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Elektronische Fußfessel - von Markus Mayer

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T i t e l Strafvollzug<br />

<strong>Elektronische</strong> <strong>Fußfessel</strong><br />

Chancen und Risiken im Einsatz als Strafvollzugsalternative<br />

Bereits seit Mitte der<br />

achtziger Jahre wird<br />

die elektronische<br />

<strong>Fußfessel</strong> in den<br />

Vereinigten Staaten<br />

im Strafvollzug<br />

genutzt. Seit der<br />

Jahrtausendwende<br />

haben mittlerweile<br />

auch nahezu alle<br />

westeuropäischen<br />

Staaten diese Form<br />

der elektronischen<br />

Überwachung<br />

zumindest probeweise<br />

eingeführt. In<br />

Deutschland wird<br />

die elektronische<br />

Dr. <strong>Markus</strong> <strong>Mayer</strong><br />

<strong>Fußfessel</strong> derzeit nur<br />

in Hessen eingesetzt. Dort begann im Mai 2000 im Gebiet<br />

des Landgerichts Frankfurt am Main ein Modellprojekt,<br />

welches seit Mai 2002 als Regelangebot sukzessiv auf das<br />

gesamte Bundesland ausgeweitet wurde. Im Folgenden werden<br />

– ausgehend <strong>von</strong> den Erfahrungen in Hessen – die Einsatzweise<br />

dieser Technik beschrieben sowie die Chancen und<br />

Risiken aufgezeigt, die mit ihrem Einsatz verbunden sind.<br />

Die Überwachungstechnik<br />

Im Gegensatz zur weit verbreiteten Annahme, mit der elektronischen<br />

<strong>Fußfessel</strong> ließe sich der genaue Aufenthaltsort einer Person feststellen,<br />

lässt sich mit den in Hessen eingesetzten Geräten lediglich die An- und<br />

Abb. 1: <strong>Fußfessel</strong><br />

KoNTUREN<br />

– 12 6-2007<br />

Abwesenheit in der eigenen Wohnung feststellen. Eine genaue Lokalisierung<br />

(Tracking) ist heute zwar technisch machbar, wird aber nur im<br />

Ausland und auch dort nur zu sehr spezifischen Zwecken eingesetzt. Die<br />

elektronische <strong>Fußfessel</strong> besteht im Wesentlichen aus zwei Geräten. Der<br />

Sender, die eigentliche <strong>Fußfessel</strong>, wird auf Höhe des Knöchels getragen.<br />

Das Gerät <strong>von</strong> der Größe einer Streichholzschachtel wird mit einem<br />

Kunststoffband dauerhaft am Bein der überwachten Person befestigt.<br />

Dieser Sender gibt beständig Signale auf einer bestimmten Frequenz<br />

ab, die bei Anwesenheit der Person in der Wohnung vom Empfangsgerät<br />

erfasst werden. Auf diese Weise kann die An- und Abwesenheit der<br />

betreffenden Person minutengenau überwacht werden. Die <strong>Fußfessel</strong> ist<br />

wasserdicht und verfügt über ein stabiles Gehäuse, so dass auch sportliche<br />

Aktivitäten damit möglich sind. Das Empfangsgerät hat in etwa die<br />

Abb. 2: Empfangsgerät<br />

Ausmaße eines dickeren Buches und ist über das Telefon an das Festnetz<br />

angeschlossen. Darüber hinaus sind darin die vorgegebenen An- und<br />

Abwesenheitszeiten gespeichert. Sofern es nun zu Abweichungen <strong>von</strong><br />

diesen Zeiten kommt, wählt sich das Empfangsgerät selbständig in einen<br />

Zentralrechner ein, der seinerseits automatisch den Bereitschaftsdienst<br />

der Bewährungshilfe per SMS informiert. Hält sich die überwachte<br />

Person an den Wochenplan, gehen bei der Bewährungshilfe dagegen<br />

keine Meldungen ein. Das System ist mehrfach gegen Manipulation<br />

gesichert und hat sich in Hessen während der Modellphase des Projekts<br />

als zuverlässig erwiesen. Durch die Überwachungstechnik ist also nur<br />

die An- und Abwesenheit einer Person in ihrer Wohnung – ggf. auch an<br />

einem bestimmten anderen Ort – feststellbar. Wo sich die Person befindet,<br />

wenn sie sich außerhalb ihrer Wohnung aufhält, bleibt der Technik<br />

dagegen verborgen. Insofern kann durch die Maßnahme auch keine<br />

Flucht verhindert werden – sie würde lediglich relativ bald bemerkt.<br />

Rechtliche Rahmenbedingungen<br />

Der Einsatz der elektronischen <strong>Fußfessel</strong> in Hessen findet auf Basis geltenden<br />

Rechts statt. Das bedeutet, dass für das hessische Projekt kein neues<br />

Gesetz verabschiedet wurde und somit ein Einsatz der Überwachungstechnik<br />

in dieser Form auch in anderen Bundesländern möglich wäre. Im


Abb. 3: Meldungsverlauf bei Abweichungen vom festgelegten Aufenthaltsort<br />

Einführungserlass des Hessischen Justizministeriums vom 20. März 2000<br />

wurden folgende Anwendungsbereiche festgelegt:<br />

• Weisung bei einer zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe (§ 56c<br />

StGB). In Deutschland können Freiheitsstrafen <strong>von</strong> bis zu zwei Jahren<br />

zur Bewährung ausgesetzt werden. In solchen Fällen legt das Gericht<br />

üblicherweise Auflagen (z. B. Gemeinnützige Arbeit, Geldauflage) und<br />

Weisungen fest, wobei letztere dazu dienen sollen, den Lebenswandel<br />

des Verurteilten positiv zu beeinflussen. In der Wahl der Weisungen haben<br />

die Gerichte relativ große Freiheiten (Kontaktverbot, Aufnahme einer<br />

Therapie, Beginn einer Ausbildung etc.). Insofern kommt hier auch<br />

die Überwachung mit Hilfe der elektronischen <strong>Fußfessel</strong> in Betracht.<br />

