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3 Natur und Mensch – von der Wahrnehmung idealer Landschaften

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Die salutogenetische Wirkung<br />

<strong>von</strong><br />

Garten <strong>und</strong> <strong>Natur</strong><br />

Anwendung <strong>von</strong> Theorien, Modellen <strong>und</strong> Erfahrungen <strong>der</strong><br />

Gartentherapie für die Ges<strong>und</strong>erhaltung <strong>von</strong> <strong>Mensch</strong>en<br />

Elisabeth Plitzka-Pichler<br />

November 2008<br />

Abschlussarbeit zum Universitätslehrgang<br />

Akademisch geprüfte Expertin / akademisch geprüfter Experte für Gartentherapie<br />

an <strong>der</strong> Donau Universität Krems<br />

Betreuer:<br />

Ao. Univ. Prof. Dr. Gerhard Strohmeier


DANKE<br />

Diese Arbeit wäre nicht entstanden ohne die vielen Inputs unserer Vortragenden.<br />

Danke an Gerhard Strohmeier, <strong>der</strong> mich <strong>von</strong> Anfang an ermutigt hat, meinen<br />

ges<strong>und</strong>heitsspezifischen Blick beizubehalten <strong>und</strong> mir auch als Betreuer bei <strong>der</strong><br />

Ausführung meiner Arbeit zur Seite stand.<br />

Beginnend mit ihren Einführungsvorlesungen haben Birgit Steininger <strong>und</strong> Andreas Niepel<br />

interessante Spuren gelegt, denen ich vertiefend folgen wollte.<br />

Bereichernd waren für mich Konrad Neubergers bildhafte Einsichten ins innerpsychische<br />

Erleben <strong>und</strong> sein kurzer Streifzug zu Kohärenz, Resilienz <strong>und</strong> Ressourcen.<br />

Die anekdotische Fabulierkunst <strong>von</strong> Gerhard Gatterer machte nützliches psychologisches<br />

Wissen unterhaltsam.<br />

Petra Koeinig hat mit ihrer Erfahrung aus <strong>der</strong> betrieblichen Beratung, <strong>der</strong> Arbeit in<br />

„ges<strong>und</strong>en Systemen“ meinen Zugang bestätigt <strong>und</strong> zudem zum besseren Verständnis <strong>von</strong><br />

Erlebnispädagogik beigetragen.<br />

Gabriele Kellner <strong>und</strong> Maria Putz verdanke ich viele, viele Anregungen für praktisches<br />

Handeln, eingebettet in das Modell <strong>der</strong> Operational Performance, mit dem sich einfach<br />

<strong>und</strong> gut strukturiert erklären lässt, was menschliches Handeln leitet.<br />

Danke an den KollegInnenkreis. Es war immer anregend <strong>und</strong> bereichernd, an so<br />

vielfältigen Erfahrungen teilnehmen zu können. Ich habe mich stets gut aufgehoben<br />

gefühlt.<br />

Danke an meine Mutter, die mir mit großer Selbstverständlichkeit <strong>und</strong> fast beiläufig die<br />

Liebe zu Garten <strong>und</strong> <strong>Natur</strong> mit auf den Weg gab. Sie ist auch heute mit 78 Jahren noch<br />

eine nimmermüde Gärtnerin, die sich stets mehr vornimmt, als machbar o<strong>der</strong> notwendig<br />

ist.<br />

Ein beson<strong>der</strong>s inniger Dank geht an meinen Lebensgefährten <strong>und</strong> Ehemann Richard, <strong>der</strong><br />

an mich glaubt <strong>und</strong> mit großem Vertrauen <strong>und</strong> Interesse meine Ausflüge auf<br />

verschlungenen Pfaden begleitet bis sich diese eines Tages zu Straßen formen, auf denen<br />

mir an<strong>der</strong>e <strong>Mensch</strong>en auch folgen können.<br />

2


Inhaltsverzeichnis<br />

1 Einleitung 5<br />

2 Aktuelle Konzepte zur Ges<strong>und</strong>heitsför<strong>der</strong>ung <strong>und</strong> Ges<strong>und</strong>heitserhaltung 8<br />

2.1 Therapie - ein Begriff im Wandel 8<br />

2.2 Ges<strong>und</strong>heit 9<br />

2.3 Krankheit versus Ges<strong>und</strong>heit 10<br />

2.4 Ges<strong>und</strong>heitsför<strong>der</strong>ung 11<br />

2.5 Salutogenese <strong>–</strong> als Konzept <strong>von</strong> „Ges<strong>und</strong>heitserzeugung“ 12<br />

2.5.1 Kohärenzgefühl (sense of coherence) <strong>–</strong> Stimmigkeit, Verankerung 13<br />

2.5.2 Resilienz - Wi<strong>der</strong>standsfähigkeit 14<br />

2.5.3 Ges<strong>und</strong>heits-Krankheitskontinuum 15<br />

2.5.4 Zusammenfassung 15<br />

3 <strong>Natur</strong> <strong>und</strong> <strong>Mensch</strong> <strong>–</strong> <strong>von</strong> <strong>der</strong> <strong>Wahrnehmung</strong> <strong>idealer</strong> <strong>Landschaften</strong> 16<br />

3.1 Vorstellungen vom Paradies 16<br />

3.2 Biologische Dimensionen des Landschaftserlebnisses 17<br />

3.2.1 Biophilia <strong>–</strong> die gr<strong>und</strong>legende Liebe zum Leben <strong>–</strong> Wilson 18<br />

3.2.2 Prospect-Refuge-Theorie <strong>von</strong> Appleton 18<br />

3.2.3 Savanna <strong>–</strong> Theorie <strong>von</strong> Orians 19<br />

3.3 Soziale Dimension <strong>der</strong> Landschaftsästhetik 19<br />

3.3.1 Typicality-Ansatz <strong>von</strong> Purcell (1992) 19<br />

3.4 Kognitive Theorien <strong>der</strong> Landschaftswahrnehmung 20<br />

3.4.1 Information-Processing-Theorie <strong>von</strong> Rachel <strong>und</strong> Steven Kaplan 20<br />

3.4.2 Attention-Restoration-Theorie, Rachel <strong>und</strong> Steven Kaplan 21<br />

3.5 Zusammenfassung 22<br />

3


4 Wirkungsebenen <strong>von</strong> Garten <strong>und</strong> Pflanzen 23<br />

4.1 Der <strong>Mensch</strong> als bio-psycho-soziales Wesen 23<br />

4.2 Garten <strong>und</strong> <strong>Mensch</strong> als Einheit 26<br />

4.3 <strong>Mensch</strong> <strong>und</strong> Garten im Dialog 27<br />

4.3.1 <strong>Mensch</strong> UND Garten <strong>–</strong> Orientierung <strong>und</strong> Verbindung 28<br />

4.3.2 <strong>Mensch</strong> IM Garten - Sinnliche <strong>Wahrnehmung</strong> <strong>und</strong> Sinn 29<br />

4.3.3 <strong>Mensch</strong> FÜR den Garten - Identität <strong>und</strong> Integration 30<br />

4.3.4 Garten FÜR den <strong>Mensch</strong>en - Aufmerksamkeit <strong>und</strong> Faszination 33<br />

4.3.5 Garten IM <strong>Mensch</strong> - Gärtnerische Haltung <strong>und</strong> gemeinsames Wachsen 34<br />

4.4 Der Garten als Zwischenwelt 35<br />

4.5 Der Innere Garten 37<br />

4.6 Beson<strong>der</strong>e Aspekte <strong>der</strong> Beziehung <strong>Mensch</strong> <strong>–</strong> Pflanze 38<br />

4.6.1 Heilkräuter <strong>und</strong> Pflanzen als spezifische seelische Heilmittel 38<br />

4.6.2 Die heilige Grünkraft - Hildegard <strong>von</strong> Bingen 40<br />

4.6.3 Der Blick ins Grüne 41<br />

4.6.4 Die ges<strong>und</strong>heitsför<strong>der</strong>nde Wirkung <strong>von</strong> Grünpflanzen 41<br />

5 Gartenpädagogik <strong>und</strong> Gartencoaching als Methoden zur Erschließung <strong>der</strong><br />

ges<strong>und</strong>heitsför<strong>der</strong>nden Wirkung 43<br />

5.1 Occupational Performance Modell als Handlungskonzept <strong>der</strong> Ergotherapie 44<br />

5.2 Die Wirkungsebenen <strong>von</strong> Garten <strong>und</strong> <strong>Natur</strong> im Überblick 45<br />

5.3 Transfer <strong>von</strong> <strong>der</strong> Pathogenese in die Salutogenese 46<br />

6 Handlungsfel<strong>der</strong> für den ges<strong>und</strong>heitsför<strong>der</strong>nden Einsatz des Mediums Garten bei<br />

ges<strong>und</strong>en <strong>Mensch</strong>en 47<br />

6.1 Freizeitgärtnern in Gemeinschaftsgärten för<strong>der</strong>n (community gardening) 48<br />

6.2 Freiwilliges Gärtnern ermöglichen (voluntary gardening) 49<br />

6.3 Gärtnern als Erfahrungsfeld für Kin<strong>der</strong> anbieten 51<br />

6.4 Etablierung <strong>von</strong> Betriebs- <strong>und</strong> Bürogärten 53<br />

6.5 Indoorbegrünung in <strong>der</strong> Arbeitswelt 54<br />

7 Zusammenfassung 56<br />

8 Literaturverzeichnis 60<br />

4


1 Einleitung<br />

Si hortum cum bibliotheca habes, nihil deerit.<br />

(Wer einen Garten hat mit einer Bibliothek, dem wird es an nichts fehlen)<br />

Cicero<br />

Zwei bestimmende Lebenserfahrungen haben mich motiviert, mich intensiv mit <strong>der</strong><br />

Wirkung <strong>von</strong> Pflanzen, Garten, Landschaft <strong>und</strong> <strong>Natur</strong> auf das Erleben <strong>von</strong> <strong>Mensch</strong>en zu<br />

beschäftigen.<br />

Es ist dies meine jahrzehntelange berufliche Erfahrung als Beraterin <strong>und</strong> Managerin <strong>von</strong><br />

innovativen Projekten <strong>der</strong> endogenen Regionalentwicklung sowie meine traumatische<br />

Erfahrung, meinen persönlichen Garten <strong>von</strong> heute auf morgen zu verlieren.<br />

Diese beiden Erfahrungsstränge bildeten meine Motivation zur Weiterbildung als<br />

akademische Expertin für Gartentherapie, sie prägen auch das Thema meiner<br />

abschließenden Projektarbeit, bilden den Fokus meiner zentralen Fragestellung: Wenn im<br />

Kontext <strong>der</strong> Behandlung medizinisch-diagnostizierter Krankheiten eine heilsame, die<br />

Ges<strong>und</strong>ung för<strong>der</strong>nde Wirkung <strong>von</strong> Garten <strong>und</strong> Gärtnern besteht, können daraus auch<br />

Rückschlüsse für die För<strong>der</strong>ung <strong>und</strong> Entwicklung <strong>von</strong> Ges<strong>und</strong>heit allgemein gezogen<br />

werden? Was ist das ges<strong>und</strong>heitsför<strong>der</strong>nde Potential des Gartens <strong>und</strong> wie kann es für<br />

„ges<strong>und</strong>e“ <strong>Mensch</strong>en ihre Ges<strong>und</strong>heit erhaltend <strong>und</strong> erweiternd genutzt werden?<br />

Bei meiner Suche nach innovativen Ansätzen für eine nachhaltige Entwicklung des<br />

ländlichen Raums kam mir 1996/7 immer wie<strong>der</strong> Garten als mögliches Leitthema in den<br />

Sinn. Zu diesem Zeitpunkt ließ sich für mich beobachten, dass sich hier ein trendiges<br />

Segment für Freizeit <strong>und</strong> Erholung herausbilden könnte, was inzwischen mit auch<br />

wirtschaftlich relevanten Daten <strong>und</strong> Fakten belegbar ist.<br />

Die Beispielssuche führte mich zu Entwicklungen in an<strong>der</strong>en Län<strong>der</strong>n <strong>und</strong> zu aktuellen<br />

Ansätzen vor Ort. Eine erste Studie zur touristischen Relevanz besucherorientierter<br />

Schaugärten überzeugte wichtige Akteure <strong>von</strong> den Chancen <strong>und</strong> gab mir den Freiraum,<br />

5


mich professionell mit <strong>der</strong> Entwicklung touristisch relevanter Schaugärten <strong>und</strong><br />

Themenparks zu beschäftigen.<br />

Über Jahre entwickelte sich daraus Österreichs erste touristische Angebots- <strong>und</strong><br />

Marketingkooperation <strong>–</strong> die Kamptalgärten <strong>–</strong> <strong>und</strong> in Folge als Höhepunkt das Festival <strong>der</strong><br />

Gärten 2006. Bei all diesen Aktivitäten im Kamptal, aber auch darüber hinaus, konnte ich<br />

beobachten, mit welchem Eifer, glühenden Wangen <strong>und</strong> leuchtenden Augen, mit welch<br />

glücklichen Gesichtern sich <strong>Mensch</strong>en beteiligten, wenn es um Gärtnern <strong>und</strong> ihre<br />

Gartenerlebnisse ging. Garten tut gut, das war offensichtlich, <strong>und</strong> für mich stellte sich<br />

immer öfter die Frage des Warum. Was suchen <strong>Mensch</strong>en, wenn sie Gärten besuchen <strong>und</strong><br />

was suchen <strong>und</strong> finden <strong>Mensch</strong>en, wenn sie selber gärtnern?<br />

Die individuellen Facetten <strong>der</strong> Wirkung <strong>von</strong> Garten <strong>und</strong> <strong>Natur</strong> konnte ich auch an mir<br />

beobachten <strong>und</strong> in Ansätzen beantworten, was wie wirkt. Bereits in meiner Kindheit habe<br />

ich neben <strong>der</strong> Pflege meines eigenen Beetes alle mir aufgetragenen Arbeiten im Garten<br />

mit Freude erledigt, <strong>und</strong> mich dabei aufgehoben, nützlich <strong>und</strong> zufrieden gefühlt. Ich habe<br />

bisher v. a. diese frühen Erfahrungen als Quelle meiner Sehnsucht nach Garten <strong>und</strong> <strong>Natur</strong><br />

interpretiert.<br />

Bei <strong>der</strong> Suche nach einem festen Wohnsitz, <strong>der</strong> „Verwurzelung“ an einem längerfristigen<br />

Lebensort, wollte ich unbedingt daran anknüpfen. Als es dann mit 30 Jahren soweit war,<br />

begann ich, trotz Großbaustelle für die Hausrenovierung, zeitgleich mit <strong>der</strong> Anlage <strong>der</strong><br />

ersten Gemüse- <strong>und</strong> Blumenbeete, schützte meine jungen Pflanzungen vor dem „Zugriff“<br />

<strong>der</strong> Bauarbeiter <strong>und</strong> <strong>der</strong>en ungestümen Maschinen. Immer, wenn mir auf <strong>der</strong> Baustelle<br />

etwas zuviel wurde, ging ich kurz in den Garten <strong>und</strong> dann ging es wie<strong>der</strong>.<br />

Nach 10 Jahren Freude <strong>und</strong> Stärkung am Wachsen <strong>und</strong> Gedeihen war die plötzliche<br />

Zerstörung dieses Lebensraumes durch die Flutkatastrophe am Kamp im Sommer 2002<br />

eine traumatische Erfahrung. Mehr als <strong>der</strong> Verlust des Hauses als Wohn- <strong>und</strong> Arbeitsort<br />

setzte mir <strong>der</strong> Verlust meiner Bibliothek <strong>und</strong> die Schlammwüste im Garten zu. Mein erster<br />

<strong>und</strong> lang anhalten<strong>der</strong> Impuls war, dass ich nie wie<strong>der</strong> gärtnern werde können <strong>und</strong> damit<br />

<strong>der</strong> Garten als Ort des Friedens <strong>und</strong> <strong>der</strong> Freude auf immer verloren ist.<br />

Die Lähmung saß tief, mich lösen <strong>und</strong> haltlos weinen konnte ich erst, als ich im folgenden<br />

Frühjahr merkte, dass die großen, alten Nussbäume nicht mehr austreiben werden. Mir<br />

wurde bewusst, dass meine Lebensspanne nicht mehr reichen wird, um selber einen Baum<br />

zu pflanzen <strong>und</strong> zu dieser Größe heranwachsen zu sehen. Ich erinnerte mich an die<br />

Aussage eines passionierten Baumk<strong>und</strong>lers, <strong>der</strong> noch knapp vor seinem Tod junge Bäume<br />

pflanzte <strong>und</strong> damit ein Zeichen für die Nachwelt setzte. Vielleicht gerade deswegen<br />

begann ich dann wie<strong>der</strong> mit wachsen<strong>der</strong> Zuwendung den Garten in meine Hände zu<br />

6


nehmen. Heute bin ich mit dem Ort <strong>und</strong> seinen Ereignissen versöhnt <strong>und</strong> es ist vor allem<br />

<strong>der</strong> Garten <strong>und</strong> seine permanente Vergänglichkeit, die mir half, mich auf eine neue,<br />

dynamische, offenere Weise wie<strong>der</strong> zu verankern.<br />

Nicht nur mein eigener Garten, son<strong>der</strong>n <strong>der</strong> Garten an sich, die Gespräche mit<br />

Gärtnerinnen <strong>und</strong> Gärtnern, <strong>der</strong> Besuch an<strong>der</strong>er Gärten, die Beschäftigung mit<br />

Gartengeschichte, die schriftlichen Erzählungen <strong>von</strong> <strong>und</strong> über Gartenmenschen <strong>–</strong> all das<br />

hat mich über die Jahre in einer f<strong>und</strong>amentalen Überzeugung gefestigt. Garten ist sowohl<br />

Ressource <strong>der</strong> täglichen Ges<strong>und</strong>ung, Quelle <strong>der</strong> Freude <strong>und</strong> des Glücks, <strong>von</strong> Trost,<br />

Hoffnung, Fortschritt <strong>und</strong> Zuversicht in Krisenzeiten, als auch Überfor<strong>der</strong>ungspotential,<br />

Schmerz <strong>und</strong> Angst.<br />

Es kommt also darauf an, wie diese Beziehung zwischen <strong>Mensch</strong> <strong>und</strong> Garten gestaltet ist<br />

<strong>und</strong> gelebt wird, damit sie ein ges<strong>und</strong>heitsdienliches Potential entfalten kann. Damit<br />

beschäftigt sich meine Projektarbeit in mehreren Annäherungen.<br />

Im ersten Schritt habe ich mich mit aktuellen Gr<strong>und</strong>lagen zum Verständnis <strong>von</strong> Krankheit<br />

<strong>und</strong> Ges<strong>und</strong>heit auseinan<strong>der</strong>gesetzt. Das noch junge Konzept <strong>der</strong> Salutogenese erhellte<br />

meine gr<strong>und</strong>sätzliche Fragestellung, was Ges<strong>und</strong>heit, diese för<strong>der</strong>nd <strong>und</strong> erhaltend ist.<br />

Im zweiten Schritt habe ich jene Informationen aus den diversen Vorlesungen <strong>und</strong><br />

gartentherapeutischen Disziplinen <strong>und</strong> <strong>der</strong> dafür verwendeten o<strong>der</strong> empfohlenen Literatur<br />

(Theorien, Thesen, Beobachtungen, empirische Bef<strong>und</strong>e) zusammen geführt, die<br />

gr<strong>und</strong>sätzliche Rückschlüsse auf die Wirkungsebenen <strong>von</strong> Garten (Pflanze-<strong>Natur</strong>-<br />

Landschaft) ermöglichen. Ausgehend <strong>von</strong> den evolutionsbiologischen Thesen <strong>der</strong><br />

unmittelbaren <strong>und</strong> unbewussten Wirkung bestimmter <strong>Landschaften</strong> <strong>und</strong> Gartenelemente<br />

suchte ich des weiteren nach Wirkungsebenen, die sich mehrheitlich erst durch das<br />

angeleitete, zielorientierte Zusammenwirken <strong>von</strong> <strong>Mensch</strong> <strong>und</strong> Garten erschließen.<br />

Der abschließende Schritt ist die For<strong>der</strong>ung nach mehr <strong>und</strong> entsprechend vermittelten<br />

Gartenerfahrungen in zentralen Handlungsfel<strong>der</strong>n des Alltags ges<strong>und</strong>er <strong>Mensch</strong>en. Ich<br />

skizziere dazu einige innovative Möglichkeiten anhand beispielhafter Aktivitäten <strong>und</strong><br />

Erfahrungen aus den Bereichen Freizeit <strong>und</strong> Erholung, Bildung <strong>und</strong> Beruf.<br />

7


2 Aktuelle Konzepte zur Ges<strong>und</strong>heitsför<strong>der</strong>ung <strong>und</strong><br />

Ges<strong>und</strong>heitserhaltung<br />

Das teuerste auf <strong>der</strong> Erde ist das Leben<br />

Laozi, 500 v. Chr.<br />

Für den Transfer <strong>von</strong> Aktivitäten, Erfahrungen <strong>und</strong> Erlebnissen zwischen den beiden<br />

Einsatzgebieten des Mediums Garten <strong>–</strong> therapeutisch <strong>und</strong> allgemein ges<strong>und</strong>heitsför<strong>der</strong>nd <strong>–</strong><br />

ist es mir wichtig, im ersten Teil meiner Arbeit einen kurzen Überblick zum Verständnis<br />

<strong>der</strong> zugr<strong>und</strong>e liegenden Begriffspaare Krankheit versus Ges<strong>und</strong>heit sowie zu Therapie <strong>und</strong><br />

Ges<strong>und</strong>heitsför<strong>der</strong>ung zu geben.<br />

2.1 Therapie - ein Begriff im Wandel<br />

Ein Blick in die Geschichte zeigt, dass Medizin in vielen Kulturen <strong>und</strong> Epochen ihrer<br />

Entwicklung keineswegs nur auf Krankheit reduziert war, son<strong>der</strong>n ebenso für Ges<strong>und</strong>heit<br />

zuständig. Am bekanntesten ist wohl die Tradition <strong>der</strong> chinesischen Medizin, wo ein Arzt<br />

nur solange bezahlt wurde, wie es ihm gelang, die Ges<strong>und</strong>heit seiner Klienten zu erhalten.<br />

Seit 3000 Jahren ist das System <strong>der</strong> Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM) auf<br />

Ges<strong>und</strong>erhaltung aufgebaut. Als therapeutische Methoden werden Akupunktur, Kräuter,<br />

Bewegung <strong>und</strong> Ernährung sowie geistige Übungen eingesetzt. Das zugr<strong>und</strong>e liegende<br />

Modell <strong>der</strong> Ges<strong>und</strong>heit ist ein ganzheitlich-philosophisches, das im Taoismus wurzelt. Die<br />

Beobachtung <strong>der</strong> <strong>Natur</strong> <strong>und</strong> das Verstehen kosmischer Zusammenhänge bringen<br />

körperliche Funktionen mit <strong>der</strong> gesamten Umwelt in Verbindung. Aus <strong>der</strong> Lehre <strong>von</strong> <strong>der</strong><br />

Wandlung, die besagt, dass es im ganzen Kosmos keinen statischen Zustand gibt, lässt<br />

sich Ges<strong>und</strong>heit als Herstellung <strong>und</strong> Erhaltung des Gleichgewichtes all dieser Kräfte<br />

umschreiben, zusammengefasst im Denkmodell des Gleichgewichts <strong>von</strong> Substanz (Yin)<br />

<strong>und</strong> Energie (Yang), auf <strong>der</strong> alles Leben basiert.<br />

In <strong>der</strong> westlichen Philosophie definierte Platon Therapie am menschlichen Körper als<br />

Medizin <strong>und</strong> Gymnastik. Mit Gymnastik sind Ges<strong>und</strong>heit verbessernde, präventive<br />

Maßnahmen gemeint. Auch in <strong>der</strong> antiken Heilkunst ist das Ziel noch die Erhaltung o<strong>der</strong><br />

Wie<strong>der</strong>herstellung <strong>von</strong> Ges<strong>und</strong>heit. Die Antike benennt dazu drei Behandlungsformen:<br />

Diätetik als gesamte Lebensweise (nicht nur Ernährung), Pharmazeutik als Anwendung<br />

<strong>von</strong> schamanischen <strong>und</strong> magischen Praktiken <strong>und</strong> die Chirurgie als Noteingriffe in den<br />

Körper.<br />

8


Vom Wortursprung <strong>und</strong> seiner Bedeutung heißt das, aus dem griechischen entnommene<br />

„therapeía“, Dienst, Aufwartung, Aufmerksamkeit erweisen. Es war vorerst keineswegs<br />

auf medizinisches o<strong>der</strong> heilendes Handeln begrenzt, son<strong>der</strong>n wurde auch im<br />

Zusammenhang mit Religion o<strong>der</strong> Krieg verwendet. Erst im Mittelalter entstand für<br />

Therapie die Eingrenzung einer Dienstleistung, die dem Patienten vom Arzt erbracht wird.<br />

Mit <strong>der</strong> Wandlung im Medizinverständnis erfuhr auch <strong>der</strong> Therapiebegriff wie<strong>der</strong> eine<br />

Erweiterung <strong>von</strong> <strong>der</strong> kurativen Therapie zu einer ganzheitlichen <strong>–</strong> einerseits Ges<strong>und</strong>heit<br />

erhaltenden <strong>und</strong> an<strong>der</strong>erseits Krankheit beseitigenden <strong>–</strong> Bedeutung. Therapie i. e. Sinn<br />

kann als Heilung (manifester) Krankheiten gesehen werden, i. w. Sinn als Erhaltung <strong>und</strong><br />

Wie<strong>der</strong>herstellung <strong>von</strong> Ges<strong>und</strong>heit.<br />

2.2 Ges<strong>und</strong>heit<br />

1946 definierte die Weltges<strong>und</strong>heitsorganisation (World Health Organisation <strong>–</strong> WHO) in<br />

ihrer Verfassung Ges<strong>und</strong>heit als Zustand vollkommenen körperlichen, geistigen <strong>und</strong><br />

seelischen Wohlbefindens <strong>und</strong> nicht nur das Freisein <strong>von</strong> Krankheit o<strong>der</strong> Gebrechen<br />

(„Health is a state of complete physical, mental and social well-being and not merely the<br />

absence of disease or infirmity“). Ges<strong>und</strong>heit wird hier noch als Zustand <strong>und</strong> nicht als<br />

Prozess beschrieben.<br />

Nach heutigem Verständnis lassen sich die Determinanten <strong>von</strong> Ges<strong>und</strong>heit in drei große<br />

Bereiche zusammenfassen:<br />

+ Sozioökonomische Faktoren <strong>und</strong> umweltbedingte Verhältnisse<br />

+ Lebensweisen <strong>und</strong> Lebensstile<br />

+ Individuelle Faktoren <strong>–</strong> Alter, Geschlecht, erbliche Anlagen<br />

