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Schwarmintelligenz - Dr. Otto Training & Consulting

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<strong>Schwarmintelligenz</strong><br />

Obwohl Schwärme aus vielen selbstorganisierten individuen bestehen, wirken sie wie ein einziger großer<br />

Organismus. Auch die Wirtschaft kann von der natur lernen und die Kraft des Schwarms erfolgreich nutzen.<br />

TexT: dr. KlAuS-STephAn OTTO<br />

wer einmal im Ozean getaucht hat, wird den atemberaubenden<br />

anblick sich schnell und synchron bewegender Fischschwärme<br />

nie mehr vergessen. Obwohl ein Schwarm aus vielen kleinen<br />

Fischen besteht, wirken diese in ihren eleganten Bewegungsabläufen<br />

wie eine einheit. Sanft gleiten sie durchs wasser, mal<br />

eine schnelle zickzack­Bewegung nach links, weil ein großer<br />

Fisch kommt, dann wieder nach rechts auf der Suche nach nahrung.<br />

auch ohne „leitfisch“ vollzieht der Schwarm seine Bewegungen<br />

in perfekter Koordination.<br />

in ähnlicher weise wünscht sich so mancher manager die Organisation<br />

seines Unternehmens, doch oft ist von einem solchen<br />

synchronen Verhalten wenig zu spüren. Die Frage ist, wie wir<br />

von den in millionen Jahren entstandenen Verhaltensweisen der<br />

Schwärme für unsere heutigen komplexen Organisationen lernen<br />

können. Die wissensgesellschaft stellt neue herausforderungen.<br />

alte Führungsweisen funktionieren nicht mehr, hochintelligente<br />

mitarbeiter lassen sich nicht einfach kommandieren, aber zu viel<br />

Freiheit und Dezentralisierung verhindern einen gemeinsamen<br />

Kurs. Die bereichsübergreifende zusammenarbeit wird immer<br />

wichtiger. Veränderungen und die Komplexität des Umfelds nehmen<br />

zu. Um darauf eingehen zu können, sind eine umfassende<br />

Umfeldwahrnehmung und schnelle reaktionsfähigkeit der gesamten<br />

Organisation, des „Organismus Unternehmen“, notwendig.<br />

es wächst die herausforderung an die Unternehmen, sich<br />

flexibel und schnell an Umfeldveränderungen anzupassen.<br />

Erfolge aus Millionen Jahren Erfahrung<br />

Von der <strong>Schwarmintelligenz</strong> können wir viel lernen, wenn es<br />

um flexible, sich selbst organisierende Strukturen zur lösung<br />

dieser herausforderungen geht. Beim Schwarm geht die intelligenz<br />

über die Fähigkeiten eines jeden einzelnen hinaus. Das<br />

Schwarmverhalten hat sich in der evolution verhältnismäßig früh<br />

entwickelt. anfangs waren Organismen einzelgänger und einzelkämpfer,<br />

dann begannen sie in gruppen zusammenzuleben, und<br />

daraus entwickelte sich das Schwarmverhalten. eine spezielle<br />

Form des zusammenlebens ist der Familienverband. erst sehr<br />

spät in der evolution, nämlich in herden, hat sich dann eine organisatorische<br />

hierarchie entwickelt, wie sie heute das zusammenleben<br />

in Organisationen bestimmt.<br />

Die Stärke der evolution ist, dass sie einerseits Komplexität der<br />

Formen und interaktionen entwickelt, andererseits aber einfachere<br />

Formen weiterhin existieren lässt und dadurch die Vorteile<br />

der früheren lösungen bewahrt. Das bedeutet übertragen<br />

auf Organisationen, dass die unterschiedlichen Formen parallel<br />

existieren sollten. ein gutes Unternehmen braucht die einzelkämpfer,<br />

zum Beispiel im Vertrieb bei den Kunden, es braucht<br />

Führung und hierarchie, es sollte aber auch in der lage sein,<br />

mit <strong>Schwarmintelligenz</strong> die Potenziale aller mitarbeiter in seine<br />

