, personellen<br />
und situativen Orientierung. Daher umfasst das ROT die räumliche Orientierung<br />
im Wohnumfeld (deutliche Kennzeichnung, Orientierungsgänge), den Tagesablauf<br />
(feste Zeiten, klare Strukturierung, Regelmäßigkeit), die eigene Person<br />
und andere Personen (Ansprechen mit Namen, Vorstellen, Betrachten im Spiegel)<br />
sowie die Situation (wiederholte H<strong>in</strong>weise). Daneben sollen die Gedächtnisleistungen,<br />
die Kommunikation und die Erhaltung der persönlichen Identität gefördert<br />
werden. Beim ROT s<strong>in</strong>d als Kernstück das 24-Stunden-ROT, das neben umweltgestaltenden<br />
Maßnahmen v.a. e<strong>in</strong>e spezielle Interaktions- und Kommunikationshaltung<br />
umfasst, und als ergänzende Komponente das Classroom-ROT zu unterscheiden.<br />
Beim 24-Stunden-ROT werden dem Demenzkranken bei jedem Kontakt Informationen<br />
über die Zeit, den Ort und die eigene Person vermittelt. Dies kann z.B. so aussehen:<br />
„Guten Morgen, Frau Müller, ich b<strong>in</strong> Maria Kern. Heute ist Mittwoch, der<br />
2. September, es ist 7 Uhr. Wie ich sehe, s<strong>in</strong>d Sie bereit aufzustehen. Soll ich Ihnen<br />
dabei helfen?“. Allerd<strong>in</strong>gs rückt man neuerd<strong>in</strong>gs von diesen ständigen, oft unnatürlich<br />
wirkenden H<strong>in</strong>weisen auf die Realität mehr und mehr ab zugunsten e<strong>in</strong>er natürlichen<br />
E<strong>in</strong>b<strong>in</strong>dung dieser H<strong>in</strong>weise <strong>in</strong> den Alltag.<br />
E<strong>in</strong>e wichtige Ergänzung zum auf den e<strong>in</strong>zelnen Demenzkranken ausgerichteten 24-<br />
Stunden-ROT stellt das Classroom-ROT dar. Dabei werden <strong>in</strong> nach Verwirrtheitsgrad<br />
gebildeten Kle<strong>in</strong>gruppen ca. 30 M<strong>in</strong>uten lang möglichst fünf Mal <strong>in</strong> der Woche<br />
verschiedene Fähigkeitsbereiche tra<strong>in</strong>iert.<br />
Das ROT zählt zu den am häufigsten angewandten aktivierenden Therapieverfahren.<br />
Dies ist darauf zurückzuführen, dass es klare Anleitungen und Richtl<strong>in</strong>ien gibt und<br />
dass die Grundpr<strong>in</strong>zipien relativ schnell und ohne zusätzliche Qualifikation zu erlernen<br />
und <strong>in</strong> die Praxis umzusetzen s<strong>in</strong>d. Allerd<strong>in</strong>gs müssen alle <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Pflegee<strong>in</strong>richtung<br />
tätigen Personen – dar<strong>in</strong> unterscheidet sich das ROT von anderen Therapien<br />
– konsequent das Tra<strong>in</strong><strong>in</strong>gsprogramm unterstützen.<br />
Nach 1970 kam es zu e<strong>in</strong>em regelrechten ROT-Boom; <strong>in</strong> den folgenden Jahrzehnten<br />
wurden zum<strong>in</strong>dest e<strong>in</strong>ige ROT-Techniken <strong>in</strong> nahezu jeder Institution übernommen<br />
und noch heute gilt ROT als der klassische Ansatz für die „neue“ Pflege desorien-<br />
23
tierter älterer Menschen. ROT war zur Zeit se<strong>in</strong>er Entwicklung <strong>in</strong>sofern <strong>in</strong>novativ,<br />
als es sich gegen den damals vorherrschenden therapeutischen Nihilismus und gegen<br />
e<strong>in</strong>e re<strong>in</strong>e Kustodial-Versorgung wandte und von der Therapierbarkeit von Demenzen<br />
ausg<strong>in</strong>g. Neu war auch, dass dem Pflegepersonal e<strong>in</strong>e verantwortliche, aktive<br />
Rolle zukam.<br />
Die Effektivität der Therapie muss als umstritten e<strong>in</strong>gestuft werden. Durchgängig<br />
zeigt sich, dass positive Effekte zeitlich wenig stabil s<strong>in</strong>d, d.h., dass sie nur bei permanentem<br />
Tra<strong>in</strong><strong>in</strong>g erhalten bleiben. Auch beschränken sich ROT-Effekte auf das<br />
direkt tra<strong>in</strong>ierte oder ähnliches Material. Als s<strong>in</strong>nvoll angesehen werden kann, den<br />
Klienten immer wieder an se<strong>in</strong>en Namen und die Tageszeit zu er<strong>in</strong>nern und ihm<br />
durch große Schilder oder überdimensionale Kalender Orientierungshilfen zu geben.<br />
Dass er derjenige ist, den er <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Spiegel sieht, wird der Demente dagegen<br />
<strong>in</strong> aller Regel auch bei häufiger Wiederholung nicht mehr begreifen. Auch kann e<strong>in</strong><br />
Spiegelbild den Klienten, der ja e<strong>in</strong> anderes Selbstbild von sich hat, <strong>in</strong> unnötiger<br />
Weise erschüttern.<br />
Indiziert ist ROT v.a. <strong>in</strong> frühen Phasen der Demenz, <strong>in</strong> denen die Klienten noch das<br />
Bedürfnis haben, <strong>in</strong> die Realität, die ihnen zu entgleiten beg<strong>in</strong>nt, zurückzukehren. In<br />
diesem Krankheitsstadium können die Gedächtnisstörungen noch durch die mittels<br />
ROT weitergegebenen Informationen kompensiert werden. Bei mäßiger bis schwerer<br />
Demenz oder bei unreflektierter Anwendung kann ROT kontraproduktiv wirken<br />
und dazu führen, dass der desorientierte ältere Mensch sich überfordert oder bedroht<br />
fühlt, mit Empörung oder Scham reagiert, sich noch mehr zurückzieht, noch ängstlicher<br />
und depressiver wird.<br />
6.2.6 Selbst-Erhaltungs-Therapie<br />
Morbus Alzheimer führt zu e<strong>in</strong>er Erfahrungsdiskont<strong>in</strong>uität, e<strong>in</strong>em Verlust von<br />
Handlungs- und Gestaltungsfreiheiten und e<strong>in</strong>er damit e<strong>in</strong>hergehenden Erlebnisarmut,<br />
e<strong>in</strong>er Reduzierung des Selbstwissens sowie zu Veränderungen im emotionalen<br />
und sozialen Bereich. Diese Störungen s<strong>in</strong>d umso gravierender, als mit fortschreitender<br />
Krankheit die Verarbeitungs- und Bewältigungsmöglichkeiten des Klienten<br />
immer mehr zurückgehen. Dadurch bed<strong>in</strong>gt wird die personale Kont<strong>in</strong>uität verletzt<br />
und das Identitätsgefühl bedroht.<br />
Im Rahmen der Anfang der 90er Jahre entwickelten Selbst-Erhaltungs-Therapie<br />
(SET) bemüht man sich, die personale Identität des dementiell Erkrankten möglichst<br />
24
lange zu erhalten, <strong>in</strong>dem sie durch systematisches, stadienangepasstes Üben von<br />
biographischem und anderem selbstbezogenem Wissen gestützt wird. Durch kont<strong>in</strong>uierliches<br />
Üben können E<strong>in</strong>tönigkeit und Erlebnisarmut vermieden und Teile des<br />
selbstbezogenen Wissens reaktiviert und schließlich sogar durch häufiges Wiederholen<br />
„überlernt“ werden. „Überlernte“ Sachverhalte werden, zumal wenn es sich um<br />
autobiographische Informationen handelt, weniger leicht vergessen als andere Wissensbestände.<br />
6.2.7 Biographischer Ansatz<br />
Die SET ist e<strong>in</strong> Teilbereich des übergeordneten Biographischen Ansatzes, der <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />
Therapiekonzept für Demenzkranke e<strong>in</strong>en besonderen Stellenwert haben muss.<br />
In der Biographiearbeit werden aus der Erkenntnis heraus, dass jeder Mensch se<strong>in</strong>e<br />
<strong>in</strong>dividuelle Lebensgeschichte hat, unter deren E<strong>in</strong>fluss sich se<strong>in</strong> Verhalten, se<strong>in</strong>e<br />
Gewohnheiten, Vorlieben und Abneigungen entwickelt haben, – v.a. über Angehörige<br />
– Informationen über das Leben des Klienten zusammengetragen. Dadurch gel<strong>in</strong>gt<br />
es besser, se<strong>in</strong>e Geschichte zu verstehen, Eigenheiten e<strong>in</strong>zuordnen und im fortgeschrittenen<br />