Dieses Verständnis <strong>von</strong> Ges<strong>und</strong>heit wurde bei <strong>der</strong> 1. internationalen WHO-Konferenz zur<br />

Ges<strong>und</strong>heitsför<strong>der</strong>ung in Ottawa 1986 <strong>und</strong> zuletzt 1997 in <strong>der</strong> 4., <strong>der</strong> sogenannten Jakarta-<br />

Konferenz ausdifferenziert.<br />

In <strong>der</strong> Ottawa-Charta 1986 heißt es unter an<strong>der</strong>em:<br />

„Ges<strong>und</strong>heit wird <strong>von</strong> <strong>Mensch</strong>en in ihrer alltäglichen Umwelt geschaffen <strong>und</strong> gelebt: dort,<br />

wo sie spielen, lernen, arbeiten <strong>und</strong> lieben. Ges<strong>und</strong>heit entsteht dadurch, dass man sich<br />

um sich selbst <strong>und</strong> für an<strong>der</strong>e sorgt, dass man in die Lage versetzt ist, selber<br />

Entscheidungen zu fällen <strong>und</strong> eine Kontrolle über die eigenen Lebensumstände auszuüben<br />

sowie dadurch, dass die Gesellschaft in <strong>der</strong> man lebt, Bedingungen herstellt, die allen<br />

ihren Bürgern Ges<strong>und</strong>heit ermöglicht.“<br />

(Quelle: www.fgoe.org)<br />

9


Im Jakarta-Dokument 1997 wird <strong>der</strong> Ges<strong>und</strong>heitsbegriff noch weiter gefasst. Als<br />

Gr<strong>und</strong>voraussetzungen für Ges<strong>und</strong>heit sind Frieden, Unterkunft, Bildung, soziale<br />

Sicherheit, soziale Beziehungen, Nahrung, Einkommen, Handlungskompetenzen <strong>von</strong><br />

Frauen, stabiles Ökosystem, nachhaltige Nutzung <strong>von</strong> Ressourcen, soziale Gerechtigkeit,<br />

die Achtung <strong>der</strong> <strong>Mensch</strong>enrechte <strong>und</strong> die Chancengleichheit genannt.<br />

(www.who-tag.de/2002themen_jakarta.htm)<br />

Die Ges<strong>und</strong>heitsför<strong>der</strong>ung zielt damit auf jene Faktoren ab, die verän<strong>der</strong>t <strong>und</strong> beeinflusst<br />

werden können. Es geht dabei um einen Prozess, <strong>der</strong> <strong>Mensch</strong>en befähigen soll, mehr<br />

Kontrolle über ihre Ges<strong>und</strong>heit zu erlangen <strong>und</strong> sie zu verbessern. Damit wurde seitens<br />

des WHO ein Handlungsrahmen <strong>und</strong> Handlungsansätze für Maßnahmen zur<br />

Ges<strong>und</strong>heitsför<strong>der</strong>ung zu Beginn des 21. Jahrh<strong>und</strong>erts erarbeitet <strong>und</strong> den Mitgliedsstaaten<br />

zur Umsetzung empfohlen.<br />

2.3 Krankheit versus Ges<strong>und</strong>heit<br />

Seit Beginn <strong>der</strong> <strong>Natur</strong>wissenschaften suchte die westliche Medizin mehrheitlich nach<br />

einer kausalen Ursache für Krankheiten, die dann erfolgreich behandelt, bzw. eliminiert<br />

werden können. Krankheit muss sich also diagnostizieren, an Erscheinungsformen<br />

erkennen <strong>und</strong> benennen lassen. Dafür gibt es ein international angewandtes,<br />

ausdifferenziertes System, schriftlich gefasst im ICD 10 (International Statistical<br />

Classification of Diseases and Related Health Problems, 10. Revision).<br />

Der Soziologe Ivan Illich hat bereits in den 70iger Jahren des 20. Jahrh<strong>und</strong>erts in seinem<br />

Buch „Die Nemesis <strong>der</strong> Medizin“ die etablierte institutionalisierte Medizin als eine Gefahr<br />

für die Ges<strong>und</strong>heit bezeichnet <strong>und</strong> <strong>von</strong> einem krankmachenden medizinischen Fortschritt<br />

im folgenden Sinn gesprochen: Der Verlust bzw. die Vernichtung traditioneller<br />

Heilmethoden gepaart mit <strong>der</strong> Fokussierung auf die Wirkung industriell erzeugter<br />

Pharmazie <strong>und</strong> technischer Apparaturen, die bei Krankheit verfügbar sind, hat den<br />

<strong>Mensch</strong>en zunehmend <strong>von</strong> seiner individuellen Verantwortung für die Ges<strong>und</strong>heit befreit.<br />

In diesem Verlust an Selbstverantwortung liegt die Gefahr des aktuellen Medizinsystems.<br />

Das Verständnis für Ges<strong>und</strong>heitsför<strong>der</strong>ung basierend auf einer ganzheitlichen, komplexen<br />

Betrachtung <strong>der</strong> Ursachen <strong>und</strong> Gr<strong>und</strong>lagen menschlicher Ges<strong>und</strong>heit (resp. Krankheit) ist<br />

<strong>der</strong>zeit erst wie<strong>der</strong> im Entstehen.<br />

10


2.4 Ges<strong>und</strong>heitsför<strong>der</strong>ung<br />

Die junge Teilwissenschaft <strong>der</strong> Verhaltensmedizin beleuchtet daher Ges<strong>und</strong>heit im<br />

Kontext einer biopsychosozialen Sichtweise. Wenn sowohl die Verhältnisse, in denen wir<br />

leben, als auch unser Verhalten uns ges<strong>und</strong> o<strong>der</strong> krank machen können, ist es Kernaufgabe<br />

<strong>der</strong> Ges<strong>und</strong>heitsför<strong>der</strong>ung, Einzelne <strong>und</strong> Gemeinschaften darin zu stärken, mehr Wissen<br />

<strong>und</strong> Kontrolle über die dafür bestimmenden Faktoren zu gewinnen.<br />

Es geht dabei um das Aufspüren <strong>und</strong> Stärken ges<strong>und</strong>heitsför<strong>der</strong>n<strong>der</strong> Ressourcen o<strong>der</strong><br />

heilsamer Kraftquellen (salutary resources) als Gr<strong>und</strong>lage für ein bio-psycho-soziales (<strong>und</strong><br />

wie ich ergänzen möchte spirituelles) Wohlbefinden des <strong>Mensch</strong>en.<br />

Damit sind soziale <strong>und</strong> persönliche Mittel <strong>und</strong> Möglichkeiten gemeint, die bei <strong>der</strong><br />

Bewältigung <strong>von</strong> Lebensaufgaben (Situationen <strong>und</strong> Problemen) helfen. Diese geben Kraft,<br />

mit Verän<strong>der</strong>ungen zu leben bzw. diese bei Bedarf auch aktiv herbeizuführen.<br />

Persönliche o<strong>der</strong> interne Ressourcen sind z.B. ein positives Selbstwertgefühl, ein stabiles<br />

Immunsystem, Kompetenzen (life-skills) wie Kommunikations-, Beziehungs- <strong>und</strong><br />

Konfliktfähigkeit, Stressmanagement. Soziale <strong>und</strong> umweltbezogene o<strong>der</strong> externe<br />

Ressourcen sind z. B. soziale Netzwerke, sichere Arbeits- <strong>und</strong> Lebensbedingungen,<br />

Zugang zu ges<strong>und</strong>heitlicher Gr<strong>und</strong>versorgung.<br />

Ges<strong>und</strong>heitsför<strong>der</strong>ung ist damit Teil des täglichen Lebens, im Alltag, in Freizeit <strong>und</strong> Beruf<br />

wie auch in Erziehung <strong>und</strong> Bildung. Es geht daher um Lebenswelten, die einerseits sichere<br />

<strong>und</strong> befriedigende Arbeits- <strong>und</strong> Lebensbedingungen herstellen, an<strong>der</strong>erseits um die<br />

Erhaltung <strong>der</strong> natürlichen, begrenzten Ressourcen <strong>der</strong> einen unseren Welt.<br />

Erstmals <strong>und</strong> umfassend ausgeführt ist diese Sichtweise im Konzept <strong>der</strong> Salutogenese, das<br />

auf Aaron Antonovsky zurückgeht. Salutogenese steht für individuelle<br />

Ressourcenaktivierung <strong>und</strong> Kompetenzerweiterung. Es integriert klinisch-kurative<br />

Dimensionen mit biologischen, psychischen, sozialen <strong>und</strong> ökologischen Aspekten.<br />

Wie Antonovsky zu seinen Erkenntnissen kam <strong>und</strong> was mit dieser neuen Sichtweise<br />

gemeint ist, möchte ich im Folgenden kurz erläutern.<br />

11


2.5 Salutogenese <strong>–</strong> als Konzept <strong>von</strong> „Ges<strong>und</strong>heitserzeugung“<br />

Eine neue wissenschaftliche Wahrheit pflegt sich nicht in <strong>der</strong> Weise durchzusetzen,<br />

dass ihre Gegner überzeugt werden, son<strong>der</strong>n vielmehr dadurch,<br />

dass diese allmählich aussterben<br />

<strong>und</strong> die heranwachsende Generation<br />

mit <strong>der</strong> neuen Wahrheit <strong>von</strong> vornherein vertraut ist.<br />

Max Planck<br />

Die klassische Medizin <strong>und</strong> das daraus folgende Ges<strong>und</strong>heitsverständnis war bis vor r<strong>und</strong><br />

zwei Jahrzehnten geprägt <strong>von</strong> <strong>der</strong> Suche <strong>und</strong> Bekämpfung Krankheit verursachen<strong>der</strong><br />

Faktoren. Das vom israelitisch-amerikanischen Medizinsoziologen Aaron Antonovsky<br />

(1923-1994) entwickelte Konzept <strong>der</strong> Salutogenese (wörtlich: Ges<strong>und</strong>heits-Erzeugung)<br />

läutete durch seine Fokussierung auf die Frage nach Ges<strong>und</strong>heit för<strong>der</strong>nden <strong>und</strong><br />

Ges<strong>und</strong>heit erhaltenden Faktoren einen Paradigmenwechsel ein. Dem primär pathogen<br />

orientierten medizinischen Denkmodell wurde mit <strong>der</strong> Bezeichnung salutogen ein<br />

positivistisch geprägtes, ganzheitliches Denkmodell <strong>der</strong> Ressourcenorientierung<br />

gegenübergestellt.<br />

Zugang zu diesem neuen Verständnis fand Antonovsky im Zuge seiner<br />

Forschungsarbeiten zu ethnischen Unterschieden in <strong>der</strong> Verarbeitung <strong>der</strong> Menopause bei<br />

in Israel lebenden Frauen. Darunter befanden sich auch Frauen, die in<br />

nationalsozialistischen Konzentrationslagern überlebt hatten <strong>und</strong> anschließend im<br />

unsicheren Israel, in einem Land mit drei Kriegen lebten, also unter äußerst schwierigen<br />

<strong>und</strong> unsicheren Bedingungen.<br />

Dies führte ihn zu <strong>der</strong> f<strong>und</strong>amental an<strong>der</strong>en Fragestellung, wie es einem Teil dieser Frauen<br />

(r<strong>und</strong> 30%) gelang, trotz <strong>der</strong> enormen Belastung nicht krank zu werden <strong>und</strong> das eigene<br />

Leben sinnvoll zu finden. In weiterer Folge konzentrierte er seine Forschungen <strong>von</strong><br />

vornherein auf das, was den <strong>Mensch</strong>en in Krisenzeiten <strong>und</strong> bei Verän<strong>der</strong>ungen, selbst<br />

unter widrigsten Bedingungen, ges<strong>und</strong> hält.<br />

Antonovsky verdeutlichte sein dabei über all die Jahre entwickeltes Konzept <strong>der</strong><br />

Salutogenese, den Bedingungen <strong>der</strong> Ges<strong>und</strong>heitserzeugung, mit folgen<strong>der</strong> frei wie<strong>der</strong><br />

gegebener Metapher:<br />

„<strong>Mensch</strong>en befinden sich ihr Leben lang an den unbefestigten Ufern eines Flusses, <strong>der</strong><br />

neben ruhigen Passagen auch gefährliche Biegungen <strong>und</strong> Stromschnellen enthält. Früher<br />

o<strong>der</strong> später fallen sie in diesen Fluss <strong>und</strong> werden vom medizinischen System in <strong>der</strong> Form<br />

gerettet, dass sie aus dem Fluss zurück ans Ufer gezogen werden. Dabei werden sie<br />

12


jedoch we<strong>der</strong> davor geschützt, wie<strong>der</strong> in den Fluss hineinzufallen, noch in die Lage<br />

versetzt sich aus eigener Kraft helfen zu können. Das Konzept <strong>der</strong> Salutogenese hingegen<br />

verfolgt das Ziel den <strong>Mensch</strong>en Schwimmunterricht zu erteilen, um sie so in die Lage zu<br />

versetzen sich langfristig aus eigener Kraft helfen zu können“.<br />

Dem Konzept <strong>der</strong> Salutogenese liegen einige zentrale Erkenntnisse zugr<strong>und</strong>e, die<br />

Antonovsky unter folgenden zentralen Begriffen zusammenfasste:<br />

Kohärenzgefühl<br />

Resilienz<br />

Ges<strong>und</strong>heit-Krankheit-Kontinuum<br />

2.5.1 Kohärenzgefühl (sense of coherence) <strong>–</strong> Stimmigkeit, Verankerung<br />

Das Kohärenzgefühl als Ges<strong>und</strong>heit bestimmen<strong>der</strong> Faktor lässt sich beschreiben als<br />

„… eine globale Orientierung, die das Maß ausdrückt, in welchem Umfang man ein<br />

generalisiertes, überdauerndes aber dynamisches Gefühl des Vertrauens hat, dass die<br />

eigene innere <strong>und</strong> externe Umwelt vorhersagbar ist <strong>und</strong> dass es eine hohe<br />

Wahrscheinlichkeit gibt, dass sich die Dinge so entwickeln werden, wie vernünftigerweise<br />

erwartet werden kann“.<br />

(Antonovsky, 1997, S. 16)<br />

Dieses Kohärenz-Gefühl setzt sich zusammen aus<br />

+ Verstehbarkeit (comprehensibility) <strong>–</strong> hilft uns deuten<br />

Ereignisse werden als geordnet <strong>und</strong> kontrollierbar wahrgenommen<br />

+ Handhabbarkeit (manageability) <strong>–</strong> hilft uns handeln<br />

Es besteht optimistisches Vertrauen darauf, Lebensaufgaben mit Hilfe <strong>von</strong><br />

geeigneten Ressourcen bewältigen zu können<br />

+ Bedeutsamkeit - (meaningfulness) <strong>–</strong> motiviert uns<br />

Das Individuum ist überzeugt, dass das Leben einen Sinn hat. Es sieht<br />

Anfor<strong>der</strong>ungen im Leben als Herausfor<strong>der</strong>ungen im positiven Sinn <strong>und</strong><br />

investiert Engagement in diese Aufgaben<br />

Antonovsky vertrat noch die Ansicht, dass sich dieses Kohärenzgefühl bis etwa zum 30.<br />

Lebensjahr ausbildet <strong>und</strong> dann sozusagen auf Vorrat vorhanden ist. Aktuelle Erkenntnisse,<br />

vor allem aus <strong>der</strong> Neurobiologie, gehen da<strong>von</strong> aus, dass sich das individuelle<br />

13


Kohärenzgefühl als ges<strong>und</strong>heitsför<strong>der</strong>nde <strong>und</strong> Ges<strong>und</strong>heit erhaltende Determinante im<br />

Laufe des menschlichen Lebens <strong>–</strong> als lebenslanger Prozess <strong>–</strong> entwickelt.<br />

Ausgangspunkt ist die Annahme, dass dem <strong>Mensch</strong>en neurobiologisch eine zentrale<br />

Empfindungsfähigkeit für Verb<strong>und</strong>enheit, für inneren <strong>und</strong> äußeren Zusammenhalt, für<br />

Stimmigkeit angeboren ist, das sich im Laufe des Lebens ständig neu aktiviert <strong>und</strong> bildet.<br />

Dies ist so etwas wie ein „inneres Messinstrument“, das uns sagt, ob <strong>und</strong> wie unser<br />

Bedürfnis nach Angenommensein <strong>und</strong> Zugehörigkeit befriedigt wird. Die Gr<strong>und</strong>anlage ist<br />

genetisch, die Ausprägung des Kohärenzgefühls entsteht aber erst durch soziale,<br />

zwischenmenschliche Kommunikation.<br />

„Bei an<strong>der</strong>en Resonanz zu finden, an<strong>der</strong>en selbst Resonanz zu geben <strong>und</strong> zu sehen, dass<br />

sie ihnen etwas bedeutet, ist ein biologisches Gr<strong>und</strong>bedürfnis <strong>–</strong> jedenfalls lässt sich das<br />

für höhere Lebewesen nachweisen. Unser Gehirn ist …neurobiologisch auf gute soziale<br />

Beziehungen geeicht.“<br />

(Bauer, 2005, S. 169)<br />

2.5.2 Resilienz - Wi<strong>der</strong>standsfähigkeit<br />

Damit ist die Wi<strong>der</strong>standsfähigkeit o<strong>der</strong> Anpassungsfähigkeit gegenüber ges<strong>und</strong>heitlichen<br />

Belastungen o<strong>der</strong> Risiken gemeint.<br />

Sie ist vor allem ein Ergebnis <strong>von</strong> Coping-Erfolgen, das heißt Erfahrung aus erfolgreichen<br />

Bewältigungsstrategien. Der Umgang mit Belastungen kann also gelernt werden.<br />

Die aktuelle Resilienzforschung benennt für den „Willen, sich nicht unterkriegen zu<br />

lassen“ sieben wesentliche Merkmale (Huber, 2006, S. 15 ff).<br />

Optimismus („irgendwie werde ich es trotzdem schaffen“)<br />

Akzeptanz („OK, so ist es. Es gefällt mir da teilweise gar nicht, aber es ist so.“)<br />

Lösungsorientierung („was genau wird mir helfen, da herauszukommen?)<br />

Verlassen <strong>der</strong> Opferrolle („Genug gejammert. Es ist schwer, aber ich krempele jetzt<br />

die Ärmel auf“)<br />

Verantwortung übernehmen („Ich entscheide das jetzt so, <strong>und</strong> wenn´s schief geht,<br />

werde ich daraus lernen <strong>und</strong> es das nächste Mal besser machen“)<br />

Netzwerk-Orientierung („Was ich allein nicht schaffe, das schaffen wir zusammen“)<br />

Zukunftsplanung („Die Richtung stimmt. Da geht´s lang“).<br />

14


2.5.3 Ges<strong>und</strong>heits-Krankheitskontinuum<br />

Das Modell <strong>der</strong> Salutogenese geht da<strong>von</strong> aus, dass <strong>der</strong> <strong>Mensch</strong> <strong>–</strong> abhängig <strong>von</strong> seinen<br />

internen <strong>und</strong> externen Ressourcen <strong>–</strong> mehr o<strong>der</strong> weniger ges<strong>und</strong> ist. Antonovsky beschreibt<br />

Ges<strong>und</strong>heit nicht als einen Zustand, son<strong>der</strong>n als einen lebenslangen Prozess. Ges<strong>und</strong>heit<br />

ist also kein fixer Zustand, son<strong>der</strong>n ein ständiger Vorgang, eine ständige Entwicklung des<br />

<strong>Mensch</strong>en auf einen attraktiven Idealzustand <strong>von</strong> „Ges<strong>und</strong>heit“ hin. Der Weg dorthin kann<br />

sehr chaotisch verlaufen. Wir fühlen uns ges<strong>und</strong>, wenn wir uns kohärent fühlen bzw. auf<br />

dem Weg in diese Richtung sind. Wenn wir uns in unserem Leben zu weit <strong>von</strong> diesem<br />

inneren Kohärenzgefühl entfernen, fühlen wir uns gestresst, außerhalb unserer Balance<br />

<strong>und</strong> letztlich krank. Einfluss auf den jeweiligen Status auf dieser Achse des Kontinuums<br />

haben persönliche, soziale <strong>und</strong> umweltbedingte Faktoren.<br />

2.5.4 Zusammenfassung<br />

Das Konzept <strong>der</strong> Salutogenese ist inzwischen eine unverzichtbar gewordene Ergänzung<br />

zum traditionellen, westlichen medizinischen System geworden. Obwohl es sich primär<br />

mit den Gr<strong>und</strong>lagen ges<strong>und</strong>er menschlicher Entwicklung beschäftigt, liefert es auch ein<br />

neues Verständnis <strong>der</strong> Entstehung, Vorbeugung <strong>und</strong> Behandlung <strong>von</strong> Krankheiten. Es<br />

wird nach <strong>der</strong> Bedeutung <strong>der</strong> Erkrankung im aktuellen, individuellen Lebenskontext<br />

gefragt. Krankheit erscheint dabei in einem neuen Licht, auch als Ressource für eine<br />

notwendige Lebensstilän<strong>der</strong>ung.<br />

Da Salutogenese Ges<strong>und</strong>heit nicht als statisch versteht, son<strong>der</strong>n als ein zirkuläres<br />

Kontinuum mit wechselnden Phasen, so sind Erkrankungen gleichzeitig eine Störung wie<br />

auch ein Korrektiv im Lebensprozess ges<strong>und</strong>er Entwicklung. Es ist wie eine Warnlampe,<br />

die uns sagt, dass wir uns zu weit <strong>von</strong> <strong>der</strong> Kohärenz entfernt haben. Daraus entsteht die<br />

Herausfor<strong>der</strong>ung <strong>und</strong> Aufgabe, wie<strong>der</strong> in den näheren Kontakt zu unserer inneren<br />

Verb<strong>und</strong>enheit <strong>und</strong> Stimmigkeit zu finden.<br />

15


3 <strong>Natur</strong> <strong>und</strong> <strong>Mensch</strong> <strong>–</strong> <strong>von</strong> <strong>der</strong> <strong>Wahrnehmung</strong> <strong>idealer</strong><br />

<strong>Landschaften</strong><br />

„Unter allen Freuden stehen jene obenan,<br />

welche uns die tägliche Berührung mit <strong>der</strong> <strong>Natur</strong> erschließt.<br />

Gewöhnt euch daran, jeden Morgen einen Augenblick nach dem Himmel zu sehen,<br />

<strong>und</strong> plötzlich werdet ihr die Luft um euch her spüren,<br />

den Hauch <strong>der</strong> Morgenfrische …“<br />

Hermann Hesse<br />

Der <strong>Mensch</strong> gilt als das höchstentwickelte Wesen <strong>der</strong> <strong>Natur</strong> bzw. <strong>der</strong> Schöpfung.<br />

Wesentlich für sein Überleben <strong>und</strong> Weiterkommen ist dabei <strong>von</strong> Anfang an das<br />

Zusammenwirken mit aller an<strong>der</strong>en unbelebten <strong>und</strong> belebten <strong>Natur</strong>. Theorien, welche<br />

<strong>Natur</strong> o<strong>der</strong> welche Landschaftstypen dafür ideale Voraussetzungen bieten, werden in <strong>der</strong><br />

Fachliteratur zur Landschaftswahrnehmung <strong>und</strong> Landschaftsästhetik behandelt.<br />

Sie bilden eine mögliche Ausgangsbasis im Verständnis für die stärkende <strong>und</strong> damit<br />

ges<strong>und</strong>heitsför<strong>der</strong>nde Wirkung <strong>von</strong> <strong>Natur</strong> (übertragbar auf Garten als Kunst-<strong>Natur</strong>).<br />

Unter diesem Aspekt wurden einige dieser Theorien auch in <strong>der</strong> Einführungsvorlesung<br />

<strong>von</strong> DI Birgit Steininger <strong>und</strong> Andreas Niepel im November 2006 dargestellt. Als weitere<br />

Quelle diente mir ein Vorlesungsskript <strong>von</strong> Marcel Hunziker an <strong>der</strong> ETH Zürich vom<br />

Wintersemester 02/03, dessen Herkunft ich nicht mehr klären konnte. Dieses bezieht sich<br />

seinen Angaben nach auf seine an <strong>der</strong> Eidgenössischen Forschungsanstalt WSL unter dem<br />

Titel „Einstellungen <strong>der</strong> Bevölkerung zur möglichen Landschaftsentwicklungen in den<br />

Alpen“ 2000 publizierte Forschungsarbeit.<br />

3.1 Vorstellungen vom Paradies<br />

In allen Kulturen wird das Paradies als Prototyp eines idealen Lebensraumes gesehen.<br />

In <strong>der</strong> christlichen Bibel heißt es dazu:<br />

„Dann legte Gott, <strong>der</strong> Herr, in Eden, im Osten, einen Garten an <strong>und</strong> setzte dorthin den<br />

<strong>Mensch</strong>en, den er geformt hatte. Gott ließ aus dem Ackerboden allerlei Bäume wachsen,<br />

verlockend anzusehen <strong>und</strong> mit köstlichen Früchten, in <strong>der</strong> Mitte des Gartens aber den<br />

Baum des Lebens <strong>und</strong> <strong>der</strong> Erkenntnis <strong>von</strong> Gut <strong>und</strong> Böse. Ein Strom entspringt in Eden, <strong>der</strong><br />

den Garten bewässert; dort teilt er sich <strong>und</strong> wird zu vier Hauptflüssen.“<br />

(Genesis 2, 8 <strong>–</strong> 11)<br />

16


Auch im Koran finden sich zahlreiche Bezüge zu Garten <strong>und</strong> Landschaft. Das ideale<br />

Paradies wird als ein Garten <strong>der</strong> Freude mit kühlen Quellen <strong>und</strong> Brunnen beschrieben. In<br />

<strong>der</strong> chinesischen <strong>und</strong> später auch in <strong>der</strong> darauf aufbauenden japanischen Mystik ist die<br />

Gartenkunst ebenfalls fest verankert mit <strong>der</strong> Religion, aufbauend auf dem Taoismus.<br />

Der Garten ist das ideale Abbild einer Landschaft, <strong>der</strong>en Wesenselemente wie Wasser <strong>und</strong><br />

Berge symbolisch dargestellt werden. Auch in <strong>der</strong> klassischen griechischen Mythologie<br />

sind Quellen <strong>und</strong> Bäume heilig, sie wurden mit Göttern „personifiziert“.<br />

Die Analyse <strong>von</strong> Texten <strong>und</strong> Darstellungen paradiesischer Szenen verschiedenster<br />

kultureller Epochen führt zu ähnlichen Landschaftselementen, die für den <strong>Mensch</strong>en<br />

offenbar immer bedeutsam sind. Dazu gehören Wasser, Pflanzen <strong>und</strong> Tiere, Schutz<br />

spendende Elemente, guter Ausblick auf die Umgebung.<br />

Was ist nun <strong>der</strong> evolutionsbiologische Sinn dieser Landschaftselemente, d. h. haben sie<br />

einen <strong>und</strong> wenn ja welcher Wettbewerbsvorteil ergbit sich daraus für die menschliche<br />