aktivitäten zu integrieren.<br />

Schwärme bestehen aus einer Vielzahl von individuen, die mittels<br />

direkter Kommunikation selbstorganisiert agieren. als einheit<br />

folgen Fischschwärme dabei keinem anführer, sondern jeder<br />

in der gruppe kann auf die richtung des Schwarms einfluss<br />

nehmen. Die Koordination der aktivitäten basiert auf der einhaltung<br />

einiger weniger regeln. Die ständige interaktion zwischen<br />

den individuen ist die Basis für ein koordiniertes Verhalten des<br />

Schwarms. Dieses Verhalten basiert auf der Befolgung von drei<br />

einfachen regeln:<br />

• zusammenbleiben: Bewege dich in richtung des mittelpunktes<br />

derer, die du in deinem Umfeld siehst.<br />

• Separieren: Bewege dich weg, sobald dir jemand zu nahe kommt.<br />

• ausrichten: Bewege dich in etwa dieselbe richtung wie deine<br />

nachbarn.<br />

innerhalb der gruppe wird also stets ein gleicher abstand zu den<br />

nachbarn gehalten. mithilfe des Seitenlinienorgans, einer art<br />

seitlichem Sensor, können Fische Bewegungsimpulse der anderen<br />

Fische in Bruchteilen von Sekunden empfangen und entsprechend<br />

reagieren. Ändert sich der abstand, weil der nachbar<br />

in eine andere richtung schwimmt, wird der veränderte abstand


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sofort korrigiert. Sie sondieren somit permanent ihre unmittelbare Umgebung<br />

und passen sich den Bewegungen der masse an, die wiederum<br />

erst durch dieses zusammenspiel möglich werden. Die jeweils außen<br />

schwimmenden Fische geben die richtung vor, wobei nicht immer die<br />

gleichen Fische am rand schwimmen. Das einzelne tier hat nicht den<br />

gesamtüberblick, es hält sich nur an einfache regeln. Dadurch erhöht<br />

sich die chance, Futter zu finden, und es reduziert sich das risiko, gefressen<br />

zu werden. Denn man kann den Feind besser wahrnehmen, sich<br />

in der masse besser „verstecken“, und schließlich wirkt der Schwarm<br />

in seiner größe abschreckend. Die „intelligenz“ liegt im System, das<br />

sich evolutionär bewährt hat. aufgrund dieser einfachen Organisationsregeln<br />

zeichnen sich Schwärme durch folgende eigenschaften aus:<br />

• Flexibilität: Schwärme verfügen über eine große anpassungsfähigkeit<br />

an unterschiedlichste Bedingungen.<br />

• robustheit: Schwärme sind sehr robust gegenüber dem ausfall ein­<br />

zelner individuen, und die mitglieder des Schwarmes agieren ohne<br />

aufsicht oder Kontrolle.<br />

• Selbstorganisation: Durch die interaktion autarker einzelner agiert die<br />

gruppe ohne zentrales Kommando selbstorganisiert und dynamisch.<br />

• Selbstregulation: Durch schnelle rückkopplungen wird für stabile<br />

teilzustände gesorgt, die für den erhalt des lebens notwendig sind.<br />

Erfolgreich in der Wirtschaft schwärmen<br />

Dieses Prinzip lässt sich auch auf die wirtschaft und<br />

das Verhalten von menschengruppen übertragen und<br />

unterstützt den trend zu mehr eigenverantwortung<br />

und individualisierung. ein einfaches Beispiel für eine<br />

solche Übertragung kennen wir alle: es ist der Feuer­<br />

„OPen SOUrce wirD nOch<br />

Viel wichtiger werDen“<br />

der grundsatz, dass viele Köche den brei verderben, gilt nur bedingt für die entwicklung von Software.<br />

