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Britta Deiwick, Andrea Fritsche, Johann Köppel, Marc Reichenbach

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Kurzbericht zur Fachtagung<br />

Windenergie und Vögel – Ausmaß und Bewältigung eines Konfliktes<br />

<strong>Britta</strong> <strong>Deiwick</strong>, <strong>Andrea</strong> <strong>Fritsche</strong>, <strong>Johann</strong> <strong>Köppel</strong>, <strong>Marc</strong> <strong>Reichenbach</strong><br />

Deutschland steht mit der Nutzung der klimafreundlichen Windenergie an weltweit führender<br />

Stelle - ein Drittel des Windstroms wird allein in Deutschland produziert. Staatliche Förderung<br />

und ein rasanter technischer Fortschritt haben in den letzten zwei Jahren zu einer Verdopplung<br />

der Windstromkapazität auf mehr als 7000 MW geführt. Doch die Nutzung der<br />

Windenergie ist nicht unumstritten. Insbesondere ihr Einfluss auf Brut-, Rast-, und Zugvögel<br />

ist nach wie vor Gegenstand heftiger Kontroversen. Es bedarf fundierter wissenschaftlicher<br />

Erkenntnisse zu den Auswirkungen von Windkraftanlagen auf Vögel, um bestehenden Unsicherheiten<br />

bei der Standortplanung entgegenzuwirken und so zu einem effektiven Schutz<br />

der Vögel beizutragen.<br />

Einen Überblick über den aktuellen Untersuchungsstand zum Meideverhalten von Vögeln<br />

und den sich bei Planung und Genehmigung von Windkraftanlagen abzeichnenden Fragestellungen<br />

gab die Fachtagung „Windenergie und Vögel - Ausmaß und Bewältigung eines<br />

Konfliktes“, die vom 29.-30.11.01 an der TU Berlin stattfand. Veranstaltet wurde sie vom Institut<br />

für Landschafts- und Umweltplanung (Prof. Dr. <strong>Johann</strong> <strong>Köppel</strong>) der TU Berlin und<br />

der Oldenburger Arbeitsgruppe für regionale Struktur- und Umweltforschung (ARSU GmbH,<br />

<strong>Marc</strong> <strong>Reichenbach</strong>). Besondere Bedeutung erhielt die von 200 Teilnehmern besuchte Veranstaltung<br />

durch den intensiven Austausch der verschiedenen Interessensgruppen: Fachleute<br />

aus Naturschutz, Wissenschaft, Planung und Windenergie schilderten aus ihrer jeweiligen<br />

Sicht, wie der Konflikt zwischen Windenergienutzung und Naturschutz zu beurteilen sei und<br />

diskutierten mögliche Ansätze für einen naturschutzverträglichen Ausbau der Windenergie.<br />

Eröffnet wurde die Tagung von Cornelia Viertl, Mitarbeiterin des Referates Erneuerbare Energien<br />

im Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, die die<br />

Bedeutung der Windkraft für die Energiewende unterstrich. Bis zum Jahr 2010, so das Ziel<br />

der Bundesregierung, solle der Anteil erneuerbarer Energien am Strombedarf von derzeit<br />

6,5% auf 13% verdoppelt werden. Hierfür sei neben dem weiteren Ausbau der Windenergie<br />

an Land die Nutzung der Offshore-Windenergie unverzichtbar. Um einen umwelt- und naturschutzverträglichen<br />

Ausbau der Offshore-Windenergie zu gewährleisten, werden umfangreiche<br />

Begleitforschungen durchgeführt. Neben tierökologischen Untersuchungen, die von<br />

Christiane Ketzenberg vom Institut für Vogelforschung, Wilhelmshaven vorgestellt wurden,<br />

sieht ein Teilvorhaben die Qualifizierung von Umweltplanungsinstrumenten für den Offshore-<br />