Entwicklung? Das führt uns zur biologischen Dimension <strong>der</strong> Landschaftsästhetik, den<br />

sogenannten Habitattheorien.<br />

3.2 Biologische Dimensionen des Landschaftserlebnisses<br />

Die sogenannten Habitattheorien gründen sich auf die Entstehungsgeschichte <strong>der</strong><br />

<strong>Mensch</strong>heit (mit Habitat ist lt. Duden <strong>der</strong> Wohnplatz <strong>von</strong> Ur- o<strong>der</strong> Frühmenschen<br />

gemeint). Sie gehen da<strong>von</strong> aus, dass jene <strong>Landschaften</strong> <strong>und</strong> Landschaftselemente am<br />

besten gefallen, welche die urmenschlichen Überlebensbedürfnisse auch am besten<br />

befriedigen können. Diese biologischen Präferenzfaktoren sind instinktiv, also vererbte,<br />

angeborene Reaktionen auf Umweltreize, welche <strong>der</strong> Befriedigung biologischer <strong>und</strong><br />

psychologischer Gr<strong>und</strong>bedürfnisse dienen. Da sie unbewusst sind, sind sie kaum<br />

verän<strong>der</strong>bar. Im Laufe des Lebens kommen sozial <strong>und</strong> kulturell geprägte Bil<strong>der</strong> hinzu.<br />

Andreas Niepel bezieht sich auf Ulrich Gebhard. In dessen Buch „Kind <strong>und</strong> <strong>Natur</strong>“,<br />

welches als ökopsychologisches Gr<strong>und</strong>lagenwerk angesehen wird, wird mit <strong>der</strong><br />

Übertragung <strong>der</strong> gesamten Spanne <strong>der</strong> bisherigen <strong>Mensch</strong>heitsgeschichte auf ein<br />

durchschnittliches <strong>Mensch</strong>enleben eine mögliche Begründung gegeben, warum diese<br />

Erfahrungen über o<strong>der</strong> nach so langer Zeit noch so wirksam sind. Bildet man demnach die<br />

gesamte <strong>Mensch</strong>heitsgeschichte auf einer 70-jährigen Person ab, dann ist unsere jetzige,<br />

nach-industrielle Welt gerade mal ein paar Minuten alt, also kaum wahrnehmbar <strong>und</strong><br />

genetisch sicher nicht wirksam. All die Jahrmillionen davor sind evolutionsgeschichtlich<br />

betrachtet prägend.<br />

17


3.2.1 Biophilia <strong>–</strong> die gr<strong>und</strong>legende Liebe zum Leben <strong>–</strong> Wilson (1984)<br />

Auch diese Theorie gibt einen Hinweis, wieso (überschaubare <strong>und</strong> gezähmte) <strong>Natur</strong> vom<br />

<strong>Mensch</strong>en in vielen Facetten als aufbauend, entspannend, nicht überfor<strong>der</strong>nd etc.<br />

wahrgenommen wird. Biophilia bedeutet wörtlich Liebe zum Leben (philias im Gegensatz<br />

zu phobias = Ängsten <strong>und</strong> Aversionen, die <strong>Mensch</strong>en zu Dingen in <strong>der</strong> <strong>Natur</strong> auch haben).<br />

Dieser Begriff wurde erstmals <strong>von</strong> Erich Fromm verwendet, um eine psychologische<br />

Orientierung des <strong>Mensch</strong>en zu umschreiben, die <strong>von</strong> allem angezogen ist, was lebendig<br />

<strong>und</strong> vital ist.<br />

In seinem Buch „Biophilia“ greift Edward O. Wilson diesen Begriff auf <strong>und</strong> unterstellt<br />

eine genetische Affinität zur <strong>Natur</strong>, zum Lebendigen <strong>–</strong> ein angeborenes instinktives<br />

positives Band zwischen dem <strong>Mensch</strong>en <strong>und</strong> an<strong>der</strong>en Lebewesen, lebendigen Systemen.<br />

Lebende Organismen helfen an<strong>der</strong>en, die nicht ihren genetischen DNA-Code tragen.<br />

Domestizierte Haustiere <strong>und</strong> Pflanzen können daher den <strong>Mensch</strong>en dazu anregen, für sie<br />

zu sorgen. Unsere natürliche Liebe zum Leben hilft Lebendiges zu erhalten.<br />

(www.wil<strong>der</strong>dom.com/evolution/BiophiliaHypothesis.html<br />

http://en.wikipedia.org/wiki/Biophilia)<br />

3.2.2 Prospect-Refuge-Theorie <strong>von</strong> Appleton (1975, erweitert 1995)<br />

Es ist dies eine allgemeine Theorie, dass <strong>der</strong> <strong>Mensch</strong> jene <strong>Landschaften</strong> präferiert, die<br />

seine biologischen Gr<strong>und</strong>bedürfnisse am besten befriedigen. Diese werden bereits mit <strong>der</strong><br />

Kurzbezeichnung <strong>der</strong> Theorie auf den Punkt gebracht: Prospect = Aussicht/Überblick <strong>und</strong><br />

Refuge = Zuflucht. Zusammengefasst demnach das Bedürfnis zu „sehen, ohne gesehen zu<br />

werden“. Der Sicherheitsaspekt (Schutz vor Raubfeinden <strong>und</strong> Artgenossen) kann durch<br />

die geeignete Aussicht, den Ausblick in die freie Landschaft gewährleistet werden.<br />

Zufluchtsqualitäten vermitteln neben Höhlen z. B. große Bäume o<strong>der</strong> Wald- <strong>und</strong><br />

Wasserrandsituationen. Diese sind neben den materiellen Ressourcen wie Nahrung,<br />

Wasser, Material für Bauten <strong>und</strong> Werkzeuge entscheidend für die Wahl einer Landschaft.<br />

In darauf aufbauenden Untersuchungen konnte weiters festgestellt werden, dass Frauen<br />

„Prospect-<strong>Landschaften</strong>“ negativer beurteilen als Männer <strong>und</strong> „Refuge-<strong>Landschaften</strong>“<br />

positiver. Dies würde <strong>der</strong> Rollenteilung <strong>der</strong> Jäger-/Sammlergesellschaften entsprechen <strong>und</strong><br />

einen weiteren Beleg für die Existenz biologisch-instinktiver Landschaftspräferenz<br />

darstellen.<br />

18


3.2.3 Savanna <strong>–</strong> Theorie <strong>von</strong> Orians (1980, 1986)<br />

Ausgehend <strong>von</strong> <strong>der</strong> Tatsache, dass die ersten <strong>Mensch</strong>en in <strong>der</strong> Savanne lebten, wo<br />

entscheidende stammesgeschichtliche Entwicklungsschritte stattfanden, <strong>und</strong> ausgehend<br />

<strong>von</strong> <strong>der</strong> Beobachtung, dass überall dort, wo später <strong>Mensch</strong>en großflächig siedelten (v. a.<br />

im Zuge <strong>der</strong> Kolonialisierung) offenes Grasland mit Bäumen vorhanden war (bzw. die<br />

Landschaft so eingerichtet wurde), entwickelte sich die Annahme, dass savannenähnliche<br />

<strong>Landschaften</strong> vom <strong>Mensch</strong>en bevorzugt werden. Als Landschaftselemente <strong>der</strong> Savanne<br />

werden Wasser, große Bäume, freier Blick zum Horizont, mäßige Höhenunterschiede,<br />

Grasdecke (die Ausstattungselemente vieler Parkanlagen entsprechen diesem Bild)<br />

genannt.<br />

Orians stützt seine Theorie auch auf die Beobachtung, dass die Preise für Gr<strong>und</strong>stücke am<br />

Wasser o<strong>der</strong> mit Blick auf solches weltweit am höchsten ausfallen. Kritiker meinen, dass<br />

dies aber nicht zwangsläufig einer biologisch-instinktiven Landschaftspräferenz<br />

entsprechen muss, son<strong>der</strong>n auch auf einer sozialen Regel fußen kann.<br />

(vgl. dazu: Niepel/Emmrich, 2005, S. 66 ff)<br />

3.3 Soziale Dimension <strong>der</strong> Landschaftsästhetik<br />

Es geht dabei um Faktoren, die vom Individuum durch den Prozess <strong>der</strong> Sozialisation<br />

angeeignet werden, womit gesellschaftliche Identität erzeugt <strong>und</strong> gesichert werden kann.<br />

Kommunikation mittels Symbolen <strong>und</strong> Zeichen, z.B. Landschaftselementen <strong>und</strong> gebauten<br />

Elementen, ist das Werkzeug dieses Aneignungsprozesses. Umweltpsychologische<br />

Untersuchungen haben ergeben, dass Wohnumwelten <strong>und</strong> Alltagslandschaften wichtige<br />

Funktionen <strong>der</strong> Identitätsbildung nach innen (Selbstwahrnehmung) <strong>und</strong> nach außen<br />

(soziale Mitwelt) übernehmen.<br />

3.3.1 Typicality-Ansatz <strong>von</strong> Purcell (1992)<br />

Purcell vermutet, dass <strong>der</strong> <strong>Mensch</strong> prinzipiell sucht, womit er vertraut, woran er gewöhnt<br />

ist. Die Annahme ist, dass Landschaftselemente, mit denen <strong>der</strong> <strong>Mensch</strong> aufgewachsen ist,<br />

positiv besetzt sind, da sie jene Ressourcen hatten, die ihm halfen, erwachsen zu werden.<br />

Daher hat die persönliche Erfahrung auch erheblichen Einfluss auf die <strong>Wahrnehmung</strong> <strong>von</strong><br />

<strong>Landschaften</strong>. Eine Abweichung vom Typischen o<strong>der</strong> Gewohntem führt zu einer<br />

„Reizung“ des zentralen Nervensystems, was wie<strong>der</strong>um Auslöser für das Empfinden <strong>von</strong><br />

Gefühlen ist. Jene Landschaft gefällt daher nach Purcell am besten, welche leicht vom<br />

19


Gewohnten abweicht. Größere Abweichungen führen zu zusätzlichem Interesse <strong>und</strong><br />

Überraschung, bei zu starker Abweichung kippt die Gefühlsreaktion ins Negative.<br />

Aus seinen empirischen Untersuchungen filterte Purcell vier Landschaftseigenschaften als<br />

universell „Typisches für Landschaft“, die überall auf <strong>der</strong> Welt beim Erlebnis <strong>von</strong><br />

Landschaft erfahrbar sind:<br />

• Weite (Ausdehnung des Landschaftsausschnittes)<br />

• Unberührtheit (Natürlichkeit bzw. natürliches Ausmaß menschlicher Eingriffe)<br />

• geringe Reliefenergie (sanft hügelig)<br />

• Präsenz <strong>von</strong> Wasser<br />

3.4 Kognitive Theorien <strong>der</strong> Landschaftswahrnehmung<br />

3.4.1 Information-Processing-Theorie <strong>von</strong> Rachel <strong>und</strong> Steven Kaplan (1989)<br />

Im Gegensatz zur rein biologisch bedingten Theorie <strong>von</strong> Appleton gehen Kaplan &<br />

Kaplan da<strong>von</strong> aus, dass Landschaft nicht nur physische Bedingungen zu erfüllen hatte.<br />

Um Überleben zu können, setzten die <strong>Mensch</strong>en als wichtigste Qualität den Verstand ein.<br />

Sie haben die Fähigkeit entwickelt, Informationen über die Umwelt zu sammeln <strong>und</strong> zu<br />

verarbeiten. Daher kommen Kaplan & Kaplan zu <strong>der</strong> Gr<strong>und</strong>annahme, dass vom <strong>Mensch</strong>en<br />

jene <strong>Landschaften</strong> bevorzugt werden, welche die Informationsbeschaffung stimulieren <strong>und</strong><br />

erleichtern.<br />

Die zentralen Eigenschaften für Präferenzen sind<br />

Komplexität <strong>–</strong> es gibt einen Reichtum an Elementen <strong>und</strong> Vielgestaltigkeit<br />

Kohärenz - bedeutet klare Strukturen <strong>und</strong> Zusammenhänge, die überschaubar machen<br />

Mysteriosität - verspricht, dass es noch mehr als das Überschaubare/Sichtbare gibt<br />

Lesbarkeit - bedeutet die Leichtigkeit, eine „mental map“, eine Art innere Landkarte zu<br />

generieren, mit <strong>der</strong> man sich schnell zurechtfindet.<br />

20


Neben Sicherheit <strong>und</strong> Schutzaspekten (s. o.) sind daher auch Neugieraspekte (was liegt<br />

dahinter, eine noch bessere Landschaft?) wichtige, gefühlsgelenkte Auswahlfaktoren.<br />

Anhand <strong>von</strong> Fototests (mit Sujets <strong>von</strong> natürlicher Landschaft <strong>und</strong> künstlich gestalteten<br />

Parklandschaften) mit Studentengruppen stellten Kaplan & Kaplan fest, dass eine<br />

durchschnittliche Komplexität <strong>der</strong> Landschaft, die we<strong>der</strong> über- noch unterfor<strong>der</strong>t,<br />

versehen mit ausreichend Orientierungshilfen <strong>und</strong> Mysteryelementen (z.B. Weg- o<strong>der</strong><br />

Flussverlauf, <strong>der</strong> nicht ganz einsichtig ist) präferiert wird.<br />

3.4.2 Attention-Restoration-Theorie <strong>von</strong> Rachel <strong>und</strong> Steven Kaplan<br />

<strong>Natur</strong> <strong>und</strong> Garten hat nach ihren Untersuchungen eine „restorative experience“, d.h. eine<br />

stärkende Wirkung. Warum? Die vielen Umweltreize führen zu einer permanenten<br />

Ermüdung durch zuviel „gerichtete Aufmerksamkeit“. Erholung ist beson<strong>der</strong>s gut möglich<br />

durch das Erlebnis <strong>von</strong> Situationen, die eine unwillkürliche „ungerichtete“<br />

Aufmerksamkeit auslösen.<br />

Die Aufmerksamkeits-Wie<strong>der</strong>herstellung geschieht am besten in einer natürlichen<br />

Umgebung, die folgende Wesensmerkmale bietet:<br />

fascination <strong>–</strong> also Überraschung <strong>und</strong> Unerwartetes, das einen unwillkürlich einnimmt<br />

being away <strong>–</strong> ein Gefühl <strong>von</strong> „Wegsein“ als psychische Distanz zur Überreizung<br />

extent <strong>–</strong> Vielfalt, die allerdings gut organisiert sein muss, damit sie nicht überfor<strong>der</strong>t. Dies<br />

erleichtert das Eintauchen in eine Situation/Umwelt, die Selbsterlebnis ermöglicht.<br />

compatibility <strong>–</strong> d.h. eine Situation/Umwelt, in <strong>der</strong> sich eigene Bedürfnisse <strong>und</strong> Interessen<br />

mit den vorhandenen Möglichkeiten decken. Wenn diese mit dem täglichen Leben<br />

vereinbar ist, fühlt man sich in einer harmonischen Ganzheit.<br />

(vgl. dazu: Niepel/Emmrich, 2005, S. 68 ff.)<br />

21


3.5 Zusammenfassung<br />

All diese in den verschiedenen Theorien genannten Elemente <strong>–</strong> Bäume, Wasser, Tiere,<br />

Prospect-Refuge-Elemente, mittlere Komplexität, Landmarks zur Orientierung <strong>und</strong><br />

Mystery-Elemente <strong>–</strong> werden auch empirisch belegbar als Kriterien für einen guten<br />

Lebensraum wahrgenommen. Ein Lebensraum, <strong>der</strong> unseren biologischen, sozialen <strong>und</strong><br />

seelischen Bedürfnissen optimal entspricht, ruft Glücksgefühl <strong>und</strong> Wohlbefinden hervor.<br />

Räume mit niedriger Komplexität wie <strong>Natur</strong> wirken beruhigend, entspannend <strong>und</strong> Stress<br />

abbauend. Es verbessert sich die kognitive Leistungsfähigkeit <strong>und</strong> Konzentration. Das<br />

Immunsystem wird aktiviert, es kommt zu Lin<strong>der</strong>ung <strong>von</strong> Stress-Symptomen, zu<br />

schnellerer Genesung <strong>von</strong> Krankheiten <strong>und</strong> zu schnellerer körperlicher Entwicklung.<br />

Es kann da<strong>von</strong> ausgegangen werden, dass sich diese positiven ges<strong>und</strong>heitsför<strong>der</strong>nden<br />

Wirkungen einer optimalen Landschaft unwillkürlich <strong>und</strong> unbewusst entfalten <strong>und</strong> keiner<br />

Vermittlung durch <strong>Mensch</strong>en (Therapeuten, Ärzte, Pädagogen, Trainer etc.) bedürfen.<br />

Mit diesem Wissen um die Zusammenhänge <strong>von</strong> <strong>Mensch</strong> <strong>–</strong> <strong>Natur</strong> <strong>–</strong> <strong>Wahrnehmung</strong> lassen<br />

sich mo<strong>der</strong>ne, urbane Lebens- <strong>und</strong> Wohnräume sinnvoll gestalten. Dem individuellen<br />

Garten, den öffentlichen Freiräumen zur Erholung wie auch <strong>der</strong> Möglichkeit des<br />

gemeinschaftlichen, aktiven Gärtnerns (Community Gardens) sowie auch Gärten,<br />

Freiflächen <strong>und</strong> Innenräumen in Betrieben o<strong>der</strong> Schulen kommt hier eine beson<strong>der</strong>e<br />

Bedeutung zu.<br />

22


4 Wirkungsebenen <strong>von</strong> Garten <strong>und</strong> Pflanzen<br />

4.1 Der <strong>Mensch</strong> als bio-psycho-soziales Wesen<br />

Eine häufig angewandte <strong>und</strong> nahe liegende einfache Einteilung <strong>der</strong> Wirkung des Gartens<br />

bei <strong>der</strong> therapeutischen Arbeit mit <strong>Mensch</strong>en differenziert in drei Kernbereiche:<br />

� Physische Wirkung Ernährung, Bewegung <strong>und</strong> Motorik, Heilk<strong>und</strong>e<br />

� Psychische Wirkung Emotionen, sinnliche <strong>Wahrnehmung</strong>, Achtsamkeit<br />

� Soziale Wirkung Gemeinschaft, Geselligkeit, Verantwortung,<br />

Teamarbeit<br />

Dies entspricht auch dem aktuellen Ges<strong>und</strong>heitsverständnis <strong>der</strong> WHO, indem <strong>von</strong> einem<br />

bio-psycho-sozialen Wohlbefinden gesprochen wird. Ges<strong>und</strong>heit entsteht in <strong>der</strong> Erfüllung<br />

<strong>von</strong> Gr<strong>und</strong>bedürfnissen auf allen drei Ebenen. Der Faktor Umwelt als Mitwelt findet hier<br />

noch keine explizite Beachtung. In <strong>der</strong> Jakarta-Erklärung 1997, dem Abschlussdokument<br />

<strong>der</strong> 4. Internationalen Konferenz zur Ges<strong>und</strong>heitsför<strong>der</strong>ung werden als Determinanten für<br />

Ges<strong>und</strong>heit im Detail u. a. zumindest ein stabiles Ökosystem <strong>und</strong> die nachhaltige Nutzung<br />

<strong>von</strong> Ressourcen genannt.<br />

Maria Putz hebt im Sinne <strong>von</strong> Therapieschwerpunkten aus ihrer Erfahrung mit <strong>der</strong><br />

Arbeit mit Senioren noch extra den kognitiven Bereich im Sinne <strong>von</strong> För<strong>der</strong>ung <strong>und</strong><br />

Erhaltung zeitlicher <strong>und</strong> räumlicher Orientierung, Gedächtnis, Lesen <strong>und</strong> Schreiben sowie<br />

die Frage <strong>von</strong> Selbstbild <strong>und</strong> Umgang mit dem Ich , z. B. <strong>Wahrnehmung</strong> <strong>der</strong> eigenen<br />

Wirksamkeit, sinnvolles Tun, gebraucht werden, … hervor.<br />

(vgl. dazu Putz 2007, S. 65)<br />

Eine Systematik aus <strong>der</strong> garten-therapeutischen Arbeit wurde <strong>von</strong> Konrad Neuberger<br />

<strong>und</strong> Kollegen auf Basis amerikanischer <strong>und</strong> englischer Erfahrungen entwickelt <strong>und</strong> <strong>von</strong><br />

ihm bereits 1997 in <strong>der</strong> Schriftenreihe des B<strong>und</strong>esverbandes Deutscher Gartenvereine<br />

publiziert. Er bietet darin seine Erfahrungen einem „ges<strong>und</strong>en“ Gartenleserpublikum zum<br />

Transfer in ihre persönliche Gartenarbeit bzw. die Gartenarbeit mit an<strong>der</strong>en (ges<strong>und</strong>en)<br />

<strong>Mensch</strong>en an.<br />

23


Er nennt fünf Bereiche, in denen eine wirksame För<strong>der</strong>ung <strong>und</strong> Ges<strong>und</strong>ung durch<br />

Gartenarbeit möglich ist. Diese Wirkungsbereiche sind:<br />

+ Intellektuell<br />

z.B. Lernen neuer Fertigkeiten, Anregung <strong>der</strong> sinnlichen <strong>Wahrnehmung</strong>,<br />

Erweiterung des Wortschatzes <strong>und</strong> <strong>der</strong> Kommunikationsfähigkeit, …<br />

+ Sozial<br />

z.B. Kontaktfähigkeit <strong>und</strong> Arbeit am gemeinsamen Ziel (Respekt,<br />

Kooperation, Verantwortung), Gelegenheit zur Auseinan<strong>der</strong>setzung<br />

(streiten, ohne gehen zu müssen), Arbeit für an<strong>der</strong>e leisten, …<br />

+ Emotional<br />

z.B. Stärkung <strong>von</strong> Selbstvertrauen <strong>und</strong> Selbstachtung (durch Erfolge),<br />

Freude an <strong>der</strong> Zukunft (Wachsen sehen), Raum für Kreativität, Gelegenheit<br />

für Aggressionsabbau, …<br />

+ Körperlich<br />

z.B. Sich lebendig empfinden, Verbesserung <strong>der</strong> Bewegungsfähigkeit,<br />

Stehvermögen <strong>und</strong> Ausdauer spüren, ganzkörperliche Beanspruchung<br />

+ Psycho-Physiologisch<br />

z.B. Ausgleichend, Kreislauf stärkend, blutdrucksenkend, differenzierter<br />

Einsatz <strong>von</strong> Kraft, sensomotorische Koordination, Schulung <strong>von</strong><br />

<strong>Wahrnehmung</strong> <strong>und</strong> Gleichgewicht, …<br />

Zusammengefasst bedeutet dies aus seiner Erfahrung, dass es bei <strong>der</strong> therapeutischen<br />

Gartenarbeit sowohl um ges<strong>und</strong>e Wachstumsbedingungen für die Pflanzen als auch um<br />

die Bereitstellung einer „för<strong>der</strong>nden Umwelt“ zur Erlebnisaktivierung <strong>und</strong><br />

Persönlichkeitsentfaltung des gärtnernden <strong>Mensch</strong>en geht.<br />

Die Tätigkeit im Garten kann daher als vielfältiges Lern-, Experimentier- <strong>und</strong> Übungsfeld<br />

gesehen werden. Eine klientenzentrierte Therapie nutzt sowohl die Beziehung zwischen<br />

Klienten <strong>und</strong> Therapeuten als auch zwischen Klient <strong>und</strong> Garten/Pflanze. <strong>Mensch</strong>en <strong>und</strong><br />

Pflanzen haben eine gemeinsame Gr<strong>und</strong>lage. Sie leben <strong>und</strong> sterben, wachsen <strong>und</strong> wandeln<br />

sich nach Rhythmen. Beide leben auf <strong>der</strong> Erde <strong>und</strong> richten sich <strong>von</strong> hier aus auf.<br />

Eine so angelegte Gartenarbeit kann zur Entwicklung einer neu ausgerichteten Denk- <strong>und</strong><br />

Handlungsweise führen. Unter diesem ökologischen o<strong>der</strong> ökopsychologischen Aspekt<br />

(siehe nächster Abschnitt) betrachtet, d.h. mit dem Verständnis vom <strong>Mensch</strong>en als Teil <strong>der</strong><br />

Mitwelt wird z.B. die Fähigkeit des Staunens <strong>und</strong> Sich-W<strong>und</strong>ern-Könnens o<strong>der</strong> die<br />

Erkenntnis des Prinzips vom ständigem Geben <strong>und</strong> Nehmen zu einem zentralen Lernfeld.<br />

(vgl. Neuberger 1997, S. 69 <strong>–</strong> 83)<br />

24


Die einzig mir bekannte Quelle, wo diese Erfahrungen bereits in die alltägliche<br />

Gartenarbeit übertragen wurden findet sich beim B<strong>und</strong>esverband Deutscher<br />

Gartenfre<strong>und</strong>e. Dessen wissenschaftlicher Beirat hat im Juni 2004 ein Thesenpapier zu<br />

Kleingarten <strong>und</strong> Ges<strong>und</strong>heit vorgelegt. Darin finden sich zahlreiche Anmerkungen zu den<br />

ges<strong>und</strong>heitsför<strong>der</strong>nden Komponenten <strong>der</strong> Gartenarbeit, geglie<strong>der</strong>t in die Kapitel<br />

physische, psychische <strong>und</strong> soziale Komponenten. Ich fasse diese wie folgt zusammen:<br />

Bei den physischen Komponenten wird auf die angemessene, richtig dosierte,<br />

regelmäßige Bewegung <strong>und</strong> die dabei verbesserte Sauerstoffzufuhr <strong>und</strong> Muskelbildung<br />

eingegangen sowie auf die durch Erfolg, Spaß <strong>und</strong> Freude an <strong>der</strong> geleisteten Arbeit<br />

bedingte Ausschüttung <strong>von</strong> Glückshormonen (Endomorphine, Endorphine, Serotonin).<br />

Wohl dosierte Sonne stärkt das Immunsystem <strong>und</strong> hilft bei Hautkrankheiten <strong>und</strong> zur<br />

Stärkung des Vitamin D für den Knochenbau. Rückstandsfreies Obst <strong>und</strong> Gemüse, Heil-<br />

<strong>und</strong> Gewürzkräuter stützt zudem eine vitamin- <strong>und</strong> abwechslungsreiche Ernährung.<br />

Bei den physischen Komponenten wird die Sonneneinstrahlung als Stimmungsmacher<br />

zur För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> entspannenden Nervenboten Serotonin hervorgehoben. Frische Luft,<br />

dosierte Bewegung <strong>und</strong> liebevolle Beschäftigung mit Pflanzen hilft Stress abzubauen.<br />