Stadium die Lebensgeschichte zu rekonstruieren und dadurch se<strong>in</strong>e<br />
Identität länger zu erhalten. Besonderer Wert sollte auf den früher ausgeübten Beruf<br />
gelegt werden, da dieser auch <strong>in</strong> späten Krankheitsphasen noch e<strong>in</strong>e wichtige Rolle<br />
spielt. Außerdem gilt es, Informationen über die K<strong>in</strong>dheit des Klienten, se<strong>in</strong>e Familie<br />
(Ehepartner, Zahl der K<strong>in</strong>der/Enkel usw.), die <strong>in</strong>dividuellen Gewohnheiten, Abneigungen,<br />
Vorlieben und Rituale, den geschichtlichen, kulturellen und religiösen<br />
H<strong>in</strong>tergrund, den bevorzugten Musikstil u.ä. zu sammeln. E<strong>in</strong> wesentlicher Teil dieser<br />
Informationen kann z.B. schon bei e<strong>in</strong>em ausführlichen Aufnahmegespräch erhoben<br />
werden.<br />
Mit Hilfe der Biographie werden die früher erworbenen Fähigkeiten sichtbar, die<br />
nun genutzt und erhalten werden müssen. Gel<strong>in</strong>gt es, die Er<strong>in</strong>nerung des Dementen<br />
aufrechtzuerhalten, kann der Verlust der Identität h<strong>in</strong>ausgezögert werden. Angeregt<br />
und erleichtert werden kann die Er<strong>in</strong>nerung an die Lebensgeschichte durch Bücher<br />
von früher, Photos aus der Jugendzeit, Zeitungsausschnitte, Diskussionsrunden über<br />
frühere Zeiten, Museumsbesuche, jahreszeitlich geprägte Aktivitäten, Tanzveranstaltungen<br />
usw.. Ausgelöst z.B. durch die Frage „Wie haben Sie denn früher Weihnachten<br />
/ Ostern / Geburtstag gefeiert?“ wird e<strong>in</strong> Bra<strong>in</strong>storm<strong>in</strong>g erreicht, das sich<br />
therapeutisch vertiefen lässt. Solche Er<strong>in</strong>nerungen tragen dazu bei, das Leben positiv<br />
25
zu bilanzieren und die Identität zu erhalten; der Klient erlebt sich als lebenserfahren.<br />
Zudem wird die E<strong>in</strong>zigartigkeit der Biographie betont. Biographiekenntnisse auf<br />
Seiten der Betreuenden vermitteln dem Kranken e<strong>in</strong> Gefühl der Wertschätzung.<br />
6.2.8 Rem<strong>in</strong>iszenztherapie<br />
Die SET ist e<strong>in</strong>e junge Variante der seit mehr als 20 Jahren bekannten Rem<strong>in</strong>iszenztherapie<br />
(REM). Im Gegensatz zum ROT, das sich an der Gegenwart orientiert, ist<br />
die REM auf die Vergangenheit ausgerichtet. Nach der REM darf der desorientierte<br />
ältere Mensch rem<strong>in</strong>iszieren, <strong>in</strong> Er<strong>in</strong>nerungen schwelgen, die Realität verlassen, ohne<br />
dass der Therapeut e<strong>in</strong>schreitet.<br />
Bei der REM handelt es sich um e<strong>in</strong>e Interventionsmethode, bei der zurückliegende<br />
Ereignisse und eigene Erlebnisse wachgerufen und so erhaltene Fähigkeiten gestärkt<br />
werden sollen. Dadurch, dass die Stärken des Demenzkranken betont werden und<br />
sowohl e<strong>in</strong>e Konfrontation mit se<strong>in</strong>en Schwächen als auch e<strong>in</strong>e unnatürliche Tra<strong>in</strong><strong>in</strong>gssituation<br />
vermieden wird, kann das Selbstvertrauen gestärkt werden. Als weitere<br />
Ziele werden genannt Vergangenheitsbewältigung, Betonung der E<strong>in</strong>zigartigkeit<br />
jeder e<strong>in</strong>zelnen Biographie sowie zeitweilige Umkehr des Betreuer-Betreuten-<br />
Verhältnisses, da die Betreuten e<strong>in</strong>mal mehr wissen als ihre Betreuer. Sie haben etwas<br />
zu „bieten“, <strong>in</strong>dem sie über Zeiten und Ereignisse berichten, über die die Jüngeren<br />
häufig wenig wissen. Aber auch die Begleitenden profitieren vom Rem<strong>in</strong>iszieren.<br />
Sie lernen den Dementen mit se<strong>in</strong>en Vorlieben, Abneigungen, Empf<strong>in</strong>dlichkeiten,<br />
Stärken und Schwächen besser kennen und können daher <strong>in</strong> Zukunft <strong>in</strong>dividueller<br />
auf ihn e<strong>in</strong>gehen. Zudem wird das Verhältnis zwischen Betreuenden und Betreuten<br />
verbessert, wenn die Klienten spüren, dass die sie Begleitenden echtes Interesse<br />
an ihnen haben.<br />
Als Hilfsmittel zum Rem<strong>in</strong>iszieren bieten sich die bei der SET schon genannten an.<br />
Weitere Möglichkeiten s<strong>in</strong>d das Zeigen alter Filme mittels e<strong>in</strong>es Videorekorders, die<br />
Organisation e<strong>in</strong>er kle<strong>in</strong>en Ausstellung <strong>in</strong> Zusammenarbeit mit dem örtlichen Heimatmuseum,<br />
der Besuch von alten Bauernhöfen oder das Anbieten e<strong>in</strong>er Tanzveranstaltung<br />
<strong>in</strong> alten Kostümen. E<strong>in</strong>e Möglichkeit ist z.B. auch, am Nachmittag Kaffee<br />
zu tr<strong>in</strong>ken, der zuvor <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er alten Kaffeemühle gemahlen und <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Porzellankanne<br />
aufgebrüht wurde, und dazu Zwetschgenkuchen nach „Großmutters Art“ zu<br />
essen. Dazu können die Klienten dann erzählen und Lieder aus ihrer Jugend s<strong>in</strong>gen.<br />
Gefördert wird das Rem<strong>in</strong>iszieren, wenn das Ganze <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er „guten Stube“ mit vielen<br />
„Altertümchen“ stattf<strong>in</strong>det, <strong>in</strong> der e<strong>in</strong>e Reihe alter Geräte, Werkzeuge oder Bil-<br />
26
der von früher zu sehen s<strong>in</strong>d. Gern angenommen werden auch Er<strong>in</strong>nerungsstunden<br />
nach dem Motto „. . . er<strong>in</strong>nern Sie sich noch?“ zu bestimmten Themen wie „Schulzeit“,<br />
„Ausgehen“ oder „Arbeitsleben“.<br />
6.2.9 Musiktherapie<br />
Unter Musiktherapie im engeren S<strong>in</strong>n ist der gezielte E<strong>in</strong>satz von Musik oder musikalischen<br />
Elementen <strong>in</strong> der Behandlung physischer, psychischer und emotionaler<br />
Störungen zu verstehen. E<strong>in</strong>gesetzt wird sie immer noch schwerpunktmäßig bei<br />
K<strong>in</strong>dern und Jugendlichen; erst allmählich erfolgt e<strong>in</strong>e stärkere Ausdehnung auf geriatrische<br />
Stationen und Altenheime.<br />
Musiktherapie im engeren S<strong>in</strong>n grenzt sich deutlich ab von zufällig, also nicht zielgerichtet<br />
e<strong>in</strong>gesetzter Musik zum Zweck der Unterhaltung und Entspannung. Sie<br />
versteht sich als ganzheitlicher Ansatz, der auf den Körper, die Psyche und das soziale<br />
Milieu des Klienten zielt. Dabei ist Musik nicht Selbstzweck, sondern immer<br />
Mittel. Als Oberziele werden genannt die Befriedigung emotionaler, sozialer und<br />
spiritueller Bedürfnisse sowie die Erhöhung der Lebensqualität. Teilziele s<strong>in</strong>d zu<br />
sehen <strong>in</strong> dem Erhalten kognitiver und sozialer Fähigkeiten, der Ermöglichung sozialer<br />
Kontakte zwischen dementen Bewohnern und der Verbesserung des Verhältnisses<br />
zwischen Begleitenden und Klienten. Vor allem aber wird das Selbstwertgefühl<br />
der Dementen verbessert oder zum<strong>in</strong>dest erhalten, wenn sie sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er ihnen Sicherheit<br />
verleihenden Umgebung <strong>in</strong>volviert und kompetent erleben.<br />
Besonders angezeigt ist Musiktherapie bei stark e<strong>in</strong>geschränkten verbalen Kommunikationsmöglichkeiten.<br />
Hier kann die Musiktherapie e<strong>in</strong>e wertvolle Hilfe bieten,<br />
um die Emotionalität auszudrücken.<br />
Der Musik werden e<strong>in</strong>ige wesentliche Eigenschaften zugeschrieben, die e<strong>in</strong> erhebliches<br />
