Der Auftrag des Evangeliums im Pflegeberuf - EFAKS ...
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<strong>Der</strong> <strong>Auftrag</strong> <strong>des</strong> <strong>Evangeliums</strong> <strong>im</strong> <strong>Pflegeberuf</strong><br />
lm Winterhalbjahr 1980/ 81 haben sich Mitglieder unseres Verban<strong>des</strong> intensiv mit Fragen christlicher Ethik in<br />
der Pflege beschäftigt und ihre Gedanken formuliert. Daraus sind die "Ethischen Leitlinien <strong>des</strong> Evangelischen<br />
Fachverban<strong>des</strong> für Kranken- und Sozialpflege e. V." (heute Evangelischer Fach- und Berufsverband für Pflege<br />
e.V.) entstanden, die von der Mitgliederversammlung <strong>im</strong> Februar 1981 verabschiedet wurden. Sie erscheinen<br />
uns heute noch genau so aktuell wie damals und sind die Grundlage unserer Bildungsarbeit.<br />
Gedanken zur Grundlage und zum Sinn einer christlichen Ethik für <strong>Pflegeberuf</strong>e<br />
l. Begriffserklärung<br />
Unter dem Begriff Ethos versteht man sittliches Bewusstsein und sittliche Normen, die von einzelnen und von<br />
der Gesellschaft als verbindlich betrachtet werden. In einem solchen Normensystem werden die Grundanliegen<br />
einer Gesellschaft deutlich. z. B.<br />
- die Achtung vor der Würde <strong>des</strong> Menschen<br />
- der Schutz <strong>des</strong> Lebensrechts<br />
- die Minderung <strong>des</strong> Leidens<br />
- die Absage an jede Art von Zwang und Beeinträchtigung.<br />
Diese Grundanliegen bezeichnet man als Werte. Dahinter steht die Erwartung, dass die Anerkennung dieser<br />
Werte dem Leben Sinn geben kann. Leben in Würde und Freiheit wäre demnach sinnvolles Leben, Leben in<br />
dem der Mensch Mensch sein kann. Unbewusst liegt also jedem Ethos ein ganz best<strong>im</strong>mtes Bild vom<br />
Menschen zugrunde.<br />
Mit Ethik bezeichnet man das kritische Nachdenken über das Ethos, d. h. man versucht, das dem Ethos<br />
zugrundeliegende Menschenbild zu erfassen und seine Gültigkeit zu überprüfen. Aus diesen Überlegungen ist<br />
dann der ethische <strong>Auftrag</strong> zu entwickeln und in Grundnormen <strong>des</strong> Handelns zu fassen.<br />
ll. Grundanliegen christlicher Ethik<br />
Dieses kritische Nachdenken und die Formulierung von Grundnormen <strong>des</strong> Handelns für Mitarbeiter in<br />
<strong>Pflegeberuf</strong>en kann unter folgenden Fragestellungen geschehen:<br />
1. Welches Menschenbild liegt unseren Vorstellungen zugrunde?<br />
2. In welcher Lebenssituation finden wir uns vor?<br />
3. Welcher <strong>Auftrag</strong> ergibt sich für uns?<br />
4. Wie können wir diesen <strong>Auftrag</strong> in Verantwortung erfüllen?<br />
Zu 1:<br />
Unseren Vorstellungen liegt das Menschenbild zugrunde, das uns die Bibel vermittelt.<br />
Dazu kurz einige Gedankengänge: Jeder Mensch ist Gottes Geschöpf. Er ist weder Produkt <strong>des</strong> Zufalls noch<br />
ein Wesen unbekannten Ursprungs, sondern er verdankt sich selbst, sein Dasein, Gott dem Schöpfer.<br />
Gott hat den Menschen zu seinem Bild geschaffen. Damit hat Gott dem Menschen den <strong>Auftrag</strong> gegeben, in<br />
dieser Welt mit seinem Leben den Schöpfer zu bezeugen und in seinem Sein und Handeln Gottes Willen zu<br />
verwirklichen.<br />
Als Gottes Geschöpf und Gottes Bild lebt der Mensch aus der Beziehung zu Gott. Menschsein <strong>im</strong> Verständnis<br />
der Bibel heißt: aus der Beziehung zu Gott und in der Beziehung zu Gott leben.<br />
lm "Wörterbuch medizinischer Grundbegriffe", herausgegeben von Eduard Seidler ist zu lesen: “Je<strong>des</strong> Ethos<br />
lebt aus einem Urvertrauen auf die Sinnhaftigkeit menschlichen Daseins“.<br />
Für Christen kann man das so formulieren: Menschsein heißt, in einem Urvertrauen zu Gott leben, das eigene<br />
Leben und das Leben der Welt <strong>im</strong>mer auf Gott bezogen sehen und verstehen.<br />
Dieses Urvertrauen hat Gott in Jesus Christus noch einmal neu begründet und gestärkt.<br />
Zum Menschenbild der Bibel gehört aber auch die Bezogenheit <strong>des</strong> Menschen auf den Mitmenschen, d h<br />
Begegnung mit anderen Menschen, Zuordnung zum anderen, Menschsein in Gemeinschaft und Verantwortung<br />
füreinander.