Harmonie <strong>und</strong> Schönheit sorgen für Freude <strong>und</strong> Entspannung, zeitweisen Ausstieg aus<br />

dem Alltag in individuelle Orte <strong>der</strong> Geborgenheit. Im Garten als Raum zwischen Geist<br />

<strong>und</strong> Körper treten <strong>Mensch</strong> <strong>und</strong> Pflanze in eine kommunikative Verbindung. Gärtnern als<br />

Hobby ist eine sozial hoch bewertete, sinnerfüllte Freizeitgestaltung.<br />

Bei den sozialen Komponenten wird im Zusammenhang mit Kleingarten die<br />

Kontaktmöglichkeit zu Nachbarn <strong>und</strong> Gleichgesinnten sowie die Teilnahme an<br />

informativen <strong>und</strong> geselligen Veranstaltungen angeführt. Dies stellt für viele <strong>Mensch</strong>en in<br />

<strong>der</strong> urbanen Lebenswelt eine wichtige Möglichkeit für Fre<strong>und</strong>schaft <strong>und</strong> menschliche<br />

Nähe dar, die auch in Krisensituationen hilft. Hier wird auch gesellschaftlich wichtige<br />

Integrationsarbeit (<strong>von</strong> Singles über Senioren, MigrantInnen, Alleinerziehende o<strong>der</strong><br />

Behin<strong>der</strong>te) gegen Vereinsamung <strong>und</strong> Isolation gelebt. Der Kleingarten ist zudem eine<br />

wichtige Erlebniswelt für Kin<strong>der</strong> <strong>und</strong> Jugendliche, um Erfahrung mit <strong>Natur</strong> zu sammeln.<br />

(www.kleingarten-b<strong>und</strong>.de)<br />

25


4.2 Garten <strong>und</strong> <strong>Mensch</strong> als Einheit<br />

Die Psychologie als Wissenschaft vom Erleben <strong>und</strong> Verhalten des <strong>Mensch</strong>en ist<br />

weitgehend auf den <strong>Mensch</strong>en allein bzw. die Beziehung <strong>Mensch</strong> <strong>–</strong> <strong>Mensch</strong> konzentriert.<br />

<strong>Mensch</strong>liches Erleben <strong>und</strong> Verhalten spielt sich aber auch in <strong>und</strong> mit <strong>der</strong> Umwelt ab. Zu<br />

allen Zeiten <strong>und</strong> Kulturen ist die Beziehung <strong>von</strong> <strong>Mensch</strong> <strong>und</strong> <strong>Natur</strong> <strong>von</strong> existenzieller<br />

Bedeutung. Der Garten ist Ausdruck einer menschlichen Kulturleistung. Er macht ein<br />

Stück Land o<strong>der</strong> Landschaft zu einer eigenständigen Form, stellt eine gewollte, geordnete<br />

Beziehung zwischen <strong>Mensch</strong> <strong>und</strong> <strong>Natur</strong> her, die viele Funktionen ansprechen <strong>und</strong><br />

Bedürfnisse erfüllen kann.<br />

Seit den 60er Jahren des vorigen Jahrh<strong>und</strong>erts beschäftigt sich die ökologische<br />

Psychologie o<strong>der</strong> Umweltpsychologie als noch junge Wissenschaft mit <strong>der</strong> Wirkung <strong>der</strong><br />

Umwelt auf das Erleben, Verhalten <strong>und</strong> die Ges<strong>und</strong>heit des <strong>Mensch</strong>en. In <strong>der</strong>en aktuellen<br />

theoretischen Konzepten wird <strong>von</strong> <strong>der</strong> Beziehung <strong>Mensch</strong> & Umwelt als Einheit<br />

ausgegangen. <strong>Mensch</strong> <strong>und</strong> Umwelt werden also nicht mehr als <strong>von</strong>einan<strong>der</strong> unabhängige<br />

Einheiten im wechselseitigen Austauschverhältnis (Interaktion), son<strong>der</strong>n in<br />

wechselseitiger Beeinflussung (Transaktion) betrachtet, d.h. <strong>der</strong> <strong>Mensch</strong> beeinflusst den<br />

Garten, <strong>der</strong> Garten beeinflusst aber auch den <strong>Mensch</strong>en. Der <strong>Mensch</strong> ist Mitwelt <strong>von</strong><br />

<strong>Natur</strong> (Garten), als gleichwertiger Teil <strong>und</strong> nicht übergeordnet o<strong>der</strong> außen vor.<br />

Den größten Teil seiner Geschichte hat <strong>der</strong> <strong>Mensch</strong> auch in diesem Bewusstsein gelebt.<br />

Dieses umweltpsychologische Konzept kommt einer Rückkehr zum philosophischen<br />

Weltbild vor <strong>der</strong> Antike gleich, bevor <strong>der</strong> <strong>Mensch</strong> als „Maß aller Dinge“ aus dem<br />

„Verwobensein mit <strong>der</strong> <strong>Natur</strong>“ herausgelöst wurde. Mit dem Siegeszug <strong>der</strong><br />

<strong>Natur</strong>wissenschaften <strong>und</strong> <strong>der</strong> christlichen Religion („macht Euch die Erde untertan“) ging<br />

auch das spirituelle Verständnis einer universellen, kosmischen Kraft weitgehend<br />

verloren.<br />

Diese Sichtweise legt <strong>der</strong> Hamburger Erziehungswissenschafter Ulrich Gebhard in<br />

seinem Standardwerk zum Verhältnis <strong>von</strong> Kind <strong>und</strong> <strong>Natur</strong> ausführlich dar. Statt des<br />

gebräuchlichen zweidimensionalen Persönlichkeitsmodells, stellte er ein<br />

dreidimensionales Modell als Bezugsrahmen seiner Ausführungen her.<br />

„Die Persönlichkeit des <strong>Mensch</strong>en wird in den meisten psychologischen Schulen als<br />

Ergebnis <strong>der</strong> Beziehung zu sich selbst <strong>und</strong> <strong>der</strong> Beziehung zu an<strong>der</strong>en <strong>Mensch</strong>en<br />

verstanden. In <strong>der</strong> jeweils aktuellen Persönlichkeitsstruktur verdichten sich nach dieser<br />

26


Auffassung die Erfahrungen mit sich selbst <strong>und</strong> den an<strong>der</strong>en; die nicht-menschliche<br />

Umwelt <strong>–</strong> also Gegenstände, Pflanzen, Tiere, <strong>Natur</strong>, Landschaft, Bauten <strong>–</strong> spielen in<br />

einem solchen Persönlichkeitsmodell keine o<strong>der</strong> jedenfalls nur eine untergeordnete Rolle.<br />

…. Nun leben die <strong>Mensch</strong>en aber nicht allein auf <strong>der</strong> Welt, in <strong>der</strong> es weitaus mehr<br />

nichtmenschliche „Objekte“ gibt, als menschliche, mehr noch: Der <strong>Mensch</strong> ist als Teil<br />

<strong>und</strong> Gegenüber <strong>der</strong> <strong>Natur</strong> mit all diesen nicht-menschlichen Objekten verb<strong>und</strong>en.<br />

(Gebhard, 2001, S. 15/16)<br />

Dr. Joachim Bauer, Professor für Psychoneuroimmunologie in Freiburg i. Br. liefert in<br />

seinem Buch „Das Gedächtnis des Körpers. Wie Beziehungen <strong>und</strong> Lebensstile unsere<br />

Gene steuern.“ neurobiologische Erkenntnisse zum Verhältnis <strong>Mensch</strong> <strong>–</strong> Umwelt. Wir<br />

wissen heute, dass zwar die genetische Gr<strong>und</strong>ausstattung in ihrer Vielfalt angeboren ist,<br />

nicht aber die tatsächliche Aktivität <strong>der</strong> Gene. Diese werden gesteuert durch zwischenmenschliche<br />

Beziehungen, individuelle Erfahrungen <strong>und</strong> durch Umwelteinflüsse. Welche<br />

dieser Einflüsse in unserem Gehirn zu biologischen Verän<strong>der</strong>ungen <strong>und</strong> damit Prägungen<br />

finden hat unmittelbaren Einfluss auf unsere körperliche <strong>und</strong> seelische Ges<strong>und</strong>heit. Die<br />

aktuelle, neurobiologisch f<strong>und</strong>ierte Erkenntnis trennt den <strong>Mensch</strong>en auch nicht mehr in<br />

Verstand <strong>und</strong> Gefühl. Die lange vorherrschende Sicht <strong>der</strong> Aufklärung <strong>der</strong> Überlegenheit<br />

des Verstandes über den Körper ist nicht mehr haltbar.<br />

(vgl. dazu Bauer, 2007)<br />

4.3 <strong>Mensch</strong> <strong>und</strong> Garten im Dialog<br />

Wenn <strong>Mensch</strong> <strong>und</strong> Garten als eine Einheit gesehen werden, kann in <strong>der</strong> Folge die<br />

Beziehung zwischen <strong>Mensch</strong> <strong>und</strong> Garten nur mehr als Dialog gesehen werden. Meine<br />

Ausführungen dazu folgen einem „roten Faden“, den Christine Plahl sehr anschaulich<br />

aufgerollt hat. Sie ist Entwicklungspsychologin an <strong>der</strong> Hochschule München, Fachbereich<br />

Soziale Arbeit <strong>und</strong> beschäftigt sich dabei mit <strong>der</strong> „Psychologie des Gartens“<br />

(vgl. dazu Plahl, 2004, S. 47 ff.)<br />

In Übereinstimmung mit <strong>der</strong> oben skizzierten ökopsychologischen Sicht <strong>von</strong> <strong>der</strong> Einheit<br />

<strong>Mensch</strong> <strong>und</strong> Umwelt teilt sie die Wirkungen in zwei Richtungen, einmal in die Beziehung<br />

<strong>Mensch</strong> <strong>und</strong> Garten, einmal in die Beziehung Garten <strong>und</strong> <strong>Mensch</strong>. Um diese zwei<br />

Wirkungspole besser zu verstehen soll vorab nochmals die gr<strong>und</strong>legende Beziehung<br />

<strong>Mensch</strong> <strong>–</strong> <strong>Natur</strong> <strong>–</strong> Garten näher beleuchtet werden.<br />

27


4.3.1 <strong>Mensch</strong> UND Garten <strong>–</strong> Orientierung <strong>und</strong> Verbindung<br />

Plahl (2004, S. 51) zitiert als Gr<strong>und</strong>muster <strong>der</strong> Beziehung <strong>Mensch</strong> <strong>und</strong> <strong>Natur</strong> die <strong>von</strong><br />

Ulrich Gebhard vorgenommene evolutionspsychologische Projektion <strong>der</strong><br />

<strong>Mensch</strong>heitsgeschichte auf das Leben eines 70-jährigen. Demnach ist es nicht<br />

verw<strong>und</strong>erlich, dass sich <strong>der</strong> <strong>Mensch</strong> beständig nach jenen Bedingungen zurücksehnt, in<br />

denen er den Großteil seiner Stammesgeschichte gelebt hat.<br />

Ausgehend <strong>von</strong> den Forschungen <strong>von</strong> Kaplan & Kaplan wird die Beziehung des<br />

<strong>Mensch</strong>en zur <strong>Natur</strong> <strong>und</strong> in Folge zum Garten als kultivierter <strong>Natur</strong> <strong>von</strong> zwei<br />

gr<strong>und</strong>legenden menschlichen Bedürfnissen geprägt, die in <strong>der</strong> Regel nicht bewusst<br />

wahrgenommen werden: Es ist dies einerseits das Bedürfnis, die Welt um uns zu<br />

verstehen, also die Suche nach Orientierung & Vertrautheit in <strong>der</strong> Umgebung, an<strong>der</strong>erseits<br />

das Bedürfnis, die Welt um uns zu gestalten <strong>und</strong> zu erforschen. Diesen beiden<br />

Gr<strong>und</strong>bedürfnissen kommt <strong>der</strong> Garten in seiner Wirkungsvielfalt entgegen.<br />

„Er ist verlässlich in seiner beständigen Form, vermittelt so die Erfahrung <strong>von</strong><br />

Kontinuität <strong>und</strong> Sicherheit <strong>und</strong> erleichtert die Orientierung. … ist <strong>von</strong> Zäunen, Mauern<br />

o<strong>der</strong> Hecken umgeben <strong>und</strong> bietet so Schutz <strong>und</strong> Sicherheit. Gleichzeitig wandelt sich <strong>der</strong><br />

Garten unablässig, bietet ständig neue Überraschungen <strong>und</strong> ist dem <strong>Mensch</strong>en so<br />

gleichermaßen ein Ort <strong>der</strong> Entspannung <strong>und</strong> Erholung wie auch ein Ort <strong>der</strong> Anregung<br />

<strong>und</strong> Inspiration.“<br />

(Plahl, 2004, S. 54)<br />

Dr. Gerald Hüther, Professor für Neurobiologie an <strong>der</strong> Psychiatrischen Klinik <strong>der</strong><br />

Universität Göttingen, belegt diese Annahmen mit aktuellen Kenntnissen <strong>der</strong><br />

Neurobiologie. Zwei Gr<strong>und</strong>bedürfnisse des <strong>Mensch</strong>en prägen die Entfaltung des<br />

genetischen Potentials <strong>der</strong> im Gehirn vorhandenen unendlichen Fülle <strong>und</strong> Möglichkeiten.<br />

Es ist dies einerseits das Bedürfnis nach Wachstum <strong>und</strong> Entwicklung, an<strong>der</strong>erseits das<br />

Bedürfnis nach Verb<strong>und</strong>enheit mit <strong>der</strong> Welt, die Einbettung in ein größeres Ganzes im<br />

Sinne <strong>von</strong> Geborgenheit <strong>und</strong> Schutz.<br />

(Vgl. persönliche Notizen eines Vortrages, veranstaltet <strong>von</strong> <strong>der</strong> Forschergruppe<br />

Neuwaldegg in Wien, Hotel de France, 26.9.2008.)<br />

Der Vergleich des Gehirns mit einem Garten drängt sich da förmlich auf. Stefan Klein, ein<br />

Wissenschaftsjournalist, <strong>der</strong> die komplexen Bef<strong>und</strong>e <strong>der</strong> Hirnforschung populär <strong>und</strong><br />

anwendungsorientiert aufbereitet, schreibt im Prolog zu Michaela Huber “Der innere<br />

Garten“ (Huber, 2007):<br />

28


„In mancher Hinsicht gleicht die Entwicklung des Gehirns dem Gedeihen eines Gartens:<br />

In beiden Fällen kann leicht eingehen, was nicht wächst, <strong>und</strong> was wachsen will, muss hier<br />

wie dort um Nährstoffe <strong>und</strong> Platz konkurrieren. Das Gehirn tut also gut daran, mit seinen<br />

Ressourcen sparsam umzugehen <strong>und</strong> die Wachstumsfaktoren vor allem dort einzusetzen,<br />

wo sie am Dringendsten nötig sind <strong>–</strong> zur Pflege <strong>von</strong> Verbindungen, die entwe<strong>der</strong> gerade<br />

neu entstehen o<strong>der</strong> die häufig in Gebrauch sind <strong>und</strong> daher beson<strong>der</strong>s wichtig erscheinen.“<br />

4.3.2 <strong>Mensch</strong> IM Garten - Sinnliche <strong>Wahrnehmung</strong> <strong>und</strong> Sinn<br />

Im Garten können zwei Ebenen <strong>der</strong> <strong>Wahrnehmung</strong> wirken: die primär sinnliche <strong>und</strong> eine<br />

symbolische, Sinn stiftende. Der gestaltete Gartenraum wie die <strong>Natur</strong> mit <strong>der</strong> darin<br />

lebenden Flora <strong>und</strong> Fauna bietet im Wechsel <strong>der</strong> Tages- <strong>und</strong> Jahreszeiten o<strong>der</strong> des Wetters<br />

eine Fülle an <strong>Wahrnehmung</strong>en über die fünf Sinne Sehen, Hören, Riechen, Schmecken,<br />

Fühlen. Das erweiterte, <strong>von</strong> Rudolf Steiner entwickelte Sinnspektrum <strong>der</strong> 12 Sinne fügt<br />

diesen bekannten fünf Sinnen noch den Lebens-Sinn, den Eigenbewegungs-Sinn, den<br />

Gleichgewichts-Sinn, den Wärme-Sinn, den Wort-Sinn, den Gedanken-Sinn <strong>und</strong> den Ich-<br />

Sinn hinzu. Diese 7 weiteren Sinne sind im Garten direkt o<strong>der</strong> mit symbolischen Bezügen<br />

ansprechen. Aus sinnlichen <strong>Wahrnehmung</strong>en werden so Sinn-Erfahrungen.<br />

Konrad Neuberger bezeichnete in seinen Vorlesungen in diesem Zusammenhang den<br />

Garten auch als Ort des „symbolischen Handelns“, wo das Wahrnehmbare auf eine an<strong>der</strong>e<br />

Ebene, das eigene Leben, übertragen werden kann. So findet sich in unserer Sprache auch<br />

ein reicher Erfahrungsschatz an Metaphern, Bil<strong>der</strong>n <strong>und</strong> Symbolen, die für das<br />

menschliche <strong>und</strong> gärtnerische Leben gleichermaßen stehen. Ich möchte nur einige wenige<br />

erwähnen wie:<br />

es wird <strong>der</strong> Keim zu etwas gelegt, eine Saat geht auf, es fällt etwas auf fruchtbaren Boden,<br />

es werden die Früchte <strong>der</strong> Arbeit geerntet, ein Übel wird an <strong>der</strong> Wurzel gepackt, ….<br />

Auch kann den verschiedensten sicht- <strong>und</strong> wahrnehmbaren gärtnerischen Tätigkeiten ein<br />

inner-psychisches Erleben, ein möglicher psychischer Prozess zugeschrieben werden <strong>–</strong><br />

<strong>von</strong> <strong>der</strong> Bodenvorbereitung über das Säen, Wachsen, Pflanzen, Pflegen <strong>und</strong> Ernten. Für<br />

den Transfer dieser Erfahrung aus <strong>der</strong> Umwelt auf das eigene innere Erleben braucht es<br />

die begleitende Unterstützung durch einen therapeutisch geschulten <strong>Mensch</strong>en.<br />

„In den Gärten werden auf spielerische Weise Gefühle, Bil<strong>der</strong>, Phantasien erweckt, die<br />

uns hinführen zur Welt <strong>der</strong> Imaginationen, wo Seelisches <strong>und</strong> Körperlich-Konkretes nicht<br />

mehr getrennt sind. Diese Zwischenwelt <strong>der</strong> Imaginationen ist etwas ganz Beson<strong>der</strong>es,<br />

eine einzigartige Gabe <strong>der</strong> <strong>Mensch</strong>en.<br />

(Ammann, 2006, S. 23)<br />

29


4.3.3 <strong>Mensch</strong> FÜR den Garten - Identität <strong>und</strong> Integration<br />

<strong>Mensch</strong>en unterschiedlichster Altersgruppen, sozialer <strong>und</strong> ethnischer Herkünfte fühlen<br />

sich in jüngster Zeit vom Gärtnern vermehrt angesprochen. Die neue Gartenlust boomt, an<br />

allen Ecken <strong>und</strong> Enden entstehen Gartencenter, Schaugärten <strong>und</strong> die Bücherregale füllen<br />

sich mit Titeln zu praktischen bis esoterischen Gartenanleitungen. Was ist das Lohnende<br />

<strong>und</strong> Belohnende an <strong>der</strong> Gartenarbeit, dass es wie<strong>der</strong> in ist, sich die Hände schmutzig zu<br />

machen <strong>und</strong> mit eigenem Schweiß <strong>und</strong> körperlicher Anstrengung zu graben <strong>und</strong> zu<br />

pflanzen?<br />

Ich bin einer gemeinsamen Ansicht mit Sonja Bernadotte, Präsidentin <strong>der</strong> Deutschen<br />

Gesellschaft für Gartenbau <strong>und</strong> „Herrin“ <strong>der</strong> Blumeninsel Mainau, dass aus <strong>der</strong> Art des<br />

Gartens auf die Motivationen geschlossen werden kann. So sehe ich <strong>von</strong> Anfang an zwei<br />

parallele, getrennt geschlechtliche, persönliche Antriebe, einen Garten anzulegen <strong>und</strong> zu<br />

pflegen bzw. dies tun zu lassen.<br />

Der Nutzgarten in seiner Funktion als Versorgungsgarten ist eher weiblich. Ab <strong>der</strong><br />

Sesshaftwerdung war es die Domäne <strong>der</strong> Frauen, den Garten r<strong>und</strong> um das Haus zu<br />

betreuen. Neben viel praktischem Nutzen (Gemüse, Getreide, Obst, Kräuter) gab es aber<br />

ebenso Zier- <strong>und</strong> Schönheitselemente. Blumen wurden aus <strong>der</strong> <strong>Natur</strong> in den Garten geholt,<br />

wenngleich manch Blühendes auch aus Nützlichkeitsaspekten, also wegen <strong>der</strong><br />

Heilwirkungen o<strong>der</strong> zum Beispiel als Kirchenschmuck, angebaut wurde. Der Lustgarten<br />

o<strong>der</strong> Ziergarten in seiner Funktion <strong>der</strong> Repräsentation <strong>und</strong> Rekreation ist eher männlich.<br />

Dies zeigen viele Beispiele an großen Herrschaftsgärten vom Chinesischen Kaiser bis zum<br />

Fürsten <strong>der</strong> Aufklärung als Auftraggeber sowie die Repräsentationsgärten heutiger<br />

Konzerne.<br />

„In jedem Lebensraum entstehen emotionale Beziehungen. Dadurch erhalten diese Räume<br />

eine persönliche Dimension <strong>und</strong> werden zu Orten <strong>der</strong> individuellen wie sozialen Identität.<br />

Das Mitwirken am gemeinsamen Wachsen <strong>von</strong> Pflanzen, Tieren <strong>und</strong> <strong>Mensch</strong>en im Garten<br />

för<strong>der</strong>t gleichermaßen die <strong>Natur</strong>- <strong>und</strong> Selbsterkenntnis“<br />

(Plahl, 2004, S. 58)<br />

In ihrer Dissertation „Gärten <strong>und</strong> Blumen in Frauenhand <strong>–</strong> ein kulturbotanischer Beitrag<br />

zur Diversitätsforschung“ untersuchte Michaela Pristavnik über Befragung <strong>von</strong><br />

Hausgärtnerinnen in Oberösterreich die Bedeutung des Gartens für die Lebensqualität <strong>der</strong><br />

Gärtnerinnen. Der Hausgarten wird <strong>von</strong> diesen v. a. als selbstbestimmter Handlungsraum<br />

<strong>und</strong> Verantwortungsbereich, als Ort <strong>der</strong> Belebung <strong>und</strong> Aktivierung, als Rückzugs- <strong>und</strong><br />

Erholungsort sowie als Lebensstütze benannt<br />

(vgl. dazu Pristavnik, 2005, S. 25 <strong>–</strong> 31).<br />

30


Die Erfahrungen aus den sogenannten internationalen o<strong>der</strong> interkulturellen Gärten in<br />

Deutschland, belegen neben <strong>der</strong> Identität stiftenden vor allem auch die integrative<br />

Wirkung <strong>von</strong> Gartenarbeit. Diese neu entwickelte soziale Form des Gärtnerns bietet<br />

<strong>Mensch</strong>en mit Migrationshintergr<strong>und</strong> an ihrem neuen Lebensort die Möglichkeit, in<br />

gemeinsam verantworteten Gärten individuell zu gärtnern. Der Garten zeigte sich dabei als<br />

ein Erfahrungsfeld für konkrete, nachhaltige Integrationsprozesse <strong>und</strong> ermöglicht es, ein<br />

Stück Wurzeln in <strong>der</strong> Fremde zu schlagen.<br />

(vgl. dazu Christa Müller, 2002)<br />

Zur Illustration <strong>der</strong> Identität stiftenden Wirkung <strong>von</strong> Gärtnern möchte ich noch einige<br />

Auszüge aus den Biografien berühmter englischer Gärtnerinnen anfügen. Die<br />

Informationen dazu stammen aus dem Buch „Das englische Paradies“ <strong>von</strong> Cordula<br />

Hamann.<br />

„Der Garten ist immer wichtig für mich. Durch alle Krisen hindurch hat er mir geholfen,<br />

hat mir Trost, Unterstützung <strong>und</strong> Freude gegeben.“<br />

Beth Chatto (Hamann, 2005, S. 13)<br />

Beth Chatto ist heute eine <strong>der</strong> erfolgreichsten <strong>und</strong> bekanntesten Gärtnerinnen<br />

Großbritanniens. Ihr Zugang zum Gärtnern erfolgte autodidaktisch in <strong>der</strong> Material- <strong>und</strong><br />

Geldknappheit <strong>der</strong> Nachkriegsjahre. Auf <strong>der</strong> Suche nach einer kreativen <strong>und</strong><br />

kommunikativen Tätigkeit kam sie auf die Idee, mit einfachen Pflanzen aus Ablegern,<br />

Saatgut <strong>und</strong> Sammlung in <strong>der</strong> <strong>Natur</strong> Blumenarrangements herzustellen. Daraus<br />

entwickelte sich die Anlage eines Gartens, indem sie bis heute Pflanzen als die<br />

Hauptdarsteller sieht. Gärtnern ist für sie keine Frage des Renommees o<strong>der</strong> gar des<br />

Reichtums, son<strong>der</strong>n ein Lebensstil („it´s a way of life). Mit ihrem Beispiel möchte die<br />

heute noch immer aktive über 80-jährige allen Mut machen, auf <strong>der</strong> Suche nach einer<br />

neuen Lebensgestaltung <strong>der</strong> Neigung o<strong>der</strong> dem Talent zu folgen.<br />

„Eine eigene Berufstätigkeit war nicht möglich <strong>und</strong> so fing ich an, mich um den<br />

damaligen Garten zu kümmern. Ich wäre sonst verrückt geworden, ich musste einfach<br />

etwas Eigenes tun.“<br />

Margret Metianu (Hamann, 2005, S. 44 ff.)<br />

Mit zunehmendem Alter <strong>und</strong> <strong>der</strong> Tatsache, dass die Kin<strong>der</strong> erwachsen wurden, verstärkte<br />

sich bei Margret Metianu <strong>der</strong> Wunsch, endlich irgendwo sesshaft zu werden. Sie fühlte<br />

sich oft einsam, gefangen im täglichen Einerlei <strong>und</strong> deprimiert. Das Gärtnern, vorerst<br />

„nebenbei“ betrieben, wurde zunehmend ihr Lebensmittelpunkt <strong>und</strong> in Folge ihr<br />

zukünftiger Arbeitsschwerpunkt. Die heute 76-Jährige betreibt nach wie vor eine kleine<br />

31


Gärtnerei mit Schaugarten in Kent (Südengland). Ruhe <strong>und</strong> Frieden, Harmonie <strong>und</strong><br />

Erholung sind Worte, die sie häufig im Zusammenhang mit ihrem Garten gebraucht.<br />