Bereich vor, welches an der TU Berlin durchgeführt wird. Mit der Änderung des Bundesnaturschutzgesetzes<br />

und dem bereits in Kraft getretenen novellierten Gesetz zur Umweltverträglichkeitsprüfung<br />

ergäben sich zunehmend Möglichkeiten zur planerischen Steuerung der<br />

Windenergienutzung auf See. So könnten beispielsweise zukünftig sowohl FFH- und Vogelschutzgebiete<br />

als auch Eignungsgebiete für Offshore-Windparks in der Ausschließlichen<br />

Wirtschaftszone ausgewiesen werden.<br />

Als Vertreter des Bundesamtes für Naturschutz mahnte Matthias Herbert neben der Erfüllung<br />

internationaler Klimaschutzziele auch zur Einhaltung der Verpflichtungen, die sich aus<br />

1


dem Übereinkommen über die Biologische Vielfalt ergeben. Der Ausbau der Windkraft müsse<br />

mit einer sorgfältigen Standortplanung einhergehen und sich auf naturschutzverträgliche<br />

Standorte beschränken. In diesem Zusammenhang forderte er neben der Ausschöpfung des<br />

Windpotentials an verträglichen Standorten durch das Errichten leistungsfähigerer Anlagen<br />

(Repowering) auch den Rückbau unverträglicher Standorte.<br />

Dr. Hans-Peter Ahmels vom Bundesverband Windenergie plädierte für eine sachgerechte<br />

Abwägung der Schutzgüter angesichts des Beitrages der Windenergie zur CO2-Reduzierung.<br />

Die in den letzten Jahren gemachten Erfahrungen sollten zu einer angemessenen Nutzung<br />

der Windenergie herangezogen werden – Naturschutz und Klimaschutz schlössen sich nicht<br />

aus. Für die Zukunft der Windenergie an Land prophezeite Ahmels eine Umsetzung des vom<br />

Wuppertal Institutes geforderten „Faktor Vier“: halbe Anlagenzahl, doppelte Leistung.<br />

Als geeignetes Instrument zur räumlichen Steuerung der Windenergienutzung wurde im Verlauf<br />

der Tagung wiederholt die Ausweisung von Eignungsgebieten auf Ebene der Regionalund<br />

Landesplanung hervorgehoben. Am Beispiel von Brandenburg machte Axel Steffen vom<br />

Brandenburgischen Ministerium für Landwirtschaft, Umwelt und Raumordnung aber<br />

deutlich, dass die Regionalplanung mit der Ausweisung von Eignungsgebieten dem Wettlauf<br />

mit der Ansiedlung von Windkraftanlagen nur allzu oft nicht standhalten kann. Für die fünf<br />

Planungsregionen in Brandenburg existiert bisher lediglich für die Region Uckermark-Barnim<br />

ein rechtlich verbindlicher Regionalplan mit ausgewiesenen Windeignungsgebieten.<br />

Die Folgen raumplanerischer Versäumnisse verdeutlichte Wilhelm Breuer vom Niedersächsischen<br />

Landesamt für Ökologie: Eine Problemverlagerung auf die Ebene der Vorhabensgenehmigung<br />

überlaste nicht nur die Eingriffsregelung sondern schränke zudem die Möglichkeiten<br />

zur Konfliktbewältigung erheblich ein. In Niedersachsen, das mit 3000 Windkraftanlagen<br />

den Spitzenplatz in Deutschland einnimmt, wurden in den 90er Jahren einige Windparks<br />

in bis zu international bedeutsamen Vogellebensräumen errichtet. Breuer kritisierte<br />

unter anderem, dass im Rahmen der Regionalplanung - wenn überhaupt - lediglich auf vorhandene<br />

avifaunistische Daten zurückgegriffen wird und keine gesonderten Erhebungen<br />

zum Vorkommen von Vogelarten auf potentiellen Windkraftstandorten durchgeführt werden.<br />

Er plädierte für die Identifikation der von Windkraftanlagen freizuhaltenden Räume und der<br />

Ausweisung von Ausschlussgebieten. Peter Südbeck, ebenfalls vom Niedersächsischen<br />