Unterstützungspotential für desorientierte ältere Menschen darstellen können:<br />
♦ Musik ist emotionalisierend. Emotionen bleiben im dementiellen Abbauprozess<br />
lange erhalten. Da das geordnete Denken und die verbale Kommunikationsfähigkeit<br />
immer mehr ver<strong>siegen</strong>, besitzt der Klient ke<strong>in</strong>e adäquaten Ausdrucksmöglichkeiten<br />
mehr für se<strong>in</strong>e Emotionen. Musik erreicht die Emotionalität ohne<br />
den Weg über das Denken.<br />
♦ Musik ist er<strong>in</strong>nerungsauslösend. Durch Musik er<strong>in</strong>nert sich der Klient immer<br />
wieder an stark emotionalisierende soziale Situationen, wie z.B. die erste Liebe.<br />
27
♦ Musik ist bewegungsfördernd. Musik löst e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>nere Bewegung aus, sie ist, wie<br />
schon gesagt, emotionalisierend, aber sie stimuliert auch zu äußeren, meist tänzerischen<br />
Bewegungen.<br />
♦ Musik ist <strong>in</strong>teraktions- und geme<strong>in</strong>schaftsfördernd. Unter dem E<strong>in</strong>fluss geme<strong>in</strong>samen<br />
Musikhörens wird kommunikatives Verhalten angeregt und es werden Interaktionen<br />
möglich, zu denen Klienten krankheitsbed<strong>in</strong>gt unter anderen Umständen<br />
nicht mehr fähig s<strong>in</strong>d.<br />
Musiktherapeuten bevorzugen als Arbeitsmittel die Improvisation. So ist der schallisolierte<br />
Therapieraum mit e<strong>in</strong>em reichhaltigen Instrumentarium versehen, bei<br />
dem leicht handhabbare Perkussions<strong>in</strong>strumente überwiegen.<br />
In aller Regel schätzen Musiktherapeuten den Wert des S<strong>in</strong>gens eher ger<strong>in</strong>g e<strong>in</strong>. Im<br />
Gegensatz dazu f<strong>in</strong>den sich im stationären Bereich <strong>in</strong> geriatrischen und Demenzabteilungen<br />
hauptsächlich S<strong>in</strong>g- und weniger Instrumentalgruppen. Diese S<strong>in</strong>ggruppen<br />
s<strong>in</strong>d unter den Freizeitangeboten zu f<strong>in</strong>den und sollen die körperliche und geistige<br />
Aktivität fördern, unterhaltsam se<strong>in</strong> und depressive Stimmungslagen aufhellen. Das<br />
S<strong>in</strong>gen von Volksliedern und alten Schlagern hat im Vergleich zur Improvisation<br />
den Vorteil, dass dabei an Vertrautes angeknüpft wird, dass sich Demente oft noch<br />
völlig an den Text er<strong>in</strong>nern, da dieser Teil des Altgedächtnisses ist, und dass solche<br />
Lieder e<strong>in</strong>e Brücke zu wichtigen biographischen Ereignissen bilden können.<br />
Therapeutisches S<strong>in</strong>gen ist äußerlich kaum von e<strong>in</strong>em re<strong>in</strong>en Freizeitangebot zu<br />
unterscheiden. Doch bei genauerem H<strong>in</strong>sehen s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> der Gestaltung der Gruppenstunden<br />
aufgrund der anderen Grunde<strong>in</strong>stellung des Therapeuten deutliche Unterschiede<br />
zu erkennen. Während e<strong>in</strong> re<strong>in</strong>es Unterhaltungsprogramm überwiegend gute<br />
Laune verbreiten soll, e<strong>in</strong>e durch e<strong>in</strong> stimmungsvolles, rührseliges Lied erzeugte bedrückende<br />
Stimmung durch e<strong>in</strong> unmittelbar folgendes fröhliches, beschw<strong>in</strong>gtes Lied<br />
wieder aufgehoben werden soll und aus Angst vor unerwünschten Emotionen zuweilen<br />
die letzten Strophen von Volksliedern, die nicht selten von Abschied und Tod<br />
handeln, weggelassen werden, werden bei therapeutischem S<strong>in</strong>gen solche Manipulationen<br />
strikt abgelehnt und schwierige Gefühle bewusst zugelassen.<br />
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Musik <strong>in</strong> der Arbeit mit Demenzkranken<br />
e<strong>in</strong>e großartige Hilfe se<strong>in</strong> kann. E<strong>in</strong> erfahrener Geriater, der ihre Wirkungen über<br />
Jahre verfolgt hat, kommt sogar zu dem Schluss, dass Musiktherapie möglicherweise<br />
die wichtigste Therapie überhaupt ist, weil sie bewirkt, dass der Demente weiter-<br />
28
leben will. Dies ist aber die Voraussetzung dafür, dass andere Behandlungsmöglichkeiten<br />
überhaupt erst s<strong>in</strong>nvoll s<strong>in</strong>d.<br />
6.2.10 Validation<br />
Validation ist e<strong>in</strong>e verbale und nonverbale Kommunikationsform, e<strong>in</strong>e Methode, mit<br />
der durch Wertschätzung, Verständnis und Akzeptanz versucht werden soll, die Lebensqualität<br />
desorientierter alter Menschen zu verbessern. Der Grundgedanke ist dabei,<br />
dass jede Verhaltensweise des Klienten e<strong>in</strong>e tiefere Bedeutung hat und Ausdruck<br />
e<strong>in</strong>es bestimmten Bedürfnisses ist. Geäußerte Gefühle werden immer ernst<br />
genommen, und zwar unabhängig davon, ob sie der objektiven oder der subjektiven<br />
Realität zuzuordnen s<strong>in</strong>d. Aufbauend auf soliden Biographiekenntnissen versucht<br />
der Validierende, über die Gefühlsebene die Erlebniswelt des dementiell Erkrankten<br />
zu erreichen und e<strong>in</strong>e geme<strong>in</strong>same Kommunikationsebene zu schaffen, die die unterschiedlichen<br />
<strong>Welt</strong>en, <strong>in</strong> denen der Klient und se<strong>in</strong>e Gesprächspartner leben, verb<strong>in</strong>den<br />
kann. Von der Validationsmethode existieren heute verschiedene Ausrichtungen,<br />
von denen die Validation nach Feil und die Integrative Validation nach Richard<br />
die bekanntesten s<strong>in</strong>d.<br />
Der Begriff „Validation“ kann mit „Gültigkeitserklärung“ übersetzt werden, d.h.<br />
man lässt die Sichtweise des Dementen gelten, ohne sie an der Realität zu überprüfen<br />
oder gar zu korrigieren. Man signalisiert dem Klienten, dass se<strong>in</strong>e Gefühle wahr<br />
und angemessen s<strong>in</strong>d; man „validiert“ sie, d.h. man erklärt sie für gültig und richtig.<br />
Man geht <strong>in</strong> den „Mokass<strong>in</strong>s“ des anderen.<br />
Die von der Amerikaner<strong>in</strong> Naomi Feil entwickelte Validationstherapie wurde von<br />
ihr 1980 <strong>in</strong> den USA vorgestellt und gelangte Anfang der 90er Jahre nach Deutschland.<br />
Feil hatte <strong>in</strong> jahrzehntelanger Arbeit mit desorientierten alten Menschen immer<br />
wieder erlebt, dass diese auf Versuche, sie an der Realität zu orientieren, ablehnend<br />
reagierten.<br />
Die Grundannahme Feils ist, dass das Verhalten Altersdementer als der Versuch zu<br />
verstehen sei, <strong>in</strong> der Vergangenheit liegende Lebenskrisen und Konflikte zu verarbeiten.<br />
Das verwirrte Verhalten stelle <strong>in</strong> Wirklichkeit e<strong>in</strong>e Flucht aus der Realität<br />
dar. Die Gegenwart sei schmerzhaft, die Zukunft bedrohlich, da sei es doch verständlich,<br />
dass der Demenzkranke sich <strong>in</strong> die Vergangenheit zurückziehe, also <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e<br />
Zeit, <strong>in</strong> der er noch glücklich oder zum<strong>in</strong>dest nützlich gewesen sei. Was br<strong>in</strong>ge es<br />
schon, e<strong>in</strong>en solchen Menschen wieder <strong>in</strong> die Realität zurückzuholen? Was habe er<br />
davon, wenn er wisse, dass er nicht mehr zu Hause, sondern <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Pflegeheim<br />
29
und dass er nicht 25, sondern 85 Jahre alt sei? Diese Fragen s<strong>in</strong>d umso berechtigter,<br />
