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Charakterisierung und Vererbung des Arthroserisikos ... - TG-Verlag

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<strong>Charakterisierung</strong> <strong>und</strong> <strong>Vererbung</strong> <strong>des</strong> <strong>Arthroserisikos</strong><br />

bei der ED <strong>des</strong> H<strong>und</strong>es<br />

Dr. Reiner Beuing<br />

Institut für Tierzucht <strong>und</strong> Haustiergenetik der Justus-Liebig-Universität Giessen<br />

Die Ellbogengelenksdysplasie <strong>des</strong> H<strong>und</strong>es ist eine seit jüngerer Zeit verstärkt beachtete<br />

Gelenkanomalie. In dem aus drei Knochen (Elle, Speiche <strong>und</strong> Oberarm) komplex<br />

zusammengesetzten Gelenk können viele Ursachen das Wachstum, die Verknöcherung <strong>und</strong><br />

die Formung der Gelenkstrukturen beeinflussen. Es kann auch zu Gelenkschäden führen, z.B.<br />

dem isolierten processus anconerus (IPA), dem fragmentierten processus corronoidius (FCP)<br />

oder zu Knorpelablösungen (osteochondrosis dissecans). In jedem Fall führen diese Läsionen,<br />

aber meist auch die Dysplasie (Fehlformung) selbst, zu Arthrosen im bzw. am Gelenk.<br />

Ausgehend von den Aktivitäten in Schweden hat die International Elbow Working Group<br />

(IEWG) der World Small Animal Veterinary Association (WSAVA) eine Richtlinie zur<br />

gutachterlichen Einstufung erarbeitet. Diese sieht vier ED-Klassen (ED-frei <strong>und</strong> Grad 1 bis<br />

Grad 3) vor, die sich ausschließlich an den Arthrosen orientieren. ED-freie Tiere sind auch<br />

arthrosefrei, Grad 1 zeigt Auflagerungen bis 2 mm, Grad 2 von 2 bis 5 mm <strong>und</strong> Grad 3 mehr<br />

als 5 mm. Das Alter der Tiere beim Röntgen soll dem Röntgenalter bei der HD-Aufnahme<br />

entsprechen.<br />

Die so definierte Ellbogendysplasie (ED) ist gut geeignet, den Ges<strong>und</strong>heitszustand <strong>des</strong><br />

H<strong>und</strong>es zu charakterisieren. Für züchterische Maßnahmen ist diese Klassifizierung jedoch<br />

sehr problematisch. Die Einordnung in die Klassen erlaubt gutachterlichen Spielraum, da an<br />

verschiedenen Stellen <strong>des</strong> Gelenks die Auflagerungen unterschiedlich sein können <strong>und</strong> zudem<br />

können die zwei Gelenke <strong>des</strong> H<strong>und</strong>es verschiedene arthrotische Zustände zeigen. Die<br />

Arthrosemenge ist auch abhängig von Röntgenalter, Fütterungsintensität, Gelenkbelastung<br />

durch Bewegung/Leistung, Entzündungen, usw., also auch von Unweltfaktoren. Die<br />

funktionale Form <strong>des</strong> Gelenkes bleibt unbeachtet.<br />

Ziel dieser Forschungsarbeit war daher, die von Tier zu Tier unterschiedliche Gelenkform<br />

durch technische Vermessung der Gelenke am Röntgenbild zu charakterisieren. Es sollte dann<br />

gesucht werden, welche Gelenksvarianten risikoreich bezüglich Arthrose bzw. Läsionen sind.<br />

Schließlich ist aber die Hauptfragestellung, inwieweit die Gelenkform erblich vorgegeben ist<br />

(Heritabilität) <strong>und</strong> eine Zucht auf risikoarme Gelenke möglich <strong>und</strong> gegenüber der ED-<br />

Klassifizierung zu bevorzugen ist.<br />

Das Forschungsprojekt wurde von der GKF gefördert.<br />

Material<br />

Für die Untersuchungen wurden insgesamt 5846 Röntgenaufnahmen von 2114 Rottweilern<br />