Landesamt für Ökologie, formulierte die methodischen Anforderungen an Erhebung und Bewertung<br />

von Vogellebensräumen bei der Planung von Windenergiestandorten.<br />

Die im Rahmen der Tagung vorgestellten Forschungsergebnisse über den Einfluss von<br />

Windkraftanlagen auf Zug-, Rast- und Brutvögel vermittelten ein differenziertes Bild. Eine<br />

von <strong>Marc</strong> <strong>Reichenbach</strong> (ARSU GmbH) vorgestellte Untersuchung von sieben Windparks mit<br />

Anlagenhöhen von 70-130 m in Norddeutschland ergab, dass keine oder nur geringe Anzeichen<br />

für eine Meidung von anlagennahen Flächen durch Brutpaare von Wiesenvögeln (Kiebitz,<br />

Austernfischer, Uferschnepfe u.a.) registriert wurden. Die Brutdichte lag zum Teil innerhalb<br />

der Windparks höher als in den umliegenden Bereichen, was sich auf Unterschiede in<br />

der landwirtschaftlichen Nutzung zurückführen ließ. So brüteten beispielsweise Kiebitze und<br />

Austernfischer bevorzugt auf Maisfeldern, und zwar auch unter den Anlagen. Ferner konnte<br />

kein Einfluss der Anlagenhöhe auf die räumliche Verteilung der Brutpaare gefunden werden,<br />

2


ebensowenig wie ein Unterschied zwischen küstennahen und weiter im Binnenland gelegenen<br />

Standorten.<br />

Dem entgegen steht das Meideverhalten des Kiebitz als Zug- bzw. Rastvogel. Im Rahmen<br />

einer mehrjährigen Studie von Herrn Bergen von der Ruhr-Universität Bochum wurde der<br />

Frühjahrsdurchzug des Kiebitz vor und nach der Errichtung von Windkraftanlagen an einem<br />

traditionellen Rastplatz im Binnenland untersucht. Die Verteilung der rastenden Kiebitze unterschied<br />

sich nach dem Bau deutlich von den Vorjahren. Nach der Erweiterung des Windparks<br />

wurde der Rastplatz von der Art vollständig aufgegeben.<br />

Dass die Empfindlichkeit von Rastvögeln gegenüber Windkraftanlagen jedoch nicht nur von<br />

der jeweiligen Vogelart, sondern auch von der Funktion des Rastplatzes und von der Landschaftsstruktur<br />

abhängig ist, machte Heiko Wiebusch vom Landschaftsarchitekturbüro G.<br />

v. Luckwald deutlich. Es müsse daher auch um eine Differenzierung zwischen Schwerpunkträumen<br />

und sonstigen Rastgebieten gehen. Er unterstrich die Bedeutung der niedersächsischen<br />

Abstandsempfehlungen, die für die Planungspraxis unverzichtbare Umweltqualitätsstandards<br />

darstellten.<br />

Claudia Menzel vom Institut für Wildtierforschung an der Tierärztlichen Hochschule<br />

Hannover konnte in ihren Untersuchungen an mehreren Windparks in Niedersachsen keinen<br />

Einfluss der Anlagen auf Rebhühner und Rabenkrähen feststellen, ebenso wenig wie Dr.<br />

Jürgen Kaatz bei Singvögeln in Brandenburg. Dagegen zeigte Axel Müller, dass Wachteln<br />

und Wachtelkönige auf der Paderborner Hochfläche die Bereiche innerhalb von Windparks<br />

meiden und führte dies auf die akustische Überlagerung der Balzrufe durch die Windgeräusche<br />

der Anlagen zurück.<br />

Dr. Klaus Richarz von der Staatlichen Vogelschutzwarte Frankfurt belegte anhand von<br />

Untersuchungen zum herbstlichen Vogelzug Ausweichreaktionen von Zugvögeln auf Windkraftanlagen.<br />