Eine ältere Besucherin sagte ihr einmal, dass sie gern in diesem friedlichen Garten sterben<br />

würde.<br />

„Gärtnern kann man auch noch, wenn man alt ist. Vielleicht etwas weniger <strong>und</strong> an<strong>der</strong>s <strong>–</strong><br />

aber möglich ist es immer!“ (Hamann, 2005, S. 63)<br />

Ein weiterer Beleg einer Identität stiftenden Wirkung <strong>von</strong> Garten ist das Wirken <strong>von</strong><br />

Penelope Hobhouse. Sie zählt heute mit 80 Jahren immer noch zu den weltweit<br />

gefragtesten Gartengestaltern <strong>und</strong> ist zudem erfolgreiche Gartenbuchautorin. Ihr<br />

Gartenweg begann erst um die Lebensmitte <strong>und</strong> sie formuliert selbst recht spitz, dass sie<br />

zum Gärtnern eigentlich nur kam, weil sie sich mit ihrem Mann nicht verstand. Also<br />

suchte sie nach einer Tätigkeit, die sie ausfüllte <strong>und</strong> befriedigte <strong>und</strong> sie begann, den<br />

verwahrlosten Garten um den Familienbesitz selbst neu zu gestalten. Gärtnern ist für sie<br />

eine höchst emotionale Angelegenheit. Die Inspiration für diese <strong>und</strong> ihre weiteren<br />

Planungsarbeiten gewann sie aus dem Sehen <strong>und</strong> Erkennen <strong>von</strong> <strong>Landschaften</strong>, <strong>der</strong><br />

impressionistischen Malerei <strong>und</strong> <strong>der</strong> <strong>Wahrnehmung</strong> an<strong>der</strong>er Gärten. Erst vor wenigen<br />

Jahren übersiedelte sie noch einmal <strong>und</strong> konnte dabei ihren neuen Garten frei <strong>und</strong> ohne<br />

Vorgaben gestalten. Sie pflanzte Bäume, <strong>von</strong> denen sie weiß, dass sie diese in<br />

ausgewachsenem Zustand nicht mehr erleben wird.<br />

„Doch das sollte uns nicht da<strong>von</strong> abhalten, sie zu pflanzen! Es ist ein ebenso großes<br />

Vergnügen, diese Bäume wachsen zu sehen <strong>und</strong> froh <strong>und</strong> gespannt vorauszublicken, wie<br />

sie sich immer weiter entwickeln.“<br />

Penelope Hobhouse (Hamann, 2005, S. 174)<br />

Aus <strong>der</strong> Riege <strong>der</strong> berühmten, allesamt autodidaktisch arbeitenden, englischen<br />

Gärtnerinnen möchte ich noch Margery Fish erwähnen. Durch ihre Gartenbücher,<br />

Zeitungsartikel <strong>und</strong> Radiosendungen ist sie bis zu ihrem Tod 1969 als Gärtnerin <strong>und</strong><br />

Pflanzenzüchterin weit über England hinaus bekannt geworden. Während sie als Kind <strong>und</strong><br />

Jugendliche kein Interesse an Gärten hatte, weil sie meinte, sie wären mit zuviel Arbeit<br />

<strong>und</strong> zuwenig Genuss verb<strong>und</strong>en, entdeckte sie erst später, dass gerade die Arbeit das<br />

Schönste an einem Garten ist.<br />

32


4.3.4 Garten FÜR den <strong>Mensch</strong>en - Aufmerksamkeit <strong>und</strong> Faszination<br />

Wir än<strong>der</strong>n die Blickrichtung <strong>und</strong> fragen nun, was <strong>der</strong> Garten für den <strong>Mensch</strong>en bereithält.<br />

Auf die Frage, welche Vorzüge das Gärtnern <strong>und</strong> <strong>der</strong> Garten bietet, antworteten in einer<br />

2002 in Deutschland durchgeführten Befragung 71% mit Ruhe <strong>und</strong> Entspannung, mehr<br />

Lebensfreude <strong>und</strong> Lebensqualität (Plahl, 2004, S. 60).<br />

Dies deckt sich mit <strong>der</strong> vom Land Nie<strong>der</strong>österreich 2004 bei Karmasin beauftragten<br />

(unveröffentlichten) Motivforschung im Vorfeld <strong>der</strong> Planung <strong>von</strong> garten-touristischen<br />

Aktivitäten. Auf die Frage, welche Vorteile sie persönlich durch einen Gartenbesitz<br />

erfahren, antworteten 72% mit Ausgleich/Entspannung/Erholung/Abschalten können,<br />

gefolgt <strong>von</strong> 52 % mit eigenes Gemüse <strong>und</strong> Obst anbauen können. Auf die Frage, welche<br />

Bereiche in ihrem Garten auf keinen Fall fehlen dürfen, kam mit 88% ein Platz zum<br />

Ausspannen an erster Stelle.<br />

Damit stehen die heutigen Privatgärten z. T. ganz in <strong>der</strong> Tradition <strong>der</strong> aristokratischen <strong>und</strong><br />

klösterlichen Parkanlagen, die neben <strong>der</strong> Repräsentation immer auch <strong>der</strong> Rekreation<br />

dienten.<br />

Die Bedeutung des Erholungseffektes belegt auch die bereits ausgeführte Attention-<br />

Restoration-Theorie <strong>–</strong> <strong>der</strong> Theorie zur Wie<strong>der</strong>herstellung <strong>der</strong> Aufmerksamkeit <strong>von</strong> Kaplan<br />

& Kaplan. Kurz zur Erinnerung: Aktivitäten mit unwillkürlicher Aufmerksamkeit<br />

(involuntary attention) führen zur Erholung <strong>der</strong> gerichteten, fokussierten Aufmerksamkeit,<br />

die uns in unserer reizüberfluteten Umwelt in überfor<strong>der</strong>n<strong>der</strong> Weise ständig multikomplex<br />

abverlangt wird. Die für Entspannung erfor<strong>der</strong>liche restaurative Umgebung, wie<br />

sie sowohl Landschaft als auch ein Garten bereithalten kann, ist an einige Faktoren<br />

geknüpft. Sie bietet ein Gefühl <strong>von</strong> „weg sein“, ist ausreichend groß & reichhaltig, passt<br />

zu eigenen Zielen <strong>und</strong> Neigungen <strong>und</strong> ist faszinierend.<br />

Ein authentisches Beispiel dafür lieferte mir <strong>der</strong> Spitzengastronom H. H. am 14. Mai 2008<br />

unmittelbar nach <strong>der</strong> fachlichen Lektüre des entsprechenden Artikels im<br />

Gartentherapiebuch <strong>von</strong> Niepel. Aus <strong>der</strong> Erörterung, warum die aktuelle Gartenschau in<br />

Tulln so stark besucht wird, entwickelt sich seine fragende Feststellung, dass Garten <strong>und</strong><br />

vor allem das Gärtnern jetzt wohl noch viel mehr kommen wird, weil es ein wirksames<br />

Mittel gegen Zerstreutheit <strong>und</strong> Überfor<strong>der</strong>ung sei.<br />

„…plötzlich bist Du konzentriert, fühlst Dich weit weg, bist kurz in einer an<strong>der</strong>en Welt, es<br />

ist wie ein kleiner Urlaub“<br />

33


Er erzählt, dass er in Stresssituationen gerne <strong>von</strong> <strong>der</strong> Küche auf das Gartenfeld hinter dem<br />

Lokal geht, dort zur Sense greift, die Gründüngung mäht, sie aufhebt <strong>und</strong> als Futter den<br />

Hausschweinen im Freilandgehege bringt. Er erinnert sich dabei an die rhythmischen<br />

Bewegungen seiner Großmutter, wie sie zwischen den Weinzeilen das Gras mähte <strong>und</strong> an<br />

die Bewegungen <strong>der</strong> winterlichen Gymnastikgruppe im Turnsaal.<br />

4.3.5 Garten IM <strong>Mensch</strong> - Gärtnerische Haltung <strong>und</strong> gemeinsames Wachsen<br />

Bewegung <strong>und</strong> <strong>der</strong> Kontakt mit <strong>der</strong> <strong>Natur</strong> schafft eine wesentliche Gr<strong>und</strong>lage für die<br />

ganzheitlich ges<strong>und</strong>e Entwicklung <strong>von</strong> Kin<strong>der</strong>n. Es lässt die Welt mit allen Sinnen<br />

begreifen <strong>und</strong> unterstützt Kreativität, Fantasie, Geschicklichkeit <strong>und</strong> Ausdauer.<br />

Werthaltungen, die gegenüber <strong>der</strong> <strong>Natur</strong> aufgebaut werden, lassen sich übertragen auf den<br />

eigenen Körper, an<strong>der</strong>e <strong>Mensch</strong>en <strong>und</strong> an<strong>der</strong>e Kulturen.<br />

Ruth Ammann zitiert dazu eine sinnreiche amerikanische Redewendung: „ It needs a<br />

whole village to rise a child“ <strong>–</strong> Es braucht ein ganzes Dorf, um ein Kind aufwachsen zu<br />

lassen <strong>und</strong> führt dazu aus:<br />

„Vertraut zu sein mit den <strong>Mensch</strong>en, Tieren, Bäumen <strong>und</strong> Pflanzen seiner Umgebung,<br />

übrigens auch mit dem Lauf <strong>der</strong> Sonne, des Mondes <strong>und</strong> <strong>der</strong> Sterne, trägt entscheidend zur<br />

Orientierung, Sicherheit <strong>und</strong> Verwurzelung eines Kindes in <strong>der</strong> Welt bei, im Leben<br />

überhaupt…. Darum ist es sehr schön, wenn Eltern sich die Zeit nehmen, den Kin<strong>der</strong>n das<br />

Wesen <strong>der</strong> <strong>Natur</strong> nahe zu bringen, nicht nur, indem sie ihnen die Schönheit <strong>und</strong> Kraft<br />

zeigen, son<strong>der</strong>n auch, indem sie ihnen ihren Anteil an <strong>der</strong> langweiligen <strong>und</strong> mühsamen<br />

Gartenarbeit nicht abnehmen. Auf diese Weise lernen die jungen <strong>Mensch</strong>en, dass hegen<br />

<strong>und</strong> pflegen, umgraben, jäten <strong>und</strong> wässern Zeit <strong>und</strong> Geduld brauchen, aber am Ende<br />

Früchte bringen. …. (Sie werden so) niemals auf die Idee kommen, das Leben sei ein<br />

Paradiesgarten, wo einem die Blumen einfach so entgegenduften <strong>und</strong> die Früchte <strong>von</strong><br />

selbst in den M<strong>und</strong> fallen. Mit wie viel Mühe <strong>und</strong> Schwierigkeiten müssen doch<br />

Erwachsene später lernen, <strong>von</strong> Größenphantasien herunterzukommen <strong>und</strong> einzusehen,<br />

dass eine fruchtbare Beziehung zur Realität mit viel Zeitaufwand <strong>und</strong> kleiner, erdiger<br />

Arbeit verb<strong>und</strong>en ist!“<br />

(Ammann 2006, S. 73/74)<br />

Gärtnerische Haltung meint, für ein gutes Gleichgewicht zu sorgen <strong>–</strong> im Garten ebenso<br />

wie in <strong>der</strong> eigenen Person. Die Kunst des Gärtnerns besteht darin, Raum zu geben <strong>und</strong><br />

Raum zu begrenzen, mit den äußeren Bedingungen gut umzugehen, Zartes zu<br />

unterstützen, zu Starkes zurechtzustutzen, die richtigen Lebensbedingungen für jede<br />

34


Pflanze zu finden etc. Das gemeinsame Wachsen <strong>und</strong> Gedeihen mit dem Garten lehrt uns<br />

dabei Geduld <strong>und</strong> Durchhaltevermögen.<br />

Einen gärtnerischen Umgang mit sich <strong>und</strong> an<strong>der</strong>en pflegen bedeutet, sich selbst <strong>und</strong><br />

an<strong>der</strong>en umsichtige Unterstützung <strong>und</strong> Beschränkung beim gemeinsamen Wachsen zu<br />

geben <strong>und</strong> so Vertrauen <strong>und</strong> Verantwortung zu übernehmen.<br />

Alles, was gedeihen soll, hat „Gartencharakter“ <strong>–</strong> egal ob ein Kind, eine Arbeit, die<br />

Ges<strong>und</strong>heit o<strong>der</strong> auch eine Veranstaltung <strong>–</strong> <strong>und</strong> sollte aus einer gärtnerischen Haltung<br />

betreut werden. So entsteht eine dialogische Beziehung zwischen Garten <strong>und</strong> <strong>Mensch</strong>.<br />

Angesichts unserer virtuellen Welten wird <strong>der</strong> Lebensraum Garten ebenso wie die<br />

gärtnerische Lebensweise als auch die pädagogische <strong>und</strong> therapeutische Arbeit mit dem<br />

lebendigen Medium Garten an Bedeutung gewinnen.<br />

(vgl. dazu Plahl, 2004, S. 65 bis 69)<br />

4.4 Der Garten als Zwischenwelt<br />

Die Schweizer Architektin, Psychologin, Psychotherapeutin <strong>und</strong> Sandspieltherapeutin<br />

Ruth Ammann entwickelte das Bild <strong>von</strong> Gärten als einer Zwischenwelt<br />

Der Garten liegt für sie zwischen Polen o<strong>der</strong> Gegensätzen als eine eigene, dynamische<br />

Erfahrungswelt. Er ist we<strong>der</strong> das eine, noch das an<strong>der</strong>e. So kann er vermitteln <strong>und</strong> eine<br />

Verbindung herstellen, zum Beispiel zwischen<br />

• Kultur & <strong>Natur</strong><br />

• <strong>Mensch</strong> & Gott<br />

• Oberwelt & Unterwelt<br />

• Verän<strong>der</strong>lichkeit & Unverän<strong>der</strong>lichkeit<br />

• Festgefügtheit & Bewegung<br />

• Erbautes & Gewachsenes<br />

• Geplantes & Natürliches<br />

• Sicherheit & Unsicherheit<br />

Garten unterstützt die Suche nach Einheit, dem verloren gegangenen, idealen,<br />

paradiesischen Zustand des Seins. Er ist eine Annäherung an die Suche nach Geborgenheit<br />

<strong>und</strong> Wachstum.<br />

35


Die Umzäunung o<strong>der</strong> Ummauerung schützt diesen nach oben, zum Licht, zur Sonne, zum<br />

Regen <strong>und</strong> zum Himmel hin offenen Zwischen-Raum, grenzt ihn irdisch <strong>von</strong> <strong>der</strong> freien,<br />

unendlichen Landschaft ab. Die etymologische Herleitung des Wortes Garten <strong>und</strong><br />

Paradies zeigt diese Bedeutungen auf. Das indogermanische Wort „ghordho“ Flechtwerk,<br />

Zaun, Hürde, Umzäunung heißt im erweiterten soviel wie mit einem Zaun umfriedet, ein<br />

Platz des Friedens.<br />

Das Wort Paradies stammt aus dem altiranischen <strong>und</strong> kommt <strong>von</strong> „pairi“ = umfassen <strong>und</strong><br />

„daeza“ = Mauer, also ein mit einer Mauer umfasster Ort. Hier befindet sich <strong>der</strong> Garten<br />

Eden, als Garten <strong>der</strong> Glückseligkeit, in dem alle Wi<strong>der</strong>sprüche aufgehoben sind, <strong>der</strong><br />

<strong>Mensch</strong> sich als Einheit mit sich <strong>und</strong> <strong>der</strong> <strong>Natur</strong> erfährt. Was den Garten zum Paradies<br />

macht ist allerdings nicht nur die Mauer.<br />

„Bei aller Abgrenzung <strong>und</strong> Einfriedung dürfen wir jedoch nicht vergessen, dass <strong>der</strong><br />

Garten nicht nur vom <strong>Mensch</strong>en, son<strong>der</strong>n auch <strong>von</strong> <strong>der</strong> weiteren <strong>Natur</strong>, <strong>der</strong> Pflanzen- <strong>und</strong><br />

Tierwelt lebt …. …<strong>und</strong> vor allem, dass er gegen den Himmel <strong>und</strong> die Tiefe <strong>der</strong> Erde offen<br />

ist. Da gibt es keine Grenzen. Wir <strong>Mensch</strong>en müssen ebenso die großen elementaren<br />

<strong>Natur</strong>kräfte wie Hitze, Trockenheit, Sturm, Regen, Hagel <strong>und</strong> Frost mit einbeziehen wie<br />

auch zum Wesen <strong>der</strong> Pflanzen <strong>und</strong> Tiere in eine Beziehung, dass heißt in eine<br />

gleichwertige Partnerschaft treten, wenn wir mit unserem Garten in Frieden <strong>und</strong><br />

Fre<strong>und</strong>schaft leben wollen. Auf diese Weise setzt die <strong>Natur</strong> des Gartens <strong>der</strong> menschlichen<br />

Selbstherrlichkeit Grenzen.“<br />

(Ammann, 2006, S. 34)<br />

Der Gartenzaun deckt nicht nur Bedürfnisse wie Nahrung <strong>und</strong> Schutz, son<strong>der</strong>n auch<br />

an<strong>der</strong>e existenzielle Werte. Er bewahrt den ganz intimen Raum <strong>der</strong> Beziehung zwischen<br />

<strong>Mensch</strong> <strong>und</strong> Kosmos, in dem wir Bescheidenheit vor <strong>der</strong> <strong>Natur</strong> o<strong>der</strong> wer es so sehen<br />

möchte, vor <strong>der</strong> göttlichen Schöpferkraft lernen <strong>und</strong> leben können.<br />

„Diese Verbindung mit dem ganz An<strong>der</strong>en bringt für den <strong>Mensch</strong>en eine tief empf<strong>und</strong>ene<br />

Erfahrung des Göttlichen, die sich in seiner Seele einpflanzt. Der äußere Garten bekommt<br />

einen inneren Bru<strong>der</strong> <strong>–</strong> den Seelengarten. Dieser Seelengarten stellt einen heiligen Raum<br />

dar, weil er nicht mehr nur dem materiellen Haben dient, son<strong>der</strong>n auch dem innerlichen<br />

Sein.“<br />

(Ammann, 2006, S.35)<br />

36


4.5 Der Innere Garten<br />

Diese Einsicht findet sich auch in einem Übungsbuch <strong>der</strong> Psychotherapeutin Michaela<br />

Huber, die den inneren, imaginären Garten als guten, sicheren Ort, in dem für alles Platz<br />

ist - erfreuliche <strong>und</strong> stärkende Emotionen, Gefühle, Gedanken <strong>und</strong> Träume - darstellt. Ihre<br />

Erfahrung in <strong>der</strong> Trauma Therapie zeigte ihr, dass in <strong>der</strong> Metapher des „inneren Gartens“<br />

eine gute Möglichkeit liegt, eigene Imaginationen <strong>von</strong> einer friedlichen Oase tief im<br />

eigenen Inneren entstehen zu lassen. In <strong>der</strong> dazugehörigen Übungsanleitung lädt sie ein,<br />

sich in <strong>der</strong> Vorstellung einen Garten ganz nach eigenem Geschmack einzurichten:<br />

„Was glauben Sie, wie groß sollte Ihr Garten wohl sein? Und welche Umgrenzung sollte<br />

<strong>der</strong> Garten haben? …Können Sie sich den Zugang zu Ihrem Garten vorstellen? …. Lassen<br />

Sie sich ruhig Zeit, durch das Gartentor o<strong>der</strong> die Tür o<strong>der</strong> den Eingang ganz bewusst<br />

hineinzugehen, die Schwelle zu überqueren …gibt es dort Bäume, <strong>und</strong> ist ihr<br />

Lieblingsbaum dabei? …Können Sie auch riechen, wenn es Ihnen gut tut, den Duft<br />

einzuatmen? Gibt es auch Wasser <strong>–</strong> einen Brunnen, Bach o<strong>der</strong> Teich o<strong>der</strong> See …. Können<br />

Sie auch etwas Angenehmes hören? Etwa Vogelgezwitscher o<strong>der</strong> das Plätschern <strong>von</strong><br />

Wasser o<strong>der</strong> das Summen <strong>der</strong> Insekten in den Blumen … Können Sie sich vorstellen, in<br />

Ihrem Garten einen Ruheplatz einzurichten, erst einmal für sich selbst <strong>und</strong> dann für alle<br />

Anteile <strong>von</strong> sich, die Sie gern einmal an einem guten, sicheren Ort wie diesen ausruhen<br />

lassen wollen?<br />

(Huber, 2005, S. 65/66)<br />

Wenn man diese Übung einmal gut beherrscht, kann man in unterschiedlichsten<br />

Herausfor<strong>der</strong>ungen im Alltag schnell etwas <strong>von</strong> sich „durch das Gartentor in Sicherheit“<br />

bringen. Diese <strong>und</strong> alle weiteren Übungen des Buches haben das Ziel, die eigenen<br />

Ressourcen möglichst optimal nutzen zu lassen. Gewonnen wurden die Erkenntnisse als<br />

ein Destillat <strong>der</strong> kollektiven Einsicht unzähliger KollegInnen, die diese wie<strong>der</strong>um zu<br />

einem Großteil ihren KlientInnen verdanken. Es ist das Ergebnis <strong>von</strong> langjährigen<br />

Lernprozessen vieler <strong>Mensch</strong>en <strong>und</strong> zwar Ergebnis dessen, was geholfen hat. Damit<br />

spannt Michaela Huber den Bogen zur Ges<strong>und</strong>heitsför<strong>der</strong>ung, insbeson<strong>der</strong>e <strong>der</strong><br />

Resilienzforschung.<br />

Die katholische Internetseelsorge Deutschland (www.internetseelsorge.de) hat nach dem<br />

Vorbild des 1491 erschienen <strong>und</strong> sehr beliebten Andachtsbüchlein „Seelengarten“<br />

(Hortulus animae) einen virtuellen Seelengarten angelegt. Eingebettet in Bil<strong>der</strong> eines<br />

Klostergartens, <strong>Natur</strong>gartens, Wassergartens, Wüstengartens, Japanischen <strong>und</strong> Irischen<br />

Gartens finden sich anregende Impulse unbekannter <strong>und</strong> bekannter Dichter zu den<br />

Themen des jeweiligen Gartens.<br />

37


Im Einleitungstext zum <strong>Natur</strong>garten heißt es z.B.:<br />

„Alles Leben begann in einem Garten. Die Kulturen <strong>der</strong> <strong>Mensch</strong>heit nahmen ihren<br />

Ausgang in Gärten. In jedem Garten finden wir uns wie<strong>der</strong>, ein Stück <strong>von</strong> uns, unserer<br />

Geschichte <strong>und</strong> unseren Möglichkeiten. Vom Schlosspark bis zum kleinen Schrebergarten<br />

<strong>–</strong> je<strong>der</strong> Garten ist ein Spiegel <strong>der</strong> Seele. Im Garten schaffen o<strong>der</strong> entdecken wir unser<br />

persönliches Paradies. Lebensraum Garten <strong>–</strong> das ist ein phantastischer <strong>und</strong> immer wie<strong>der</strong><br />

neuer Dialog mit <strong>der</strong> <strong>Natur</strong>.“<br />

4.6 Beson<strong>der</strong>e Aspekte <strong>der</strong> Beziehung <strong>Mensch</strong> <strong>–</strong> Pflanze<br />

Dass aus dem Garten ges<strong>und</strong>e, frische Lebensmittel im wahrsten Sinne des Wortes<br />

kommen können, möchte ich hier nicht weiter ausführen. Nur so viel sei festgestellt: <strong>der</strong><br />

Nutzgarten mit Gemüse erlebt in den Privatgärten eine Renaissance, Essbares wird sogar<br />

auf <strong>der</strong> Fensterbank gezogen. Dabei legt <strong>der</strong> Garten das Nachkriegsimage des<br />

Versorgungscharakters ab, es geht um das essentielle Erlebnis, etwas selbst Gezogenes<br />

ernten zu können, dessen Entstehung <strong>der</strong> eigenen Kontrolle <strong>und</strong> Fürsorge unterliegt.<br />

Biologisches Gärtnern stellt beim Gemüse <strong>und</strong> Obst für viele <strong>Mensch</strong>en einen wichtigen<br />

eigenverantwortlichen Zugang zu ges<strong>und</strong>er Ernährung dar. Im Lichte <strong>der</strong> aktuellen<br />

Finanzkrise wird möglicherweise auch für unsere westliche Welt eigenes Gemüse über<br />

den immateriellen Wert hinaus wie<strong>der</strong> eine wichtige Ressource <strong>der</strong> Selbstversorgung.<br />

4.6.1 Heilkräuter <strong>und</strong> Pflanzen als spezifische seelische Heilmittel<br />

Der eigene Garten ist seit jeher wichtiger Ort für das Heranziehen <strong>von</strong> Heilkräutern <strong>und</strong><br />

damit zur Stärkung <strong>der</strong> Ges<strong>und</strong>heit. Aufschlussreich für die Verbindung zwischen Garten<br />

<strong>und</strong> Seele ist sowohl die traditionelle, als auch die mo<strong>der</strong>ne Kräuterk<strong>und</strong>e.<br />

Viele Pflanzen (ihre Blüten <strong>und</strong> Essenzen) werden seit alters her nicht nur gegen<br />

körperliche Leiden verwendet, son<strong>der</strong>n auch wegen ihrer Wirkung auf Seele <strong>und</strong> Geist.<br />

Sei es z. B. die beruhigende Wirkung <strong>von</strong> Melisse, Baldrian o<strong>der</strong> Lavendel, die Gemüt<br />

erhellende <strong>von</strong> Johanniskraut o<strong>der</strong> die aphrodisische <strong>von</strong> Ginseng, Artischocke o<strong>der</strong> <strong>der</strong><br />

gewöhnlichen Petersilie. Die w<strong>und</strong>erbaren, aber auch zerstörerischen Kräfte <strong>von</strong> Pflanzen<br />

zeigen sich in zahlreichen halluzinogenen Rausch- <strong>und</strong> Giftdrogen, denen Ethnobotaniker<br />

sich heute wie<strong>der</strong> forschend zuwenden. Medizin <strong>und</strong> Magie liegen hier sehr nahe<br />

beieinan<strong>der</strong>.<br />

38


Die Überlieferungskette <strong>der</strong> Pflanzenheilk<strong>und</strong>e spannt sich vom Fernen Osten (<strong>der</strong><br />

traditionellen chinesischen Medizin) über die Klostermedizin des Mittelalters. Im<br />

Capitulare de Villis, <strong>der</strong> 812 erlassenen Landgüterverordnung Karls des Großen werden<br />

zum Zwecke <strong>der</strong> Hebung <strong>der</strong> Volksges<strong>und</strong>heit 73 Nutz- <strong>und</strong> Heilpflanzen aufgelistet, die<br />

in den Domänen- <strong>und</strong> Klostergärten anzubauen sind. Dieses Wissen wurde <strong>von</strong> den<br />