• Weisung zur Vermeidung eines Bewährungswiderrufs (§ 56f StGB).<br />

Sofern bei bereits bestehenden Bewährungen ein Widerruf droht,<br />

kann als zusätzliche Weisung eine Überwachung mit der elektronischen<br />

<strong>Fußfessel</strong> angeordnet werden.<br />

• Weisung bei Strafrestaussetzung zur Bewährung (§§ 57 f. StGB).<br />

Bei guter Führung können Reste <strong>von</strong> teilverbüßten Freiheitsstrafen<br />

– häufig das letzte Drittel – zur Bewährung ausgesetzt werden. Auch<br />

hier ist ein Einsatz der elektronischen <strong>Fußfessel</strong> im Rahmen einer<br />

Bewährungsweisung möglich.<br />

• Weisung im Rahmen eines Gnadenverfahrens (§ 19 Hessische Gnadenordnung).<br />

Wie bei der Strafaussetzung zur Bewährung kann<br />

auch in einem Gnadenverfahren die Strafaussetzung an bestimmte<br />

Weisungen gebunden werden.<br />

• Weisung innerhalb der Führungsaufsicht (§§ 68 ff. StGB). Bei<br />

Straftätern, <strong>von</strong> denen auch nach Verbüßung einer Haftstrafe eine<br />

Gefährdung ausgeht, kann das Gericht Führungsaufsicht anordnen.<br />

Dabei wird die betroffene Person der Aufsicht der Bewährungshilfe<br />

unterstellt. In diesem Zusammenhang kann ebenfalls eine Überwachung<br />

mit der elektronischen <strong>Fußfessel</strong> angeordnet werden.<br />

• Maßnahme bei Aussetzung des Vollzugs des Haftbefehls (§ 116<br />

StPO). Sofern bei einem Angeklagten Flucht-, Wiederholungs- oder<br />

Verdunkelungsgefahr besteht, erlässt das Gericht einen Haftbefehl<br />

und die betreffende Person kommt in Untersuchungshaft. Unter<br />

bestimmten Voraussetzungen kann dieser Haftbefehl außer Vollzug<br />

gesetzt werden, wobei dies in der Regel mit bestimmten Maßnahmen<br />

(z. B. tägliche Meldung bei der Polizei) verbunden ist.<br />

Alternativ kann das Gericht hier auch eine Überwachung mit der<br />

elektronischen <strong>Fußfessel</strong> beschließen.<br />

In allen Fällen soll durch den Einsatz der Maßnahme eine ansonsten<br />

notwendige Freiheitsstrafe bzw. Untersuchungshaft vermieden werden.<br />

Profil der überwachten Personen<br />

Bei den Teilnehmern des hessischen Modellprojekts handelt es sich<br />

in aller Regel nicht um schwere Straftäter. Dies liegt nicht zuletzt an<br />

den rechtlichen Rahmenbedingungen, die bei langen Freiheitsstrafen<br />

bestenfalls eine Teilnahme im Rahmen der Strafrestaussetzung möglich<br />

machen. Gleichwohl muss das Vergehen eine bestimmte Schwere aufweisen,<br />

insofern mindestens Freiheitsstrafe verhängt bzw. Untersuchungshaft<br />

angeordnet werden muss. Als Alternative zur Geldstrafe kommt<br />

die Überwachung mit der elektronischen <strong>Fußfessel</strong> nicht in Frage.<br />

Typische Straftaten sind Drogendelikte, Diebstahl oder Vergehen im<br />

Straßenverkehr. Die überwachten Personen sind fast immer männlichen<br />

Geschlechts.<br />

Verlauf einer Überwachungsmaßnahme<br />

Bevor es zum Einsatz der elektronischen <strong>Fußfessel</strong> kommt, wird durch<br />

die Mitarbeiter der Bewährungshilfe geprüft, ob die betreffende Person<br />

die Teilnahmekriterien erfüllt. Diese Überprüfung kann durch alle Verfahrensbeteiligten<br />

beantragt werden. Zu den Teilnahmekriterien gehören:<br />

• Zustimmung der Person zur Überwachung und zum Wochenplan<br />

• Zustimmung der erwachsenen Haushaltsmitglieder zur Überwachung<br />

• eine sinnvolle Tagesbeschäftigung <strong>von</strong> mindestens 20 Stunden pro<br />

Woche (Erwerbstätigkeit, Ausbildung, ggf. gemeinnützige Arbeit)<br />

• fester Wohnsitz<br />

• Telefonanschluss<br />

• kein akuter Gebrauch harter Drogen<br />

• kein akuter Alkoholmissbrauch<br />

Während die ersten drei Kriterien als verbindlich angesehen werden,<br />

handhabt man die anderen Kriterien insoweit flexibel, dass Unterkunft<br />

oder Telefonanschluss ggf. vermittelt werden und dass auch Personen<br />

aufgenommen werden, die alkoholabhängig sind oder an einem Drogenentzugsprogramm<br />

mit Substitution teilnehmen. Im Rahmen eines<br />

Erstgespräches zwischen potentiellem Teilnehmer und der Bewährungshilfe<br />

wird dann ein Wochenplan aufgestellt, der später dem Gericht als<br />

Grundlage für seinen Bewährungsbeschluss dient.<br />

Montag<br />

Dienstag<br />

Mittwoch<br />

Donnerstag<br />

Abb. 4: Wochenplan<br />

Freitag<br />

Samstag<br />

Sonntag<br />

0:00 3:00 6:00 9:00 12:00 15:00 18:00 21:00 0:00<br />

muss anwesend sein ohne Vorgabe muss abwesend sein<br />

6-2007<br />

13<br />

KoNTUREN<br />


T i t e l Strafvollzug<br />

Die eigentliche Anordnung der Überwachung kann nur durch ein Gericht<br />

erfolgen. Der Wochenplan wird dabei Bestandteil des richterlichen<br />

Beschlusses. Das Anlegen der elektronischen <strong>Fußfessel</strong> und die Installation<br />

der Überwachungstechnik erfolgen in der Regel unmittelbar nach<br />

Rechtskraft des Urteils oder – im Falle <strong>von</strong> Untersuchungshaftvermeidung<br />

