Der Maler Kurt Kühn (1880 - 1957) Versuch einer ...
Der Maler Kurt Kühn (1880 - 1957) Versuch einer ...
Der Maler Kurt Kühn (1880 - 1957) Versuch einer ...
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Magisterarbeit im Fachbereich<br />
Altertums- und Kulturwissenschaft<br />
an der Universität Tübingen<br />
WS 1979/80<br />
<strong>Der</strong> <strong>Maler</strong> <strong>Kurt</strong> <strong>Kühn</strong> (<strong>1880</strong> - <strong>1957</strong>)<br />
<strong>Versuch</strong> <strong>einer</strong> Positionsbestimmung<br />
- Band 1 -<br />
vorgelegt von<br />
Hartmut W. Honzera<br />
Neue Straße 10<br />
74 Tübingen
Band 1<br />
Inhaltsverzeichnis<br />
Teil I............................................................................................................. 2<br />
1. Einleitung............................................................................................................................2<br />
2. Biographie <strong>Kurt</strong> <strong>Kühn</strong>s....................................................................................................3<br />
3. Die Ausstellungstätigkeit <strong>Kurt</strong> <strong>Kühn</strong>s.......................................................................11<br />
4. Das frühe Werk. Arbeiten bis 1910.............................................................................12<br />
Anmerkungen Teil I.............................................................................................................22<br />
Teil II.......................................................................................................... 25<br />
1.0. Zum Begriff Orientalismus und Exotismus..........................................................25<br />
1.1. Zum Forschungsstand des Orientalismus ...........................................................27<br />
1.2. Zur Geschichte des Orientalismus .........................................................................27<br />
1.2.1. <strong>Der</strong> Orientalismus im 19. Jahrhundert........................................................28<br />
1.3. <strong>Der</strong> Orientalismus in Algerien..................................................................................30<br />
2. Die afrikanischen Bilder <strong>Kurt</strong> <strong>Kühn</strong>s......................................................................32<br />
2.1. Monumentale Darstellung von Einzelpersonen oder Personengruppen.....33<br />
2.2. Gruppenszenen. Markt- oder Arbeitsszenen, bei denen mehrere Personen<br />
dargestellt sind, die in Handlung begriffen sind.................................................37<br />
2.3. Darstellungen und Ansichten aus Afrika, bei denen die Architektur die<br />
vorrangige Rolle innerhalb des Bildes einnimmt. ..............................................38<br />
2.4. Reiterszenen.................................................................................................................41<br />
2.5. Landschaftsdarstellungen. Gartenszenen............................................................42<br />
3. <strong>Kurt</strong> <strong>Kühn</strong> im Zusammenhang mit dem Orientalismus des ausgehenden<br />
neunzehnten Jahrhunderts und des beginnenden zwanzigsten<br />
Jahrhunderts..................................................................................................................44<br />
Anmerkungen Teil II............................................................................................................51<br />
Teil III......................................................................................................... 54<br />
1.1. Arbeiten aus der Gefangenschaft, 1914-1919......................................................54<br />
1.2. Werke aus den Jahren 1919-1925, bzw. aus Holzhausen.................................58<br />
1.3. Werke aus den Jahren 1925-1942, Düsseldorf, Paris ........................................60<br />
1.4. Bilder von der Spanienreise 1932 und von der Jugoslawienreise 1939.......63<br />
1.5. Die Portraits ..................................................................................................................64<br />
1.6. Die Selbstbildnisse .....................................................................................................69<br />
1.7. Akt-Darstellungen........................................................................................................72<br />
1.8. Werke der letzten Jahre 1934-<strong>1957</strong>.........................................................................73<br />
2. Zusammenfassung. <strong>Versuch</strong> <strong>einer</strong> Einordnung <strong>Kurt</strong> <strong>Kühn</strong>s in die Kunst<br />
des 20. Jahrhunderts..................................................................................................74<br />
Anmerkungen Teil III...........................................................................................................77<br />
Bibliographie............................................................................................ 78
Teil I<br />
1. Einleitung<br />
- 2 -<br />
Das neunzehnte Jahrhundert ist in den letzten Jahren verstärkt auch ins Blickfeld der kunsthistorischen<br />
Forschung geraten. Nachdem lange Zeit Künstler wie Markart, Böcklin, Feuerbach,<br />
um nur einige wenige wahllos herauszugreifen, in der Versenkung verschwunden waren,<br />
bemüht man sich in letzter Zeit verstärkt, gerade auch die Künstler zu würdigen, die -<br />
orientiert man sich nur an der Kunst, die zu einem Fortschritt der Kunst, was immer man<br />
auch darunter verstehen mag, beitrug - leicht außer acht gelassen werden.<br />
Seminare zur Frage der Akademiemalerei, Publikationen über Salonmalerei, Ausstellungen<br />
zum Komplex Weltausstellung im 19. Jahrhundert verbindet die gemeinsame Frage nach der<br />
'zweiten Kultur', nach der Kunst, die zu ihrer Entstehungszeit äußerst beliebt war, im 20.<br />
Jahrhundert aber völlig vergessen wurde. Die Komplexität, die das neunzehnte Jahrhundert<br />
gerade in seinen künstlerischen Äußerungen kennzeichnet, bedingt, dass bisher nur ein<br />
ganz geringer Teil dieser Kunst annähernd erschöpfend untersucht wurde; - oft begnügt man<br />
sich in <strong>einer</strong> nur oberflächlichen Präsentation des damals wie heute so wirksamen schönen<br />
Scheins. Es sei an dieser Stelle nur die Ausstellung der Düsseldorfer <strong>Maler</strong>schule erinnert.<br />
Vor allem aber verdeckt das so schwergewichtige neunzehnte Jahrhundert, dass diese Erscheinungen<br />
mit der Jahrhundertwende keineswegs ihren Abschluss fanden, sondern dass<br />
in vielen Bereichen eine mehr oder weniger ungebrochene Kontinuität besteht. Auch der<br />
erste Weltkrieg kann vielfach nicht als Zäsur angesehen werden, wie das zum Beispiel bei<br />
der jüngst veranstalteten Ausstellung der Münchener Schule der Fall war.<br />
Im zwanzigsten Jahrhundert existiert zum Beispiel, neben der anerkannt 'avantgardistischen'<br />
Kunst, eine Akademiemalerei, die völlig anders aussieht. Auch das Heer der Künstler, die in<br />
den jährlichen Kunstausstellungen verschiedener Kunstvereine ihre große Stunde erleben,<br />
ist heute vorhanden, so wie es im vergangenen Jahrhundert der Fall war. Welche Bedeutung<br />
gerade diesen Künstlern zukommen kann, hat die Kunstpolitik des Nationalsozialismus gezeigt.<br />
Zum größten Teil waren es eben Künstler, die in die Bresche sprangen, nachdem so<br />
gut wie alles, was künstlerischen Wert besessen hatte, verfemt und verdammt worden war.<br />
Außerdem darf nicht vergessen werden, dass diese Künstler, die ich als Vertreter <strong>einer</strong><br />
'zweiten Kultur' bezeichnen möchte, keineswegs im Abseits des allgemeinen Interesses stehen.<br />
Können sie zwar keinen Platz in der Kunstgeschichte für sich beanspruchen, so genießen<br />
sie doch vielfach eine Wertschätzung beim Publikum, das ihre Werke kauft und als Dekoration<br />
konsumiert. Sie stellen damit möglicherweise zwar nicht den Gegenstand der<br />
Kunstwissenschaft dar, bilden aber einen Teil der gesellschaftlichen Realität, die auch der<br />
Kunsthistoriker nicht außer acht lassen darf.<br />
Will man mit dieser Realität umgehen, so muss man sie erst einmal zur Kenntnis nehmen,<br />
und damit nicht genug, man muss versuchen sie kennen zu lernen.<br />
Einen solchen <strong>Versuch</strong> soll diese Arbeit darstellen. <strong>Der</strong> Künstler, um den es hier geht, gehört<br />
zweifellos nicht zur künstlerischen Avantgarde, er hat der Entwicklung der Kunst sicherlich<br />
keine weiterführenden Impulse gegeben, doch handelt es sich um eine künstlerische Leistung,<br />
die abgesehen von ihrer qualitativen Bedeutung sicherlich nicht vereinzelt im Raum
- 3 -<br />
steht. Dies exemplarisch zu zeigen, scheint mir eines <strong>Versuch</strong>es wert zu sein.<br />
Darüber hinaus, und das scheint mir besonders wichtig, ist in <strong>Kurt</strong> <strong>Kühn</strong> ein Vertreter des<br />
Orientalismus zu sehen. Ein Künstler jener Richtung, die im neunzehnten Jahrhundert Triumphe<br />
feierte, die heute fast völlig vergessen ist und erst seit wenigen Jahren, vor allem in<br />
England und Frankreich, von der Kunstwissenschaft der Beachtung für würdig befunden<br />
wird. Gerade der Orientalismus stellt eine Kunstform dar, die aufs äußerste von gesellschaftlichen<br />
Gegebenheiten abhängig war, die nicht als isolierte Kunst betrachtet werden kann, wie<br />
das so gerne getan wird. Was ihre Qualität oder ihren Rang, gemessen an der übrigen zeitgenössischen<br />
Kunst, angeht, so sei diese Frage zunächst ausgeklammert. Zu wenig Grundlagenforschung<br />
ist bisher geleistet worden, als dass endgültiges darüber ausgesagt werden<br />
könnte, doch soll diese Frage nicht aus dem Auge gelassen werden. Nicht weil sie für den<br />
Orientalismus allein von Bedeutung wäre, vielmehr stellt sich diese Frage in besonderem<br />
Maße bei jeder Kunst, die in hohem Grade von gesellschaftlichen Bedingungen abhängig ist.<br />
Und gerade hinsichtlich der zeitgenössischen Kunst könnte eine solche Fragestellung zu<br />
ganz besonders aufschlussreichen Antworten führen.<br />
Nun kann im Rahmen dieser Arbeit naturgemäß nur ein kl<strong>einer</strong> Teil dieser angerissenen Aspekte<br />
ausgeführt werden. Vielmehr soll hier ein Künstler exemplarisch vorgeführt werden,<br />
der die tonangebenden künstlerischen Strömungen absorbierte, der durchaus eigenständige<br />
interessante Arbeiten vorlegte, der zwar nie großen Erfolg beim Publikum hatte, aber dennoch<br />
unbeirrt weiterarbeite.<br />
Es geht nicht darum, einen Künstler zu seinem endlich fälligen Nachruhm zu verhelfen, vielmehr<br />
soll ein Stück der kunstgeschichtlichen Quelle im zwanzigsten Jahrhundert gezeigt<br />
werden, Kunst, die neben der, die in opulenten Übersichtsausstellungen der Jahre in Berlin<br />
und Paris gezeigt wurde, auch existierte.<br />
2. Biographie <strong>Kurt</strong> <strong>Kühn</strong>s<br />
<strong>Kurt</strong> Alexander <strong>Kühn</strong> wurde am 3. Dezember <strong>1880</strong> in Dresden geboren. Als einziges Kind<br />
wohlhabender Eltern - sie besaßen eine Wein- und Essigfabrik - wuchs er in <strong>einer</strong> Umgebung<br />
auf, die frei aller materiellen Sorgen war.<br />
Im Jahr 1886 zog die Familie nach Liegnitz um. Für den jungen <strong>Kurt</strong> <strong>Kühn</strong>, der gerade eingeschult<br />
worden war, brachte dieser Ortswechsel vom Sächsischen ins Schlesische zunächst<br />
beträchtliche Schwierigkeiten mit, da er aufgrund der Sprache von den Schulkameraden<br />
zunächst nicht akzeptiert wurde. Doch konnte er sich bald durchsetzen. Später wechselte<br />
er dann auf ein Internat in Lahn über und legte schließlich in Guben das humanistische<br />
Abitur ab 1 .<br />
Für <strong>Kurt</strong> <strong>Kühn</strong> stand schon früh fest, <strong>Maler</strong> zu werden. Nachdem sein Vater gestorben war,<br />
wurde die Fabrik verkauft, da sich eine Verpachtung als nachträglich erwiesen hatte und <strong>Kurt</strong><br />
<strong>Kühn</strong> nicht beabsichtigte, den Betrieb zu übernehmen. Seine Mutter setzte seinen Plänen<br />
keinen Widerstand entgegen, so dass die künstlerische Ausbildung in Dresden begonnen<br />
wurde 2 .<br />
Zwar haben wir also keine genauen Angaben über den Beginn des Studiums in Dresden,<br />
doch muss man davon ausgehen, dass er um 1899/1900 das Studium der Künste begonnen
- 4 -<br />
hat. Einige Zeichnungen, die zweifellos im akademischen Unterricht entstanden, Aktstudien,<br />
Studien nach Antiken, Fuß- und Handstudien, datieren ab 1900.<br />
Dresden, das sich stets gerne als Metropole der Kunst dargestellt hatte, begann zu jener Zeit<br />
Schritte zu unternehmen, um aus dem Provinzialismus und der Bedeutungslosigkeit, in die<br />
es seit der Mitte des 19. Jahrhunderts gefallen war, herauszukommen.<br />
Wichtigste Schritte auf diesem Wege waren die 'Erste internationale Kunstausstellung 1897',<br />
die als "epoche-machend für Dresden" gelten kann 3 . Unter der Ausstellungsleitung Gotthard<br />
Kühls wurden hier zum ersten Mal <strong>Maler</strong>ei, Plastik und graphische Künste gemeinsam gezeigt.<br />
Höhepunkte der Ausstellung waren eine Retrospektive Konstantin Meuniers sowie das<br />
geschlossene Auftreten der Worpsweder. Auch Kunsthandwerk wurde ausgestellt, unter anderem<br />
Werke von Tiffany.<br />
Auf der zwei Jahre später folgenden Ausstellung war vor allem der deutsche Jugendstil vertreten:<br />
Die Vereinigten Werkstätten München, Richard Riemerschmidt, Bernhard Pankok,<br />
Bruno Paul, Hans von Berlepsch, Herman Billing, um nur einige zu nennen.<br />
Auch der Dresdner Kunsthandel bemühte 'sich, in den neunziger Jahren der Avantgarde<br />
etwas näher zu kommen. Neben Klinger und Uhde wurde bei Theodor Lichtenberg auch<br />
Munch gezeigt. Die Kunsthandlung Ernst Arnold zeigte Künstler der Münchner Sezession.<br />
Im Sächsischen Kunstverein wurde eine Sonderausstellung mit Werken Gotthard Kühls gezeigt,<br />
die Aufsehen erregte. Gemessen an Ausstellungen und Kunstereignissen anderer<br />
Städte nehmen sich diese Ereignisse als durchaus schüchterne <strong>Versuch</strong>e aus, den Anschluss<br />
an die zeitgenössische Kunst zu gewinnen. So sollte Dresden auch erst 1905 mit<br />
dem Entstehen der 'Brücke' internationale Bedeutung erlangen. An der Akademie lehrten<br />
erst ab den zwanziger Jahren Künstler vom Rang eines Kokoschka (1920-1924) oder Dix<br />
{1927-1933) 4 .<br />
Doch zurück zum Jahre 1900. Unter den damals lehrenden Professoren dürfen wohl Carl<br />
Bantzer (1896-1908), Eugen Bracht (1897-1902) und Gotthard Kühl (1895-1915) 5 als die<br />
wichtigsten gelten.<br />
Alle drei vertreten einen Spätimpressionismus und stehen in der Nachfolge Liebermanns.<br />
Die Freilichtmalerei 6 , das Einfangen des flüchtigen Augenblicks sind wichtige Elemente ihrer<br />
<strong>Maler</strong>ei. Das malerische Moment der Kunst ist dabei besonders betont.<br />
Dies sind Elemente, die bei <strong>Kurt</strong> <strong>Kühn</strong> ebenfalls eine große Rolle spielen; worauf schon an<br />
dieser Stelle hingewiesen werden soll. Die Vermittlung kann über den akademischen Unterricht,<br />
über das Ausstellungswesen oder durch persönliche Kontakte stattgefunden haben.<br />
Sein Studienkollege Richard Dietze 7 gehörte z.B. der Gruppe 'Die Elbier' an, die sich um<br />
Gotthard Kühl gebildet hatte. Wenn <strong>Kurt</strong> <strong>Kühn</strong> auch nicht Mitglied dieser Vereinigung war - er<br />
verhielt sich zeit seines Lebens sehr individualistisch und schloss sich nur ungern irgendwelchen<br />
Vereinigungen an - so hatte er doch zumindest persönlichen Kontakt zu dieser Gruppe<br />
und wusste von deren künstlerischem Bestreben.<br />
Richard Dietze hatte <strong>Kurt</strong> <strong>Kühn</strong> in der Dresdner Studienzeit kennen gelernt, was durch ein<br />
Portrait Dietzes von der Hand <strong>Kühn</strong>s belegt ist. Die beiden Künstler verband eine langjährige<br />
Freundschaft, die sich erst in den fünfziger Jahren lockerte.
- 5 -<br />
Die nächste Station der Ausbildung war die Akademie München, wo <strong>Kurt</strong> <strong>Kühn</strong> ab Herbst<br />
1902 eingeschrieben war 8 ,und zwar in der Zeichenschule Ludwig Herterichs. Möglicherweise<br />
hat er auch in der Klasse von Wilhelm von Dietz Unterricht gehabt 9 . Herterich stellt insofern<br />
eine gewisse Kontinuität in <strong>Kühn</strong>s Ausbildung dar, als auch er (Herterich) dem Pleinairismus<br />
anhing und sich um eine 'moderne realistische Natur-darstellung' 10 bemühte. Allerdings haben<br />
die dekorativen Tendenzen, die sich in Wandmalereien zur Monumentalität steigern<br />
können 11 , bei <strong>Kühn</strong> keinen Niederschlag gefunden, wie überhaupt der ganze Jugendstil im<br />
Werk <strong>Kurt</strong> <strong>Kühn</strong>s k<strong>einer</strong>lei Rolle gespielt hat, obwohl er zu jener Zeit in München eine der<br />
populärsten Kunstrichtungen darstellte.<br />
Auch die als wahrscheinlich anzunehmende Ausbildung bei Wilhelm von Dietz lässt sich in<br />
den Bildern <strong>Kühn</strong>s nicht ohne weiteres nachweisen. Aus der Studienzeit in Dresden und<br />
München sind so gut wie keine Ölgemälde oder -skizzen erhalten. Hang zur feinabgestuften<br />
Farbigkeit und zur genauen Naturbeobachtung, beides tritt im Werk nach 1920 verstärkt auf,<br />
könnte auf die Dietz-Schule zurückgeführt werden. Da aber gerade aus dieser Schule die<br />
unterschiedlichsten Künstler hervorgingen 12 , ist der stilistische Nachweis <strong>einer</strong> dort erlebten<br />
Ausbildung wohl kaum möglich. Das Verhältnis zwischen Lehrer und Schülern hinsichtlich<br />
der künstlerischen Beeinflussung muss bei Dietz ebenso liberal gewesen sein wie zum Beispiel<br />
bei von Stuck oder in Paris bei Bourgereau.<br />
Von München aus unternahm <strong>Kurt</strong> <strong>Kühn</strong> zahlreiche Reisen, vor allem in den Süden, wohin er<br />
auch später immer wieder gerne zurückkehrte. 1903 war er in Riva, im Frühjahr des darauffolgenden<br />
Jahres unternahm er eine größere Italienreise, die u.a. nach S. Vigilia, Vicenza<br />
und Venedig führte. Ins selbe Jahr fiel auch eine Reise nach Ungarn, wobei er auch Budapest<br />
besuchte. Von München aus besuchte er die bayrische Umgebung, vor allem Starnberg<br />
und Diessen, wo sich der Freundeskreis um die <strong>Maler</strong>in Halla Wanja des öfteren traf.<br />
In die Münchner Zeit - <strong>Kühn</strong> hielt sich bis 1905 dort auf - ist wohl auch die Freundschaft mit<br />
Adolf Münzer und weiteren Mitgliedern der Scholle bzw. der Jugend und des Simplizissimus<br />
zu datieren. Diese Künstler bauten sich ab 1903 in dem München sehr nahe gelegenen<br />
Holzhausen am Ammersee Atelier- oder Sommerhäuser, die dann teilweise erweitert und<br />
später auch ständig bewohnt wurden 13 . 1903 bauten sich Walter Georgi, 1905 Adolf Münzer<br />
und Fritz Erler, 1911 Klara Ewald und Paul Neu, 1912 Eduard Thöny und <strong>Kurt</strong> <strong>Kühn</strong> ihre<br />
Häuser.<br />
Die Bekanntschaft mit diesen <strong>Maler</strong>n hat sich im Werk <strong>Kühn</strong>s kaum niedergeschlagen. Dafür<br />
dürfte nicht zuletzt die kurze Zeit, die <strong>Kühn</strong> in München war, die Ursache sein.<br />
Im Herbst 1905 siedelte er nach Paris über, um in der Académie Julian die Ausbildung fortzusetzen<br />
und zu einem Abschluss zu bringen. Nachdem in Dresden und München wohl eher<br />
die handwerklich-technische Seite der <strong>Maler</strong>ei studiert worden war, sind in Paris die entscheidenden<br />
künstlerischen Anregungen und Impulse auf den Künstler eingeströmt. Glücklicherweise<br />
sind aus der Pariser Zeit auch einige Bilder erhalten, an denen dies festgemacht<br />
werden kann (Kat. Nr. 4 - 27).<br />
In Paris war nun im Gegensatz zu München oder Dresden die künstlerische Avantgarde zum<br />
Greifen nahe, es ist kein Zufall, dass 'man' zu Beginn des 20.Jahrhunderts nach Paris reiste,<br />
wie einige Zeit zuvor Italien das Reiseziel der Künstler aus ganz Europa gewesen war.
- 6 -<br />
Das Angebot der verschiedenen kleinen Galerien, die sich der zeitgenössischen Kunst widmeten,<br />
sowie der Salon des Indépendants und der Salon d'Automne zeigten einen beachtlichen<br />
Querschnitt des Kunstschaffens der damaligen Zeit.<br />
Ganz so einfach, wie Wilhelm Uhde in seinen Erinnerungen schreibt, wird es für den ausländischen<br />
Besucher nicht immer gewesen sein, sich über die Kunst zu informieren; allerdings<br />
beschränkte sich das, was es zu sehen galt, doch auf einen relativ kleinen Kreis, der aber<br />
äußerst aktiv war 14 .<br />
"Das damalige Paris war einfach und klar", schreibt der Kunstsammler und Schriftsteller Wilhelm<br />
Uhde, der eben nach Paris gekommen war, "nicht vollgestopft mit verwirrenden Dingen.<br />
"Man wusste, wohin man zu gehen hatte, wenn man schöne Bilder sehen wollte. Durand-<br />
Ruel, Vollard, Bernheim-Jeune waren in der Rue Lafitte, Paul Rosenberg und Hessel in der<br />
Avenue de l'Opéra, Druet im Faubourg Saint-Honoré. Dann gab es noch drei oder vier kleine<br />
Galerien, das war alles. Die impressionistischen <strong>Maler</strong> waren herrschend; nach schweren<br />
materiellen Krisen, nach Jahren voll Schimpf und Hohn hatte Durand-Ruel sie durchgesetzt.<br />
In seinem Laden und in s<strong>einer</strong> Wohnung sahen wir ihren Triumph .. Cézanne und Gauguin<br />
waren in der Rue Lafitte, ein paar Schritte näher den Boulevards, in dem kleinen Laden Vollards<br />
zu sehen. Die Straße weiter hinauf hatte Bernheim-Jeune eine kleine Galerie, in der<br />
befanden sich entzückende Bilder von Bonnard, Vuillard, auch solche von Signac und Cross.<br />
Es war damals leicht einen Überblick zu haben über das, was auf dem Gebiet der <strong>Maler</strong>ei in<br />
Paris vor sich ging. Innerhalb zweier Stunden konnte man sämtliche Galerien moderner <strong>Maler</strong>ei<br />
einen Besuch abgestattet haben, über die <strong>Maler</strong> selbst konnte man sich in drei Tagen<br />
informieren. In dem Salon d'Automne und in den Indépendants stellten die Besten der Zeit<br />
aus und die <strong>Maler</strong> zweiten und dritten Ranges merkte man sich leicht in den paar Sälen dieser<br />
Ausstellungen" 5 .<br />
Nachdem die Impressionisten anerkannt waren, erregten die Nabis, die Fauves und der frühe<br />
Kubismus das meiste Aufsehen. Sie waren auch recht oft und zahlreich in den kleinen<br />
Galerien ausgestellt sowie auf den Salons vertreten 16 . Innerhalb des Salon d'Automne fand<br />
jedes Jahr die Retrospektive eines Künstlers statt. 1905 war Manet mit 31 Werken, 1906<br />
Gauguin mit 227 Werken, 1907 Cézanne mit 56 Werken, 1908 Monticelli mit 177 Werken,<br />
1909 von Marees mit 26 Werken vertreten.<br />
Über Kontakte <strong>Kurt</strong> <strong>Kühn</strong>s zu anderen deutschen oder französischen Künstlern ist leider<br />
wenig bekannt. Zum engeren Freundeskreis des Café du Dôme gehörte <strong>Kurt</strong> <strong>Kühn</strong> offensichtlich<br />
nicht 17 . Dennoch wäre es möglich, dass er hier schon Kontakt zu Paul Cassirer aufgenommen<br />
hat, den er später für eine Ausstellung s<strong>einer</strong> Werke in Berlin interessieren konnte.<br />
In Paris hat <strong>Kurt</strong> <strong>Kühn</strong> nachweislich zum ersten Mal öffentlich ausgestellt. Er war auf dem<br />
Salon d'Automne von 1906 und 1909 vertreten sowie auf dem Salon des Indépendants von<br />
1907 und 1910 18 . Aufgrund der Teilnahme am Salon d'Automne erhielt <strong>Kurt</strong> <strong>Kühn</strong> eine Einladung<br />
des deutschen Kunsthistorikers Otto Grautoff, der damals in Paris lebte und als <strong>einer</strong><br />
der Vorkämpfer für die französische Moderne in Deutschland gelten kann 19 .<br />
Im Jahre 1909 unternahm <strong>Kurt</strong> <strong>Kühn</strong> eine Reise in den Süden Frankreichs, ein Bild von Nizza<br />
(Kat. Nr. 24) ist davon noch erhalten. 1910 brach er nach einem Aufenthalt in Holzhausen<br />
am Ammersee zu s<strong>einer</strong> ersten Afrika-Reise auf. Nachdem er einige Wochen in Collioure
- 7 -<br />
verbracht hatte und dort zufälligerweise im selben Hause, in dem Matisse zu wohnen pflegte,<br />
untergekommen war, schiffte er sich nach Algier ein, um von dort nach Bou-Saada zu reisen<br />
20 . Bou-Saada liegt etwa 250 km südöstlich von Algier am Rande der Sahara zu Füßen<br />
der Ouled-Nail-Berge. Ein gewisser Professor R., ein Geograph, hatte ihm in Paris nahegelegt,<br />
diesen Ort zu besuchen 21 . Von Algier aus fuhr er mit seinem <strong>Maler</strong>freund Weckerling 22 ,<br />
der aus gesundheitlichen Gründen schon längere Zeit in Algerien lebte, mit Zug und Pferdedroschke<br />
an jenen Oasenort. Bou-Saada war damals noch territoire militaire, es hatte ein<br />
Fort, das eine Kompanie des Bataillon d'Afrique beherbergte 23 . In dem relativ kleinen Ort<br />
lebten aber damals immerhin etwa 60 Europäer, meist Künstler. Zwei Straßen des Ortes<br />
bildeten das sogenannte europäische Viertel' 24 .<br />
Schon im neunzehnten Jahrhundert hatte es zahlreiche Künstler an diesen Ort verschlagen,<br />
wie zum Beispiel Gustave Achille Guillaumet (1840-1887} 25 , der eine Ansicht von Bou-Saada<br />
malte die ganz ähnlich zu Kat. Nr. 70 von <strong>Kurt</strong> <strong>Kühn</strong> ist. George Ciairin (1843-1919), dessen<br />
'Femmes de Bousaada se rendant au bain' 1895 im Salon des Artistes Français ausgestellt<br />
war 27 , und Etienne Dinet (1861-1929) gehören zu den bekanntesten Künstlern, die in Bou-<br />
Saada tätig waren. Dinet lebte. lange Zeit dort und konvertierte schließlich zum Islam. Er<br />
wurde in Bou-Saada auch beerdigt. Zwar gibt es keine Belege dafür, aber es ist sehr wahrscheinlich,<br />
dass <strong>Kurt</strong> <strong>Kühn</strong> Etienne Dinet zumindest gekannt hat, wenn er nicht mit ihm befreundet<br />
war 28 . Wie Dinet versuchte auch <strong>Kühn</strong> Afrika nicht nur als Exotikum und Malvorlage<br />
zu erleben, sondern versuchte das tägliche Leben der Araber kennen zu lernen, was ihm<br />
auch zum Teil gelang. Kr lernte in kurzer Zeit die arabische Sprache zu sprechen, was ihm<br />
im Umgang mit der Bevölkerung sehr zustatten kam und auch eine gewisse Vertrauensbasis<br />
schuf, wie er in seinen Aufzeichnungen wiederholt beschrieb.<br />
Bis 1914 blieb <strong>Kurt</strong> <strong>Kühn</strong> in Bou-Saada, von einigen Aufenthalten in Europa unterbrochen.<br />
1911 war er im Sommer in Deutschland und heiratete seine erste Frau Margareta, mit der er<br />
am 8.9.1911 von Genua aus sich nach Afrika einschiffte. In den folgenden beiden Jahren<br />
stattete er jeweils im Sommer Paris einen Besuch ab.<br />
1914 wurde er in Algier vom Kriegsausbruch überrascht und konnte nicht mehr rechtzeitig<br />
nach Deutschland zurückkehren. Als feindlicher Ausländer wurde er im damals französischen<br />
Hoheitsgebiet als Zivilgefangener interniert. Zunächst wurde er in Cap Matifou bei<br />
Algier festgehalten, Anfang 1915 wurde er dann nach Berrouaghia, das etwa 60 km südlich<br />
von Algier liegt, verlegt. Am 31.5.1916 erfolgte die Einschiffung nach Frankreich.<br />
Auf einem französischen Kriegsschiff, das mehrere Hundert Senegalesen und zahlreiches<br />
Kriegsgerät beförderte, gelangten die Gefangenen nach Port Vendre. Von dort aus ging es<br />
nach Garaison in den Hautes Pyrenées. Im ehemaligen Krankenhausbau <strong>einer</strong> Garnison<br />
wurden die Gefangenen untergebracht. Die Unterbringung und Verpflegung war sehr dürftig,<br />
was 'zum Teil mit der schlechten Ernährungslage in ganz Europa zusammenhing. Dies konnte<br />
eine Zeit lang durch Pakete und Geldsendungen seitens der Angehörigen, die das Rote<br />
Kreuz zustellte, gemildert werden.<br />
Nur so ist auch zu erklären, dass noch einige Bilder, die in der Gefangenschaft entständen<br />
sind, erhalten blieben bzw. überhaupt entstehen konnten, denn es ist unwahrscheinlich, dass<br />
der Künstler von Afrika her noch viel <strong>Maler</strong>material mitgebracht hatte.<br />
Nach <strong>einer</strong> gewissen Zeit konnten die Gefangenen schließlich auch stundenweise ohne militärische<br />
Begleitung ausgehen. 1917 und 1918 besuchten Schweizer Kommissionen das Lager,<br />
um den Gesundheitszustand der Insassen zu überprüfen und veranlassten die Entlas-
- 8 -<br />
sung zahlreicher Frauen und Kinder sowie kranker Gefangener. Die allgemeine Entlassung<br />
aber stand noch in weiter Ferne. Auch Gerüchte über den Austausch von Gefangenen erwiesen<br />
sich bald als falsch.<br />
Im August 1918 wurden Internierte, die in Frankreich ansässig gewesen waren, entlassen,<br />
im November wurden die restlichen Insassen verlegt, über Toulouse, Sète, Nîmes, Avignon<br />
wurden sie schließlich nach Verviers gebracht. Von dort aus entzog sich <strong>Kurt</strong> <strong>Kühn</strong> der weiteren<br />
Gefangenschaft durch Flucht und kehrte nach Deutschland zurück 29 .<br />
Abgesehen von der Behinderung der Arbeitsmöglichkeit über einen Zeitraum von fünf Jahren<br />
hatte der Krieg auch weitere große Verluste für <strong>Kurt</strong> <strong>Kühn</strong> verursacht. Seine ganze Habe in<br />
Afrika war verloren gegangen, einen großen Teil der Bilder hatte er dort zurücklassen müssen.<br />
Sie sind nie wieder zum Vorschein gekommen. Vor allem aber ist eine Kollektion von 24<br />
Bildern, die als Ausstellung für Paul<br />
Cassirer in Berlin, bestimmt war, auf dem Transport verloren gegangen. So haben wir heute<br />
kein einziges Bild aus Afrika mehr, das mit Sicherheit in das Jahr 1914 zu datieren ist.<br />
Dies erschwert auch die Beurteilung des gesamten afrikanischen Oeuvres ungemein, da<br />
durch das Fehlen gerade der späten Werke eine sich anbahnende Entwicklung nur andeutungsweise<br />
nachvollzogen werden kann. Zum anderen dürfte es sich gerade bei den für die<br />
Ausstellung bestimmten Bildern um eine Auslese gehandelt haben, für die viele der noch<br />
erhaltenen Werke gewissermaßen als künstlerische Vorstufen zu gelten haben 30 .<br />
Nach Deutschland zurückgekehrt, galt es hier wieder Fuß zu fassen, was durch die schwierige<br />
Lage der Nachkriegszeit nicht gerade vereinfacht wurde. <strong>Kurt</strong> <strong>Kühn</strong> zog nach Holzhausen,<br />
wo er - wie schon erwähnt - seit 1912 ein Haus besaß. Wie für viele andere Künstler so<br />
war es auch für ihn nicht möglich, allein vom Verkauf s<strong>einer</strong> Bilder zu leben, er musste versuchen,<br />
durch andere Arbeit Geld zu verdienen. Glücklicherweise konnte ihm sein Holzhausener<br />
Nachbar, der Architekt Hollweck, dabei behilflich sein. Durch dessen Vermittlung bekam<br />
K. <strong>Kühn</strong> eine Stelle im Straßenbau, schließlich eine Büroarbeit. Auch als Anstreicher<br />
arbeitete er eine Zeit lang. Schließlich konnte er eine Stelle bekommen, die seinem künstlerischen<br />
Beruf etwas näher lag. Das Münchner Architekturbüro Wach & Roskotten gründete in<br />
Krefeld eine Gobelin-Fabrik. Dort sollte <strong>Kurt</strong> <strong>Kühn</strong> die Farbmischung und Farbzusammenstellung<br />
in der Fertigung überwachen. 1925 zog <strong>Kurt</strong> <strong>Kühn</strong> deshalb nach Krefeld; die Firma<br />
aber hielt sich nicht lange, anscheinend konnten die Produkte nicht entsprechend abgesetzt<br />
werden, so dass bald der Bankrott vor der Tür stand. Zur Ausführung von Gobelins nach<br />
Entwürfen von <strong>Kurt</strong> <strong>Kühn</strong>, wie ursprünglich vorgesehen, ist es deshalb nicht mehr gekommen.<br />
Einzelne Skizzen und Entwürfe im Nachlass des Künstlers zeigen, dass er sich mit<br />
diesem Problem beschäftigt hat. Von Krefeld aus knüpfte <strong>Kurt</strong> <strong>Kühn</strong> Kontakte zum nahen<br />
Düsseldorf, wo auch sein Freund Adolf Münzer wohnte, der seit 1909 eine Professur an der<br />
Düsseldorfer Akademie innehatte. 1927 zog <strong>Kurt</strong> <strong>Kühn</strong> nach Düsseldorf, um dort bis 1943 zu<br />
wohnen. Inzwischen hatte sich durch die Währungsreform die materielle Situation erheblich<br />
gebessert.<br />
Zwar war ein Teil des Vermögens verloren gegangen, aber <strong>Kurt</strong> <strong>Kühn</strong> war nun wieder in der<br />
Lage, als freischaffender Künstler ohne irgendwelche Verpflichtungen oder berufsfremde<br />
Arbeit zu leben. Er gewann bald einen neuen Freundeskreis, wobei ihm die Bekanntschaft<br />
mit Adolf Münzer sowie seine Mitgliedschaft im Künstlerverein Malkasten zu Hilfe kam. Zahlreiche<br />
s<strong>einer</strong> Bekannten hat er in Portraits aus der Düsseldorfer Zeit festgehalten:
'Bildnis des Ehepaar Starting', Kat. Nr. 150<br />
'Bildnis Frau Münzer', Kat. Nr. 154<br />
'Bildnis Frau Bracht', Kat. Nr. 172, 201<br />
- 9 -<br />
'Bildnis des Landgerichtspräsidenten Starting', Kat. Nr. 205<br />
'Bildnis des <strong>Maler</strong>s Bernhard Hergaben', Kat. Nr. 211<br />
'Bildnis Walter Kaufmann', Kat. Nr. 213.<br />
<strong>Kurt</strong> <strong>Kühn</strong>s aus der Jugendzeit herrührende Theaterbegeisterung - er hatte einmal ein Theaterstück<br />
verfasst und an Max Reinhardt geschickt, das von jenem zwar wohlwollend beurteilt,<br />
aber nicht aufgeführt wurde, woraufhin dann jeder weitere Schritt in dieser Kunst-Sparte unterblieb<br />
- diese trotzdem anhaltende Theaterbegeisterung veranlasste ihn, unter anderem für<br />
das Apollo-Theater in Düsseldorf Kulissen zu machen. Es war ein Variete-Theater, in dem<br />
lange Zeit eine russische Tänzerin auftrat. Das Portrait, das <strong>Kühn</strong> von ihr malte, ist leider<br />
nicht mehr erhalten. Diesem Ausflug ins Theater folgte 1939 eine kurze Rückkehr. Wegen<br />
Personalmangels infolge des Kriegsbeginns herrschte in den Werkstätten der Oper große<br />
Aufregung, da die Kulissen nicht zum Premierentermin fertig zu werden drohten. Auf Bitten<br />
des Leiters der Theatermalerei Georg (?) Hacker half <strong>Kurt</strong> <strong>Kühn</strong> eine Zeit lang aus.<br />
Ende der zwanziger Jahre hatte sich <strong>Kurt</strong> <strong>Kühn</strong> von s<strong>einer</strong> ersten Frau Margarete scheiden<br />
lassen. Seine Frau kaufte das Haus in Holzhausen, auf das sie sehr großen Wert legte. Da<br />
<strong>Kurt</strong> <strong>Kühn</strong> bei s<strong>einer</strong> Rückkehr nach Deutschland die Erfahrung gemacht hatte, wie nützlich<br />
es ist, im Notfall eine feste Bleibe zu haben, und er den Süden, auch den Süden Deutschlands,<br />
mehr schätzte als den Norden, beschloss er, sich sofort nach einem neuen Haus bzw.<br />
Grundstück umzusehen.<br />
1933, nachdem er im Frühjahr die Pianistin Lotte Bracht geheiratet hatte, fand das Ehepaar<br />
schließlich in Waging am See, wenige Kilometer nordöstlich von Traunstein, ein passendes<br />
Grundstück. Es lag am Ende des Ortes und bot einen herrlichen Ausblick auf den See. <strong>Der</strong><br />
Architekt Hollweck machte die Pläne für den Bau, im Sommer 1933 wurde er begonnen, im<br />
Frühjahr 1934 war es fertig. Dies sollte nun das Domizil für die Sommermonate der folgenden<br />
Jahre werden.<br />
Ausschlaggebend für den Bau war aber noch ein anderer Grund. <strong>Kurt</strong> <strong>Kühn</strong> fühlte sich stets<br />
dem Süden sehr verbunden, was sich schon durch seinen langen Afrika-Aufenthalt gezeigt<br />
hatte. Er träumte immer wieder davon, wenigstens zeitweise in südlichen Ländern zu leben.<br />
1932 unternahm er eine ausgedehnte Spanienreise, bei der er unter anderem die Möglichkeiten<br />
untersuchte, Zeitenweise oder eventuell auch ständig in Spanien sich niederzulassen.<br />
Sein Augenmerk war dabei auf die Balearen-Insel Ibiza gefallen, die damals noch weit davon<br />
entfernt war, ein populäres Urlaubsziel zu sein, wie es heute der Fall ist.<br />
Anfang Juni 1932 brach er nach Paris auf, um ein paar Tage später nach Barcelona weiterzureisen.<br />