Welche vorteile und Chancen der einsatz von Open Source bietet, erläutert roland hänel, leiter netzdesign<br />

bei der QSC Ag.<br />

Herr Hänel, wie würden Sie Open Source definieren?<br />

Open Source ist eine Software, deren Quellcode offen zur Verfügung<br />

steht, wobei „offen“ je nach Lizenz ganz unterschiedlich definiert<br />

wird. Frei verfügbar heißt aber nicht unbedingt, dass sie kostenlos<br />

sein muss. Selbst wenn die Software an sich kostenlos ist, so ist es<br />

ihr Betrieb in der Regel nicht.<br />

Was sind die Vorteile von Open Source?<br />

Der wichtigste Vorteil ist die Transparenz, die aus dem Einblick in die<br />

Software resultiert. Ein Quellcode ist wie der Bauplan eines Hauses:<br />

Wer einen solchen Plan besitzt, kann einfacher einen Schaden<br />

reparieren, denn er läuft nicht permanent Gefahr, ein Wasserrohr<br />

anzubohren oder eine Stromleitung zu kappen. Auch ein Anbau, also<br />

die Erweiterung des bestehenden Systems, lässt sich mit Kenntnis<br />

des Plans leichter durchführen.<br />

melder. Jeder kann das glas einschlagen und dadurch eine schnelle<br />

rettungskette auslösen, genau wie der Fisch, der dem Feind ausweicht<br />

und dadurch die richtung des gesamten Schwarms ändert. würde man<br />

warten, bis eine Führungsperson gefunden ist und den einsatzbefehl gibt,<br />

hätte das Feuer vielleicht schon großen Schaden angerichtet. Für die<br />

Übertragung von <strong>Schwarmintelligenz</strong> prinzipien lassen sich drei unterschiedliche<br />

wege darstellen:<br />

• anwendung auf technische lösungen: Dies geschieht zum Beispiel<br />

bei der entwicklung von Software, wo Schwarmprinzipien verwendet<br />

werden (zum Beispiel ameisenlogarithmen bei logistiksoftware oder<br />

Open Source, siehe unten).<br />

• anwendung auf menschliche interaktion: Dies geschieht in Unterneh­<br />

men, die das wissen und die erfahrung ihrer mitarbeiter stärker in die<br />

Unternehmensentscheidungen einbeziehen, indem sie zum Beispiel<br />

über ideenzirkel ihre innovationskraft für die Optimierung einsetzen.<br />

• Die Verbindung technischer lösungen mit der menschlichen interak­<br />

tion: hier sind vor allem die vielen im web 2.0 entstandenen möglich­<br />

keiten der interaktion und Vernetzung, von meinungen über Blogs bis<br />

zu marktplätzen, zu nennen.<br />

letzteres nimmt immer mehr zu. Das internet bietet hier technische<br />

möglichkeiten, die es vor Jahren so nicht gab. hotelbewertungen wer­<br />

den im netz gesammelt und führen dazu, dass ein hotel weniger oder<br />

mehr gebucht wird. während früher solche Beurteilungen unabhängig<br />

von den verkaufenden Unternehmen (zum Beispiel hrS) stattfanden,<br />

sind sie inzwischen von ihnen integriert worden, weil es keinen Sinn<br />

gemacht hätte, sich diesem trend zu verweigern. amazon zeigt für ein<br />

bestimmtes Buch an, welche anderen Bücher von den Käufern dieses<br />

Ist diese freiwillige Bereitstellung von Wissen ein Gegenentwurf zu<br />

Herrschaftswissen?<br />

Ja, aber das ist nur ein Aspekt der freien Verfügbarkeit. Es geht<br />

nicht nur darum, dass alle etwas nutzen können, sondern auch darum,<br />

dass es alle weiterentwickeln dürfen. Denn etwas, das vielen<br />

zur Verfügung steht, kann auch von vielen verbessert werden –<br />

und so wird das Produkt insgesamt immer besser. Ein prominentes<br />

Beispiel hierfür ist die Entwicklung des AES (Advanced Encryption<br />

Standard), ein Verschlüsselungs-Algorithmus, der heute State<br />

of the Art ist und bis hinauf zu militärischen Hochsicherheitsanwendungen<br />

eingesetzt wird. Der Algorithmus, entwickelt von<br />

zwei Belgiern und später von der US-Regierung zum nationalen<br />

Standard erhoben, ist frei verfügbar. Hintergedanke bei dieser Art<br />

der Entwicklung war, dass eine Lücke im Verschlüsselungscode<br />

eher gefunden wird, wenn der Code offen von allen einsehbar ist.