<strong>und</strong> 447 Deutschen Schäferh<strong>und</strong>en ausgemessen. Die Daten der Rottweiler ist der<br />

vollständige Bestand aus dem ED-Bekämpfungsprogramm <strong>des</strong> Allgemeinen Deutschen<br />

Rottweiler Klubs (ADRK). Die Röntgenfilme der Deutschen Schäferh<strong>und</strong>e kommen aus einer<br />

repräsentativen Stichprobe im Rahmen einer Studie zur ED-Situation beim Verein für<br />

Deutsche Schäferh<strong>und</strong>e (SV). 447 Schäferh<strong>und</strong>e sind im Alter ab ca. 6 Monaten (Vorröntgen)<br />

<strong>und</strong> zum Teil zusätzlich im Alter ab 12 Monaten (Hauptröntgen) geröntgt. Alle Tiere wurden


vom gleichen Gutachter nach IEWG-Norm begutachtet. Derzeit werden noch Labrador <strong>und</strong><br />

Golden Retriever untersucht.<br />

Methode<br />

In der seitlichen (medio-lateralen) Projektion zeigt sich das Ellbogengelenk als Walzengelenk.<br />

Die Gelenkwalze <strong>des</strong> Oberarms (Humerus) wird von Elle (Ulna) <strong>und</strong> Speiche (Radius)<br />

umschlossen. Wichtiger Teil der Elle ist der Ellbogenhöcker (Olegranon), an dem die Sehnen<br />

<strong>des</strong> Streckers ansetzen. In einer Rille, gebildet von zwei Wülsten auf der Humeruswalze,<br />

übernimmt ein Fortsatz, der processus anconeus, eine stabilisierende Führungsaufgabe.<br />

Abbildung 1 skizziert die Verhältnisse im Ellbogengelenk.<br />

Abbildung 1: Das Ellbogengelenk <strong>und</strong> die Messwinkel<br />

Erste Untersuchungen deuteten an, dass Gelenke mit Arthrosen charakteristische Formen<br />

hatten. Als bedeutsam <strong>und</strong> in hohem Maß aussagekräftig waren:<br />

1. Wie weit umspannt die Ulna das Gelenk (UL),<br />

2. wie stark ist der Radius am Gelenk beteiligt (RA),<br />

3. wie geneigt ist das Olegranon (OL) gegenüber dem Radius-Schaft,<br />

4. wie lang ist der processus anconeus (PA).<br />

Diese vier Messungen stellen Winkel im Uhrzeigersinn dar, ausgehend vom Mittelpunkt <strong>des</strong><br />

Humeruskopfes.<br />

Von den vier Größen wurden die Erblichkeiten berechnet. Ebenso wurde von der<br />

Arthrosemenge (gleichbedeutend mit dem ED-Grad) die Erblichkeit ermittelt. Die<br />

berechneten genetischen Korrelationen zeigten, wie stark die <strong>Vererbung</strong> von<br />

Gelenkmessungen mit der <strong>Vererbung</strong> der Arthrose einhergeht. Mit Hilfe der in der Tierzucht<br />

allbekannten Selektionsindexmethode, wurde dann eine Schätzformel ermittelt, mit der man<br />

aus den Messungen die Arthrose-<strong>Vererbung</strong> vorhersagen kann. Die durch diese Formel<br />

ermittelte <strong>Charakterisierung</strong> der Gelenke wird im weiteren EQ (Ellbogenqualität) genannt.<br />

Ergebnisse<br />

Rottweiler<br />

Seit Einführung <strong>des</strong> obligatorischen Röntgens der Ellbogen liegen für die Untersuchung 2114<br />

ED-Einstufungen vor. Alle Filme wurden auch ausgemessen. Die Rate einzelner ED-Grade


zeigt Abbildung 2, in der auch nach Rüden <strong>und</strong> Hündinnen getrennt wurde. Rüden sind<br />

deutlich stärker betroffen.<br />

Abbildung 2: Verteilung der ED-Grade beim Rottweiler, nach Geschlecht getrennt<br />