Am 10.6. erreichte er Palma de Mallorca. Von dort reiste er am 2.7. nach Ibiza weiter.<br />
Mitte Juli war er in Valencia kehrte dann nach Ibiza zurück, am 3.8. reiste er wieder nach<br />
Valencia, darin weiter nach Oropeza und Taragona, um Ende August wieder in München<br />
einzutreffen. Von dieser Reise sind einige Bilder erhalten, meist kleine Ölskizzen (Kat. Nr.<br />
190 - 200). Einige Jahre später schrieb er einen Zeitungsartikel, basierend auf Tagebuchnotizen,<br />
der mit zwei Zeichnungen versehen war 31 . Als Ergebnis dieser Reise wurde der Ent-
- 10 -<br />
schluss gefasst, in Ibiza wenigstens für jeweils ein paar Monate im Jahr zu wohnen. Jedoch<br />
wurde dieser Plan, wie so mancher andere in <strong>Kurt</strong> <strong>Kühn</strong>s Leben, durch die politischen Umstände<br />
vereitelt. Nach der Machtergreifung Hitlers waren strikte Devisenausfuhrbeschränkungen<br />
eingeführt worden, die zwar noch kl<strong>einer</strong>e Auslandsreisen ermöglichten, aber ein<br />
gewisses Kapital, wie es zur Ausführung dieses Planes nötig gewesen wäre, konnte nicht<br />
mitgenommen werden.<br />
<strong>Der</strong> Spanienplan musste auf unbestimmte Zeit verschoben werden und quasi als Entschädigung<br />
wurde der Hausbau in Bayern in Angriff genommen.<br />
1937 nahm <strong>Kurt</strong> <strong>Kühn</strong> mit einigen anderen Künstlern auf Einladung des Regierungspräsidenten<br />
von Düsseldorf an <strong>einer</strong> Finnlandreise teil. Ihn begleitete unter anderem der <strong>Maler</strong> Bernhard<br />
Hergaden, den <strong>Kurt</strong> <strong>Kühn</strong> auch portraitiert hat (Kat. Nr. 211). Zwei Jahre später reiste<br />
<strong>Kurt</strong> <strong>Kühn</strong> mit s<strong>einer</strong> Frau nach dem Süden. Am 10.8.39 brachen sie nach Jugoslawien auf<br />
und blieben auf der Insel Lagosta. <strong>Der</strong> Rückweg sollte über Oberitalien führen, der drohende<br />
Kriegsbeginn ließ aber eine beschleunigte Rückkehr über Triest angeraten sein. So erreichten<br />
sie Deutschland am Tage des Kriegsausbruchs. Von dieser Reise sind nur wenige Bilder<br />
erhalten (Kat. Nr. 217, 218).<br />
Aufgrund seines Alters wurde <strong>Kurt</strong> <strong>Kühn</strong> im 2. Weltkrieg nicht mehr eingezogen, jedoch sollte<br />
der Krieg noch genügend unangenehme Überraschungen bereithalten. Im Frühjahr 1943<br />
wurden bei einem Luftangriff das Atelier und die Düsseldorfer Wohnung völlig zerstört. Nur<br />
weniges konnte aus der Wohnung gerettet werden. <strong>Der</strong> größte Teil davon wurde in der Nähe<br />
Düsseldorfs untergestellt, da keine Transportmöglichkeiten vorhanden waren, die Sachen<br />
nach Waging zu schaffen. In den Kriegswirren ging aber auch dies alles verloren und konnte<br />
nicht mehr ausfindig gemacht werden.<br />
Besonders schmerzlich war der Verlust aller Bilder, die sich noch im Düsseldorfer Atelier<br />
befunden hatten. Aber auch zahlreiche Dokumente, die über die künstlerische Entwicklung<br />
Aufschluss geben können, wie zum Beispiel Ausstellungskataloge, Rezensionen und ähnliches,<br />
gingen hierbei verloren.<br />
Von 1943 an lebten <strong>Kühn</strong>s nun ständig in Waging, an eine Rückkehr nach Düsseldorf war<br />
vorläufig nicht zu denken. Im Sommer 1944 wurde <strong>Kurt</strong> <strong>Kühn</strong> schließlich noch zivildienstverpflichtet.<br />
Zunächst musste er in Teisendorf in einem Büro, schließlich in Ainring auf einem Flugplatz<br />
arbeiten. Dies währte bis kurz vor Kriegsende, da er die letzten Wochen durch Krankheit<br />
arbeitsunfähig war.<br />
Nach Kriegsende mit der darauffolgenden Währungsreform galt es wiederum harte Zeiten<br />
durchzustehen. Das Vermögen war nun völlig verschwunden, Wohnung und Atelier in Düsseldorf<br />
zerstört, man war froh, in Waging ein Dach über dem Kopf zu haben, und die Nahrungsmittelbeschaffung<br />
war wie für die meisten Menschen in der Nachkriegszeit das vordringlichste<br />
Problem. Mangels Kapital, das für eine Rückkehr in eine größere Stadt nötig<br />
gewesen wäre - die Entschädigungen für Vermögensverluste wurden ja erst im Laufe der<br />
fünfziger Jahre ausgezahlt - blieb man zunächst in Waging.<br />
Anfang der fünfziger Jahre versuchte sein Jugendfreund Ernst Richard Dietze <strong>Kurt</strong> <strong>Kühn</strong> für<br />
eine Zusammenarbeit zu gewinnen. Dietze wollte in München eine Galerie aufmachen und
- 11 -<br />
dort Bilder, hauptsächlich bayrische Landschaften, verkaufen. Dabei handelte es sich aber<br />
wohl eher um gemalte Souvenirs denn um <strong>Maler</strong>ei, so dass <strong>Kühn</strong> dankend ablehnte. Er lebte<br />
und arbeitete fortan zurückgezogen in Waging. Kl<strong>einer</strong>e Reisen in die nähere Umgebung,<br />
nach Frisach, Wasserburg, Passau, Salzburg, brachten etwas Abwechslung. 1955 konnte er<br />
endlich wieder in den Süden reisen. Das Ehepaar verbrachte ein paar Wochen in Florenz.<br />
Doch machte sich hier schon der Beginn <strong>einer</strong> langwierigen Krankheit bemerkbar, wodurch<br />
seine Energie und seine Unternehmungslust etwas eingeschränkt wurden. Im Winter wurde<br />
er dann völlig arbeitsunfähig, und als man nach einem Erholungsurlaub im Sommer des folgenden<br />
Jahres in Kufstein schon an eine anhaltende Besserung zu glauben wagte, verschlimmerte<br />
sich im Winter 56/57 der Gesundheitszustand, so dass <strong>Kurt</strong> <strong>Kühn</strong> am 27.3.<strong>1957</strong><br />
im Alter von 77 Jahren starb.<br />
3. Die Ausstellungstätigkeit <strong>Kurt</strong> <strong>Kühn</strong>s<br />
Hier wird versucht nachzuweisen, an welchen Ausstellungen <strong>Kurt</strong> <strong>Kühn</strong> beteiligt war, beziehungsweise<br />
welche Einzelausstellungen seines Werks veranstaltet wurden.<br />
Aufgrund der schwierigen Quellenlage - die meisten persönlichen Unterlagen aus dem Besitz<br />
des Künstlers gingen im zweiten Weltkrieg verloren - war dies nur ganz bruchstückhaft möglich.<br />
Auch die einschlägige Literatur, soweit vorhanden, gibt hierzu keine vollständige Information.<br />
Im Thieme-Becker 32 beispielsweise wurde die Teilnahme <strong>Kurt</strong> <strong>Kühn</strong>s am Salon d'Automne<br />
1909 nicht erwähnt.<br />
Deshalb werden hier nur Ausstellungen aufgelistet, deren Kataloge eingesehen werden<br />
konnten 33 .<br />
Somit kann diese Aufstellung k<strong>einer</strong>lei Anspruch auf Vollständigkeit erheben. Ausstellungen,<br />
an denen <strong>Kurt</strong> <strong>Kühn</strong> während der Jahre 1925 bis <strong>1957</strong> teilgenommen hatte, die in Düsseldorf,<br />
Dresden, München und Wien stattfanden 34 , konnten leider durch die entsprechenden<br />
Kataloge nicht belegt werden. <strong>Kurt</strong> <strong>Kühn</strong> war beispielsweise Mitglied des Sächsischen<br />
Kunstvereins Dresden, wo er auch ausgestellt hatte 35 ; die entsprechenden Belege konnten in<br />
den Archiven aber nicht mehr ausfindig gemacht werden. Dasselbe gilt zum Beispiel für den<br />
Duisburger Museumsverein, mit dem er nachweislich in Verbindung stand 36 .<br />
Man kann also davon ausgehen, dass <strong>Kurt</strong> <strong>Kühn</strong> auf sehr viel mehr Ausstellungen als den<br />
hier erwähnten vertreten war. In diesem Verzeichnis ist jeweils die Nummer, die das jeweilige<br />
Exponat in der Ausstellung trug, angegeben sowie bei den Gemälden, die noch im Nachlass<br />
vorhanden sind, die Katalognummer bzw. die Abbildungsnummer aufgrund des dieser<br />
Arbeit beigefügten Werkeverzeichnisses.<br />
1906: Paris, Salon d'Automne<br />
Nr. 894 Portrait de M.G.......<br />
Nr. 895 Boulevard de Vaugirard (Kat. Nr. 12)<br />
1907: Paris, Salon des Indépendants<br />
Nr. 2780 Devant la mer<br />
Nr. 2781 Femme couchée<br />
Nr. 2782 Ouvriers<br />
Nr. 2783 Boulevard de Vaugirard (Kat. Nr. 12)
- 12 -<br />
Nr. 2784 Portrait de M.S.<br />
Nr. 2785 La terre promise (esquisse)<br />
1909: Paris, Salon d'Automne<br />
Nr. 891 Le Prophète et les femmes<br />
Nr. 892 Le petit jardin<br />
Nr. 893 Le parc (Kat. Nr. 22)<br />
1910: Paris, Salon des Indépendants<br />
Nr. 2860 Mon voisin<br />
Nr. 2861 Portrait<br />
Nr. 2862 Jeune femme dans un jardin<br />
Nr. 2863 Nature morte<br />
Nr. 2864 Le mont Baron (Nice)<br />
Nr. 2865 Portrait (Kat. Nr. 24)<br />
1913: München, Brakls Kunsthaus<br />
Nr. 191 Garten an einem See in Algerien<br />
1930: Düsseldorf, Juryfreie Kunstausstellung<br />
Nr. 382 Damen mit Handspiegel<br />
Nr. 383 Frühlingsgarten (Kat. Nr. 176)<br />
1931: München, Künstlerbund Die Unabhängigen e.V.<br />
Nr. 161 Die Terrasse<br />
Nr. 161 Grauer Frühling<br />
1937: Düsseldorf, Große Kunstausstellung<br />
Nr. 297 Bildnis L.K.<br />
1940: Düsseldorf, Frühjahrsausstellung<br />
Nr. 75 Florenz (Aquarell)<br />
1941: Düsseldorf, Kunstausstellung Düsseldorfer Künstler<br />
Nr. 133 Mädchen am Waldtal<br />
1950: München, Große Kunstausstellung<br />
Nr. 400 <strong>Der</strong> <strong>Maler</strong> W.K. (Kat. Nr. 213)<br />
4. Das frühe Werk. Arbeiten bis 1910<br />
Zwar sind eine ganze Reihe Bilder erhalten, die in diesem Zeitraum entstanden (Kat. Nr. 1 -<br />
30), doch stammen sie alle - mit Ausnahme des Selbstbildnisses von 1902/03 (Kat. Nr. 1,<br />
Abb. 1) - aus den Jahren ab 1905.<br />
Insofern muss, kaum dass ein Ordnungsprinzip aufgestellt wurde (dass nämlich im Rahmen<br />
dieser Arbeit nur die Ölgemälde <strong>Kurt</strong> <strong>Kühn</strong>s berücksichtigt werden sollen), dasselbe durchbrochen<br />
werden. Da aber Regeln und Ordnungsprinzipien in erster Linie zur Arbeitserleichterung<br />
und nicht um ihrer selbst willen bestehen, soll das nicht allzu schwer fallen. Um den<br />
Anfängen der künstlerischen Entwicklung <strong>Kurt</strong> <strong>Kühn</strong>s etwas näher zu kommen, seien deshalb<br />
vier Aquarelle herangezogen, die aus den Jahren 1904 und 1905 stammen. Sie sollen
- 13 -<br />
gewissermaßen als Ersatzbeispiele für Gemälde dienen, die sehr wahrscheinlich in jener Zeit<br />
entstanden, heute aber nicht mehr auffindbar sind. Diese Aquarelle sind nicht willkürlich ausgewählt,<br />
vielmehr sind sie die einzigen Arbeiten aus jener Zeit, die erhalten sind, während<br />
Skizzenbücher und einzelne Zeichnungen bis 1898 zurückreichen. Insofern scheint mir die<br />
These, dass <strong>Kurt</strong> <strong>Kühn</strong> sich auch vor 1905 mit der Ölmalerei beschäftigt hat, durchaus haltbar.<br />
Mehrere Gründe sprechen dafür. Das Selbstbildnis von 1902/03 (Kat. Nr. 1, Abb. 1)<br />
zeigt gemessen an Arbeiten, die nach 1905 entstanden, eine künstlerische Souveränität, die<br />
es keineswegs plausibel erscheinen lässt, dass <strong>Kurt</strong> <strong>Kühn</strong> noch einige Jahre gezögert hätte,<br />
bevor er sich verstärkt der Ölmalerei widmete.<br />
1905 war <strong>Kurt</strong> <strong>Kühn</strong> fünfundzwanzig Jahre alt, hatte sich seit sieben Jahren intensiv mit der<br />
Kunst beschäftigt und sich künstlerisch geäußert, was durch zahlreiche Zeichnungen und<br />
Skizzenbücher belegt ist. Es wäre somit ein recht später Zeitpunkt, sich mit der Farbe auseinander<br />
zusetzen. Zwar gibt es ähnliche Fälle, vor allem in der neueren Kunstgeschichte, es<br />
sei nur der Name Paul Klee erwähnt, doch muss dabei der grundsätzliche Unterschied in der<br />
Einstellung zur Zeichnung berücksichtigt werden. Für <strong>Kurt</strong> <strong>Kühn</strong> war weder die Zeichnung<br />
noch das Aquarell eine dem Ölgemälde auch nur annähernd gleichwertige Gattung. Vielmehr<br />
dienten sie in erster Linie als Skizzen, als vorbereitende Studien für Gemälde, die später im<br />
Atelier ausgeführt wurden. Und selbst auf diesem Gebiet hatte die Zeichnung keine Vorrangstellung,<br />
fertigte <strong>Kurt</strong> <strong>Kühn</strong> doch des öfteren Skizzen in öl an, wie zum Beispiel Kat. Nr. 41<br />
und 42 Skizzen zu dem Fragment Kat. Nr. 40, Abb. 22 darstellen. Des weiteren gibt es zu<br />
Kat. Nr. 38, Abb. 21 eine Ölskizze Kat. Nr. 39 und zu Kat. Nr. 57, Abb. 31 eine Ölskizze Kat.<br />
Nr. 58.<br />
Drei Themen beherrschen das frühe Werk: Landschaftsdarstellungen und Städtebilder, Portraits<br />
und Aktdarstellungen. Die Landschaften und die Stadtszenen sind deshalb als Einheit<br />
zu sehen, weil <strong>Kurt</strong> <strong>Kühn</strong> - von wenigen Ausnahmen abgesehen (Kat. Nr. 157, Abb. 77, Kat.<br />
Nr. 221, 222) - niemals Städtebilder malte, in denen die Stadt zum Thema wird, wie wir es<br />
von den Impressionisten und auch von den Naturalisten her kennen. Vielmehr malte er in<br />
den Städten die Parks (Kat. Nr. 155, Abb. 75 und Nr. 156, Abb. 76 sowie die zahlreichen<br />
Bilder aus dem Düsseldorfer Hofgarten) oder Boulevards, die von Bäumen gesäumt sind<br />
(Kat. Nr. 12-14, 179). Insofern handelt es sich auch hierbei eher um Landschaftsmalerei als<br />
um Stadtansichten oder um Szenen aus dem städtischen Leben.<br />
Diese drei Themenbereiche bestimmen übrigens das gesamte Oeuvre des <strong>Maler</strong>s, in den<br />
vierziger Jahren kommt dann noch das Blumenstilleben hinzu.<br />
<strong>Versuch</strong>t man nun eine künstlerische Entwicklung anhand der Werke <strong>Kurt</strong> <strong>Kühn</strong>s nachzuzeichnen,<br />
so fällt zunächst auf, dass es bei den hier zu Debatte stehenden Bildern sich keineswegs<br />
um eine in sich geschlossene Gruppe handelt, was naturgemäß auch gar nicht der<br />
Fall sein kann. So abwechslungsreich wie die verschiedenen Aufenthalte <strong>Kurt</strong> <strong>Kühn</strong>s in dieser<br />
Zeit waren und damit auch die Anregungen und Einflüsse, die auf ihn einströmten, so<br />
verschieden sind auch die Bilder; von <strong>einer</strong> 'eigenen Handschrift' ist er noch weit entfernt.<br />
Beginnen wir mit dem Selbstbildnis von 1902/03 (Kat. Nr. 1, Abb. 1), das in Dresden entstand.<br />
Es zeigt den Künstler im Dreiviertelprofil, stehend, bis zur Brust sichtbar. Im dunklen<br />
Anzug mit Vatermörder und Hut tritt uns ein junger Mann gegenüber, der von seinem Stand<br />
und seinen Fähigkeiten überzeugt ist - an Selbstbewusstsein scheint es ihm nicht zu mangeln<br />
-, der sein Gegenüber genau ins Visier nimmt. Ein ähnlich selbstbewusstes Auftreten<br />
als junger Künstler - <strong>Kurt</strong> <strong>Kühn</strong> war damals 22 Jahre alt - ist selten. In gewissem Sinne vergleichbar<br />
ist Anselm Feuerbachs Selbstbildnis von 1854 (Katalog Anselm Feuerbach, Karls-
- 14 -<br />
ruhe 1976, Nr. 20, Abb. S. 235), und zwar in der Art, wie er den Betrachter fixiert. Ansonsten<br />
ist das Selbstbildnis recht traditionell, weder die Haltung noch die malerische Behandlung<br />
gehen über das an der Akademie Gelehrte und Geschätzte hinaus. Schwarz (Anzug, Hut),<br />
Weiß (Kragen) und dunkles Braun (Hintergrund) sind die vorherrschenden Farben.<br />
Die drei nun folgenden Aquarelle von 1904 und 1905 sind in München entstanden (außer<br />
Katalog). Das erste (Abb. 100) zeigt eine sitzende männliche Rückenfigur am Flussufer, im<br />
Hintergrund Bauernhäuser und kahle Birken. Das zweite Bild (Abb. 101), am selben Tag entstanden<br />
(17.12.1904) zeigt die Felder von Puchheim. Die linke Bildhälfte nimmt ein sehr dekorativer<br />
kahler Baum ein, im Hintergrund wiederum Bauernhäuser. <strong>Der</strong> Horizont liegt im<br />
Gegensatz zum ersten Bild relativ tief, auf der Hälfte der Bildhöhe. Das dritte Aquarell (Abb.<br />
102), ein halbes Jahr später entstanden, zeigt ebenfalls eine Landschaft in Bayern, im Hintergrund<br />
Berge. Bestimmend sind die weißen Wolkenformationen am blauen Himmel, der<br />
zwei Drittel der Bildhöhe einnimmt. <strong>Der</strong> Vordergrund ist in Streifen angelegt, grüne Wiesen<br />
und helle Felder wechseln sich streifenartig ab, unterbrochen von kl<strong>einer</strong>en Baumgruppen.<br />
Allen drei Bildern ist ein gewisser Hang zum Dekorativen gemeinsam, der durch die Betonung<br />
der Kontur und der Flächigkeit unter Zurückdrängen der Plastizität erreicht wird. Im<br />
Aquarell mit der Rückenfigur, die den größten Teil der Bildfläche ausfüllt, ist nicht nur die<br />
Person sehr flächig gehalten; die Bildtiefe, die durch den diagonalen Verlauf der drei parallelen<br />
Zonen Ufer, Strom, Hintergrund-Ufer angedeutet wird, ist sofort zurückgenommen, indem<br />
der Horizont extrem hoch liegt und die drei Streifen mehr übereinander denn hintereinander<br />
gestaffelt erscheinen lässt.<br />
Das Aquarell Abb. 101 ist stärker perspektivisch angelegt, der Horizont liegt sehr viel tiefer,<br />
die Häuser im Hintergrund, relativ klein, das Gesträuch im Vordergrund bildet zusammen mit<br />
der Schneepfütze einen in den Hintergrund führenden Keil. Auffallend ist die Bedeutung, die<br />
der Kontur beigemessen wird. Das Bild wird vom Geäst des kahlen Baumes beherrscht, das<br />
mit Bleistift gezeichnet und somit betont wird. Die Bleistiftschraffuren im Vordergrund scheinen<br />
weniger plastische Gebilde vorzustellen, als verschiedene Flächen gegeneinander zu<br />
setzen.<br />
Im dritten Aquarell sind die dekorativen Tendenzen am stärksten ausgeprägt. Grüne Streifen<br />
verschiedener Helligkeit wechseln mit hell-gelben, durchbrochen von Bäumen und Baumgruppen.<br />
<strong>Der</strong> Hintergrund wird durch eine kaum noch sichtbare Gebirgskette abgeschlossen.<br />
Wolken führen von der Bildmitte zum linken Bildrand absteigend in die Raumtiefe. Die gesamte<br />
Anlage dieses Bildes erinnert an Gustav Kampmanns 'Ziehende Sommerwolken'<br />
(Abb. 103). Auch bei ihm wird der Gegensatz zwischen Flächigkeit und Raumtiefe ausgespielt.<br />
Allerdings mit dem Unterschied, dass bei Kampmann der Standpunkt des Beobachters<br />
extrem tief liegt, bei <strong>Kühn</strong> dagegen relativ hoch. Das führt bei Kampmann zu <strong>einer</strong> viel<br />
stärkeren Wirkung der Gegensätze, zumal die Abstraktion der Gegenstände weiter getrieben<br />
ist. Bei ihm sind keine Bäume als solche mehr erkennbar, wie sie bei <strong>Kühn</strong> am rechten Bildrand<br />
als sehr 'malerisches' Element auftauchen.<br />
Diese Hinwendung zum Dekorativen, der beginnende Gebrauch der Farbe kann auf zwei<br />
Faktoren zurückgeführt werden. Einmal auf den Unterricht bei Ludwig von Herterich 37 in<br />
München, zum andern auf den Kontakt zu den Mitgliedern der Scholle bzw. auf die Kenntnis<br />
ihrer Werke.<br />
Die Scholle muss als eine der stärksten künstlerischen Strömungen im München des beginnenden<br />
20. Jahrhunderts gelten 38 . <strong>Kurt</strong> <strong>Kühn</strong> kannte deren Werke zweifellos von Ausstellun-
- 15 -<br />
gen her 39 . Wahrscheinlich kannte er auch einzelne Mitglieder persönlich. Sein Entschluss,<br />
sich in Holzhausen niederzulassen, wo verschiedene Vertreter dieser Gruppe Häuser bauten<br />
40 , dürfte wohl auf dem Kontakt zu dieser Künstlervereinigung beruhen.<br />
Doch hielten diese Eindrücke nicht lange vor, oder genauer, sie treten in Zukunft nicht in den<br />
Vordergrund. Das 'Bildnis der Mutter des Künstlers' (Kat. Nr. 3, Abb. 2), 1905, wirkt zunächst<br />
sehr konventionell: Eine Dame im Lehnstuhl ~ im Profil dargestellt. Die Ähnlichkeit mit<br />
Whistlers Bildnis der Mutter 1872 ist auffallend. Allerdings ist der Bildausschnitt hier kl<strong>einer</strong>,<br />
die Figur ist nur bis zu den Knien sichtbar, auch handelt es sich um Hochformat im Gegensatz<br />
zu Whistler. Die Farbe ist auch bei diesem Portrait noch sehr zurückhaltend, aber doch<br />
mit <strong>einer</strong> gewissen Delikatesse. Auf dem Stehkragen des schwarzen Kleides der Mutter ist<br />
eine goldene Stickerei angebracht, zum Schwarz des Kleides und zum Braun des Sessels<br />
kontrastiert die braun-goldene Tapete des Hintergrundes, die von schmalen hellilafarbenen<br />
Streifen, die selbst wiederum von grünen Streifen begleitet werden, in weiten Abständen<br />
durchzogen wird. Gesicht und Hände sind sehr fein akkurat gezeichnet und plastisch modelliert,<br />
noch ganz im Sinne der Akademie.<br />
Etwas kühner ist das Selbstportrait von 1905 (Kat. Nr. 2), eine Ölskizze. Hier werden schon<br />
mal kräftige Rottöne im Gesicht angebracht, ein etwas flotterer und pastoser Pinselstrich<br />
verleiht dem Bild eine gewisse Frische.<br />
Ab 1906 war <strong>Kurt</strong> <strong>Kühn</strong> in Paris. Hier gab es nun eine Unmenge vielfältiger Anregungen für<br />
einen jungen Künstler. Entsprechend vielfältig ist auch das dort entstandene Werk. Zunächst<br />
fällt die Hinwendung zu <strong>einer</strong> stärkeren Farbigkeit auf, wobei allerdings meist die Tendenz<br />
vorherrscht, mit <strong>einer</strong> begrenzten Anzahl von Farben innerhalb eines Bildes auszukommen,<br />
ohne dass aber die Farbe ihre primäre Eigenschaft, nämlich farbig zu sein, unterdrücken<br />
müsste. Dabei herrschen zwei Gruppen vor, einmal die Bilder, in denen Gelb, Ocker, Grau<br />
und Blau vorherrschen, während eine andere Gruppe von Bildern auf kräftigen Rosa- und<br />
Blauklängen, verbunden mit starkem Kontrast von Hell und Dunkel, aufgebaut ist. Auch die<br />
Landschaftsbilder aus jener Zeit, in denen naturgemäß Grüntöne vorherrschen, lassen sich<br />
in eine mehr ins Blaue oder mehr ins Gelbliche gehende Gruppe unterscheiden. Zunächst<br />
scheinen jedoch noch Kompositionsschemata, die aus der Akademiezeit stammen, nachzuwirken.<br />
<strong>Der</strong> 'Boulevard de Vaugirard' von 1906 (Kat. Nr. 12, Abb. 6) sowie die beiden kleinformatigen<br />
Ölskizzen (Kat. Nr. 13, 14), die als Vorstudien zu gelten haben, erinnern an die Vorliebe der<br />
ausgeprägten Diagonalkomposition, wie <strong>Kurt</strong> <strong>Kühn</strong> sie von Gotthard Kühl her gekannt haben<br />
kann. Als Beispiel sei G. Kühls Gemälde 'Dresden im Winter' Abb. 104 genannt. Diese Vermutung<br />
liegt auch deshalb nahe, da ein Aquarell von 1902, noch aus der Dresdner Zeit, erhalten<br />
ist, in dem diese ausgeprägte Diagonalkomposition ebenfalls angewandt wird. Es<br />
zeigt einen sich in die Tiefe erstreckenden Weg, der einseitig von <strong>einer</strong> Mauer begleitet wird,<br />
über die sich die Laubkronen der dahinter stehenden Bäume ergießen. Neu ist am 'Boulevard<br />
de Vaugirard' gegenüber den früheren Bildern die hellere Farbe. Die Bäume sind in hellen<br />
grünen. und rostfarbenen Flecken gemalt, die Häuser in hellem Grau und Beige, ihre<br />
Dächer in hellen Rottönen. Offensichtlich wurde hier der <strong>Versuch</strong> unternommen, die sonnenbeschienene<br />
Straße in ihrer Stimmung wiederzugeben.<br />
Das Männerportrait Kat. Nr. 6 bietet nichts wesentlich Neues, mit Ausnahme, dass der im<br />
Profil Dargestellte rittlings auf einem Stuhl sitzt. Stühle kommen übrigens in den Pariser Bildern<br />
<strong>Kurt</strong> <strong>Kühn</strong>s häufig vor, wie sie in der <strong>Maler</strong>ei jener Zeit als Bildthema oder als Requisit<br />
eine große Rolle spielten.
- 16 -<br />
Die folgenden Portraits (Kat. Nr. 7, 15, 16) zeigen eine Abwendung vom Profil. Die Dargestellten<br />
werden en face dem Betrachter gegenübergestellt. Ansonsten sind die drei Bilder<br />
untereinander so verschieden, dass es scheint, als würden jeweils bestimmte Anregungen<br />
einem <strong>Versuch</strong> der künstlerischen Verarbeitung unterworfen. Am interessantesten ist das<br />
Männerbildnis Kat. Nr. 15, Abb. 7. Es ist das erste Portrait, in dem der Dargestellte in <strong>einer</strong><br />
Umgebung gezeigt wird. Es handelt sich um einen atelierähnlichen Raum, darauf deuten die<br />
Bilderrahmen. Links im Hintergrund ein kl<strong>einer</strong> Tisch mit Buch, Flaschen und Gläsern. Zwar<br />
ist kein Raum im strengen Sinne dargestellt, alles ist vor <strong>einer</strong> bildparallel verlaufenden<br />
Wand aufgereiht, aber im Gegensatz zu früheren Portraits beschränkt sich <strong>Kurt</strong> <strong>Kühn</strong> in diesem<br />
Fall nicht allein auf die Person. Die schon einmal angesprochene Betonung der Kontur<br />
tritt hier vor allem in den Händen und im Gesicht des Mannes auf. Verbunden ist damit die<br />
starke Farbigkeit des Inkarnats, Rot und Blau-Grau dienen zur Modellierung vor allem der<br />
Hände und im Gesicht der Mundpartie. <strong>Der</strong> Anzug sowie die Hintergrundtapete lassen in der<br />
malerischen Behandlung die Nähe Toulouse-Lautrecs erkennen. Auch in Paul Gauguins<br />
'Bildnis der Familie Schuffenecker' 1889 (Paris, Jeu du paume) ist die Gestaltung der Kleidung<br />
ganz ähnlich vorgenommen, unter starker Betonung der Kontur. Mit nervösen parallel<br />
verlaufenden Strichen derselben Farbe in leicht unterschiedlichen Nuancen sind beide gestaltet.<br />
Das gibt dem Bild, neben dem Ambiente des Boheme-Mäßigen, etwas Frisches, Bewegtes<br />
und mildert die etwas starre Haltung der Person.<br />
Doch deutet dieses Bild keine neue Richtung im Werk an. Im selben Jahr entstand das sehr<br />
glatt gemalte Portrait Kat. Nr. 16 und wahrscheinlich auch das Portrait Kat. Nr. 17. Letzteres<br />
ist vor allem durch die Haltung des Mannes interessant. Wir sehen von einem erhöhten<br />
Standpunkt auf den Kopf, der gesenkt ist, während die Augen geschlossen sind. <strong>Der</strong> Dargestellte<br />
verrät damit einen gewissen pathogenen Charakter, ähnlich z.B. dem Selbstbildnis<br />
Feuerbachs von 1851/52 41 und Courbets 'Verzweifeltem', um 1843 42 .<br />
Eine ganz andere Art von Einfluss verraten das Selbstbildnis Kat. Nr. 5, Abb. 3 und der Akt<br />
Kat. Nr. 9, Abb. 4. Beide fallen vor allem durch den Kontrast von Blau-Grün und Anthrazit mit<br />
Rosa auf. Sicherlich rührt diese Farbigkeit von der französischen Akademie her, denn wir<br />
finden bei frühen Arbeiten der Fauves ganz ähnliche Farben als Bildbestimmende 43 .<br />
Die Auseinandersetzung mit den Fauves zeigt sich auch in den beiden Portraits der Mutter<br />
des Künstlers von 1908 (Kat. Nr. 19, Abb. 9, Kat. Nr. 20). Von der sonst herrschenden glatten<br />
<strong>Maler</strong>ei ist nichts mehr vorhanden. Nicht mehr sorgsam übereinander gelegte Farbschichten<br />
modellieren das Antlitz, sondern kräftig gegeneinandergesetzte Farbflächen 'bauen'<br />
es gewissermaßen auf. Zwar sind die Bilder weit entfernt von Matisses 'Madame Matisse',<br />
1905 (Kopenhagen, Statens Museum for Kunst) oder der 'Madame au Chapeau', 1905<br />
(San Francisco, Sammlung Mr. and Mrs. Walter A. Haas), was die malerische <strong>Kühn</strong>heit angeht,<br />
doch ist deren Rezeption unverkennbar. Arbeitet zum Beispiel Matisse mit sehr kräftigen<br />
Farben - das Bild 'Madame Matisse' ist auf dem Kontrast von grün und rot aufgebaut -,<br />
beschränkt er sich doch auf relativ wenig verschiedene Farben innerhalb des jeweiligen Bildes.<br />
Dies ist auch bei <strong>Kurt</strong> <strong>Kühn</strong> der Fall, doch ist die Farbe bei ihm insgesamt wesentlicher<br />
blasser, der Kontrast wird bei ihm nicht als bildkonstituierendes Element verwandt.<br />
Am weitesten wird dieser Vorstoß in Richtung <strong>einer</strong> Verarbeitung der Fauves im Akt Kat. Nr.<br />
21, Abb. 10 getrieben. <strong>Der</strong> Körper wird nicht nur aus Farbflächen gebaut, auch die einzelnen<br />
Körperteile, Arme, Torso, Beine, sind eher Bauteile, aus denen eine Figur zusammengesetzt<br />
wird. Hier treten auch kräftige Rot- und Grüntöne im Inkarnat auf, insgesamt wird aber der<br />
Farbeindruck gedämpft, indem die Draperie, auf der die Frau liegt, fliederfarben, der Hintergrund<br />
blau-grau gehalten ist. Am rechten Bildrand ist im Hintergrund ein Stück olivgrüner und
- 17 -<br />
dunkel-blauer Vorhang zu sehen. Diese Abmilderung der Farbe, die ins Grau gebrochenen<br />
Farben, sollen später ein Charakteristikum der <strong>Maler</strong>ei <strong>Kurt</strong> <strong>Kühn</strong>s werden.<br />
1908 entstand das Bild 'Im Park' (Kat. Nr. 22, Abb. 11), das im Salon d'Automne desselben<br />
Jahres ausgestellt war. Auch hier scheint mir der Einfluss der Fauves unverkennbar, wenn<br />
dies auch nicht sofort ins Auge sticht, da er sich mehr im Formalen als in der Farbe niederschlägt,<br />
die für die Fauves ja das hervorragendste Merkmal darstellte. Und zwar betrifft der<br />
Einfluss die Komposition, in der im Vordergrund stehende Bäume, die vom Bildrand angeschnitten<br />
sind, ins Bild hineinragen und gewissermaßen einen sich teilenden Vorhang bilden,<br />
der den Blick auf die dahinter liegende Landschaft freigibt. Eine Negativform des Dreiecks<br />
lässt die Positivform des Dreiecks erscheinen. Eine prinzipiell ähnliche Komposition findet<br />
sich in Henri Manguins 'Le Rocking-Chair, la Sieste', 1905 (Winterthur, Privatsammlung, Abb.<br />
123). Dieses Prinzip wendet <strong>Kurt</strong> <strong>Kühn</strong> noch in späteren Bildern gerne an, z.B. in Kat. Nr. 62,<br />
Abb. 34, Kat. Nr. 106, Abb. 63.<br />
Das Selbstbildnis von 1907 (Kat. Nr. 23, Abb. 12) stellt einen Schritt auf dem Weg zur insgesamt<br />
helleren Farbigkeit dar. Anzug und Hut des Künstlers, der diagonal zur Bildfläche steht<br />
und durch eine Drehung des Kopfes fast en face sichtbar wird, ist nicht mehr schwarz, sondern<br />
dunkelblau. <strong>Der</strong> Hintergrund, der bis zur Höhe der Hutkrempe und in der Breite Dreiviertel<br />
der Bildfläche einnimmt ist ocker und blaugrünfarbig. Das rechte Viertel sowie das<br />
obere Fünftel der Leinwand sind in Hellgrau, das leicht nach Rosa changiert, gehalten. Auch<br />
das Inkarnat weist nicht mehr gelblichen Akademie-Ton früherer Bilder (Kat. Nr. 1, 3) auf,<br />
sondern ist sehr hell und frisch gehalten, mehr in roten und weißen Tönen.<br />
Aus dem Jahre 1909 stammen drei Landschaftsbilder (Kat. Nr. 24 - 26), alle drei sind mit<br />
1909 datiert, es handelt sich um recht kleinformatige Arbeiten.<br />
'Le mont Baron (Nice)', Kat. Nr. 24, das wohl auf <strong>einer</strong> Frankreichreise entstanden ist, von<br />
der aber sonst nichts überliefert ist, war 1910 im Salon des Indépendants ausgestellt unter<br />
der Nummer 2864. Die Lokalität der beiden anderen Bilder ist nicht mehr eindeutig auszumachen.<br />
Nr. 25 zeigt mehrere Männer an einem Tisch unter Bäumen sitzend, Nr. 26 dürfte in<br />
einem der Pariser Parks entstanden sein, der in einem Kübel stehende Baum sowie der offensichtlich<br />
künstliche kreisrunde See lassen darauf schließen. Möglicherweise handelt es<br />
sich um den Jardin du Luxembourg, wo <strong>Kurt</strong> <strong>Kühn</strong> auch bei späteren Parisaufenthalten gerne<br />
arbeitete (Kat. Nr. 52, 155).<br />
Allen drei Bildern ist eine gewisse Frische gemeinsam, der Pinselstrich ist sehr flott, die Details<br />
sind nicht fein ausgearbeitet, sondern mit breiten Pinselstrichen werden Farbflächen<br />
gesetzt, die ihrerseits die Gegenstände modellieren. Die unter den Bäumen sitzenden Männer<br />
sind mit einigen Pinselstrichen 'hingeworfen', ihre Gesichter sind nicht als individuelle<br />
ausgestaltet. Dies im Impressionismus beliebte Prinzip der Personendarstellung, der Entindividualisierung<br />
der Person gegenüber der Natur, in die der Mensch als höchstens gleichberechtigt,<br />
nicht aber als dominierend eingebaut wird, findet hier seinen Nachklang. Jedoch<br />
wurde weniger der französische Impressionismus als vielmehr der deutscher Provenienz,<br />
wie er z.B. durch Liebermann vertreten wird, rezipiert. <strong>Der</strong> sensuelle Reiz durch Farben, vor<br />
allem durch raffiniert gesetzte Farbakzente, wie er vor allem bei Monet (z.B. in 'Mohnblumen,<br />
1873, Paris, Jeu du Paume) 44 vorkommt, wird hier weniger gesucht, vielmehr wird eher eine<br />
Ton-in-Ton-<strong>Maler</strong>ei gepflegt. Grün, Grau, Blau und Gelb-Braun sind die Farben, aus denen<br />
die Bilder bestehen.
- 18 -<br />
Im Bild 'Mont Baron' wird das Prinzip der die Landschaft rahmenden Bäume wieder aufgenommen.<br />
Von einem hohen Standpunkt aus geht der Blick über eine Baumzone im Vordergrund,<br />
aus der zum rechten Bildrand hohe Zypressen herausragen, während links eine Pinie<br />
ins Bild hineinragt auf die sich in die Tiefe erstreckende Landschaft. Nach rechts öffnet sich<br />
eine Bucht, von links her steigt die Landschaft zum Berg an, der sich zur Bildmitte hin erhebt.<br />
Das Motiv des durch die im Vordergrund stehenden Bäume sichtbar werdenden, im Hintergrund<br />
ansteigenden Berges erinnert sehr an die Ansichten des Mont St. Victoire von Cézanne,<br />
und in der Tat scheint eine Rezeption Cézannes in diesen Jahren stattgefunden zu haben.<br />
Anlass dafür könnte die Retrospektive Cézannes im Salon d'Automne 1907 gewesen<br />
sein, wo 56 Bilder Cézannes ausgestellt waren 45 . Doch die Ähnlichkeit erstreckt sich nicht<br />
nur auf das Motivische des Bildes. So wurde das Problem der Distanz, die Komprimierung<br />
des Raums ganz ähnlich wie bei Cézanne angegangen. <strong>Der</strong> Berg im Hintergrund wird sehr<br />
nahe herangeholt, er ist nicht der Endpunkt in der Entfernung innerhalb des Bildes, worauf<br />
der Blick gelenkt wird, sondern er ist eher Mittelpunkt des tektonischen Bildgefüges.<br />
Die Auseinandersetzung mit Cézanne zeigt sich besonders deutlich in der Ansicht von Collioure<br />
(Kat. Nr. 30, Abb. 15), die 1910 entstanden sein muss.<br />
Collioure war seit 1905 eine Art Hochburg des Fauvismus geworden, vor allem Matisse und<br />
<strong>Der</strong>ain verbrachten viele Sommer in diesem Mittelmeerort, der nur wenige Kilometer von der<br />
spanischen Grenze entfernt ist 46 . Es gibt zahlreiche Ansichten von Collioure von Matisse,<br />
<strong>Der</strong>ain und Marquet, wobei sowohl motivische wie auch stilistische Ähnlichkeiten zum Bild<br />
<strong>Kurt</strong> <strong>Kühn</strong>s vorhanden sind. Die Gemälde von Matisse 'Collioure', 1911 (Paris, Collection<br />
George Salles, Abb. 105) und 'Landschaft in Collioure', 1906 (Leningrad, Eremitage, Abb.<br />
106) sowie das Gemälde von Albert Marquet 'Blick auf Collioure', 1912 (Abb. 107) zeigen<br />
annähernd identische Ansichten des Ortes. Bei Marquet wie bei Matisse ist lediglich der<br />
Standpunkt des Betrachters so verschoben, dass sich das Meer im Hintergrund nicht frei<br />
öffnet, wie das bei <strong>Kurt</strong> <strong>Kühn</strong> der Fall ist, sondern die Landzunge weit ins Bild hineinragt und<br />
das Meer gegen den Hintergrund gewissermaßen abschließt. <strong>Kurt</strong> <strong>Kühn</strong>s Ansicht von Collioure<br />
ist aus der größten Entfernung gesehen, die Marquets aus der geringsten, womit Marquet<br />
auch den stärksten Ausschnittcharakter seinem Bild verleiht.<br />
Weist das Leningrader Collioure-Bild von Matisse hinsichtlich der Farbe und des Farbauftrags,<br />
die stark an Signac orientiert sind 47 , mit dem <strong>Kühn</strong>sehen Bild keine Gemeinsamkeiten<br />
auf, so ist das bei dem Aquarell von Matisse und dem Gemälde Marquets schon eher der<br />
Fall. Ocker und Orangerot sowie ins Gelb gebrochene Grün-Töne bestimmen das Bild<br />
<strong>Kühn</strong>s, also insgesamt eine sehr warme und - an der <strong>Kühn</strong>schen Palette gemessen - gleichzeitig<br />
sehr helle Farbigkeit, womit zum einen der Landschaftscharakter getroffen wird, zum<br />
andern das Licht und die Hitze anschaulich gemacht werden. Bei Matisse wie auch bei Marquet<br />
herrschen eben dieselben Farben vor, allerdings sind sie kräftiger und sehr viel flächiger,<br />
d. h. ihre Bilder sind aus großen Farbflächen zusammengesetzt, während K. <strong>Kühn</strong> in<br />
diesem Bild einen Farbauftrag anwendet, wie er eindeutig von Cézanne herkommt. Herrscht<br />
in Marquets Bild die Tendenz, scharf umrandete Flächen farbig auszufüllen, und ist Matisse<br />
<strong>einer</strong> neo-impressionistischen Malweise verpflichtet, indem er "color-bricks" 48 verwendet,<br />
andererseits aber Flächen mit ungleichmäßig-flachem Farbauftrag ins Bild bringt, so hat bei<br />
<strong>Kühn</strong> die Farbe eher eine dingkonstituierende Funktion im Sinne Cézannes. Die so gern betonte<br />
Kontur ist völlig verschwunden, ein zeichnerisches Gerüst ist nicht feststellbar. Die<br />
Farbe erst lässt die Dinge entstehen.