als Ende der 80er Jahre das ROT der e<strong>in</strong>zige erfolgversprechende und daher dom<strong>in</strong>ierende,<br />
psychosoziale Behandlungsansatz für Demente war. So entwickelte Feil<br />
die Validationstherapie ausdrücklich als Alternative zum ROT. Neben dem Verzicht<br />
auf die Zurückführung <strong>in</strong> die „allgeme<strong>in</strong> gültige Wahrheit“ s<strong>in</strong>d weitere Hauptbestandteile<br />
von Validation das Akzeptieren und Verbalisieren der Gefühle des Klienten,<br />
die Anpassung an den Bewegungs-, Atem- und Sprechrhythmus der Dementen,<br />
e<strong>in</strong> enger Körperkontakt, die Arbeit mit Er<strong>in</strong>nerungen und die <strong>in</strong>tensive Nutzung<br />
nonverbaler Kommunikation.<br />
Validation ist v.a. auch e<strong>in</strong>e Kommunikationsform. Zur Illustration validierender<br />
Gesprächsführung mögen die beiden folgenden Fallbeispiele dienen:<br />
I. Herr R. (78J.), an fortgeschrittener seniler Demenz leidend, ist zeitlich und örtlich<br />
meist völlig desorientiert, situativ teilweise orientiert und zur Person orientiert.<br />
Herr R. ruft nach e<strong>in</strong>em Mittagsschlaf nach der Schwester – <strong>in</strong> diesem Fall<br />
dem Validationsanwender (V.A.) – und kritisiert barsch, dass er heute noch nicht<br />
rasiert worden sei; er hat vergessen, dass dies – wie jeden Tag – am Morgen geschehen<br />
war.<br />
Herr R.: „Ich b<strong>in</strong> heute noch nicht rasiert worden. Schauen Sie mich an, wie ich aussehe!“<br />
V.A.: „Sie mögen es, wenn Sie gut rasiert s<strong>in</strong>d?“<br />
Herr R.: „Es ist wichtig, dass e<strong>in</strong> Mann immer rasiert ist.“<br />
V.A.: „Haben Sie immer so viel Wert darauf gelegt, gut rasiert zu se<strong>in</strong>?“<br />
Herr R.: „Natürlich! Jeder Bankangestellte muss gut rasiert se<strong>in</strong>.“<br />
V.A.: „Sie waren Bankangestellter von Beruf und mussten immer gut rasiert se<strong>in</strong>.<br />
Wahrsche<strong>in</strong>lich haben Sie viel Kontakt mit Kunden gehabt.“<br />
Herr R.: „Die Kunden haben mich gemocht.“<br />
V.A.: „Sie waren sicher e<strong>in</strong> guter Bankangestellter.“<br />
Herr R.: „Ja, ich war e<strong>in</strong> sehr guter Bankangestellter. Der Direktor hat mich immer gelobt,<br />
weil ich so tüchtig war.“<br />
Am Ende dieses Gesprächs ist der Ärger bei Herrn R. weitgehend verflogen, Gesichtszüge<br />
und Körperhaltung s<strong>in</strong>d deutlich entspannter.<br />
II. Frau W., dementiell erkrankt, gerät <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Pflegeheim <strong>in</strong> größte Unruhe, weil es Zeit ist,<br />
zu kochen für die K<strong>in</strong>der und ihren Mann, der nach Hause kommt: „Br<strong>in</strong>gst du mich heim,<br />
Schwester? Ich muss jetzt heim.“ Darauf antwortet die Schwester validierend <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er E<strong>in</strong>stiegsentgegnung:<br />
„Auf Sie ist Verlass! Sie waren immer für Ihre K<strong>in</strong>der da. Sie müssen e<strong>in</strong>fach<br />
Ihre Pflicht tun.“<br />
30
Die drei wichtigsten Grundsätze validierenden Arbeitens s<strong>in</strong>d:<br />
� wertschätzen statt widersprechen (Akzeptanz),<br />
� begleitend mit e<strong>in</strong>fühlendem Verstehen zur Seite stehen (Empathie) und<br />
� spürbar ehrlich, also echt <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en Gefühlen bleiben (Kongruenz).<br />
Wichtige Ziele der Validation s<strong>in</strong>d u.a. die Wiederherstellung des Selbstwertgefühls,<br />
der Abbau von Stress – bei Betreuenden und Betreuten –, das Anbieten von Hilfe<br />
bei der Bewältigung unverarbeiteter Konflikte aus der Vergangenheit und die Verbesserung<br />
der Kommunikation der Beteiligten – e<strong>in</strong>schließlich der Körpersprache.<br />
Die Integrative Validation nach Nicole Richard stellt e<strong>in</strong>e Weiterentwicklung der<br />
Feilschen Validation dar. Richard unterscheidet sich von Feil dar<strong>in</strong>, dass sie ke<strong>in</strong>en<br />
ursächlichen Zusammenhang zwischen <strong>in</strong> der Vergangenheit liegenden unbewältigten<br />
Konflikten und der dementiellen Erkrankung sieht; daher will sie auch nicht vorrangig<br />
solche ungelösten Probleme bearbeiten, sondern sich schwerpunktmäßig an<br />
den aktuell gezeigten Gefühlen orientieren. Überhaupt sieht sie <strong>in</strong> Validation ke<strong>in</strong>e<br />
besondere Methode, sondern möchte möglichst viele Formen des täglichen Umgangs<br />
und Arbeitens mit Demenzkranken mit e<strong>in</strong>er validierenden Grundhaltung verbunden<br />
wissen. Folgerichtig sieht sie <strong>in</strong> ihrem Konzept e<strong>in</strong>en breit angelegten „<strong>in</strong>tegrativen<br />
validierenden Ansatz“ (IVA), e<strong>in</strong> „weiteres wichtiges Instrument im Handwerkskoffer<br />
der Pflege- und Betreuungskräfte“.<br />
Die Validation besitzt nicht nur begeisterte Anhänger, sondern auch scharfe Kritiker.<br />
Die Kritik zielt v.a. auf die anfangs geäußerten überzogenen Ansprüche, die dar<strong>in</strong><br />
gipfelten, dass man senile Demenz u.U. sogar für heilbar hielt. Von diesem Anspruch<br />
s<strong>in</strong>d die Anhänger der Validation <strong>in</strong>zwischen abgerückt.<br />
Das Verdienst von N. Feil besteht dar<strong>in</strong>, zum<strong>in</strong>dest <strong>in</strong>direkt das dom<strong>in</strong>ierende biomediz<strong>in</strong>ische<br />
und damit defizitorientierte Modell der Demenz <strong>in</strong> Frage gestellt, angemessene<br />
Methoden und Techniken für den Umgang mit altersdementen Menschen,<br />
die sie aus verschiedenen Therapierichtungen übernommen hat, zusammengefasst,<br />
den ganzen Menschen mit se<strong>in</strong>er Biographie <strong>in</strong> den Mittelpunkt gerückt und<br />
dem Umstand Rechnung getragen zu haben, dass emotionale Bedürfnisse im Laufe<br />
der Erkrankung immer mehr an Bedeutung gew<strong>in</strong>nen. Auch wurde hier sehr früh der<br />
Stellenwert möglichst detaillierter Biographiekenntnisse betont. E<strong>in</strong> weiterer Vorteil<br />
der Validationsmethode gegenüber anderen speziell für die Dementenbetreuung<br />
31
entwickelten Konzepten besteht dar<strong>in</strong>, dass sie nicht nur von professionell Betreuenden<br />
angewandt, sondern auch von „Laien“ erlernt werden kann.<br />
Validation ist e<strong>in</strong>e sehr erfolgreiche Kommunikationsmethode, mit deren Hilfe e<strong>in</strong>e<br />
Konfrontation mit kognitiven Defiziten vermieden werden kann, aber ke<strong>in</strong> Allheilmittel,<br />
das alle Probleme lösen könnte. Validation ist e<strong>in</strong> sehr hilfreicher Ansatz im<br />
Umgang mit altersverwirrten Menschen. Aber Validation ist eben auch nur e<strong>in</strong>e von<br />
vielen Methoden, mit denen das Wohlbef<strong>in</strong>den dieser Menschen gefördert werden<br />
kann.<br />
6.2.11 Snoezelen<br />
Snoezelen ist e<strong>in</strong>e Erlebnistherapie, die Stimulation und Entspannung mite<strong>in</strong>ander<br />
verb<strong>in</strong>det. Dies kommt bereits <strong>in</strong> der Wortkreation „Snoezelen“ zum Ausdruck, die<br />
die beiden niederländischen Wörter für „schnüffeln“ („snuffelen“) und „dösen“<br />
(„doezelen“) mite<strong>in</strong>ander verb<strong>in</strong>det. Entwickelt wurde diese Therapieform Mitte der<br />
70er Jahre <strong>in</strong> den Niederlanden als Freizeitangebot für Schwerbeh<strong>in</strong>derte, denen<br />
kaum mehr andere Möglichkeiten der Aktivitätsentfaltung offen stehen. In den letzten<br />