Klöstern verbreitet <strong>und</strong> fand in die bäuerlichen <strong>und</strong> bürgerlichen Gärten Eingang. Mit <strong>der</strong><br />

Entwicklung <strong>der</strong> naturwissenschaftlich orientierten Medizin <strong>und</strong> <strong>der</strong> Ausrottung <strong>der</strong><br />

weisen Kräuterfrauen im Zuge <strong>der</strong> Hexenverbrennungen war die europäische<br />

Kräuterheilk<strong>und</strong>e jedoch für einige Jahrh<strong>und</strong>erte im Untergr<strong>und</strong> bzw. in <strong>der</strong> Vergessenheit<br />

<strong>und</strong> wird erst jetzt als Traditionelle Europäische Kräuterk<strong>und</strong>e in die wissenschaftliche<br />

<strong>und</strong> allgemeine Aufmerksamkeit zurückgeholt.<br />

Bachblüten, Aromatherapie <strong>und</strong> Homöopathie sind vergleichsweise junge Anwendungen<br />

<strong>von</strong> Pflanzen als Medizin. Hier geht es um die Essenz, die Duft- <strong>und</strong> Farbgestalt <strong>der</strong><br />

Pflanzen, die ebenfalls eine ganzheitliche Wirkung entfalten. Diese Essenz wird in<br />

Auszügen, als ätherisches Öl o<strong>der</strong> in hoch potenzierter reiner Energie angewandt.<br />

Die Bachblütentherapie beschreibt, als Gr<strong>und</strong>lage <strong>der</strong> Anwendung, für 38 Pflanzen ihrem<br />

Wesen entsprechende Persönlichkeitsbil<strong>der</strong> <strong>und</strong> (krankhafte) Daseinszustände. Die nach<br />

einem unkomplizierten Verfahren aus wild wachsenden Blumen <strong>und</strong> Baumblüten<br />

hergestellten, vom Londoner Arzt Dr. Edward Bach (1886 <strong>–</strong> 1936) entwickelten,<br />

Heilmittel unterdrücken <strong>und</strong> bekämpfen nichts, son<strong>der</strong>n geben <strong>der</strong> natürlichen <strong>und</strong><br />

ges<strong>und</strong>en seelischen Anlage ihre Entfaltungskraft zurück.<br />

Die Homöopathie, Ende des 18. Jh.s vom sächsischen Arzt Samuel Hahnemann<br />

entwickelt, ist eine eigenständige, auf Erfahrung beruhende Teilmedizin, die in Österreich<br />

inzwischen offiziell anerkannt ist. An<strong>der</strong>s als in <strong>der</strong> konventionellen Medizin werden nicht<br />

einzelne Krankheiten bestimmt, son<strong>der</strong> in einer strukturierten Anamnese <strong>der</strong> gesamte<br />

<strong>Mensch</strong> in einem Krankheitsbild erfasst, dem komplexe Arzneibil<strong>der</strong> gegenüber gestellt<br />

werden. Die Entwicklung dieser Arzneibil<strong>der</strong> basiert auf dem Prinzip <strong>der</strong> Ähnlichkeit, das<br />

besagt, dass jene Stoffe (in stark verdünnter, potenzierter Form) heilen, die bei einem<br />

ges<strong>und</strong>en <strong>Mensch</strong> das zu behandelnde Krankheitsbild auslösen würden.<br />

Die Aromatherapie zielt u. a. auch auf eine Stärkung des Gemütes. Düfte gehen über den<br />

Geruchssinn, <strong>der</strong> direkt <strong>und</strong> ungesteuert auf das Gehirn einwirkt <strong>und</strong> damit unmittelbar auf<br />

das Gefühlsleben sowie das Erinnerungsvermögen wirkt. Neben <strong>der</strong> Duftkomponente über<br />

das Zerreiben <strong>von</strong> Pflanzenteilen o<strong>der</strong> die weit verbreiteten Duftlampen werden ätherische<br />

Kräuteröle auch im Wasserdampf inhaliert, über die Haut einmassiert, als verdünnte<br />

Lösung o<strong>der</strong> auf Zucker eingenommen.<br />

39


Der <strong>Mensch</strong> scheint also auch ein pflanzliches Leben in sich zu haben, eine Entsprechung<br />

zu den in Blumen <strong>und</strong> Kräutern wirksamen Kräften herstellen zu können. Die ergänzende<br />

Meinung, dass umgekehrt auch Pflanzen eine Seele haben, wurde vom großen<br />

<strong>Natur</strong>forscher <strong>und</strong> Theologen Albertus Magnus bereits im 13. Jahrh<strong>und</strong>ert vertreten. Sein<br />

großes Werk „De Vegetabilibus“ enthält neben botanischen auch philosophische<br />

Gedanken zu fast 400 damals bekannten Pflanzenarten (Bäume, Sträucher, Stauden,<br />

Kräuter).<br />

4.6.2 Die heilige Grünkraft - Hildegard <strong>von</strong> Bingen<br />

Im 12. Jahrh<strong>und</strong>ert lebte, forschte <strong>und</strong> lehrte die heilk<strong>und</strong>ige <strong>und</strong> weise <strong>Natur</strong>forscherin<br />

Hildegard <strong>von</strong> Bingen. Die Benediktineräbtissin als große Seherin <strong>und</strong> Heilerin des<br />

Mittelalters ist eine <strong>der</strong> besten Pflanzenkennerinnen ihrer Zeit. In ihrem Heilmittelbuch<br />

„Physica“ beschreibt sie in neun Bänden die natürlichen Heilkräfte in den Bäumen <strong>und</strong><br />

Früchten, Gewürzen <strong>und</strong> Heilkräutern, Tieren, Edelsteinen <strong>und</strong> Metallen. Sie schreibt<br />

einerseits über die Ursachen <strong>und</strong> Behandlungen <strong>der</strong> Krankheiten, an<strong>der</strong>erseits über die<br />

ges<strong>und</strong>e Lebensweise <strong>und</strong> führt damit die Tradition <strong>der</strong> ganzheitlichen Betrachtung <strong>von</strong><br />

Ges<strong>und</strong>heit als Körper-Geist-Seele-Gleichgewicht fort.<br />

Sie sieht den ganzen Kosmos im Kleinen wie im Großen <strong>von</strong> einer einheitlichen Kraft<br />

durchwirkt, <strong>der</strong> „Sancta viriditas“, <strong>der</strong> heiligen Grünkraft. Diese wohnt als Gr<strong>und</strong>kraft <strong>der</strong><br />

gesamten Schöpfung inne (<strong>Mensch</strong>, Tier, Pflanze, Mineralien) <strong>und</strong> ist auch die Gr<strong>und</strong>kraft<br />

zur Heilung. Aus ihr erwächst dem <strong>Mensch</strong>en stets neue Lebenskraft <strong>und</strong> Lebensfreude.<br />

Man kann sie auftanken, <strong>von</strong> außen beziehen, indem man den Kontakt mit den vier<br />

Elementen Feuer, Wasser, Luft, Erde pflegt. Sie gibt zahlreiche Anweisungen <strong>und</strong><br />

Anwendungen (Fastentherapie, Psychotherapie, Stressbewältigung etc. ...), die eigene<br />

Grünkraft <strong>–</strong> mo<strong>der</strong>n übersetzt, die ges<strong>und</strong>heitsför<strong>der</strong>nde Spannkraft zwischen Körper,<br />

Geist <strong>und</strong> Seele <strong>–</strong> täglich neu zu entdecken, zu pflegen <strong>und</strong> zu stärken, denn eine<br />

einseitige Lebensweise stört die Viriditas <strong>und</strong> macht krank.<br />

Die Farbe Grün als Verbindung <strong>der</strong> Farben Blau <strong>und</strong> Gelb, steht für die Verbindung des<br />

Himmels <strong>und</strong> <strong>der</strong> Erde, des Wassers <strong>und</strong> <strong>der</strong> Sonne als zentrale Lebenskräfte. Der Garten<br />

<strong>und</strong> das Gärtnern sind unerschöpfliche Quellen, um die in den Pflanzen <strong>und</strong> dem gesamten<br />

Kosmos gesammelte Grünkraft zu erleben <strong>und</strong> zu nutzen<br />

40


4.6.3 Der Blick ins Grüne<br />

„Der Blick ins Grüne ist eine <strong>der</strong> Ges<strong>und</strong>heitsbedingungen,<br />

<strong>der</strong>en Bedeutung erst dann erforscht wird,<br />

wenn wir sie zu verlieren drohen“<br />

Wolfgang Schmiedbauer:<br />

Der Gute ist immer <strong>der</strong> Gärtner in: Die Woche, 19.5. 2000<br />

In <strong>der</strong> wohl bekanntesten <strong>und</strong> häufig zitierten feldexperimentellen Untersuchung,<br />

vereinfacht als „Fensterstudie“ bezeichnet, hat Roger S. Ulrich bereits 1984 festgestellt,<br />

dass <strong>der</strong> Blick aus dem Krankenhausfenster Auswirkungen auf die Ges<strong>und</strong>ung hat. Roger<br />

S. Ulrich ist Leiter des interdisziplinären Centers for Health Systems and Design an <strong>der</strong><br />

Texas-A&M-University <strong>und</strong> führt seit über 20 Jahren Studien zur Wirkung <strong>von</strong> <strong>Natur</strong> auf<br />

das psychische <strong>und</strong> physische Wohlbefinden <strong>von</strong> <strong>Mensch</strong>en durch.<br />

Bei <strong>der</strong> sogenannten Fensterstudie (view out of a window) hat man zwei Gruppen mit<br />

jeweils 23 Patienten, denen die Gallenblase entfernt wurde, während ihrer Genesung eine<br />

unterschiedliche Sicht aus dem Fenster angeboten, nämlich den Blick auf den Garten <strong>und</strong><br />

jenen auf eine Steinmauer mit folgendem Ergebnis: Patienten mit Ausblick in die grüne<br />

<strong>Natur</strong> brauchten eine wesentlich geringere Dosis an Schmerzmitteln, wurden im Umgang<br />

mit dem Personal als angenehmer empf<strong>und</strong>en, es gab weniger Komplikationen <strong>und</strong> die<br />

Aufenthaltsdauer konnte verkürzt werden.<br />

Ebenfalls <strong>von</strong> Ulrich konnte nachgewiesen werden, dass es dazu keines beson<strong>der</strong>en<br />

Gartens bedarf <strong>und</strong> sogar Fotografien <strong>von</strong> <strong>Natur</strong>eindrücken binnen weniger Minuten zu<br />

einem messbaren Stressabbau führten.<br />

(vgl. dazu Niepel/Emmrich, 2005, S. 67/68).<br />

Die psychologischen Theorien zur Erklärung dieser empirischen Bef<strong>und</strong>e betonen<br />

entwe<strong>der</strong> die Stress reduzierende Wirkung <strong>der</strong> <strong>Natur</strong> o<strong>der</strong> beziehen sich auf das Vermögen<br />

<strong>der</strong> <strong>Natur</strong>, unsere Aufmerksamkeit zu fokussieren (siehe in den diesbezüglichen<br />

Ausführungen weiter oben).<br />

4.6.4 Die ges<strong>und</strong>heitsför<strong>der</strong>nde Wirkung <strong>von</strong> Grünpflanzen<br />

Von beson<strong>der</strong>er Bedeutung sind Pflanzen für Wohnräume <strong>und</strong> Arbeitsplätze. <strong>Mensch</strong>en<br />

umgeben sich instinktiv mit Blumen <strong>und</strong> Pflanzen in ihren Wohnungen <strong>und</strong> Häusern. Sie<br />

folgen hier ihrem evolutionsbedingten Bedürfnis nach frischem Grün, <strong>Natur</strong> <strong>und</strong><br />

lebendigen Pflanzen. Der Wert <strong>von</strong> Pflanzen in Innenräumen wurde schon im 17.<br />

41


Jahrh<strong>und</strong>ert erkannt. In französischen Orangerien <strong>und</strong> in Folge dann in den englischen<br />

Wintergärten wurden Pflanzen gehegt <strong>und</strong> gepflegt.<br />

Beson<strong>der</strong>e Gewichtung für die Innenraumbegrünung erhielt lebendiges Grün im Zuge <strong>der</strong><br />

zunehmenden Umweltverschmutzung, <strong>und</strong> vor allem mit dem wachsenden Bewusstsein<br />

dafür, in <strong>der</strong> zweiten Hälfte des 20. Jahrh<strong>und</strong>erts. Die Erkenntnis, dass Pflanzen in<br />

Wohnung <strong>und</strong> am Arbeitsplatz eine positive Wirkung auf den <strong>Mensch</strong>en, im Beson<strong>der</strong>en<br />

auf psychisch-geistiger Ebene haben, begann sich zu etablieren.<br />

Mit dem Thema <strong>der</strong> bedarfsgerechten Gestaltung <strong>von</strong> Arbeitsplätzen durch Pflanzen<br />

beschäftigt sich intensiv die internationale Initiative Plants for People(www.plants-forpeople.de).<br />

Eine <strong>der</strong> Hauptaufgaben dieser Organisation ist es, über die<br />

Wohlfahrtswirkung <strong>von</strong> Pflanzen in <strong>der</strong> Arbeitsumgebung zu informieren. In den letzten<br />

zehn Jahren haben zahlreiche Forschungsergebnisse ergeben, dass Pflanzen<br />

� Schadstoffe in größerer Konzentration abbauen<br />

� die Raumluft durch die Erhöhung <strong>der</strong> Luftfeuchtigkeit verbessern<br />

� eine Verringerung <strong>der</strong> Staubbelastung erzielen<br />

� zur Klimatisierung <strong>von</strong> Räumen beitragen (ohne technische Mittel)<br />

� das subjektive Wohlbefinden <strong>und</strong> das Verhältnis zum Arbeitsplatz<br />

verbessern<br />

� die Stressempfindung reduzieren<br />

� die Produktivität erhöhen<br />

� ganz allgemein Ges<strong>und</strong>heitsprobleme reduzieren<br />

42


5 Gartenpädagogik <strong>und</strong> Gartencoaching als Methoden zur<br />

Erschließung <strong>der</strong> ges<strong>und</strong>heitsför<strong>der</strong>nden Wirkung<br />

„Am Son<strong>der</strong>fall <strong>der</strong> Kranken, <strong>der</strong> Leidenden, <strong>der</strong> Behin<strong>der</strong>ten wird, gelegentlich<br />

entdeckt <strong>und</strong> erprobt, was allen gut <strong>und</strong> auch Not tut. Die therapeutischen<br />

Beobachtungen, Überlegungen <strong>und</strong> Vorschläge des Buches sind entwe<strong>der</strong> ebenso gültig<br />

für die normal belasteten Bürger <strong>der</strong> Zivilisationen zwischen Überlebensstress <strong>und</strong><br />

Erziehung zum Überfluss o<strong>der</strong> sie können leicht übertragen werden in etwas, das wir<br />

alle uns wünschen.“<br />

Aus dem Geleitwort „Heilende Gärten“ <strong>von</strong> Prof. Rudolf zur Lippe<br />

(Niepel/Emmerich, 2005, S. 9)<br />

Diese Einschätzung <strong>von</strong> Prof. Rudolf zur Lippe bestätigte meine These zum nützlichen<br />

Transfer <strong>der</strong> gartentherapeutischen Erfahrungen in das Alltagsleben „ges<strong>und</strong>er<br />

<strong>Mensch</strong>en“. Ich habe im Zuge des Lehrgangs immer mit einem zweiten Auge, Ohr <strong>und</strong><br />

Kopf parallel mit zu sehen, hören <strong>und</strong> denken versucht, was sich aus <strong>der</strong> Gartentherapie<br />

jeweils für die Erhaltung <strong>und</strong> För<strong>der</strong>ung <strong>von</strong> Ges<strong>und</strong>heit an sich ableiten lassen könnte.<br />

Ausgangspunkt dazu war <strong>und</strong> ist das <strong>von</strong> Antonovsky geprägte Verständnis des<br />

Ges<strong>und</strong>heits-Krankheits-Kontinuums, auf dem sich je<strong>der</strong> <strong>Mensch</strong> in seinem Leben hin-<br />

<strong>und</strong> herbewegt. So gesehen ist immer wirklich, was wirkt, d.h. im Kontext <strong>der</strong> jeweiligen,<br />

individuellen Position auf dem Kontinuum zu einer Verän<strong>der</strong>ung in die eine o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e<br />

Richtung führt.<br />

Im Zuge unserer gartentherapeutischen Weiterbildung wurden <strong>von</strong> den Vortragenden<br />

sowohl Erfahrungen aus ihrer eigenen Praxis eingespielt, als auch empirische Bef<strong>und</strong>e<br />

aus, für das Verständnis bereichernden, Beobachtungen <strong>und</strong> Untersuchungen angeführt.<br />

Diese Erfahrungen <strong>und</strong> Beobachtungen belegen eine vielfältige, stärkende <strong>und</strong> heilende<br />

Wirkung <strong>von</strong> Garten <strong>und</strong> <strong>Natur</strong> auch für den mehr o<strong>der</strong> weniger „ges<strong>und</strong>en“ <strong>Mensch</strong>en.<br />

Ich habe diese unterschiedlichen Aspekte aus den Vorlesungen <strong>und</strong> einschlägigen<br />

Publikationen (siehe Literaturliste) mit weiteren Aussagen, Erkenntnissen <strong>und</strong> Zugängen,<br />

vor allem aus den jungen Teilwissenschaften <strong>der</strong> Umweltpsychologie <strong>und</strong> <strong>der</strong><br />

Neurobiologie angereichert.<br />

43


Als inneres Bild lebt <strong>der</strong> Garten seit Jahrtausenden in den <strong>Mensch</strong>en als Quelle <strong>der</strong> Kraft,<br />

<strong>der</strong> Hoffnung <strong>und</strong> des Eros. Auch als äußerer, konkreter Lebensraum, also als Umwelt,<br />

schenkt <strong>der</strong> Garten den <strong>Mensch</strong>en seit jeher Schutz, Nahrung, Freude <strong>und</strong> Möglichkeit<br />

zum Schöpferischsein. Es ist also ganz offenbar, dass wir die positive, heilende Kraft <strong>der</strong><br />

Gärten heute mehr denn je wie<strong>der</strong> brauchen als heilendes Gegenstück zu den<br />

bedrohenden, negativen Kräften <strong>der</strong> Welt.<br />

(Ammann, 2006, S. 13)<br />

5.1 Das Occupational Performance Modell als Handlungskonzept <strong>der</strong><br />

Ergotherapie<br />

Ein ganz allgemein handlungsorientierter, praktischer Zugang wurde mit dem<br />

Occupational Performance Model Australia (OPMA) eröffnet, welches 1997 <strong>von</strong> den<br />

beiden australischen Ergotherapeuten Chapparo <strong>und</strong> Ranka entwickelt wurde. Das OPMA<br />

dient als Konstrukt zur Verstehbarkeit <strong>der</strong> lebenslangen Beziehung <strong>von</strong> <strong>Mensch</strong> <strong>und</strong><br />

Umwelt, die durch das Handeln aktiviert wird (zusammengefasst aus: Vorlesungsskript<br />

Susanne Mulzheim, Gabriele Kellner, Gartentherapielehrgang 2007)<br />

Handlungen sind demnach Reaktionen aufgr<strong>und</strong> <strong>von</strong> Anfor<strong>der</strong>ungen aus <strong>der</strong><br />

externen Umwelt (soziale, sensorische, physische, kulturelle) <strong>und</strong>/o<strong>der</strong> <strong>der</strong> internen<br />

Umwelt (dem Inneren Sein <strong>–</strong> Geist <strong>–</strong> Seele), eingebettet in Raum <strong>und</strong> Zeit <strong>und</strong> einen<br />

Bezugsrahmen je nach ihrem Zweck, <strong>und</strong> zwar <strong>der</strong><br />

Selbsterhaltung<br />

Erhaltung <strong>von</strong> Ges<strong>und</strong>heit <strong>und</strong> Wohlbefinden<br />

Produktivität<br />

Tätigkeiten zur Sicherung des Lebensunterhalts bzw. Lernen (Aus- <strong>und</strong> Weiterbildung)<br />

Freizeit<br />

Unterhaltung, Kreativität, Feiern<br />

Erholung<br />

absichtsvolles Verfolgen einer Nicht-Aktivität wie Schlaf, Kontemplation, Entspannung<br />

Jede Handlung beinhaltet physische, sensomotorische, kognitive <strong>und</strong> psychosoziale<br />

Dimensionen. Für die praktische Anwendung zur Diagnose <strong>und</strong> Planung in <strong>der</strong><br />

Ergotherapie werden fünf Handlungskomponenten benannt, die in enger Wechselwirkung<br />

zueinan<strong>der</strong> stehen: Biomechanik (physische Struktur des Körpers), Sensomotorik<br />

(Interaktion zwischen sensorischem Input <strong>und</strong> motorischer Reaktion), Kognition (mentale<br />

Prozesse), sowie die intrapersonale <strong>und</strong> interpersonale Komponente für den<br />

psychosozialen Faktor. Jede Handlung braucht für ihre erfolgreiche Durchführung ein<br />

44


Bündel an Fähigkeiten <strong>und</strong> hat Auswirkungen auf den <strong>Mensch</strong>en, <strong>der</strong> sie vollführt. Das<br />

Konstrukt <strong>der</strong> Handlungsperformanz erkennt das Paradigma <strong>der</strong> Interaktion <strong>von</strong> Körper-<br />

Geist-Seele an, welches als Schlüssel zu physischer <strong>und</strong> mentaler Ges<strong>und</strong>heit <strong>und</strong><br />

Wohlbefinden betrachtet wird.<br />

„Zusammen formen Körper, Geist <strong>und</strong> Seele den menschlichen Körper, das menschliche<br />

Gehirn, den menschlichen Verstand, das menschliche Bewusstsein seiner selbst <strong>und</strong> die<br />

menschliche Vorstellung des Universums“<br />

Popper, 1981 (zitiert aus demVorlesungsskript)<br />

Die Wie<strong>der</strong>herstellung <strong>und</strong> Erhaltung <strong>der</strong> Handlungsfähigkeit des <strong>Mensch</strong>en ist <strong>der</strong><br />

zentrale Fokus <strong>der</strong> Ergotherapie. OPMA wird bereits erfolgreich zur Planung <strong>und</strong><br />

Reflexion gartentherapeutischer Interventionen angewandt. Dieser Handlungsrahmen mit<br />

dem Blick auf die vier Lebensbereiche <strong>und</strong> fünf Handlungskomponenten kann m. E. direkt<br />

auf die zielorientierte Arbeit <strong>von</strong> <strong>und</strong> mit ges<strong>und</strong>en <strong>Mensch</strong>en übertragen werden.<br />

5.2 Die Wirkungsebenen <strong>von</strong> Garten <strong>und</strong> <strong>Natur</strong> im Überblick<br />

Vereinfacht können die verschiedenen Aspekte <strong>und</strong> Zugänge zur Wirkung <strong>von</strong> Garten <strong>und</strong><br />

<strong>Natur</strong>, wie ich sie im vorangegangenen Kapitel dargelegt habe, auf fünf Ebenen betrachtet<br />

werden. Ausgehend vom Bild des <strong>Mensch</strong>en als Körper-Geist-Seele-Einheit <strong>und</strong> <strong>der</strong><br />

Einheit <strong>von</strong> <strong>Mensch</strong> <strong>und</strong> <strong>Natur</strong> entstehen diese Wirkungsebenen im Dialog, im sich darauf<br />

einlassen. Sie sind zudem interdependent <strong>und</strong> keine kann <strong>von</strong> <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en isoliert werden.<br />

Physische Ebene Körper-Bezug Ernährung & Bewegung<br />

Psychische Ebene Ich-Bezug Gefühle & Emotionen, Seele<br />

Soziale Ebene Wir-Bezug Gemeinschaft & Beziehungen<br />

Ökologische Ebene Ein-Bezug <strong>Mensch</strong> als Teil einer Mitwelt<br />

Spirituelle Ebene Rück-Bezug Einbettung in ein größeres Ganzes<br />

Je<strong>der</strong> Versuch einer Systematik leben<strong>der</strong> Systeme hat eine gewisse Willkürlichkeit. Das,<br />

was miteinan<strong>der</strong> in Verbindung <strong>und</strong> im Austausch steht, kann nicht wirklich in <strong>von</strong><br />

einan<strong>der</strong> unabhängige Einzelpositionen isoliert werden. Ebenso können auch<br />

Gartenelemente o<strong>der</strong> gärtnerische Tätigkeiten nicht nur einer Wirkungsebene zugeordnet<br />

werden. Es ist immer <strong>von</strong> einer Wechselwirkung auszugehen. Einteilungen erleichtern<br />

jedoch die Planung <strong>und</strong> Überprüfung <strong>der</strong> Zielerreichung sowohl einer therapeutischen<br />

Arbeit als auch <strong>der</strong> bewussten, ges<strong>und</strong>heitsför<strong>der</strong>nden Arbeit für den <strong>und</strong> mit dem<br />

ges<strong>und</strong>en <strong>Mensch</strong>en.<br />

45


5.3 Transfer <strong>von</strong> <strong>der</strong> Pathogenese in die Salutogenese<br />

Aus dieser Zusammenstellung <strong>von</strong> Erkenntnissen <strong>und</strong> Erfahrungen über die positive,<br />

ges<strong>und</strong>heitsför<strong>der</strong>nde, ausgleichende <strong>und</strong> stabilisierende Wirkung <strong>von</strong> Garten <strong>und</strong> <strong>Natur</strong><br />

auf den <strong>Mensch</strong>en erscheint es mir aus ges<strong>und</strong>heitspolitischer <strong>und</strong> volkswirtschaftlicher<br />

Sicht sehr empfehlenswert, möglichst vielen <strong>Mensch</strong>en diese Wirkung zu ermöglichen.<br />

Was braucht es also, um <strong>Mensch</strong>en den Zugang zu stärkenden passiven o<strong>der</strong> aktiven<br />

sinnstiftenden Gartenerlebnissen zu erschließen?<br />

Gärtnern <strong>und</strong> gärtnerisches Tun ist ja gesellschaftlich wie<strong>der</strong> ins positive Bewusstsein<br />

gerückt <strong>und</strong> gehört zu den beliebtesten Freizeitbeschäftigungen. Der Anteil <strong>der</strong><br />

Verkaufsflächen in Baumärkten steigt sichtbar <strong>und</strong> messbar zugunsten <strong>von</strong> Gartenartikeln<br />

<strong>und</strong> Pflanzen, neue Gartencenter entstehen, die Anzahl <strong>der</strong> Bücher <strong>und</strong> Magazine zum<br />

Thema Garten vervielfacht sich <strong>von</strong> Jahr zu Jahr. Schau- <strong>und</strong> Themengärten entpuppen<br />

sich landauf, landab als attraktive Ausflugsziele. Die neu erwachte Gartenlust ist auch ein<br />

relevanter Wirtschaftszweig geworden. Wozu sich also mit <strong>der</strong> ges<strong>und</strong>heitsför<strong>der</strong>nden<br />