- 19 -<br />
Das Bild 'Collioure' ist somit als logische Weiterentwicklung der Bilder 'Le mont Baron (Nice)'<br />
und 'Männer unter Bäumen' (Kat. Nr. 24, 25) zu sehen.<br />
Diese Rezeption Cézannes jedoch bedeutet nun nicht eine völlige Abkehr von der Beschäftigung<br />
mit den Fauyes, wie der mit 1910 datierte Akt zeigt.<br />
Zuvor jedoch noch ein paar Worte über die übrigen in Paris entstandenen Akte Kat. Nr. 8,<br />
Kat. Nr. 9 Abb. 4, Kat. Nr. 10, Kat. Nr. 11 Abb. 5, Kat. Nr. 18 Abb. 8, Kat. Nr. 21 Abb. 10, Kat.<br />
Nr. 27 Abb. 13. Sie bestätigen die schon bei den bisher besprochenen Beispielen aufgezeigte<br />
Entwicklung. <strong>Der</strong> Akt Kat. Nr. 9 Abb. 4 weist dieselbe Farbigkeit wie das Selbstbildnis Kat.<br />
Nr. 5 Abb. 3 auf: dunkle Blau- und Anthrazit-Töne, kontrastiert mit kräftigem Rosa und Weiß<br />
sowie dem rosafarbenen Inkarnat. Es dürfte somit an den Anfang der Pariser Zeit zu stellen<br />
sein, als um 1905 entstanden. Die Haltung der stehenden Rückenfigur weist noch stark auf<br />
Akademiestudien hin; es gibt ein ganz ähnliches Bild von Rouault 'Nu', ca. 1906 (Paris, Musée<br />
d'Art Moderne de la Ville de Paris, Abb. 109), das ebenfalls aus dem Akademieunterricht<br />
herrührt.<br />
Auch die Akte Nr. 10 und 11 (Abb. 5) dürften in diesen Zusammenhang gesehen werden. Sie<br />
sind wie das vorige Bild nicht datiert, dürften aufgrund der hellen Gesamtfarbigkeit etwas<br />
später einzuordnen sein, ca. 1906/07. Kat. Nr. 10 zeigt eine stehende Rückenfigur, die ihren<br />
rechten Fuß in <strong>einer</strong> Schüssel wäscht, die auf einem vor ihr stehenden Stuhl sich befindet.<br />
Nr. 11 zeigt eine Frau, die auf einem Stuhl sitzend dem Betrachter den Rücken zukehrt und<br />
sich den im Hintergrund stehenden Tisch zuwendet und dort mit der Toilette beschäftigt ist.<br />
In ganz ähnlicher Haltung zeigt Braque seinen Halbakt 'Nu assis', ca. 1907 (Paris, Privatbesitz,<br />
Abb. 110). Auch hier haben also zweifelsfrei Einflüsse der Fauves nachgewirkt, wenn<br />
auch - wie schon in den Portraits gezeigt wurde - die malerische <strong>Kühn</strong>heit der Fauves nicht<br />
erreicht wurde.<br />
Gegenüber den eher studienhaften Akten stellt sich Kat. Nr. 18 Abb. 8 recht anspruchsvoll<br />
dar. Eine Frau sitzt in einem diagonal im Bild stehenden blauen Fauteuil, über dessen linke<br />
Lehne ein Kissen gelegt ist, auf dem ihr linker Arm ruht. <strong>Der</strong> Raum, in welchem sie sich befindet,<br />
wird durch eine bildparallel verlaufende Wand oder einen Vorhang abgeschlossen,<br />
ähnlich wie dies in den Portraits der Fall war, so dass von Darstellung eines Raumes nicht<br />
gesprochen werden kann. Auch findet man hier wieder die Beschränkung auf wenige Farben.<br />
Olivgrün in verschiedenen Abstufungen bildet den Hintergrund und das Kissen über der<br />
Lehne. Im Kontrast dazu steht das dunkle Braun und das Blau des Sessels. <strong>Der</strong> Boden ist<br />
mit einem Teppich bedeckt, der geometrische Muster in den Farben rot, gelb, blau und grün<br />
trägt, womit in einem kleinen Teil des Bildes kräftige Farben verwendet werden. Damit wird<br />
das Prinzip <strong>einer</strong> zu Monochromie neigenden Gesamtfarbigkeit des Bildes durchbrochen und<br />
die Tendenz zu <strong>einer</strong> stärker aufgebrochenen Gesamtfarbigkeit eingeleitet. Insofern kann<br />
dieses Bild als eine Vorstufe zu dem Akt von 1910 (Kat. Nr. 27 Abb. 10) angesehen werden.<br />
An diesem Bild werden die Ähnlichkeiten wie auch die Unterschiede gerade zu den Fauves<br />
besonders deutlich, vergleicht man es etwa mit einem Akt von van Dongen 'Anita', 1905<br />
(Monaco, Slg. Kees van Dongen, Abb. 111). Beide querformatigen Bilder zeigen einen liegenden<br />
Frauenakt. Sie sind in ganz ähnlicher Haltung dargestellt, namentlich die Beinhaltung<br />
ist fast identisch. Doch während van Dongens Akt den gesamten Bildraum ausfüllt, indem<br />
der Akt in der Bilddiagonale angeordnet ist und der Körper vorn rechten und linken Bildrand<br />
angeschnitten ist, liegt der Körper in <strong>Kühn</strong>s Akt eher bildparallel. Er reicht nicht ganz bis<br />
zum seitlichen Bildrand und nimmt nur etwa die halbe Bildhöhe ein. Schon durch diese An-
- 20 -<br />
ordnung des Körpers innerhalb der Bildfläche gewinnt <strong>Kühn</strong>s Akt den Ausdruck des Statisch-<br />
Ruhenden.<br />
Van Dongens Frau blickt mit offenen Augen aus dem Bild heraus, während der Akt <strong>Kühn</strong>s<br />
schlafend gezeigt wird. Das Moment des Wach-Seins wird bei van Dongen verstärkt, indem<br />
sich die Frau auf <strong>einer</strong> orange-roten Decke mit <strong>einer</strong> unerschrockenen Offenheit präsentiert.<br />
Die Nacktheit wird noch unterstrichen durch das Strumpfband und den Reif am Oberarm<br />
sowie die Blumen im Haar und den Halsschmuck. <strong>Der</strong> Hintergrund, in dunklem Braun gehalten,<br />
steht nochmals in starkem Kontrast zum hellen Körper der Frau.<br />
<strong>Kurt</strong> <strong>Kühn</strong>s Frau dagegen ist eingebettet in eine Draperie, die ihren Körper teilweise verhüllt<br />
und an der Modellierung des Körpers teilhat. Diese Draperie ist nun aber nicht fließend stofflich,<br />
sondern wirkt eher wie aus kleinen Körpern gebaut. Farbflecken in weinrot, orange, lila,<br />
blau und grün und gelb bauen diese Draperie auf und stehen durch ihre Lebhaftigkeit im Gegensatz<br />
zum schlafenden Körper, der auch in der Farbe des Inkarnats eher etwas Totes hat,<br />
als dass er eine lebendige Farbe, wie z.B. van Dongens Akt, zeigt. In der Modellierung des<br />
Körpers finden sich insofern Einflüsse der Fauves, als er durch Farben gestaltet wird, die mit<br />
der tatsächlichen Farbe der menschlichen Haut nichts zu tun haben. Vor allem im Bereich<br />
der Oberschenkel und der rechten Schulter treten Lila und Grün auf, allerdings recht zart,<br />
vergleicht man es mit Bildern zum Beispiel von Matisse. <strong>Der</strong> Hintergrund ist in Flaschengrün<br />
und Gelbgrün sehr wolkig gemalt. Auf einen Untergrund in hellem Grün sind vorn linken Bildrand<br />
her bogenförmig ansteigend flaschengrüne Dreiecke nebeneinander gesetzt. So wirkt<br />
auch der Hintergrund eher die Figur einbettend und abschirmend, nicht als kalter Kontrast<br />
wie bei van Dongen.<br />
Betrachtet man die bis 1910 entstandenen Werke <strong>Kurt</strong> <strong>Kühn</strong>s im Zusammenhang, vor allem<br />
unter dem Gesichtspunkt der Veränderung und Beeinflussung durch die Ausbildung und<br />
durch künstlerische Impulse, die er in Dresden, München und Paris empfing, so lassen sich<br />
bei aller Verschiedenheit der einzelnen Bilder doch einige Entwicklungslinien aufzeigen. In<br />
Dresden wurde zunächst auf die handwerkliche Seite Wert gelegt 49 und somit kann weder<br />
von <strong>einer</strong> ausgeprägten künstlerischen Selbständigkeit noch von der nachweislichen Abhängigkeit<br />
von <strong>einer</strong> bestimmten künstlerischen Richtung gesprochen werden.<br />
In München scheint eine Begegnung mit dem Jugendstil und mit den Vertretern der Scholle<br />
stattgefunden zu haben. Anhand der drei Aquarelle Abb. 100-102 ist eine Hinwendung zu<br />
<strong>einer</strong> Flächigkeit in der Landschaftsdarstellung zu verzeichnen. Die Bilder sind durch einen<br />
relativ einfachen, übersichtlichen Aufbau bestimmt, die perspektivische Wirkung wird zurückgenommen.<br />
Die Farbe als Fläche und nicht als Gestaltungsmittel von Körperlichkeit ist das<br />
bestimmende Gestaltungsmittel. Sie wird zwar in relativ kräftigen Tönen verwendet, jedoch<br />
bei weitem nicht in so leuchtender Konzentration wie dies beispielsweise im Werk von Püttner,<br />
Putz oder Münzer der Fall ist.<br />
War <strong>Kurt</strong> <strong>Kühn</strong> in München der künstlerischen Avantgarde Deutschlands einen Schritt näher<br />
gekommen, so konnte er in Paris die zeitgenössischen tonangebenden Richtungen auf internationaler<br />
Ebene kennen lernen. Wie an verschiedenen Beispielen gezeigt wurde, war für<br />
ihn vor allem die Begegnung mit den Fauves und mit Cézanne entscheidend. Weitere Einflüsse<br />
spielten nur vorübergehend eine Rolle. Neben motivischen Ähnlichkeiten - wie z. B.<br />
die Akte Kat. Nr. 9, 11 (Abb. 4 und 5) oder das Bild 'Collioure', Kat. Nr. 30 Abb. 15-werden<br />
auch Kompositionsweisen der Fauves übernommen, wie das in 'Le parc', Kat. Nr. 22 Abb.<br />
11, der Fall ist.
- 21 -<br />
Dies führt in den Landschaftsdarstellungen zu einem Loslösen von der Diagonalkomposition,<br />
die noch völlig von der Vorstellung geprägt war, Tiefenraum zu gewinnen.<br />
Innerhalb der Farbe treten in Paris die stärksten Änderungen ein. <strong>Kurt</strong> <strong>Kühn</strong> wandte sich<br />
vom 'Galerieton' der Bilder, die durch Schwarz, dunkles Braun, Gold bestimmt waren, ab.<br />
Rosa und Blau treten als bildbestimmende Farben auf (Kat. Nr. 5, 11). Alle Bilder dieser Zeit<br />
verbindet die Tendenz, zu <strong>einer</strong> stärkeren Farbigkeit zu gelangen. Zwar legte sich <strong>Kurt</strong> <strong>Kühn</strong><br />
stets eine gewisse Beschränkung der jeweils verwendeten Farbe auf, jedoch wird nun stärker<br />
mit Farbkontrasten gearbeitet. Nimmt man die beiden Akte Kat. Nr. 18, 27 (Abb. 8 und<br />
13) als Endstufe dieser Entwicklung, so kann diese als eine zu insgesamt stärkerer Polychromie<br />
drängende gesehen werden. Auch Konturen und Schatten werden nicht mehr durch<br />
Hell und Dunkel gebildet, sondern durch Farbe ausgedrückt. Besonders in dem Bild 'Le<br />
parc', Kat. Nr. 22 Abb. 11, ist dies sehr ausgeprägt der Fall. <strong>Der</strong> Farbauftrag wird sehr viel<br />
freier. In den Portraits werden die Gesichter und Hände, aber auch die Kleidung, nicht mehr<br />
feingliedrig modelliert, wie das im 'Bildnis der Mutter des Künstlers', Kat. Nr. 3 Abb. 2, der<br />
Fall war; vielmehr wird mit kräftigen Pinselstrichen gearbeitet, gegeneinander gesetzte Farbflecken<br />
bauen das Bild auf, die Farbe bekommt eine sehr viel stärker bildaufbauende Rolle,<br />
als dies zuvor der Fall war. Dabei sind <strong>einer</strong>seits Einflüsse der Fauves verantwortlich, ohne<br />
dass <strong>Kurt</strong> <strong>Kühn</strong> allerdings deren <strong>Kühn</strong>heit hinsichtlich der Farbintensität erreicht, andererseits<br />
ist eine Rezeption Cézannes entscheidend. Am Beispiel des Bildes 'Collioure', Kat. Nr.<br />
30 Abb. 15, wurde dies gezeigt. Weitere Beispiele ließen sich in den Stilleben <strong>Kurt</strong> <strong>Kühn</strong>s<br />
nachweisen, auf die aber in diesem Zusammenhang nicht näher eingegangen werden soll.<br />
Trotz dieser Verarbeitung verschiedenster Anregungen aber kann noch nicht von <strong>einer</strong> eigenen<br />
Handschrift, von einem persönlichen Stil <strong>Kurt</strong> <strong>Kühn</strong>s gesprochen werden. Eine unverwechselbare<br />
persönliche Charakteristik s<strong>einer</strong> Bilder scheint sich abzuzeichnen, ist aber<br />
noch nicht völlig ausgeprägt. Im Verlauf der weiteren Betrachtung seines Gesamtwerkes wird<br />
zu untersuchen sein, wann und wie das der Fall sein wird.
Anmerkungen Teil I<br />
- 22 -<br />
1. Ein Photo, das 1899 in Guben aufgenommen wurde, entstand möglicherweise aus<br />
diesem Anlass.<br />
2. Vom Archiv der Akademie der bildenden Künste Dresden wurde auf Anfrage <strong>Kurt</strong><br />
<strong>Kühn</strong>s Studium nicht bestätigt.<br />
Er selbst hat dies aber verschiedentlich als Ausbildungsort angegeben, unter anderem<br />
im Anmeldeformular für den Berufsverband Bildender Künstler München im Jahr<br />
1949. Ebenso ist die Dresdner Ausbildung im Thieme-Becker Bd. 22, 1908 erwähnt.<br />
Des weiteren existiert das Programm eines "Festabends zu Ehren der Herren Professoren<br />
Geh. Hofrat Pauwels und Bracht, veranstaltet von den Studierenden und Schülern<br />
der Hochschule für die bildenden Künste zu Dresden, 1910", das den eigenhändigen<br />
Namenszug <strong>Kurt</strong> <strong>Kühn</strong>s trägt.<br />
3. Vergleiche hierzu: Schumann, Paul. Dresden, Leipzig, 1909, S. 329ff.<br />
4. Die angegebenen Daten beziehen sich auf die jeweilige Lehrtätigkeit.<br />
5. Siehe Anmerkung 4.<br />
6. Gotthard Kühl gründete 1902 die Gruppe 'Die Elbier'.<br />
Ihr Anliegen war es, in der freien Natur zu zeichnen und an Ort und Stelle zu malen.<br />
7. Posse, Hans: Hundert Jahre Kunst in Sachsen. Die <strong>Maler</strong>ei. in: <strong>Der</strong> große Garten.<br />
Wege und Ziele der Kunst und Kultur in Dresden. Bd. II, Dresden, 1928.<br />
8. Unter Matrikel Nr. 2497 wurde <strong>Kurt</strong> <strong>Kühn</strong> am 24.10.1902 in die Zeichenklasse Herterich<br />
an der Münchener Akademie aufgenommen (Mitteilung des Archivs der Akademie<br />
der bildenden Künste München).<br />
9. Nach Auskunft Frau Lotte <strong>Kühn</strong>s hatte <strong>Kurt</strong> <strong>Kühn</strong> beim 'alten Dietz' Unterricht. Wahrscheinlich<br />
handelt es sich um Wilhelm von Dietz, der von 1870 bis 1907 an der Münchener<br />
Akademie unterrichtete. <strong>Der</strong> Dresdner Lehrer gleichen Namens, Robert Dietz,<br />
hatte dort seit 1891 die Meisterwerkstätte für Plastik inne, in der <strong>Kurt</strong> <strong>Kühn</strong> sicherlich<br />
nicht tätig war.<br />
10. Herterich Ludwig: 'Aus meinem Leben', in: Kunst und Künstler, VII, Berlin, 1909, S.<br />
241-249.<br />
11. Katalog: Die Münchner Schule 1850-1914, München, 1979, S. 229f.<br />
12. Ebd. S. 68-71.<br />
13. Festschrift 1200 Jahre Holzhausen am Ammersee, St. Ottilien (o. J.), S. 49ff.<br />
14. Vergleiche hierzu: Gordon, Donald E.: Modern Art Exhibition, München, 1974<br />
15. Uhde, Wilhelm von: Von Bismarck bis Picasso, Zürich, 1928, S. 118f., zitiert nach:<br />
Vriesen, Gustav und Max Imdahl: Robert Delaunay, Licht und Farbe, Köln, 1967, S.<br />
12f.<br />
16. Vergleiche hierzu: Gordon, Donald E., a.a.O.<br />
17. Vgl. Katalog: Pariser Begegnungen: 1904-1914, Café du Dôme, Académie Matisse,<br />
Lehmbrucks Freundeskreis, Duisburg, 1965.<br />
18. Vgl. Thieme-Becker, Bd. 22, 1928, S. 59. Dort wird die Teilnahme am Salon d'Automne<br />
von 1909 nicht erwähnt. Sie ist aber durch den Katalog belegt. Vgl. das Kapitel<br />
über die Ausstellungstätigkeit K. <strong>Kühn</strong>s.<br />
19. Es handelt sich um eine Visitenkarte Otto Grautoffs mit handschriftlich geschriebener<br />
Einladung. Sie wird ausgesprochen, weil Otto Grautoff dem <strong>Maler</strong> der Bilder, die er im<br />
Herbstsalon bewunderte, kennen lernen möchte. Die Karte trägt kein Datum, muss<br />
aber aus dem Jahre 1906 oder 1909 stammen, denn nur in diesen Jahren war <strong>Kurt</strong><br />
<strong>Kühn</strong> im Salon d'Automne vertreten.
- 23 -<br />
20. Aufzeichnungen <strong>Kurt</strong> <strong>Kühn</strong>s aus den fünfziger Jahren.<br />
21. Aufzeichnungen (I) <strong>Kurt</strong> <strong>Kühn</strong>s über Afrika, maschinenschriftlich, nicht veröffentlicht.<br />
22. Aufzeichnungen (II) <strong>Kurt</strong> <strong>Kühn</strong>s über Afrika 'Südwärts', S. 1 (maschinenschriftlich,<br />
nicht veröffentlicht).<br />
23. Aufzeichnungen (III) <strong>Kurt</strong> <strong>Kühn</strong>s über Afrika 'Weihnachten unter der Palme', maschinenschriftlich,<br />
nicht veröffentlicht.<br />
24. Aufzeichnungen (I) <strong>Kurt</strong> <strong>Kühn</strong>s über Afrika, S. 15, 9<br />
25. Alazard, Jean: L'orient et la peinture française en XIX e siècle. d'Eugène Delacroix à<br />
Gustave Renoir, Paris, 1930, S. 170.<br />
26. Soweit dies aufgrund der Reproduktion ohne Kenntnis des Originals zu beurteilen ist.<br />
Abgebildet in: Alazard, J., a.a.O., S. 177f.<br />
27. Katalog: Mahmal et Attatiches. Peintres et Voyageurs en Turquie, en Egypte et en<br />
Afrique du Nord, Paris, 1975-76, S.67 mit Abb.<br />
28. Nach Mitteilung von Frau Lotte <strong>Kühn</strong> kannte <strong>Kurt</strong> <strong>Kühn</strong> möglicherweise Etienne Dinet,<br />
zumindest ist der Name des öfteren gefallen.<br />
29. Vgl. Aufzeichnungen <strong>Kurt</strong> <strong>Kühn</strong>s über die Gefangenschaft<br />
30. Dies wird im folgenden noch an einigen Beispielen der afrikanischen Bilder zu zeigen<br />
sein.<br />
31. "Ibiza-ein entweihtes Paradies" von <strong>Kurt</strong> <strong>Kühn</strong>, in: <strong>Der</strong> Mittag, Nr. 126 vom 7.6.1937.<br />
32. Allgemeines Lexikon der Bildenden Künstler von der Antike bis zur Gegenwart, hrsg.<br />
von U. Thieme und F. Becker, 37 Bde., 1907-1950, Bd. 22, 1928, S. 59.<br />
33. Da diese Ausstellungskataloge zum Teil in Privatbesitz sowie in verschiedenen Bibliotheken<br />
der Bundesrepublik sich befinden, wurde auf den Nachweis des Standortes<br />
des jeweiligen Kataloges verzichtet.<br />
34. Freundliche Mitteilung von Frau Lotte <strong>Kühn</strong>.<br />
35. Dies ist durch Korrespondenz sowie durch entsprechende Vermerke auf einzelnen<br />
Bildern belegt.<br />
36. Vgl. Anm. 35.<br />
37. Vgl. Katalog: Die Münchner Schule. 1850-1914, München, 1979, S. 229f.<br />
38. Vgl. Biermann, G.: Die Scholle. Eine Münchner Künstlervereinigung, München [1910]<br />
39. Die Scholle war 1899 erfolgreich auf den Jahresausstellungen des Münchner Glaspalastes<br />
vertreten. <strong>Kurt</strong> <strong>Kühn</strong> hatte also Gelegenheit, deren Werke dort zu sehen.<br />
40. Festschrift 1200 Jahre Holzhausen am Ammersee, St. Ottilien, o. J., S. 49ff., S. 66ff.<br />
41. Anselm Feuerbach, Jugendliches Selbstbildnis 1851/52, Karlsruhe, Staatliche Kunsthalle,<br />
abgebildet in: Katalog: Anselm Feuerbach 1829-<strong>1880</strong>, Gemälde und Zeichnungen,<br />
Karlsruhe, 1976, S. 227.<br />
42. Gustave Courbet, <strong>Der</strong> Verzweifelte, um 1843, Luxeuil, Privatsammlung, abgebildet in:<br />
Katalog: Courbet und Deutschland, Köln, 1978, S. 192, Nr. 214a.<br />
43. Zum Beispiel bei: Henri Matisse, Nu aux soulieres Roses', 1900, Privatbesitz, abgebildet<br />
in: Diehl, G.: Matisse, Paris, o. J., Nr. 14, Henri Matisse, Etude de Nu. Atelier<br />
Carriere, 1900, Paris, Privatbesitz, abgebildet in: Crespelle, J. P.: Fauves und Expressionisten,<br />
München, 1963, Nr. 1, Albert Marquet, Nu dans l'atelier, 1903, Paris,<br />
Sammlung Mme. Marquet, abgebildet in: Crespelle, a.a.O., Nr. 11.<br />
44. Abgebildet z.B. in: Rewald, John: Die Geschichte des Impressionismus, Köln, 2 1979,<br />
Nr. 17.<br />
45. Gordon, D. E.: Modern Art Exhibitions, München, 1974, S. 228.<br />
46. Barr, Alfred jr.: Matisse. His Art and His Public, 2 New York, 1974, S. 54.
- 24 -<br />
47. a.a.O., S. 92<br />
48. a.a.O., S. 93.<br />
49. Dies zeigt sich vor allem an Skizzen und Zeichnungen der Jahre 1898-1902, die in<br />
Dresden entstanden.
Teil II<br />
- 25 -<br />
In diesem. zweiten zentralen Teil dieser Arbeit sollen die Bilder untersucht werden, die <strong>Kurt</strong><br />
<strong>Kühn</strong> in Afrika gemalt hat.<br />
"Wenn Sie nach Afrika gehen, sagte mir im Januar 1910 in Paris der alte große Geograph<br />
Professor R., so versäumen Sie nicht, Bou-Saada zu besuchen, als <strong>Maler</strong> und als Mensch" 1 ;<br />
dies schrieb <strong>Kurt</strong> <strong>Kühn</strong> in seinen Aufzeichnungen über Afrika.<br />
Nach Afrika zu reisen, mag zunächst als individuelle willkürliche Entscheidung eines Künstlers<br />
erscheinen. Dies ist aber keineswegs der Fall, sondern es gibt für diese Afrikareisen<br />
durchaus eine Tradition. Deshalb erscheint es unerlässlich, an dieser Stelle ein paar Worte<br />
zu diesem Thema zu sagen, bevor auf die Bilder <strong>Kurt</strong> <strong>Kühn</strong>s eingegangen werden kann. Nur<br />
im Zusammenhang ist es möglich, seine Leistung zu beurteilen. Deshalb soll auf das Problem<br />
des Orientalismus und Exotismus eingegangen werden, wie ferner ein kurzer Abriss der<br />
Geschichte der Orientmalerei nachgezeichnet werden soll. Schließlich ist die besondere Rolle<br />
Algeriens in diesem Zusammenhang zu berücksichtigen. Auf diesem Hintergrund, soll<br />
dann eine Einordnung <strong>Kurt</strong> <strong>Kühn</strong>s versucht werden.<br />
1.0. Zum Begriff Orientalismus und Exotismus<br />
Beschäftigt man sich mit dem Werk europäischer Künstler, die in außereuropäischen Ländern<br />
arbeiteten, und betrachtet man die <strong>Maler</strong>ei, die Motive außereuropäischer Länder zeigt,<br />
so stößt man bald auf eine Sprachverwirrung, nämlich die oft als austauschbar erscheinende<br />
Anwendung der Begriffe Exotismus und Orientalismus. Beide Begriffe werden gebraucht,<br />
ohne dass die Autoren sich in der Regel die Mühe machen zu erklären, was sie darunter<br />
verstehen.<br />
Dabei fällt auf, dass im deutschsprachigen Raum der Begriff Exotismus vorherrscht, während<br />
in der französischen und englischen Literatur der Begriff Orientalismus gebraucht wird. Meist<br />
ist derselbe Sachverhalt gemeint, dies muss aber nicht unbedingt der Fall sein.<br />
Als Beispiel sei der Artikel 'Exotism' in der Encyclopedia of World Art herangezogen 2 . Dort<br />
wird von der Ästhetik ausgehend Exotismus als "imitation of elements in alien cultures that<br />
differ from native tradition" definiert 3 . Im folgenden wird dann die Unterscheidung vorgeschlagen<br />
zwischen 'der Suche nach Inspiration in dem, was als exotisch gilt' und der 'Imitation<br />
fremder Kunst' 4 . Im 19. Jahrhundert kann das Interesse an den Sitten, der Kleidung, der<br />
Landschaft fremder Länder mit <strong>einer</strong> "... deliberatly idealized escape towards remote human<br />
conditionsn" 5 verbunden sein. Im Abschnitt über das 19. und 20. Jahrhundert werden Exotismus<br />
und Orientalismus parallel verwendet, ohne dass ersichtlich würde, ob ein Unterschied<br />
zwischen beiden besteht, und wenn ja, worin sich dieser ausdrückt.<br />
Da der Begriff Exotismus bisher nur sehr spärlich verwendet wurde, der des Orientalismus<br />
dagegen schon seit dem 19. Jahrhundert gebräuchlich ist 6 , so will ich mich in dieser Arbeit<br />
für letzteren als den zutreffenderen entscheiden.<br />
Bleibt aber noch zu klären, was darunter verstanden werden soll. Es geht um <strong>Maler</strong>ei, die mit<br />
<strong>einer</strong> gewissen Exaktheit im Sinne von Historiographie versucht, das Fremde einzufangen
- 26 -<br />
und wiederzugeben. Dabei spielt das Pittoreske eine große Rolle, in vielen Fällen ist nicht<br />
leicht zu entscheiden, ob es dem Künstler mehr um den malerischen Reiz des Fremden oder<br />
mehr um eine authentische Darstellung ging. Meist verbinden sich beide Anliegen in einem<br />
Bild.<br />
Daneben gibt es aber auch Orientalisten, die nicht in diesem Maße von der vordergründigen<br />
Realität abhängig waren, die vielmehr versuchten, den Geist des Orients einzufangen, zu<br />
malen, was den Orient kennzeichnet, aber nicht ohne weiteres sichtbar ist. Diesen Künstlern,<br />
hier sei nur Delacroix genannt, gelang es auch am besten, eine Einheit zwischen Bildgegenstand<br />
und bildnerischen Mitteln zu erreichen.<br />
Die meisten der sogenannten Orientalisten waren tatsächlich in den betreffenden Ländern,<br />
deren Ansichten sie wiedergeben. Jedoch erlebte der Orientalismus in der zweiten Hälfte<br />
des 19. Jahrhunderts eine solche Beliebtheit, dass es Künstler gab, die in Paris Portraits à<br />
l'Orient malten. Personen wurden orientalisch bekleidet und in orientalischen Interieurs wiedergegeben.<br />
<strong>Der</strong> Begriff Orientalismus lässt eine geographische Eingrenzung auf Kleinasien und Persien<br />
vermuten. Dies ist aber nicht der Fall. Er rührt eher von der Türkei-Mode her, die spätestens<br />
seit dem Barock in Europa herrschte, und schließt von daher zunächst die islamischen Länder<br />
ein: Kleinasien, Nordafrika sowie Ägypten. <strong>Der</strong> ferne Orient China und Japan spielten<br />
eine geringe Rolle, nicht zuletzt, weil sie schwieriger zu bereisen waren.<br />
Die Bildthemen sind recht vielfältig, aber durchweg von dem Bestreben geprägt, den Charakter<br />
des jeweiligen Landes einzufangen. Wenn dies auch oft nur vermeintlich der Fall war, wie<br />
später noch gezeigt werden wird, so war dies zumindest ein Anliegen, das dem Betrachter<br />
wie dem Künstler zu eigen war, und der Charakter des Scheinbaren wurde keineswegs immer<br />
als solcher erkannt, auf keinen Fall aber abgelehnt. Im Gegenteil, man kann überspitzt<br />
sagen, je schöner der Schein, desto erfolgreicher das Bild 7 . Landschaften, historische Szenen<br />
- wie z.B. 'Die Überführung des heiligen Teppichs von Mekka nach Kairo' von Konstantin<br />
Makowskij, 1876, oder 'Procession du Mahmal au Caire' von Ludwig Deutsch, 1909 -, vor<br />
allem aber Szenen aus dem täglichen Leben waren die Hauptthemen. Gerade an letzteren<br />
delektierte sich das Bürgertum. Boudoirszenen, Szenen aus dem Harem, Bildnisse von<br />
Sklavinnen, die einen gewissen erotischen Reiz ausstrahlten, waren äußerst beliebt 8 . Portraits<br />
gab es relativ selten, was vielleicht mit der Scheu der Moslems, sich portraitieren zu<br />
lassen, zusammenhängt. Ein weiteres häufiges Thema bilden die Reiterszenen, von Delacroix<br />
her sehr bekannt. Dies sei nur eine kurze Aufzählung der wichtigsten Motive, woraus<br />
wohl auch ersichtlich wird, inwieweit man die Orientalisten gegen den Exotismus abgrenzen<br />
kann. Es ging den Orientalisten nicht nur darum, in <strong>einer</strong> ihrer Tradition und Vorstellungswelt<br />
verhafteten Kunst einzelne exotische Elemente, Formpartikel, einzelne Zierfiguren gewissermaßen<br />
als Würze einzubauen, wie dies in der abendländischen Kunst häufig zu finden<br />
ist 9 .<br />
Schwieriger dagegen wird die Abgrenzung zur Kunst eines Gauguin oder zu den Südseebildern<br />
Pechsteins oder Noldes. Philippe Jullian 10 , dem ich mich hier anschließen möchte,<br />
grenzt diese Künstler streng vom Orientalismus ab. Dem ist im großen und ganzen sicherlich<br />
zuzustimmen, im Einzelfall müsste aber untersucht werden, inwieweit hier die Grenzen sich<br />
nicht möglichenleise aufweichen. Dies Problem ist aber an dieser Stelle nicht entscheidend.
- 27 -<br />
1.1. Zum Forschungsstand des Orientalismus<br />
Im Zuge der Aufarbeitung des neunzehnten Jahrhunderts tritt in letzter Zeit auch der Orientalismus<br />
wieder in den Blickpunkt der Kunsthistoriker. Dennoch erstaunt es, dass erst seit wenigen<br />
Jahren zu diesem Thema gearbeitet wird und auch vereinzelte Ausstellungen veranstaltet<br />
wurden. Abgesehen von verschiedenen Monographien über einzelne Künstler gibt es<br />
aber bisher kaum zusammenfassende Darstellungen. Roger Bezombes 11 behandelt in seinem<br />
1953 erschienenen Werk hauptsächlich die Aspekte des Exotismus. Die erste größere<br />
umfassende Darstellung der französischen Orientalisten legte 1977 Philippe Jullian vor 12 .<br />
Ausstellungen, die sich explizit mit dem Orientalismus beschäftigen, fanden erst seit 1971<br />
häufiger statt 13 , und zwar vornehmlich in Frankreich und England.<br />
In Deutschland scheint der Orientalismus von der Kunstgeschichte bisher noch nicht als<br />
Phänomen erkannt worden zu sein. Dies ist sicherlich nicht allein darauf zurückzuführen,<br />
dass die französischen und englischen Künstler das größte Kontingent der Orientalisten darstellen<br />
und dass Deutschland erst verhältnismäßig spät in den Besitz von Kolonien kam, was<br />
eine wesentliche Voraussetzung für die Entstehung des Orientalismus war.<br />
Des weiteren muss erwähnt werden, dass die gesamte Orientalismusforschung sich bisher<br />
auf das 19. Jahrhundert beschränkte, was die falsche Vermutung nahe legt, im 20. Jahrhundert<br />
existiere dieser nicht mehr 14 . Eine Arbeit über die französischen Orientalisten im 20.<br />
Jahrhundert ist in Vorbereitung 15 . Über deutsche Künstler gibt es aber nichts, sieht man von<br />
der Dissertation Uta Laxners ab, die das Problem Exotismus und Orientalismus in ihrer Arbeit<br />
nicht berücksichtigt.<br />
So stellen die schon mehrfach erwähnte Darstellung des Orientalismus von Philippe Jullian<br />
sowie die Kataloge der Ausstellungen 'Mahmal et Attatiches' 16 , Paris 1975/76, und 'Eastern<br />
Encounters', London 1978, die bisher umfassendste Dokumentation zu diesem Thema dar.<br />
1.2. Zur Geschichte des Orientalismus<br />
<strong>Der</strong> Orient taucht in der abendländischen <strong>Maler</strong>ei recht frühzeitig auf. Wir kennen die 'Türkerien'<br />
der Venezianischen Schule des 15. und 16. Jahrhunderts. Aufgrund der historischen<br />
und wirtschaftlichen Lage Venedigs war diese Stadt prädestiniert, die Einflüsse des Orients,<br />
für den die Türkei damals noch stellvertretend stand, auch in der Kunst zu verarbeiten.<br />
Von Orientalismus im strengen Sinne kann man hier sicher nicht sprechen, wie man auch<br />
den exotischen Gemälden des 17. und 18. Jahrhunderts gegenüber mit diesem Begriff vorsichtig<br />
sein muss. Hatte man sich zunächst am Exotischen delektiert und eine gewisse Neugier<br />
dafür entwickelt, so brachten der Barock und das Rokoko einen anderen Aspekt innerhalb<br />
der Beschäftigung mit dem Orient ein, nämlich ein mehr topographisches Interesse.<br />
Wichtig in diesem Zusammenhang ist eine Veränderung der geistigen Haltung gegenüber<br />
dem Orient. Versicherte doch im Jahre 1708 Simon Ockley, Professor für Arabisch an der<br />
University of Cambridge, dass der Okzident dem Orient keineswegs überlegen sei. Dies bedeutete<br />
die Abkehr om Orientalischen als dem Exotisch-Spielerischen und ermöglichte erstmals<br />
eine ernsthaftere Auseinandersetzung mit dem Unbekannten, das nicht mehr von vorn-
herein als Kuriosität abgetan wurde.<br />
- 28 -<br />
Nichtsdestotrotz dauerte es bis zum 19. Jahrhundert, bis man das alltägliche Leben des Orients<br />
entdeckte und den Wunsch entwickelte, von hier aus einem Verständnis des jeweiligen<br />
Landes näher zu kommen. Erst im frühen 19. Jahrhundert kann man von <strong>einer</strong> Begegnung<br />
der westlichen Künstler mit dem Orient sprechen.<br />
Zahlreiche Gründe sind daran mitbeteiligt. Die Napoleonischen Kriege brachten in ihrem Gefolge<br />
zahlreiche Künstler nach Ägypten, deren dort entstandene Werke in Paris mit großem<br />
Interesse aufgenommen wurden wie auch die in Ägypten erbeuteten und nach Paris geschafften<br />
Kunstschätze. Die verstärkten diplomatischen Beziehungen zu Ländern des Orients<br />
wie die zunehmend zahlreicher werdenden Handelskontakte zu fernen Ländern, die<br />
Passion der Romantiker für das Reisen sowie die romantische Literatur hatten einen entscheidenden<br />
Anteil daran, dass eine Begegnung mit dem Orient verstärkt stattfinden konnte.<br />
Den entscheidenden Schritt jedoch stellte die Eroberung Algeriens durch Frankreich im Jahre<br />
1830 dar und die damit verbundene Besiedelung durch Franzosen. Die zunehmende Erleichterung<br />
der Reisemöglichkeiten ließen die Zahl der in ferne Länder reisenden Künstler<br />
sprunghaft anwachsen. In der Publikumsgunst stiegen die Orientalisten derart, dass man um<br />
1870-1890 von dem absoluten Höhepunkt der orientalistischen Kunst sprechen kann. Dies<br />
spiegelte sich nicht nur in der Wertschätzung der <strong>Maler</strong>ei seitens der Bourgeoisie wieder,<br />
sondern auch in der gesamten Lebensart. Salons, Ateliers wurden 'à la sultan' ausgestattet.<br />
Dabei hatten die Weltausstellungen einen großen Anteil an dieser Begeisterung.<br />
In der Rezeption ist von der Wende zum 20. Jahrhundert ab ein Nachlassen des Interesses<br />
am Orient zu verzeichnen, während die Kontinuität der künstlerischen Betätigung aber noch<br />
weit ins 20. Jahrhundert hinein ungebrochen fortbesteht. Allerdings sind dann wieder starke<br />
Veränderungen in der Einstellung der Künstler zum Orient zu verzeichnen, was aber noch<br />
eigens <strong>einer</strong> Untersuchung wert wäre.<br />
1.2.1. <strong>Der</strong> Orientalismus im 19. Jahrhundert<br />
Durch zahlreiche politische Ereignisse wurde das allgemeine Interesse zu Beginn des 19.<br />
Jahrhunderts verstärkt auf den Orient gelenkt.<br />
1798/99 fiel Napoleon in Ägypten ein, um einen ersten Schritt gegen die koloniale Vorherrschaft<br />
Englands zu unternehmen. 1804 beseitigte Mohamed Ali endgültig die Mamelucken-<br />
Herrschaft in Ägypten und schuf ein modernes Staatswesen.<br />
1820 erhob sich Griechenland gegen die türkische Fremdherrschaft, ein Kampf, der von den<br />
Romantikern, allen voran Byron, als Symbol für den Freiheitskampf schlechthin gesehen<br />
wurde.<br />
Diese Ereignisse führten dazu, dass man die Bedeutung des Orients für das Abendland, zunächst<br />
nur in realpolitischer, schließlich aber auch in kultureller Hinsicht, begriff. Sie forderten<br />
ein besseres Kennenlernen der fernen Länder geradezu heraus. Und so war auch innerhalb<br />
der bildenden Künste eine Haltung, wie sie der Exotismus vorausgegangener Jahrhunderte<br />
gepflegt hatte, nicht mehr möglich. Dies beschränkte sich aber keineswegs auf Künst-
- 29 -<br />
ler, sondern hatte bald zur Folge, dass der Typ des englischen Reisenden in aller Welt bekannt<br />
wurde. Treten doch bereits im Jahre 1800 das Wort 'Tourist' und elf Jahre später der<br />
Begriff 'Tourismus' in den Wörterbüchern auf 18 . 1869 bot Thomas Cook die erste Gesellschaftsreise<br />
nach Ägypten an 19 , in den siebziger Jahren veranstaltete er die erste Gruppenreise<br />
um die Welt 20 .<br />
Motor dieser sich ausbreitenden Reiselust waren die Dichter der Romantik, wie Enzensberger<br />
sehr treffend bemerkt: "Autoren wie Gray und Wordsworth; Coleridge und Byron; Rousseau<br />
und Chateaubriand; Seume und Eichendorff, Tieck und Wackenroder, Chamisso und<br />
Pückler haben die Freiheit, die unter der Wirklichkeit der beginnenden Arbeitswelt und an der<br />
politischen Restauration zu ersticken drohte, im Bilde festgehalten. Ihre Einbildungskraft hat<br />
die Revolution gleichzeitig verraten und aufbewahrt. Sie verklärte die Freiheit und entrückte<br />
sie in die Ferne der Imagination, bis sie räumlich zum Bilde der zivilisationsfernen Natur, zeitlich<br />
zum Bilde der vergangenen Geschichte, zu Denkmal und Folklore gerann. Dies, die unberührte<br />
Landschaft und die unberührte Geschichte, sind Leitbilder des Tourismus bis heute<br />
geblieben" 21 .<br />
Aus dieser Entwicklung her lässt sich auch die wachsende Zahl der Künstler, die die Länder<br />
rings um das Mittelmeer bereisten, erklären. In der Folge des Jahrhunderts brachte der Imperialismus<br />
der europäischen Großmächte durch den Erwerb zahlreicher Kolonien in aller<br />
Welt einen ungeheuren Anstieg des Interesses am Exotischen.<br />
Eine entscheidende Rolle bei der Verbreitung fremder Kultur spielten dabei die Weltausstellungen.<br />
So wird z. B. der Einzug des japanischen Holzschnittes in Europa vielfach in Verbindung<br />
gebracht mit der Londoner Weltausstellung von 1862 22 . Die Weltausstellungen, die<br />
dem "...Triumph der von Menschen gemachten und auf den Menschen bezogenen Welt" 23<br />
darstellen, erheben den Anspruch, die gesamte Welt darzustellen, und sei es auch nur als<br />
deren schöner Schein. "Da man die ganze Welt an einem Punkt zusammenführt, erspart der<br />
Besuch <strong>einer</strong> Weltausstellung die Weltreise" 24 . Dazu gehörte natürlich, dass auch die jeweiligen<br />
Kolonien der einzelnen Länder einbezogen waren. Dies geschah wohl am eindrucksvollsten<br />
auf der Weltausstellung in Paris 1900 25 . Vom Trocadéro, das im maurischen Stil erbaut<br />
worden war, erstreckten sich über den Champs de Mars die Pavillons der verschiedenen<br />
Kolonien und boten Produkte der jeweiligen Länder an. Algerische Cafés, ein algerischer<br />
Basar, der Palast von Tunis, indische Tempel, neuguineische Hütten, die Nachbildung <strong>einer</strong><br />
kambodschanischen Pagode, ein Village Laotien, ein chinesisches Tor und zahlreiche weitere<br />
Bauten sollten dem Besucher einen Eindruck von außereuropäischer Kultur vermitteln.<br />
Neben Industrie- und Landwirtschaftserzeugnissen wurden auch kunsthandwerkliche Erzeugnisse<br />
und Kunstgegenstände der verschiedenen Kulturen gezeigt. Inwieweit damit ein<br />
Verständnis der fremden Kulturen vermittelt wurde, sei dahingestellt.<br />
In gewissem Sinn fanden die Weltausstellungen, deren Bedeutung mit dem Beginn des 20.<br />
Jahrhunderts schlagartig nachließ, eine Fortsetzung in den Kolonialausstellungen, die 1906<br />
und 1925 in Paris, 1907 und 1922 in Marseille, 1928 in Straßburg und 1931 in Vincennes<br />
stattfanden 26 . Allerdings war bei diesen Ausstellungen der Anteil der <strong>Maler</strong>ei, speziell der der<br />
Orientalisten, größer, als es bei den Weltausstellungen der Fall gewesen war.<br />
Trugen diese Faktoren mehr zu <strong>einer</strong> indirekten Förderung des Orientalismus bei, indem vor<br />
allem das Interesse des Publikums geweckt wurde und damit die Nachfrage nach exotischen,<br />
nach orientalischen Gemälden zusehends wuchs, so gab es auch direkte Förderung<br />
des Orientalismus. Ab 1893 stellten die Orientalisten im eigenen Salon der Société des<br />
Peintres Orientalistes Français aus 27 , deren Ehrenvorsitzende Jean Léon Gérôme und Ben-
- 30 -<br />
jamin Constant waren. Bis mindestens in die dreißiger Jahre des 20. Jahrhunderts fand dieser<br />
Salon statt 28 . Von staatlicher Seite wurden Künstler ermutigt, in ferne Länder zu reisen.<br />
Stipendien und Aufträge zur Ausschmückung öffentlicher Gebäude sowie die Ernennung von<br />
offiziellen Künstlern, die die politischen und sozialen Ereignisse illustrieren sollten, waren<br />
Anreize, die vom Kolonialministerium und vom Ministerium der Künste ausgingen 29 .<br />
1.3. <strong>Der</strong> Orientalismus in Algerien<br />
War bei den französischen Künstlern Nordafrika das beliebteste Reiseziel, so hatte Algerien<br />
darin noch einmal eine Vorrangstellung. Dies ist sehr leicht historisch zu begründen. 1830<br />
wurde Algerien von Frankreich erobert, 1847 waren die letzten Aufstände niedergeschlagen<br />
worden und Algerien wurde als Protektorat kolonialisiert. Eine Einwanderungswelle setzte<br />
ein, die Zahl der in Algerien ansässigen Franzosen stieg zwischen 1847 und 1872 von<br />
28.000 auf 240.000 30 . Somit war Algerien die am besten erschlossene der französischen<br />
Kolonien und recht gut zu bereisen.<br />
Horace Vernet, Adrien Dauzats, Auguste Raffet und Felix Phillipotaux wurden beauftragt, die<br />
militärischen Erfolge im Bild festzuhalten und damit das Publikumsinteresse zu wecken. Diesen<br />
Pionieren folgten bald die romantischen <strong>Maler</strong> Barye, Auguste, Géricault und Delacroix<br />
31 .<br />
Drei weitere <strong>Maler</strong> bestimmen diese 'klassische' Zeit des Orientalismus: Theodore Chassériau,<br />
Eugene Fromentin und Alfred Dehodencq. Chassériau malte melancholische Gesichter<br />
der Araber, seine Frauen scheinen wie in ferner Traumlandschaft zu leben. Fromentin malte<br />
die Reiter und die Landschaft der Sahara und der Sahel in Halbtönen, wobei ihn vor allem<br />
das Problem des hellen Lichts beschäftigte. In Dehodencqs Bildern verbindet sich die Glut<br />
der Romantik mit einem detailgetreuen Realismus. Doch hatten diese drei <strong>Maler</strong> trotz ihrer<br />
Originalität keinen überwältigenden Erfolg beim Publikum.<br />
Diesen Erfolg errangen dagegen die sogenannten 'Neokoloristen' 32 , allen voran Gabriel-<br />
Alexandré Decamps, dem bald Theodore Frère, Felix-François-George Philibert Ziem, Mariano<br />
Fortuny, Charles Emile Tournemine, Narcisse Berchère, Narcisse Virgile Diaz de la Pena<br />
und Adolphe Monticelli (die beiden letztgenannten waren niemals im Orient) folgten. Sie<br />
benutzten kräftige, starke Farben, gelb, rosa, azurblau und schwarz, sie malten postkartenhafte<br />
Landschaften, die die sengende Mittagshitze und den Abendhimmel gern in knalligen<br />
Farben darstellten 33 .<br />
Waren diese Bilder, was die Authentizität der jeweils dargestellten Landschaft betrifft, genau<br />
so weit von der Realität entfernt wie s<strong>einer</strong>zeit die Türkerien, so hinderte das nicht, dass sie<br />
äußerst zahlreich auf den Salons zwischen 1850 und 1870 erschienen, zum Entzücken des<br />
Publikums.<br />
"La manie de l'Orientalisme a tout envahi; avec un narghilé, quelques pipes en sautoir et son<br />
pan d'étoffe algérienne plus ou moins authentique, chacun s'est mis dans son coin de faire<br />
l'Orient et de la couleur ... nous finirons par connaître Smyrne, Alger et Constantinople aussi<br />
bien que la rue Saint-Honore" 34 , schreibt F. de Lagenvais 1849 in <strong>einer</strong> Salonkritik.<br />
Gegen 1870 ließ diese Richtung nach zugunsten <strong>einer</strong> mehr exakten Darstellungsweise,<br />
etwa eines Gérôme. Die Künstler malten Szenen des täglichen Lebens, und mit dem Ver-
- 31 -<br />
such, in den Geist des Islam einzudringen, erreichten sie eine Neubelebung des Orientalismus.<br />
Alexandré Bida, Maurice Bompard, Frédérick Bridgman, Alfred Chataud, J.F. Bouchor,<br />
George et Charles Landelle, Armand Point, Charles Cottet, Marius Perret, Victor Prouvé,<br />
Henry Wallis, Frank Brangwyn und vor allem Gustave Guillaumet waren die hervorragendsten<br />
Vertreter dieser Richtung. Eine vibrierende, klarfarbige Palette, verbunden mit <strong>einer</strong> differenzierten<br />
Behandlung des Schattens, ist ihnen gemeinsam 35 . Hierin berühren sie sich mit<br />
den Impressionisten, die ebenfalls vom Licht und der Farbe Nord-Afrikas fasziniert waren,<br />
deren Modelle jedoch Pariserinnen in orientalischem Kostüm blieben 36 .<br />
Gérôme war innerhalb dieser Richtung der bei weitem erfolgreichste Künstler. Er sah den<br />
Orient mit den Augen eines Historikers und Archäologen; seine Bilder, die in ihrer Genauigkeit<br />
an photographische Wiedergaben, die damals aufkamen, grenzen, bekommen dadurch<br />
allerdings leicht etwas Statisches.<br />
Nichtsdestoweniger wurde er aber von seinen Schülern wie vom Publikum außerordentlich<br />
verehrt 37 . Als in s<strong>einer</strong> Nachfolge stehend können zwei weitere sehr erfolgreiche und bekannte<br />
Orientalisten begriffen werden: Ludwig Deutsch (1855-1930) und Etienne Dinet<br />
(1861-1929).<br />
Etienne Dinet, der lange Zeit in Bou-Saada lebte, interessierte das Land nicht in erster Linie<br />
vom malerischen Aspekt her. Er versuchte vielmehr, den Sitten und Gebräuchen des Landes<br />
näher zu kommen, seinen Geist zu erfassen. Dies gipfelte in der Konversion zum Islam und<br />
dem Annehmen eines islamischen Namens. Nach islamischem Ritus wurde er schließlich in<br />
Bou-Saada begraben. "C'est sa conviction, sa foi, sa probité, l'amour ardent de son art et de<br />
ses sujets, qu'il s'est donné mission de peindre qui ont fait de Dinet une figure personnelle et<br />
exceptionnelle. A aucun moment il n'a cherché ni le succès ni le profit. Il a porte dans son art<br />
comme dans sa vie un désintéressement, une dignité, un haut esprit de conduite qui ont fait<br />
de lui, dans la plus noble acception du mot, un homme et un artiste". So wurde er 1903 von<br />
Leonce Bénédite charakterisiert 38 .<br />
Abgesehen von der öffentlichen Unterstützung, die den Orientalisten zuteil wurde, wie im<br />
vorigen Kapitel erwähnt wurde, war der Orientalismus - auch was die Kontakte der Künstler<br />
untereinander angeht - keine Sache von reinen Individualisten, die ohne gegenseitige Kontakte,<br />
ohne Austausch gearbeitet hätten. So gab es nicht nur die schon genannten Organisationen<br />
in Frankreich, sondern gerade in den betreffenden Ländern bildeten sich Gesellschaften,<br />
Akademien etc. 1897 entstand analog zur französischen Gesellschaft die Société<br />
des peintres orientalistes algériens. Sie hatten zur Société des peintres Orientalistes français<br />
enge und gute Beziehungen 39 .<br />
1906 oder 1907 40 wurde die Villa Abd-el-Tif in Algier gegründet. Dies war eine Art Villa Medici<br />
des Orients, wo Stipendiaten eigene Ateliers hatten, um zu arbeiten. Die Künstler wohnten<br />
dort und erfuhren durch die Villa Abd-el-Tif zahlreiche Anregungen. Eine Bibliothek war vorhanden,<br />
regelmäßig wurden kl<strong>einer</strong>e Ausstellungen veranstaltet. Außerdem verteilte diese<br />
Institution Stipendien, die für Reisen in den Süden Algeriens bestimmt waren. Die Villa Abdel-Tif<br />
war in gewissem Sinn ein Kristallisationspunkt der Nordafrika-<strong>Maler</strong>ei, so dass man<br />
durchaus von <strong>einer</strong> nordafrikanischen Schule sprechen kann, deren Kern diese Institution<br />
bildete 41 . Als deren Begründer kann Marc-Alfred Chataud angesehen werden 42 . Auch die<br />
algerischen Museen sowie die Ecole des Beaux-Arts hatten am Entstehen dieser nordafrikanischen<br />
Schule entscheidenden Anteil. Jedoch konnte diese Schule bald nur zweitrangige<br />
Künstler anziehen bzw. hervorbringen, die Bilder der verschiedensten Sujets und zahllose<br />
Landschaften lieferten 43 . Die Zeilen, die Theophile Gautier 1861 schrieb, treffen vierzig Jahre
- 32 -<br />
später nicht mehr zu, sie provozieren ein gewisses Lächeln: "Des utilitaires peuvent dire que<br />
l'Algérie ne sert à rien et ne rapporte pas assez à la France. Quant à nous qui ne sommes<br />
pas économistes, nous l'aimons car elle a fourni un contigent à l'art. Elle lui a procuré un<br />
élément nouveau. Le voyage d'Algérie devient pour les peintres aussi indispensable que le<br />
pèlerinage en Italie. Ils vont la apprendre le soleil, étudier la lumière, chercher des types originaux,<br />
des mœurs, des attitudes primitives et bibliques" 44 . Zwar reisten die Impressionisten<br />
weiterhin nach Algerien, sie wurden deshalb aber nicht zu Orientalisten. Eine Ansicht Algiers<br />
von Lebourg zum Beispiel unterscheidet sich nicht wesentlich von <strong>einer</strong> s<strong>einer</strong> Ansichten Le<br />
Havres.<br />
Bei den Reisen in den Süden Algeriens, die mitunter nicht ganz ungefährlich waren - vor<br />
allem zu Beginn der siebziger Jahre gab es zahlreiche Aufstände der Araber, vereinzelte<br />
Überfälle auf Reisende gab es bis 1910 45 -, waren die Städte Biskra und Bou-Saada die<br />
wichtigsten Stationen. Dort trafen sich zahlreiche Künstler teils zu längeren Aufenthalten.<br />
Biskra, rund 150 km südöstlich von Bou-Saada gelegen, war der größere Ort, der auch aufgrund<br />
s<strong>einer</strong> exponierten Lage mehr Künstler anzog. In Bou-Saada lebten um 1900 etwa 50<br />
Europäer, von den französischen Truppen abgesehen, vornehmlich Künstler. Sie wurden als<br />
eher konservativ angesehen, der Akademie mehr verhaftet als die Künstler in Biskra 46 .<br />
Soviel also zum Orientalismus in Algerien. Es handelte sich also keineswegs um eskapistische<br />
Tendenzen einzelner <strong>Maler</strong>, wie man aufgrund des Forschungsstandes und dem wenigen<br />
Material, das hierzu vorliegt, vermuten könnte. Vielmehr bestand eine Tradition, die weit<br />
zurückreicht, um die Mitte des 19. Jahrhunderts ihren Höhepunkt erreichte und hinsichtlich<br />
der künstlerischen Betätigung bis zum Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts ungebrochen<br />
anhielt, deren Fortsetzung noch in die Gegenwart reicht. Es lassen sich verschiedene Richtungen<br />
innerhalb des Orientalismus unterscheiden, sowohl in zeitlicher Abfolge, wie auch die<br />
<strong>Maler</strong>ei in verschiedenen Gegenden sehr unterschiedliche stilistische Merkmale aufweist.<br />
Generell kann aber gesagt werden, dass mit dem Fortschreiten des 19. Jahrhunderts eine<br />
gewisse Verflachung des Orientalismus eintritt. Statt neue Impulse zu geben, wie dies noch<br />
zu Zeiten Delacroix' der Fall war, wandelte sich der Orientalismus eher zu einem künstlerischen<br />
Antagonismus. Die <strong>Maler</strong> stehen eher im Gegensatz zu den weiterführenden künstlerischen<br />
Bestrebungen und verharren in einem Stil, der der Salonmalerei und dem Akademie-<br />
Stil verpflichtet ist und dem sie nur scheinbar aufgrund des fremd erscheinenden Bildthemas<br />
zu entrinnen glauben.<br />
2. Die afrikanischen Bilder <strong>Kurt</strong> <strong>Kühn</strong>s<br />
Die afrikanischen Bilder <strong>Kurt</strong> <strong>Kühn</strong>s, die zwischen 1910 und 1914 entstanden - die Bilder aus<br />
der Gefangenschaft werden in dieser Gruppe nicht berücksichtigt -, lassen sich in fünf thematische<br />
Gruppen einteilen.<br />
1. Monumentale Darstellungen von Einzelpersonen oder Personengruppen.<br />
Zwar sind in den meisten afrikanischen Bildern Personen. dargestellt, doch ist deren Rolle im<br />
Bildganzen sehr verschieden. Hier geht es um Darstellungen, bei denen die Einzelfigur oder<br />
eine Gruppe von zwei oder drei Personen zum beherrschenden Bildgegenstand wird. Landschaft<br />
oder Architektur, soweit sie überhaupt im Bild erscheinen, spielen keine entscheidende<br />
Rolle.