Der Gewinn, dass „ein Guter“ auf eine etwaige Lücke stößt und<br />

die Anwender darüber informiert, wurde bei der Entscheidung für<br />

Open Source als höher gewertet als das Risiko, dass „ein Bösewicht“<br />

die Lücke findet und dann Schaden anrichten kann. Quasi<br />

nach der Devise: Wir machen extra keine Geheimnisse darum und<br />

haben den Vorteil, dass alle Wissenschaftler dieser Welt den Code<br />

überprüfen. Und was dieser Überprüfung standhält, ist dann vermeintlich<br />

auch sicher.<br />

Ein anderes Beispiel für die Popularität von Open Source ist der Web-<br />

Browser Netscape …<br />

Ursprünglich war Netscape aber keine Open-Source-Software.<br />

Erst als der Konkurrent Internet Explorer den Netscape-Browser<br />

schon fast vom Markt verdrängt hatte, wurde der Programmcode<br />

unter eine Open-Source-Lizenz gestellt. Mit Erfolg: Heute ist der<br />

Netscape-Nachfolger Firefox in Deutschland der meistgenutzte<br />

Browser.<br />

Welche Schnittstellen gibt es zwischen der QSC AG und Open Source?<br />

Als IT- und internetaffines Unternehmen verwenden wir viel Open<br />

Source. Wesentliche Systembestandteile unserer IT, die wir zur<br />

Steuerung und zum Betrieb unseres Kommunikationsnetzes benötigen,<br />

sind Open-Source-Bestandteile. Entweder betreiben wir sie<br />

selber als Open Source, oder sie sind integriert in Herstellerkomponenten,<br />

die wir kaufen. So hat zum Beispiel jeder moderne Router<br />

des Marktführers Cisco einen Linux-Kernel und beinhaltet damit<br />

Open-Source-Komponenten.<br />

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Buches zusätzlich gekauft wurden, und zeigt damit, wohin das<br />

„Schwarm interesse“ weist. Das internetlexikon wikipedia wird<br />

von den lesern selbst geschrieben. erst 2001 gegründet hat es<br />

heute jeden monat 340 millionen nutzer. es weist eine erstaunliche<br />

Qualität der Beiträge auf, da Fehler in Beiträgen schnell von<br />

anderen korrigiert werden. Bei einem test der zeitschrift „Stern“<br />

schnitt es besser ab als der Brockhaus.<br />

Prof. <strong>Dr</strong>. Francis heylighen, belgischer Kybernetiker, sieht das internet<br />

als einen Superorganismus, der nach Schwarmprinzipien<br />

funktioniert. in der informatik wird an sogenannten Software­<br />

„agentensystemen“ geforscht, die komplex vernetzt werden und<br />

sich selbst steuern, miteinander kommunizieren und selbst lernen.<br />

im Flugverkehr wird daran gearbeitet, dass Flugzeuge nicht<br />

mehr zentral von Fluglotsen geführt werden, sondern miteinander<br />

kommunizieren und selber darauf achten, den richtigen abstand<br />

zu halten wie im Schwarm. Dies könnte Verspätungen und<br />

risiken erheblich reduzieren.<br />

Prof. <strong>Dr</strong>. Jens Krause vom institut für gewässerökologie der<br />