– nach dem Haftprüfungstermin. Im Verlauf der gesamten Überwachung<br />

muss die betreffende Person ihre An- und Abwesenheit in ihrer Wohnung<br />

nach dem Wochenplan richten. In diesem Plan sind – ähnlich wie bei<br />

einem Stundenplan in der Schule – die Zeiten verpflichtender An- und<br />

Abwesenheit festgelegt. Dazwischen liegen Zeiten ohne Vorgabe, in denen<br />

der Aufenthaltsort freigestellt ist. Der Wochenplan orientiert sich in erster<br />

Linie an den Arbeitszeiten der überwachten Person sowie an spezifischen<br />

persönlichen Bedürfnissen wie Einkäufe, regelmäßige Besuche bei Familie<br />

und Freunden, Arzt- und Behördengänge oder Vereinsaktivitäten.<br />

Während der Arbeitszeit müssen die überwachten Personen abwesend<br />

sein. Vor Beginn der zwingenden Abwesenheit liegt immer ein kürzerer<br />

Zeitraum ohne Vorgabe, der für den Weg zur Arbeitsstätte vorgesehen<br />

ist. Ebenso wird den Überwachten nach dem Ende ihrer Arbeitszeit ein<br />

gewisser Zeitraum ohne Vorgabe zugestanden, der meist etwas länger ist<br />

und dazu dient, Besorgungen machen zu können. Personen, die keiner<br />

Erwerbsarbeit oder Ausbildung nachgehen, werden in den meisten Fällen<br />

vom Gericht angewiesen, gemeinnützige Arbeit zu leisten, um somit<br />

eine regelmäßige Tagesbeschäftigung zu gewährleisten. In diesen Fällen<br />

orientiert sich der Wochenplan an den Zeiten, während derer die Person<br />

ihren Arbeitsverpflichtungen nachkommt. Am Wochenende werden meist<br />

insgesamt acht bis zwölf Stunden ohne Vorgabe eingeräumt. Sofern das<br />

aufsichtsführende Gericht einverstanden ist, kann die Bewährungshilfe in<br />

Sonderfällen auch Ausnahmen vom Wochenplan genehmigen. Kommt<br />

es zu keinen Abweichungen vom Wochenplan, findet einmal wöchentlich<br />

ein telefonischer oder persönlicher Kontakt zwischen Bewährungshilfe<br />

und überwachter Person statt. Bei Abweichungen vom Wochenplan wird<br />

der Bereitschaftsdienst der Bewährungshilfe per SMS informiert. Die<br />

Reaktionen der Bewährungshilfe können je nach Ursache, Schwere und<br />

Häufigkeit der Abweichungen <strong>von</strong> Nachsicht (z. B. bei Überstunden) bis<br />

hin zur Meldung an das aufsichtsführende Gericht reichen. Bei wiederholten<br />

oder schwerwiegenden Abweichungen vom Wochenplan kommen<br />

grundsätzlich immer eine Aufhebung der Maßnahme und die Inhaftierung<br />

in Betracht. Während der Modellphase des hessischen Projekts kam<br />

es zu 9,3 Meldungen pro überwachter Person und Monat. Der Großteil<br />

dieser Meldungen bezog sich allerdings auf Abweichungen vom Wochenplan<br />

die vorab oder im Nachhinein <strong>von</strong> den Bewährungshelfern genehmigt<br />

wurden, beispielsweise im Falle <strong>von</strong> Überstunden oder nachweisbaren<br />

Verspätungen im öffentlichen Nahverkehr. Die durchschnittliche Überwachungsdauer<br />

betrug während der Modellphase viereinhalb Monate. Nach<br />

dieser Zeit wird die <strong>Fußfessel</strong> abgenommen und die Überwachungstechnik<br />

abgebaut. Die Unterstellung unter die Aufsicht der Bewährungshilfe<br />

bzw. weitere Maßnahmen bleiben dagegen bestehen.<br />

Bedeutung des Wochenplans<br />

Aus den bisher gemachten Ausführungen ergibt sich, dass die tatsächliche<br />

Ausgestaltung des Wochenplans das entscheidende Merkmal für die<br />

Umsetzung der Maßnahme in der Praxis darstellt. So ist leicht plausibel<br />

zu machen, dass ein Wochenplan, der nur eine Anwesenheit <strong>von</strong> 22:00<br />

Uhr abends bis 7:00 Uhr morgens vorsieht, wesentlich leichter zu<br />

KoNTUREN<br />

– 14 6-2007<br />

ertragen ist als ein Wochenplan, der vor und nach der Arbeit nur eine<br />

Stunde Wegezeit einräumt und am Wochenende überhaupt keinen<br />

Ausgang erlaubt. Da der Wochenplan zwar vom Gericht beschlossen,<br />

aber <strong>von</strong> der Bewährungshilfe vorgeschlagen wird, hat letztere einen<br />

entscheidenden Einfluss auf den Alltag der überwachten Person.<br />

Tatsächlich variierten während der Modellphase die Zeiten, in denen<br />

die Überwachten zwingend zuhause sein mussten, zwischen 6,5 und<br />

19 Stunden pro Tag. Insofern kann man – zugespritzt formuliert – <strong>von</strong><br />

zwei Typen elektronischer Überwachung sprechen. Der eine Typus<br />

besteht in einem sehr eng gehaltenen, selten angepassten Wochenplan,<br />

der viele Abweichungen provoziert. Durch die häufigen Kontaktanlässe<br />

sind die Mitarbeiter der Bewährungshilfe umfangreich über den<br />

Alltag der Überwachten informiert. Gleichzeitig wird, da sie für die<br />

Genehmigung der Abweichungen zuständig sind, ihre Machtposition<br />

gestärkt. Für die überwachten Personen führt dies zu erhöhtem Stress<br />

und nicht selten zum Abbruch sozialer Kontakte, die sie auf Grund der<br />

knappen Freizeit nicht mehr wahrnehmen können. Beim anderen Typus<br />

wird der Wochenplan großzügiger gestaltet und häufiger den Bedürfnissen<br />

der überwachten Personen angepasst. In diesen Fällen kommt es zu<br />

weniger Abweichungen und auch soziale Kontakte sind besser aufrechtzuerhalten,<br />