- 33 -<br />
2. Gruppenszenen. Markt- oder Arbeitsszenen, bei denen mehrere Personen dargestellt<br />
sind, die in Handlung begriffen sind.<br />
Hier geht es um eines der beliebtesten Themen des Orientalismus. Im Gegensatz zu den<br />
Bildern der ersten Gruppe befinden sich die Personen in Handlung. Entscheidend ist nicht<br />
das Bildnis <strong>einer</strong> Person, sondern der Handlungskontext, in welchem sie sich befindet, der<br />
somit auch ein Teil der kulturellen Umwelt, in die die Menschen eingebunden sind, darstellt.<br />
3. Darstellungen und Ansichten aus Afrika, bei denen die Architektur die vorrangige Rolle<br />
innerhalb des Bildes einnimmt.<br />
In dieser Gruppe sind recht unterschiedliche Bilder zusammengefasst. Gemeinsam ist allen,<br />
dass sie innerhalb oder in unmittelbarer Nähe bewohnter Orte entstanden sind. Menschen<br />
mit der von ihnen geschaffenen Umwelt bilden das generelle Thema der Bilder dieser Gruppe.<br />
Die Akzente liegen einmal mehr auf der Architektur, ein andermal mehr auf der Einheit<br />
von Architektur und der sie bewohnenden Menschen. Die Tendenz zur Verabsolutierung der<br />
Architektur scheint sich in den späteren Bildern dieser Gruppe abzuzeichnen.<br />
4. Reiterszenen.<br />
Obwohl auch diese Gruppe nur wenige Beispiele umfasst, soll sie doch als eigenständige<br />
behandelt werden, nicht zuletzt deshalb, weil es sich auch hier um eines der traditionellen<br />
Themen des Orientalismus handelt. Außerdem werden hier interessante kompositionelle<br />
Lösungen erreicht, was sicherlich mit dem Bildthema zusammenhängt.<br />
5. Landschaftsdarstellungen. Gartenszenen.<br />
Im Gegensatz zu den Bildern der vorhergegangenen vier Gruppen werden hier größere Ausschnitte<br />
aus der Alltagswelt des Orients gezeigt. An Stelle begrenzter Themen, die jeweils<br />
einen bestimmten Aspekt der Wirklichkeit betrachten, handelt es sich hier um 'allgem<strong>einer</strong>e'<br />
Bilder, aus denen das anekdotische Element von vornherein ausgeklammert ist. Die meisten<br />
Bilder dieser Gruppe zeigen Ausschnitte aus den Oasisgärten. Teilweise sind sie mit Personen<br />
belebt, teilweise ist Architektur der Stadt im Hintergrund sichtbar. Im Gegensatz zu den<br />
Bildern der Gruppe 3 nimmt hier aber die Natur entweder absolut oder in Verbindung mit<br />
Menschen die vorrangige Stellung ein. Sind in einzelnen Bildern Personen dargestellt, so geschieht<br />
das niemals in solch monumentaler bildbeherrschender Weise wie das bei den Bildern<br />
der ersten Gruppe der Fall ist, vielmehr sind sie in die Natur eingebunden.<br />
2.1. Monumentale Darstellung von Einzelpersonen oder Personengruppen.<br />
In dieser Gruppe sind folgende Bilder zusammengefasst: Kat. Nr. 60 Abb. 32, Kat. Nr. 37<br />
Abb. 20, Kat. Nr. 38 Abb. 21, Kat. Nr. 39, Kat. Nr. 40 Abb. 22, Kat. Nr. 41, Kat. Nr. 42, Kat.<br />
Nr. 50 Abb. 28, Kat. Nr. 57 Abb. 31, Kat. Nr. 58, Kat. Nr. 61 Abb. 33.<br />
Das früheste Bild dieser Gruppe dürfte zweifellos das 'Bildnis eines Arabers', Kat. Nr. 60<br />
Abb. 32, sein. Innerhalb der afrikanischen Bilder ist dieses Bild ungewöhnlich sowohl hinsichtlich<br />
der Komposition als auch in Bezug auf die Farbigkeit.<br />
Zeigen alle anderen Bilder dieser Gruppe die dargestellten Personen im Freien, so scheint<br />
diese Figur in einem Innenraum zu stehen. <strong>Der</strong> Hintergrund ist durch eine Tapete oder einen<br />
Vorhang gebildet und somit dem Betrachter verschlossen, wie dies in den in München und<br />
Paris entstandenen Portraits der Fall war. <strong>Der</strong> etwa vierzigjährige Mann, der in halber Figur
- 34 -<br />
sichtbar ist, wurde aus dem Bildzentrum an den rechten Rand gerückt, den er berührt. <strong>Der</strong><br />
Körper ist diagonal nach rechts gedreht, der Kopf ein wenig in Gegenrichtung, so dass er im<br />
Dreiviertelprofil sichtbar wird. <strong>Der</strong> Blick des Mannes geht aber nicht aus dem Bild heraus:<br />
sondern ruht unter den halb geschlossenen Lidern. Die Person ist mit einem weißen Burnus<br />
bekleidet. <strong>Der</strong> Hintergrund, in der Mitte ein breiter dunkelgrüner Streifen, der von hellen<br />
blauen Randstreifen gerahmt wird, der linke etwas breiter und heller als der rechte, trägt den<br />
Schatten, der durch die starke Beleuchtung der Figur von vorne entsteht. Dieser Schatten<br />
stellt das Gleichgewicht zu der nach rechts verschobenen Figur her. Die Farbe ist recht dunkel<br />
und stumpf: schmutziges Weiß, dunkles Grün, von Blau und Grau durchsetzt, das Blau<br />
ist von Rot und Grün durchbrochen.<br />
Das Bildnis eines Arabers Kat. Nr. 61 Abb. 23 dürfte ebenfalls zu den zu Beginn des Afrika-<br />
Aufenthaltes entstandenen Bildern zu rechnen sein. Seine vorherrschenden Farben: dunkles<br />
Grün, dunkles Rosa-Braun und Weiß rücken es in die Nähe des zuvor besprochenen Bildes.<br />
Gleichzeitig ist es mit dieser Farbigkeit weit von den 1912/13 datierten Bildern entfernt.<br />
In einem Garten, umgeben von Bäumen, steht ein Araber im weißen Burnus. Er hält die Arme<br />
verschränkt, sein rechter Arm ist etwas höher erhoben, so dass sich der Burnus ausbreitet<br />
und die Figur eine leicht tänzerische Haltung gewinnt. In die rechte obere Bildecke<br />
ragt ein belaubter Ast hinein. <strong>Der</strong> Hintergrund wird durch Bäume in hellerem und dunklerem<br />
Grün gebildet. Auf dem Boden bilden Grasstellen, rosafarbenes Erdreich und die Schatten<br />
der Bäume ein bewegtes Spiel verschieden heller Flecken und sind stark an der Bildung von<br />
Tiefenraum beteiligt.<br />
Das Motiv der ins Bild hineinragenden Baumkrone, das schon in 'Le parc', Kat. Nr. 22 Abb.<br />
11, verwandt wurde, tritt innerhalb der afrikanischen Bilder nur noch in Kat. Nr. 62 Abb. 34<br />
auf, das auch in der Gesamtfarbigkeit ähnlich ist und wohl ebenfalls um 1910 entstand.<br />
Eng verwandt sind die Bilder 'Mussa', Kat. Nr. 38 Abb. 21, und 'Zwei Araber', Kat. Nr. 37<br />
Abb. 20, beide 1911 entstanden. In beiden Fällen sitzen Figuren auf einem Hügel, bildbeherrschend<br />
als Herrscher über das Land.<br />
'Mussa', Kat. Nr. 38 Abb. 21, sitzt auf einem Hügel, der von rechts unten wellend ansteigt<br />
und das untere Bildviertel einnimmt. Er sitzt diagonal zur Bildebene, das rechte Bein angezogen,<br />
das linke ausgestreckt. Sein Kopf ist leicht nach rechts gedreht, so dass er aus dem<br />
Bild schaut. Mit zugekniffenen Augen und geöffnetem Mund blickt er gegen die Sonne. Seine<br />
Hände ruhen auf den Stiefelschäften, der Kopf ist in ein weißes Tuch eingebunden. Stiefel,<br />
Obergewand und Inkarnat sind aus verschiedenen Ockertönen gebildet, dazu kontrastieren<br />
die blauen Hosen sowie der weiße Turban und die weißen Manschetten. <strong>Der</strong> Dargestellte ist<br />
vor den blauen Himmel gesetzt, der Hintergrund ist rosa-gelb. Beidseitig wachsen niedrige<br />
Grünpflanzen. <strong>Der</strong> Untergrund, auf der die Figur sitzt, wie auch der den Hintergrund bildende<br />
Himmel sind sehr flächig gemalt. Eine Raumtiefe ist kaum entwickelt. Auf diese Weise wird<br />
der junge Araber äußerst direkt monumental präsentiert. Unterstrichen wird dies durch starke<br />
Untersicht, die Figur scheint gleichsam über dem Betrachter zu thronen. Die Figur erscheint<br />
äußerst plastisch gestaltet auf <strong>einer</strong> Fläche, von der sie sich außerdem durch die starke Farbigkeit<br />
des Ocker-Gelb scharf abhebt. Schließlich betont der Ausschnittscharakter des Bildes<br />
diese Monumentalität der Darstellung. Die Vegetation zu beiden Seiten sowie der Hügel sind<br />
stark angeschnitten. Das Bildbestimmende ist die Figur in ihrer Selbständigkeit.<br />
<strong>Der</strong> Aufbau von 'Zwei Araber', Kat. Nr. 37 Abb. 20, ist etwas differenzierter. Sie sitzen hintereinander<br />
gestaffelt in der Bilddiagonalen, wobei der vordere, mehr zur Frontalität hin gedreht,
- 35 -<br />
den hinteren, der mehr in Seitenansicht erscheint und etwas höher platziert ist, leicht verdeckt.<br />
Die nach links abgetreppte Anhöhe, auf der die Beiden sitzen, erstreckt sich in die<br />
Bildtiefe, um plötzlich abzubrechen und um den Blick auf eine Baumkrone und einen im Hintergrund<br />
noch sichtbaren Höhenzug freizugeben. Beide Personen sitzen mit angezogenen<br />
Beinen, auf denen die verschränkten Arme ruhen, eingehüllt in weiße Burnusse. Sie bekommen<br />
dadurch eine Blockhaftigkeit, die an ägyptische Würfelhocker erinnert.<br />
Im Gegensatz zum vorigen Bild Kat. Nr. 38 Abb. 21 sind hier weder die Gegensätze von Flächigkeit<br />
und Plastizität so stark ausgeprägt, noch sind starke Farbkontraste verwendet. Ocker,<br />
Weiß und Rosa sind die Farben, die sanft aufeinander abgestuft das Bild beherrschen.<br />
Einen Akzent bildet die Baumkrone im linken Hintergrund. <strong>Der</strong> Himmel ist in zartem Blau<br />
gehalten.<br />
Allerdings ist auch hier der Ausschnittscharakter des Bildes betont, die Untersicht wiederum<br />
verwandt. Die Figuren sitzen auf der Bilddiagonalen, die von links unten nach rechts oben<br />
führt. Parallel dazu fällt der Hügel steil ab, auch der Anstieg des Hügels vollzieht sich auf<br />
dieser Linie.<br />
Wurde im Bild 'Mussa', Kat. Nr. 38 Abb. 21, auf Modellierung durch Beleuchtung verzichtet,<br />
so ist das Licht hier entscheidend an der Modellierung der Personen und des Untergrundes<br />
beteiligt. Es fällt von links ein und beleuchtet einen Teil des Burnus der vorderen Person,<br />
lässt deren größeren Teil im Dunkel. <strong>Der</strong> Schatten, den die Figur wirft, fällt rechts von ihr auf<br />
den Boden.<br />
Die Monumentalität dieses Bildes wird im wesentlichen durch die Blockhaftigkeit der plastischen<br />
Figuren, die fast den gesamten Bildraum füllen, und durch die starke Untersicht gebildet.<br />
Das nächste 1911 entstandene Bild dieser Gruppe Kat. Nr. 40 Abb. 22 ist ein Fragment.<br />
Rechts und oben stark beschnitten, muss es ursprünglich sehr viel größer gewesen sein.<br />
Lediglich links unten ist noch eine sitzende Figur vollständig zu sehen. Aufgrund der Portraitähnlichkeit<br />
wird es sich um Mussa, den Boy, der in Diensten des Künstlers stand, der auch<br />
im Bild Kat. Nr. 38 Abb. 21 dargestellt ist, handeln, Bei dem Fragment muss es sich ursprünglich<br />
um eine mindestens drei Personen umfassende Komposition gehandelt haben.<br />
Die Ölskizzen Kat. Nr. 41 und 42 zeigen in etwas kl<strong>einer</strong>em Maßstab die sich nach links lehnende<br />
Figur, von der noch ein Teil des Kopfes zu sehen ist, und die rechts stehende, von der<br />
ein Fuß und ein Teil des Gewandes erhalten sind. Die Skizzen, die <strong>Kurt</strong> <strong>Kühn</strong> offenbar öfters<br />
für solche Bilder anfertigte, stimmen mit dem Fragment derartig überein, wie schon die kleinformatige<br />
Skizze Kat. Nr. 39 mit dem ausgeführten Gemälde Kat. Nr. 38 Abb. 21.<br />
Auch bei dieser Figur fällt die Kompaktheit ins Auge. In einen Burnus gehüllt, sitzt sie mit<br />
angezogenen Beinen gegen eine Wand gelehnt, die diagonal in die Bildtiefe verläuft. <strong>Der</strong><br />
Kopf ist ein wenig gedreht, so dass der junge Mann aus dem Bilde herausschaut, mit offenem<br />
Mund und zusammengekniffenen Augen, ganz ähnlich wie das in Kat. Nr. 38 Abb. 21<br />
der Fall ist.<br />
In diesem Bilde herrschen sehr helle Farben vor. <strong>Der</strong> Burnus der sitzenden Figur ist weiß,<br />
die Burnusse der beiden anderen Figuren weiß und hellblau. <strong>Der</strong> Boden und die Wand, die<br />
als Lehne dient, sind in sehr hellem Rosa bzw. Ocker gehalten, beide eher weiß als farbig.<br />
Sehr differenziert farbig sind die Schatten gemalt. Das Licht fällt von oben ins Bild, so dass
- 36 -<br />
sich schöne Schatten durch die Falten des weißen Burnus bilden, die in Blau und Ocker wiedergegeben<br />
sind. Dieselben Farben, etwas dunkler, bilden den Schatten auf dem Boden<br />
links von der Figur. In diesem Bild tritt erstmalig die ausgesprochen helle Farbe auf, die für<br />
die spätere Palette <strong>Kurt</strong> <strong>Kühn</strong>s so bezeichnend werden soll, mit deren Hilfe das unwahrscheinlich<br />
helle Licht Afrikas und die sengende Hitze anschaulich gemacht werden sollen.<br />
In dem Bild 'Junger Araber', Kat. Nr. 57 Abb. 31, 1913, wird nochmals die monumentale Darstellung<br />
<strong>einer</strong> Einzelfigur verwirklicht. Von seinen Ausmaßen her (135 : 161 cm) ist es das<br />
größte der afrikanischen Bilder. Auf <strong>einer</strong> Anhöhe, in Untersicht gesehen, steht die Figur<br />
leicht aus dem Bildzentrum nach links verschoben in Dreivierteldrehung, in einen weißen<br />
Burnus gehüllt, der nur das Gesicht freigibt und ihn im Dreiviertelprofil zeigt. Die sich von<br />
beiden Seiten her schräg in die Bildtiefe erstreckende Anhöhe wird von niedriger Vegetation<br />
begrenzt und fällt zum Hintergrund zu jäh ab. <strong>Der</strong> Blick geht auf eine sich in die Tiefe erstreckende<br />
Ebene, während links im Hintergrund ein Höhenzug sichtbar wird. Intensives Rosa,<br />
Blau und Weiß und wenig Grün beherrschen das Bild. <strong>Der</strong> Himmel ist fast in van Gogh'scher<br />
Manier gemalt, er entfaltet sich strahlenförmig in breiten nebeneinander liegenden Pinselstrichen<br />
von einem hellblauen Zentrum in der Bildmitte aus zu einem kräftigen Stahlblau, das in<br />
Kontrast zum rosafarbigen Vordergrund steht.<br />
Das Licht fällt von links oben hinter der Figur ein, so dass sie einen Schatten wirft, der sich<br />
zur vorderen rechten Bildkante erstreckt. Er ist in Blaugrau gemalt, wie auch die Schatten<br />
der Burnusfalten gemalt sind.<br />
Das Bild könnte als Synthese zweier Wege der Monumentaldarstellungen, wie sie Kat. Nr.<br />
37 Abb. 20 und Kat. Nr. 38 Abb. 21 darstellen, verstanden werden. Es wird die Reduktion auf<br />
wenige stark kontrastierende leuchtende Farben mit der Darstellung der Einzelfigur in Landschaft<br />
mit gewisser Tiefenwirkung versucht.<br />
Neu gegenüber den beiden vorhergehenden Bildern ist das Querformat. Wurden bisher fast<br />
quadratische Bildformate gewählt, was für die Darstellung sitzender Personen nicht ungewöhnlich<br />
ist, so ist das Querformat für eine stehende Einzelfigur nicht sehr nahe liegen. So<br />
ist auch aufgrund des Formates eine Zurücknahme der Direktheit, mit der die anderen Figuren<br />
präsentiert wurden, sowie der kaum noch vorhandene Ausschnittscharakter des Bildes<br />
zu erklären.<br />
Die Farbigkeit, die in Kat. Nr. 57 Abb. 31 auffällt, ist schon ein Jahr früher ausgeprägt gewesen.<br />
Das Bild Kat. Nr. 50 Abb. 28 aus dem Jahre 1912, das eine Monumental-Figur zeigt, die<br />
stark in die Landschaft eingebunden ist, weist dieselben intensiven Farben auf. Eine Rückenfigur<br />
in rosa-lila Mullah steht an einem Wasser loch, ganz in den Vordergrund gerückt.<br />
Rechts und links steigen Anhöhen an, im Hintergrund stehen Palmen. Kräftige Farben wie<br />
die des Gewandes und des Wassers, des Himmels und der Bäume kontrastieren mit dem<br />
hellen Rosa des Vordergrundes. Auch hier ist die Tiefenwirkung an Stelle der Flächigkeit<br />
betont. Doch im Gegensatz zu den bereits besprochenen Bildern ist diese Figur zwar motivisch<br />
in die Landschaft eingebettet, fällt aber aufgrund der Farbigkeit völlig aus ihr heraus.
- 37 -<br />
2.2. Gruppenszenen. Markt- oder Arbeitsszenen, bei denen mehrere Personen<br />
dargestellt sind, die in Handlung begriffen sind.<br />
In diese Gruppe gehören die Bilder Kat. Nr. 31 Abb. 16, Kat. Nr. 62 Abb. 34, Kat. Nr. 63 Abb.<br />
35, Kat. Nr. 64 Abb.36, Kat. Nr. 65 Abb. 37, Kat. Nr. 66 Abb. 38.<br />
Da Marktszenen zu den beliebtesten Darstellungen des Orientalismus gehörten, ist es erstaunlich,<br />
dass nur sechs Bilder aus dieser Gruppe erhalten sind.<br />
Mit Ausnahme von Kat. Nr. 31 Abb. 16 aus dem Jahre 1910 ist keines dieser Bilder datiert.<br />
Von den bei den großformatigen Bildern Kat. Nr. 62 Abb. 34 und Kat. Nr. 65 Abb. 37 ist nur<br />
das erstere vom Künstler signiert. Diese beiden Gemälde wie auch Kat. Nr. 31 Abb. 16 dürfen<br />
wohl als 'endgültige' Werke gelten, während die kleinformatigen Bilder im Verhältnis dazu<br />
ausgesprochen skizzenhaft wirken.<br />
Die Marktszene Kat. Nr. 62 Abb. 34 ist wohl recht früh entstanden, das heißt um 1910. Dies<br />
Bild fällt ähnlich aus dem gesamten Afrika-Werk heraus wie die schon erwähnten Bildnisse<br />
eines Arabers Kat. Nr. 60 Abb. 32 und Kat. Nr. 61 Abb. 33, und zwar hinsichtlich der Farbigkeit<br />
und der Komposition.<br />
Auf einem großen Platz sind elf Personen kreisförmig, teils stehend, teils sitzend, angeordnet.<br />
Sie bieten Waren feil oder unterhalten sich, verbunden mit Gesten, wie die beiden im<br />
Zentrum stehenden Männer, oder aber sie stehen bzw. sitzen völlig isoliert. Zum Hintergrund<br />
zu wird der Platz durch eine Baumreihe begrenzt, dahinter sind recht hohe Gebäude sichtbar.<br />
Im Vordergrund ragen rechts und links Baumkronen ins Bild. Sie nehmen die beiden<br />
oberen Bildecken ein, wie die Reste eines eben geöffneten Vorhangs, der den Blick auf die<br />
Bühne freigibt. In gewissem Sinn wirkt das ganze Bild etwas theaterhart inszeniert. Die Personen<br />
sind alle recht isoliert platziert und wirken dadurch sehr statisch. Lediglich die beiden<br />
in der Mitte stehenden Männer, die gerade in <strong>einer</strong> Unterhaltung begriffen sind, lockern dies<br />
durch ihre Gestik auf. Die Baumreihe wirkt sehr dekorativ, die Häuser im Hintergrund wie<br />
aufgebaute Kulissen. Die Farbe ist insgesamt sehr delikat. Sie ist sehr hell, nur das Grün der<br />
Bäume setzt dazu einen dunklen Kontrast. Vorherrschend sind weiß-beige-braune Abstufungen,<br />
die mit hellem, doch kräftigern Gelb, Rosa, Rot und Blau akzentuiert werden. Das verleiht<br />
dem Bild eine Weichheit, wie sie bei den Bildern der ersten Gruppe nicht auftrat. Die<br />
einzelnen Personen in ihren Burnussen, die Bäume im Hintergrund, die Häuser, dies alles ist<br />
sehr flächig gemalt bei gleichzeitiger Betonung der Kontur. Zweifellos sind hier Nachwirkungen<br />
aus Paris am Werke, die frühen Bilder der Nabis, vor, allem die Bonnards, haben hier<br />
offensichtlich nachgewirkt.<br />
Das Bild 'Salzverkauf in der Oase', Kat. Nr. 65 Abb. 37, versucht, den Markt mit seinem Gedränge<br />
einzufangen. Die Ecke eines Platzes, die durch sich in die Bildtiefe erstreckende<br />
Häuser gebildet wird, ist angefüllt von Menschen und Salzbergen, die von kleinen Gefäßen<br />
bekrönt werden, den Maßen für den Verkauf.<br />
Die gesamte Komposition des Bildes spitzt sich keilartig zum Hintergrund zu. Den Rahmen<br />
bilden die Häuser, rechts drei hintereinander gestaffelte, links ein einziges großes Gebäude,<br />
dessen Front von großen Bogenöffnungen durchbrochen ist. Die Menschen stehen und sitzen<br />
dicht gedrängt auf dem kleinen Raum. Die Farben sind Rosa, Gelb, Ocker und Weiß<br />
sowie Blau. Alle Farben sind jedoch recht stumpf, sie sind alle nach Grau gebrochen. Im Gegensatz<br />
zur Flächigkeit des vorangegangenen Bildes ist innerhalb der Kompaktheit dieses<br />
Bildes ein hohes Maß an Plastizität den Menschen wie Gebäuden zueigen. <strong>Versuch</strong>te das
- 38 -<br />
Bild Kat. Nr. 62 Abb. 34 eher einen Überblick zu geben, so ist hier ganz bewusst der Ausschnittscharakter<br />
gewählt worden. Die relativ wenigen Personen nehmen dabei jeweils sehr<br />
viel mehr Bildraum ein, durch die geringe Distanz wird eine Direktheit erzielt, die durch Monumentalisierung<br />
der Figuren noch unterstrichen wird. Hier gibt es starke stilistische Verbindungen<br />
zu den Einzelfigurenbildern der ersten Gruppe.<br />
Die Bilder Kat. Nr. 63 Abb. 35 und Kat. Nr. 66 Abb. 38 stehen sich von der Farbe her sehr<br />
nahe. Braun-rosa Töne, die stark ins Olivefarbene gehen, mit Weiß und Blaugrau bestimmen<br />
die Bilder. Kat. Nr. 66 Abb. 38 zeigt eine Basarstraße. Von rechts vorne erstreckt sich diagonal<br />
in die Bildtiefe ein Arkadengang, unter dem die Händler ihre Waren feilbieten. Das ganze<br />
Bild ist Ton-in-Ton gehalten, einige rote Farbtupfen sind als Akzente gesetzt.<br />
Kat. Nr. 63 Abb. 35 zeigt drei Personen bei der Arbeit im Freien. Vor dem im Hintergrund<br />
hoch aufragenden Höhenzug sind die Häuser kaum wahrnehmbar gezeigt.<br />
Kat. Nr. 64 Abb. 36 zeigt mehrere Personen bei Erd- oder Feldarbeit auf einem sanft ansteigenden<br />
Hügel. Links im Hintergrund steht ein weißes Gebäude. In diesem Bild herrschen, im<br />
Gegensatz zu den beiden vorigen brauntonigen Bildern, frische Farben vor: Weiß, Weiß<br />
nach Rosa gebrochen und Blau in verschiedenen Abtönungen. Diese Farbigkeit ist in vielen<br />
afrikanischen Bildern <strong>Kurt</strong> <strong>Kühn</strong>s verwendet, meist wenn es darum ging, die vom hellen<br />
Sonnenlicht beleuchtete Landschaft wiederzugeben.<br />
Die drei zuletzt genannten Bilder sind in der Malweise sehr flott gehalten. Pastoser Farbauftrag,<br />
kräftiger, breiter Pinselstrich, die Details flüchtig angedeutet, die Personen sind nicht<br />
detailliert herausgearbeitet. Wahrscheinlich sind diese Bilder direkt an Ort und Stelle entstanden,<br />
möglicherweise dienten sie als Vorstudien für größere Gemälde, die entweder nicht<br />
ausgeführt wurden oder verloren sind. Insofern ist auch die Datierung schwierig. Ganz sicher<br />
sind sie nicht zu Beginn des afrikanischen Aufenthaltes entstanden, denn die Palette entspricht<br />
in hohem Maße der der späteren Bilder, das heißt der Werke aus den Jahren 1912,<br />
1913. In diese Jahre, frühestens jedoch 1911, sind sie wohl einzuordnen.<br />
2.3. Darstellungen und Ansichten aus Afrika, bei denen die Architektur die vorrangige<br />
Rolle innerhalb des Bildes einnimmt.<br />
Zu dieser Gruppe gehören die Bilder Kat. Nr. 32 Abb. 17, Kat. Nr. 43 Abb. 23, Kat. Nr. 44<br />
Abb. 24, Kat. Nr. 49, Kat. Nr. 67, Kat. Nr. 68, Kat. Nr. 69 Abb. 40, Kat. Nr. 70 Abb. 41, Kat.<br />
Nr. 71 Abb. 42, Kat. Nr. 72 Abb. 43<br />
Auch wenn es aufgrund der geringen Anzahl von 10 Bildern, die diese Gruppe umfasst,<br />
fragwürdig erscheinen sollte, so ist doch eine weitere Aufteilung in drei Themenbereiche<br />
möglich und sinnvoll.<br />
1. Darstellungen von Straßen und Plätzen: Kat. Nr. 32, 49, 70, 71<br />
2. Darstellungen außerhalb oder am Rande der Ortschaft mit Architektur im Hintergrund:<br />
Kat. Nr. 44, 68, 69<br />
3. Darstellungen von Gebäuden mit der Tendenz zur Verabsolutierung der Architektur:<br />
Kat. Nr. 43, 67, 72
- 39 -<br />
In allen Bildern sind Menschen in Verbindung mit Architektur dargestellt, es handelt sich also<br />
stets um bewohnte Architektur. Jedoch spielen die Menschen innerhalb der Architektur oder<br />
in Verbindung mit ihr eine ganz unterschiedliche Rolle. Haben sie in den Bildern der ersten<br />
Gruppe das Übergewicht, so ist die Bedeutung in der zweiten gleich stark, während bei den<br />
Bildern der dritten der Hauptakzent eindeutig auf der Architektur liegt.<br />
1. Darstellung von Straßen und Plätzen<br />
Die Bilder Kat. Nr. 32 Abb. 17 und Kat. Nr. 71 Abb. 42 zeigen dieselbe Lokalität: die Place<br />
des Merveilles in Bou-Saada. <strong>Der</strong> Standpunkt ist bei beiden Bildern fast identisch, bei Kat.<br />
Nr. 71 liegt er ein wenig weiter rechts. Eine Straße führt aus dem Hintergrund in die Bildmitte<br />
und öffnet sich nach vorn zum Platz, so dass eine keilförmig in den Hintergrund führende<br />
Komposition entsteht. In Kat. Nr. 32 Abb. 17 aus dem Jahre 1910 ist, dies etwas ausgeprägter<br />
der Fall als in Kat. Nr. 71 Abb. 42, das aufgrund der insgesamt helleren Farbe wohl etwas<br />
später entstanden sein dürfte. Herrschen im früheren Bild die gelben Töne, vor allem in der<br />
linken Häuserzeile, und braun-lila Töne des Erdbodens vor, so haben bei dem späteren Bild<br />
ein helles Rosa, das in Weiß übergeht und ein helles Blau des Himmels die Vorherrschaft<br />
übernommen. Hier wird auch stärker mit Licht und Schatten gearbeitet. Das Licht fällt von<br />
rechts ein und wirft einen Schlagschatten, den das rechts stehende haus bildet, in den Vordergrund,<br />
der in starkem Kontrast zum hellen Boden und den hellen Häusern der linken Seite<br />
steht.<br />
Sind im ersten Bild die Personen, die auf dem Platz gehen, in der Farbe dem beschatteten<br />
Boden angeglichen, so ist im späteren Bild Kat. Nr. 71 Abb. 42 eine herausragende Person<br />
zwischen zwei Schattenbahnen gestellt. Sie trägt die lila-rosa gestreifte Mullah, wird grell von<br />
der Sonne beschienen und wirft einen Schatten, der parallel zu dem der Häuser verläuft.<br />
Auch innerhalb der Architektur wird stärker mit Licht und Schatten gearbeitet, sie treffen hart<br />
aufeinander. Man könnte von <strong>einer</strong> größeren Sicherheit im malerischen Gestalten sprechen.<br />
Die Farbe wird kräftiger und akzentuierter eingesetzt. Licht und Schatten haben wesentlichen<br />
Anteil an der Gestaltung und am Aufbau des Bildes, während sie im Bild von 1910 mehr als<br />
Tatsachen, als Gegebenheiten registriert werden.<br />
In Kat. Nr. 70 Abb. 41 wird zwar ein anderer Platz gezeigt, das Kompositionsschema ist aber<br />
prinzipiell das gleiche. Die Diagonalen sind stärker betont, so dass der Blick des Betrachters<br />
auf deren Schnittpunkt im Bildzentrum geführt wird. Ist die linke Häuserzeile, die aus Gebäuden<br />
verschiedener Höhe besteht, in kräftigen Farben Rosa, Orange, Ockerbraun-gestaltet,<br />
so unterscheidet sich die rechte niedrigere einheitliche Zeile nicht vorn hellen Erdboden. Die<br />
Figuren auf dem Platz sind zurückhaltend in ihren weißen Burnussen. Die farbig rot und rosa-grün<br />
Gekleideten befinden sich weiter im Hintergrund, so dass sie das Bild nicht bestimmen.<br />
<strong>Der</strong> Himmel ist nahe dem Horizont türkis-blau und wird mit zunehmender Höhe tiefblau.<br />
Das kleine auf Pappe gemalte Bild von 1912 Kat. Nr. 49 zeigt ebenfalls einen Platz. Ein weißer<br />
und ein hellgelber Häuserblock, bildparallel gestellt, schließen das Bild zum Hintergrund<br />
zu ab. <strong>Der</strong> linke Bildrand schneidet ein hochaufragendes Gebäude an. Auf dem braunen<br />
Erdreich hat sich am rechten Bildrand ein Kamel niedergelassen, dahinter stehen zwei weißgekleidete<br />
Araber. Zum Hintergrund zu schreitet eine rosa gekleidete Figur, ganz klein in der<br />
Nähe der Häuser steht eine Person im blaurosa Mullah, während im Vordergrund eine dunkel<br />
gekleidete Rückenfigur erscheint. Insgesamt ist die Farbe sehr tonig, ganz im Gegensatz<br />
zu den vorigen Bildern, die trotz relativ heller Farben Strahlkraft besitzen.