Jahren wird Snoezelen mehr und mehr auch <strong>in</strong> der stationären Altenhilfe – gerade<br />
auch <strong>in</strong> der Arbeit mit Demenzkranken – e<strong>in</strong>gesetzt. Dies ersche<strong>in</strong>t auch s<strong>in</strong>nvoll,<br />
da die Stärke dieser Therapie dar<strong>in</strong> liegt, Menschen, deren körperliche und geistige<br />
Fähigkeiten stark e<strong>in</strong>geschränkt s<strong>in</strong>d und die verbal nicht mehr oder kaum noch<br />
kommunizieren können, auf der Gefühlsebene zu erreichen.<br />
Unverändert gültig ist die Def<strong>in</strong>ition der beiden holländischen Begründer des klassischen<br />
Snoezelen-Konzepts. Danach ist Snoezelen „das bewusst ausgewählte Anbieten<br />
primärer Reize <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er angenehmen Atmosphäre, . . . e<strong>in</strong>e primäre Aktivierung,<br />
v.a. auf s<strong>in</strong>nliche Wahrnehmung und s<strong>in</strong>nliche Erfahrungen gerichtet, mit Hilfe von<br />
Licht, Geräuschen, Gefühlen, Gerüchen und durch Geschmackss<strong>in</strong>n“.<br />
Beim Snoezelen werden <strong>in</strong> speziell ausgestatteten, gegen Störungen aus der Außenwelt<br />
gut abgeschirmten Räumen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er ruhigen, entspannten und stimmungsvollen<br />
Atmosphäre alle S<strong>in</strong>ne angesprochen. Dabei sollen ke<strong>in</strong>e Inhalte aufgenommen,<br />
sondern vielmehr die Gefühle sichtbar angeregt werden. Durch Musik, Lichteffekte,<br />
sanfte Vibrationen, taktile Stimulationen und angenehme Gerüche werden die primären<br />
S<strong>in</strong>ne angesprochen. Als Gestaltungselemente werden häufig verwendet:<br />
Tastbretter, Riechsäulen, Kissen, Decken, Klangwerkzeuge, Wassersäulen, Wasserbetten,<br />
sanftes Licht, Aromalampen, Spielkugeln u.a..<br />
32
Von zentraler Bedeutung ist der Kontakt zur Betreuenden. Weil vielfach geme<strong>in</strong>sam<br />
gesnoezelt wird, kommt es zu Interaktionen zwischen Klient und begleitender<br />
Bezugsperson. Die e<strong>in</strong>fühlsame E<strong>in</strong>führung des Kranken <strong>in</strong> die <strong>Welt</strong> des Snoezelens<br />
durch die Begleitende und das <strong>in</strong>tensive geme<strong>in</strong>same Erleben schafft e<strong>in</strong> vertrauensvolles<br />
Verhältnis und e<strong>in</strong>e enge Beziehung. Damit ist e<strong>in</strong> Hauptziel des Snoezelens<br />
schon erreicht. Betreuende und Klient erleben sich e<strong>in</strong>mal völlig anders. Der dementiell<br />
Veränderte spürt, wie die Betreuende auf se<strong>in</strong>e <strong>Welt</strong> e<strong>in</strong>geht, nicht fordert, sondern<br />
motiviert, hilft, aushält, sich Zeit nimmt – dies ist im Pflegealltag ja kaum möglich<br />
– und selbst genießt. Sie wiederum erlebt, wie der Kranke sich zunächst ängstlich,<br />
abwartend, beobachtend verhält, dann aber doch neugierig ausprobiert und<br />
schließlich längere Zeit <strong>in</strong> entspannter Atmosphäre genießt. So gew<strong>in</strong>nen beide<br />
erstmalig <strong>in</strong> ihrer Beziehung e<strong>in</strong> vollständigeres Bild des jeweils anderen. Die so<br />
entstandene Form engen Umgangs mite<strong>in</strong>ander kann <strong>in</strong> Krisensituationen von unschätzbarem<br />
Wert se<strong>in</strong>.<br />
6.2.12 Basale Stimulation<br />
Das wichtigste Ziel der Basalen Stimulation, die v.a. <strong>in</strong> fortgeschrittenen Stadien e<strong>in</strong>er<br />
Demenz angezeigt ist, besteht dar<strong>in</strong>, die Wahrnehmungsfähigkeit des Klienten<br />
zu fördern und möglichst lange zu erhalten. Im Zentrum steht dabei se<strong>in</strong> eigener<br />
Körper. Der Therapeut setzt gezielt Reize, besonders über die Haut, aber auch über<br />
Augen, Ohren und Nase. Der Kranke soll die Reize aufnehmen und sie <strong>in</strong> Wahrnehmungen<br />
umsetzen. Er wird die Umwelt auf Dauer nur wahrnehmen, wenn se<strong>in</strong>e<br />
S<strong>in</strong>ne immer wieder Reizen ausgesetzt s<strong>in</strong>d. Erfolgen nur e<strong>in</strong>tönige oder gleichförmige<br />
Reize, z.B. bei bewegungslosem Sitzen an e<strong>in</strong>er Stelle oder unter gleichmäßigem<br />
Kunstlicht, führt dies dazu, dass der dementiell Veränderte schließlich kaum<br />
mehr etwas wahrnimmt und den Kontakt zur Außenwelt immer mehr verliert – mit<br />
der Folge, dass se<strong>in</strong>e Orientierungsfähigkeit immer weiter abnimmt.<br />
6.2.13 Der person-zentrierte Ansatz nach T. Kitwood<br />
E<strong>in</strong>er der jüngsten Behandlungsansätze stammt von dem ehemaligen Leiter der<br />
„Bradford Dementia Group“, dem Sozialpsychologen Tom Kitwood. Mit der von<br />
ihm gegründeten Forschungsgruppe hat er an der Universität Bradford (England) bis<br />
zu se<strong>in</strong>em Tod im Jahr 1998 e<strong>in</strong>e bemerkenswerte und aufsehenerregende Arbeit geleistet,<br />
deren Ergebnisse er <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Buch mit dem deutschen Titel „Demenz. Der<br />
33
person-zentrierte Ansatz im Umgang mit verwirrten Menschen“ zusammengefasst<br />
hat. Dieses Buch wurde <strong>in</strong> Großbritannien so begeistert aufgenommen, dass der person-zentrierte<br />
Ansatz von Kitwood <strong>in</strong> der Demenzbehandlung im gleichen Atemzug<br />
mit ROT und Validation genannt wird.<br />
Auch für Kitwood ist Demenz e<strong>in</strong> pathologischer Prozess, aber darüber h<strong>in</strong>aus zugleich<br />
e<strong>in</strong> existenzielles, Merkmale e<strong>in</strong>er Beh<strong>in</strong>derung aufweisendes Lebensschicksal.<br />
Nach se<strong>in</strong>er Sicht geht es bei Demenz um das Personse<strong>in</strong> des Menschen, genauer<br />
gesagt um Abhängigkeit und die Angst, das eigene Personse<strong>in</strong> zu verlieren. Kitwood<br />
vertritt <strong>in</strong> diesem Zusammenhang die These, dass durch e<strong>in</strong> konstruktives, positives<br />
Arbeiten an und mit Demenzkranken deren Personse<strong>in</strong> – natürlich <strong>in</strong> Abhängigkeit<br />
von der Krankheitsphase – erhalten und bewahrt werden kann.<br />
Kitwood geht an gegen die neutrale, technisch ausgerichtete, „verbetriebswirtschaftlichte“,<br />
den Kranken vorwiegend als Objekt betrachtende „alte Pflegekultur“, gegen<br />
die e<strong>in</strong>seitig naturwissenschaftlich ausgerichtete Mediz<strong>in</strong> samt den dah<strong>in</strong>terstehenden<br />
handfesten materiellen, <strong>in</strong>dustriellen und politischen Interessen, gegen Altenpflegee<strong>in</strong>richtungen,<br />
bei denen die Aufrechterhaltung der Arbeits- und Machtstruktur<br />
e<strong>in</strong> höheres Gewicht hat als das Wohlbef<strong>in</strong>den der Bewohner, sowie gegen<br />
das fast durchgängig zu f<strong>in</strong>dende Bemühen, Demenz „wegzumachen“. Er propagiert<br />
statt dessen e<strong>in</strong>e „neue Pflegekultur“, die gekennzeichnet ist durch e<strong>in</strong> ger<strong>in</strong>ges<br />
Maß an Dom<strong>in</strong>anz und das Bestreben, dem Kranken personales Leben mit der Demenz<br />
zu ermöglichen.<br />
Die beiden Pflegekulturen, die aus e<strong>in</strong>em unterschiedlichen Verständnis der Natur<br />
von Demenz erwachsen s<strong>in</strong>d, unterscheiden sich <strong>in</strong> fundamentaler Weise vone<strong>in</strong>ander.<br />
Die alte Kultur pathologisierte Demenzkranke als Menschen mit e<strong>in</strong>er abstoßenden<br />