Tabelle 1 zeigt die Meßwerte <strong>und</strong> die erstaunliche Spanne zwischen Minimum <strong>und</strong><br />

Maximum. Voruntersuchungen zeigten vollständige Unabhängigkeit der Messungen von<br />

Lagerung <strong>und</strong> Beugung <strong>des</strong> Gelenkes auf der Röntgenaufnahme. Die Variation von Tier<br />

zu Tier ist in hohem Maße ererbt bzw. vererbbar. Tabelle 1 zeigt auch die<br />

Erblichkeitsmaße (Heritabilität, h²). In der für Rottweiler ermittelten Schätzformel<br />

wurden die am Gelenk ermittelten Winkelmaße mit Multiplikatoren entsprechend ihrer<br />

Aussagekraft gewichtet <strong>und</strong> zum EQ-Index zusammengefasst.<br />

Tabelle1: Mittelwert, Minimum, Maximum <strong>und</strong> Heritabilität (h²) der Messungen <strong>und</strong> <strong>des</strong><br />

EQ-Indexes beim<br />

Rottweiler<br />

Merkmal Mittelwert Minimum Maximum h²<br />

Winkel OL 25,3 14 38 59 %<br />

Winkel UL 113,6 92 128 44 %<br />

Winkel RA 82,1 70 96 25 %<br />

Winkel PA 25,2 14 38 42 %<br />

EQ-Index 0,89 0,72 1,00 60 %<br />

Abbildung 3 zeigt die Häufigkeitsverteilung der EQ-Werte. Sie reichen von 0,77 (als<br />

77% <strong>des</strong> Idealgelenkes zu interpretieren) bis 1,00 (100%ig ideale Gelenkform) mit einer<br />

für biologische Merkmale typischen Normalverteilung. Der Mittelwert der Rottweiler


liegt bei 0,891). Die Erblichkeit <strong>des</strong> EQ-Indexes wurde mit 60% berechnet. Rüden <strong>und</strong><br />

Hündinnen unterscheiden sich im EQ-Index nicht.<br />

Abbildung 3: Häufigkeitsverteilung der EQ-Werte beim Rottweiler<br />

Anwendung auf den Deutschen Schäferh<strong>und</strong><br />

In einer Stichprobe, zufällig aus der Rasse ausgewäht, sollte die ED-Situation beim<br />

Schäferh<strong>und</strong> überprüft werden. Die ED-Ergebnisse sind in Abbildung 4 dargestellt. Beim<br />

Erströntgen (ab 6 Monate) kamen 447 Tiere zur Auswertung. Es wurden 87% arthrosefreie<br />

Gelenke gef<strong>und</strong>en. Im späteren Alter, ab 12 Monaten geröntgt, ist die Rate von arthrotischen<br />

Gelenken leicht erhöht.<br />

Obwohl die Studie nicht zur Ermittlung der Erblichkeit angelegt war, wurde dennoch<br />

versucht, über die Ähnlichkeit von verwandten Tieren eine Erblichkeit nachzuweisen. Für die<br />

Arthrosen konnten jedoch keine eindeutigen <strong>Vererbung</strong>sunterschiede erkannt werden. Anders<br />

bei der EQ-<strong>Charakterisierung</strong>.<br />

Der Durchschnitt der Tiere lag bei EQ = 0,91 (0,89 beim Rottweiler). Durch das leichtere<br />

Körpergewicht <strong>des</strong> Schäferh<strong>und</strong>es gegenüber dem Rottweiler <strong>und</strong> durch die signifikant<br />

bessere Ellbogenqualität kommt es zu deutlich weniger arthrotischen Gelenken.