- 40 -<br />
2. Darstellungen außerhalb oder am Rande von Ortschaften mit Architektur im Hintergrund<br />
Die nächsten drei Bilder, Kat. Nr. 44 Abb. 24, Kat. Nr. 68 Abb. 39, Kat. Nr. 69 Abb. 40, haben<br />
ein ähnliches Kompositionsschema, ein schräg in die Bildtiefe führender Streifen <strong>einer</strong> Anhöhe<br />
bricht jäh ab und gibt den Blick auf tiefer gelegene Häuser frei. <strong>Der</strong> Vordergrund ist mal<br />
breiter (Kat. Nr. 44 Abb. 24), mal schmaler (Kat. Nr. 69 Abb. 40), der Augenpunkt verschieden<br />
hoch.<br />
Das gelungenste Bild dürfte Kat. Nr. 44 Abb. 24 sein. Vier Personen, die eine trägt eine Last<br />
auf dem Kopf, gehen auf einem breiten Weg nahe dessen Mauer, hinter der die tiefer liegenden<br />
Häuser sichtbar werden. Während der Vordergrund beschattet ist, nur ein kl<strong>einer</strong> Keil<br />
entzieht sich dem, liegen die Häuser in gleißendem Licht. Im Hintergrund wird noch eine Vegetationszeile<br />
sichtbar. Kurz darüber stoßen Land und Himmel zusammen, für den nur ein<br />
schmaler Bildstreifen übrig bleibt. Die vorherrschenden Farben sind Braun, Rosa, Ocker. <strong>Der</strong><br />
beschattete Vordergrund ist sehr schön in Blau, Braun und Grün gemalt, während die in der<br />
Sonne liegenden Teile helles Weiß-Rosa, das nach Hellbraun spielt, tragen.<br />
Kat. Nr. 68 Abb. 39 ist mehr als Skizze zu betrachten. Es trägt die blau-weiß-rosa Farben, ist<br />
sehr flüchtig in der Ausführung wie in der Komposition.<br />
Das Bild 'Grauer Tag', Kat. Nr. 69 Abb. 40, ist mit den beiden Figuren im Vordergrund nicht<br />
ganz glücklich gelöst. <strong>Der</strong> sitzende, sich umdrehende Knabe neben der in den Burnus gehüllten<br />
Figur wirkt etwas zu künstlich anekdotisch. Es ist übrigens das einzige Bild, das ein<br />
solch erzählendes Element enthält.<br />
3. Darstellungen von Gebäuden mit der Tendenz zur Verabsolutierung der Architektur<br />
Die letzten Bilder, die hier behandelt werden, sind so gut wie ausschließlich von der Architektur<br />
bestimmt.<br />
Kat. Nr. 67 zeigt einen streng bildparallelen Aufbau. <strong>Der</strong> Vordergrund wird von <strong>einer</strong> Baumzeile,<br />
in deren Mitte eine größere Baumkrone hervorragt, eingenommen. Dahinter erstreckt<br />
sich eine Reihe Häuser über die gesamte Bildbreite, hinter der sich ein wiederum parallel<br />
verlaufender Höhenzug erstreckt. Warme Farben beherrschen das Bild. Angefangen vom<br />
frischen Grün des Vordergrundes über die vorwiegend gelb getönte Architektur bis zum in<br />
verschiedenen Brauntönen changierenden. Berg. Das Bild zeichnet sich durch geringe<br />
Räumlichkeit und die der frühen Zeit verpflichteten relativ dunklen Farben aus.<br />
Das Bild Kat. Nr. 43 Abb. 23 konfrontiert uns mit der Ansicht eines Gebäudes in sengender<br />
Hitze, das den Vorstellungen des Europäers von Afrika so sehr entspricht. Auf einem sich<br />
vom rechten Bildrand neigenden, fast bildparallel verlaufenden Abhang steht ein großes<br />
langgestrecktes Gebäude, dessen Mittelteil - er steht im Bildzentrum - sich kubisch erhebt<br />
und hinter dem das Gebäude weiter terrassenförmig ansteigt. Davor liegt ein weiter Platz,<br />
links im Vordergrund ragt die Ecke eines weiteren Gebäudes ins Bild. Ein grüner Zweig ragt<br />
über dessen Mauer hinaus und wirft seinen Schatten mit dem der ihn eingrenzenden Mauer<br />
am unteren Bildrand entlang zur Mitte hin. An dessen Ende steht eine in Rückenansicht wiedergegebene<br />
Figur, nach links in gleichmäßigen Abständen zum Mittelgrund hin drei weitere<br />
in weiße Burnusse gehüllte Personen. In der Mitte des Gebäudes ist ein Eingang zu sehen,<br />
in dem eine rotgekleidete Person steht. Doch ist der größte Teil des Bildes menschenleer,<br />
die Architektur thront förmlich im Bilde, die Hitze lähmt die Menschen, die statuarisch zu stehen<br />
scheinen. <strong>Der</strong> tiefblaue Himmel strahlt über der hellbraun-rosafarbenen Architektur und<br />
Erde, die Mauerecke im Vordergrund trägt dieselbe Farbe etwas dunkler, der Schatten ist<br />
dunkel graublau.
- 41 -<br />
Das Bild Kat. Nr. 72 Abb. 43 gewinnt einen etwas melancholischen Charakter durch das<br />
Blau, mit dem hier alle Farben durchsetzt sind. Zentral, doch nicht auf der Mittelachse des<br />
Bildes, sondern leicht nach rechts verschoben, erhebt sich ein Turm auf quadratischem<br />
Grundriss. An ihn schließt sich links eine etwas niedrigere, rechts eine etwas höhere Mauer<br />
an, die jeweils bis zum Bildrand reicht. Links und rechts erheben sich im Hintergrund Berge,<br />
die aber nur um weniges die Mauer überragen. <strong>Der</strong> Turm, der im Mittelgrund des Bildes<br />
steht, lässt einen großen Vordergrund frei. Zwei in Burnusse gehüllte Personen stehen dort<br />
in der Mittelachse des Bildes und werfen ihren Schatten, der fast bis an den unteren Bildrand<br />
reicht. Die Beleuchtung kommt von links oben, und zwar so, dass das gesamte Bild im Gegenlicht<br />
erscheint. Deshalb sind auch die verschiedenen braunen Farbtöne des Turms, der<br />
Mauer und der Berge stark mit Blau durchsetzt, ganz abgesehen vom Blau der Schatten, die<br />
die Figuren und der Turm auf den hellen leicht rosafarbenen Boden werfen.<br />
2.4. Reiterszenen<br />
Sechs Beispiele für die Gestaltung dieses Themas gibt es in <strong>Kurt</strong> <strong>Kühn</strong>s afrikanischem Werk:<br />
Kat. Nr. 33, Kat. Nr. 48 Abb. 27, Kat. Nr. 73 Abb. 44, Kat. Nr. 74 Abb. 45, Kat. Nr. 75 Abb.<br />
46, Kat. Nr. 76 Abb. 47.<br />
Das einzige mit Sicherheit im Jahre 1910 entstandene Bild dieser Gruppe, Kat. Nr. 33, weist<br />
die schon öfters bei Bildern aus dieser Zeit festgestellte Farbigkeit auf: grau und stark gelb<br />
getönte braune und weiße Farben.<br />
Die Bilder Kat. Nr. 73 Abb. 44 und Kat. Nr. 75 Abb. 46 zeigen die typische blau-weiß-rosa<br />
Färbung der Jahre 1912 und folgende.<br />
Im Bild Kat. Nr. 73 Abb. 44 nimmt ein Abhang, der an der rechten Bildseite in Dreiviertel der<br />
Bildhöhe beginnt und bis auf die halbe Höhe des linken Bildrandes abfällt, den größten Teil<br />
der Bildfläche ein. In der rechten unteren Ecke erscheint ein Reiter auf einem Esel, wobei<br />
der Rücken des Esels fast genau mit der Bilddiagonalen zusammenfällt. Im spitzen Winkel<br />
zum Abhang verläuft eine Häuserzeile zur oberen linken Bildkante. Häuser und Abhang sind<br />
in nach Rosa gebrochenem Weiß gemalt, was dem Bild eine starke Helligkeit verleiht. <strong>Der</strong><br />
Vordergrund wird durch zwei links des Reiters stehende Personen belebt, vor allem aber<br />
durch ein reiches Licht- und Schattenspiel auf dem Boden. <strong>Der</strong> Esel in schwarz bildet einen<br />
herausragenden Kontrast zu der hellen Umgebung und dem hellblauen Himmel. Seine<br />
Schwere wird dadurch gemildert und seine Bewegung, die entgegen der Lesrichtung zielt,<br />
unterstützt.<br />
Die Bilder 'Reiter bei Bou-Saada', Kat. Nr. 75 Abb. 46 und Kat. Nr. 48 Abb. 27, zeigen als<br />
einzige der afrikanischen Bilder große Landschaftsausschnitte, die den Blick tief ins Land<br />
hinein freigeben.<br />
Im Bild Kat. Nr. 75 Abb. 46 ist ein stark bildparalleler Aufbau gewählt. In <strong>einer</strong> Mulde, fast in<br />
der Bildmitte, ein Reiter auf einem Maulesel, im Profil gesehen, der sich nach links fortbewegt.<br />
Am linken Bildrand steigt ein Gebirge an, rechts zieht sich in weiter Entfernung ein<br />
Höhenzug hin. <strong>Der</strong> Horizont liegt tief, so dass das Bild vom stark blauen Himmel bestimmt<br />
wird. Er ist sehr lebhaft in verschiedenen Blautönen gestaltet, mit zunehmender Höhe des<br />
Himmels wird das Blau tiefer, das heißt dunkler.
- 42 -<br />
Das Bild Kat. Nr. 48 Abb. 27 aus dem Jahre 1912 ist besonders interessant, nicht nur weil es<br />
den weiten Blick in die Landschaft, der in Kat. Nr. 75 Abb. 46 schon angedeutet war, konsequent<br />
aufgreift und weiterführt, und schon von daher eine Sonderstellung innerhalb des afrikanischen<br />
Oeuvres einnimmt. Vielmehr stellt es den <strong>Versuch</strong> <strong>einer</strong> Synthese dar, aus zwei<br />
bisher stets parallel verlaufenden koloristischen Strömungen eine neue Einheit zu gewinnen.<br />
Etwas vereinfacht ausgedrückt: Die afrikanischen Bilder, soweit sie bisher berücksichtigt<br />
wurden, waren entweder von <strong>einer</strong> Farbigkeit, bei der Gelb, Ocker und Braun, alle mit leicht<br />
grauem Schleier überdeckt, vorherrschten (Kat. Nr. 27, 44, 49, 62, 63, 65 - 67), oder aber sie<br />
waren im wesentlichen auf Weiß, Rosa und Blau aufgebaut (Kat. Nr. 32, 33, 40, 43, 50, 57,<br />
64). Vorstufen zu <strong>einer</strong> Verschmelzung könnten in 'Mussa', Kat. Nr. 38 Abb. 21, gesehen<br />
werden, doch ist dort weniger eine Synthese versucht, als mit verschiedenen Farbbereichen,<br />
die sonst getrennt verwandt wurden, innerhalb ein und desselben Bildes experimentiert worden.<br />
Ein breiter Weg, der die gesamte Bildbreite im Vordergrund einnimmt, erstreckt sich nach<br />
rechts in die Bildtiefe. Er wird linker Hand vorn Abhang eines mächtig aufragenden Gebirges<br />
begrenzt, dessen letzte Ausläufer sich rechts des Weges fortsetzen. Im Hintergrund des<br />
sonst recht flachen Landes sieht man in weiter Ferne wiederum mächtige Berge aufragen.<br />
Im Mittelgrund des Bildes stehen zwei Menschen und, ein Pferd am Wegesrand, in weiter<br />
Entfernung sind nochmals zwei Personen sichtbar. <strong>Der</strong> Horizont liegt sehr tief, was dem Bild<br />
eine große Raumtiefe verleiht und dem Himmel innerhalb des Bildes den größten Raum über<br />
lässt.<br />
<strong>Der</strong> Berghang links ist in Ocker-Olivgrün, das stark von Blau und Blaugrau durchsetzt ist,<br />
gehalten, ebenso seine Ausläufer zur rechten Seite des Weges. <strong>Der</strong> Weg selbst hell sandfarben<br />
nach rosa gebrochen, der Höhenzug im Hintergrund erscheint lichtperspektivisch<br />
blaugrau. <strong>Der</strong> Himmel ist sehr viel heller als auf den bisherigen Bildern, zudem wird er von<br />
zahlreichen weißen Wolkenfetzen durchzogen.<br />
Wurde - wie schon angedeutet - eine Synthese der beiden koloristischen Strömungen ansatzweise<br />
bei anderen Bildern versucht, zum Beispiel auch in Kat. Nr. 72 Abb. 43,das völlig<br />
von Blau und Braun bestimmt ist, so ist im vorliegenden Bild ein weiterer Unterschied hinsichtlich<br />
der Beleuchtung festzustellen. Meist wurde mit starkem Licht gearbeitet, was sich<br />
entweder in intensiv strahlenden Farben (Kat. Nr. 38, 43, 57, 70) oder im Einbeziehen von<br />
starken Schatten bemerkbar machte (Kat. Nr. 44, 71 - 73). Darauf wird in diesem Bild völlig<br />
verzichtet. Das ganze Bild ist gleichmäßig ausgeleuchtet. Starke Schattenbildungen finden<br />
nicht statt. Darüber hinaus ist die Farbe insgesamt recht blass, sehr hell und leicht, als liege<br />
die ganze Landschaft unter einem Dunstschleier. Dies stellt eine bisher noch nicht versuchte<br />
Möglichkeit dar, die Helligkeit des Landes einzufangen und bildhaft umzusetzen.<br />
2.5. Landschaftsdarstellungen. Gartenszenen<br />
Diese Bildgruppe, mit 13 Bildern die umfangreichste innerhalb der hier getroffenen Einteilung,<br />
ist äußerst disparat. Eine Entwicklung ist hier kaum aufzuzeigen, wie dies doch wenigstens<br />
ansatzweise innerhalb der anderen Themenbereiche der Fall war. Nur fünf Bilder dieser<br />
Gruppe sind vom Künstler selber datiert, je zwei stammen aus den Jahren 1919 (Kat. Nr. 35<br />
Abb. 18, Kat. Nr. 36 Abb. 19) und 1911 (Kat. Nr. 46, Kat. Nr. 47 Abb. 26), das Bild 59 ist mit<br />
1913 bezeichnet.
- 43 -<br />
Alle Bilder sind recht kleinen Formats. Sie sind zum Teil sicherlich vor Ort entstanden, woraus<br />
sich auch ihr mitunter sehr skizzenhafter Charakter erklärt.<br />
Das Bild 'Im Oasisgarten', Kat. Nr. 35 Abb. 18, das mit 1910 datiert ist, sowie das Bild Kat.<br />
Nr. 84 Abb. 52, das wahrscheinlich im selben Jahr entstand, zeigen relativ dunkle Farben.<br />
Rosa-braune Farben, gräulich abgetöntes Grün, ein wenig heller Himmel fallen zunächst ins<br />
Auge. Architektur umgibt die Personen, hält die Komposition letztlich zusammen.<br />
Die Bilder Kat. Nr. 36 Abb. 19, Kat. Nr. 78 Abb. 48, Kat. Nr. 79 Abb. 49, Kat. Nr. 82 Abb. 51<br />
sind in der Komposition sehr viel freier, im Kolorit interessanter.<br />
Kat. Nr. 36 Abb. 19 und Kat. Nr. 79 Abb. 49 sind sich prinzipiell sehr ähnlich. Vor reich belaubten<br />
Bäumen, die von Palmen mit ihren weit ausladenden Blätterkronen überragt werden,<br />
steht eine einzelne Figur im weißen Burnus. Ist das Bild 'Im Oasisgarten', Kat. Nr. 35 Abb.<br />
18, datiert 1910, noch sehr der Darstellung europäischer Gärten verhaftet - in der Farbe unterscheidet<br />
es sich kaum davon -, so versucht das Bild Kat. Nr. 79 Abb. 49 so etwas wie typisch<br />
afrikanischen Charakter einzufangen. Kräftiges Grün und sehr dunkles leuchtendes<br />
Blau stehen in scharfem Kontrast zum weißen Burnus der stehenden Figur. Die Szene ist<br />
aus geringer Distanz gesehen. Im Gegensatz zum ersten Bild, das eine ausgewogene Komposition<br />
innerhalb des Bildes anstrebt, ist hier der Ausschnitt betont. Durch die Beschränkung<br />
auf Grün und Blau fällt dieses Bild aus dem sonst üblichen Kolorit etwas heraus.<br />
Ausschnittscharakter, verbunden mit Tiefenraumkomposition, kennzeichnen das Bild Kat. Nr.<br />
82 Abb. 51. <strong>Der</strong> sich platzartig öffnende Vordergrund - beidseitig von hochaufragenden Palmen<br />
gesäumt - gibt den Blick auf eine Häuserzeile frei, an der entlang der Blick des Betrachters<br />
weiter in die Tiefe geführt wird. Ausgesprochen warme Farben beherrschen den in praller<br />
Sonne liegenden Ort. Rosa und Goldgelb in verschiedenen Helligkeitsabstufungen herrschen<br />
vor. Die Personengruppe im Vordergrund ist auffallend farbig: weiß, gelb, rosa, blau,<br />
rot. Sie belebt damit den im Schatten liegenden Vordergrund zusätzlich und stellt die Verbindung<br />
zu den sonnenbeschienenen Häusern im Hintergrund dar.<br />
In den folgenden Landschaften kommt es zu k<strong>einer</strong> endgültigen Lösung, sie zeichnet sich<br />
auch nicht annähernd ab. Farblich nähern sich die Bilder Kat. Nr. 80 Abb. 50, Kat. Nr. 59,<br />
Kat. Nr. 77 nach verschiedenen Ausflügen ins heller gelb Getönte und grau-rosa Farbene<br />
der Stufe, auf der das Reiterbild Kat. Nr. 48 Abb. 27 steht.<br />
Nachdem in Kat. Nr. 46 von 1911 rosa-braun und grün als eigenständige Farbwerte gegeneinander<br />
gesetzt werden, in Kat. Nr. 47 Abb. 26 aus demselben Jahr unter reichlicher Verwendung<br />
von Gelb, Licht und Schatten kontrastieren, sind in den drei wahrscheinlich spätesten<br />
Werken dieser Gruppe, Kat. Nr. 59, 77, 80, die Farben gegenseitig angenähert und werden<br />
nicht mehr gegeneinander gesetzt. Helles Blau, Rosa, Grün - in Kat. Nr. 77 insgesamt<br />
etwas dunkler - gehen als Farbe fast ineinander über, so sehr sind sie aufeinander abgestuft.<br />
Sie können sich durch die gleichmäßig starke Beleuchtung, die das Bild überzieht, kaum zur<br />
Eigenständigkeit emanzipieren.<br />
Obwohl - wie schon eingangs erwähnt - diese Bildgruppe rein zahlenmäßig sehr groß ist, hat<br />
es doch den Anschein, als handle es sich in erster Linie um Gelegenheitsarbeiten, um Bilder,<br />
die schnell, so nebenbei, entstanden. Nun sagt dies prinzipiell nichts über die Qualität aus,<br />
da Skizzen oft durch ihre Frische und Ursprünglichkeit der Entstehung besonders interessant<br />
sind. Das trifft aber bei den hier zur Debatte stehenden Bildern, vergleicht man sie mit Arbei-
- 44 -<br />
ten der vorherigen Themenbereiche, nicht zu. Es ist sicherlich kein Zufall,<br />
dass sich kein auch nur annähernd so anspruchsvoll gebendes Werk wie zum Beispiel Kat.<br />
Nr. 37, 38, 47, 48, 57, 62, 65,70, 72, 75 unter diesen Bildern befindet.<br />
3. <strong>Kurt</strong> <strong>Kühn</strong> im Zusammenhang mit dem Orientalismus des ausgehenden<br />
neunzehnten Jahrhunderts und des beginnenden zwanzigstenJahrhunderts<br />
Wie schon mehrfach erwähnt, gibt es bis heute noch keine vergleichende Untersuchung über<br />
den Orientalismus im 20. Jahrhundert.<br />
Merkwürdigerweise wurden aber auch die Bilder der <strong>Maler</strong>, die man nicht unbedingt zu dieser<br />
Kategorie zählen würde, die aber gleichfalls in exotischen Ländern gearbeitet haben,<br />
weder vergleichend untersucht noch unter der Fragestellung des Orientalismus, Exotismus<br />
oder Eskapismus betrachtet 47 . Zwar wird in den einzelnen Monographien stets betont, wie<br />
wichtig z.B. der Aufenthalt Matisses in Afrika oder die Tunisreise für Macke und Klee war,<br />
dies geschieht aber immer nur hinsichtlich der künstlerischen Entwicklung des jeweiligen<br />
Künstlers.<br />
Dies hat sicherlich viele Gründe. Einmal ist der Orientalismus erst seit einigen Jahren ins<br />
Blickfeld der kunsthistorischen Forschung getreten, andererseits ist Material über die einzelnen<br />
Künstler kaum zu beschaffen, deren Bilder sind nur schwer zugänglich. Damit wurde<br />
auch die ausgeprägte Reiselust der Künstler zu Beginn des 20. Jahrhunderts lediglich als<br />
Faktum hingenommen, das nicht weiter hinterfragt wurde. Um nur eine annähernde Vorstellung<br />
zu geben, wie häufig Nord-Afrika besucht wurde, unter anderem von Künstlern, von<br />
.denen dies kaum wahrgenommen wurde, sei eine kurze Aufstellung gemacht:<br />
1902 Wassily Kandinsky Tunis<br />
1904/05 Wassily Kandinsky/Gabriele Münter Tunis<br />
1904/06 Wladimir Bechtejeff Tunis<br />
1906 Henri Matisse Algerien<br />
1908 Eugen von Kahler Ägypten<br />
1911/12 Henri Matisse Marokko<br />
1911 Albert Marquet Tanger<br />
1912/13 Henri Matisse Marokko<br />
1912/13 Charles Camoin Marokko<br />
1913 Albert Marquet Tanger<br />
1914 Paul Klee, August Macke, Louis Moillet Tunis<br />
1914 Max Slevogt Ägypten<br />
1920, 1921<br />
und 1922<br />
Albert Marquet Algerien<br />
Von den Reisen Gauguins und der deutschen Expressionisten in die Südsee sei hier ganz<br />
abgesehen.<br />
Nun kann und soll hier keineswegs ein auch nur annähernder Vergleich der Arbeiten dieser<br />
Künstler geleistet werden. Ihre Aufzählung und Erwähnung geschieht aus zwei Gründen.
- 45 -<br />
Einmal stellen sie Künstler dar, die sich mit dem Exotischen, möglicherweise mit Orientalismus<br />
- das wird noch zu zeigen sein - beschäftigt haben zu <strong>einer</strong> Zeit, da auch der <strong>Maler</strong>, um<br />
den es in dieser Arbeit geht, in Afrika war und dort gearbeitet hat. Sie können also in gewissem<br />
Sinn als Richtpunkte für eine Einordnung herangezogen werden. Zum anderen war es<br />
mir innerhalb dieser Arbeit unmöglich, vergleichbare Arbeiten deutscher, französischer oder<br />
englischer Orientalisten aus diesem Zeitraum aufzutreiben, die als Vergleichsmaßstab herangezogen<br />
werden könnten.<br />
Deshalb sei für eine Einordnung der afrikanischen Arbeiten <strong>Kurt</strong> <strong>Kühn</strong>s eine Skala vorgeschlagen,<br />
auf deren einem Ende der Orientalismus des ausgehenden 19. Jahrhunderts<br />
steht 48 , an deren anderem Ende Arbeiten von Matisse, Klee, Macke und Slevogt stehen.<br />
Wie in den Kapiteln über den Orientalismus und den Orientalismus in Algerien gezeigt wurde,<br />
herrschten zum Ende des 19. Jahrhunderts Darstellungen vor, die insgesamt stark vom<br />
Erzählerischen geprägt waren. Seien es gemalte Berichte von historischen Ereignissen, wie<br />
z.B. Ludwig Deutschs 'Procession du Mahmal du Caire', 1909 49 , aufregende Jagdszenen wie<br />
William Strutts 'The terrible Scare', ca. 1895 (Abb. 112), oder buntschillernde Interieurs, wie<br />
sie vor allem Rudolf Ernst malte (z.B. Abb. 113). Des weiteren waren genrehafte Darstellungen<br />
von Handwerkern oder Marktszenen beliebt, wie sie unter anderem Joseph Farquharson<br />
in seinem 'Egyptian Market' von ca. 1890 zeigt (Abb. 114) oder wie sie von Jean-Leon<br />
Gérôme in seinem 'Marchand de peaux', vor 1901, (Abb. 115) oder von Henri-Jacques-<br />
Edouard Evenepoel im 'Marché d'oranges à Blidah', 1898 50 gezeigt werden. Auch Albert<br />
Besnards mit seinen 'Marchands de fruits à Madura', ca. 1900 51 , gehört in die Reihe der <strong>Maler</strong>,<br />
die "zu <strong>einer</strong> Darstellung des Orients" neigten, "die dem Publikum diese Märchenwelt<br />
plausibel machte und ihm nahe legte, wie sie für den modernen Menschen zu verwerten sei",<br />
wie sie Aleksa Celebonovic 52 so treffend charakterisiert. Ein weiteres sehr beliebtes Thema<br />
waren die erotischen Darstellungen, Bilder aus dem Harem oder aus den türkischen Bädern,<br />
die "... dem Betrachter die Geheimnisse des orientalischen Lebens bis in die geheimsten für<br />
den wirklichen oder eingebildeten Reisenden verführerischen Details zu enthüllen" 53 versprachen.<br />
Als typische Vertreter dieser Richtung können Jean-Jules-Antoine Lecomte de<br />
Nourys 'L'Esclave blanche' , 1888 54 , und Etienne Diners 'Claire de lune à Laghouat', 1897 55<br />
gelten. Mit dieser Art der Schilderung, die oft nur eine Schilderung zu sein vorgibt, haben die<br />
Bilder <strong>Kurt</strong> <strong>Kühn</strong>s wenig gemein. Mit dem zeitlichen Abstand von 10 bis 15 Jahren, in dem<br />
<strong>Kurt</strong> <strong>Kühn</strong>s Werk entstanden ist, ist dies nicht zu erklären. Die oben geschilderten Themen<br />
hielten sich weit länger und an der Art der Darstellung änderte sich z.B. bei Rudolf Ernst,<br />
Etienne Dinet oder Ludwig Deutsch wenig. Doch bevor Erklärungsversuche unternommen<br />
werden, sollten vielleicht die Unterschiede noch etwas präziser formuliert werden.<br />
Vor dem Hintergrund der dramatisch inszenierten Orientmalerei des Jahrhundertendes, die<br />
großen Wert auf laute Farben und pompöse Wirkung legen, nehmen sich die Bilder <strong>Kurt</strong><br />
<strong>Kühn</strong>s eher bescheiden, um nicht zu sagen nüchtern aus.<br />
Statt des Inszenierten tragen zum Beispiel seine Marktszenen Kat. Nr. 62 Abb. 34 und Kat.<br />
Nr. 65 Abb. 37 eher den Charakter des zufällig Beobachteten, des momentanen Ausschnitts,<br />
weniger des gesucht malerischen Arrangements. Das soll nicht heißen, dass sie nicht wohl<br />
komponiert seien, doch sind sie nicht in erster Linie auf Wirkung berechnet, als dem Wunsch<br />
um eine angemessene Darstellung entsprungen. Das Bemühen um Authentizität und <strong>einer</strong><br />
dieser gerecht werdenden malerischen Umsetzung stand dabei eindeutig im Vordergrund.<br />
Seine Reiterbilder zum Beispiel zum Beispiel haben nichts gemein mit Darstellungen wie die<br />
erwähnten von William Strutt (Abb. 112), die in der Tradition von Delacroix (Abb. 116) stehen,<br />
aber nur noch einen müden theatralischen Abklatsch darstellen. Sie sind in ihrer Verhaltenheit<br />
eher der Poesie eines Gustav Macke nahestehend, allerdings ohne dessen Form-
- 46 -<br />
strenge und zwingende Umsetzung, was Form und Farbe angeht, zu erreichen (Kat. Nr. 73<br />
Abb. 44, Kat. Nr. 75 Abb. 46). Zu den in Gruppe 3 angeführten Gemälden <strong>Kurt</strong> <strong>Kühn</strong>s gibt es<br />
um die Jahrhundertwende kaum entsprechende Darstellungen. Dies ist auch nicht verwunderlich.<br />
Eigneten sich doch solche Bilder kaum, die Ziele, die der Orientalismus damals verfolgte,<br />
zu verwirklichen.<br />
Anknüpfungspunkte finden sich in Bildern von Guillaumet, Seignemartin und Lebourg. Sie<br />
entstanden etwa in den siebziger Jahren. Gustave Achille Guillaumets 'La place de Bou-<br />
Saada' (Musée des Beaux-Arts, Algier) 56 ist dem Bild <strong>Kurt</strong> <strong>Kühn</strong>s Kat. Nr. 70 Abb. 41 auffallend<br />
ähnlich, möglicherweise zeigt es denselben Platz aus der Gegenrichtung. Jedoch sind<br />
die Unterschiede für die verschiedene Grundhaltung der Künstler sicherlich typisch. Bei Guillaumet<br />
wird der weite Platz durch ein liegendes Kamel, eine am Boden sitzende Frau mit<br />
einem spielenden Kind sowie eine nahe ihr stehende Frau, die ein Kind auf dem Arm trägt,<br />
das sich ihr zuwendet, belebt. Durch handelnde Personen, die eine gewisse Idylle verbreiten,<br />
bekommt das Bild einen erzählenden, einen gemütlichen Charakter.<br />
Auch auf dem Bild <strong>Kurt</strong> <strong>Kühn</strong>s sind Personen auf dem Platz zu sehen. Doch sind sie in k<strong>einer</strong>lei<br />
Beschäftigung begriffen, sie sind nicht durch Handlung oder Gestik aufeinander bezogen,<br />
noch sind sie in ihrer individuellen Persönlichkeit dargestellt. Auf all diesen Bildern<br />
<strong>Kühn</strong>s erscheinen die Menschen als Rückenfiguren, in bodenlange Burnusse gehüllt, als<br />
statische Monumente. Insofern werden die Menschen bei <strong>Kurt</strong> <strong>Kühn</strong> nicht im Gegensatz zur<br />
toten Architektur gesetzt, die sie beleben sollen, sondern es wird vielmehr versucht, eine<br />
Einheit zu zeigen, und zwar die zwischen Menschen und der von ihm geschaffenen Umgebung.<br />
Von diesem Ansatz her ist es auch verständlich, dass auf allen diesen Bildern Personen<br />
erscheinen, wenn auch in verschiedener Anzahl und von unterschiedlicher Bedeutung<br />
innerhalb des Gewichts der Gesamtkomposition.<br />
Was die Darstellung von Einzelpersonen angeht, Kat. Nr. 37 Abb. 20, Kat. Nr. 38 Abb. 21,<br />
Kat. Nr. 57 Abb. 31, so sind auch sie geprägt von dem Bemühen um eine adäquate, objektive<br />
Darstellung, die frei von aller mystischen Überhöhung ist und dem Menschen den Rang<br />
einzuräumen versucht, der ihm, als dem eigentlichen Besitzer des Landes, zusteht. Wir bekommen<br />
keine exotischen Wesen gezeigt, die aufgrund ihrer Fremdartigkeit interessant sind,<br />
die sich für den europäischen Betrachter präsentieren (müssen). Eine 'Sphinx von heute',<br />
gegen <strong>1880</strong> (Wien, österreichische Galerie) 57 , wie sie Leopold Karl Müller malte, einen 'Marokkanischen<br />
Scharfrichter' von Mariano Fortuny, 1870 58 , einen 'Arnaute' {Paris, Galerie Tanagra)<br />
59 , wie ihn Carlos Condé gegen <strong>1880</strong> darstellte, suchen wir im Oeuvre <strong>Kurt</strong> <strong>Kühn</strong>s vergeblich.<br />
Er zeigte die Nomaden in ihrer Schlichtheit, in ihrer Einfachheit, die - obwohl das<br />
Land kolonialisiert war - die eigentlichen Herrscher sind, die es im wahrsten Sinne des Wortes<br />
besitzen. Es war <strong>Kurt</strong> <strong>Kühn</strong> klar, dass mit ein wenig Lokalkolorit und entsprechenden<br />
Requisiten noch längst nicht der Geist dessen getroffen ist, was dargestellt werden soll. Im<br />
entsprechenden Kapitel wurde auf die Blockhaftigkeit in der Behandlung dieser Einzelfiguren<br />
verwiesen, in seinen später verfassten Erinnerungen an die afrikanischen Aufenthalte drückt<br />
er diesen Sachverhalt folgendermaßen aus: "Ein stehender Europäer ist in der Regel eben<br />
ein dastehender Zivilist - ein dastehender burnusumhüllter Araber ist eine Statur" 60 .<br />
Auch die Landschaftsdarstellungen und Gartenszenen sind durch das Bemühen um eine<br />
künstlerische Aufrichtigkeit geprägt. Keine Sensation des Exotischen, des Unbekannt-<br />
Aufregenden wird vorgeführt, sondern das Fremde wird in <strong>einer</strong> Zurückhaltung gezeigt, die<br />
ihm eher gerecht wird als theatralische Übertreibung.
- 47 -<br />
Aber nicht nur in der formalen Art und Weise der Darstellung unterscheidet sich <strong>Kurt</strong> <strong>Kühn</strong><br />
von vielen Vertretern des Orientalismus. Stand er auch nicht an der Front der künstlerischen<br />
Avantgarde, so war er doch recht frei von jenem konservativen Akademismus, dem so viele<br />
Orientalisten zeit ihres Lebens verhaftet waren, was ihre Maltechnik und ihr Kolorit angeht.<br />
Eine entscheidende Rolle spielte dabei sicherlich, dass er frei von Erfolgszwängen war. Er<br />
war auf grund s<strong>einer</strong> materiellen Lage nicht darauf angewiesen, Bilder zu verkaufen und sich<br />
notfalls dem Publikumsgeschmack unterzuordnen. So konnte er in Afrika eine <strong>Maler</strong>ei entwickeln,<br />
die dem Gegenstand angemessen war und ihm keineswegs aufoktroyiert wurde, die<br />
sich von seinem früheren Stil grundsätzlich unterschied.<br />
Wie schon gezeigt wurde, hat sich seine Palette in Afrika völlig geändert. Sie hellte sich sehr<br />
stark auf, er beschränkte sich auf wenige Farben innerhalb eines Bildes. Die wichtigsten<br />
Farben sind sandfarbenes Gelb, helle Ockertöne, Rosa, Blau. Dunkle Farben, wie sie in den<br />
Portraits oder den Akten der Pariser Zeit gebräuchlich waren, verschwanden völlig. Grün<br />
wird nur ganz sparsam verwandt, lediglich in den Gartenbildern kommt es naturgemäß häufiger<br />
vor.<br />
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass <strong>Kurt</strong> <strong>Kühn</strong> in Afrika einen eigenen Stil fand,<br />
der sich durch ein eigenes Kolorit, durch eine Übereinstimmung von Bildgegenstand und<br />
dessen Umsetzung ins bildnerische Gestalten auszeichnet und sich damit von seinen vorausgegangenen<br />
Arbeiten ganz wesentlich unterscheidet. Innerhalb des Orientalismus ist<br />
ihm aufgrund der Arbeiten sicherlich ein hervorragender Platz e1nzuraumen.<br />
Doch nun zum anderen Ende unserer eingangs gewählten Skala. Besondere Berücksichtigung<br />
sollen dabei die Werke Matisses, Mackes und Klees erfahren. Matisse reiste 1906<br />
nach Algerien und besuchte Biskra. Die Winter 1911/12 und 1912/13 verbrachte er in Marokko.<br />
Während sich die Skizzen, die 1906 bei dem zweiwöchigen Aufenthalt in Algerien entstanden,<br />
kaum von den in Collioure entstandenen unterscheiden 62 , hatten die Aufenthalte in<br />
Marokko einen tiefen stimulierenden Effekt auf die Kunst Matisses 63 . Etwa 15 Bilder sind von<br />
diesen beiden Reisen erhalten, die meisten befinden sich in russischen Museen 64 .<br />
Diese Bilder sollen hier nicht eingehend beschrieben werden, nachdem Alfred Barr jr. dies so<br />
brillant getan hat 65 . Die Bildthemen Matisse; sind Einzelfiguren und Ausblicke aus dem Fenster<br />
auf die Gärten in Tanger. Schon auf dem ersten Blick scheinen diese Bilder (Abb. 117 -<br />
119) mit dem herkömmlichen Orientalismus nicht viel zu tun zu haben. Hier geht es weniger<br />
um eine berichtende <strong>Maler</strong>ei im Sinne von detailgetreuer Abbildung. <strong>Der</strong> Bildgegenstand ist<br />
weniger wichtig als die Frage der Malkunst als solcher. Wir haben hier in erster Linie Bilder<br />
von Matisse vorliegen als Bilder aus Afrika. Diese Gemälde sind zunächst durch die künstlerische<br />
Entwicklung Matisses geprägt, bevor ihre Gestaltung durch den Bildgegenstand bestimmt<br />
wird, wie dies bei den Orientalisten der Fall zu sein scheint. Zwar hat auch Matisse<br />
genaue Detailstudien von Gewändern und arabischem Ornament gemacht - eine wichtige<br />
Rolle spielt in diesem Zusammenhang auch der Besuch der Ausstellung islamischer Kunst in<br />
München 1910, wie Barr anhand des 'Moorish Café' nachgewiesen hat 66 -, doch ist der Bildgegenstand<br />
in s<strong>einer</strong> topographischen Bestimmtheit immer bis zu einem gewissen Grade<br />
beliebig. Das heißt: Er ist austauschbar insofern, als das Bild nicht dadurch bestimmt ist,<br />
dass es sich um eine Darstellung eines Freudenmädchens aus Tanger, um das Portrait eines<br />
Ryfkabylen oder um die Ansicht eines Gartens handelt, sondern in erster Linie um dessen<br />
künstlerische Verarbeitung. Matisse formulierte dies selbst in seinen 'Notizen eines <strong>Maler</strong>s'<br />
67 folgendermaßen: "... durch den wesentlichen Charakter der Dinge, der hinter ihrer<br />
flüchtigen Erscheinung steckt, kann der Künstler eine dauerhafte Interpretation der Wirklichkeit<br />
liefern ... Es gibt zwei Arten die Dinge auszudrücken: die eine ist, sie brutal zu zeigen,<br />
die andere, sie mit Kunst hervorzurufen" 68 . Hier liegt sicherlich der entscheidende Un-
- 48 -<br />
terschied zwischen einem <strong>Maler</strong> wie Matisse und den Orientalisten, letztlich wird auch die<br />
Abgrenzung zwischen Orientalismus und Exotismus sich an solchen Kriterien orientieren<br />
können.<br />
In dem 'brutalen Zeigen' der Dinge erschöpft sich ja so oft der traditionelle Orientalismus,<br />
speziell der der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts, womit, vom künstlerischen<br />
Aspekt her, auch sein rapider Verfall erklärbar wird. Genau das Gegenteil hat nun <strong>Kurt</strong> <strong>Kühn</strong><br />
versucht. Nicht das theatralische oder anekdotische Element, die Illustration waren ihm wichtig,<br />
sondern er zielte vielmehr auf ein Sichtbarmachen,. wie es einst in der Anfangszeit des<br />
Orientalismus vielfach gelungen war. Als Beispiel sei hier nochmals Eugene Delacroix angeführt,<br />
Abb. 116. Insofern kann <strong>Kurt</strong> <strong>Kühn</strong> sicherlich als ein Erneuerer der orientalischen <strong>Maler</strong>ei<br />
gelten. Allerdings besteht ein gravierender Unterschied gerade zu Delacroix z.B. Empfing<br />
dieser Künstler in Afrika neue Impulse, die er nicht nur s<strong>einer</strong> <strong>Maler</strong>ei nutzbar machte, sondern<br />
die Auswirkungen auf die gesamte Entwicklung der <strong>Maler</strong>ei hatten, so kann man dies<br />
von <strong>Kurt</strong> <strong>Kühn</strong> nicht behaupten.<br />
Die Bedeutung der Tunis-Aquarelle Mackes wird oft in den ursächlichen Zusammenhang mit<br />
dem Tunis-Aufenthalt 1914 gebracht. Bei genauerer Untersuchung zeigt sich aber, dass dies<br />
nur bis zu einem gewissen Grade stimmt. Uta Laxner hat nachgewiesen, dass diese Aquarelle<br />
sowohl in fester Verklammerung mit Mackes vorangegangener <strong>Maler</strong>ei stehen, "... da<br />
sich nahezu alle wesentlichen bildnerischen Mittel auf Voraussetzungen in s<strong>einer</strong> Kunst zurückführen<br />
lassen, andererseits aber auch die Verarbeitung neuer Einflüsse evident machen"<br />
69 . Insofern ist auch hier eher das künstlerische Potential, das schon vor der Begegnung<br />
mit dem fremden Kontinent vorhanden war, ausschlaggebend, dass es zu diesen<br />
künstlerischen Äußerungen kam, als es die Reise selbst war. Man tut August Macke sicher<br />
kein Unrecht und seinen Arbeiten keinen Abbruch, wenn man behauptet, dass es ihm in erster<br />
Linie um eine künstlerische Verarbeitung der afrikanischen Eindrücke ging und nicht primär<br />
um den Gegenstand als solchen. Zugespitzt formuliert: Es ging ihm nicht um die Darstellung<br />
Afrikas im topographisch-historiographischen Sinn, sondern um eine Selbstdarstellung,<br />
zu der Afrika als Anregung diente 70 .<br />
Auch für Paul Klee hatte diese Reise größte Bedeutung. Die an dieser Stelle stets zitierte<br />
Tagebucheintragung über das Finden der Farbe setzen wir als bekannt voraus. Darüber hinaus<br />
brachte die Tunisreise die Befreiung vom zeichnerischen Gerüst als bis dahin unerlässliches<br />
sekundierendes Mittel für die bildnerische Gestaltung <strong>einer</strong> Bildkomposition aus der<br />
Farbe. Ebenso fand Klee sein bildnerisches Gestaltungsverfahren in der Beschränkung auf<br />
das wesentliche der optischen Erfahrung. Dies stellt er in <strong>einer</strong> freien Bildsprache aus geometrisch<br />
geprägten Formen und spektral beeinflusster Farbwerte dar 71 . Das Entscheidende<br />
war also auch für Klee nicht die bildliche Wiedergabe des Ortes, sondern die Frage, wie gemalt<br />
werden kann.<br />
Die Beispiele dieser drei <strong>Maler</strong> reichen wohl aus um zu sehen, dass ein Vergleich zwischen<br />
dem Orientalismus, wie er im ausgehenden 19. Jahrhundert und zu Beginn des 20. Jahrhunderts<br />
praktiziert wurde, und den Werken der Künstler nicht ohne weiteres möglich ist. Und<br />
zwar deshalb, weil den Orientalisten schließlich 72 der zu malende Gegenstand das primäre<br />
Anliegen war, die malerische Umsetzung eines bestimmten Themas, <strong>einer</strong> Szene, <strong>einer</strong><br />
Landschaft, während Künstler wie Matisse, Klee, Macke sich mit dem Problem der Malkunst<br />
beschäftigten und dies mehr oder weniger zufällig anhand orientalischer, besser: exotischer<br />
Gegenstände zu bestimmten Lösungen führte, die aber nicht isoliert von ihrem sonstigen<br />
Oeuvre gesehen werden können.