Bei dem im Herbst häufig bodennahen Zuggeschehen können Windkraftanlagen<br />

eine Gefährdung der Vogelarten darstellen. Dabei spiele weniger der Verlust von Vogelindividuen<br />

durch Anflug, als vielmehr die Ablenkungswirkung der Anlagen bzw. der Verlust<br />

von Rastflächen eine entscheidende Rolle. Gebiete, in denen vertikale oder horizontale Verdichtungen<br />

des Vogelzuges auftreten, beispielsweise bei der Überwindung von Höhenrücken<br />

oder entlang von Talsenken, müssten neben wichtigen Rastgebieten als Taburäume für<br />

die Windenergie gelten und in Landes- und regionalen Raumordnungsprogrammen verbindlich<br />

ausgegrenzt werden.<br />

Martin Sprötge von der Planungsgruppe Grün, schilderte am Beispiel eines lediglich durch<br />

eine Kreisgrenze geteilten Windkraftstandortes, wie die methodische Ungleichbehandlung<br />

beider Teilstandorte im Rahmen der Eingriffsreglung zu Unterschieden beim Kompensationsumfang<br />

führte. Im Sinne einer Gleichbehandlung sowohl von Natur als auch von Investoren<br />

forderte er verbindliche fachliche Standards. Auch <strong>Johann</strong>es Ramsauer (NWP GmbH)<br />

und Frank Sinning beschrieben die Planungspraxis bei Erhebungen und Kompensationsermittlungen<br />

als durchaus heterogen.<br />

Ein Vortragsblock von Heiner Langhoff, untere Landschaftsbehörde Kreis Wesel, Dietmar<br />

Weihrich, Landesamt für Umweltschutz Sachsen-Anhalt, und Matthias Schreiber<br />

3


(Schreiber Umweltplanung) beleuchtete die Problematik der Auswirkungen von Windparks<br />

auf EU-Vogelschutzgebiete. Dabei wurde deutlich, dass sowohl aus der Vorgehensweise bei<br />

der Ausweisung von Vogelschutzgebieten als auch aus der nationalen und internationalen<br />

Rechtssprechung erhebliche Unsicherheiten für die planerische Praxis resultieren.<br />

Der Wunsch nach einheitlichen Bewertungsmaßstäben, sowohl bei der Standortsuche als<br />

auch bei der Eingriffsbewertung von Windkraftanlagen, wurde im Rahmen der Tagung häufig<br />

ausgesprochen. Der Naturschutz müsse sich vom Glauben lösen, immer nur im Einzelfall<br />

bewerten zu können. Noch uneinheitlich erschien jedoch der Grad der Übertragbarkeit und<br />

Belastbarkeit der vorliegenden empirischen Daten zum Meideverhalten von Vögeln.<br />

Die für einige Arten vorliegende Datendichte rechtfertigte für <strong>Marc</strong> <strong>Reichenbach</strong> bereits einen<br />

differenzierten Umgang in der Planungspraxis, in Abhängigkeit von der spezifischen<br />

Empfindlichkeit der betroffenen Arten und den jeweiligen Standortverhältnissen. Fehlen zu<br />

einzelnen Arten jedoch hinreichend valide Untersuchungen, müsse weiterhin von Beeinträchtigungen<br />

im Sinne des Vorsorgeprinzips ausgegangen werden.<br />

Der Austausch von Fachleuten aus verschiedenen Bereichen habe sich im Rahmen der Tagung<br />

als geeignetes Forum erwiesen, um zu konstruktiven Lösungsansätzen zu kommen,<br />

so das Resümee von Prof. <strong>Köppel</strong> von der TU Berlin. Auch ein unter dem Aspekt des Klimaschutzes<br />

nachvollziehbarer Ausbau der Windenergie müsse umwelt- und naturverträglich<br />

erfolgen. In der Diskussion wurden aber auch Zweifel an der Effizienz der Windenergie geäußert<br />

und die Ausschöpfung von Energiesparpotenzialen angemahnt.<br />

Der Tagungsband soll im Frühjahr 2002 erscheinen und wird im Internet unter der Adresse<br />

http://www.tu-berlin.de/~lbp zur Verfügung stehen.<br />

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