Wirkung des Gartens beschäftigen? Ergibt sie sich diese nicht ohnehin automatisch aus<br />

Angebot <strong>und</strong> Nachfrage <strong>und</strong> dem wie<strong>der</strong> erwachten Interesse dafür?<br />

Überall dort wo <strong>der</strong> <strong>Mensch</strong> den Garten als wohltuende Umgebung unwillkürlich <strong>und</strong><br />

selbstverständlich stärkend wahrnehmen <strong>und</strong> genießen kann ist auch kein Handlungsbedarf.<br />

Für viele <strong>Mensch</strong>en erschließt sich das Potential an heilsamer Wirkung des<br />

Gartens allerdings nicht <strong>von</strong> alleine, (so wie auch Sport o<strong>der</strong> Bewegung nicht automatisch<br />

ges<strong>und</strong> ist o<strong>der</strong> man nicht automatisch gut Schwimmen kann, wenn man ins Wasser<br />

geworfen wird), selbst wenn sie über einen eigenen Garten verfügen.<br />

Meine These ist daher, dass die Qualität einer salutogenetischen Wirkung <strong>von</strong> Garten <strong>und</strong><br />

Gartenarbeit nicht immer <strong>und</strong> je<strong>der</strong>zeit <strong>von</strong> selbst entsteht. Gartenerlebnisse <strong>und</strong><br />

Gartenarbeit werden einen umso wirksameren Beitrag zur Ausbildung des<br />

Kohärenzgefühls leisten, je mehr damit an den Ressourcen <strong>und</strong> Bedürfnissen des<br />

jeweiligen Individuums angeschlossen werden kann. Dafür ist es <strong>–</strong> wie in <strong>der</strong> Therapie <strong>–</strong><br />

auch beim ges<strong>und</strong>en <strong>Mensch</strong>en erfor<strong>der</strong>lich, sich sowohl mit den Wünschen,<br />

Vorstellungen <strong>und</strong> Potentialen zu befassen, um daraus das jeweils passende Gartenumfeld<br />

abzuleiten o<strong>der</strong> die passende Gartentätigkeit zu entdecken.<br />

Ressourcen werden ja erst dann als Kompetenzen ausgebildet <strong>und</strong> erlebt, wenn sie zur<br />

Erreichung eines gewünschten Zieles dienen. Individuelle, attraktive auf Ges<strong>und</strong>heit<br />

gerichtete Ziele <strong>und</strong> Vorstellungen können z.B. Wohlbefinden, Spaß, Lust, Lebensfreude,<br />

Fitness, Weisheit, Sinnerfüllung sein. Dem Erleben, wie es dazu kommt <strong>und</strong> was wirkt,<br />

46


liegen subjektive Deutungen <strong>und</strong> Bewertungen zugr<strong>und</strong>e. Motivation <strong>und</strong> Eigenaktivität<br />

sind ein Schlüssel dazu.<br />

Das kann mancher gut für sich allein leisten <strong>und</strong> organisieren, an<strong>der</strong>e werden dazu die<br />

Vermittlung <strong>von</strong> Dritten brauchen. Die Interaktion, <strong>der</strong> Dialog o<strong>der</strong> auch die Transaktion<br />

findet dann im Beziehungsdreieck <strong>Mensch</strong>-Garten-Vermittler statt. Die<br />

(personenzentrierte) Arbeit mit ges<strong>und</strong>en <strong>Mensch</strong>en muss daher sowie eine gute Therapie<br />

ressourcenorientiert <strong>und</strong> Kompetenz erweiternd sein, damit sie einen Beitrag zur<br />

Ges<strong>und</strong>heit leisten kann. Die Methodenvielfalt dazu findet sich bei <strong>der</strong> Arbeit mit Kin<strong>der</strong>n<br />

in <strong>der</strong> Pädagogik, für Erwachsene in den Bereichen Coaching, (Fach-)Beratung <strong>und</strong><br />

Training. Ich schlage daher für das zielorientierte, gemeinsame Tun <strong>und</strong> Erleben <strong>von</strong><br />

<strong>Mensch</strong>en im Garten als Begrifflichkeit Gartenpädagogik <strong>und</strong> Gartencoaching vor.<br />

6 Handlungsfel<strong>der</strong> für den ges<strong>und</strong>heitsför<strong>der</strong>nden Einsatz des<br />

Mediums Garten bei ges<strong>und</strong>en <strong>Mensch</strong>en<br />

Aufgr<strong>und</strong> <strong>der</strong>, im vorangegangenen Kapitel dargelegten, konzeptionellen Basis zum<br />

Transfer <strong>von</strong> Therapie in das Alltagshandeln <strong>von</strong> ges<strong>und</strong>en <strong>Mensch</strong>en ergeben sich als<br />

Einsatzgebiete sowohl die Handlungsfel<strong>der</strong> Freizeit <strong>–</strong> Erholung sowie Bildung-Lernen-<br />

Arbeit. Ich möchte in diesem abschließenden Kapitel einige innovative Beispiele etwas<br />

detaillierter darstellen.<br />

Der in Kapitel 2 wörtlich zitierten WHO-Definition folgend entsteht Ges<strong>und</strong>heit bei <strong>der</strong><br />

Erfüllung <strong>von</strong> Gr<strong>und</strong>bedürfnissen nach Wohnen <strong>–</strong> Arbeit <strong>–</strong> Lernen <strong>–</strong> Erholung.<br />

Ges<strong>und</strong>heitsför<strong>der</strong>nde Lebenswelten sind daher sowohl unsere Wohnorte in Städten <strong>und</strong><br />

am Land, Kin<strong>der</strong>gärten <strong>und</strong> Schulen sowie Betriebe für den zeitintensiven Bereich Arbeit-<br />

Lernen sowie alle Freiräume zur Erholung, Geselligkeit <strong>und</strong> Selbsterhaltung. Daher soll<br />

Garten <strong>und</strong> <strong>Natur</strong> auch überall dort Platz finden <strong>–</strong> zur Stärkung <strong>der</strong> Ges<strong>und</strong>heit<br />

erhaltenden Ressourcen <strong>von</strong> Individuen <strong>und</strong> Gemeinschaften.<br />

In (politischen, wirtschaftlichen) Krisenzeiten kann die Nutzung eines Gartens, die<br />

Verfügung über materielle Ressourcen nicht nur zur Eigenvorsorge zur Stärkung <strong>der</strong><br />

Ges<strong>und</strong>heit allgemein, son<strong>der</strong>n zusätzlich zu einem Stück Eigenversorgung in <strong>der</strong><br />

(ges<strong>und</strong>en) Ernährung beitragen. Garten bietet sich als ein möglicher Stabilitätsfaktor,<br />

wenn Umweltzerstörung <strong>und</strong> die Folgen globalen Wirtschaftens sich auf das persönliche<br />

Wohlbefinden auswirken. Garten <strong>und</strong> Gärtnern ermöglicht soziale Netzwerke <strong>und</strong> hilft,<br />

sich an Lebensbedingungen anzupassen <strong>und</strong> sie gegebenenfalls aktiv zu verän<strong>der</strong>n.<br />

47


6.1 Freizeitgärtnern in Gemeinschaftsgärten för<strong>der</strong>n<br />

(community gardening)<br />

Die direkteste <strong>und</strong> unmittelbarste Form für umfassende, stärkende Gartenerlebnisse ist<br />

sicher die Möglichkeit, in <strong>der</strong> Freizeit in einem Stück Garten selbst gestaltend Hand<br />

anzulegen. Der Platz für den eigenen Garten ist allerdings eine knappe Ressource. Auch in<br />

den Vorstädten, im Umkreis <strong>von</strong> Kleinstädten <strong>und</strong> sogar in den Dörfern sind die<br />

Gr<strong>und</strong>stückspreise hoch. Gärten werden kleiner o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>s organisiert werden müssen.<br />

Statt Aufschließung in Kleinstparzellen sind neue Bauformen (verdichteter Wohnbau) <strong>und</strong><br />

damit auch neue Gartenformen gefragt. Insbeson<strong>der</strong>e bei <strong>der</strong> Errichtung öffentlich<br />

geför<strong>der</strong>ter Wohnanlagen ist die Anlage <strong>von</strong> Gemeinschaftsgärten („community gardens“)<br />

ein zukunftsweisen<strong>der</strong> Weg. Gemeint ist damit, dass r<strong>und</strong> um diese Wohneinheiten statt<br />

reiner Erholungsflächen mit ein paar Bäumen, Bänken <strong>und</strong> einer Sandkiste auch Flächen<br />

für Beete zum aktiven, kreativen Gärtnern zur Verfügung gestellt werden.<br />

Die Idee entstand einerseits in den 60iger-Jahren des vorigen Jahrh<strong>und</strong>erts in <strong>der</strong><br />

Sozialarbeit in verwahrlosten Stadtteilen in den USA, an<strong>der</strong>erseits gibt es auch bei uns<br />

historische Quellen, die Formen des gemeinschaftlichen Gärtnerns ohne direktes<br />

Privateigentum belegen. In Großstädten wie Wien wird diese neue Form des sozialen,<br />

gemeinschaftlichen Gärtnerns bei einigen Wohn- bzw. Parkanlagen trotz vieler<br />

administrativer Hürden <strong>und</strong> Hin<strong>der</strong>nisse bereits durch „aktive in Besitznahme“ zum<br />

Wohle aller Beteiligten im Kleinen demonstriert.<br />

„Gerade im städtischen Gebiet ist unser Kontakt zu Pflanzen <strong>und</strong> Erde nicht<br />

selbstverständlich“ heißt es in <strong>der</strong> Präambel des noch jungen Vereins „Gartenpolylog <strong>–</strong><br />

GärtnerInnen <strong>der</strong> Welt kooperieren“. Diesem Verein ist ein guter Überblick <strong>und</strong> Einblick<br />

zum „Community Gardening“ in Österreich zu verdanken. Hier haben sich engagierte<br />

Bürgerinnen <strong>und</strong> Bürger im Sinne einer Hilfe zur Selbsthilfe zusammengeschlossen, um<br />

einerseits die Idee in Österreich zu verbreiten, bestehende Initiativen zu vernetzen <strong>und</strong><br />

selbst weitere Gemeinschaftsgärten zu initiieren. Diese Aktivitäten werden als<br />

Nachbarschafts-, Integrations- <strong>und</strong> interaktive Bildungsprojekte verstanden.<br />

In Leitbild heißt es dazu unter an<strong>der</strong>em:<br />

Für Kin<strong>der</strong> - unabhängig <strong>von</strong> ihrer Herkunft - bieten die Gärten Anziehungspunkte <strong>und</strong><br />

Möglichkeiten, vielerlei praktische Kenntnisse zu erwerben <strong>und</strong> Erfahrungen zu machen.<br />

Ältere <strong>Mensch</strong>en finden an<strong>der</strong>e GärtnerInnen, mit denen sie ins Gespräch kommen <strong>und</strong><br />

eigene Erfahrungen blühen lassen können. Einige <strong>Mensch</strong>en - mit o<strong>der</strong> ohne<br />

Migrationshintergr<strong>und</strong> - besitzen Kenntnisse im Umgang mit Nutzpflanzen, aber <strong>der</strong><br />

Boden fehlt oft, sie anzuwenden. O<strong>der</strong> sie suchen Orte, um mit an<strong>der</strong>en <strong>Mensch</strong>en <strong>und</strong><br />

<strong>Natur</strong> in Kontakt zu treten. So bunt wie die Nachbarschaft kann ein Gemeinschaftsgarten<br />

48


sein. Hier ist ein gegenseitiger Austausch <strong>von</strong> Wissen <strong>und</strong> Fertigkeiten, <strong>von</strong> Samen <strong>und</strong><br />

Früchten, Geschichten <strong>und</strong> Erfahrungen möglich. Die dabei entstehende Kommunikation<br />

ist für jede Nachbarschaft in sozialer <strong>und</strong> gemeinschaftlicher Hinsicht äußerst fruchtbar.<br />

(www.gartenpolylog.com)<br />

Historische Beispiele wie die noch erhaltenen <strong>und</strong> wie<strong>der</strong> belebten Pflanzsteige in<br />

Schiltern o<strong>der</strong> aktuelle wie die Neubelebung eines Angerdorfgartens in Merkenbrechts<br />

zeigen auch die Relevanz in ländlichen Gebieten auf. In <strong>der</strong> alten, in Ostösterreich<br />

ehemals verbreiteten, Form <strong>der</strong> Pflanzsteige, die sich einzig in Schiltern bei Langenlois<br />

noch erhalten haben, wird gemeinschaftliches Eigentum <strong>der</strong> Nutzung durch die einzelnen<br />

Häuser im Dorf zugeteilt <strong>und</strong> individuell bewirtschaftet, d.h. zu jedem Haus gehört eine<br />

„Parzelle“ . Das öffentlich zugängliche Gemeingut Dorfanger wird in Merkenbrechts im<br />

Waldviertel seit 2004 mit <strong>der</strong> Idee eines Kräuterdorfes <strong>von</strong> den Frauen im Dorf neben<br />

ihren Hausgärten gemeinsam bewirtschaftet <strong>und</strong> so ganz nebenbei auch zu einem sozialen<br />

<strong>und</strong> kommunikativen Zentrum des Dorfes.<br />

(vgl. dazu Plitzka/Schwarz, 2008, S. 40 <strong>und</strong> 70)<br />

Auch die freiwillige Tätigkeit vieler am Land noch aktiver Verschönerungsvereine zur<br />

Pflege <strong>und</strong> Erhaltung öffentlicher Grünflächen ist eine bemerkenswerte <strong>und</strong><br />

unterstützungswerte Form des Gemeinschaftsgärtnerns, die öffentliche Anerkennung<br />

verdient.<br />

6.2 Freiwilliges Gärtnern ermöglichen<br />

(voluntary gardening)<br />

Der unwillkürlich o<strong>der</strong> bewusst aufgenommene, stärkende Gartengenuss über Bewegung<br />

in frischer Luft, Blüten <strong>und</strong> Duft für die Sinne, dem Erlebnis <strong>von</strong> Schatten <strong>und</strong> Wasser,<br />

Ruhe <strong>und</strong> Stille kann für Nicht-GartenbesitzerInnen in erreichbaren, öffentlich<br />

zugänglichen Gärten stattfinden. Sowohl in den Grünanlagen <strong>der</strong> Städte, als auch den für<br />

Gäste geöffneten touristischen Schaugärten am Lande sind aktive Betätigungen, das<br />

gärtnerische Tun, allerdings bislang nicht möglich o<strong>der</strong> erwünscht.<br />

Ein Pilotprojekt, initiiert <strong>von</strong> <strong>der</strong> Gartenplattform Nie<strong>der</strong>österreich (www.diegaerten.at),<br />

sucht hier neue Wege. Was in England o<strong>der</strong> den USA gang <strong>und</strong> gäbe ist, nämlich die<br />

Möglichkeit <strong>der</strong> freiwilligen Mitarbeit in Gärten, soll auch hierzulande erprobt <strong>und</strong><br />

verbreitert werden. Vier Mitglie<strong>der</strong> <strong>der</strong> Plattform touristisch ambitionierter Gärten<br />

Nie<strong>der</strong>österreichs bieten erstmals unterschiedliche Angebote, um als beson<strong>der</strong>en<br />

Mehrwert nicht nur einmalige Besuchserlebnisse, son<strong>der</strong>n nachhaltig einen Beitrag zu<br />

Ges<strong>und</strong>heit <strong>und</strong> Sinnfindung zu bieten. Ohne beson<strong>der</strong>e Voraussetzungen können<br />

49


interessierte <strong>Mensch</strong>en bei <strong>der</strong> täglichen Arbeit in diesen Gärten mithelfen. Sie werden<br />

<strong>von</strong> den dort beschäftigten Gärtnern begleitet <strong>und</strong> angeleitet <strong>und</strong> erhalten so auch Tipps<br />

<strong>und</strong> Tricks zum praktischen Gärtnern.<br />

Das Benediktinerstift Seitenstetten bietet im Sinne <strong>der</strong> Ordensregel „ora et labora“ als<br />

wichtige Ergänzung zur Kontemplation die Möglichkeit, für einige St<strong>und</strong>en am Tag im<br />

Klostergarten mitzuarbeiten. Damit konnte bereits in den letzten Jahren positive Erfahrung<br />

gesammelt werden. <strong>Mensch</strong>en in Umbruchsituationen o<strong>der</strong> jene, die einen Ausgleich zu<br />

ihrer abstrakten Arbeitswelt suchen, nutzen gerne die Möglichkeit einer „Auszeit im<br />

Kloster“. Der mönchische Lebensrhythmus verb<strong>und</strong>en mit Arbeitseinheiten im Hofgarten<br />

wird <strong>von</strong> den bisherigen TeilnehmerInnen als wohltuende Tagesstruktur erlebt, die vieles<br />

wie<strong>der</strong> ins rechte Licht rückt. Je nach Talent <strong>und</strong> Körperkraft kann ein sinnvoller Beitrag<br />

zur Pflege des barocken Gartens, bei <strong>der</strong> Kräuterverarbeitung, im Gemüsegarten o<strong>der</strong> bei<br />

<strong>der</strong> Obsternte geleistet werden. Von <strong>der</strong> Gartenleiterin wurde mir berichtet, dass sie immer<br />

wie<strong>der</strong> erlebt, wie im Berufsleben erfolgreiche Erwachsene erstmals wie<strong>der</strong> an ihre<br />

Kindheit anknüpfen <strong>und</strong> lustvoll barfuß im Gras herumlaufen, mit ihren Händen in die<br />

Erde greifen können, etwas mit ihren eigenen Händen zustande bringen.<br />

Bei den Kittenberger Erlebnisgärten, <strong>der</strong> größten privaten Schaugartenanlage in<br />

Österreich, wird „Lust aufs Gart`ln“ geweckt. Hier steht vor allem das Erlernen <strong>von</strong><br />

fachlich richtiger Gartenarbeit im Mittelpunkt des Angebotes. Die firmeneigenen<br />

Fachkräfte <strong>und</strong> die Vielfalt <strong>der</strong> Themengärten bieten zu je<strong>der</strong> Jahreszeit Gelegenheit,<br />

praktische Tipps <strong>und</strong> Tricks unter fachlicher Anleitung gleich in den Erlebnisgärten für<br />

die spätere Anwendung im eigenen Garten zu erproben. Ein über längere Zeit freiwillig<br />

mitarbeiten<strong>der</strong> Gartenfre<strong>und</strong> hat sich im Zuge dessen bereits als neuer, kompetenter<br />

Mitarbeiter für seinen Traumjob qualifiziert.<br />

Das jüngst vollständig samt Gartenanlagen renovierte Kaiserliche Festschloss Hof im<br />

Marchfeld bietet <strong>von</strong> Kurzaufenthalten bis hin zu mehrwöchigen Praktika die Möglichkeit,<br />

einerseits Erfahrungen in <strong>der</strong> Bewirtschaftung eines, nach historischem Vorbild<br />

angelegten, Barockgartens sowie an<strong>der</strong>erseits des naturnahen Gärtnerns in den Nutzgärten<br />

des angeschlossenen Gutshofs zu erlangen. Je nach Jahreszeit können dabei Kenntnisse in<br />

<strong>der</strong> Bepflanzung <strong>und</strong> Pflege <strong>von</strong> Sommerblumen, Kräutern <strong>und</strong> Gemüse gesammelt<br />

werden. Seitens <strong>der</strong> Gartenleiterin wurde ich auf das Spannungsfeld aufmerksam gemacht,<br />

dass sich die Stammcrew durch die freiwilligen Helfer keinesfalls in <strong>der</strong> Sicherheit ihres<br />

Arbeitsplatzes gefährdet fühlen darf.<br />

In <strong>der</strong> Amethystwelt Maissau sind die Außenanlagen r<strong>und</strong> um die unterirdische<br />

Erlebniswelt mit verschiedenen Themengärten aufbereitet. Der als menschlicher Körper<br />

abgebildete Chakrengarten lädt zum Erden & Entspannen, die geomantisch angelegte<br />

50


Energietankstelle zum Krafttanken ein. Ein längerer Aufenthalt in diesen Gärten <strong>und</strong> die<br />

Mitarbeit in <strong>der</strong> Pflege unter geschulter Anleitung kann die intendierten Erlebnisqualitäten<br />

vertiefen helfen.<br />

Die Erfahrungen dieser vier Pilotteilnehmer können vielleicht dazu beitragen, auch in<br />

an<strong>der</strong>en öffentlichen Gartenanlagen Österreichs Rahmenbedingungen zur Verfügung zu<br />

stellen, die es ermöglichen, dass <strong>Mensch</strong>en jeden Alters ihrem Können <strong>und</strong> ihren<br />

Wünschen gemäß eine aktive, sinnvolle Gartenarbeit verrichten können. In meinem<br />

persönlichen Umfeld bin ich im Zuge <strong>der</strong> Weiterbildung zur Gartentherapie immer wie<strong>der</strong><br />

darauf angesprochen worden, wie schön es doch wäre, regelmäßig o<strong>der</strong> hin <strong>und</strong> wie<strong>der</strong> in<br />

einem Garten einfach mitarbeiten zu dürfen, ohne die „Last <strong>der</strong> beständigen Pflege eines<br />

eigenen Gartens tragen zu müssen“.<br />

Gerade im städtischen Bereich sehe ich darin eine lohneswerte Herausfor<strong>der</strong>ung für die<br />

Verantwortlichen <strong>von</strong> Stadtgartenämtern, die bei guter Organisation sicher zu einer für<br />

alle Beteiligten bereichernden Situation führen kann. Bei Besuchen bedeuten<strong>der</strong><br />

Gartenanlagen in England habe ich immer wie<strong>der</strong> erfahren, dass es für diese ohne die<br />

zahlreiche Mitarbeit vieler Freiwilliger gar nicht möglich wäre, ihr Pflegeprogramm <strong>und</strong><br />

vor allem auch die gute Besucherbetreuung zu gewährleisten. Als Beispiel nenne ich den<br />

ältesten botanischen Garten Großbritanniens, den Chelsea Physic Garden im Herzen <strong>von</strong><br />

London. Dieser hält sein Angebot mit Shop, Kaffee-Restaurant, Gartenführungen,<br />

Schulprogrammen etc. fast ausschließlich über die Arbeit Freiwilliger, die über den<br />

privaten Trägerverein koordiniert werden, aufrecht.<br />

6.3 Gärtnern als Erfahrungsfeld für Kin<strong>der</strong> anbieten<br />

Für den Großteil unserer Kin<strong>der</strong> ist es heute nicht mehr selbstverständlich o<strong>der</strong> möglich,<br />

bereits als Kleinkind mit Garten <strong>und</strong> <strong>Natur</strong> in unmittelbaren, positiven Kontakt zu<br />

kommen. Wer keinen familiär zugänglichen Privatgarten mit vielleicht sogar eigenem<br />

Kin<strong>der</strong>beet hat o<strong>der</strong> in Siedlungen wilde Gstettn als Freiflächen in <strong>der</strong> Landschaft<br />

vorfindet <strong>und</strong> in den öffentlichen Parkanlagen <strong>von</strong> Städten mit Geboten <strong>und</strong> Verboten<br />

konfrontiert ist, bleibt ohne lebendigen Bezug zur Erfahrungswelt <strong>Natur</strong>. Damit wächst<br />

allen pädagogischen Einrichtungen (Kin<strong>der</strong>gärten <strong>und</strong> Schulen), aber auch allen<br />

öffentlichen Gärten <strong>und</strong> den Akteuren <strong>der</strong> außerschulischen Kin<strong>der</strong>- <strong>und</strong> Jugendarbeit eine<br />

beson<strong>der</strong>e, substituierende Rolle zu.<br />

In den USA, England o<strong>der</strong> Italien sind bereits mehrjährige Kampagnen <strong>und</strong> zahlreiche<br />

Projekte zur Bedeutung des Gärtnerns für Kin<strong>der</strong> in Umsetzung. Wie wichtig dieses<br />

Thema inzwischen <strong>von</strong> Fachwelt <strong>und</strong> Öffentlichkeit bereits wahrgenommen wird, zeigte<br />

51


auch die heurige Chelsea Flower Show in London. Auf dieser weltweit führenden<br />

Gartenausstellung werden über die Anlage <strong>von</strong> Mustergärten (Showgärten) nachhaltige<br />

Trends <strong>der</strong> grünen Branche gesetzt. Ausgewählte hochdekorierte Gartendesigner<br />

präsentieren dort mittels Sponsoren aus <strong>der</strong> Wirtschaft neue Gestaltungs- <strong>und</strong><br />

Nutzungsideen. Heuer waren darunter neben zwei Therapiegärten sowohl ein Spielgarten<br />

für Kin<strong>der</strong> als auch ein Küchengarten für eine Schule. Dieser „essbare Spielgarten“ (edible<br />

playgro<strong>und</strong>) unter dem Motto „Sow it, grow it, eat it“ wurde sowohl vom Publikum als<br />

auch <strong>von</strong> <strong>der</strong> Fachjury zu einem <strong>der</strong> besten Gärten <strong>der</strong> Show gekürt.<br />

Organisiert wird die Chelsea Flower Show <strong>von</strong> <strong>der</strong> mitglie<strong>der</strong>stärksten britischen<br />

Gartenbaugesellschaft, <strong>der</strong> RHS (Royal Horticultural Society). Als gemeinnützige<br />

Organisation sieht sie sich auch verantwortlich, Kin<strong>der</strong>n den Zugang zu Garten zu<br />

erleichtern. Als ein Tool bietet sie Schulen <strong>und</strong> Lehrern über ein interaktives Programm<br />

auf ihrer Homepage Anleitungen zur Anlage <strong>und</strong> Betreuung <strong>von</strong> Schulgärten. Details zu<br />

den Motiven <strong>und</strong> Hilfestellungen finden sich unter www.rhs.org.uk, die aktive Nutzung ist<br />

allerdings nur über eine Registrierung <strong>der</strong> Schule möglich. Frei verfügbar ist für Kin<strong>der</strong><br />

ein Spiel zur virtuellen Anlage eines Gartens. Schulen haben freien Eintritt in alle vier<br />

RHS-eigenen Schaugärten <strong>und</strong> im Zuge <strong>der</strong> Neugestaltung ihres Flagschiffgartens in<br />

Wisley bei London wurden eigene Gartenabteile für Kin<strong>der</strong> reserviert, wo diese selber<br />

gärtnerisch Hand anlegen können.<br />

Auch an<strong>der</strong>e öffentliche Gärten gehen diesen neuen Weg <strong>der</strong> aktiven gärtnerischen Ein-<br />

Beziehung <strong>von</strong> Kin<strong>der</strong>n. In botanischen Gärten, z. B. in Atlanta/USA wurde mit großem<br />