- 49 -<br />
Max Slevogt reiste 1914 zu einem sechswöchigen Aufenthalt nach Ägypten. In dieser Zeit<br />
entstanden 21 Gemälde und einige Aquarelle, die aber nicht mehr alle erhalten sind 73 . Sie "...<br />
gehören zum stärksten an r<strong>einer</strong> <strong>Maler</strong>ei, was Slevogt geschaffen hat. Nimmt man die Aquarelle<br />
dieser Reise mit dazu (im Besitz eines Privatsammlers), so drängt sich eine Fülle s<strong>einer</strong><br />
besten <strong>Maler</strong>ei auf das Jahr 1914 zusamnlen" 74 . So beschreibt Will Grohmann die in Ägypten<br />
entstandenen Arbeiten Slevogts. Er sieht sie als Krone des bis dahin vorliegenden Schaffens<br />
Max Slevogts. Und in der Tat, vergleicht man sie mit den zuvor entstandenen Landschaftsbildern,<br />
so scheint hier hinsichtlich Komposition und malerischer Gestaltung das "Resultat<br />
<strong>einer</strong> zwanzigjährigen Bemühung" 75 vorzuliegen. Slevogts impressionistischer Malweise mit<br />
ihrer Flüchtigkeit und Skizzenhaftigkeit kommt das Reiseland Ägypten mit seinen sich bietenden<br />
Motiven sehr gelegen. Das gleißende Licht, die für Europäer so ungewohnt starke<br />
Helligkeit, die alles Gegenständliche aufzulösen scheint, ist in Slevogts sehr flüchtig gemalten<br />
Bildern, die alle vor Ort entstanden, sehr wirkungsvoll wiedergegeben. Die geheimnisvolle<br />
atmosphärisch-verschwommene Weite, ein beliebtes Stilprinzip der impressionistischen<br />
<strong>Maler</strong>ei 76 , ist gerade diesen Bildern Slevogts in hohem Maße zueigen. Zwar gelingt Slevogt<br />
damit eine der gelungensten Umsetzungen orientalischer Landschaften ins Bild, aber ob<br />
man hier von Orientalismus sprechen kann, möchte ich doch zumindest in Frage stellen.<br />
Eine Parallele mit August Macke drängt sich insofern auf, als auch bei ihm das afrikanische<br />
Werk, wie gezeigt wurde, als Summe s<strong>einer</strong> bis dahin geleisteten Arbeit gesehen werden<br />
kann, also eher als Abschluss denn als Einschnitt oder gar als neuer Abschnitt innerhalb<br />
s<strong>einer</strong> Entwicklung. Neue Impulse für das nachfolgende Schaffen gingen auch für Slevogt<br />
aus dieser Reise nicht hervor.<br />
Insofern ist auch eine Einordnung Slevogts in den Bereich Orientalismus zumindest problematisch.<br />
<strong>Der</strong> Ägypten-Aufenthalt blieb eine einmalige Episode, den Orient besuchte er danach<br />
nicht wieder. Das entscheidende Kriterium ist aber wohl, dass sein Werk durch diese<br />
Bilder zwar immens bereichert wurde, dass es aber nicht dadurch geprägt wurde, wie dies<br />
bei den Orientalisten der Fall ist. Sein künstlerischer Rang wäre ohne diese Bilder sicher<br />
nicht geringer.<br />
Damit ist ein Vergleich mit den Arbeiten <strong>Kurt</strong> <strong>Kühn</strong>s, wie auch bei den zuvor genannten <strong>Maler</strong>n,<br />
schwierig, da zu große fundamentale Unterschiede zwischen beiden Künstlern herrschen,<br />
doch soll trotz alledem nicht ganz darauf verzichtet werden. Zwei Beispiele sollen<br />
herangezogen werden: Abb. 121 und 122. <strong>Der</strong> 'Sandsturm in der lybischen Wüste', Abb.<br />
121, ist <strong>Kurt</strong> <strong>Kühn</strong>s Kat. Nr. 37 Abb. 20 und Kat. Nr. 48 Abb. 27 vergleichbar. Auf <strong>einer</strong> Anhöhe<br />
im rechten Vordergrund halten zwei Kamelreiter inne, während der Blick des Betrachters<br />
in das dahinter liegende weite Land schweifen kann. Slevogt beschränkt sich auf wenige<br />
Farben, helles. Ocker, sandfarbene Töne verschiedener Abstufungen, heller Himmel, lediglich<br />
die beiden Reiter bringen ein wenig Farbe ins Bild. Entsprechend dem durch den<br />
Sandsturm verwischten Gesamteindruck ist die flüchtige Malweise. Hier schon zeigt sich<br />
<strong>einer</strong> der entscheidenden Unterschiede zwischen Slevogt und <strong>Kühn</strong>. Malte <strong>Kurt</strong> <strong>Kühn</strong> Landschaften<br />
und Personen in <strong>einer</strong> Alltäglichkeit, in mehr an getreue Wiedergabe grenzenden<br />
Darstellungen, so wählt Slevogt Motiv und Moment in <strong>einer</strong> Weise, die s<strong>einer</strong> impressionistischen<br />
Natur entsprechen. Zugespitzt formuliert hieße das: <strong>Kurt</strong> <strong>Kühn</strong> geht vorn Gegenstand<br />
aus und sucht eine angemessene Darstellung, während Slevogt von s<strong>einer</strong> künstlerischen<br />
Tradition ausgehend das entsprechende Motiv wählt. In beiden Fällen kommt es dabei zu<br />
durchaus gelungenen Lösungen, doch darf der grundsätzlich unterschiedlich~ Ansatz nicht<br />
außer acht gelassen werden, auch wenn das Resultat mitunter verblüffend ähnlich ausfällt,<br />
wie z.B. Abb. 122.<br />
Nach diesem versuchten Vergleich mit Werken anderer <strong>Maler</strong>, die sich mit dem Orient beschäftigten,<br />
sowie auf dem Hintergrund des Orientalismus des ausgehenden 19. Jahrhun-
- 50 -<br />
derts kann in <strong>Kurt</strong> <strong>Kühn</strong> ein Künstler gesehen werden, der diese Tradition fortzusetzen versuchte<br />
und über diesen <strong>Versuch</strong> hinaus eine Neubelebung dieser Gattung erreichte.<br />
Er ging von den traditionellen Themen des Orientalismus aus. Die Darstellungsweise ist aber<br />
völlig frei von jeder theaterhaften Inszenierung oder anekdotisch erzählenden Elementen, die<br />
den Orientalismus gerade so beliebt gemacht hatten und ihn in die Nähe der Salonmalerei<br />
abrutschen ließen. <strong>Kurt</strong> <strong>Kühn</strong> schilderte das tägliche Leben in Algerien in völlig unprätentiöser<br />
Weise. Er gibt kleine Ausschnitte aus Ortschaften, von Märkten oder sehr direkte Präsentationen<br />
einzelner Personen, ohne in die Gefahr zu geraten, das Bildmotiv zum exotischen<br />
Kuriosum geraten zu lassen. Er zeigt die Menschen in ihrer Würde, in ihrer Unnahbarkeit, die<br />
sie den Europäern gegenüber vielfach zeigten 77 . Auch die Landschaften sind von der Bemühung<br />
um eine objektive Wiedergabe gekennzeichnet, bei gleichzeitigem Bestreben, den spezifischen<br />
Charakter im Bild festzuhalten.<br />
Die Mittel der Darstellung wurden durch diese Anliegen in starkem Maße geprägt. Außer<br />
dass die Palette sich gegenüber den vorausgegangenen Arbeiten grundsätzlich veränderte<br />
zugunsten sehr heller Farben, legte sich <strong>Kurt</strong> <strong>Kühn</strong> stets eine Beschränkung der Farbwahl<br />
innerhalb eines Bildes auf. Nachdem zunächst zwei koloristische Strömungen - die eine<br />
durch Rosa, Blau und Weiß, die andere durch Ocker, Braun, Oliv und Blau gekennzeichnet -<br />
nebeneinander hergingen, wobei stets auf relativ starke Kontraste und die malerische Wirkung<br />
von Licht und Schatten Wert gelegt wurde, zeichnet sich um 1912 der <strong>Versuch</strong> <strong>einer</strong><br />
Synthese ab. Die Bilder sind von <strong>einer</strong> atmosphärischen Gesamtstimmung gekennzeichnet,<br />
das Licht, gleichmäßig hell, bildet keine ausgeprägten Schatten mehr, die Farben werden<br />
insgesamt noch heller und haben weniger Strahlkraft und nähern sich gegenseitig an. Leider<br />
lässt der Verlust des gesamten Werkes aus dem Jahre 1914 diesen Weg nicht weiter verfolgen.<br />
<strong>Kurt</strong> <strong>Kühn</strong> hat also in Afrika nicht nur eine Tradition sinnvoll neubelebt, er hat darüber hinaus<br />
zu einem neuen Stil gefunden, der für seine weitere künstlerische Entwicklung die Grundlage<br />
bildet.
Anmerkungen Teil II<br />
- 51 -<br />
1. <strong>Kühn</strong>, <strong>Kurt</strong>: Aufzeichnung über den Afrikaaufenthalt (I), ohne Titel, maschinenschriftlich,<br />
nicht veröffentlicht<br />
2. Encyclopedia of World Art, Vol. V, New York, Toronto, London, 1961, col. 297-311<br />
'Exotism'<br />
3. a.a.O., col. 297<br />
4. a.a.O., col. 297<br />
5. a.a.O., col. 297<br />
6. So gab es beispielsweise seit 1893 die 'Société des peintres orientalistes français',<br />
die auch in einem eigenen Salon ausstellte.<br />
7. Vgl. A. Celebonovic, Bürgerlicher Realismus. Die Meisterwerke der Salonmalerei,<br />
Berlin, 1974, S.112-119: Kapitel 'Orientalismus'<br />
Katalog: Le salon imaginaire. Bilder aus den großen Kunstausstellungen der zweiten<br />
Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts, Berlin, 1968<br />
8. Celebonovic, a.a.O., S.116f.<br />
9. Sowohl in der römischen Antike wie im Mittelalter, um nur zwei Beispiele zu nennen,<br />
wurden gern exotische Elemente in die Kunst einbezogen.<br />
10. Jullian, Philippe; Les Orientalistes, Fribourg, 1977, S.13<br />
11. Bezombes, Roger: L'exotisme dans l'art et la pensée, Elsevier, 1953<br />
12. Jullian, P., a.a.O.<br />
13. Vgl. Jullian, P., a.a.O.<br />
14. Im Artikel 'Exotism' der Encyclopedia of World Art wird dies allen Ernstes behauptet,<br />
jedoch setzt sich die ungebrochene Tradition des Orientalismus bis in unsere Tage<br />
fort, wenn auch die Länder, in die heute Künstler reisen, andere sind. Frau Lynné<br />
Thornton hat dies aufgrund ihrer bisher noch nicht veröffentlichten Forschungen festgestellt.<br />
15. Frau Lynné Thornton wird demnächst eine Dokumentation über den Orientalismus im<br />
20. Jahrhundert veröffentlichen. Dabei wird aber nur der französische Aspekt berücksichtigt.<br />
16. Katalog: Mahmal et Attaticpes. Peintres et Voyageurs en Turquie, en Egypte et en<br />
Afrique du Nord, Paris, 1975/76<br />
17. Katalog: Eastern Encounters. Orientalist Painters of the Nineteenth Century, London,<br />
The Fine Art Society, 1978<br />
18. Enzensberger, Hans Magnus: Einzelheiten I. Bewusstseins Industrie, Frankfurt/M.<br />
8<br />
1973, S. 182<br />
19. Katalog, Mahmal et Attatiches, a.a.O., S. 52<br />
20. Enzensberger, a.a.O., S. 198<br />
21. Enzensberger, a.a.O., S. 190<br />
22. Vgl. Shinoda, Yujiro: Degas. <strong>Der</strong> Einzug des Japanischen in die französische <strong>Maler</strong>ei,<br />
Diss. Köln, <strong>1957</strong>, S. 5ff. Zwar liegt, wie Shinoda nachwies, die eigentliche Entdeckung<br />
des japanischen Holzschnittes durch den Pariser Graveur Braquemopd einige Jahre<br />
früher, nämlich 1856, die Weltausstellungen spielten jedoch bei der weiteren Verbreitung<br />
eine große Rolle.<br />
23. Hofmann, Werner: Das irdische Paradies, München, 2 1974, S. 86<br />
24. a,a,0., S. 111
- 52 -<br />
25. Vgl. hierzu: Meier-Gräfe, J. (Hrsg.): Die Weltausstellung in Paris 1900, Paris, Leipzig,<br />
1900<br />
26. Katalog: Mahmal et Attatiches, a.a.O., S. 77<br />
27. a.a.O., S. 62<br />
28. a.a.O., S. 62<br />
Leider sind keine Kataloge dieser Ausstellungen mehr erhalten. Zunächst waren sie<br />
den Katalogen der jährlichen Salons angeheftet, später erschienen sie als selbständige<br />
Kataloge, die aber nicht illustriert waren (freundliche Mitteilung Frau Lynné<br />
Thornton).<br />
29. Katalog: Mahmal et Attatiches, a.a.O., S. 77<br />
30. Katalog: Mahmal et Attatiches, a.a.O., S. 36<br />
31. a.a.O., S. 35f<br />
32. a.a.O., S. 43<br />
33. a.a.O., S. 43<br />
34. zitiert nach Katalog: Mahmal et Attatiches, a.a.O., S. 43<br />
35. Katalog: Mahmal et Attatiches, a.a.O., S. 52<br />
36. a,a.0., S. 52<br />
37. a.a.O., S. 62<br />
38. Benedite, Leonce in: Art et Décoration, 1903, S. 305-315<br />
39. Freundliche Mitteilung Frau Lynné Thornton<br />
40. Etienne Bouchaud nennt in seinem Aufsatz 'La Villa Abd-el-Tif et Jean Alazard' in:<br />
Alazard, Jean: Souvenirs et Melanges, Paris, 1963, S. 101f das Jahr 1906 als Gründungsdatum.<br />
Lynné Thornton nennt im Katalog Mahmal et Attatiches, a.a.O., das Jahr 1907. Eine<br />
Überprüfung war leider nicht möglich.<br />
41. Katalog: Eastern Encounters, a.a.O., S. 8f<br />
42. Jullian, P., a.a.O., S. 124<br />
43. Jullian, P., a.a.O., S. 124<br />
Eine eigenständige Untersuchung zu dieser nordafrikanischen Schule liegt nicht vor,<br />
weshalb detaillierte Angaben nicht möglich sind.<br />
44. Theophile Gautier in: Abécédaire du Salon de 1861, zitiert nach: Jullian, P., a.a.O., S.<br />
124<br />
45. <strong>Kurt</strong> <strong>Kühn</strong>, Aufzeichnungen über Afrika (I), maschinenschriftlich, nicht veröffentlicht<br />
46. Freundliche Mitteilung Frau Lynné Thornton<br />
47. Eine Ausnahme stellt die Dissertation Uta Laxners dar: Uta Laxner: Stilanalytische<br />
Untersuchungen zu den Aquarellen der Tunisreise 1914: Macke, Klee, Moillet, Diss.<br />
Bonn, 1967. Doch wie der Titel schon angibt, geht es hier um Stilvergleiche, Orientalismus<br />
oder Exotismus spielen in der Fragestellung dieser Arbeit keine Rolle. Anhand<br />
einzelner Künstler wird diese Frage öfters gestellt, zum Beispiel in: Wedewer, Rolf:<br />
Landschaftsmalerei zwischen Traum und Wirklichkeit. Idylle und Konflikt. Köln, 1978,<br />
S. 166-177, Kapitel: Gauguins Flucht in die exotische Ferne.<br />
48. dokumentiert durch die Kataloge:<br />
Eastern Encounter, a.a.O.<br />
Mahmal et Attatiches, a.a.O.<br />
North African Traveller. Casablanca to Cairo, London,1974<br />
sowie: Jullian, P., a.a.O.
- 53 -<br />
49. abgebildet in: Jullian, P., a.a.O., S. 139<br />
50. abgebildet in: Jullian, P., a.a.O., S. 120<br />
51. abgebildet in: Jullian, P., a.a.O., S. 159<br />
52. Celebonovic, A., a.a.O., S. 112<br />
53. a.a.O., S. 112<br />
54. abgebildet in: Jullian, P., a.a.O., S. 57<br />
55. abgebildet in: Jullian, P., a.a.O., S. 119<br />
56. abgebildet in: Alazard, J.: l'Orient et la peinture français en XIX e siècle d'Eugène Delacroix<br />
à Gustave Renoir, Paris, 1930, S. 172<br />
57. abgebildet in: Jullian, P., a.a.O., S. 34<br />
58. abgebildet in: Jullian, P., a.a.O., S. 111<br />
59. abgebildet in: Jullian, P., a.a.O., S. 166<br />
60. <strong>Kurt</strong> <strong>Kühn</strong>, Aufzeichnungen über Afrika (I) [ohne Titel], maschinenschriftlich, nicht veröffentlicht<br />
61. Endgültig kann diese These natürlich erst dann erhärtet werden, wenn eine entsprechende<br />
Untersuchung und damit Vergleichsmaterial über den Orientalismus im 20.<br />
Jahrhundert vorliegt.<br />
62. Barr, Alfred jr.: Matisse. His Art and His Public, New York, 1974, S. 154<br />
63. Barr, a.a.O., S. 154<br />
64. Vgl. Barr,a.a.O., S. 154-156, S. 159f.<br />
65. Barr, a.a.O., S. 154-156, S. 159f.<br />
66. Barr, a.a.O., S. 160<br />
67. Matisse, Henri: Notizen eines <strong>Maler</strong>s, in: Kunst und Künstler VII, 1909, S. 335-347<br />
68. a.a.O., S. 340<br />
69. Laxner, Uta, a.a.O., S. 125<br />
70. Es ist sicher kein Zufall, dass auf mehreren der Tunis-Aquarelle eine Lokalisierung<br />
des Ortes durch das im Bild Dargestellte nicht ohne weiteres möglich ist. Vielfach<br />
könnte es sich aufgrund des Bildgegenstandes genauso gut um Darstellungen aus<br />
Europa handeln. Als Beispiel sei nur das Aquarell 'Helles Haus' (Abb. 120) angeführt.<br />
71. Vgl. Laxner, Uta, a.a.O., S. 152f.<br />
72. Das folgende bezieht sich auf die Spätphase des Orientalismus, also auf die Zeit um<br />
1850/60 und später. Bei Delacroix gerade war die Einheit von darzustellendem Bildgegenstand<br />
und die Beschäftigung mit fundamentalen Fragen der Malkunst sicherlich<br />
noch vorhanden.<br />
73. Imiela, H.-J.: Max Slevogt, Karlsruhe, 1968, S. 174<br />
74. Grohmann, Will: Slevogts Reisebilder aus Ägypten in der Dresdner Gemäldegalerie,<br />
in: Cicerone XX, 1928, S. 594-597, hier: S. 594<br />
75. a.a.O., S. 596<br />
76. Hamann, Richard und Jost Hermand: Impressionismus. Epochen deutscher Kultur<br />
von 1870 bis zur Gegenwart, Band III, München, 2 1974<br />
77. <strong>Kurt</strong> <strong>Kühn</strong> hat in seinen Aufzeichnungen über den Afrika Aufenthalt mehrfach darauf<br />
hingewiesen.
Teil III<br />
- 54 -<br />
1.1. Arbeiten aus der Gefangenschaft, 1914-1919<br />
Im August 1914 geriet <strong>Kurt</strong> <strong>Kühn</strong> in Algerien in französische Gefangenschaft und blieb bis<br />
1919 als Zivilgefangener interniert. Zunächst in Cap Matifou bei Algier, ab Mitte 1915 in Berrouaghia<br />
festgehalten, wurde er im Mai 1916 nach Garaison in den Hautes Pyrenées gebracht,<br />
Ende 1918 wurde er nach Verviers verlegt, von wo er dann nach Deutschland fliehen<br />
konnte.<br />
Von den in dieser Zeit entstandenen Gemälden sollen die Portraits hier nicht berücksichtigt<br />
werden, da an anderer Stelle die Portraits im Gesamtzusammenhang betrachtet werden.<br />
Somit stehen hier die Gemälde Kat. Nr. 89-92, 85, 95-99, 103-108, 110-113, 115-118 zur<br />
Debatte.<br />
Zwar ist ein Teil dieses Werkes in Afrika entstanden, doch haben diese Bilder mit den als<br />
afrikanisch Bezeichneten motivisch wie auch in malerischer Hinsicht so wenig gemein, dass<br />
der Zusammenhang mit den übrigen Bildern aus der Gefangenschaft größer ist und sie deshalb<br />
in diesem Zusammenhang gesehen werden.<br />
Aus Cap Matifou, der ersten Station der Gefangenschaft, stammen zweifellos die Bilder Kat.<br />
Nr. 89, Kat. Nr. 90 Abb. 53, Kat. Nr. 91, Kat. Nr. 92 Abb. 54. Keines von ihnen ist signiert,<br />
lediglich Nr. 92 Abb. 54 trägt die eigenhändige Bleistiftbezeichnung 'April 15'. Da alle vier<br />
Bilder dasselbe Motiv zeigen, einen Streifen Land, hinter dem das Meer sichtbar wird, das<br />
von einem Höhenzug eingeschlossen ist, Berrouaghia aber, die nächste Station der Gefangenschaft,<br />
weit im Landesinnern lag, ist die Lokalität somit gesichert.<br />
Abgesehen davon, dass alle vier Bilder denselben Ort mit etwas wechselndem Standpunkt<br />
zeigen, sind sich Nr. 90-92 (Abb. 53, 54) auch auffallend ähnlich in der Farbe. Kat. Nr. 89 ist<br />
etwas heller, die Farbe geht insgesamt mehr ins Gelb. Außerdem ist in diesem Bild, im Gegensatz<br />
zu den anderen, am linken Bildrand ein etwas größeres, auf der Bildmitte ein kl<strong>einer</strong>es<br />
Gebäude zu sehen. Nicht nur der Standpunkt des <strong>Maler</strong>s wechselt in den Bildern, auch<br />
die Perspektive. Nr. 89 ist in starker, Kat. Nr. 92 Abb. 54 in etwas schwächerer Draufsicht,<br />
Kat. Nr. 90 eher in Untersicht gemalt, so dass das Meer fast völlig verschwindet, während in<br />
Nr. 91 Betrachter und die in den Liegestühlen sitzenden Personen sich auf etwa derselben<br />
Höhe befinden. Landschaftsstreifen, Meer, Bergzug und der darrüberliegende Himmel sind in<br />
bildparallelen Streifen angeordnet. <strong>Der</strong> landschaftliche Vordergrund nimmt jeweils den größten<br />
Raum ein, um die sitzenden Personen zu beherbergen. Sie sind es, die den Bildern die<br />
Raumtiefe geben, mit Ausnahme von Kat. Nr. 92 Abb. 54, wo eine Dame mit weißem Sonnenschirm<br />
und ein lesender Mann sich an einem kleinen Tisch gegenüber sitzen. Sie sind<br />
bildparallel am vorderen Bildrand platziert.<br />
Das erstaunliche an diesen Bildern ist aber weniger das Sujet als die Farbe, die mit den bisherigen<br />
afrikanischen Bildern nichts gemein hat. Sattes Grün, Gelbgrün, kräftiges Blau dominieren<br />
die Bilder. Das helle Grau und das dunkle Blaugrau der Kleidung der Personen kontrastiert<br />
stark zur hellen, leuchtenden Landschaft. Helle Akzente bilden das Holz der Liegestühle,<br />
ein Buch (Kat. Nr. 89), ein weißer Sonnenschirm (Kat. Nr. 90 Abb. 53, Kat. Nr. 92<br />
Abb. 54), eine weiße Tischdecke (Kat. Nr. 92 Abb. 54), deren beschatteter Teil bläulich<br />
schimmert. Die kleinformatigen Bilder sind mit <strong>einer</strong> gewissen Verve gemalt, kräftiger Farb-
- 55 -<br />
auftrag, lockerer Pinselstrich, die Details z.B. der Kleidung sind nicht penibel herausgearbeitet,<br />
sondern pastos hingeworfen. Eine Malweise wie sie z.B. bei Manguin in seinem Bild 'Figures<br />
sur la Plage', 1902 (Avignon, Coll. Claude Manguin) vorkommt (Abb. 124). Allerdings<br />
ist die Farbe bei <strong>Kühn</strong> nicht von jener grellen Leuchtkraft, sondern insgesamt erscheint sie<br />
mehr ins Graublau gebrochen. Eine Entwicklung, die auch bei Vertretern der Fauves zu diesem<br />
Zeitpunkt zu beobachten ist 1 .<br />
Auch die Pinselführung ist nicht so expressiv wie beispielsweise bei den deutschen Impressionisten,<br />
steht <strong>Kurt</strong> <strong>Kühn</strong> doch innerhalb der Farbwahl einem Liebermann oder Slevogt zu<br />
jener Zeit noch recht nahe. Die Tonigkeit, die bei Liebermann allerdings ganz besonders<br />
stark ausgeprägt ist, kann als das verbindende Element gelten.<br />
Statt dass also der Pinselstrich den Bildeindruck in einem Maße mitbestimmt, wie das gerade<br />
bei Slevogt der Fall ist, arbeitet <strong>Kühn</strong> eher mit kleinen, in sich sehr konsistenten Farbflächen,<br />
aus denen sich das Bild aufbaut. Er greift damit Gestaltungsmittel, die schon in der<br />
Pariser Zeit ausgebildet waren, wieder auf.<br />
Die Gestaltung der Belaubung der Bäume in Kat. Nr. 96 Abb. 57, Kat. Nr. 97 und Kat. Nr. 98<br />
Abb. 54 stehen der Gestaltung der Bäume in 'Boulevard de Vaugirard', Kat. Nr. 12 Abb. 6,<br />
sehr nahe, sieht man von dem völlig verschiedenen Blickwinkel und dem Stellenwert der<br />
Bäume in der jeweiligen Komposition ab.<br />
Eine weitere Gruppe bilden aufgrund desselben B1ldthemas Kat. Nr. 85, Kat. Nr. 96 Abb.57,<br />
Kat. Nr. 97, Kat. Nr. 98 Abb. 58. Kat. Nr. 85 dürfte aufgrund der Datierung 'XII.14' in Cap Matifou,<br />
die anderen drei aber in Berrouaghia entstanden sein.<br />
Kat. Nr. 96 Abb. 57 und Kat. Nr. 98 Abb. 58 sind vom Bildgegenstand her fast identisch, letzteres<br />
ist in der Farbe etwas kräftiger. An einem breiten weiß bedeckten Tisch, der sich von<br />
der rechten unteren Bildkante her in die Bildtiefe nach links erstreckt, sitzen beidseitig mehrere<br />
Personen. Sie werden von hochstämmigen Bäumen überragt, die den am Tisch Sitzenden<br />
Schatten spenden. Rechts im Mittelgrund schimmert ein kleines Haus durch die Baumstämme,<br />
in Nr. 98 Abb. 58 ist durch die Baumkronen ein wenig blauen Himmels zu sehen. Ist<br />
in Nr. 96 Abb. 57 mehr Wert auf eine gleichmäßige Helligkeit gelegt, indem die am Tisch<br />
Sitzenden weiße Hemden tragen, auf denen sich wie auf dem Tisch der Schatten nur sehr<br />
schwach bemerkbar macht, so sind die Kontraste von Hell und Dunkel in Nr. 98 Abb. 58<br />
schärfer herausgearbeitet. Die Kleidung der Menschen ist dunkel im Gegensatz zum hellen<br />
Tisch, die Schatten auf demselben sind scharf dunkel gezeichnet, zum hellen Blattwerk der<br />
Bäume steht der dunkelblaue Himmel im Gegensatz.<br />
Kat. Nr. 97 ist eine ausgesprochen bildparallele Komposition. In halber Tiefe des rosabraunen<br />
Vordergrundstreifens erheben sich beidseitig nahe dem Bildrand je ein Baum, dessen<br />
Krone durch den oberen Bildrand abgeschnitten wird. Auf einem etwas höher liegenden<br />
Streifen sitzen neun Personen auf <strong>einer</strong> Bank zwischen Bäumen, die durch ihre geringe tiefenräumliche<br />
Distanz wie aufgereiht erscheinen. Dahinter eine Zone von niedrigeren Bäumen<br />
oder Buschwerk, dessen helleres Blattwerk unterhalb der dunkleren Baumkronen der<br />
vor ihnen stehenden Bäume endet. Das Bild wird durch eine in der Mitte sitzende Frau zentriert,<br />
deren hellblaues Kleid sich von der dunklen Kleidung der anderen Männer abhebt, die<br />
außerdem von stehenden Männern flankiert wird, sowie durch zwei helle Flecken auf dem<br />
Erdboden, die von den unteren Bildecken ausgehend sich diagonal zur Bildmitte hin erstrecken,<br />
in deren Mittelpunkt ein Kaktusgewächs steht. Dazu tragen auch die beiden am Bildrand<br />
befindlichen vorgezogenen Baumstämme bei. Das Bild, das zunächst langweilig er-
- 56 -<br />
scheint, bekommt dadurch einen starken inneren Zusammenhalt. In der Farbe liegt es zwischen<br />
den beiden schon besprochenen Bildern. Es fehlt das Weiß des ersten Bildes, der<br />
Vordergrund sowie der relativ helle Himmel, der durch das Blätterdach durchschimmert. Somit<br />
ist dieses Bild von der Helligkeit von Nr. 96 Abb. 57 genau so weit entfernt wie von den<br />
insgesamt dunkleren, dafür aber kräftigeren Farben des Bildes Nr. 98 Abb. 58. Licht und<br />
Schatten sind als solche nicht wahrnehmbar, sondern sind in helle und dunklere Farbtöne<br />
aufgelöst.<br />
Das Motiv der unter sonnenbeschienenen Bäumen sitzenden Menschen, deren Kleidung mit<br />
den durch die Baumkronen fallenden Sonnenflecken ein lebhaftes Spiel von Farben sowie<br />
von Hell und Dunkel ergibt, kennen wir aus dem Impressionismus, vor allem dem eines Liebermann.<br />
Doch ist bei <strong>Kühn</strong> erstens weniger Wert auf den Kontrast von Hell und Dunkel gelegt,<br />
außerdem ist die Farbe nicht so tonig wie gerade bei Liebermann, sondern sie könnte<br />
eher als eine Verbindung aus der Graufarbigkeit des deutschen Impressionismus und den<br />
leuchtenden Farben der Fauves verstanden werden. Auch in Details lässt sich das nachweisen,<br />
so ist zum Beispiel die Gestaltung des Gesichtes der Frau in Nr. 98 Abb. 58 ganz ähnlich<br />
wie es z.B. in Manguins 'Figures sur la Plage', 1902 (Avignon, Collection Claude Manguin),<br />
geschieht (Abb. 124). Mit einem geformten Farbklecks, dessen Kontur dunkel umrandet<br />
ist, wird der Kopf gebildet. Eine individuelle Ausgestaltung oder gar Portraitähnlichkeit wird<br />
nicht angestrebt.<br />
Auch motivische Rückgriffe geschehen. So ist die Komposition der unter Bäumen sitzenden<br />
Menschen Kat. Nr. 96 - 98 Abb. 57, 58 schon in dem Bild von 1909 Kat. Nr. 25 vorweg genommen.<br />
Allerdings hat in dem früheren Bild der Wald das Übergewicht, während in den<br />
Bildern aus der Gefangenschaft die Personen im Vordergrund stehen. Sie sind viel weiter an<br />
den vorderen Bildrand gerückt, der Tisch wird angeschnitten, eine viel direktere Präsentation<br />
wird durch den Ausschnittcharakter, den das Bild hat, erreicht.<br />
<strong>Der</strong> Sinn fürs <strong>Maler</strong>ische kommt in der kleinen Gelegenheitsarbeit Kat. Nr. 95 Abb. 56 zum<br />
Ausdruck. Eine kleine Hütte unter Bäumen, wackelig, baufällig. Nach seinen Aufzeichnungen<br />
über die Gefangenschaft zu schließen, könnte es sich um eine Behausung handeln, die den<br />
Gefangenen zugeteilt wurde. Insofern wäre eher ein sich empörender Realismus der Darstellung<br />
zu erwarten, nicht aber jene ausgesprochen idyllische, poetische Art der Schilderung.<br />
Das Bild Kat. Nr. 99 Abb. 59 steht in der Farbe den afrikanischen Bildern am nächsten, da es<br />
sehr viel Rosa und Brauntöne verwendet. Doch während die Farben in den afrikanischen<br />
Bildern strahlend, leuchtend waren, mit Weiß und kräftigem Blau kontrastiert, ist nun eine<br />
Gestaltung gewählt, die Ton in Ton gemalt ist, alle Farbe stark ins Graue gebrochen und<br />
damit etwas trist, melancholisch wirkend.<br />
Ein die gesamte Bildbreite einnehmender Weg erstreckt sich stark verjüngend in die Bildtiefe.<br />
Auf der linken Seite wird er von einem niedrigen Gebäude gesäumt, im rechten Vordergrund<br />
grenzt ein Baumstamm das Bild ab, hinter dem ein wohlbeleibter Mann hervorschaut.<br />
Mehrere Personen gehen auf dem Weg in verschiedenen Richtungen. <strong>Der</strong> Blick in die Tiefe<br />
wird durch ein querstehendes Gebäude blockiert. Darüber erhebt sich blassblauer Himmel.<br />
Bei aller Zurückhaltung kommt doch das Eingesperrtsein recht anschaulich zur Geltung. Die<br />
Menschen können nur nach vorne oder in die Bildtiefe gehen, ein seitliches Ausweichen ist<br />
nicht möglich.
- 57 -<br />
In Garaison malte <strong>Kurt</strong> <strong>Kühn</strong> mehrere Ansichten desselben Gebäudes aus verschiedenen<br />
Blickwinkeln zu verschiedenen Jahreszeiten. Es handelt sich wahrscheinlich um die Unterkunft<br />
der Gefangenen, die sie zunächst nur in Begleitung von Militär zeitweise verlassen<br />
durften. Diese Bilder - Kat. Nr. 103 - 108, Abb. 63, 64 - stammen alle aus dem Jahre 1916,<br />
bis auf Kat. Nr. 105 und 108 sind sie alle signiert.<br />
Sie sind nach drei verschiedenen Mustern aufgebaut: Ein breiter Vordergrund, der in mehreren<br />
hintereinander liegenden Querstreifen sich in die Bildtiefe erstreckt, gibt den Blick auf<br />
das höher stehende Gebäude frei (Kat. Nr. 103, 107). Oder aber der Vordergrund wird durch<br />
Bäume, die mit zunehmender Distanz näher beieinander stehen, raumperspektivisch angelegt,<br />
um den Blick auf das im Hintergrund erscheinende Gebäude zu führen (Kat. Nr. 105,<br />
Kat. Nr. 108 Abb. 64). In den Vordergrund des Bildes ragen Bäume und Gebüsch, die sich<br />
vorhangartig öffnen und in mehr oder weniger großer Distanz das Haus zeigen (Kat. Nr. 104,<br />
Kat. Nr. 106 Abb. 63). Das letzte Kompositionsprinzip ist wiederum keine neue Erfindung,<br />
sondern bereits in dem Bild 'Le Parc' von 1908, Kat. Nr. 22 Abb. 11, angewandt worden.<br />
Diese Komposition kam auch in den afrikanischen Bildern in vergleichbarer Weise in Kat. Nr.<br />
61 Abb. 33 und Kat. Nr. 62 Abb. 34 vor.<br />
Stehen die Bilder Kat. Nr. 103 - 105 in der Farbe denen aus Berrouaghia nahe - grün und<br />
blau mit rosabraun und weißen Akzenten geben den Bildern einen etwas kühlen Grundton -<br />
so sind die folgenden drei Ansichten aus Garaison durch ihre ausgesprochen warme Farbe,<br />
die sich aufgrund des hohen Gelbanteils im Bild erklärt, sehr unterschieden. Selbst das Bild<br />
Kat. Nr. 108 Abb. 64, das im November 1916 entstand, strahlt diese Wärme aus, es wird von<br />
einem goldgelben Licht überzogen.<br />
Aus den folgenden Jahren 1917 und 1918 stammen die Kat. Nr. 110 - 113 und 116 - 118,<br />
Abb. 65. Sie zeigen Landschaften, wohl aus der näheren Umgebung Garaisons. Von einem<br />
erhöhten Standpunkt aus geht der Blick in das weite, tiefer liegende hügelige Land. In Kat.<br />
Nr. 110 - 113 ist wieder das Prinzip des durch Bäume überragten Vordergrundes aufgenommen.<br />
In den Bildern Kat. Nr. 110, 111 nimmt eine kleine Hügelkuppe den Vordergrund<br />
ein, sie trägt zwei (Kat. Nr. 110) oder drei (Kat. Nr. 111) Personen, die ins Land schauen, als<br />
Rückenfiguren gemalt, ein Motiv, das seit der Romantik sehr beliebt ist.<br />
Das Bild Kat. Nr. 117 Abb. 65 zeigt nochmals eine Szene aus dem täglichen Leben der Gefangenen,<br />
die morgendliche Toilette im Freien. Es entstand 1918; eine zweite Fassung, die<br />
eine Studie hierzu darstellen dürfte, Kat. Nr. 118, ist nur um weniges kl<strong>einer</strong> und weicht insgesamt<br />
nur geringfügig von der endgültigen Fassung ab. An einem Zaun, der an der rechten<br />
Bildkante beginnt und sich schräg in di~ Tiefe erstreckt, sind die Waschgelegenheiten angebracht.<br />
Fünf Männer mit nacktem Oberkörper sind gerade dabei sich zu waschen oder haben<br />
diese Prozedur schon hinter sich gebracht. Hinter dem Zaun breitet sich dichtes Grün aus,<br />
das den gesamten Hintergrund ausfüllt und nur eine kleine Ecke Himmels sichtbar werden<br />
lässt.<br />
Die fünf Männer bilden einen Keil, dergestalt, dass die vorderen sich bücken, während die<br />
letzten beiden aufrecht stehen, wobei der vordere seinen Kopf gesenkt hält. Nun sind sie<br />
aber nicht in <strong>einer</strong> Linie aufgereiht, sondern die beiden stehenden Männer befinden sich weiter<br />
im Vordergrund. Die ganze Szene spielt sich in hellem, warmem Sonnenlicht ab. Das<br />
Grün der Bäume spielt stark ins Gelbe, die Sonne bildet scharfe Schatten auf Körper und<br />
Kleidung der Männer, der Boden wird durch Schatten und sonnenbeschienene Stellen belebt.
- 58 -<br />
Während <strong>einer</strong>seits motivische Rückgriffe innerhalb dieser Werkgruppe geschehen, werden<br />
andererseits die Erfahrungen des Afrika-Aufenthaltes eingebracht.<br />
Sind einzelne Kompositionsweisen, wie zum Beispiel das Motiv der unter Bäumen sitzenden<br />
Menschen (Kat. Nr. 96 - 98 Abb. 57, 58) schon früher (Kat. Nr. 25, 1909) angewandt worden,<br />
so wurden sie doch stark verändert. <strong>Der</strong> Ausschnittcharakter, das Moment des Präsentiert-<br />
Werdens, des Beobachtet-Werdens, das in zahlreichen afrikanischen Bildern eine große<br />
Rolle spielte, wurde hier in ein tradiertes Bildmotiv eingehracht, so dass die Darstellung im<br />
Verhältnis zur früheren sehr viel direkter wirkt. Die Personen verschwinden nicht im Hintergrund,<br />
vielmehr stößt der Betrachter geradezu auf sie.<br />
Auch das Motiv der durch Baumkronen oder Äste verhängten Bildecken taucht wieder auf<br />
(Kat. Nr. 104, Kat. Nr. 106 Abb. 63), wird aber in einem anderen Zusammenhang gebraucht.<br />
Und zwar innerhalb der Komposition bildparalleler Zonen, die gestaffelt werden. Wie noch zu<br />
zeigen sein wird, findet sich diese Kompositionsweise in späteren Bildern <strong>Kurt</strong> <strong>Kühn</strong>s sehr<br />
oft. Das Problem Licht und Schatten im Bild zu verwirklichen, wird nochmals aufgegriffen und<br />
schließlich ganz ähnlich wie in den afrikanischen Bildern gelöst. Statt mit Hell und Dunkel zu<br />
arbeiten, werden verschiedenartige Farben verwandt, Licht und Schatten im strengen Sinn<br />
existieren nicht mehr (Kat. Nr. 97).<br />
Die Farbe ändert sich grundsätzlich zugunsten <strong>einer</strong> insgesamt wieder kräftigeren Palette.<br />
Auf die Leuchtkraft der Farbe wird Wert gelegt, wichtig dabei ist immer ein harmonischer<br />
Gesamtklang der Farben innerhalb des Bildes, so dass niemals Dissonanzen auftreten. Hier<br />
geschieht keine direkte Anknüpfung an die Entwicklung der Farbe in Afrika, es deutet sich<br />
schon an, wie sehr <strong>Kurt</strong> <strong>Kühn</strong> von der jeweiligen Umgebung abhängig war, was die Farbwahl<br />
betrifft.<br />
1.2. Werke aus den Jahren 1919-1925, bzw. aus Holzhausen<br />
Nachdem <strong>Kurt</strong> <strong>Kühn</strong> 1919 nach Deutschland zurückgekehrt war, ließ er sich zunächst in<br />
Holzhausen nieder, wo er seit 1912 ein Haus besaß. Von dort aus versuchte er in Deutschland<br />
wieder Fuß zu fassen, er war von kurzen Unterbrechungen seines Afrika-Aufenthaltes<br />
abgesehen seit 1910 nicht mehr in Deutschland gewesen.<br />
Aufgrund der politischen und wirtschaftlichen Lage war mit der Kunst zunächst nicht viel<br />
Geld zu verdienen. Die Inflation machte auch gerade den Leuten, die von Vermögen lebten,<br />
das Leben nicht gerade leicht. So versuchte er sich mit Hilfe von verschiedenen Hilfsarbeiten<br />
in Holzhausen und Umgebung sowie in München über Wasser zu halten.<br />
Hier entstanden Kat. Nr. 28, Kat. Nr. 29 Abb. 14, Kat. Nr. 121, Kat. Nr. 122 Abb. 67, Kat. Nr.<br />
123, Kat. Nr. 124 Abb. 68, Kat. Nr. 125, 126, 130, 131, 137, 138, 142, Kat. Nr. 143 Abb. 71,<br />
Kat. Nr. 144, Kat. Nr. 148, Kat. Nr. 152 Abb. 74. Die in dieser Zeit entstandenen Portraits<br />
bleiben auch hier ausgeklammert, um sie an anderer Stelle im Zusammenhang zu betrachten.<br />
Die beiden Bilder Kat. Nr. 28 und Kat. Nr. 29 Abb. 14 gehören streng genommen nicht in<br />
diese Gruppe, da sie 1910 entstanden, motivisch sind sie aber besser hier aufgehoben,<br />
gleichzeitig ist es reizvoll und aufschlussreich, sie innerhalb dieser Gruppe mit den zehn Jahre<br />
später entstandenen Bildern zu betrachten.
- 59 -<br />
Das Bild 'Im Baumgarten', Kat. Nr. 29 Abb. 14, signiert und datiert 1910, zeigt zwei Damen,<br />
eine davon ist die Mutter des Künstlers, an einem weiß gedeckten Tisch unter Bäumen sitzen.<br />
Das Bild Kat. Nr. 28, nicht datiert, wohl im selben Jahr entstanden, zeigt denselben Ort 2 .<br />
Diesmal sitzen sich zwei Männer gegenüber. Die Distanz zum Betrachter ist verringert, Beine<br />
und vorderer Teil der rechten Bank werden vorn unteren Bildrand abgeschnitten. Das Bild 'Im<br />
Baumgarten' ist aus verschiedenen Gründen interessant. Das Motiv ist bekannt, es kommt<br />
schon in dem mehrfach er wähnten Bild von 1909 Kat. Nr. 25 vor. Die Anordnung des Tisches<br />
ist in beiden Bildern sehr ähnlich, wie auch die Distanz zum Betrachter und die Perspektive<br />
nahezu identisch sind. Die Frauen sitzen unter <strong>einer</strong> sorgfältig komponierten Baumlaube,<br />
die von zwei Baumstämmen gebildet wird, die in das Bild hineinragen, aufeinander zulaufen,<br />
vom oberen Bildrand aber abgeschnitten werden; sie bilden annähernd die Form eines<br />
gotischen Spitzbogens, unter dem sich der Tisch befindet. Erst dahinter werden die grünen<br />
Baumkronen sichtbar, die aber genügend Licht durchlassen, um die Frauen in der Helle<br />
erscheinen zu lassen. Auch für diese äußerst preziöse Gestaltung der Baumstämme gibt es<br />
eine Vorstufe bei <strong>Kühn</strong>, und zwar im Bild 'Le parc', Kat. Nr. 22 Abb. 11, von 1908. <strong>Der</strong> entscheidende<br />
Unterschied zu jenem Bild liegt aber darin, dass in 'Im Baumgarten', Kat. Nr. 29<br />
Abb. 14, in impressionistischer Manier mit Licht und Schattenreflexen gearbeitet wird, ein<br />
Aspekt, der in 'Le Parc' keine Entsprechung hat. Die Farbkombination von sattem Grün, von<br />
blaugrünen und gelbgrünen Tönen mit Grau-Rosa des Bodens um den Tisch herum und<br />
einem ins Rosa gehenden Braun des Holzes der Sitzbank tritt weder in dem Bild von 1909<br />
Kat. Nr. 25 noch in dem ebenfalls in Holzhausen entstandenen Bild gleichen Themas, Kat.<br />
Nr. 28, auf. Am ehesten ist eine farbliche Verwandtschaft in 'Le parc', Kat. Nr. 22 Abb. 11, zu<br />
sehen, jedoch mit dem Unterschied, dass dort die Farbe insgesamt sehr viel leichter, gewissermaßen<br />
atmosphärisch, wirkt, nicht zuletzt, weil sie dort um einiges heller ist.<br />
Interessant ist aber nun, dass motivisch vergleichbare Bilder aus Berrouaghia, Kat. Nr. 96<br />
Abb. 57 und Kat. Nr. 98 Abb. 58, k<strong>einer</strong>lei farbliche Verwandtschaft mit 'Im Baumgarten', Kat.<br />
Nr. 29 Abb. 14, aufweisen, spätere Bilder aus Holzhausen jedoch, um dies schon vorwegzunehmen,<br />
diese Farbverwandtschaft durchaus zeigen, auch bei völlig anderen Motiven.<br />
Das Bild Kat. Nr. 125, das zu Beginn der zwanziger Jahre in Holzhausen entstanden sein<br />
dürfte, beinhaltet dieselben farblichen Gestaltungsmittel. Zwei Damen schlendern Arm in<br />
Arm auf einem Waldweg auf den Betrachter zu. Sie werden von der starken Sonne, die<br />
durch die Blätterkronen dringt, beschienen, wie das Licht auch auf den Weg und das Laub<br />
helle Lichtreflexe wirft. Dieselben Farben wie in 'Im Baumgarten' beherrschen das Bild: Rosa<br />
des Weges, Grün des Laubes, Weiß und Blau der Kleidung der Damen. Einen (dem Tischtuch<br />
entsprechenden) hellen Akzent setzt die rechte Dame, die, ganz in Weiß gekleidet, einen<br />
weißen Sonnenschirm trägt. Insgesamt sind hier die Farben etwas heller, um eine stärkere<br />
Beleuchtung zu veranschaulichen.<br />
Ganz ähnlich ist Kat. Nr. 124 Abb. 68. An Stelle eines Weges ist hier eine Lichtung gezeigt,<br />
auf der zwei Damen im Spaziergang innehalten. Ein Weg, der auf der Bildmitte verläuft (Kat.<br />
Nr. 123, 125, 131, 148) oder vom rechten (Kat. Nr. 137, 138) oder linken (Kat. Nr. 130) Bildrand<br />
zur Bildmitte hin sich in starker Verkürzung erstreckt, der von Bäumen (Kat. Nr. 125,<br />
137, 138, 148) oder Häusern (Kat. Nr. 130) flankiert wird, ist ein sehr beliebtes Kompositionsmittel<br />
sowohl in der Holzhausener Zeit als auch noch späterhin, um Tiefenraum zu<br />
schaffen. Dies ist natürlich keine neue Erfindung, <strong>Kurt</strong> <strong>Kühn</strong> könnte direkte Vorbilder in seinen<br />
Dresdner Lehrern gehabt haben 3 . Jedoch wirkt dieses bewährte Bildschema auch bei<br />
ihm sehr malerisch.<br />
Eine andere Lösung ist die bildparallele Schichtung von verschiedenen Streifen, womit sich<br />
ebenfalls sehr malerische Effekte erzielen lassen (Kat. Nr. 121, Kat. Nr. 122 Abb. 67, Kat. Nr.