Krankheit und reduzierte sie weith<strong>in</strong> auf e<strong>in</strong> bestimmtes Krankheitsstadium,<br />
die neue Kultur rückt die E<strong>in</strong>zigartigkeit des Individuums <strong>in</strong>s Zentrum, räumt Empathie<br />
und Emotionen den ihnen gebührenden Stellenwert e<strong>in</strong> und betont den sozialen<br />
Charakter menschlicher Existenz. Während die alte Kultur psychische Bedürfnisse<br />
weith<strong>in</strong> ignorierte oder gar negierte und nur e<strong>in</strong>e m<strong>in</strong>imale, meist auf körperliche<br />
Belange ausgerichtete Interaktion praktizierte, stehen <strong>in</strong> der neuen Kultur die psychischen<br />
Bedürfnisse des Klienten im Mittelpunkt und e<strong>in</strong>e positive, breit gefächerte<br />
Interaktion gilt als der eigentlich heilende Bestandteil der Pflege. Auch <strong>in</strong> den Auffassungen<br />
von Wissen und echter Erfahrung unterscheiden sich die beiden Pflegekulturen<br />
erheblich. Während die alte Pflege ihr Wissen aus mediz<strong>in</strong>ischer For-<br />
34
schung, Tierexperimenten und dem Studium der demenzbed<strong>in</strong>gten Defizite bezog,<br />
zählt <strong>in</strong> der neuen Pflege v.a. das Wissen, das aus der täglichen Erfahrung und der<br />
persönlichen Anteilnahme von Pflegenden stammt.<br />
In aller Regel werden die psychischen Bedürfnisse Demenzkranker allenfalls unzureichend<br />
befriedigt. Kitwood unterscheidet – im Gegensatz zu den Bedürfnishierarchien<br />
der „Theoretiker“ – von der Praxis herkommend neben dem zentralen Bedürfnis<br />
nach Liebe fünf große, sich überschneidende Bedürfnisse, nämlich Trost, primäre<br />
B<strong>in</strong>dung, E<strong>in</strong>beziehung, Beschäftigung und Identität (vgl. Abb.11).<br />
E<strong>in</strong>beziehung<br />
B<strong>in</strong>dung Trost<br />
LIEBE<br />
Beschäftigung<br />
Ich persönlich halte den Ansatz von Kitwood für sehr bedenkenswert. Vieles von<br />
dem, was Kitwood vertritt, ist nicht neu und ist auch <strong>in</strong> den oben geschilderten psychosozialen<br />
Behandlungsansätzen schon enthalten. Trotz aller Schwachpunkte erkannten<br />
bereits die Begründer von ROT das Personse<strong>in</strong> Demenzkranker an, <strong>in</strong>dem<br />
sie davon ausg<strong>in</strong>gen, dass es sich lohnt, diese Menschen <strong>in</strong> die objektive Realität zurückzuführen.<br />
Die Validation wandte sich dann stark den Gefühlen und Emotionen<br />
zu und forderte, die Erfahrungen desorientierter Menschen ernst zu nehmen. Schon<br />
hier wurde – wie bei Kitwood – <strong>in</strong> der Beziehung zur Betreuenden das wichtigste<br />
„Medikament“ für e<strong>in</strong>en Demenzkranken gesehen.<br />
Was Kitwood auszeichnet und se<strong>in</strong>en Ansatz durchaus als radikal und revolutionär<br />
ersche<strong>in</strong>en lässt, ist die umfassend andere Betrachtungsweise. Er entwickelte die Vision<br />
e<strong>in</strong>er neuen Pflegekultur, die e<strong>in</strong>e neue Sicht der Demenz, e<strong>in</strong> Überdenken der<br />
Krankheitsursachen, e<strong>in</strong>e neue Gewichtung von Wissenschaft und Erfahrung, das<br />
35<br />
Identität<br />
Abb. 11: Die wichtigsten psychischen Bedürfnisse von Menschen mit Demenz (entnommen<br />
aus Kitwood, Demenz, 2000, S.122, Abb.6.1)
Aufzeigen demenzspezifischer Bedürfnisse und e<strong>in</strong>e strikte Ausrichtung der Pflege<br />
auf die Erhaltung des Personse<strong>in</strong>s umfasst. Kitwood wirft mit se<strong>in</strong>er Arbeit e<strong>in</strong> neues<br />
Licht auf die Demenz und die Demenzpflege, <strong>in</strong>dem er Demenz als e<strong>in</strong>e psychiatrische<br />
Erkrankung auffasst, die nicht nur auf organische, sondern auch auf psychische<br />
und soziale Faktoren zurückzuführen ist, <strong>in</strong>dem er die <strong>Wege</strong> beschreibt, auf denen<br />
<strong>in</strong> der herkömmlichen Pflege das Personse<strong>in</strong> untergraben wird, und aufzeigt,<br />
wie dies vermieden kann. Kitwood hat e<strong>in</strong>en provozierenden Ansatz entwickelt, der<br />
zur Ause<strong>in</strong>andersetzung herausfordert und der ganz sicher nicht ohne Auswirkungen<br />
auf die Versorgung Demenzkranker <strong>in</strong> Zukunft bleiben wird.<br />
7 Schlussbetrachtung und Ausblick<br />
Parallel zur wachsenden Zahl der Hochaltrigen ist <strong>in</strong> den letzten Jahren auch die<br />
Anzahl Demenzkranker deutlich angestiegen. Dieser Entwicklung, die sich fortsetzen<br />
wird, steht, bed<strong>in</strong>gt durch die anhaltend niedrige Geburtenrate und den durch die<br />
zunehmende Berufsorientierung der Frauen und den nicht mehr aufrechtzuerhaltenden<br />
normativen Anspruch auf weibliche Familienarbeit gekennzeichneten Wandel<br />
der Wertvorstellungen, e<strong>in</strong> s<strong>in</strong>kendes Pflegekräftepotential gegenüber. Institutionen<br />
werden <strong>in</strong> Zukunft e<strong>in</strong>en vermehrten Bedarf an Pflege dementiell erkrankter älterer<br />
Menschen abdecken müssen – und dies unter für das Pflegepersonal wenig günstigen<br />
Rahmenbed<strong>in</strong>gungen.<br />
Dazu zählen strukturelle Probleme, v.a. der vielzitierte Pflegenotstand. Die<br />
Schwerstarbeit von Pflegekräften wird unzureichend vergütet und ist gesellschaftlich<br />
wenig anerkannt. Bed<strong>in</strong>gt durch Personalmangel und Zeitdruck erfolgt häufig nur<br />
e<strong>in</strong>e rout<strong>in</strong>emäßige Grundpflege. E<strong>in</strong>e aktivierende Pflege wird selten praktiziert.<br />
Psychosoziale Maßnahmen unterbleiben vielfach, da „sichtbare“ Ergebnisse e<strong>in</strong><br />
größeres Gewicht haben. Zudem s<strong>in</strong>d die meisten Pflegekräfte für den Umgang mit<br />
Demenzkranken nicht ausreichend qualifiziert. Daher verfügen sie nur über e<strong>in</strong> relativ<br />
schmales Interventionsrepertoire, was zu Verunsicherung führt. Wünschenswert<br />
wäre e<strong>in</strong>e spezialisierte, multiprofessionell konzipierte Ausbildung für Pflegekräfte.<br />
Dies hätte nicht nur e<strong>in</strong>e Aufwertung des Berufsbildes zur Folge, sondern würde bei<br />
den Pflegenden zu größerer Verhaltenssicherheit, Kompetenz und Arbeitszufriedenheit<br />
führen.<br />
36
Negativ zu werten ist auch, dass das Abrechnungssystem des Pflegeversicherungsgesetzes<br />
nicht von e<strong>in</strong>em ganzheitlichen Menschenbild ausgeht, sondern ganz überwiegend<br />
auf die Vergütung körperbezogener Pflege ausgerichtet ist. E<strong>in</strong>e psychosoziale<br />
Betreuung von AD-Patienten ist im Gesetz nur <strong>in</strong> Ansätzen „vorgesehen“.<br />
Noch immer ist bei vielen Ärzten e<strong>in</strong> therapeutischer Nihilismus, beim Pflegepersonal<br />
e<strong>in</strong>e eher resignative Haltung und bei den Angehörigen Hilf- und Hoffnungslosigkeit<br />
anzutreffen. Doch dazu gibt es heute ke<strong>in</strong>e objektive Veranlassung mehr.<br />
Zwar existiert unverändert ke<strong>in</strong>e ursächlich ansetzende Therapie, die die Krankheit<br />
dauerhaft zum Stillstand br<strong>in</strong>gen könnte, aber es gibt doch zahlreiche psychosoziale<br />
Therapien mit unstrittiger Wirksamkeit, und zwar für jede Krankheitsphase, angefangen<br />
vom kognitiven Tra<strong>in</strong><strong>in</strong>g und ROT bis h<strong>in</strong> zum Snoezelen und zur Basalen<br />
Stimulation. Übergeordnete Bedeutung haben milieutherapeutische Ansätze, wobei<br />