Zu 2:<br />
Die Grundnormen, die uns die Bibel gibt, müssen umgesetzt werden in die Lebenssituation<br />
Zwar gibt uns das Neue Testament an vielen Stellen durchaus Grundnormen für unser Tun und unser<br />
Miteinander, jedoch können wir sie nicht als einfache Gebrauchsanweisung für unseren Alltag verwenden. Das<br />
dort Gesagte muss umgesetzt werden in unser heutiges Leben, und zwar in die jeweilige persönliche, kulturelle,<br />
gesellschaftliche und ökologische Situation.<br />
Die Gültigkeit ethischer Grundregeln ist zeitlich und räumlich begrenzt. Christliche Ethik kann nicht ein für<br />
allemal festgeschrieben werden, sie muss vielmehr offen bleiben für neue Erkenntnisse und Korrekturen, die<br />
sich allerdings <strong>im</strong>mer wieder zu orientieren haben am Menschenbilder Bibel. Dazu drei Beispiele:<br />
• Die Paulinische Theologie (z.B. 1 Korinther, Kap. 11 und 14) hat - unter dem Einfluss der jüdischen<br />
Familienkultur und Religionsausübung - die patriarchalische Ordnung übernommen. Sie behielt fast zwei<br />
Jahrtausende Gültigkeit. So war nach christlicher Auffassung der Mann das vor Gott verantwortliche Haupt<br />
der Familie und der Gemeinde.<br />
In diesem Jahrhundert haben Frauen wieder entdeckt, dass auch Jüngerinnen Jesus nachfolgten, und dass<br />
er auch Frauen beauftragte, seine Zeuginnen zu sein (Johannes 20, 17).<br />
• Erst spät haben die christlichen Kirchen den <strong>Auftrag</strong> aus der Schöpfungsgeschichte (1. Mose 2,15):<br />
"Gott, der Herr, nahm den Menschen und setzte ihn in den Garten Eden, dass er ihn baute und bewahrte<br />
neu entdeckt und den Schutz der Umwelt und der Gesundheit aller Geschöpfe als eine der dringlichsten<br />
Aufgaben unserer Zeit erkannt.<br />
• Chr. W. Hufeland beschäftigte <strong>im</strong> 18. Jahrhundert die Frage, auf welche Weise man das menschliche<br />
Leben verlängern könne. Heute stehen wir nicht selten vor der Frage, wann es zu verantworten ist,<br />
menschliches Leben nicht mehr durch medizinische Maßnahmen zu verlängern, weil wir damit<br />
entweder nur Vitalfunktionen erhalten oder Leiden vermehren.<br />
Genewein und Sporken folgern aus diesen wechselvollen Interpretationen der biblischen Botschaft: „Die<br />
Geschichte der christlichen Ethik mahnt uns zu großer Bescheidenheit" (Menschlich pflegen, Patmos-Verlag)<br />
Zu 3:<br />
Unser <strong>Auftrag</strong> als Gottes Geschöpfe<br />
Mensch sein <strong>im</strong> Sinne der Bibel bedeutet: werden, wozu wir von Gott best<strong>im</strong>mt sind. Daraus ergibt sich ein<br />
doppelter <strong>Auftrag</strong>:<br />
• Wir müssen an uns selbst arbeiten, damit wir mit Gottes Hilfe Menschen nach seinem Bild werden, sowie<br />
es uns Jesus Christus vermittelt hat, in einer kontinuierlichen Beziehung zu Gott leben und in einer<br />
sinngebenden Beziehung zu den Menschen, die uns <strong>im</strong> persönlichen und beruflichen Alltag zugeordnet<br />
sind.<br />
• Wir sollen dazu beitragen, dass auch andere Menschen werden können, wozu sie von Gott best<strong>im</strong>mt sind,<br />