- 60 -<br />
142, Kat. Nr. 144, Kat. Nr. 152 Abb. 74). Auch diese Kompositionsweise wurde nicht erst<br />
jetzt entwickelt, sondern, wie schon erwähnt, wurden die Bilder aus Cap Matifou (Kat. Nr. 89<br />
- 92 Abb. 53, 54) nach demselben Prinzip aufgebaut. Die strengste Komposition in diesem<br />
Sinne ist Kat. Nr. 122 Abb. 67. Im Vordergrund sind Felder zu sehen, die sich aus verschieden<br />
dunklen olivgrün-braunen Streifen zusammensetzen. Darauf folgt eine Reihe Häuser mit<br />
tief zur Erde reichenden Dächern, die in dunklem Rostrot, das leicht ins Braun spielt, gemalt<br />
sind. Zwischen und hinter den niedrigen Häusern ragen Bäume auf, sie sind in einem<br />
schmutzigen Braun-Rot gestaltet, das sich kaum von der Farbe der Hausdächer unterscheidet.<br />
über den niedrigen Horizont erhebt sich erst ein hellblauer Streifen Himmels, der dann in<br />
die Weite eines grauen Herbsthimmels ausdehnt, dessen unterer Teil etwas heller als der<br />
obere ist.<br />
Auch das Bild Kat. Nr. 152 Abb. 74 ist zunächst nach dem selben Schema gebaut. Hinter<br />
einem breiten sandfarbenen Vordergrund wird der See sichtbar. In helleren und dunkleren<br />
Streifen wird seine unterschiedliche Tiefe sichtbar. In der Entfernung ist der Höhenzug des<br />
gegenüberliegenden Seeufers sichtbar. Doch ist dies Bild durch eine rechts ins Bild ragende<br />
Hausecke belebt, in deren Schatten ein <strong>Maler</strong> an s<strong>einer</strong> Staffelei arbeitet. Das Haus wirft<br />
seinen Schatten, der sehr schön in Dunkelblau und Braun gemalt ist, auf den Vordergrund<br />
zur unteren Bildkante hin. Ein kl<strong>einer</strong> Hund auf der Bildmitte sowie drei Sträucher am Ufer<br />
des Sees, die an den linken Bildrand reichen, tragen zur weiteren Belebung der Komposition<br />
bei. Das Bild dürfte wohl auf einem der Grundstücke in Holzhausen entstanden sein, die sich<br />
am Ammersee-Ufer hin erstrecken, auf denen sich die 'Holzhausener Künstlerkolonie' niedergelassen<br />
hatte.<br />
Das ein Jahr vor diesem Bild entstandene Gemälde Kat. Nr. 143 Abb. 71 aus dem Jahr 1923<br />
ist insofern recht typisch, als es die ab 1933 in Waging und Umgebung entstandenen Bilder<br />
in gewisser Weise vorwegnimmt. In s<strong>einer</strong> recht anspruchslosen Komposition zeigt es einen<br />
Bauer beim Bestellen des Feldes, im Hintergrund ein weißes Haus, kahle Bäume. Zarte Farben,<br />
um nicht zu sagen: etwas blasse, helles Graubraun des Bodens, helles Graugrün der<br />
Wiese, helles Grau-Rosa der Hausdächer, fahles Blau des Himmels, geben dem Bild etwas<br />
sehr leichtes, aber rücken es auch in die Nähe der Substanzlosigkeit. Es fehlt ein wenig die<br />
Kraft, die alles zusammenhalten könnte.<br />
Möglicherweise zeigt es auch die Orientierungslosigkeit, das In-der-Luft-Hängen, wodurch<br />
auch bis zu einem gewissen Grade die damalige Lebenssituation des Künstlers gekennzeichnet<br />
war.<br />
1.3. Werke aus den Jahren 1925-1942, Düsseldorf, Paris<br />
1925 zog <strong>Kurt</strong> <strong>Kühn</strong> nach Krefeld, um dort in <strong>einer</strong> Gobelin-Manufaktur zu arbeiten. Nach<br />
kurzer Zeit jedoch löste sich das Unternehmen auf, <strong>Kurt</strong> <strong>Kühn</strong> siedelte nach Düsseldorf über,<br />
wo er bis 1942 wohnte. Von hier aus unternahm er in den folgenden Jahren Reisen nach<br />
Paris, Spanien, Finnland, Jugoslawien. Ab 1934 arbeitete er in den Sommermonaten in Waging<br />
am See, wo er sich 1933 ein Haus gebaut hatte.<br />
Zahlreiche Bilder sind aus dieser Zeit erhalten. Es handelt sich meist um Landschaften, Bilder,<br />
die in den Parks von Düsseldorf und Umgebung entstanden, in Paris malte er in den<br />
Tuilerieen, im Jardin du Luxembourg. Von der Spanienreise sind einige Skizzen, aber nur<br />
wenige größere Ölgemälde erhalten, von der Jugoslawienreise nur ein größeres Bild.
- 61 -<br />
In diesen Jahren malte er viel im Freien. Mit einem Malkasten, der die Malutensilien enthielt<br />
und gleichzeitig als tragbare Staffelei diente, war er viel unterwegs. Eine ganze Reihe kl<strong>einer</strong><br />
Holztafeln, die auf diese Weise entstanden, zeugen davon: z.B. Kat. Nr. 133 Abb. 70, Kat.<br />
Nr. 155 Abb. 75, Kat. Nr. 156 Abb. 76, Kat. Nr. 157 Abb. 77, Kat. Nr. 165, 170, um nur einige<br />
zu nennen. Ein zweites wichtiges Anliegen war in dieser Zeit das Portrait, es wird in einem<br />
gesonderten Kapitel behandelt.<br />
Aus der Fülle der diesen Zeitraum belegenden Bilder seien folgende als stellvertretende Beispiele<br />
herausgegriffen: Kat. Nr. 133 Abb. 70, Kat. Nr. 155 Abb. 75, Kat. Nr. 156 Abb. 76, Kat.<br />
Nr. 157 Abb. 77, Kat. Nr. 160 Abb. 78, Kat. Nr. 164 Abb. 79, Kat. Nr. 176 Abb. 83, Kat. Nr.<br />
186 Abb. 85. Schon wenn man diese acht Bilder betrachtet, zeigt sich, dass sich in der Kunst<br />
<strong>Kurt</strong> <strong>Kühn</strong>s nun nichts grundlegend Neues mehr ereignet. Ein Eindruck, den die weiteren<br />
Bilder dieser Gruppe bestätigen. Statt Neuem geht es insgesamt mehr um eine Verarbeitung<br />
des Vorhandenen, eine Verf<strong>einer</strong>ung in Komposition und malerischer Ausführung.<br />
Die anhand der Holzhausener Bilder gezeigten Kompositionsschemata des Aufbaus eines<br />
Bildes aus bildparallel verlaufenden gestaffelten Zonen sowie der in die Tiefe diagonal führende<br />
Weg als raumschaffendes Element sind auch bei diesen Bildern die vorrangigen Mittel,<br />
Landschaften kompositionell zu gestalten. Die Kat. Nr. 155 Abb. 75, Kat. Nr. 160 Abb. 78,<br />
Kat. Nr. 186 Abb. 85, Kat. Nr. 187, Kat. Nr. 202 können als Beispiel für die eine Methode, die<br />
Kat. Nr. 156 Abb. 76, Kat. Nr. 164 Abb. 79, Kat. Nr. 168 Abb. 80, Kat. Nr. 169, Kat. Nr. 182<br />
können für die raumkonstituierende Diagonalkomposition beispielhaft stehen.<br />
Aus beiden Möglichkeiten versucht der Künstler in dieser Zeit mitunter eine Synthese zu<br />
schaffen oder eine Verbindung, die allerdings durchaus zu <strong>einer</strong> einheitlichen Lösung führt.<br />
In Kat. Nr. 178 zum Beispiel sehen wir im Vordergrund zwischen den bildparallel verlaufenden<br />
Eisengeländern <strong>einer</strong> Brücke zwei Damen stehen, hinter denen sich das Grün der Bäume<br />
von der Mitte her teilt, um nach oben den Bildrändern zuzustreben und damit die Mitte<br />
des Bildes zu öffnen, damit der Blick des Betrachters in die Bildtiefe wandern kann. In Ansätzen<br />
ist dies auch in den Bildern Kat. Nr. 202, 203 angestrebt, doch ist hier die Öffnung des<br />
Hintergrundes weniger strikt vollzogen.<br />
Die Farbe ändert sich bei all diesen Bildern nicht mehr grundsätzlich gegenüber der Farbigkeit<br />
der Holzhausener Bilder. Sie wird insgesamt etwas heller, und der Grauschleier, der die<br />
Bilder überzieht, wird etwas dominierender, das heißt, alle Farben sind noch stärker ins<br />
Graue gebrochen, als das bisher der Fall war. Die Leichtigkeit sowie der Aspekt des Dekorativen<br />
tritt dadurch in den Vordergrund. Grün, blaugrün, grau, sandfarbene Töne, rosa, rosabraun<br />
sind die bestimmenden Farben, die so verwendet werden, dass keine Kontrastwirkung<br />
durch Farbe angestrebt wird, sondern die Farben sanft ineinander übergehen, wie das schon<br />
in den späten afrikanischen Bildern, Kat. Nr. 48 Abb. 27, angestrebt wurde und auch in den<br />
Holzhausener Bildern ansatzweise versucht wurde.<br />
Hier sind ganz sicherlich Einflüsse von Camille Corot verantwortlich. Die Tonigkeit sowie der<br />
atmosphärische Charakter, die so viele Bilder <strong>Kurt</strong> <strong>Kühn</strong>s kennzeichnen, können dort ihr<br />
Vorbild gehabt haben, doch findet bei <strong>Kurt</strong> <strong>Kühn</strong> insofern eine Fortführung dieses Ansatzes<br />
statt, als die Gegenstandsauflösung weitergetrieben wird. Dementsprechend entmaterialisiert<br />
sich auch die Farbe, das heißt, sie wird sehr hell und hat kaum mehr Leuchtkraft, wie das<br />
noch in den afrikanischen Bildern oder den frühen Holzhausener Bildern der Fall war. <strong>Der</strong><br />
Bildgegenstand, hier die Landschaft, wird so ihres Wiedererkennungscharakters beraubt.<br />
Wesentlich ist nicht die Abbildung. <strong>einer</strong> bestimmten Landschaft, sondern die Stimmung, als
- 62 -<br />
deren Träger die Landschaft noch allenfalls gelten kann, ist das Entscheidende. Am Beispiel<br />
des Bildes Kat. Nr. 188 Abb. 86 ist das besonders deutlich. Auch im Original ist die Landschaft<br />
als solche kaum noch auszumachen.<br />
Ein weiteres Kompositionsmittel, das in dieser Zeit verstärkt angewandt wird, ist die Möglichkeit,<br />
mit Hilfe mehrerer Baumstämme ein Bildgerüst zu errichten. Sie stehen meist in Kontrast<br />
zur insgesamt hellen, leichten Farbigkeit des gesamten Bildes, denn vielfach wird eine<br />
Kombination mit der zuvor beschriebenen Gestaltungsweise vorgenommen. Beispiele sind<br />
Kat. Nr. 155 Abb. 75, Kat. Nr. 156 Abb. 76, Kat. Nr. 160 Abb. 78, Kat. Nr. 186 Abb. 85.<br />
Zwar ist dies keine Erfindung <strong>Kurt</strong> <strong>Kühn</strong>s, denn schon bei den Impressionisten spielte der<br />
Baum als Strukturelement eine große Rolle, auch bei den Fauves findet sich dieses Element.<br />
Auch innerhalb des Werkes <strong>Kurt</strong> <strong>Kühn</strong>s ist dies keine Neuerung; wie wir sahen, spielte der<br />
Baum als Gliederungselement schon in dem Bild 'Le parc' von 1908, Kat. Nr. 22 Abb. 11,<br />
eine wichtige Rolle. <strong>Der</strong> wesentliche Unterschied zu jenem Bild aber besteht darin, dass die<br />
vorrangig dekorative Wirkung, die dadurch erzielt wurde, dass das Bild durch geschwungene<br />
Baumstämme in gewissem Sinne eingerahmt wurde, nun aufgegeben ist. Jetzt ragen die<br />
Bäume wie Masten kerzengerade in die Höhe und haben eine tektonische Funktion, die<br />
durch die in der Regel sehr dunkle braune Farbe, die sie tragen, im Gegensatz zur Helle der<br />
Umgebung, Kat. Nr. 155 Abb. 75, Kat. Nr. 156 Abb. 76, Kat. Nr. 160 Abb. 78, unterstrichen<br />
wird.<br />
Es ist sicherlich kein Zufall, dass bei einem Künstler, der in diesem Zusammenhang schon<br />
mehrfach erwähnt wurde, Albert Marquet, ganz ähnliche Gestaltungsmittel verwendet werden.<br />
Sein Bild 'Paris, La Madeleine' (Abb. 125) ist sehr gut mit <strong>Kurt</strong> <strong>Kühn</strong>s Kat. Nr. 160 Abb.<br />
78 vergleichbar.<br />
In beiden Bildern sieht man von einem erhöhten Standpunkt durch wie Gitterwerk das Bild<br />
überziehende kahle Bäume und deren Geäst auf den weiten Boulevard de la Madeleine bei<br />
Marquet, auf eine weite Gartenfläche bei <strong>Kurt</strong> <strong>Kühn</strong>. Dahinter erhebt sich das Gebäude der<br />
Kirche bzw. eine Häuserzeile bei <strong>Kurt</strong> <strong>Kühn</strong>, die das Bild abschließt, sich wie ein blockierender<br />
Riegel vor den Hintergrund schiebt. Indem <strong>Kurt</strong> <strong>Kühn</strong> die Häuserzeile bis zum oberen<br />
Bildrand sowie über die gesamte Bildbreite führt, die Bäume wie bei Marquet ihre Basis außerhalb<br />
des Bildraumes haben, wird dem Betrachter ein räumliches Erleben des Bildes unmöglich<br />
gemacht. Dies unterstreicht <strong>Kurt</strong> <strong>Kühn</strong> noch, indem er den Park oder Garten, der die<br />
halbe Bildfläche einnimmt, in der schon oben beschriebenen Weise gestaltet, also mehr als<br />
Stimmungsraum denn als realen Raum, so dass auch hier eine räumliche Orientierung nicht<br />
möglich ist. Hinzu kommt noch der Ausschnittscharakter des Bildes, der all dies ebenfalls<br />
unterstreicht.<br />
Marquet lässt links neben der Madeleine den Raum sich in den Hintergrund weiter erstrecken,<br />
wie er einen Streifen Himmel oberhalb des Gebäudes sichtbar werden lässt. <strong>Der</strong> Boulevard<br />
ist mit Droschken und Menschen bevölkert, während <strong>Kühn</strong>s Bild völlig menschenleer<br />
ist. Dadurch ist <strong>Kühn</strong>s Bild frei von allem Anekdotischen, seine Tendenz zur Aufgabe des<br />
Raums zugunsten <strong>einer</strong> Flächigkeit im Bild tritt hier ganz ausgeprägt zu Tage.<br />
Ein Vergleich hinsichtlich der Farbe ist aus Unkenntnis des Originals von Marquet nicht möglich.<br />
Aufgrund der Farbe in Bildern Marquets aus den dreißiger und vierziger Jahren kann<br />
aber eine grundsätzliche Verwandtschaft konstatiert werden. Grau, helle gelbbraune Farben,<br />
Weiß und im Vordergrund helles Graugrün und Graurosa geben dem Bild einen fast monochromen<br />
Charakter, der durch die schwarzen Baumstämme noch unterstrichen wird.
- 63 -<br />
Diese schon mehrfach erwähnte Verwandtschaft zu Albert Marquet, der in der Regel als ein<br />
Mitglied der Fauves charakterisiert wird, wobei sein Spätwerk meist zu wenig berücksichtigt<br />
wird, bedarf eines Zusatzes, da mit dem Stichwort 'Fauves' leicht falsche Assoziationen hervorgerufen<br />
werden. Oft wird darüber die weitere Entwicklung der Künstler vergessen, bzw.<br />
indem sie an der relativ kurzen Zeit, die die Fauves bestanden, gemessen werden, kommt<br />
man dabei zu beträchtlichen Schwierigkeiten, wenn es um die Gesamtwürdigung geht 4 .<br />
Gualtieri di San Lazzaro hat dies sehr anschaulich ausgedrückt: "For most of them, for<br />
Braque, <strong>Der</strong>ain, Vlaminck, Van Dongen and many others, Fauvism was no more than an<br />
incident in their evolution, an important incident, a stage but nothing more. For Matisse, Marquet,<br />
Rouault, Dufy and Friesz it was no more than a point of departure. Rouault has hardly<br />
ever moved from it since, Marquet and Priesz tended to lose sight of it, and Matisse and Dufy<br />
can recall it with an element of satisfaction when they look back on the road they have happily<br />
travelled, through dangers of every kind, each according to his own capacity" 5 . Dies nur<br />
zur Vermeidung des Eindrucks, <strong>Kurt</strong> <strong>Kühn</strong> solle mit aller Gewalt für die Fauves reklamiert<br />
werden. Das ist sicherlich aufgrund der Ähnlichkeiten, vor allem aber der Unterschiede, nicht<br />
möglich noch beabsichtigt. Mit diesen Vergleichen soll lediglich auf gewisse parallel verlaufende<br />
Entwicklungen bei anderen Künstlern hingewiesen werden, um zu zeigen, dass <strong>Kurt</strong><br />
<strong>Kühn</strong> keineswegs einsam auf weiter Flur stand.<br />
1.4. Bilder von der Spanienreise 1932 und von der Jugoslawienreise 1939<br />
Diese Bilder werden nicht nur aufgrund ihres thematischen Zusammenhanges, der durch die<br />
völlig andere Lokalität gegenüber den übrigen Bildern aus diesem Zeitraum gegeben ist, gesondert<br />
behandelt, sondern auch weil sie sich im <strong>Maler</strong>ischen von den andern Bildern dieser<br />
Zeit unterscheiden.<br />
Von der ausgedehnten 1932 unternommenen Spanienreise zeugen die Bilder Kat. Nr. 190 -<br />
193, Kat. Nr. 194 Abb. 87, Kat. Nr. 195 - 199, Kat. Nr. 200 Abb. 88, während von der 1939<br />
unternommenen Reise nach Jugoslawien nur noch zwei Bilder erhalten sind: Kat. Nr. 217<br />
Abb. 94 und Kat. Nr. 218 Abb. 95.<br />
Die Skizzen zeigen eine ungeheure Frische, die Umsetzung des ersten augenblicklichen<br />
Eindrucks in Farbe und Form. Wie so oft spricht aus ihnen im Gegensatz zu den später ausgeführten<br />
Atelierbildern die Kraft der Intuition, die zunächst bezwingt. Von der Skizze Kat. Nr.<br />
196, die an das 1939 entstandene Lagostabild Kat. Nr. 218 Abb. 95 erinnert, abgesehen, ist<br />
en Bildern eine horizontal angelegte Streifenkomposition, wie sie vergleichsweise von den<br />
Holzhausener Bildern her bekannt ist, zueigen.<br />
Dabei handelt es sich in der Regel um vier übereinander gelegte horizontale Schichten: im<br />
Vordergrund der Strand, dahinter ein Streifen Meer, gefolgt vom Ausläufer <strong>einer</strong> Halbinsel<br />
oder dem Streifen <strong>einer</strong> vorgelagerten Insel, darüber der Himmel. Dabei ist der zweite Streifen,<br />
das Meer, teilweise durchgehend, das heißt, nur vom Bildrand begrenzt (Kat. Nr. 194<br />
Abb. 87, Kat. Nr. 197, 198, Kat. Nr. 200 Abb. 88) oder er ist einseitig geschlossen, indem<br />
eine Verbindung zwischen der ersten und der dritten Zone hergestellt wird, die durch eine<br />
Bucht gebildet wird (Kat. Nr. 191, 192, 195). <strong>Der</strong> streifenartige Aufbau wird farblich nachvollzogen,<br />
und somit wird eine Räumlichkeit erzielt. Die erste Zone, also der Vordergrund, ist<br />
heller als der dritte Streifen, die in der Entfernung erscheinende Landzunge oder Insel. Das<br />
Meer, die zweite Zone, ist dunkler blau als der helle durchlichtete Himmel.
- 64 -<br />
Figuren, meist in Rückenansicht (Kat. Nr. 192, 197, Kat. Nr. 217 Abb. 94), Gebäude, die in<br />
die Bildtiefe führen (Kat. Nr. 194 Abb. 87, Kat. Nr. 199), ragen in die zweite Bildzone hinein,<br />
eine weitere Verklammerung.<br />
Die Grundfarbigkeit ist den frühen Afrikabildern sehr verwandt. Rosa und gelbbraune Farben<br />
in starker Aufhellung werden mit hellem Blau kontrastiert. Grün kommt in der Ibiza-Skizze<br />
Kat. Nr. 196 und in den Holztafeln Kat. Nr. 190, 193 vor, bei letzteren ist das Grün aber stark<br />
nach Blaugrau abgetönt.<br />
Die Ölskizze Kat. Nr. 217 Abb. 94, die wahrscheinlich im Hafen von Triest entstand, ist den<br />
spanischen Bildern prinzipiell sehr ähnlich im Aufbau. Das Meer ist nach rechts durch aufragende<br />
Bauten begrenzt, sie leiten zu den dem Hafen gegenüber liegenden Häusern über,<br />
die den Fuß eines Berges einnehmen. Im Vordergrund sehen wir gestapeltes Frachtgut auf<br />
Deck eines Schiffes. <strong>Der</strong> Mast mit dem gerafften Segel ragt schräg nach rechts oben, im<br />
rechten Winkel dazu Taue, deren Verankerung in der Bildmitte liegt. Diese Taue führen nach<br />
links oben, wo sie dann vom Bildrand abgeschnitten werden. Hier ist also zur Horizontalgliederung<br />
noch eine leicht vertikale hinzugefügt, gleichsam über das Bild als Spannungsnetz<br />
gelegt. Dies verleiht dem Bild letztlich seine Kompaktheit.<br />
Das relativ großformatige Bild Kat. Nr. 218 Abb. 95 hat einen von den in Spanien entstandenen<br />
Bildern völlig verschiedenen Aufbau, während die Farbe sich von jenen nicht grundsätzlich<br />
unterscheidet. Vier Fünftel der Bildfläche werden von einem Berghang eingenommen,<br />
der von der unteren Bildkante her ansteigt. Rechts im Vordergrund steht ein großer Baum,<br />
kl<strong>einer</strong>e Bäume ziehen sich vom linken Bildrand her halb kreisförmig vom Mittel- bis zum<br />
Hintergrund hin. Über der fast bildparallelen Gipfelkante des Berges erscheint ein schmaler<br />
Streifen Himmel. Wie sich die Landschaft hinter dem Berge fortsetzt, ist aus dem Bilde nicht<br />
zu entnehmen. Auf der linken Seite steigt im Vordergrund ein Mann den Berg hinan, rechts<br />
sind zwei weitere Menschen sichtbar. <strong>Der</strong> Hang ist insgesamt sehr flächig, durch helles Rosa,<br />
das in der Mitte etwas dunkler wird, ist er nur ganz schwach modelliert. Auch die Bäume<br />
haben keine rechte Plastizität.<br />
Die Gegenstände scheinen sich im hellen Licht aufzulösen, an Substanz zu verlieren. Von<br />
daher ist eine Verbindung zu den stimmungshaften Landschaftsbildern aus der Düsseldorfer<br />
Zeit zu sehen, z.B. zu Kat. Nr. 188 Abb.86, das eine vergleichsweise ähnliche Tendenz zur<br />
Entmaterialisierung zeigt. Andererseits ist aufgrund der Farbe und des Lichts, die dem Bild<br />
den atmosphärischen Charakter geben, eine Verbindung zu den afrikanischen Bildern der<br />
Jahre 1912/13 gegeben.<br />
1.5. Die Portraits<br />
Zahlenmäßig stellen die Portraits die größte thematische Gruppe im Werk <strong>Kurt</strong> <strong>Kühn</strong>s dar.<br />
Zeit seines Lebens hat er sich dem Bildnis gewidmet, die frühesten Beispiele stammen aus<br />
dem Jahre 1905, die spätesten aus den fünfziger Jahren. Lediglich in den Jahren 1910-1914<br />
entstanden wohl wenig Portraits. Neben den im Nachlass erhaltenen Bildnissen existieren<br />
einige, die auf Bestellung. gemalt und verkauft wurden und sich heute in Privatbesitz befinden.<br />
<strong>Der</strong> überwiegende Teil der Bildnisse zeigt Personen aus dem familiären Umkreis oder<br />
aus dem engeren Bekanntenkreis <strong>Kurt</strong> <strong>Kühn</strong>s. Viele der Dargestellten konnten somit identifiziert<br />
werden, allerdings ist dies nicht bei allen Portraits mehr möglich gewesen.
- 65 -<br />
Da die Bildnisse, die bis 1910 entstanden, schon im Kapitel 'Werke bis 1910' ausführlich behandelt<br />
wurden, soll hier nur kurz auf diese Bilder eingegangen werden. Das 'Bildnis der<br />
Mutter des Künstlers', 1905, Kat. Nr. 3 Abb. 2, und das 'Bildnis eines Mannes', 1906, Kat. Nr.<br />
6, zeigen beidesmal eine sitzende Person im Profil, nach links schauend, parallel zum vorderen<br />
Bildrand sitzend, der die Personen in Höhe der Sitzfläche abschneidet. Sie sind unmittelbar<br />
vor eine bildparallel verlaufende Wand gesetzt, die im Fall des 'Bildnis der Mutter<br />
des Künstlers', Kat. Nr. 3 Abb. 2, mit <strong>einer</strong> gestreiften Tapete geschmückt ist. Ist dieses Bild<br />
vorwiegend in Braun und Gelb-Gold gehalten, weist das ein Jahr später in Paris entstandene<br />
Bildnis Kat. Nr. 6 eine Farbigkeit auf, die durch die blau-graue Kleidung des Mannes und den<br />
grauen Hintergrund bestimmt wird. Hier ist die <strong>Maler</strong>ei etwas freier, nicht mehr fein modelliert,<br />
sondern durch kräftigere Pinselstriche werden Hintergrund und Kleidung gestaltet.<br />
Das 'Bildnis eines Mannes', 1907, Kat. Nr. 15 Abb. 7 zeigt deutlich die Auseinandersetzung<br />
mit der französischen Kunst. In einem atelierähnlichen Raum sitzt ein älterer Herr mit Hut im<br />
dunklen Anzug mit weißem Schal dem Betrachter frontal gegenüber. Im Hintergrund links<br />
steht ein Tisch, auf dem sich eine Flasche, ein Buch und ein Becher befinden. In kräftig parallel<br />
verlaufenden Pinselstrichen unterschiedlicher Helligkeit ist das Bild sehr lebendig gestaltet.<br />
Hände und Gesicht sind nicht fein und glatt gemalt wie in den frühen Portraits, sondern<br />
in kräftigem Rot und Rosa mit grau-grünen Schatten und dunkler Kontur. Hier sind sicher<br />
Einflüsse von Toulouse-Lautrec und Gauguin verarbeitet. So ist zum Beispiel in Gauguins<br />
'Bildnis der Familie Schuffenecker', 1889 (Paris, Jeu de Paume) die malerische Behandlung<br />
der Fläche ganz ähnlich vollzogen worden.<br />
Eine weitere Auflockerung der Malweise, namentlich was die Gestaltung des Gesichts angeht,<br />
wird im 'Bildnis eines Mannes', 1907, Kat. Nr. 16, vor allem aber im 'Bildnis der Mutter<br />
des Künstlers', 1908, Kat. Nr. 19, 20 Abb. 9 erreicht. Aus breiten pastosen Pinselstrichen und<br />
kräftig farbigen Flächen wird das Bild aufgebaut. Die Farbe hat sich bei beiden Bildern merklich<br />
aufgehellt und verändert, grünweiß, auf dem die Sonne grünliche Schatten wirft, gelb<br />
und rosa-braun als vorherrschende Farben lassen das Bild sehr licht erscheinen.<br />
Drei Portraits malte <strong>Kurt</strong> <strong>Kühn</strong> von s<strong>einer</strong> ersten Frau Margarete <strong>Kühn</strong> um 1912. Einmal (Kat.<br />
Nr. 54) sitzt sie in weißem Kleid auf <strong>einer</strong> grünen Wiese, die teilweise beschattet ist, lesend<br />
in einem Journal, ihren rechten Arm auf die Stuhllehne gestützt, von der ein lila Tuch herabhängt.<br />
Ein andermal (Kat. Nr. 55) sitzt sie auf einem Balkon, ist durch die geöffneten Balkontüren<br />
sichtbar, während sie sich in einem Handspiegel betrachtet, den sie in ihrer Rechten<br />
hält. Das Bildnis Kat. Nr. 53 Abb. 29 zeigt sie stehend, fast frontal dem Betrachter zugewandt,<br />
in einem blau-schwarzen Kleid mit weißem Kragen und weißem Einsatz, den rechten<br />
Arm in die Hüfte gestemmt. Gesicht und Hals sind sehr fein modelliert, in zartem Rosa, leicht<br />
grüngetönte Schatten tragen zur Modellierung bei. <strong>Der</strong> grüne ungegenständliche Hintergrund<br />
ist mit arabesken Formen geziert, eine Gestaltung, die in späteren Portraits in abgewandelter<br />
Form wieder aufgenommen wird (Kat. Nr. 171, 172, 213 Abb. 93, Kat. Nr. 129).<br />
In dem 'Bildnis zweier Männer', 1912, Kat. Nr. 56 Abb. 30, kehrt <strong>Kurt</strong> <strong>Kühn</strong> zu <strong>einer</strong> Farbigkeit<br />
zurück, die eher in die der frühen Bildnisse verweist. Grau sind die Kleidung der beiden<br />
Männer sowie der etwas hellere glatte Hintergrund. Einziger Farbakzent ist die blaue Krawatte<br />
des am linken Bildrand stehenden Mannes, der im Profil erscheint. Die Köpfe und Hände<br />
der Männer sind sehr markant gestaltet, indem das rosafarbene Inkarnat mit grauen Schatten<br />
kontrastiert.<br />
Während der Gefangenschaft in Cap Matifou sowie in Garaison sind zahlreiche Portraits,<br />
auch Gruppenportraits, entstanden, die untereinander recht verschieden sind. Das 'Bildnis
- 66 -<br />
dreier Männer', Kat. Nr. 86, ist hinsichtlich der Farbauffassung den Kat. Nr. 89-92 Abb. 53,<br />
54 nahestehend. Sehr helles, aber dennoch warmes Licht konturier die Köpfe der Männer<br />
und hebt sie scharf vom hellblauen Hintergrund des Himmels ab. Licht und Schatten tragen<br />
auch in großem Maß zur Modellierung bei, die Wärme des Lichtes drückt sich in der gelbockerfarbenen<br />
Grundstimmung aus, die das Bild überzieht. Ganz ähnlich verhält es sich mit<br />
dem Doppelportrait Kat. Nr. 87, 1915.<br />
Sind diese letztgenannten Portraits eher als Gelegenheitsarbeiten anzusehen - es existieren<br />
ganz ähnliche kleinformatige Aquarelle -, so stellen die Portraits Kat. Nr. 94 Abb. 55, vor allem<br />
aber Kat. Nr. 102 'Bildnis des Herrn H.' Abb. 62 einen eher repräsentativen Anspruch.<br />
Das Bildnis Kat. Nr. 94 Abb. 55, eines der wenigen, die eine Person in der Landschaft zeigen,<br />
dürfte wahrscheinlich in der Gefangenschaft entstanden sein. Die Identität des Dargestellten<br />
war leider nicht zu ermitteln, genauso wenig wie das genaue Entstehungsdatum. Das<br />
Bild ist weder signiert noch datiert. In den in der Pariser Zeit entstandenen Bildnissen erscheinen<br />
die Personen stets vor <strong>einer</strong> Wand, nie aber in einem Tiefenraum. Das erste Bildnis,<br />
das eine Person im Freien zeigt, ist das 'Bildnis Margarete <strong>Kühn</strong>', 1912, Kat. Nr. 54. In<br />
den frühen Arbeiten werden die Personen entweder im Profil oder aber en face gezeigt; eine<br />
freiere Haltung, wie sie der hier Gezeigte, Kat. Nr. 94 Abb. 55, einnimmt, also z.B. mit leichter<br />
Drehung, was die Darstellung von Raum im Bild erfordert, kommt erstmals in dem 'Bildnis<br />
der Mutter', 1908, Kat. Nr. 20 Abb. 9, vor. Auch in der Farbe steht dies Portrait den in Garaison<br />
entstandenen Bildern recht nahe. Kühle blaue Farben spielen ins Grüne und in Ocker,<br />
der helle Lichteinfall wird malerisch verwendet. Von daher ist es den Bildern Kat. Nr. 104,<br />
105 sehr verwandt und eine Datierung dürfte mit:1916/17 anzusetzen sein.<br />
Ganz anders verhält es sich mit dem 'Bildnis des Herrn H.', 1916, Kat. Nr. 102 Abb. 62. <strong>Der</strong><br />
auf einem Faltstuhl, von dem nur ein Teil der Sitzfläche sichtbar ist, sitzende Mann ist auf der<br />
Bilddiagonale angesiedelt, seinen rechten Arm hat er auf einen neben ihm stehenden Tisch<br />
gelegt. Direkt hinter ihm wird der Raum durch einen Vorhang begrenzt, so dass auch hier<br />
zwar eine Räumlichkeit angedeutet, aber nicht in ihrer vollen Entfaltung sichtbar wird. Hintergrund<br />
und Tischtuch sind in Ocker gehalten, die Kleidung des Mannes, graugrüne Jacke,<br />
grau-blaue Hose und weißer Pullover, heben sich davon ab, kontrastieren aber nicht. Schon<br />
vom Format her nimmt dies Bild eine herausragende Stellung ein unter den Portraits, auch<br />
ist es eines der wenigen aus dieser Zeit, die eine sitzende Person zeigen.<br />
Sehr viel freier, pastoser im Farbauftrag sind die ebenfalls in Berrouaghia entstandenen<br />
Bildnisse Kat. Nr. 100, Kat. Nr. 101 Abb. 61, beide 1916. Ist die Person in Kat. Nr. 101 Abb.<br />
61 etwas gedreht, so dass durch eine weitere Drehung des Kopfes nach links das Gesicht<br />
frontal erscheint, so ist in Kat. Nr. 100 die ganze Person fast völlig frontal gestellt, d. h. ohne<br />
Torsion des Körpers oder des Kopfes. Die Gesichter wirken wie aus plastischem Material<br />
geformt, indem Farbflecken unterschiedlicher Valeurs gegeneinandergesetzt sind.<br />
Ganz ähnlich ist das 'Bildnis der Mutter des Künstlers', 1919, Kat. Nr. 120 Abb. 66, gestaltet.<br />
Sie steht ebenfalls dem Betrachter frontal gegenüber, hat den Kopf etwas nach rechts geneigt<br />
und schaut nach links aus dem Bilde heraus. Auch findet sich wieder die plastische<br />
Modellierung; die Farbe bewegt sich im Rahmen braun-grau-grün, wovon sich als einzige<br />
lebendigere Farbe das Gelb des Inkarnats abhebt.<br />
Das einzige erhaltene Bildnis, in dem eine Person in ihrer sie bestimmenden Umgebung gezeigt<br />
wird, ist das 'Bildnis der <strong>Maler</strong>in Klara Ewald', Kat. Nr. 146. Es dürfte Anfang der zwanziger<br />
Jahre, als <strong>Kurt</strong> <strong>Kühn</strong> in Holzhausen war, entstanden sein: Klara Ewald gehörte zu jener<br />
Künstlergruppe, die sich dort niedergelassen hatte. Das Bild zeigt den Atelierraum im Aus-
- 67 -<br />
schnitt über Eck, eine seit dem Impressionismus beliebte Perspektive der Innenraumdarstellung.<br />
In halber Höhe öffnet sich auf der linken Bildseite das große Atelierfenster und lässt<br />
das Licht einfallen, das den Raum gleichmäßig ausleuchtet. Tische, Staffeleien, Bilder füllen<br />
den Raum, in dessen Mitte die <strong>Maler</strong>in vor <strong>einer</strong> Staffelei steht, an einem Bilde arbeitend.<br />
Im 'Bildnis eines Mannes', Kat. Nr. 147 Abb. 72, wird ein sitzender Mann gezeigt, der gerade<br />
einen Architekturentwurf studiert. Das Bild ist weder signiert noch datiert, möglicherweise<br />
handelt es sich um einen Architekten, den <strong>Kurt</strong> <strong>Kühn</strong> in der Holzhausener Zeit kannte; da es<br />
sich mit Sicherheit nicht um seinen Nachbarn Hollweck 6 handelt, könnte ein Angehöriger des<br />
Architektenbüros Wach-Rosskow 7 dargestellt sein. <strong>Der</strong> Mann sitzt in einem Lehnstuhl, der in<br />
die vordere rechte Bildecke gerückt ist, in Halbdrehung, so dass wir ihn im Profil sehen. Mit<br />
übergeschlagenen Beinen sitzt er recht bequem und hält den Plan in den ausgebreiteten<br />
Armen. Hier ist also ein Hinweis auf die Beschäftigung des Dargestellten gegeben, ohne<br />
dass der Betreffende jedoch bei der Arbeit gezeigt würde. Wie bei den übrigen Portraits geht<br />
es also weniger um eine Charakterisierung der Person durch deren äußere Lebensumstände,<br />
sei es Wohnung, Beruf, geistige Beschäftigung, die im Bild attributiv gezeigt würden,<br />
sondern die Person als Individuum steht im Mittelpunkt des Interesses.<br />
Die Komposition dieses Bildes ist auf den Bilddiagonalen aufgebaut. Sessellehne, Kopf des<br />
portraitierten und Knie bilden fast eine Linie: von der oberen rechten Bildecke zur linken unteren.<br />
Die Farben dieses Teils sind sehr einheitlich: ocker-grün sind Stuhllehne sowie die<br />
Kleidung des Mannes. Ist die durch diese Diagonale abgetrennte Bildhälfte durch plastisches<br />
ausgefüllt, ist die andere Hälfte sehr flächig. Die den Hintergrund bildende bildparallel verlaufende<br />
Wand erscheint in graublau, das, rechts unten dunkler, zur Bildhöhe hin sich auflichtet.<br />
Die Diagonale von links oben nach rechts unten verläuft durch die Mitte der Architekturzeichnung,<br />
die genau dort einen Knick auf weist. Da sie nicht ganz plan gehalten werden<br />
kann, vermittelt sie zwischen dem plastischen und dem ebenen Bildteil. Hier herrscht eine<br />
eigene Farbe: helles Sandbraun, leicht rosa getönt. Die Lichtquelle befindet sich rechts vorne,<br />
außerhalb des Bildes. Dies hat zur Folge, dass sich der Mann, der zur Bildfläche nach<br />
rechts gedreht sitzt, den Plan so halten muss, dass sich die rechte Hälfte näher, die linke<br />
weiter entfernt von ihm befindet. Legte man räumlich verlaufende Diagonalen, auf deren <strong>einer</strong><br />
sich der Oberkörper des Mannes, auf deren anderer die Unter- und Oberkante des Planes<br />
sich befänden, so schneiden diese sich in einem Winkel, der fast ein rechter ist.<br />
Das ganze Bild wird also durch Verklammerungen zusammengehalten, hinsichtlich der<br />
Räumlichkeit, der Plastizität, der Farbe, der Aufteilung der Bildfläche.<br />
Aus der Krefelder Zeit stammt das 'Bildnis des Ehepaars Starting', 1924, Kat. Nr. 150 Abb.<br />
73. Es dürfte sich um eine Skizze handeln, möglicherweise zu einem Bild, das sich im Besitz<br />
der Portraitierten befindet. Die rechts etwas weiter im Vordergrund stehende Frau verdeckt<br />
ein wenig ihren Mann, der anscheinend sitzt. Sie überragt ihn fast um Haupteslänge. Die<br />
Körper der beiden sind zueinander gekehrt, doch schauen sie sich dabei nicht an, sondern<br />
ihre Blicke gehen aus dem Bild heraus auf den Betrachter hin. Sie präsentieren sich als Paar<br />
dem Betrachter. Das Bild ist in flott hingesetzten Pinselstrichen gemalt, die den Untergrund<br />
durchscheinen lassen. Die Kleidung ist in parallelen Pinselstrichen gemalt, die die beiden<br />
Bilddiagonalen nachzeichnen. Somit wird die Betonung auf die Bildmitte gelegt. Die Farbe ist<br />
auch hier insgesamt recht dunkel, die Gesichter heben sich hell davon ab.<br />
Ab Ende der zwanziger Jahre wird der Portraitstil <strong>Kurt</strong> <strong>Kühn</strong>s präzisiert im Sinne <strong>einer</strong> weitergehenden<br />
Vereinfachung, <strong>einer</strong> gewissen Klassizität. Die Dargestellten erscheinen vor<br />
<strong>einer</strong> monochromen Hintergrundfläche hell beleuchtet. Ihre Plastizität wird dadurch erhöht,
- 68 -<br />
statuarisch präsentieren sie sich dem Betrachter. Die Haltung ist von großer Schlichtheit. Im<br />
Profil (Kat. Nr. 154), in Vierteldrehung sitzend, den Kopf im Dreiviertelprofil (Kat. Nr. 174<br />
Abb. 82, Kat. Nr. 158) oder en face (Kat. Nr. 206) schauen sie den Betrachter an.<br />
Ein typisches Beispiel dieser Portraitart ist das 'Bildnis Lotte <strong>Kühn</strong>', Kat. Nr. 174 Abb. 82, das<br />
etwa 1929/30 entstand. <strong>Der</strong> Körper beschreibt eine Dreivierteldrehung nach rechts, der Kopf<br />
ist in die Gegenrichtung gedreht, so dass er fast en face erscheint. Die Dargestellte nimmt<br />
ein Dreieck innerhalb der hochformatigen Bildfläche ein, wobei der Kopf sich auf der Bildmitte<br />
im oberen Viertel befindet. Dies gibt dem Bild schon einen ruhenden Charakter. Farben<br />
treten fast gar nicht mehr auf. Die Bluse wie der unbekleidete Arm sind weiß, das Inkarnat<br />
sehr hell, eher grauweiß als rosafarben, der Hintergrund grau. Alles 'überflüssige' ist hier<br />
weggelassen, nur das Antlitz ist Träger von Ausdruck und Stimmung. Dies erinnert an Portraits<br />
von z. B. André <strong>Der</strong>ain (Abb. 126) und Albert Marquet (Abb. 127). Während Marquet<br />
noch mehr Gewicht auf die Gestaltung des Hintergrundes legt, beschränkt sich <strong>Der</strong>ain ganz<br />
ähnlich wie <strong>Kurt</strong> <strong>Kühn</strong> völlig auf die Person, auf deren Antlitz. Nicht nur die frontale Präsentation<br />
des Portraitierten vor einem monochromen Hintergrund auch die malerische Behandlung<br />
ist auffallend ähnlich.<br />
Als letztes Beispiel soll das 'Bildnis W.K.', Kat. Nr. 213 Abb. 93, betrachtet werden. Es zeigt<br />
den <strong>Maler</strong> Walter Kaufmann, den <strong>Kurt</strong> <strong>Kühn</strong> in Düsseldorf kennen gelernt hatte. Das Bild ist<br />
Ende der dreißiger Jahre entstanden. Es zeigt den <strong>Maler</strong> in sehr lässiger Haltung auf dem<br />
Stuhl sitzend. Den linken Unterarm auf den linken Oberschenkel gelegt, den rechten Arm mit<br />
nach innen gekehrter Hand auf den rechten Oberschenkel gestemmt, beugt er sich vor und<br />