Abbildung 4: ED-Grade beim Deutschen Schäferh<strong>und</strong> beim Vor- <strong>und</strong> Hauptröntgen,<br />

rechts <strong>und</strong> links<br />

Der Schäferh<strong>und</strong> zeigte aber gegenüber dem Rottweiler ein spezifisches Gelenkrisiko.<br />

6% der Tiere hatten einen isolierten processus anconeus. An den Messungen zeigte sich,<br />

daß der Schäferh<strong>und</strong> im Ulna- <strong>und</strong> Radiusmaß deutlich besser, im Anconeus-Maß aber<br />

hochgradig schlechter war, was die Rasse mit einer gegenüber dem Rottweiler ca. 10<br />

mal höheren Rate von isoliertem processus anconeus beantwortet. Der Unterschied ist in<br />

Abbildung 5 verdeutlicht.<br />

Die Heritabilität für die EQ-Einstufung betrug im Alter von > 12 Monaten 58%. Im<br />

Vorröntgenalter ab 6 Monaten zeigte sich, dass die Messungen in diesem Alter<br />

hervorragend durchzuführen sind <strong>und</strong> die Gelenke bezüglich der Ellbogenqualität<br />

gegenüber dem Hauptröntgen mit noch besserer Genauigkeit zu charakterisieren sind.<br />

Die Erblichkeit betrug in diesem Alter 73%. Eine ED-Begutachtung erscheint zu diesem<br />

Zeitpunkt noch nicht möglich, weil Arthrosen nur in Extremfällen auftauchen <strong>und</strong><br />

praktisch nur Läsionen erkennbar sind.


Abbildung 5: Verteilung <strong>des</strong> Winkels processus anconeus beim Rottweiler <strong>und</strong> Deutschen<br />

Schäferh<strong>und</strong><br />

Diskussion der Ergebnisse<br />

Die Beschreibung der Ellbogen-Dysplasie durch Messungen zur <strong>Charakterisierung</strong> der<br />

Gelenkform ist möglich. Die Messwerte sind objektiv erfassbar, in hohem Maße<br />

reproduzierbar, links <strong>und</strong> rechts sehr ähnlich <strong>und</strong> unabhängig von Alter <strong>und</strong> Geschlecht <strong>des</strong><br />

Tieres. EQ ist für züchterische Anwendungen insbesondere <strong>des</strong>wegen geeignet, weil der Wert<br />

optimiert ist, um die <strong>Vererbung</strong> vorherzusagen. Er konzentriert sich somit auf vererbbare<br />

Details. Gutachterliche Einstufungen schließen alle nicht-genetischen Faktoren mit ein, wenn<br />

sie auf der Basis von Arthrosen vorgenommen werden. Die kontinuierliche Variation von EQ<br />

macht zudem die Zuchtbewertung über Zuchtwertschätzung leichter <strong>und</strong> genauer. Besonders<br />

hervorzuheben ist der Vorteil, dass sehr gute, ideale Gelenke innerhalb der arthrosefreien<br />

Gelenke erkannt <strong>und</strong> besonders für die <strong>Vererbung</strong> hervorgehoben werden können. In einem<br />

gutachterlichen Verfahren, in dem ein hoher Prozentsatz der Tiere als ED-frei bezeichnet<br />

werden, werden eben diese nicht mehr differenziert, obwohl sie sehr wohl unterschiedlich in<br />

der Ellbogenqualität sind.<br />

Abschluß<br />

Das Forschungsprojekt war mit Ende <strong>des</strong> Jahres 2000 abgeschlossen sein. Derzeit laufen noch<br />

vergleichende Untersuchungen an Labrador <strong>und</strong> Golden Retrievern. Die bisherigen<br />

Ergebnisse sind mit Tierarzt Christoph Mues erarbeitet worden <strong>und</strong> waren Bestand seiner<br />

Dissertation mit gleichem Thema. Sie ist an der Veterinärmedizinischen Fakultät Gießen<br />

erhältlich.<br />

Danksagung<br />

Schon jetzt sei an dieser Stelle der GKF, dem Allgemeinen Deutschen Rottweiler Klub, dem<br />

Verein für Deutsche Schäferh<strong>und</strong>e <strong>und</strong> dem Deutschen Retrieverclub für die Unterstützung<br />

gedankt.<br />

Copyright, Beuing-Giessen<br />

Dr. Reiner Beuing<br />

Liebigstraße 43<br />

35392 Gießen<br />

e-mail: tg-verlag@t-online.de

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