dass diese Welt menschlicher wird und jeder in Würde und Freiheit leben kann.<br />
Als Pflegende haben wir den <strong>Auftrag</strong>, am Wohl und Heil der Menschen mitzuwirken.<br />
Zu 4:<br />
Gottes Liebe - Motivation und Basis unserer Pflege<br />
Die Grundnorm christlichen Handelns überhaupt wird u. a. best<strong>im</strong>mt durch die Aussage in Johannes 3, 16:<br />
„Also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen einzigen Sohn dahingab".<br />
Drei Gedanken liegen in diesem Vers:<br />
• Gott ist in Jesus Christus in die Welt gekommen. Gott ist also in der Welt, er ist überall da und<br />
gegenwärtig.<br />
• Gott liebt die ganze Welt. Er liebt nicht nur die Christen, die Frommen, er liebt alle Menschen. Die ganze<br />
Welt ist Gottes Schöpfung und der ganzen Welt gilt seine Liebe. Schon das Alte Testament ist durchzogen<br />
von dem Gedanken, dass alle Völker den Segen empfangen sollen (Abrahamsgeschichten), dass aller Welt<br />
Enden das Heil Gottes sehen werden (Psalm 98,3).<br />
• Gott liebt die Welt. Die Beziehung Gottes zu seiner Schöpfung ist Liebe, ist Bejahung, ist Gut-Wollen.<br />
Mensch sein heißt: von Gott geliebt sein. Wahres Mensch-Sein heißt dann auch Geliebt-Werden und<br />
Lieben, Nehmen und Geben, Ermöglicht-Werden, Hilfe empfangen und Hilfe leisten.
Lieben können ist Wesensmerkmal menschlicher Existenz. Ethische Überlegungen für Christen in<br />
<strong>Pflegeberuf</strong>en müssen auf diesem Fundament entwickelt werden.<br />
lll. Ethik als Handlungsorientierung<br />
Ethos hat von der Wortgeschichte her etwas zu tun mit Behaustsein, Stabilität und Geborgenheit. In unserem<br />
Beruf geht es <strong>im</strong>mer um Menschen und <strong>des</strong>halb <strong>im</strong>mer wieder um neue Situationen, die uns Entscheidungen<br />
abverlangen. Auf die Frage, was richtig oder falsch ist, und wie ich mich zu verhalten habe, muss ich irgendwo -<br />
außerhalb meiner selbst - eine Orientierung finden können. Jeder Mensch braucht für seine Entscheidungen<br />
Entlastung und Bestätigung, Kritik und Korrektur. Diese Funktionen kann eine Gruppe übernehmen, deren<br />
Mitglieder sich auf best<strong>im</strong>mte Handlungsnormen geeinigt haben. <strong>Der</strong> Einzelne kann sich hier mit seinen<br />
Vorstellungen angenommen und geborgen fühlen<br />
Orientierung ist auch notwendig, um unserem Denken und Handeln Stabilität zu geben, eine Linie, die für<br />
andere erkennbar ist, die uns für andere zuverlässig und durchschaubar macht.<br />
Ethik kann keine Handlungsanweisung für jede Lebenssituation sein. Jeder Mitarbeiter ist ein freier,<br />
eigenverantwortlicher Mensch, der seine Entscheidungen verantworten kann und muss. Es ist Aufgabe je<strong>des</strong><br />
Einzelnen, die ethischen Grundnormen mit der jeweiligen Situation in Zusammenhang zu bringen. Unter<br />
Umständen können hier große Spannungen entstehen, z. B. wenn die Norm nicht anwendbar scheint oder das<br />