humboldt­Universität zu Berlin forscht an der anwendung von<br />

Schwarmerkenntnissen für die Steuerung von großen menschenansammlungen,<br />

besonders in notsituationen. er hat<br />

herausgefunden, dass fünf Prozent der teilnehmer einer menschengruppe<br />

für eine richtungsausrichtung ausreichen und wo<br />

Ordner positioniert sein müssen, um menschengruppen in die<br />

richtige richtung zu bewegen.<br />

auch für die Optimierung logistischer Prozesse werden Schwarmprinzipien<br />

eingesetzt. hier wird viel von insektenschwärmen, speziell<br />

von ameisen gelernt. Beim einsammeln von nahrung agieren<br />

ameisen wie Staffelläufer: Sie tragen ihre Beute nicht den ganzen<br />

weg zum nest, sondern geben sie in einer Kettenformation weiter.<br />

Dabei haben einzelne ameisen keinen festen Platz in der reihe,<br />

die Übergabepunkte der Beute sind nicht starr fixiert. wie eine fliegende<br />

Brigade variieren die laufwege jeder ameise entlang dieser<br />

Körperkette. wo immer gerade eine ameise gebraucht wird, packt<br />

sie mit an, dadurch entstehen keine leerläufe.<br />

Dies wurde auf den Produktionsablauf einer Versandhauskette<br />

übertragen: aufgrund der unterschiedlichen arbeitsdauer der<br />

Packvorgänge gab es regelmäßig arbeitsstaus. Die unterschiedliche<br />

geschwindigkeit des Verpackungsprozesses resultiert<br />

dabei automatisch aus den unterschiedlich einzupackenden<br />

Produkten. zur lösung des Problems wurden die Packer dann<br />

nach dem Prinzip der fliegenden Brigade vom lange dauernden<br />

bis zum schnellsten Vorgang gestaffelt eingesetzt. Bei diesem<br />

Prinzip sucht jeder mitarbeiter so lange Produkte für seine Bestellung<br />

zusammen, bis diese arbeit vom nachfolgenden Packer<br />

fortgesetzt wird. Der freie mitarbeiter geht dann an den anfang<br />

des nächsten Packprozesses und übernimmt seinerseits die arbeit<br />

von seinem Kollegen. Dieses einfache Prinzip gestattete es<br />

den teams flexibel auszugleichen, was zu unterschiedlich lange<br />

dauernden Packprozessen führt – nämlich das unterschiedliche<br />

tempo der arbeitskräfte und die unterschiedliche zahl von zu<br />

verpackenden Produkten.<br />

Was schätzt die QSC AG an Open Source?<br />

Ein großer Vorteil ist, dass wir kompetente Mitarbeiter haben, die<br />

bestimmte, für uns wichtige Kernkomponenten weiterentwickeln<br />

können. So gesehen profitieren wir von Open Source. Wir geben<br />

aber auch etwas zurück, weil wir diese Modifikationen oft der Community<br />

wieder zur Verfügung stellen.<br />

Also ein Geben und Nehmen …<br />

Ja, aber das basiert nicht nur auf Nächstenliebe, sondern ist auch<br />

kommerziell motiviert. Als Entwickler habe ich ein Interesse daran,<br />

dass meine modifizierte Open-Source-Komponente kein absterbender<br />

Ast an einem großen Baum wird, sondern permanent weiter<br />

gepflegt wird. Das erreiche ich am besten, indem ich meine Modifikation<br />

zurückgebe. Denn so enthält jede Weiterentwicklung auch meine<br />

Änderungen, und nach einer erneuten Modifikation durch andere kann<br />

ich es wieder zurücknehmen. So besteht eine Grundmotivation, das<br />

eigene Werk immer wieder in den Topf zu geben. Das wird teilweise<br />

auch durch Open-Source-Lizenzen gefördert. Es gibt Lizenzen, die<br />

sehr freigiebig bei Modifikationen sind, aber es gibt auch Lizenzen,<br />

wonach ein verändertes Open-Source-Werk wieder ein Open-Source-<br />

Werk sein muss. Wenn ich mich einmal entscheide, in diesen Kreis<br />

einzutreten, bin ich auch verpflichtet, die Regeln zu befolgen. Die Lizenznehmer<br />

besitzen dann kein Patent auf die Weiterentwicklung,<br />

sondern müssen ihren Kunden die gleichen Freiheiten einräumen. Als<br />

einige Router-Hersteller Geräte mit modifiziertem Linux-Kernel auslieferten,<br />