Erfolg ein eigener Garten für Kin<strong>der</strong> angelegt, wo diese unter pädagogisch-gärtnerischer<br />

Anleitung spielerisch Gartenerfahrungen im Selber Tun sammeln können. Das führte zu<br />

einer steigenden Zahl <strong>von</strong> Mitglie<strong>der</strong>n im Fre<strong>und</strong>esverein <strong>und</strong>, wie eine Besucherumfrage<br />

ergab, auch zu neuer Popularität für den gesamten botanischen Garten. Mary Pat<br />

Matheson, die Leiterin dieses Botanischen Gartens mit 300.000 Besucher pro Jahr <strong>und</strong><br />

14.000 Mitglie<strong>der</strong>n sieht es als wichtigste Mission neben <strong>der</strong> Pflanzensammlung <strong>und</strong><br />

wissenschaftlichen Arbeit, mit dem botanischen Garten Möglichkeiten zu bieten, dass die<br />

Leute auch in <strong>der</strong> Stadt mit <strong>Natur</strong> <strong>und</strong> Garten verb<strong>und</strong>en bleiben.<br />

(Mitschrift bei <strong>der</strong> internationalen Garten & Tourismusfachtagung in Metz, Oktober<br />

2008)<br />

Wo immer es Platz dafür gibt, <strong>und</strong> es erfor<strong>der</strong>t dafür keine großen Flächen, sollte ein<br />

Freiraum für die Anlage <strong>von</strong> Beeten zur Verfügung gestellt werden. Für Schülerinnen <strong>und</strong><br />

Schüler bietet die im Rahmen des Unterrichts organisierte gemeinschaftliche Aussaat,<br />

Pflege <strong>und</strong> Ernte <strong>von</strong> Pflanzen ein wichtiges kreatives Erfahrungsfeld für soziales Lernen<br />

<strong>und</strong> zum Kennenlernen <strong>und</strong> Wertschätzen <strong>der</strong> Kreisläufe <strong>der</strong> <strong>Natur</strong>.<br />

52


6.4 Etablierung <strong>von</strong> Betriebs- <strong>und</strong> Bürogärten<br />

Erwachsene berufstätige <strong>Mensch</strong>en verbringen einen großen Teil ihrer Zeit an einem<br />

außerhäuslichen Arbeitsplatz. Viele da<strong>von</strong> in Räumlichkeiten mit überwiegend sitzen<strong>der</strong><br />

Tätigkeit. Die Gestaltung des Arbeitsplatzes im engeren Sinn sowie die Gestaltung des<br />

dazugehörigen Umfeldes stellt einen Teil <strong>der</strong> Arbeitszufriedenheit <strong>und</strong> Produktivität dar.<br />

Bei meiner Recherche in Nie<strong>der</strong>österreich fand ich nur wenige Beispiele für bewusst<br />

gestaltete Freiflächen <strong>von</strong> Firmen im Sinne eines Betriebsgartens. Einer da<strong>von</strong> wurde <strong>von</strong><br />

<strong>der</strong> Umweltberatung Waldviertel r<strong>und</strong> um ihre neuen Büroräumlichkeiten am Stadtrand<br />

<strong>von</strong> Zwettl in Eigenregie gestaltet. Er enthält Elemente zur Erholung in Pausen o<strong>der</strong> für<br />

die Verlagerung <strong>von</strong> Tätigkeiten ins Freie (Sitzplätze, Nischen). Zusätzlich gibt es Platz<br />

für Beete zum Naschen <strong>und</strong> Ernten <strong>von</strong> Kräutern o<strong>der</strong> Beerenobst.<br />

In Zuge <strong>der</strong> Neuerrichtung <strong>der</strong> Firmenzentrale eines nie<strong>der</strong>österreichischen Unternehmens<br />

wurde <strong>der</strong> zentrale Innenhof als Gartenschaufläche in mo<strong>der</strong>nem Design mit Stauden,<br />

Gräsern, Wasser <strong>und</strong> Kiesflächen durchgestaltet. Bei meinem Besuch vor Ort knapp nach<br />

<strong>der</strong> Eröffnung wurde mir <strong>von</strong> <strong>der</strong> Mitarbeiterin am Empfang ohne Umstände eine<br />

Besichtigung erlaubt. Als ich mich anerkennend zu <strong>der</strong> schönen Gestaltung äußerte,<br />

meinte sie jedoch, dass bereits eine Umplanung beauftragt wurde, denn „uns hat man<br />

vergessen <strong>–</strong> o<strong>der</strong> haben Sie da irgendwo eine Sitzbank o<strong>der</strong> sonst was Gemütliches<br />

gesehen?“<br />

In Gartenfachmedien wird zu diesem Thema immer wie<strong>der</strong> <strong>der</strong> <strong>von</strong> <strong>der</strong> Galeristin <strong>und</strong><br />

Fotokünstlerin Uschi Müller gemeinsam mit ihrem Mann, einem Steuerberater gestaltete<br />

Bürogarten in Straelen am Nie<strong>der</strong>rhein als Beispiel präsentiert. Bei einer privaten<br />

Exkursion im Juni 2007 konnte ich mir vor Ort einen Eindruck <strong>von</strong> <strong>der</strong> Anlage machen<br />

<strong>und</strong> die persönlichen Ambitionen <strong>und</strong> Erfahrungen <strong>der</strong> Betriebsinhaber nachfragen. Als<br />

Herr Müller gemeinsam mit an<strong>der</strong>en Kollegen in einem völlig verwahrlosten <strong>und</strong> platt<br />

planierten Gelände ein neues Bürogebäude für ihre Steuerberatungs- <strong>und</strong><br />

Anwaltskanzleien errichtete, fiel die zündende Idee bei seiner Frau. Da sich beide den<br />

Großteil ihrer Zeit im Büro aufhielten, beschlossen sie, statt eines Privatgartens zuhause<br />

einen großzügigen Betriebsgarten anzulegen.<br />

Diese Initialidee wurde zum Konzept einer Wohlfühlkanzlei erweitert, wo das<br />

Wohlbefinden <strong>der</strong> Mitarbeiter <strong>und</strong> die Beziehungsqualität zu den Klienten im Mittelpunkt<br />

steht. K<strong>und</strong>en <strong>und</strong> Partner kommen in den Genuss dieser entspannten Gartenatmosphäre<br />

vom ersten Eindruck beim Empfang bis hin zu vielen Besprechungen beim Sitzen im<br />

Freien o<strong>der</strong> Lustwandeln im Garten. Ebenso partizipieren alle im Bürohaus Tätigen. Von<br />

jedem Fenster eines Büros hat man Ausblick auf einen Gartenteil <strong>und</strong> es gibt laufend<br />

53


Anfragen <strong>von</strong> hochqualifizierten Jobsuchenden, die sich aufgr<strong>und</strong> des Gartens um eine<br />

Stelle bei einem <strong>der</strong> im Gemeinschaftshaus ansässigen Unternehmen bewerben. Die<br />

Handschrift <strong>von</strong> Uschi Müller zeigt sich auch in <strong>der</strong> bunten <strong>und</strong> begrünten<br />

Innenraumgestaltung. Unter <strong>der</strong> Adresse www.wohlfuehlkanzlei.de zeigt Uschi Müller<br />

Impressionen aus den <strong>von</strong> ihr gestalteten Gärten <strong>und</strong> Büroräumlichkeiten.<br />

DIE GARTEN TULLN, 2008 als Nie<strong>der</strong>österreichs erste Landesgartenschau eröffnet,<br />

thematisiert ebenso wie bereits die Landesgartenschau Vöcklabruck in Oberösterreich im<br />

Jahr davor die Option <strong>der</strong> Büroarbeit im Freien. Wohlfühlorte beflügeln die Kreativität.<br />

Mit einem Büro im Grünen ist notwendige Arbeitszeit mit <strong>Natur</strong>erlebnissen vereinbar.<br />

Gartengestalter Christian Blazek aus Pottenstein bietet dazu mit seinem Mustergarten<br />

„Das grüne Büro“ einen originellen Entwurf.<br />

Mit dem Laptop im Freien arbeiten, unter einer dichten Blätterkrone sitzend<br />

Besprechungen abhalten <strong>und</strong> ganz nebenbei dem Vogelgezwitscher lauschen. Ein laues<br />

Lüftchen fährt neckisch durchs Haar während die Telefondrähte glühen. Im „Grünen<br />

Büro“ kann trotz ständig steigen<strong>der</strong> Arbeit <strong>der</strong> belebende Jahreskreislauf <strong>der</strong> <strong>Natur</strong><br />

wahrgenommen werden.<br />

Fröhlich plätschert das Wasser eines kleinen Bachlaufes zum zentralen Blickfang des<br />

Gartens, einer geschichteten Steinpyramide. Sie ist Sinnbild für die ausgewogene Mitte,<br />

denn nur im Einklang mit sich <strong>und</strong> <strong>der</strong> Umwelt ist Erfolg <strong>und</strong> Zufriedenheit möglich. Ein<br />

großer Konferenztisch im Schatten einer Blütenzierkirsche strahlt Ruhe <strong>und</strong> Konzentration<br />

aus. Konstruktive Arbeiten gehen unter luftigem Sonnensegel beson<strong>der</strong>s leicht <strong>von</strong> <strong>der</strong><br />

Hand.<br />

Nach längerem Sitzen lädt <strong>der</strong> Basketballkorb zum sportlichen Ausgleich ein. Müde Füße<br />

werden am Holzdeck mit wohligem Massageeffekt wie<strong>der</strong> munter <strong>und</strong> leises<br />

Wasserplätschern ist Balsam für die gestresste Seele. Zwischen <strong>der</strong> beruhigenden<br />

Bepflanzung kann Inspiration <strong>und</strong> neue Energie für kommende Projekte aufgetankt<br />

werden. Erfrischungen zwischen den Arbeitsphasen verschaffen ges<strong>und</strong>e Häppchen an <strong>der</strong><br />

Bar <strong>der</strong> Gartenküche <strong>und</strong> <strong>der</strong> Naschecke.<br />

(Plitzka, 2008, S. 64)<br />

6.5 Indoorbegrünung in <strong>der</strong> Arbeitswelt<br />

Der mo<strong>der</strong>ne Büro- <strong>und</strong> Computerarbeitsplatz, verzeichnet die höchsten Krankenstände in<br />

unserer mo<strong>der</strong>nen Arbeitswelt. Der Standard-Arbeitsplatz des 21. Jahrh<strong>und</strong>erts ist fern <strong>der</strong><br />

<strong>Natur</strong> mit zahlreichen Schadstoffen in unges<strong>und</strong>er Raumluft, dabei möglichst platzsparend<br />

<strong>und</strong> kosteneffizient angelegt <strong>und</strong> meist steht <strong>der</strong> funktionale Aspekt im Vor<strong>der</strong>gr<strong>und</strong>.<br />

54


Befragungen unter jungen Führungskräften haben jedoch zum Beispiel ergeben, dass<br />

ihnen Grün am Arbeitsplatz wichtiger ist als eine technisch perfekte Ausstattung. Das<br />

wi<strong>der</strong>spricht jedoch <strong>der</strong> gängigen Büro-Architektur <strong>der</strong> Funktionalität mit mo<strong>der</strong>nen<br />

Baustoffen <strong>und</strong> ausgefallenen Designs. Die Themen Wohlfühlen <strong>und</strong> Lebensqualität<br />

werden dabei oft noch zu wenig berücksichtigt.<br />

Eine Studie des Fraunhofer Office Innovation Centers bestätigt neuerlich die Erkenntnis,<br />

dass „Grün den <strong>Mensch</strong>en gut tut.“ Danach empfanden die Mitarbeiter die Begrünung <strong>der</strong><br />

Büros eines Industrieunternehmens folgen<strong>der</strong>maßen:<br />

� 99% stellten eine Luftverbesserung fest<br />

� 93% fühlten sich wohler als vorher <strong>und</strong> empfanden eine Reduzierung des<br />

Schallpegels<br />

� 50% fühlten sich entspannter<br />

� 1/3 fühlte sich motivierter.<br />

In den Nie<strong>der</strong>landen wird <strong>von</strong> plants for people systematisch nach <strong>der</strong> optimalen<br />

Büropflanze gesucht. 2007 war es die Spathiphyllum, das Einblatt, <strong>und</strong> 2008 wurde die<br />

Sanseverie, auch als Bogenhanf o<strong>der</strong> Schwiegermutterzunge bekannt, zur Büropflanze des<br />

Jahres gekürt. Die Sanseverie hat demnach beson<strong>der</strong>s gute Eigenschaften zur Reinigung<br />

<strong>der</strong> Raumluft, sie benötigt wenig Pflege <strong>und</strong> passt mit ihrer schlanken Form auch<br />

gestalterisch zum mo<strong>der</strong>nen Büro.<br />

Laut Studien einer Krankenkasse wurde erkannt, dass über 40% <strong>der</strong> Erkrankungen durch<br />

das Arbeitsumfeld verursacht werden. Das heißt, dass mangelhafte Arbeitsbedingungen,<br />

wie z. B. schlechtes Innenraumklima zum sogenannten „Sick-Building-Syndrom“ führen.<br />

Eine hohe Konzentration <strong>von</strong> flüchtigen organischen Stoffen wie Benzol, Ester, Aldehyde<br />

o<strong>der</strong> Tetrachlorethan aus Baumaterialien, Teppichen, Wandfarben <strong>und</strong> Möbeln, wirken<br />

sich in Form <strong>von</strong> Beschwerden wie Kopfschmerzen, Müdigkeit sowie Reizerscheinungen<br />

<strong>der</strong> Augen <strong>und</strong> Atemwege aus.<br />

Neben den körperlichen Beschwerden verringert das geringe Wohlbefinden <strong>der</strong><br />

Arbeitnehmer auch die Effektivität <strong>der</strong> geleisteten Arbeit. Unzufriedenheit mit <strong>der</strong><br />

Arbeitsumgebung führen zu höheren Fehlzeiten, geringerer Motivation <strong>und</strong> damit einer<br />

niedrigeren Produktivität.<br />

Aus diesem eindeutig wirtschaftlichen Schaden sollte sich konsequenterweise <strong>der</strong><br />

dringende Handlungsbedarf <strong>der</strong> Prävention ergeben. Zu einem breit angelegten<br />

Ges<strong>und</strong>heitsmanagement eines Unternehmens gehört neben Vorsorgeuntersuchungen,<br />

Sport <strong>und</strong> Stressbewältigung ebenso die Innenraumbegrünung<br />

(vgl.dazu: www.plants-for-people.de).<br />

55


7 Zusammenfassung<br />

Der Fokus meiner Arbeit ist die Suche nach Erfahrungen, Modellen <strong>und</strong> Theorien für das<br />

Ges<strong>und</strong>heit erhaltende, för<strong>der</strong>nde <strong>und</strong> erweiternde Potential des Gartens <strong>und</strong> <strong>der</strong><br />

gärtnerischen Tätigkeit. Ausgangspunkt ist die Frage, ob die im Kontext <strong>der</strong> Behandlung<br />

medizinisch-diagnostizierter Krankheiten bereits evidente heilsame Wirkung <strong>von</strong> Garten<br />

<strong>und</strong> Gärtnern Rückschlüsse für die För<strong>der</strong>ung <strong>und</strong> Entwicklung <strong>von</strong> Ges<strong>und</strong>heit allgemein<br />

zulässt. Diese <strong>von</strong> mir gewählte Herangehensweise wird durch das Konzept <strong>der</strong><br />

Salutogenese, welches Ges<strong>und</strong>heit <strong>und</strong> Krankheit als Kontinuum sieht, gestützt.<br />

Vereinfacht können die verschiedenen Aspekte <strong>und</strong> Zugänge zur Wirkung <strong>von</strong> Garten <strong>und</strong><br />

<strong>Natur</strong> auf fünf interdependenten Ebenen betrachtet werden - ausgehend vom Konstrukt<br />

des <strong>Mensch</strong>en als Körper-Geist-Seele-Einheit <strong>und</strong> <strong>der</strong> Einheit <strong>von</strong> <strong>Mensch</strong> <strong>und</strong> <strong>Natur</strong>.<br />

Physische Ebene Körperbezug Ernährung & Bewegung<br />

Psychische Ebene Ich-Bezug Gefühle & Emotionen, Seele<br />

Soziale Ebene Wir-Bezug Gemeinschaft & Beziehungen<br />

Ökologische Ebene Einbezug <strong>Mensch</strong> als Teile einer Mitwelt<br />

Spirituelle Ebene Rückbezug Einbettung in ein Ganzes<br />

Aus den gesammelten Erkenntnissen <strong>und</strong> Erfahrungen über die positive Wirkung <strong>von</strong><br />

Garten <strong>und</strong> <strong>Natur</strong> auf den <strong>Mensch</strong>en erscheint es mir vor allem aus ges<strong>und</strong>heitspolitischer<br />

<strong>und</strong> volkswirtschaftlicher Sicht sehr empfehlenswert, möglichst vielen <strong>Mensch</strong>en diese<br />

Wirkung zu ermöglichen. Das gesellschaftlich wie<strong>der</strong> erwachte Garteninteresse ist dafür<br />

eine gute Ausgangsbasis, ergibt aber nicht automatisch eine ges<strong>und</strong>heitliche Relevanz.<br />

Meine These ist, dass die Qualität <strong>der</strong> salutogenetischen Wirkung <strong>von</strong> Gartenerlebnissen<br />

<strong>und</strong> Gartenarbeit einen umso wirksameren Beitrag zur Ausbildung des Kohärenzgefühls<br />

leistet, je mehr damit an den Ressourcen <strong>und</strong> Bedürfnissen des jeweiligen Individuums<br />

angeschlossen werden kann. Dafür ist es <strong>–</strong> wie in <strong>der</strong> Therapie <strong>–</strong> auch beim ges<strong>und</strong>en<br />

<strong>Mensch</strong>en erfor<strong>der</strong>lich, sich intensiv mit den individuellen Wünschen, Vorstellungen <strong>und</strong><br />

Potentialen zu befassen, um daraus das jeweils passende Gartenumfeld abzuleiten o<strong>der</strong> die<br />

passende Gartentätigkeit zu fokussieren.<br />

Im Beziehungsdreieck <strong>Mensch</strong>-Garten-Vermittler kann eine <strong>der</strong>art ressourcenorientierte<br />

<strong>und</strong> in Folge Kompetenz erweiternde Interaktion angeboten werden. Die Methodenvielfalt<br />

dafür findet sich in <strong>der</strong> Pädagogik <strong>und</strong> in den Bereichen Coaching, Fach-Beratung <strong>und</strong><br />

Training. Ich schlage daher für das zielorientierte, gemeinsame Tun <strong>und</strong> Erleben <strong>von</strong><br />

ges<strong>und</strong>en <strong>Mensch</strong>en im Garten als Pendant zur Gartentherapie die Begriffe<br />

Gartenpädagogik <strong>und</strong> Gartencoaching vor. Wie in <strong>der</strong> Gartentherapie ist auch für die<br />

56


Vermittlungspersonen im „ges<strong>und</strong>en Feld“ neben <strong>der</strong> Methodenkompetenz für<br />

personenzentriertes Arbeiten gärtnerische Fachkompetenz erfor<strong>der</strong>lich.<br />

Zur Abr<strong>und</strong>ung meiner Arbeit habe ich daraus für die Handlungsfel<strong>der</strong> Wohnen-<br />

Erholung-Lernen-Arbeit einige innovative Aktionen wie die För<strong>der</strong>ung <strong>von</strong> „community<br />

<strong>und</strong> voluntary gardening“, Gärtnern mit Kin<strong>der</strong>n, Betriebs- <strong>und</strong> Bürogärten sowie<br />

begrünte Innenräume dargestellt.<br />

57


Summary<br />

This paper brings into focus different experiences and theories about the health keeping<br />

and health increasing potential of gardens and gardening. There is scientific evidence, that<br />

garden and gardening has salutary effects when treating diseases, which have been<br />

medically and diagnostically confirmed. The question is, whether it is possible to draw<br />

conclusions from this evidence about support and development of health in general. This<br />

approach is based on the concept of Salutogenesis, looking at health and illness as a<br />

continuum.<br />

Expressed in simplified forms, it is possible to look at the different aspects and approaches<br />

about the effects of garden and nature, using 5 interdependent levels. Assuming the<br />

working model of human beings as a unity of body, mind and spirit as well as the unity of<br />

human beings and nature, those levels are:<br />

Physical level Relation to the body nutrition & motion<br />

Mental level Self-awareness emotions & soul<br />

Social level Interrelationship Us - Others community & relationships<br />

Ecological level Interrelationship mankind-nature mankind as part of nature<br />

Spiritual level Reflection incorporation into entirety<br />

Out of the gathered knowledge and experiences about the healthy impact of garden and<br />

nature on human beings, it seems to be quite recommendable <strong>–</strong> viewed above all from a<br />

perspective of health policy and economy <strong>–</strong> to enable as many people as possible to profit<br />

from those healthy effects. This newly awakened interest in gardening in our mo<strong>der</strong>n<br />

society seems to be a good starting basis for such a development, but it has not<br />

automatically relevance for the people’s state of health.<br />

My thesis is, that the quality of the effects of Salutogenesis, concerning garden<br />

experiences and gardening, will have the more a contribution to the health determining<br />

“sense of coherence”, the more it will be possible to follow the resources and needs of the<br />

individual. Like in therapy, it is also necessary for the healthy person to deal intensively<br />

with individual wishes, ideas and potentials, in or<strong>der</strong> to deduce out of this knowledge the<br />

most suitable garden environment as well as the best fitting garden tasks.<br />

In the three-way relationship ‘man-garden-mediator’ it is possible to offer such a resourceoriented<br />

interaction, that will additionally be increasing competency. The variety of<br />

methods is to be fo<strong>und</strong>: in pedagogics working with children and in such fields as<br />

coaching, consultancy and training for adults. As a result, I suggest the terms ‘gardenpedagogics’<br />

and ‘garden-coaching’ as counterpart for the term ‘garden-therapy’, meaning<br />

58


goal-directed, joint activities and experiences of the healthy person in the garden. In<br />

garden-therapy and in the “healthy field”, the methodical competence for personal-centred<br />

working as well as the professional competence for gardening is essential for the mediator.<br />

In or<strong>der</strong> to complete my paper, I present some examples concerning those fields of<br />

activity: ‘living-recreation-learning-work’. I illustrate some innovative actions like the<br />

promotion of “community and voluntary gardening”, gardening with kids, company<br />

gardens and office gardens as well as indoor plants in homes and offices.<br />

59


8 Literaturverzeichnis<br />

Publikationen<br />

Ammann Ruth: Von Gärten <strong>und</strong> Zwischenwelten - Zur Psychologie des Gartens.<br />

Wolfbach Verlag Zürich, 2. Ausgabe 2006<br />

Antonovsky Aaron: Salutogenese - Zur Entmystifizierung <strong>der</strong> Ges<strong>und</strong>heit, dt. Hrsg. Alexa<br />

Franke. DGVT-Verlag, Tübingen 1997<br />

Bauer Joachim: Warum ich fühle, was du fühlst <strong>–</strong> Intuitive Kommunikation <strong>und</strong> das<br />

Geheimnis <strong>der</strong> Spiegelneurone. Heyne-Verlag, München (2005), 6. Auflage 2007<br />

Bauer Joachim: Das Gedächtnis des Körpers - Wie Beziehungen <strong>und</strong> Lebensstile unsere<br />

Gene steuern. Piper Verlag, München-Zürich (2004), 11. Auflage 2007<br />

Hamann Cordula: Das englische Paradies <strong>–</strong> Frauen <strong>und</strong> ihre berühmten Gärten. Aufbau-<br />

Verlag, Berlin (2004), 3. Auflage 2005<br />

Huber Michaela: Der innere Garten - ein achtsamer Weg zur persönlichen Verän<strong>der</strong>ung.<br />

Junfermann, Pa<strong>der</strong>born (2005), 3. Auflage 2006<br />

Müller Christa: Wurzeln schlagen in <strong>der</strong> Fremde <strong>–</strong> Die internationalen Gärten <strong>und</strong> ihre<br />

Bedeutung für Integrationsprozesse. ökom Verlag, München 2002<br />

Neuberger Konrad: Früchte <strong>der</strong> Gartenarbeit <strong>–</strong> pädagogische <strong>und</strong> therapeutische<br />

Erfahrungen in: Grüne Schriftenreihe 124, B<strong>und</strong>esverband Deutscher Gartenfre<strong>und</strong>e,<br />

1997, S. 69 - 83<br />

Niepel Andreas, Emmrich Silke: Garten <strong>und</strong> Therapie -Wege zur Barrierefreiheit. Ulmer<br />

Verlag Stuttgart 2005<br />

Plahl Christine: Psychologie des Gartens <strong>–</strong> Anmerkungen zu einer natürlichen Beziehung<br />

in: Callo, Hein, Plahl (Hrsg.): <strong>Mensch</strong> <strong>und</strong> Garten <strong>–</strong> Ein Dialog zwischen Sozialer Arbeit<br />

<strong>und</strong> Gartenbau, 2004, S. 47 - 73<br />

Plitzka Elisabeth/Schwarz Marion: Die Gärten Nie<strong>der</strong>österreichs <strong>–</strong> Reiseführer zu den<br />

Gartenparadiesen im weiten Land. Residenz Verlag, St. Pölten 2008<br />

Plitzka Elisabeth: Die Garten Tulln <strong>–</strong> Das Gartenerlebnis in Nie<strong>der</strong>österreich. NÖ<br />

Landesgartenschau Planungs- <strong>und</strong> Errichtungs-GmbH (Hrsg.), Tulln 2008<br />

Pristavnik Michaela: Gärten <strong>und</strong> Blumen in Frauenhand <strong>–</strong> ein kulturbotanischer Beitrag<br />

zur Diversitätsforschung. Dissertation Universität für Bodenkultur, Wien 2005<br />

Putz Maria: <strong>Natur</strong> <strong>und</strong> Garten als ergotherapeutisches Medium in: Deutscher Verband <strong>der</strong><br />

Ergotherapeuten (Hrsg.): Gartentherapie, Schulz-Kirchner Verlag, Idstein 2007, S. 57 - 70<br />

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Internetquellen<br />

http://en.wikipedia.org/wiki/Biophilia am 18.10.2008<br />

www.diegaerten.at am 8.9.2008<br />

www.fgoe.org/ges<strong>und</strong>heitsfoer<strong>der</strong>ung/glossar am 16.10.2008<br />

www.gartenpolylog.com am 14.8.2008<br />

www.internetseelsorge.de am 29. Oktober 2008<br />

www.kleingarten-b<strong>und</strong>.de am 16.5.08<br />

www.plants-for-people.de am 26.9.2008<br />

www.rhs.org.uk/SCHOOLGARDENING am 17.10.2008<br />

www.who-tag.de/2002themen_jakarta.htm am 16.10.2008<br />

www.wil<strong>der</strong>dom.com/evolution/BiophiliaHypothesis.html am16.10.2008<br />

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