persönliche Gewissen zur Entscheidung gegen die Norm neigt Gerade in solchen Situationen ist die<br />
Orientierung <strong>im</strong> Gespräch mit anderen Menschen wichtig, auch eine Überprüfung der Norm kann in diesem Fall<br />
notwendig sein, wenn neue Aspekte sich ergeben.<br />
Die Grundnormen christlicher Ethik st<strong>im</strong>men nicht <strong>im</strong>mer mit der staatlichen Gesetzgebung überein. Die<br />
Tatsache, dass eine Handlung nicht mit Strafe bedroht ist, bedeutet nicht, dass diese Handlung auch für<br />
best<strong>im</strong>mte Gruppen oder einzelne Menschen sittlich vertretbar ist (z.B. Schwangerschaftsabbruch).<br />
Die staatliche Regelung muss Spielraum lassen für verschiedene Weltanschauungen.<br />
lV. Ethik als Bekenntnis und Aufforderung<br />
Wenn wir ethische Grundregeln für unser Denken, Verhalten und Handeln <strong>im</strong> Beruf entwickeln und diese<br />
Regeln schriftlich fixieren, ihnen eine Form geben, sie als "unsere“ Grundregeln drucken, dann erhalten sie<br />
damit auch den Charakter eines Bekenntnisses. Als einer, der diese Grundregeln bejaht, bekenne ich mich zum<br />
biblischen Menschenbild, d.h. ich bekenne mich zu Gott als dem Schöpfer der Welt, und damit bekenne ich<br />
mich als Gottes Geschöpf. Ich bekenne mich zu der Lebensaufgabe, Gottes Bild zu sein und zu werden und<br />
anderen dazu zu verhelfen. Ich bekenne mich zu Gott, der in Jesus Christus seine Liebe zu allen Menschen<br />
bezeugt hat. Ich bekenne, dass ich an ihm mein Leben und Handeln orientiere.<br />
Die Existenz einer solchen Ethik ist zugleich auch eine starke Aufforderung, ihren Inhalt <strong>im</strong> eigenen Handeln zu<br />
verwirklichen, sie in den beruflichen Alltag umzusetzen. Das kritische Vergleichen <strong>des</strong> eigenen Tuns mit den<br />
ethischen Grundnormen verlangt Ehrlichkeit und die Bereitschaft, Unvollkommenheit und Versagen zu<br />
erkennen und einzugestehen. Weil das Fundament dieser Ethik die Liebe Gottes ist, werden wir von ihr nicht<br />
gerichtet, sondern aufgerichtet und zum Neubeginn aufgefordert und ermutigt.<br />
V. Aneignung und Vermittlung von Ethik<br />
Ethik, so erfahren wir <strong>im</strong> „Wörterbuch medizinischer Grundbegriffe" wird nicht gelernt wie Schulwissen, sondern<br />
wird bewusst oder unbewusst übernommen, sie wird in der Auseinandersetzung, <strong>im</strong> Dialog, zur Norm für die<br />
eigene Einstellung. „Ethik muss mehr sein als nur eine Weisheit aus Büchern", so sagt P. Sporken in seinem<br />
1992 erschienenen Buch „Mein Weg zurück ins Leben" (Verlag Herder/ Spektrum).<br />
Vermittlung von Ethik geschieht also auch nicht in erster Linie durch Lehren, sondern, indem Einstellungen in<br />
einer Weise vorgelebt werden, die für andere glaubhaft und überzeugend ist und ihnen die Möglichkeit gibt, sich<br />
mit ihnen zu identifizieren. Das bedeutet, dass derjenige, der ethische Grundregeln bejaht, sie auch so in den<br />
Alltag umsetzen muss, dass sie für andere sichtbar und nachvollziehbar werden.