was die Maßnahme leichter erträglich macht. Umgekehrt<br />

verfügen die Bewährungshelfer über ein weniger genaues Bild des Alltags<br />

der überwachten Personen, da ungeplante Kontakte weniger häufig<br />

auftreten, und nutzen somit ihr Machtpotential weniger intensiv. Beide<br />

Typen lassen sich mit Rücksicht auf die individuelle Situation eines<br />

Überwachten grundsätzlich rechtfertigen. Diese Thematik wurde allerdings<br />

während der Modellphase unter den Bewährungshelfern nie mit<br />

dem Ziel einer gemeinsamen Strategie diskutiert. Insofern lässt zumindest<br />

der Verlauf der Modellphase den Schluss zu, dass die individuelle<br />

pädagogische Auffassung der einzelnen Bewährungshelfer der entscheidende<br />

Faktor für die faktische Gestaltung der Maßnahme ist.<br />

Kosten der elektronischen <strong>Fußfessel</strong><br />

Während der Modellphase des hessischen Projektes wurden im Rahmen<br />

der wissenschaftlichen Begleitung auch die Kosten der Überwachung mit<br />

der elektronischen <strong>Fußfessel</strong> analysiert. Teilt man die Gesamtkosten der<br />

Modellphase (Mai 2000 bis April 2002) auf die überwachten Personen<br />

auf, so ergibt sich ein Betrag <strong>von</strong> 92,88 Euro pro Person und Tag. Ein<br />

Hafttag in hessischen Justizvollzugsanstalten kostete zu dieser Zeit 87,47<br />

Euro pro Insasse. Allerdings kann ein Projekt in der Modellphase nur<br />

bedingt Auskunft über die tatsächlichen Kosten unter regulären Einsatzbedingungen<br />

geben. Unterstellt man eine angemessene Auslastung<br />

der Überwachungstechnik sowie eine routinierte Umsetzung durch die<br />

Bewährungshilfe, so lassen sich die Überwachungskosten auf rund 23<br />

Euro pro Person und Tag schätzen. Bei der Bewertung der Maßnahme<br />

unter finanziellen Gesichtspunkten sind allerdings noch mindestens drei<br />

weitere Faktoren zu berücksichtigen. Erstens muss gewährleistet sein,<br />

dass mit der Überwachung tatsächlich eine Inhaftierung vermieden wird.<br />

Sofern mit der elektronischen <strong>Fußfessel</strong> Personen überwacht werden,<br />

denen ansonsten gar keine Inhaftierung gedroht hätte, deren Freiheitsstrafe<br />

beispielsweise auch ohne Überwachung zur Bewährung ausgesetzt<br />

worden wäre, werden selbstverständlich auch keine Haftkosten eingespart.<br />

Zweitens entspricht die Dauer der Überwachung zumeist nicht der<br />

Anzahl der vermiedenen Hafttage. Wird eine Freiheitsstrafe <strong>von</strong> zwei


Jahren zur Bewährung ausgesetzt und die betreffende Person stattdessen<br />

mit der elektronischen <strong>Fußfessel</strong> für sechs Monate überwacht, so stehen<br />

730 vermiedenen Hafttagen nur 183 Überwachungstage gegenüber.<br />

Insofern könnte eine Überwachung auch bei wesentlich höheren Tageskosten<br />

insgesamt noch günstiger sein als die Inhaftierung. Drittens<br />

sind schließlich nur dann relevante Einsparungen bei den Haftkosten zu<br />

erwarten, wenn die elektronische <strong>Fußfessel</strong> in großem Umfang eingesetzt<br />

wird. Die Kosten für eine Justizvollzugsanstalt hängen nur in geringem<br />

Maß <strong>von</strong> ihrer Auslastung ab. Fallen nur einzelne Insassen weg, so bleiben<br />

die Kosten für Unterhalt und Personal nahezu gleich. Erst wenn so<br />

viele Insassen wegfallen, dass Haftanstalten als ganzes geschlossen werden<br />

können, sind finanzielle Effekte in nennenswertem Umfang möglich.<br />

Solche Zahlen wurden aber während der Modellphase des hessischen<br />

Projekts und auch danach nie erreicht. Würde die Überwachung mit der<br />

elektronischen <strong>Fußfessel</strong> im gesamten Bundesgebiet jedoch konsequent<br />

umgesetzt werden, so ließen sich mehrere Tausend Haftplätze einsparen.<br />

Relevanz für das Justizsystem<br />

Während der Modellphase (Mai 2000 bis April 2002) wurden im<br />

Bereich des Landgerichtes Frankfurt am Main 99 Personen für die Überwachung<br />

mit der elektronischen <strong>Fußfessel</strong> vorgeschlagen, 45 Personen<br />

nahmen tatsächlich teil. Mittlerweile ist die Maßnahme in ganz Hessen<br />

einsetzbar. Nach Auskunft des hessischen Justizministeriums wurden seit<br />

Projektbeginn bis Oktober 2007 landesweit 416 Personen elektronisch<br />

überwacht. Vergleicht man dies mit der Zahl der Inhaftierten in Hessen<br />

(3.876 Personen zum Stichtag 31. März 2006), so wird schnell klar,<br />

dass es sich bei dieser Maßnahme eher um eine Ausnahmeerscheinung<br />

handelt. Die Ursache für den seltenen Gebrauch der elektronischen<br />

Überwachung liegt mit großer Sicherheit in den zahlreichen Voraussetzungen,<br />

die für ihren Einsatz vorliegen müssen. Zunächst einmal muss<br />

die betreffende Person überhaupt <strong>von</strong> der Justiz bzw. der Bewährungshilfe<br />

auffindbar sein, was nicht selten misslingt. Dann müssen die potentiellen<br />

Teilnehmer und ihre erwachsenen Haushaltmitglieder der Maßnahme<br />

zustimmen, was ebenfalls nicht selbstverständlich ist. Schließlich<br />

muss die Überwachung immer durch richterlichen Beschluss angeordnet<br />

werden. Während der Modellphase machte jedoch nur etwa ein Fünftel<br />

der Frankfurter Strafrichter überhaupt <strong>von</strong> der Maßnahme Gebrauch.<br />