ohne den Code ihrer Modifikationen zu veröffentlichen, wurden<br />

sie per Gerichtsentscheid zur Offenlegung gezwungen.<br />

Welche Rolle wird Open Source in Zukunft spielen?<br />

Der Open-Source-Gedanke wird zunehmen – vor allem bei Lösungs-<br />

und Netzanbietern, wie wir einer sind. Der Internetzugang<br />

wird in den nächsten Jahren zu einer Standardware werden wie<br />

zum Beispiel Strom, dessen messbare Qualität ein Endkunde heute<br />

bereits nicht mehr unterscheiden kann. Worüber wir uns dann<br />

differenzieren müssen, sind die Dienstleistungen, die darauf aufgebaut<br />

sind. Wir kommen dann in Bereiche, in denen es keinen<br />

interessiert, aus welchem Plastik das Gerät besteht oder ob die<br />

DSL-Technologie X oder die DSL-Technologie Y besser ist. Stattdessen<br />

geht es mehr darum, welchen Service oder welche Benutzeraktion<br />

wir anbieten.<br />

Was bedeutet das konkret für die QSC AG?<br />

Open Source lässt sich immer auf zwei Schienen, also mehr oder<br />

weniger aktiv, nutzen. So sind die wenigsten Linux-Nutzer aktives<br />

Mitglied einer Open-Source-Community. Die meisten arbeiten mit<br />

dem System, ohne daran etwas verändern zu wollen. Während die<br />

QSC AG heute bei vielen Dingen noch mehr auf dieser eher passiven<br />

Benutzerseite zu finden ist, wird das in Zukunft mehr in die andere<br />

Richtung laufen. Denn wenn sich unser Geschäftsmodell stärker<br />

in Richtung softwarelastiger Themen wie Software-as-a-Service<br />

oder Platform-as-a-Service bewegt, werden wir in diesem Umfeld<br />

sicherlich auch eine aktivere Rolle einnehmen. Wir werden an mehr<br />

Projekten aktiv partizipieren, und das heißt, dass mehr Mitarbeiter<br />

von uns Beiträge zu Open-Source-Projekten leisten werden. In dem<br />

Sinne ist das Thema auch für uns intern sehr interessant.


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Je komplexer Organisationen werden, umso stärker müssen<br />

selbstorganisierte Prozesse ablaufen, denn das Funktionieren<br />

kann bei vielen parallel laufenden Prozessen nicht mehr über<br />

anordnungen und anweisungen gewährleistet werden. ein trauriges<br />

Beispiel für die effektivität solcher Organisationsformen<br />

liefert al Qaida. ihre starke Dezentralität macht die Organisation<br />

schwer angreifbar.<br />

Grenzen der <strong>Schwarmintelligenz</strong><br />

allerdings gibt es auch grenzen der <strong>Schwarmintelligenz</strong>. Delfine<br />

kreisen Fischschwärme ein und treiben sie richtung Oberfläche.<br />

Dann funktionieren die Schwarmregeln nicht mehr, die kleinen<br />

Fische werden von den größeren gefressen oder von Vögeln. in<br />

einer solchen Situation bräuchte es Führung, um mit unüblichen<br />

wegen der gefahr zu entkommen. Schwarmverhalten unterstützt<br />

das Funktionieren einer Organisation, aber es ersetzt nicht die<br />

notwendigkeit von Führung. Bei der challenger­explosion 1986,<br />

ausgelöst durch eine spröde Dichtung, hatte der zulieferer per<br />

gruppenmehrheit entschieden, dass auch bei kühleren temperaturen<br />

als geplant gestartet werden könnte. eine verhängnisvolle<br />

Fehlentscheidung. zwei ingenieure wiesen auf das risiko<br />

hin, konnten sich aber als minderheit nicht durchsetzen.<br />

<strong>Schwarmintelligenz</strong> funktioniert nur, wenn die mitglieder selbstverantwortlich<br />