die Unterstützung durch vertraute, konstante Bezugspersonen und e<strong>in</strong> angstfreies,<br />
maßvoll stimulierendes Milieu e<strong>in</strong>e besondere Relevanz besitzen. Therapieübergreifend<br />
kann auch e<strong>in</strong>e validierende Grunde<strong>in</strong>stellung sehr hilfreich se<strong>in</strong>.<br />
Im Rahmen e<strong>in</strong>es therapeutischen Gesamtkonzepts ist es sehr wohl möglich, das<br />
Wohlbef<strong>in</strong>den des Klienten zu verbessern, e<strong>in</strong> Stück Lebensqualität zu bewahren<br />
und e<strong>in</strong>zelne Funktionen teilweise und/oder zeitweise zu erhalten. Therapeutisches<br />
Handeln muss immer nicht nur zielgerichtet, sondern auch ressourcenorientiert und<br />
bedürfnisangepasst se<strong>in</strong>. Dr<strong>in</strong>gend geboten ist die völlige Überw<strong>in</strong>dung des sich<br />
hartnäckig behauptenden Defizitmodells, das bei Verantwortlichen, Klienten und<br />
Angehörigen – häufig unbewusst – immer noch Kräfte lähmt und Initiativen beh<strong>in</strong>dert.<br />
Von der Organisationsstruktur her dürfte die Zukunft <strong>in</strong> der Dementenpflege <strong>in</strong><br />
möglichst wohnortnah errichteten, kle<strong>in</strong>en, überschaubaren, auf dementiell Erkrankte<br />
spezialisierten E<strong>in</strong>richtungen liegen, die vertraute Häuslichkeit und gewohnte Beschäftigungen<br />
bieten, deren Architektur e<strong>in</strong> Höchstmaß an Freiheit ermöglicht und<br />
Defizite der Bewohner kompensiert, <strong>in</strong> denen qualifiziertes Fachpersonal – die<br />
Fachkraftquote sollte nicht unter 60% liegen – mit den Bewohner <strong>in</strong> familienähnlicher<br />
Atmosphäre zusammenlebt und e<strong>in</strong>e Bezugspersonenpflege praktiziert (vgl.<br />
Abb.12).<br />
37
Hat gutes<br />
Fachpersonal<br />
Bietet<br />
Krisen<strong>in</strong>tervention<br />
bei plötzlichen<br />
Veränderungen<br />
In kle<strong>in</strong>em Rahmen<br />
für Individualität und<br />
s<strong>in</strong>nvolle Reizkontrolle<br />
Betreut / pflegt<br />
person-orientiert<br />
akzeptierend, empathisch,<br />
biographie-orientiert<br />
E<strong>in</strong>e Spezialisierung wird schon deshalb nicht zu vermeiden se<strong>in</strong>, weil der Anteil<br />
Demenzkranker, der schon heute <strong>in</strong> den meisten Pflegeheimen den für e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>tegrative<br />
Betreuung vertretbaren Prozentsatz überschreitet, <strong>in</strong> Zukunft noch weiter zunehmen<br />
wird.<br />
38<br />
Muss<br />
bezahlbar<br />
se<strong>in</strong>!<br />
Liegt wohnortnah<br />
um soziale Kontakte<br />
und vertraute Umgebung<br />
zu bewahren<br />
Innovative<br />
Dementenarbeit<br />
mit Qualität<br />
Besitzt spezielle<br />
Architektur<br />
um Defizite zu kompensieren,<br />
Freiheit zu ermöglichen<br />
Ist wohnlich<br />
e<strong>in</strong>gerichtet<br />
um beruhigend und<br />
vertraut zu wirken<br />
Ist flexibel<br />
für die Bedürfnisse der<br />
Dementen<br />
Abb. 12: Innovative Dementenarbeit mit Qualität (Cofone et al., Innovativer Umgang mit Dementen,<br />
2000, S.66; leicht verändert)
8 Glossar<br />
Agnosie Unfähigkeit des (Wieder-) Erkennens z.B. von Personen oder Gegenständen<br />
trotz ungestörter Funktion der S<strong>in</strong>nesorgane und des Gedächtnisses<br />
Aktivationsmodell Alternstheorie, die davon ausgeht, dass e<strong>in</strong> Mensch nur dann glücklich und<br />
zufrieden ist, wenn er aktiv ist und etwas leisten kann<br />
Ambiente die e<strong>in</strong>en Raum prägende besondere Atmosphäre<br />
Amnesie Vergessen; Unfähigkeit, sich zu er<strong>in</strong>nern<br />
Aphasie Störung des erworbenen Sprachvermögens und/oder Sprachverständnisses<br />
bei erhaltener Fähigkeit, Sprachlaute zu bilden<br />
Apraxie Schwierigkeit, trotz ungestörter Motorik und Sensibilität Handlungsentwürfe<br />
umzusetzen<br />
auditiv das Gehör betreffend<br />
autobiographisch das eigene Leben betreffend<br />
Automatismus spontan ablaufender Vorgang oder Bewegungsablauf, der nicht vom Bewusstse<strong>in</strong><br />
oder Willen bee<strong>in</strong>flusst wird<br />
Dekade Zeitraum von 10 Jahren<br />
Deprivation „Beraubung“; Mangel, Verlust, Entzug von etwas Erwünschtem<br />
differentiell e<strong>in</strong>en Unterschied begründend<br />
Diskont<strong>in</strong>uität Ablauf von Vorgängen mit zeitlichen und/oder räumlichen Unterbrechungen<br />
Empathie E<strong>in</strong>fühlungsvermögen<br />
Focus Brennpunkt<br />
Geriater Arzt mit Spezialkenntnissen <strong>in</strong> Altersheilkunde<br />
Integration E<strong>in</strong>gliederung <strong>in</strong> e<strong>in</strong> größeres Ganzes<br />
<strong>in</strong>tegrativ e<strong>in</strong>gegliedert (<strong>in</strong> e<strong>in</strong> größeres Ganzes)<br />
<strong>in</strong>ter<strong>in</strong>dividuell zwischen zwei oder mehr Individuen ablaufend<br />
Intervention e<strong>in</strong>greifende Maßnahme<br />
irreversibel unumkehrbar; bei Krankheiten: unheilbar<br />
kognitiv die geistigen Fähigkeiten betreffend<br />
kompensieren ausgleichen<br />
Kongruenz Übere<strong>in</strong>stimmung, Echtheit<br />
kontraproduktiv negativ, ungut<br />
konzipieren (von e<strong>in</strong>er bestimmten Vorstellung ausgehend) etwas planen, entwerfen,<br />
entwickeln<br />
39
kustodial „bewachend“, verwahrend<br />
Labilität leichte Wandelbarkeit, Bee<strong>in</strong>flussbarkeit, Schwäche<br />
Morbus Krankheit<br />
multimorbid an vielen Krankheiten erkrankt<br />
multiprofessionell viele Berufe umfassend<br />
Paradigma Denkmuster<br />
paranoid wahnhaft<br />
pathologisch krankhaft<br />
pathologisieren für krankhaft erklären<br />
Perkussions<strong>in</strong>strumente Schlag<strong>in</strong>strumente<br />
Perseveration s<strong>in</strong>nlose, vielfach wiederholte Elemente ursprünglich s<strong>in</strong>nvoller Handlungen;<br />
krankhaftes Haftenbleiben an Worten und Vorstellungen<br />
Priorisierung Bevorzugung<br />
Regression Zurückfallen auf frühere, k<strong>in</strong>dliche Stufen der Triebvorgänge<br />
rem<strong>in</strong>iszieren sich er<strong>in</strong>nern<br />
Ressourcen Hilfsmittel, Hilfsquellen<br />
senil im hohen Alter auftretend<br />
sensorisch die S<strong>in</strong>nesorgane betreffend<br />
separiert getrennt<br />
Separation Absonderung<br />
Stimulation Reizung<br />
stimulieren anregen, anreizen<br />
taktil den Tasts<strong>in</strong>n betreffend<br />
term<strong>in</strong>al im Endstadium bef<strong>in</strong>dlich<br />
ultima ratio letztmöglicher Weg, wenn nichts anderes mehr Aussicht auf Erfolg hat<br />
unreflektiert ohne darüber nachgedacht zu haben<br />
vaskulär Gefäß-<br />
40
9 Literaturverzeichnis<br />
Bücher<br />
Buijssen, H.: Senile Demenz. E<strong>in</strong>e praktische Anleitung für den Umgang mit Alzheimer-Patienten; We<strong>in</strong>heim,<br />
1994<br />
Cofone, M. / Sträßer, H. et al.: Innovativer Umgang mit Dementen. Strategien, Konzepte und E<strong>in</strong>richtungen <strong>in</strong><br />
Europa; Demenz-Vere<strong>in</strong> Saarlouis e.V.; Saarlouis, 2000<br />
Dierbach, O.: Sozialtherapie mit Alzheimer-Kranken. E<strong>in</strong> Handbuch für die Altenhilfe; We<strong>in</strong>heim und Basel,<br />
1993<br />
Feil, N.: Validation <strong>in</strong> Anwendung und Beispielen. Der Umgang mit verwirrten alten Menschen; 2. überarbeitete<br />
Auflage; Re<strong>in</strong>hardts Gerontologische Reihe; Bd.17; München, 2000<br />