Insofern ist auch auf institutioneller Ebene eine große Zurückhaltung<br />

festzustellen, die hauptsächlich durch mangelnde Kenntnis und falsche<br />

Vorstellungen über die Maßnahme bedingt ist. Das tatsächliche Potential<br />

der Überwachung lässt sich nur schätzen. Dabei lässt sich durchaus<br />

plausibel machen, dass allein in Hessen grundsätzlich mehrere hundert<br />

Personen pro Jahr für die Überwachung mit der elektronischen <strong>Fußfessel</strong><br />

in Frage kämen.<br />

Chancen der elektronischen Überwachung<br />

Für die überwachten Personen liegt der wichtigste Nutzen der elektronischen<br />

<strong>Fußfessel</strong> mit Sicherheit in der Vermeidung einer Inhaftierung<br />

und den damit verbundenen Folgen. Das gilt natürlich nur, wenn durch<br />

die Maßnahme tatsächlich Haft vermieden wird. Dieser Vorteil ist für<br />

die Überwachten das wichtigste, in den meisten Fällen wohl auch das<br />

einzige Motiv, der Maßnahme zuzustimmen. Ein weiterer Vorteil der<br />

Maßnahme, der häufig hervorgehoben wird, besteht im engen und meist<br />

guten Kontakt zu den Mitarbeitern der Bewährungshilfe. Schließlich<br />

können die Überwachten während der Maßnahme zeigen, dass sie<br />

bereit sind, die Erwartungen der Justiz in Alltagssituationen zu erfüllen.<br />

Sofern ihnen dies gelingt, ist zu erwarten, dass Bewährungshilfe bzw.<br />

Justiz <strong>von</strong> der Einhaltung einfacher Absprachen auch auf ein positives<br />

Verhalten in strafrechtlich relevanten Bereichen schließt, was sich<br />

ebenfalls als Vorteil für die Überwachten erweisen kann. Der Bewährungshilfe<br />

eröffnen sich durch den außergewöhnlich engen Kontakt zu<br />

den Überwachten und das umfangreiche Wissen über deren Situation<br />

wichtige Möglichkeiten für die pädagogische Intervention. Dieses Wissen<br />

entsteht zum Teil durch das Vorgespräch und die wöchentlichen<br />

Kontakte, zu einem beachtlichen Teil jedoch spontan, wenn es wegen<br />

Abweichungen vom Wochenplan zu Kontakten zwischen der Bewährungshilfe<br />

und der überwachten Person kommt. Ebenfalls bedeutsam<br />

ist, dass die Bewährungshilfe durch die Gestaltung des Wochenplans<br />

und die Genehmigung <strong>von</strong> Abweichungen direkt Einfluss nehmen<br />

kann, also über wahrnehmbare Macht verfügt. Dabei findet dieser Einfluss<br />

unter Alltagsbedingungen statt und bezieht sich nicht – wie im<br />

Falle einer Inhaftierung – auf solche Verhaltensweisen, die vorwiegend<br />

innerhalb <strong>von</strong> Haftanstalten gefragt sind (bspw. friedliches Zusammenleben<br />

mit anderen Zelleninsassen). Die überwachten Personen haben<br />

während der Maßnahme wenige Möglichkeiten, den Bewährungshelfern<br />

Informationen vorzuenthalten bzw. ihrem Einfluss auszuweichen.<br />

Sich vollkommen der Maßnahme zu entziehen, ist für die Überwachten<br />

zwar grundsätzlich möglich, allerdings nehmen sie dabei das hohe<br />

Risiko einer Inhaftierung in Kauf. Der enge Kontakt ermöglicht den<br />

Bewährungshelfern, sowohl Probleme mit der Maßnahme als auch<br />

hinsichtlich der Lebensführung der Überwachten frühzeitig zu erkennen<br />

und entsprechend einzugreifen. Dies betrifft auch Anlässe, deretwegen<br />

sich die Überwachten nicht <strong>von</strong> sich aus an die Bewährungshilfe<br />

wenden würden. Die Maßnahme bietet darüber hinaus durch die hohe<br />

Flexibilität in der Gestaltung des Wochenplans bzw. durch vertretbare<br />

Ausnahmen die Möglichkeit, sie an die individuellen Bedürfnisse der<br />

einzelnen Personen anzupassen. Diese Flexibilität schließt insbesondere<br />

auch die Möglichkeit ein, durch Erweiterung des Freizeitkontingents<br />

bzw. durch Ausnahmen vom Wochenplan erwünschtes Verhalten<br />

positiv anzuerkennen. Für die zuständigen Gerichte mag ein Vorzug<br />

der elektronischen Überwachung darin bestehen, dass die Maßnahme<br />

je nach Ausgestaltung des Wochenplans durchaus strafenden Charakter<br />

annehmen und somit auch Missbilligung zum Ausdruck bringen<br />

kann. Der Einsatz der <strong>Fußfessel</strong> wird <strong>von</strong> den Straftätern als deutliches<br />

Signal verstanden, dass bestimmte Eigenheiten der bisherigen Lebensweise<br />

nicht mehr toleriert werden. Des Weiteren ermöglicht die<br />

elektronische Überwachung den Gerichten die zeitnahe und spürbare<br />

Kontrolle <strong>von</strong> Auflagen und Weisungen, die sonst kaum oder nur mit<br />

erheblichem Aufwand zu kontrollieren sind. Dies betrifft insbesondere<br />

Auflagen gemeinnütziger Arbeit oder Weisungen, die sich auf<br />

Aufenthalt, Erwerbsarbeit oder Freizeit beziehen. Damit steigen die<br />

Chancen, dass vom Gericht im Rahmen einer Bewährung angeordnete<br />

Maßnahmen tatsächlich umgesetzt werden. Auch die Flexibilität der<br />

Maßnahme kann für die Gerichte attraktiv sein. Hier spielt nicht allein<br />

die Gestaltung des Wochenplans, sondern vor allem die Dauer der<br />

elektronischen Überwachung eine Rolle. So kann der Überwachungszeitraum<br />

bei zügiger Erfüllung der Auflagen vorzeitig beendet oder bei<br />

schleppender Erfüllung verlängert werden.<br />

6-2007<br />

15<br />

KoNTUREN<br />


T i t e l Strafvollzug<br />

Risiken der elektronischen Überwachung<br />

Das größte Risiko hinsichtlich des Einsatzes der elektronischen Überwachung<br />