handeln. Sie dürfen nicht einfach nur nachahmen<br />

oder auf Befehle warten. Dies machen uns Fische, ameisen und<br />

Bienen vor, die nicht immer das gleiche tun, sondern eigenständig<br />

im rahmen der regeln entscheiden, was zu tun ist. Sie sind<br />

damit sehr erfolgreich in ihren lebensprozessen, obwohl sie nur<br />

ein sehr kleines gehirn haben.<br />

Viele Unternehmen schwanken zwischen zentralisierung und<br />

Dezentralisierung. Kommt ein neuer ceO, so wird oft von einer<br />

bestehenden Situation in ein anderes extrem gewechselt. Das<br />

Prinzip <strong>Schwarmintelligenz</strong> verbindet synchrones handeln<br />

und einordnung mit dezentraler Umfeldwahrnehmung und<br />

Beeinflussung der richtung des Schwarms. Dafür ist es<br />

notwendig, Kontrolle zu reduzieren und mehr Vertrauen in<br />

der Organisation aufzubauen. Die mitarbeiter sollten aber<br />

auch stärker in die Unternehmenspolitik eingebunden<br />

werden, damit sie wissen, wie die gegenwärtige<br />

lage des Unternehmens ist, welche gefahren drohen,<br />

welche chancen sich bieten und wohin das<br />

Unternehmen sich entwickeln soll. Die austausch­<br />

prozesse im Unternehmen müssen beschleunigt werden. es reicht<br />

nicht mehr, dass nur die Führung informiert ist. Das Unternehmen<br />

braucht eine neue Struktur, die nicht mehr sternförmig auf die Führung<br />

ausgerichtet ist, sondern eher netzwerkmäßig relativ selbständig<br />

agierende teams miteinander verbindet. Dazu ist es auch<br />

nötig, nicht einfach nur zentrale Pläne umzusetzen, sondern von<br />

dezentralen einheiten erkannte neue chancen aufzunehmen und<br />

umzusetzen. Die synchrone Bewegung des Schwarms rührt aber<br />

auch daher, dass die einzelnen Schwarmorganismen bereit sind,<br />

sich einzuordnen. in unserer gesellschaft, die das individuum so<br />

hochhält, fällt das vielen nicht leicht.<br />

Schneller sein durch Selbstorganisation<br />

wenn Sie ihr Unternehmen dazu bringen wollen, sich schneller<br />

an Veränderungen im markt anzupassen, so prüfen Sie, wie Sie<br />

verstärkt elemente der <strong>Schwarmintelligenz</strong> in ihre Unternehmensabläufe<br />

integrieren können. wie können Sie die Umfeldwahrnehmung<br />

der mitarbeiter systematisch in die Produktentwicklung<br />

integrieren? wie können Sie es erreichen, dass mehr<br />

und mehr Prozesse in ihrer Organisation selbstorganisiert ablaufen,<br />

aber gleichzeitig eine harmonisierung stattfindet? wie<br />

können Sie technische Systeme einsetzen, um <strong>Schwarmintelligenz</strong>elemente<br />

für sich zu nutzen?<br />

es braucht eine Umgewöhnungszeit und vielleicht laufen am<br />

anfang bestimmte Prozesse etwas holpriger oder vielleicht auch<br />

langsamer. Durch die einbettung der <strong>Schwarmintelligenz</strong>prinzipien<br />

werden Organisationen aber langfristig anpassungsfähiger<br />

und erfolgreicher. Praktizierte <strong>Schwarmintelligenz</strong> stärkt<br />

die lebendigkeit und innovationsfähigkeit von Organisationen<br />

und damit ihre Überlebensfähigkeit.<br />

Zur Person<br />

<strong>Dr</strong>. Klaus-Stephan <strong>Otto</strong> ist Geschäftsführer der <strong>Dr</strong>. <strong>Otto</strong> <strong>Training</strong> & <strong>Consulting</strong>.<br />

Seit über 25 Jahren unterstützt das Beratungsunternehmen Organisationsentwicklungsprozesse,<br />

begleitet innovative Projekte, stärkt Team-<br />

und Managementkompetenzen durch Seminare und Workshops sowie<br />

durch das Coaching von Führungskräften. Von Klaus-Stephan <strong>Otto</strong><br />

erschien im Carl Hanser Verlag das Buch: „Evolutionsmanagement.<br />

Unternehmen entwickeln und langfristig<br />

steuern“. Am 21. und 22. April 2010 findet der Workshop<br />

„Innovationsentwicklung – von der Natur lernen“ statt.<br />

www.dr-otto.de/iws

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