streams - Collegium musicum - Universität zu Köln
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Vorträge<br />
Freitag | 10 Uhr | Äbtesaal | Eintritt frei<br />
16.04.<br />
Prof. Dr. Tatsiana MDZIVANI<br />
Akademie der Wissenschaften, Minsk /<br />
Weißrussland<br />
Happening und Instrumentaltheater –<br />
Prinzipien des Rationalen und des<br />
Irrationalen in der Musik heute.<br />
Das 20. Jahrhundert führt <strong>zu</strong> einer grundlegenden<br />
Veränderung der Weltkunstkultur. Es ist das<br />
Jahrhundert der Durchsicht und Neubewertung<br />
von bis dahin angesammelten Werten, das Jahrhundert<br />
der Bildung eines neuen ästhetischen<br />
Paradigmas und einer neuen künstlerischen<br />
Weltanschauung. Einen besonderen Platz in der<br />
Kultur dieser Zeit nimmt die europäische Musikavantgarde<br />
(Alban Berg, Schönberg, Webern)<br />
ein, welche die nichtklassische Musikkonzeption<br />
entwickelt hat. Ihr Wesen wird bestimmt<br />
durch eine neue Rationalität, die sich im Inhalt<br />
der Musik, im Gestaltsystem, in der Form, der<br />
Kompositionslogik und in den Eigenschaften<br />
des Musikstoffes äußert.<br />
Die nichtklassische Rationalität bzw. Neorationalität<br />
ist die Rationalität, der die Idee der<br />
neuen Tonhöhe, der neuen Ordnung und des<br />
Bindungssystems von Elementen sowie der<br />
nichtklassischen Weltauffassung (Musikavantgarde<br />
der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts)<br />
<strong>zu</strong>grunde liegen. Die neue nichtklassische Rationalität<br />
ist die Rationalität, die auf die Vielheit<br />
von rationellen Komponenten und auf die<br />
Nichtlinearität gerichtet ist und deren Struktur<br />
die Eintrittswahrscheinlichkeit und die Zufälligkeit<br />
beinhaltet, was wiederum die Erweiterung<br />
der Musikgrenzen verursacht hat (Musikavantgarde<br />
der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts).<br />
Der Ausbau des Musikalischen hat sich vor allem<br />
in den neuen Musikgenres verkörpert: im<br />
Instrumentaltheater, im Happening, in Environments,<br />
Performances, Aktionen und Installationen.<br />
Die Besonderheit dieser Genres besteht in<br />
ihrer prinzipiellen Nichtlinearität und im Rekurs<br />
auf die eigene Idee (bzw. Erfindung).<br />
Das Happening positioniert sich als ein Sein<br />
besonderer Art oder als ein Musik<strong>zu</strong>stand in<br />
seinem unmittelbaren und sogar synkretischen<br />
Kontakt mit dem Lebensraum und der unvorhersehbaren<br />
Wirklichkeit Inory (1974) von Karlheinz<br />
Stockhausen (1928–2007), Der Dampfer<br />
fährt am Hafen vorbei, Das blaue Heft von Edison<br />
Denissow (1928–1996)).<br />
Das Instrumentaltheater ist eine Art – Musikinstrumente<br />
übergreifende – Vorstellung mit den<br />
Musikern als Schauspielern. Der Interpret übt<br />
dabei die Funktion des verbalen Kommentators<br />
von (eigenen) Gefühlen und Emotionen aus.<br />
Im Großen und Ganzen haben sich in den neuen<br />
Musikgenres drei Typen unterschiedlicher<br />
Verhältnisse zwischen dem Rationalen und<br />
dem Irrationalen entwickelt: Erster Typ: Ein<br />
Übergewicht des Rationalen gegenüber dem<br />
Irrationalen (Formeln, Strukturen, Serien, Reihen);<br />
zweiter Typ: Ein Übergewicht des Irrationalen<br />
gegenüber dem Rationalen (aleatorische<br />
Kompositionen, Happenings etc.); und dritter<br />
Typ: Die gleichgewichtige Entsprechung des<br />
Rationalen und Irrationalen im Instrumentaltheater<br />
(z. B. bei Mauricio Kagel u. a.). Das Hauptmerkmal<br />
der nichtklassischen Neuesten Musik<br />
ist das Selbst-Prinzip, das eigenschöpferische<br />
System des Komponisten (Selbststrukturierung,<br />
Selbstorganisation).<br />
Freitag | 11.30 Uhr | Äbtesaal | Eintritt frei<br />
16.04.<br />
Prof. Martin Christoph REDEL<br />
Hochschule für Musik, Detmold<br />
„De Natura Sonoris“ –<br />
Die „Polnische Schule“ der 1960er Jahre<br />
(Tadeusz Baird – Witold Lutoslawski –<br />
Krzysztof Penderecki)<br />
Die Bezeichnung Polnische Komponistenschule<br />
wurde Anfang der 60er Jahre des 20. Jahrhunderts,<br />
vor allem durch die deutsche Musikkritik,<br />
popularisiert. Der Terminus ist entstanden, um<br />
einen spezifischen Stil der polnischen Musik <strong>zu</strong><br />
benennen, in welcher die Klangfarbe in hervorgehobener<br />
Form eine Grundlage der Gestaltung<br />
des Musikwerks bildet.<br />
Die Geburt der Polnischen Komponistenschule<br />
wurde Dank des politischen Tauwetters nach<br />
dem Tode Stalins möglich, welches in Polen<br />
im Jahre 1956 <strong>zu</strong> einem politischen Umbruch<br />
geführt hatte. Damals wurden – wie der Personenkult<br />
im Bereich des politischen Lebens<br />
– (auch) die Dogmen des sozialistischen Realismus<br />
im Bereich der Kultur abgelehnt. Eine nicht<br />
geringfügige Bedeutung für die Entstehung<br />
der Polnischen Komponistenschule hatte auch<br />
die Einrichtung des Internationalen Festivals<br />
Zeitgenössischer Musik Warschauer Herbst im<br />
Oktober 1956.<br />
Der Warschauer Herbst wurde <strong>zu</strong>m Ort der<br />
polnischen Erstaufführungen von Werken, die<br />
<strong>zu</strong>m Kanon der Gegenwart gehören. Er wurde<br />
ebenfalls <strong>zu</strong> einer Manifestation neuer ästhetischer<br />
Tendenzen in der polnischen Musik. Diese<br />
betrafen anfangs vor allem die Anwendungen<br />
der Zwölftontechnik, später die Anwendung einer<br />
Technik, die in Polen Sonortechnik genannt<br />
wurde und auf den Vorrang der Klangfarbe vor<br />
allen anderen Parametern der Komposition gestützt<br />
war.<br />
Dennoch ergaben sich in der Anwendung dieser<br />
Gestaltungsmerkmale völlig unterschiedliche<br />
und individuelle Lösungen, wie dies an exemplarischen<br />
Beispielen aus Werken von Baird,<br />
Lutoslawski und Penderecki <strong>zu</strong> erkennen ist.<br />
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