besteht wohl darin, dass noch kein durchdachtes pädagogisches<br />

Konzept zum Einsatz der Maßnahme existiert. Es hat sich gezeigt,<br />

dass die einzelnen Bewährungshelfer, sowohl was die Gestaltung des<br />

Wochenplans als auch was den Umgang mit Abweichungen betrifft,<br />

unterschiedlich vorgingen. Diese beiden Faktoren werden bislang noch<br />

nicht als die eigentlich relevanten Merkmale dieser Maßnahme erkannt.<br />

Ein weiteres Problem besteht in der noch fehlenden Sensibilität der<br />

Bewährungshelfer hinsichtlich der für die elektronische Überwachung<br />

geltenden rechtlichen Rahmenbedingungen. Dies äußerte sich während<br />

der Modellphase des hessischen Projekts beispielsweise darin, dass die<br />

Möglichkeiten, welche die elektronische Überwachung bietet, über das<br />

vorgesehene Maß genutzt wurden. Den überwachten Personen wurde<br />

mehr Freizeit eingeräumt, ohne den Wochenplan technisch anzupassen.<br />

Anhand der dann eingehenden Meldungen des Überwachungssystems<br />

verfügten die Bewährungshelfer auch dann über ein An- und Abwesenheitsprofil,<br />

wenn der Proband sich an den ihm mitgeteilten Wochenplan<br />

hielt. Dies ist datenschutzrechtlich jedoch nicht zulässig. Ebenfalls in<br />

diesen Problembereich fällt die fehlende Einsicht in die Notwendigkeit<br />

der Dokumentation <strong>von</strong> pädagogischen Entscheidungen. So wurde bei<br />

mehr als einem Drittel der Abweichungen nicht dokumentiert, wie es zu<br />

diesen gekommen und welche Reaktion <strong>von</strong> Seiten der Bewährungshilfe<br />

erfolgt war. Den Bewährungshelfern war offensichtlich nicht hinreichend<br />

bewusst, dass die Eingriffsintensität der Maßnahme eine Form<br />

der Dokumentation erfordert, die eine nachträgliche Überprüfung ihrer<br />

Entscheidungen erlaubt. Auch unklare Zuständigkeiten hinsichtlich<br />

der elektronischen Überwachung, insbesondere was die Gestaltung des<br />

Wochenplans und die Kontrolle seiner Einhaltung betrifft, können sich<br />

nachteilig auswirken. Der Wochenplan und seine Kontrolle werden sowohl<br />

<strong>von</strong> den Gerichten als auch <strong>von</strong> den Bewährungshelfern als vorrangig<br />

pädagogische Aufgabe angesehen. Das führt dazu, dass die Gerichte<br />

diesem Punkt wenig Aufmerksamkeit zumessen. Während die Gerichte<br />

also über den Einsatz der Maßnahme als solche entscheiden, ist deren<br />

Umsetzung der Bewährungshilfe vorbehalten. Diese verfügt folglich, was<br />

den Einfluss auf den Alltag der überwachten Personen betrifft, über einen<br />

großen Freiraum, der einer gerichtlichen Kontrolle weitgehend entzogen<br />

ist. Diese Freiheit eröffnet jedoch auch die Möglichkeit zum Missbrauch<br />

der Maßnahme. So könnten die Bewährungshelfer die elektronische<br />

Überwachung grundsätzlich auch in einer Weise einsetzen, die den<br />

eigentlichen Absichten der Maßnahme widerspricht, indem sie ihre Aufgabe<br />

unangemessen strikt oder zu nachgiebig handhaben, ohne dass die<br />

Gerichte da<strong>von</strong> zwangsläufig Kenntnis erhalten. Was mögliche Nachteile<br />

für die Überwachten betrifft, ist zunächst – neben den unmittelbaren<br />

Einschränkungen des Alltags – vor allem der Verlust sozialer Bindungen<br />

zu nennen. Die eingeschränkte Freizeit führt dazu, dass manche<br />

Kontakte im Freundes- oder Verwandtenkreis nicht mehr wie gewohnt<br />

wahrgenommen werden können. Sofern die überwachten Personen nicht<br />

den wahren Grund dafür preisgeben wollen, sehen sie sich genötigt, ihr<br />

Umfeld zu täuschen. Von Freunden oder Verwandten wird dieses Verhalten<br />

nicht selten als Rückzug bzw. als Unhöflichkeit verstanden. Die<br />

elektronische Überwachung kann somit zu einer Stigmatisierung führen,<br />

die nicht etwa durch die <strong>Fußfessel</strong> als solche bedingt ist, sondern gerade<br />

deshalb entsteht, weil die Überwachten ihr strafrechtlich relevantes Vor-<br />

KoNTUREN<br />

– 16 6-2007<br />

leben nicht kommunizieren möchten. Auch in diesem Punkt erweist sich<br />

die Gestaltung und Handhabung des Wochenplans als zentraler Faktor.<br />

Als kritisch könnte sich auch erweisen, dass die zu überwachenden Personen<br />

und ihre Angehörigen nicht immer ausreichend über die Einzelheiten<br />

des Modellprojekts informiert werden. Zunächst können sich viele<br />

potentielle Teilnehmer und Angehörige keine Vorstellung da<strong>von</strong> machen,<br />

welche alltäglichen Einschränkungen tatsächlich mit der Überwachung<br />

verbunden sind. Auch reichen die vorab erteilten Informationen nicht<br />

aus, um den Überwachten klar zu machen, welche Daten durch die<br />

Technik erfasst werden. Unklarheit besteht auch darüber, welche Gründe<br />

für Abweichungen vom Wochenplan akzeptiert werden. Dies versetzt die<br />

überwachten Personen zumindest zu Beginn der Maßnahme in unnötigen<br />

Stress, da sie sich auch im Falle gut begründbarer Abweichungen <strong>von</strong><br />