Feil, N.: Validation. E<strong>in</strong> Weg zum Verständnis verwirrter älterer Menschen; 6. Auflage; München, 2000<br />
Förstl, H. (Hg.): Demenzen <strong>in</strong> Theorie und Praxis; Berl<strong>in</strong> Heidelberg, 2001<br />
Fuhrmann, I. / Gutzmann, H. / Neumann, E.-M. / Niemann-Mirmehdi, M.: Abschied vom Ich – Stationen der<br />
Alzheimer-Krankheit. Orientierungshilfe für Angehörige und professionelle Helfer; Freiburg im Breisgau, 1995<br />
Grond, E.: Pflege Demenzkranker; Hagen, 2000<br />
Kitwood, Tom: Demenz. Der personenzentrierte Ansatz im Umgang mit verwirrten Menschen; 1. Auflage; Bern,<br />
2000<br />
Maciejewski, B / Sow<strong>in</strong>ski, C. / Besselmann, K. / Rückert, W.: Qualitätshandbuch Leben mit Demenz. Zugänge<br />
f<strong>in</strong>den und erhalten <strong>in</strong> der Förderung, Pflege und Begleitung von Menschen mit Demenz und psychischen Veränderungen;<br />
Köln, 2001<br />
Müller, D.: Interventionen für verwirrte, ältere Menschen <strong>in</strong> Institutionen. Mediz<strong>in</strong>isch, pflegerische und psychotherapeutische<br />
Entwicklungen; KDA; Köln, 1994<br />
Reisberg, B.: Hirnleistungsstörungen: Alzheimersche Krankheit und Demenz; 2., korrigierte Auflage; We<strong>in</strong>heim,<br />
1987<br />
Schaade, G.: Ergotherapie bei Demenzerkrankungen. E<strong>in</strong> Förderprogramm; Berl<strong>in</strong> Heidelberg, 1998<br />
Schmitt, E.M. / Wojnar, J.: Leitl<strong>in</strong>ien zum Umgang mit Verwirrten. Schwierigen Situationen sicher begegnen;<br />
Hannover, 1999<br />
Zaudig, M.: Demenz und «leichte kognitive Bee<strong>in</strong>trächtigung» im Alter. Diagnostik, Früherkennung und Therapie;<br />
1. Auflage; Bern, 1995<br />
Zgola, J. M.: Etwas tun!: Die Arbeit mit Alzheimerkranken und anderen chronisch Verwirrten; 1. Auflage; Bern,<br />
1989<br />
Zeitschriftenartikel<br />
Arend S.: Die vierte Generation; <strong>in</strong>: Altenpflege; Hannover, 2002, Heft 5, S.53<br />
Richard, N.: E<strong>in</strong> wichtiges Instrument im Handwerkskoffer; <strong>in</strong>: Altenpflege; Hannover, 1996; Heft 11, S.713<br />
Sorkale, E.: In den Mokass<strong>in</strong>s des anderen gehen; <strong>in</strong>: Altenpflege; Hannover, 1997, Heft 1, S.50-51<br />
Wojnar, J.: Zwischen zwei <strong>Welt</strong>en; <strong>in</strong>: Altenpflege; Hannover, 2000, Heft 2; S.36-39<br />
41
10 Abkürzungsverzeichnis<br />
a.a.O. am angegebenen Ort<br />
Abb. Abbildung<br />
AD Alzheimer Demenz<br />
AP Zeitschrift „Altenpflege“<br />
bzgl. bezüglich<br />
ca. circa<br />
d.h. das heißt<br />
DAT Demenz vom Alzheimer-Typ<br />
ebd. ebenda<br />
et al. et alii (und andere)<br />
etc. et cetera<br />
f. folgende<br />
ff. fortfolgende<br />
ggf. gegebenenfalls<br />
Hg. Herausgeber<br />
i.d.R. <strong>in</strong> der Regel<br />
IVA <strong>in</strong>tegrativer validierender Ansatz<br />
MID Multi-Infarkt-Demenz<br />
REM Rem<strong>in</strong>iszenztherapie<br />
ROT Realitätsorientierungstra<strong>in</strong><strong>in</strong>g<br />
S. Seite<br />
SET Selbst-Erhaltungs-Therapie<br />
Tab. Tabelle<br />
u.ä. und Ähnliches<br />
u.a. und anderes<br />
u.ö. und öfter<br />
u.U. unter Umständen<br />
usw. und so weiter<br />
v.a. vor allem<br />
vgl. vergleiche<br />
z.B. zum Beispiel<br />
z.T. zum Teil<br />
z.Zt. zur Zeit<br />
42
11 Abbildungsverzeichnis<br />
Abb. 1: E<strong>in</strong>teilung der Demenzerkrankungen ......................................................................... 2<br />
Abb. 2: Der Verlauf der Alzheimerschen Krankheit im Vergleich zum Verlauf der<br />
Multi-Infarkt-Demenz ................................................................................................. 2<br />
Abb. 3: Das erste Gesetz der senilen Demenz: Gestörte Informations-Transmission<br />
vom Kurz- <strong>in</strong>s Langzeitgedächtnis ............................................................................. 6<br />
Abb. 4: Das zweite Gesetz der senilen Demenz: Abbau des Langzeitgedächtnisses<br />
bei der Alzheimer Demenz ......................................................................................... 7<br />
Abb. 5: Die beiden Gesetze der senilen Demenz ..................................................................... 8<br />
Abb. 6: Zu vermeidende Verhaltensweisen im Umgang mit dementiell erkrankten<br />
Menschen .................................................................................................................... 9<br />
Abb. 7: Wichtige Aspekte e<strong>in</strong>er angemessenen Grundhaltung gegenüber dem dementiell<br />
veränderten Klienten ................................................................................................... 9<br />
Abb. 8: Paradigmenwechsel <strong>in</strong> der stationären Altenpflege .................................................. 12<br />
Abb. 9: Gliederung der psychosozialen Behandlungsansätze <strong>in</strong> der Arbeit mit<br />
Demenzkranken ........................................................................................................15<br />
Abb. 10: Mlieutherapeutische Umweltgestaltung zur Kompetenzerhaltung und<br />
Vermittlung von Sicherheit ....................................................................................... 17<br />
Abb. 11: Die wichtigsten psychischen Bedürfnisse von Menschen mit Demenz nach<br />
Kitwood .....................................................................................................................34<br />
Abb. 12: Innovative Dementenarbeit mit Qualität ................................................................... 37<br />
43
Wichtige regionale Kontaktadressen - Wer kann helfen?<br />
• Pflege-Informationsbüro des Kreises<br />
Siegen-Wittgenste<strong>in</strong><br />
Kreisverwaltung<br />
Koblenzer Straße 73<br />
( 0271 ) 333 – 1725<br />
• Verbraucherzentrale NRW -<br />
Beratungsstelle Siegen<br />
Morleystr. 31<br />
57072 Siegen<br />
( 0271 ) 33 10 81<br />
• Ambulante Pflegedienste<br />
• Heimaufsicht des Kreises Siegen-<br />
Wittgenste<strong>in</strong><br />
Kreisverwaltung<br />
Koblenzer Straße 73<br />
( 0271 ) 333 – 1714<br />
• Seniorenbüro der Stadt Siegen<br />
Rathaus<br />
Markt 2<br />
57072 Siegen<br />
( 0271 ) 404 – 1334<br />
Es gibt im Kreisgebiet zahlreiche ambulante Pflegedienste von verschiedenen<br />
Trägern. Adressen und Telefonnummern f<strong>in</strong>den sich im örtlichen Telefonbuch unter<br />
„Pflegedienste“ oder „Ambulante Pflegedienste“. Außerdem können die Kranken-<br />
oder Pflegekassen weiterhelfen.<br />
• Kurzzeitpflege<br />
Viele Heime bieten Kurzzeitpflege-Plätze, was <strong>in</strong>dividuell erfragt werden kann.<br />
• Tagespflege<br />
Im Kreisgebiet gibt es derzeit zwei Tagespflege-E<strong>in</strong>richtungen: die Tagespflege der<br />
AWO ( 0271 ) 890610 und die Tagespflege des Caritasverbands<br />
( 0271 ) 39121.<br />
• Alten- und Altenpflegeheime<br />
Es gibt im Kreisgebiet zahlreiche stationäre E<strong>in</strong>richtungen von verschiedenen<br />
Trägern. Adressen und Telefonnummern f<strong>in</strong>den sich im örtlichen Telefonbuch unter<br />
„Altenheime“, „Seniorenheime“ oder „Pflegeheime“. Außerdem kann der Hausarzt<br />
helfen.<br />
• Soziale Dienste der Krankenversicherungen<br />
Informationen bei den jeweiligen Krankenkassen.
HsM - Initiative gegen Gewalt im Alter e.V.<br />
Am Lohgraben 1 - 57074 Siegen<br />
Tel.: 0271 / 660 97 87 – Fax: 0271 / 25 04 97 77<br />
E-Mail: <strong>hsm</strong>-<strong>siegen</strong>@arcor.de<br />
Internet: www.<strong>hsm</strong>-<strong>siegen</strong>.de