kunst spektakel revolution - Kunst, Spektakel und Revolution ...
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des Office of War Information: Voice of America zu arbeiten, der<br />
neben der BBC die wohl wichtigste mediale Waffe gegen Nazideutschland<br />
<strong>und</strong> das zentrale Sprachrohr für die Flüchtlinge<br />
aus Europa wird. Dass André Breton die Naziverfolgung<br />
überlebt hat, mag ihn zu Denken gegeben haben, dass er sein<br />
Überleben, wie Hannah Arendt, Lion Feuchtwanger, Alma<br />
Mahler–Werfel, Franz Werfel, Max Ernst, Marc Chagall, André<br />
Masson, Alfred Polgar <strong>und</strong> Heinrich Mann dem linken,<br />
aber eher »bürgerlichen« amerikanischen Journalisten Varian<br />
Fry zu verdanken hat, der eine Rettungsaktion für über 2.000<br />
in Marseille fest sitzende <strong>und</strong> von den Nazis verfolgte Intellektuellen<br />
gestartet hat. Vielleicht war André Breton zum gleichen<br />
Schluss wie Carl Einstein gekommen, der schon 1938 in Anbetracht<br />
der mörderischen Gewalt der FaschistInnen, die auch<br />
ihn morden sollten, geschrieben hat:<br />
»Heute <strong>Kunst</strong> zu machen, das ist gr<strong>und</strong>sätzlich ein Vorwand,<br />
um der Gefahr auszuweichen. […] Die Maschinengewehre<br />
machen sich über die Gedichte <strong>und</strong> die<br />
Gemälde lustig. Mit allen Umschreibungen ist es vorbei.«<br />
(Einstein 1993, 162).<br />
Die ehemaligen Weggefährten des Surrealismus Louis Aragon<br />
<strong>und</strong> Paul Eluard waren 1935 in der KPF geblieben, hatten sich<br />
offiziell von André Breton getrennt <strong>und</strong> waren während des<br />
Zweiten Weltkriegs aktiv in der Résistance in Frankreich tätig.<br />
Die Schatten<br />
Le surréalisme est encore un acteur sans voix. Cependant,<br />
sa grande ombre ne cesse pas d'exister, et son<br />
existence propre sera toujours pour nous la commune<br />
mesure où se réduiront d'autres désirs. Der Surrealismus<br />
ist noch immer ein Akteur ohne Stimme. Doch<br />
sein großer Schatten hört nicht auf zu existieren <strong>und</strong> seine<br />
Existenz wird für uns immer der gemeinsame Nenner<br />
bleiben, bei dem sich andere Begehren auflösen. Pierre<br />
Naville, 1927 (Naville 1975, 98 – eigene Übersetzung)<br />
Bedeutend für die ZeitgenossInnen waren die surrealistischen<br />
Interventionen deshalb, weil sie fast immer gelungene Inszenierungen,<br />
ganz in der Tradition der futuristischen, cravanischen<br />
<strong>und</strong> dadaistischen Provokation stehend, waren <strong>und</strong><br />
meistens eine breite Aufmerksamkeit, Entsetzen <strong>und</strong> Schockreaktionen<br />
auf sich zogen. Jede Ausstellung wurde zur »Kriegsmaschine«,<br />
wie die Surrealistin Annie Le Brun es formulierte<br />
(Le Brun 2002). Natürlich waren die Ressourcen <strong>und</strong> die direkte<br />
Einflussnahme sehr beschränkt, doch ist das linke <strong>und</strong><br />
antifaschistische Politikfeld Frankreichs, ohne die SurrealistInnen<br />
zu erwähnen, gar nicht beschreibbar.<br />
Was die surrealistischen Schocks versucht haben, war,<br />
auf den »absoluten Wahnsinn« hinzuweisen, der sich gerade in<br />
den 30er Jahren immer mehr ausbreitete, darin liegt der hauptsächliche<br />
Einfluss auf die ZeitgenossInnen der SurrealistInnen,<br />
die sicher nicht die einzigen waren, doch zählen sie zu den<br />
manchmal auffälligsten HinweiserInnen.<br />
»Die Umwendung hängt davon ab, ob die Beherrschten<br />
im Angesicht des absoluten Wahnsinns ihrer selbst<br />
mächtig werden <strong>und</strong> ihm Einhalt gebieten.« (Horkheimer<br />
/ Adorno 1995, 209)<br />
Das Angesichtmachen dieses Wahnsinns <strong>und</strong> der Wille nach<br />
der »Umwendung«, damit die Menschen ihrer selbst mächtig<br />
werden, können als ursprünglichstes <strong>und</strong> eigentliches Ziel der<br />
SurrealistInnen gelten. Doch in den letzten Jahren vor dem<br />
Weltkrieg traf eigentlich schon das zu, was Adorno erst für die<br />
Zeit nach 1945, nach der Shoah festgestellt hatte:<br />
»Nach der europäischen Katastrophe sind die surrealistischen<br />
Schocks kraftlos geworden.« (Adorno 1981, 102)<br />
Die Büchervernichtung hatte die Menschenvernichtung angekündigt,<br />
ganz im Sinne Heinrich Heines <strong>und</strong> Guillaume Apollinaires,<br />
<strong>und</strong> die Maschinisierung des Lebens legte jene des<br />
Todes. André Breton <strong>und</strong> seine Fre<strong>und</strong>Innen schienen, ihrem<br />
Verhalten nach, die beginnende Wirkungslosigkeit ihrer inszenierten<br />
Schocks einige Jahre vor dem Krieg erkannt zu haben<br />
<strong>und</strong> deshalb glichen die Aktionen der SurrealistInnen gegen<br />
Ende der 30er Jahre eher jenen von engagierten LiteratInnen<br />
<strong>und</strong> KünstlerInnen, denn jenen der umstürzlerisch <strong>und</strong> provokativ<br />
agierenden Avantgarde, als die sie einmal angetreten waren,<br />
mit allen subversiven Mitteln versuchend, der Geschichte<br />
ein Ende zu setzen – denn es war die <strong>Revolution</strong> gewesen, das<br />
Ende der Geschichte, welche für die SurrealistInnen einzig<br />
gültiges Resultat gegolten hätte. Stattdessen holte die SurrealistInnen<br />
jenes Schicksal der Intellektuellen ein, wie es Carl<br />
Einstein 1938 als Freiwilliger bei Durruti im Spanischen Bürgerkrieg<br />
brutal beschrieben hatte:<br />
»Zusammengenommen besteht die lächerliche Rolle der<br />
Intellektuellen darin, daß sie die Tatsache nur stützen<br />
aber nicht schaffen können.« (Einstein 1993, 164)<br />
Und in den Zeiten der Massenmobilisierungen, der Massenvernichtungen,<br />
also des sich realisiert habenden »absoluten<br />
Wahnsinns«, mögen die Phantasmen <strong>und</strong> Interventionen eines<br />
André Breton, Louis Aragon, eines Picassos oder die rege<br />
Kongresstätigkeit der unzähligen antifaschistisch politisierten<br />
SchriftstellerInnen–Vereinigungen <strong>und</strong> Gruppen »lächerlich«<br />
<strong>und</strong> hilflos gewirkt haben.<br />
Der Versuch avantgardistischer Intellektueller Tatsachen<br />
zu schaffen versickerte in einer politischen Umwelt, die sich<br />
gegen diese Tatsachen mit allen Mitteln zu wehren verstand,