einer Inhaftierung bedroht sehen. Schließlich wurden die Überwachten<br />

während der Modellphase nicht über die ihnen zur Verfügung stehenden<br />

Rechtsmittel belehrt. Angesichts der Intensität des Eingriffs wäre dies<br />

aber durchaus angemessen. Ein generelles Risiko besteht für die Probanden<br />

darin, zum falschen Adressatenkreis zu gehören. Bei den in Hessen<br />

genutzten Anwendungsbereichen lässt sich nie sagen, dass ein Proband<br />

ohne die Teilnahme am Projekt definitiv inhaftiert worden wäre. Der<br />

wichtigste Gewinn der Maßnahme kann daher immer angezweifelt<br />

werden. Allerdings deuten die Befunde der Begleitforschung darauf hin,<br />

dass dieses Problem während der Modellphase nur selten aufgetreten<br />

ist. Hier ist langfristig keine grundsätzliche Lösung in Sicht. Bestenfalls<br />

könnte man darauf hoffen, dass regelmäßige Appelle an die Gerichte, die<br />

Maßnahme ausschließlich zur Haftvermeidung einzusetzen, zumindest<br />

eine Sensibilisierung für dieses Problem schaffen können. Allerdings<br />

ist ebenso vorstellbar, dass die mit der elektronischen Überwachung<br />

verbundenen Chancen die Gerichte auch zum Einsatz der Maßnahme<br />

außerhalb des eigentlichen Adressatenkreises verlocken.<br />

Problemfeld Untersuchungshaftvermeidung<br />

Für den Anwendungsbereich Untersuchungshaftvermeidung ergeben<br />

sich spezifische Probleme. Hier kam es in einigen Fällen zu einer außergewöhnlich<br />

langen Überwachungsdauer. Die Beschuldigten wurden, da<br />

noch keine Hauptverhandlung anberaumt war, über die ursprünglich<br />

vorgesehenen sechs Monate hinaus überwacht. Für viele <strong>von</strong> ihnen<br />

verlängerte sich unabhängig da<strong>von</strong> die Gesamtdauer des Verfahrens. Sie<br />

mussten nach Ende der elektronischen Überwachung noch geraume Zeit<br />

auf eine Anklage warten. Je länger sich diese Wartephase hinzog, desto<br />

stärker bedrückte die Beschuldigten die Unbestimmtheit ihrer Situation.<br />

Schließlich tritt für die Angeklagten, die in der Hauptverhandlung zu<br />

einer unbedingten Freiheitsstrafe verurteilt werden, ein weiterer Nachteil<br />

hinzu. Da die Überwachungszeit – im Gegensatz zur Untersuchungshaft<br />

– nicht auf die Dauer der Freiheitsstrafe angerechnet wird, erhöht<br />

sich für solche Teilnehmer die gesamte Eingriffsdauer. Insoweit gehen<br />

Personen, die zur Vermeidung <strong>von</strong> Untersuchungshaft elektronisch<br />

überwacht werden, ein dreifaches Risiko ein: Neben einer langen Überwachungs-<br />

oder Verfahrensdauer droht am Ende des Verfahrens immer<br />

noch die Inhaftierung. Dem kurzfristigen Gewinn stehen insoweit<br />

langfristige Nachteile gegenüber, die im Rückblick manche Personen ihre<br />

Entscheidung bereuen lassen könnten. Eine systematische Lösung für<br />

diesen Problemkomplex ist kurzfristig nicht zu erwarten, da hier nur eine<br />

bundesrechtliche Regelung Abhilfe schaffen könnte.


<strong>Elektronische</strong> <strong>Fußfessel</strong> im Ausland<br />

Die elektronische <strong>Fußfessel</strong> wird in den Justizsystemen der meisten westeuropäischen<br />

Länder eingesetzt. Am intensivsten wird dieses Instrument<br />

in England und Wales genutzt, wo die Maßnahme in einer Größenordnung<br />

<strong>von</strong> etwa 55.000 überwachten Personen pro Jahr durchgeführt<br />

wird (Zahlen für 2004), gefolgt <strong>von</strong> den Niederlanden (4.000),<br />

Frankreich (3.000) und Schweden (3.000). In den USA, der „Heimat“<br />

der elektronischen <strong>Fußfessel</strong>, liegt die Zahl der überwachten Personen<br />

bereits über 100.000, wobei dieser Wert relativ zur Größe des Landes<br />

gesehen werden muss. Auch diese Zahlen zeigen, dass der Einsatz der<br />

elektronischen <strong>Fußfessel</strong> in Hessen einen eher symbolischen Charakter<br />

hat. Die Art des Einsatzes der elektronischen Überwachung hängt stark<br />

<strong>von</strong> der Rechtsordnung eines Landes ab. Generell lässt sich aber sagen,<br />

dass der Einsatz im Rahmen einer Strafaussetzung zur Bewährung oder<br />

einer vorzeitigen Haftentlassung wohl am häufigsten vorkommt.<br />

Ausblick<br />

Die Erfahrungen aus der Modellphase des hessischen Projektes zeigen, dass sich<br />

die Wirklichkeit der elektronischen Überwachung einerseits weniger dramatisch<br />

darstellt, als es ihre Gegner gelegentlich befürchten. Andererseits liegen die<br />

eigentlichen Probleme und Risiken der Umsetzung in die Praxis größtenteils<br />

in Bereichen, die in der bisherigen Debatte um die elektronische <strong>Fußfessel</strong><br />

kaum berücksichtigt wurden. Insbesondere die Gestaltung und Kontrolle des<br />

Wochenplans wurden bislang nicht als entscheidender Faktor der Maßnahme<br />

erkannt. Es zeigt sich auch, dass die meisten der aufgezeigten Probleme<br />

und Risiken grundsätzlich zu beheben sind. Eine Ausnahme stellen die oben<br />

beschriebenen Probleme bei der Untersuchungshaftvermeidung dar, die ein<br />

Überdenken des Einsatzes für diesen Anwendungsbereich angeraten erscheinen<br />

lassen. Hinzu kommt das generelle Risiko, die Maßnahme bei falschen<br />

Adressaten einzusetzen. Insofern sollte der Einsatz der Überwachung mit der<br />

elektronischen <strong>Fußfessel</strong> mindestens an folgende Bedingungen geknüpft sein:<br />

• Es muss ein differenziertes und solides pädagogisches Konzept vorliegen,<br />

welches die Gestaltung des Wochenplans und seine Kontrolle in Abhängigkeit<br />

zu den individuellen Erfordernissen der überwachten Person festlegt<br />

und damit uneinheitliches oder willkürliches Vorgehen der Bewährungshilfe<br />

weitgehend ausschließt.<br />

• Die Gerichte müssen die Kontrolle des Vollzugs der Maßnahme als ihre<br />

Aufgabe erkennen und auch durchführen. Folglich muss auch gewährleistet<br />

sein, dass pädagogische Entscheidungen der Bewährungshilfe dokumentiert<br />

werden und somit überprüfbar sind.<br />

• Bei den mit der Maßnahme betrauten Instanzen (Gerichte, Bewährungshilfe)<br />

muss ein Bewusstsein für die Problematik möglicher falscher Adressaten<br />

geschaffen und wach gehalten werden.<br />

Sofern diese Bedingungen realisiert sind, bietet die elektronische Überwachung<br />

allen Beteiligten Vorteile, die auch außerhalb des hessischen Projekts genutzt<br />

werden könnten. Wie sich der Einsatz der elektronischen Überwachung<br />

in Deutschland weiterentwickelt, wird allerdings im Wesentlichen da<strong>von</strong><br />

abhängen, ob es gelingt, der Zurückhaltung und Ablehnung insbesondere<br />

bei den Gerichten zu begegnen. Es ist durchaus möglich, dass sich Vorbehalte<br />

verlieren, sobald innerhalb des Justizsystems vermehrt eigene Erfahrungen mit<br />

der Maßnahme vorliegen. Das Potential für einen Einsatz der elektronischen<br />

Überwachung in größerem Umfang ist durchaus vorhanden.<br />

Dr. <strong>Markus</strong> <strong>Mayer</strong><br />

Erschienen in: KONTUREN, Fachzeitschrift zu Sucht und sozialen Fragen; Ausgabe 6-2007<br />

Literatur:<br />

• Buch: <strong>Mayer</strong>, <strong>Markus</strong>: Modellprojekt <strong>Elektronische</strong> <strong>Fußfessel</strong>: Studien<br />

zur Erprobung einer umstrittenen Maßnahme. Edition Iuscrim, Freiburg<br />

2004.<br />

• Broschüre: <strong>Mayer</strong>, <strong>Markus</strong>: Modellprojekt <strong>Elektronische</strong> <strong>Fußfessel</strong>:<br />

Wissenschaftliche Befunde zur Modellphase des hessischen Projekts.<br />

Edition Iuscrim, Freiburg 2004. (www.mpicc.de/shared/data/pdf/famayer2.pdf)<br />

Kontak t:<br />

Dr. <strong>Markus</strong> <strong>Mayer</strong><br />

Merzhauser Straße 157 • 7910 0 Freiburg<br />

Tel. 0761/55 65 4 01<br />

E-Mail: email@markus-mayer-info.de<br />

Angaben zum Autor:<br />

Dr. <strong>Markus</strong> <strong>Mayer</strong> ist Soziologe und war <strong>von</strong> 2000 bis 2005 Mitarbeiter<br />

am Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales<br />

Strafrecht. Sein Promotionsprojekt bestand in der wissenschaftlichen<br />

Begleitung der Modellphase des hessischen Projekts zur Überwachung<br />

mit der elektronischen <strong>Fußfessel</strong>.<br />

Politiker fordern Einsatz der <strong>Fußfessel</strong><br />

auch in anderen Bereichen<br />

„Gefährliche“ Ausländer, „Hassprediger“, Langzeitarbeitslose,<br />

Suchtkranke und Schulschwänzer als<br />

Zielgruppen anvisiert<br />

In einem FOCUS-Interview vom Januar 2006 (http://www.focus.de/politik/<br />

deutschland/beckstein_aid_103647.html) plädierte Bayerns Innenminister<br />

Günther Beckstein (CSU) für eine Anwendung der elektronischen <strong>Fußfessel</strong> bei<br />

„gefährlichen“ Ausländern bzw. extremistischen Islamisten. Auch Niedersachsens<br />

Innenminister Uwe Schünemann (CDU) sprach sich bereits Ende 2005 in<br />

einem Interview gegenüber der Zeitung Die Welt für den Einsatz der Fessel<br />

bei so genannten „Hasspredigern“ aus (http://www.welt.de/print-welt/article187015/<strong>Elektronische</strong>_Fussfessel_fuer_Hassprediger.html).<br />

Für Unmut<br />

sorgte der ehemalige hessische Justizminister Dr. Christean Wagner, als er einer<br />

Meldung der Zeitschrift Spiegel zufolge im März 2005 in einer Presseerklärung<br />

den folgenden Vorschlag machte: „Die elektronische <strong>Fußfessel</strong> bietet […] auch<br />

Langzeitarbeitslosen und therapierten Suchtkranken die Chance, zu einem<br />

geregelten Tagesablauf zurückzukehren“. Später erklärte der CDU-Politiker, es<br />

handele sich um ein Missverständnis (http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,353819,00.html).<br />

Und in einem Interview mit der Welt aus dem<br />

Jahr 2003 forderte der damalige brandenburgische Innenminister Jörg Schönbohm<br />

(CDU) den Einsatz der elektronischen <strong>Fußfessel</strong> nach britischem Vorbild<br />

auch für „kriminelle Schulschwänzer“ einzuführen (http://www.welt.de/printwelt/article267827/Kriminelle_Schulschwaenzer_sollen_an_die_Kette.html).<br />

6-2007<br />

Beate Maria Bollig<br />

17<br />

KoNTUREN<br />

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