fixiert seinen fiktiven Gegenüber mit abschätzendem Blick, während die Pfeife im Mund<br />
klemmt. Ähnlich forsch wie die Haltung ist auch die malerische Gestaltung. <strong>Der</strong> Portraitierte,<br />
uns frontal gegenüber sitzend, trägt einen weißen Anzug mit Weste und Krawatte, vor einem<br />
grünen flächigen Hintergrund, der mit wenigen braunen Pinselhieben strukturiert ist und wie<br />
ein Vorhang wirkt. Die Stofflichkeit des Anzugs ist ungeheuer stark akzentuiert. Kräftige<br />
Schatten bilden sich in den Falten des Stoffes und kontrastieren in Grau-Blau zum Weiß.<br />
Dabei gewinnt der Anzug aber keinen Eigenwert, sondern hat seine Funktion als Bekleidung<br />
<strong>einer</strong> Person. Diese kräftige Modellierung sowie der Kontrast von dem weißen Anzug der<br />
Figur zum dunkelgrünen Hintergrund verleiht dem Bild eine ungeheure Vitalität und Lebendigkeit.<br />
Betrachtet man die Portraits im Zusammenhang hinsichtlich der malerischen Entwicklung, so<br />
fällt eine gewisse Uneinheitlichkeit des Stils und der malerischen Mittel auf, wie dies in Bildern<br />
anderer Themen schon der Fall war. Ja man kann gewissermaßen die künstlerische<br />
Entwicklung anhand der Portraits nachzeichnen.<br />
Schon von den frühesten Portraits an stellt <strong>Kurt</strong> <strong>Kühn</strong> Personen dem Betrachter direkt gegenüber,<br />
indem sie wie auf <strong>einer</strong> Bühne präsentiert werden. Sie erscheinen in der Regel vor<br />
<strong>einer</strong> Wand oder einem Vorhang, die dicht hinter ihnen das Bild abschließen. Kein Raum<br />
umgibt sie oder bietet sich schützend an, in dem sie sich aufhalten könnten. Im 'Bildnis der<br />
Mutter des Künstlers', Kat. Nr. 3 Abb. 2, ist die Tapete dekorativ gemustert, bei den folgenden<br />
Bildnissen ist das nicht mehr der Fall, alle Aufmerksamkeit des Betrachters wird auf den<br />
Portraitierten gelenkt. Die dargestellten Personen haben genauso wenig wie eine sie umgebende<br />
Umwelt keine Requisiten, wodurch sie näher ausgezeichnet würden. Die <strong>Maler</strong>kollegen,<br />
Kat. Nr. 211, Kat. Nr. 213 Abb. 93, werden nicht im Atelier oder bei der Arbeit gezeigt,<br />
sondern völlig losgelöst von ihrem Beruf. Ist das Bild ganz auf die Person beschränkt, so<br />
liegt bei den Dargestellten das Hauptgewicht auf dem Antlitz. Dies erklärt die Vorliebe für<br />
Bruststücke; nur wenige Bilder zeigen eine Person in voller Größe, selbst dann sind zumindest<br />
die Beine angeschnitten (Kat. Nr. 128, Kat. Nr. 213 Abb. 93). Somit kann auch durch
- 69 -<br />
Körperhaltung oder Gestik in der Regel keine zusätzliche Charakterisierung der Person vorgenommen<br />
werden. Alles Gewicht liegt also auf dem Gesicht. <strong>Kurt</strong> <strong>Kühn</strong> versteht es, durch<br />
sehr genaue Beobachtung das Gesicht zum Ausdrucksträger der Person zu machen, so<br />
dass die Portraits durchweg sehr interessant aussehen, da man etwas vom jeweils Dargestellten<br />
mitgeteilt bekommt. Es ist sicherlich am Platze, von psychologischen Portraits zu<br />
sprechen, jedoch nicht im Sinn von Darstellung bestimmter Typen, sondern dem Betrachter<br />
wird die psychische Verfassung der Person gezeigt. Stets wird dabei die Portraitähnlichkeit<br />
in höchstem Maße gewahrt. Eine Auflösung der Person, wie es z.B. Kokoschka anstrebte,<br />
oder gar eine Deformation, wie es der Kubismus betrieb, wird nicht angestrebt. Das Abbilden<br />
hat bei allem Sichtbarmachen immer entscheidendes Gewicht.<br />
1.6. Die Selbstbildnisse<br />
Ist jedes Kunstwerk zu einem bestimmten Grade auch Ausdruck und ein Stück Selbstverwirklichung<br />
des Künstlers, so trifft dies auf die Selbstbildnisse in besonderem Maße zu. Ist<br />
dem Künstler doch die Möglichkeit gegeben, sich selbst zu reflektieren und das Bild, das er<br />
von sich selbst hat, zu zeigen. Unter diesem Gesichtspunkt sollen auch die Selbstbildnisse<br />
<strong>Kurt</strong> <strong>Kühn</strong>s betrachtet werden.<br />
Insgesamt sind 13 Selbstbildnisse erhalten, die einen Zeitraum von fünfzig Jahren umfassen:<br />
Kat. Nr. 1 Abb. 1, Kat. Nr. 2, Kat. Nr. 4, Kat. Nr. 5 Abb. 3, Kat. Nr. 23 Abb. 12, Kat. Nr. 129<br />
Abb. 69, Kat. Nr. 135, 145, 163, Kat. Nr. 173 Abb. 81, Kat. Nr. 210 Abb. 91 Kat. Nr. 233 Abb.<br />
99, Kat. Nr. 236.<br />
Das früheste Beispiel von 1902/03, Kat. Nr. 1 Abb. 1, weist schon einen durchgehenden Zug<br />
aller späteren Selbstbildnisse auf: die äußerst selbstbewusste Haltung, das Fixieren des Gegenübers.<br />
<strong>Der</strong> junge zweiundzwanzigjährige Künstler zeigt sich im dunklen Anzug mit Hut, in<br />
Seitenansicht über die Schulter blickend. Nur das Gesicht hebt sich vorn dunkelbraunen Hintergrund<br />
ab, mit um so stärkerem Ausdruck. Hinweise auf seine Tätigkeit als <strong>Maler</strong> fehlen.<br />
Wie schon an anderer Stelle erwähnt, ist das Bild von der akademischen Malweise geprägt,<br />
was Farbe und Malweise anbelangt.<br />
Das 1905 entstandene Selbstbildnis Kat. Nr. 2, wohl eine Gelegenheitsarbeit, hat völlig anderen<br />
Charakter. In bewusst lässiger Kleidung, schwarzes Jackett mit hochgeschlagenem<br />
Kragen, schwarzes Halstuch, braune Schirmmütze, mit Zigarette im Hundwinkel, wendet es<br />
sich von der Präsentation als junger Vertreter des Bürgertums ab und zeigt den Künstler in<br />
der Rolle eines Bohemien oder Proletariers. Auch die Ausführung ist in gewisser Weise roh.<br />
Kräftige Pinselstriche malen Kleidung und Gesicht, mit roten Akzenten wird das gelbe Inkarnat,<br />
namentlich an Nase und Ohr, belebt. Hinter dem Körper erstreckt sich ein breiter senkrechter<br />
Streifen in Rostbraun, seitlich davon auf der linken Seite ein schmaler grüner Streifen,<br />
der bis zur halben Bildhöhe reicht, darüber ein hellbraunes Farbfeld. Auf der rechten<br />
Seite ist die Randzone von unten her hellbraun, das letzte Drittel moosgrün ausgeführt.<br />
Das Selbstbildnis Kat. Nr. 4, das in Paris um 1906 entstanden sein dürfte, ist wieder völlig<br />
anders geartet. <strong>Der</strong> Künstler vor der Staffelei als Akt, bis zur Hüfte sichtbar, steht im Bildzentrum,<br />
hinter ihm ein Stuhl dessen blaue Polsterlehne sichtbar ist. Die Staffelei steht außerhalb<br />
der Bildfläche, so dass der nach links ausgestreckte Arm, der den Pinsel hält, den<br />
Bildrand erreicht. Interessant ist die Modellierung des Körpers aus elfenbeinfarbenen Tönen<br />
verschiedener Helligkeit, die mit blaugrau und gelb durchsetzt sind und den Körper in groben<br />
Zügen modellieren. <strong>Der</strong> flächige Hintergrund ist in hellem Blaugrün gehalten. Auch hier blickt
- 70 -<br />
der Künstler über die Schulter aus dem Bilde heraus, doch nicht den Betrachter fixierend,<br />
sondern eher abschätzig, verwehrend, wie um mit dem Blick ein Eindringen in die Sphäre<br />
des Künstlers abzuwehren. Auch der ausgestreckte linke Arm wirkt wie eine abwehrende<br />
Geste, wie eine Barrikade, die vor das Bild gelegt ist. Diese Distanzierung wird durch die<br />
äußerst kühle Farbe unterstrichen, Körper wie Umgebung strahlen eine distanz-schaffende<br />
Kühle aus.<br />
Das Selbstbildnis Kat. Nr. 5 Abb. 3 ist das einzige, in welchem sich der Künstler in einem<br />
Innenraum bei der Arbeit darstellt. Es dürfte in Paris entstanden sein, um 1906/07. <strong>Der</strong><br />
schräg angeschnittene Innenraum lässt den Blick durch ein geöffnetes bis zum Boden reichendes<br />
Fenster ins Freie schweifen, wo die gegenüberliegende Häuserfront andeutungsweise<br />
sichtbar wird. In der Mitte des Raumes sitzt der <strong>Maler</strong> lässig auf einem zierlichen<br />
Stuhl. In der rechten Hand hält er die Palette, in der Hand des linken ausgestreckten Armes<br />
hält er den Pinsel, der die Leinwand berührt. Sie steht auf <strong>einer</strong> Staffelei am rechten Bildrand.<br />
<strong>Der</strong> Künstler schaut etwas überrascht aus dem Bild heraus, als sei der Betrachter derjenige,<br />
der ihn gerade bei der Arbeit überrascht hat. <strong>Der</strong> Innenraum ist kein Atelier, sondern<br />
scheint ein Hotelzimmer zu sein. Indem durch das Fenster einfallenden Gegenlicht erscheint<br />
der dunkle Anzug des Künstlers fast schwarz, wozu der Boden in hellem und dunklerem Rosa<br />
prächtig kontrastiert. Das Rosarot kehrt noch in einem Fleck auf der Leinwand wie der,<br />
wobei aber der dort dargestellte Gegenstand nicht zu erkennen ist.<br />
<strong>Der</strong> Künstler präsentiert sich hier als eleganten jungen Mann, für den die Arbeit nichts<br />
Handwerkliches oder Schmutziges an sich hat. Diese Auffassung steht insgesamt dem<br />
neunzehnten Jahrhundert recht nahe, wo die Ateliers wie Salons ausgestattet waren, in denen<br />
Hof gehalten wurde, als sich Künstler eher als gesellschaftlich tonangebende Ereignisse<br />
auffassten denn als handwerklich arbeitende Menschen. <strong>Maler</strong> wie Hans Markart und Franz<br />
von Lenbach verkörperten diesen Typ sehr anschaulich.<br />
Das Selbstbildnis von 1909, Kat. Nr. 23 Abb. 12, zeigt wiederum den Typ des eleganten jungen<br />
Mannes, der sich sehr selbstbewusst in der Pose des <strong>Maler</strong>s zeigt. Er steht, leicht aus<br />
dem Zentrum nach links gerückt, uns zugewendet; den linken Arm ausgestreckt, führt er den<br />
Pinsel. Die Staffelei ist nicht sichtbar. Ähnlich wie in den meisten Portraits ist der Raum, in<br />
dem er steht, als solcher nicht erkennbar. Hinter dem stehenden Künstler, der bis in Brusthöhe<br />
sichtbar ist, erstreckt sich eine grün-ocker-farbene Fläche, die bis zur Höhe der Hutkrempe<br />
reicht und zwei Drittel der Bildbreite einnimmt. <strong>Der</strong> übrige Bildraum ist in Hellgrau mit<br />
leichtem Rosa-Schimmer gehalten. Vermittelte der blau gestrichene Hintergrund des Selbstbildnisses<br />
Kat. Nr. 4 noch eine gewisse Raumtiefe, so herrscht hier völlige Flächigkeit. Zunächst<br />
ist die grünliche Fläche nicht gegenständlich zu identifizieren, vor allem aber ist ihre<br />
räumliche Distanz zum Künstler nicht auszumachen, genauso wenig wie dahinter liegenden<br />
hellen Fläche. Insofern ist es richtig, dass die Staffelei, die eine Raumbildung hätte, nicht im<br />
Bild erscheint.<br />
So tritt die Person als plastischer Körper im Gegensatz zur Flächigkeit sehr direkt und wirksam<br />
hervor, es findet eine ungleich stärkere Konfrontation statt als dies zum Beispiel bei<br />
dem zuvor entstanden Selbstbildnis Kat. Nr. 5 Abb. 3 der Fall ist, wo die Person in den Raum<br />
eingebunden ist. Zog er sich einst in den Raum zurück und zeigte sich im hellen Gegenlicht,<br />
so setzt sich der Künstler nun in vollem Licht dem Gegenüber aus. <strong>Der</strong> Blick ist nicht direkt<br />
auf den vermeintlichen Gegenüber gerichtet, sondern er geht, durch die Hutkrempe etwas<br />
verschattet, über ihn hinweg in die Ferne. Dieses Selbstbewusstsein in der Art der Selbstdarstellung<br />
hat durchaus Parallelen in der Biographie des Künstlers.
- 71 -<br />
<strong>Kurt</strong> <strong>Kühn</strong> war seit 1906 in Paris gewesen, hatte mannigfaltige künstlerische Anregungen<br />
erhalten, sich zu <strong>einer</strong> Art eigenem Stil entwickelt, indem er das in Deutschland Erlernte mit<br />
den französischen Eindrücken zu verbinden suchte. Er hatte mehrfach im Salon d'Automne<br />
und Salon des Indépendants ausgestellt, mit dem Erfolg, dass sich z. B. der deutsche<br />
Kunsthistoriker Otto Grautoff für ihn interessierte. Er stand vor der Entscheidung, nach Afrika<br />
zu reisen, was er ein Jahr später ausführte. Er hatte also Erfolg, und dies spiegelt sich in<br />
diesem Selbstbildnis recht deutlich wieder.<br />
Aus den Jahren 1910-1919, der Zeit, in der <strong>Kurt</strong> <strong>Kühn</strong> in Afrika und in Gefangenschaft war,<br />
haben sich keine Selbstbildnisse erhalten.<br />
Das zeitlich folgende Selbstbildnis ist Kat. Nr. 129 Abb. 69. Es ist weder signiert noch datiert,<br />
seine Entstehungszeit ist nicht mit Sicherheit auszumachen. Aufgrund der Malweise dürfte<br />
es 1919 oder 1920 zu datieren sein. Es handelt sich um ein Brustbild. <strong>Der</strong> Künstler zeigt sich<br />
fast völlig en face, mit <strong>einer</strong> blauen Jacke mit weißem Kragen bekleidet, vor grau-lilafarbenem<br />
flächigem Hintergrund, der nur teilweise ausgeführt ist; am rechten Bildrand<br />
scheint die Grundierung durch.<br />
Das von links einfallende Licht beleuchtet die rechte Gesichtshälfteschlaglichtartig und lässt<br />
die linke etwas verschattet erscheinen. Das Gesicht ist sehr kantig und scharf modelliert, wie<br />
es z.B. im 'Bildnis der Mutter des Künstlers', Kat. Nr. 120 Abb. 66, der Fall ist. Die Farbe ist<br />
sehr pastos aufgetragen, nicht nur Hell und Dunkel prallen aufeinander, auch völlig verschiedene<br />
Farben werden eingesetzt blau, grün dienen dazu, die Schattenwirkung plastisch anschaulich<br />
zu machen. Gegenüber den früheren Porträts ist die malerische Gestaltung sehr<br />
viel freier, aber auch etwas brutaler, nicht so feinnervig. Es gibt ein ähnliches Selbstbildnis<br />
von Albert Marquet, 1904 (Bordeaux, Musée des Beaux Arts, Abb. 128), das eine ganz ähnliche<br />
malerische Behandlung aufweist. Ist jedoch bei <strong>Kühn</strong> die Grundfarbigkeit blau lila, so ist<br />
sie bei Marquet gelb-sandfarben. Auch ist das Bildnis Marquets nicht ganz so expressiv gestaltet,<br />
doch kann es sicherlich als Beispiel gelten für Anregungen, die <strong>Kurt</strong> <strong>Kühn</strong> in der Pariser<br />
Zeit erhalten hat und verarbeitete. Am Beispiel der Bilder aus der Gefangenschaft wurde<br />
schon gezeigt, dass einige Stilmittel der Fauves, nachdem sie in den Jahren 1906-1909 adaptiert<br />
worden waren, nach der afrikanischen Zeit wieder aufgenommen wurden.<br />
Die beiden Selbstbildnisse Kat. Nr. 135 und 145 sind aufgrund ihrer Skizzenhaftigkeit eher<br />
als momentane Studien oder Gelegenheitsarbeiten einzustufen.<br />
Aus dem Jahre 1928 resultiert das Selbstbildnis Kat. Nr. 163. Hier zeigt sich der schon bei<br />
den Portraits angesprochene Stil, der eine weitgehende Versachlichung in Richtung eines<br />
Neuen Realismus oder auch <strong>einer</strong> gewissen Klassizität darstellt. Es handelt sich wiederum<br />
um ein Bruststück. <strong>Der</strong> Künstler wird von der Seite gesehen, er dreht den Kopf nach rechts,<br />
schaut über seine linke Schulter aus dem Bilde heraus. <strong>Der</strong> linke Arm ist angewinkelt, der<br />
Ellenbogen vom unteren Bildrand angeschnitten, die Hand taucht in der linken unteren Bildecke<br />
wieder auf. <strong>Der</strong> Künstler ist mit einem grauen Pullover bekleidet, der um einiges heller<br />
ist als der mehr ins Blaugrau gehende flächige Hintergrund. Zwar ist der Körper sehr plastisch<br />
gestaltet, doch hat die Kleidung keine eigene Plastizität, keinen eigenen Stellenwert,<br />
sondern erscheint mehr wie über den Körper gelegt, bis zu einem gewissen Grade entmaterialisiert.<br />
Auch die Behandlung des Gesichts ist sehr viel f<strong>einer</strong>, glatter. Es erscheint nicht<br />
mehr so kantig modelliert wie auf dem Selbstbildnis Kat. Nr. 129 Abb. 69. Die Farbe gibt dem<br />
Bild eine sehr zurückhaltende, um nicht zu sagen: düstere, Grundstimmung. Doch trotz der<br />
monochromen Gestaltung ist der Körper fest umrissen, die Kontur ist stark betont und scharf<br />
gegen den Hintergrund abgegrenzt.
- 72 -<br />
Dies ist im Selbstbildnis Kat. Nr. 173 Abb. 81, das Ende der zwanziger Jahre zu datieren ist,<br />
noch stärker ausgeführt. Hier präsentiert sich der Künstler frontal dem Betrachter, in der<br />
Rechten die Palette, den linken Arm ausgestreckt, um an die Staffelei zu reichen, die am<br />
rechten Bildrand sichtbar wird. <strong>Der</strong> orange-gelbgrau-blau-changierende Pullover, mit dem<br />
der Künstler bekleidet ist, lässt ihn relativ flächig erscheinen, die Kontur ist dunkel nachgezogen,<br />
um ihn gegen den hellblauen Hintergrund abzusetzen. Die Staffelei ist grau, am rechten<br />
Bildrand wird noch ein kl<strong>einer</strong> blauer Streifen sichtbar. Das Bild ist insgesamt sehr hell<br />
und fast ganz gleichmäßig ausgeleuchtet.<br />
Das 1935 entstandene Selbstbildnis Kat. Nr. 210 Abb. 91 ist recht atypisch, der Künstler<br />
zeigt sich im Garten. An anderer Stelle wurde schon erwähnt, dass Portraits im Freien sehr<br />
selten bei <strong>Kurt</strong> <strong>Kühn</strong> sind. Leicht nach rechts gedreht, den Kopf nach links gewandt, steht er<br />
in der Bildmitte. Zu beiden Seiten sind im Hintergrund Bäume zusehen, die Mitte gibt den<br />
Blick auf den blauen Himmel frei. In weißem Kittel mit Strohhut, eine Zigarre rauchend,<br />
schaut der Künstler gegen die Sonne, die ihm ins Gesicht scheint. Ein Schatten färbt einen<br />
Teil des weißen Kittels rost-grün. Kein Hinweis deutet auf seinen Beruf als <strong>Maler</strong>, er zeigt<br />
sich als ein in der Freizeit befindender Privatier.<br />
Die beiden letzten Selbstbildnisse, Kat. Nr. 233 Abb. 99 und Kat. Nr. 236 sind 1949 und Anfang<br />
der fünfziger Jahre entstanden. Sie bezeugen eine große Zurückhaltung in der Selbstdarstellung.<br />
In Kat. Nr. 233 Abb. 99 füllt die Büste den gesamten Bildraum aus. Das Licht fällt<br />
von unten links ein, so dass die Kragenecke und die rechte Schläfe hell beleuchtet sind, die<br />
ganze linke Gesichtshälfte befindet sich im Dunkel. <strong>Der</strong> rechte Hintergrundstreifen ist jedoch<br />
ebenfalls beleuchtet und lässt den Kopf sich stark vom Hintergrund abheben. Eine Synthese<br />
der sehr kantigen Modellierung, wie sie in Kat. Nr. 129 Abb. 69 anzutreffen war, und der sehr<br />
glatten, ein wenig zum Flächigen tendierenden Gestaltung von Kat, Nr. 173 Abb. 81 scheint<br />
hier vollzogen. Bei aller Plastizität erscheint der Kopf doch eher weich gerundet und gibt zusammen<br />
mit den das Bild bestimmenden Grautönen und mit dem Grau des Hemdes und des<br />
Jackenkragens sowie der Haare der Darstellung einen gewissermaßen herbstlichen Charakter.<br />
Auch der Blick ist nach innen gekehrt und betont den Ausdruck der Abgeklärtheit, des In-<br />
Sich-Ruhens.<br />
Das Selbstbildnis Kat. Nr. 236 dürfte 1952 begonnen worden sein, es wurde aber mehrfach<br />
verändert und scheint nicht ganz vollendet zu sein, weshalb das zuvor erwähnte Bildnis Kat.<br />
Nr. 233 Abb. 99 als die letzte vollgültige Aussage des Künstlers über sich selbst anzusehen<br />
ist.<br />
1.7. Akt-Darstellungen<br />
<strong>Der</strong> Akt spielt im Werk <strong>Kurt</strong> <strong>Kühn</strong>s vor allem in der Pariser Zeit, also 1906-1910, und dann<br />
nochmals in den dreißiger und vierziger Jahren eine größere Rolle.<br />
Auf die frühen Akte wurde eingehend im Kapitel 'Das frühe Werk. Arbeiten bis 1910' hingewiesen.<br />
Farbigkeit und Haltung waren teilweise vom Akademieunterricht her erklärbar, Ähnlichkeiten<br />
mit frühen Arbeiten der Fauves, vor allem Braques und Rouaults sowie Matisses<br />
waren festzustellen, Abb. 4, 5, 109, 110. In den Akten Kat. Nr. 18 Abb. 8, Kat. Nr. 21 Abb.<br />
10, Kat. Nr. 27 Abb. 13 vollzog sich eine Hinwendung zu größerer Gesamtfarbigkeit innerhalb<br />
des Bildes, der Farbauftrag änderte sich gegenüber frühen Bildern entscheidend. Mit
- 73 -<br />
den Portraits und den Landschaften gehören die Akte zu den entscheidenden Bildern jener<br />
Zeit, an denen sich die künstlerische Entwicklung ablesen lässt.<br />
Die beiden stehenden Akte Kat. Nr. 140, 141 sowie der Halbakt Kat. Nr. 139, die wohl alle<br />
drei im Jahre 1922 entstanden sein dürften, sind ähnlich typisch für die Entwicklung der Farbe<br />
zu Beginn der Holzhausener Zeit; sie ist äußerst kräftig. Die Baumstämme, an denen die<br />
Frau in Kat. Nr. 140 und 141 lehnt, sind in kräftigem Grau-Blau gemalt, zu dem der hellrosafarbene<br />
Körper sehr malerisch kontrastiert. Die übrige Bildfläche wird von hellgrünem<br />
leuchtendem Blattwerk, das von der Sonne beschienen wird, eingenommen. Wie auch andere<br />
Bilder aus den frühen zwanziger Jahren, Kat. Nr. 121, 131, knüpfen diese Akte in der Farbe<br />
an die 1910 in Holzhausen entstandenen Bilder Kat. Nr. 28, 29 an.<br />
Auch die später entstandenen Akte Kat. Nr. 208 Abb. 90, Kat. Nr. 212 Abb. 92, Kat. Nr. 214,<br />
224 - 227 zeigen dieselbe Entwicklung, wie sie z.B. in den Portraits der dreißiger Jahre zu<br />
finden war. Und zwar ist auch hier ein Abrücken vom primär <strong>Maler</strong>ischen zu <strong>einer</strong> isolierten<br />
Präsentation, die in gewissem Sinn an Nüchternheit grenzt, festzustellen. Die Frauenkörper<br />
werden in größter Einfachheit auf einem Sofa liegend als Rückenakt (Kat. Nr. 208 Abb. 90),<br />
zusammengekauert liegend (Kat. Nr. 225), auf dem Rücken liegend (Kat. Nr. 226) oder sitzend<br />
beim Lesen (Kat. Nr. 224, 227) gezeigt. <strong>Der</strong> Akt Kat. Nr. 212 Abb. 92 bildet in mehrfacher<br />
Hinsicht eine Ausnahme. <strong>Der</strong> Frauenkörper liegt auf <strong>einer</strong> Ottomane, die wie ein theatralischer<br />
Aufbau im Bild erscheint. Sie ist von <strong>einer</strong> Draperie bedeckt, die das Möbel als solches<br />
nicht erkennen lässt. Dabei handelt es sich um keinen weichen, fließenden Stoff, er ist<br />
vielmehr sehr spröde, in s<strong>einer</strong> Stofflichkeit nicht gezeigt, sondern wirkt eher wie bearbeiteter<br />
Stein. Diese Art von Draperie kommt zweifellos von Cézanne her, der in seinen Stilleben<br />
eine ganz ähnliche Darstellung der Stofflichkeit verwirklicht. Diese stilllebenhafte Art der Aktdarstellung<br />
wird noch dadurch unterstrichen, dass der Raum, wie in den Portraits der dreißiger<br />
Jahre, in s<strong>einer</strong> Räumlichkeit nicht dargestellt ist, sondern lediglich eine helle monochrome<br />
Hintergrundfläche das Bild abschließt. Sind die zuvor erwähnten Akte in kühlem<br />
Grau und Brau~ gemalt, so herrschen hier Ocker und Olivgrün sowie ein sehr warmer gelblich-rosafarbener<br />
Ton des Inkarnats vor. Die Datierung dieses Bildes ist nicht ganz leicht,<br />
wahrscheinlich ist es zu Ende der zwanziger Jahre entstanden, möglicherweise auch etwas<br />
später.<br />
1.8. Werke der letzten Jahre 1934-<strong>1957</strong><br />
Ab 1934 verbrachte <strong>Kurt</strong> <strong>Kühn</strong> die Sommermonate in Waging am See, ab 1943 wohnte er<br />
mit s<strong>einer</strong> Frau ständig dort, nachdem in Düsseldorf Wohnung und Atelier zerstört worden<br />
waren. Aus dieser Zeit stammen zahlreiche Landschaftsdarstellungen, die alle die nähere<br />
Umgebung Wagings als Bildmotiv haben. Teils sind es größere Übersichten, das Dorf mit<br />
s<strong>einer</strong> markanten Kirche aus größerer Entfernung gesehen, wie in Kat. Nr. 207, teils sind es<br />
einzelne Gebäude oder Ausschnitte aus der Ortschaft, Kat. Nr. 223 Abb. 96, Kat. Nr. 231<br />
Abb. 97, Kat. Nr. 232 Abb. 98. Greifen die größeren Landschaftsdarstellungen in der Regel<br />
das Prinzip der Streifenkomposition auf, wie es in der Holzhausener Zeit entwickelt worden<br />
war und auch in den Bildern der Spanienreise angewandt wurde, so liegen den anderen Bildern<br />
ebenfalls Kornpositionsmethoden zugrunde, die schon früher angewandt worden waren.<br />
In Kat. Nr. 223 Abb. 96 wird ein von Häusern gesäumter Weg gezeigt, der im Vordergrund<br />
die gesamte Bildbreite einnimmt, um sich zum Hintergrund zwischen den Häusern zu<br />
verlieren. Dies Prinzip wurde ebenfalls in den zwanziger Jahren angewandt, z. B. in Kat. Nr.<br />
130.
- 74 -<br />
Die Möglichkeit, das Bild durch parallel zum unteren Rand verlaufende Zonen zu gliedern,<br />
wird in Kat. Nr. 231 mit der Diagonalkomposition verbunden. Vom linken Bildrand her führt<br />
eine niedrige Hauer, hinter der sich hohe Bäume erheben, auf ein weißes Gebäude zu, das<br />
sich bis zum rechten Bildrand erstreckt. Das Haus besitzt einen niedrigeren Vorbau, der die<br />
halbe Breite des Gebäudes einnimmt. Zwischen unterem Bildrand und dem Haus liegen parallel<br />
angeordnete schmale Felder in verschiedener Farbe. Am rechten Bildrand sind über<br />
dem Dach noch Baumkronen sichtbar. Hier werden französische Anregungen, und zwar die<br />
des Impressionismus aufgegriffen. Die Felder in verschiedenen Grün-Abstufungen und blaulila<br />
Abtönungen werden durch das weiße Haus in ihrer Frische noch unterstrichen, einen<br />
malerischen Akzent setzt die im Vordergrund stehende Frau durch ihre orangefarbene Jacke.<br />
In Kat. Nr. 232 Abb. 98 wird der Typ der Stimmungslandschaft aufgegriffen. Zwar ist im Gegensatz<br />
zu den dafür typischen Landschaften <strong>Kurt</strong> <strong>Kühn</strong>s die Wiedererkennbarkeit der Örtlichkeit<br />
nicht aufgegeben, doch ist durch die verschwommene, atmosphärische Darstellung<br />
der Bäume, durch die ausdrucksvolle Gestaltung des Himmels, die Stirnn1ung sehr betont.<br />
Die Farbe hellt sich bei allen Landschaftsbildern der vierziger und fünfziger Jahre noch sehr<br />
stark auf. Sie wird, nachdem sie zuvor stets recht kühl war, was durch die Grautonigkeit erreicht<br />
wurde, nun etwas weicher und wärmer. Das Grün geht mehr ins Gelbe, viel Weiß verbunden<br />
mit roten, orangeroten Akzenten lassen die Bilder sehr leicht, sehr dürftig erscheinen.<br />
Die angestrebte Entmaterialisierung und Auflösung der Gegenständlichkeit wird in Waging<br />
aber nicht mehr weitergeführt. eher etwas zurückgenommen, zugunsten des' Abbildcharakter<br />
des Bildes.<br />
2. Zusammenfassung. <strong>Versuch</strong> <strong>einer</strong> Einordnung <strong>Kurt</strong> <strong>Kühn</strong>s in die Kunst des<br />
20. Jahrhunderts<br />
Um das Werk <strong>Kurt</strong> <strong>Kühn</strong>s im Zusammenhang mit der Kunst s<strong>einer</strong> Zeit zu sehen und zu verstehen,<br />
sei hier noch einmal seine Entwicklung in den wichtigsten Stationen umrissen.<br />
Nach der akademischen Ausbildung in Dresden, wo er zumindest durch indirekten Kontakt<br />
über seinen Studienfreund Richard Dietze in Berührung mit der Freilichtmalerei kam, begegnete<br />
<strong>Kurt</strong> <strong>Kühn</strong> in München den Künstlern der Scholle jener damals in München tonangebenden<br />
Künstlergruppe. Persönliche Freundschaft verband ihn noch lange mit diesen Künstlern.<br />
In seinem Werk hat diese Begegnung jedoch kaum Niederschlag gefunden. Drei Aquarelle,<br />
Abb. 100 - 102, zeigen einen Hang zum Flächig-Dekorativen, die Farbe bleibt aber weit<br />
hinter den leuchtenden Bildern der Scholle-Mitglieder zurück.<br />
Erst in Paris, wohin <strong>Kurt</strong> <strong>Kühn</strong> 1906 reiste, verarbeitete er nachweislich verschiedene Einflüsse<br />
der französischen Kunst. Toulouse-Lautrec, Gauguin, vor allem aber die Fauves und<br />
Cézanne haben nachhaltig auf ihn eingewirkt. In der Komposition sowie in der Farbigkeit löst<br />
er sich von den starren Akademieregeln, wovon die frühen Bilder Kat. Nr. 1 Abb. 1, Kat. Nr. 3<br />
Abb. 2 zeugen und schließt sich <strong>einer</strong> Farbigkeit an, die von frühen Bildern der Fauves her<br />
bekannt ist. Blau in verschiedenen Abtönungen mit hellern Rosarot kontrastieren, teilweise<br />
im Gegenlicht mit Weiß, Kat. Nr. 5 Abb. 3. Auch motivische Ähnlichkeiten, namentlich in den<br />
Aktdarstellungen, sind vorhanden. <strong>Der</strong> Farbauftrag wird sehr viel freier. Statt in fast altmeisterlicher<br />
Manier zu malen, wird die Farbe mit kräftigen Pinselstrichen aufgetragen, die selbst<br />
den Bildcharakter mitbestimmen, Kat. Nr. 15 Abb. 7. Schließlich wird die Farbe in kräftigen<br />
kleinen Flächen aufgetragen, die nebeneinander gesetzt den Gegenstand modellieren, Kat.
- 75 -<br />
Nr. 20 Abb. 9 Kat. Nr. 21 Abb. 10. Die einzelnen Bilder beinhalten eine zusehends größere<br />
Anzahl verschiedener Farben, sie sind nicht mehr monochrom wie die frühen Bilder. Die<br />
wichtigsten Beispiele hierfür sind die beiden Akte Kat. Nr. 18 Abb. 8, Kat. Nr. 27 Abb. 13. Die<br />
Auseinandersetzung mit Cézanne findet in erster Linie innerhalb der Landschaftsmalerei<br />
statt, Kat. Nr. 24, Kat. Nr. 30 Abb. 15. In Anlehnung an Cézanne baut <strong>Kurt</strong> <strong>Kühn</strong> die Natur<br />
aus der Farbe heraus auf, sie wird bildkonstituierend eingesetzt.<br />
War die Farbe vielseitiger eingesetzt worden und hatte sich die Palette in Paris wesentlich<br />
aufgehellt, so fand <strong>Kurt</strong> <strong>Kühn</strong> in Afrika ab 1910 zu <strong>einer</strong> insgesamt sehr viel freieren Malweise.<br />
Gegenüber den nun auftretenden Farben, die naturgemäß völlig anders sind, wirken die<br />
der vorausgegangenen Zeit dunkel und matt. Mit dieser Entwicklung schreitet die Beschränkung<br />
innerhalb der Farbwahl einher. Selten werden für ein und\ dasselbe Bild mehr als drei<br />
verschiedene Farben verwandt. Am häufigsten tritt die Kombination von rosa, gelbbraun und<br />
blau auf. Eine weitere beliebte Kombination ist die von ocker, braun, blau und rosa sowie<br />
grün. Nachdem zu Beginn des afrikanischen Aufenthaltes die Farben sehr kräftig und leuchtend<br />
gebraucht wurden, werden sie gegen 1912/13 blasser, dunstiger, im selben Maße wie<br />
eine Verbindung der beiden koloristischen Strömungen vollzogen wird, Kat. Nr. 48 Abb. 27.<br />
Die Bildthemen unterscheiden sich nicht wesentlich von denen des traditionellen Orientalismus,<br />
lediglich historische Schilderungen fehlen völlig. Innerhalb der Darstellungsweise versuchte<br />
<strong>Kurt</strong> <strong>Kühn</strong>, einen neuen Weg einzuschlagen. Nachdem der Orientalismus zu <strong>einer</strong><br />
pomphaften Theatermalerei verkommen war, versuchte <strong>Kurt</strong> <strong>Kühn</strong> mit <strong>einer</strong> sachlichen, realistischen<br />
Schilderung seine Eindrücke wiederzugeben, ohne das Exotische als Attraktion zu<br />
benützen. Durch das Bemühen, das Land mit seinen Sitten und Gebräuchen kennen zu lernen,<br />
um dadurch zu einem Verständnis zu kommen, das hinter die Oberfläche gelangen<br />
kann, sind seine Darstellungen gekennzeichnet. Er versuchte zu zeigen, was nicht vordergründig<br />
sichtbar war, vielmehr versuchte er, sichtbar zu machen, im Gegensatz zu den<br />
Orientalisten des ausgehenden neunzehnten Jahrhunderts, die sich damit begnügten, abzubilden.<br />
Dadurch bekommen seine Bilder eine Ehrlichkeit und eine Überzeugungskraft, die<br />
den ägyptischen Bildern Slevogts nicht nachsteht, Abb. 121, 122, und die Etienne Dinets<br />
oder Rudolf Ernsts weit übertrifft. Bezeichnend ist, dass <strong>Kurt</strong> <strong>Kühn</strong> in Afrika zu einem eigenen<br />
Stil fand, sowohl in der Kompositionsweise wie in Farbe und Farbauftrag. Letzterer experimentiert<br />
nicht mehr so viel wie in Paris, sondern ist einheitlich pastos und kräftig. Seine<br />
Gemälde sind in der Konzeption entscheidend vom Bildgegenstand geprägt, im Gegensatz<br />
zu Slevogt beispielsweise, was <strong>Kurt</strong> <strong>Kühn</strong> mit den Orientalisten verbindet, und zwar mit denen<br />
der klassischen Zeit, ,also der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts.<br />
Auf diesem Gebiet hat <strong>Kurt</strong> <strong>Kühn</strong> ganz Entscheidendes geleistet, der Verlust sämtlicher Bilder<br />
aus dem Jahre 1914 ist deshalb ganz besonders schmerzlich.<br />
In den Jahren der Gefangenschaft, 1914-1919, knüpfte <strong>Kurt</strong> <strong>Kühn</strong> an den Stil der Pariser Zeit<br />
an, um zu Ausdrucksmitteln zu gelangen, die der völlig anderen Umgebung gerecht würden.<br />
Hier schon deutet sich an, in welchem Maße <strong>Kurt</strong> <strong>Kühn</strong> von s<strong>einer</strong> jeweilige~ Umgebung<br />
abhängig war, was die Bildgestaltung anbelangt.<br />
Die Farbe wird wieder dunkler, oder besser: kräftiger und leuchtend, die Komposition strenger.<br />
Die Methode, Landschaften durch eine Abfolge mehrerer zur unteren Bildkante parallel<br />
verlaufender Streifen zu bilden, setzt sich hier durch. Sie wird immer wieder bis in die vierziger<br />
und fünfziger Jahre angewandt.<br />
In Holzhausen, in den Jahren 1919-1924, hellt sich dann die Farbe nochmals auf, bis sie<br />
schließlich recht blass, um nicht zu sagen kraftlos, wird, Kat. Nr. 143 Abb. 71. In den folgen-
- 76 -<br />
den Jahren entstehen viele Bilder aus Düsseldorfer oder Pariser Parks, Hier wird das Prinzip<br />
eines Weges, der entweder diagonal das Bild durcheilt oder in starker Verkürzung in den<br />
Hintergrund führt, angewandt. Die Farbe zeichnet sich durch ihre Tonigkeit, durch den Grauschleier,<br />
der sie zu überdecken scheint, aus. Eine Verwandtschaft zu Albert Marquet ist dabei<br />
zu konstatieren. Zu jenem Künstler und zu André <strong>Der</strong>ain gibt es auch innerhalb der Portraits,<br />
die in den dreißiger Jahren entstanden, Parallelen. Eine ähnliche Sachlichkeit, mit der<br />
der Dargestellte der Umwelt, d. h. dem Betrachter ausgesetzt wird, ist ihm zueigen. Man<br />
kann hier durchaus von <strong>einer</strong> Klassizität sprechen, die in das Werk eingeht. Damit steht <strong>Kurt</strong><br />
<strong>Kühn</strong> keineswegs allein; wenn auch mit etwas anderen Resultaten, findet sich ein solcher<br />
Hang zum Plaststisch-Klassischen im Werk zahlreicher anderer Künstler dieser Zeit. In den<br />
Skizzen, die während der Spanienreise 1932 entstanden, klingt nochmals die Frische an, die<br />
auch die afrikanischen Bilder auszeichnete. Die Farbe ist insgesamt kräftiger und leuchtender.<br />
Die in Waging während der vierziger und fünfziger Jahre entstandenen Bilder greifen schon<br />
entwickelte Kompositionsweisen auf, die Farbe bleibt grundsätzlich gleich, sie ändert sich<br />
lediglich in der Nuancierung und wird etwas wärmer, statt den kühlen Grauton aufzuweisen,<br />
der für die Düsseldorfer Zeit so typisch war.<br />
Soviel zur künstlerischen Entwicklung <strong>Kurt</strong> <strong>Kühn</strong>s. Diese ist sicherlich auch durch äußere<br />
Einflüsse so verlaufen. Dass sein Werk, das nach 1919 entstand, nicht das einlöste, was die<br />
zuvor entstandenen Bilder versprachen, ist sicherlich kein Zufall. Die Rückkehr nach Afrika<br />
war zunächst nicht möglich, Pläne, die das später anstrebten, wurden ebenfalls zunichte<br />
gemacht, für einen Künstler wie <strong>Kurt</strong> <strong>Kühn</strong>, der in solch starkem Maß vom Land, in dem er<br />
arbeitete, abhängig war, sicherlich ein harter Schlag. So ist es nicht verwunderlich, dass er,<br />
der sich im Norden nie besonders wohl fühlte, verstärkt dem Portrait zuwandte und auf diesem<br />
Gebiet zu recht interessanten Ergebnissen kam. Er arbeitete nicht gesellschaftskritisierend<br />
oder satirisch, seine Bildnisse sind Charakterstudien, fein beobachtet, sie versuchen<br />
den Dargestellten in s<strong>einer</strong> Persönlichkeit festzuhalten.<br />
Die differenzierte Beobachtung und unprätentiöse Wiedergabe sind durchgehende Züge<br />
s<strong>einer</strong> Kunst.<br />
Ebenso durchzieht alle seine Werke eine Poesie und verleiht gerade seinen Landschaften<br />
eine Leichtigkeit und Heiterkeit, die nicht so schnell ihresgleichen findet. Insofern ist wieder<br />
die Verbindung zur französischen Kunst hergestellt. Vor allem die Parallele zu André <strong>Der</strong>ain<br />
und Albert Marquet, die eine relativ kurze Zeit sich zu höchster Blüte aufschwingen konnten<br />
und später in eine Art Orientierungslosigkeit verfielen, drängt sich auf, zumal jene Künstler<br />
derselben Generation wie <strong>Kurt</strong> <strong>Kühn</strong> angehörten. Es sei somit nochmals an das Zitat von<br />
San Lazzaro erinnert 8 , dass der Fauvismus eine Etappe, eine Episode innerhalb der Entwicklung<br />
der einzelnen Künstler darstellte und dass die sich anschließende Entwicklung völlig<br />
verschieden verlief. Steht somit nur ein Teil des Werkes auf höchstem künstlerischem<br />
Niveau, so legitimiert dies doch zumindest eine Auseinandersetzung mit dem betreffenden<br />
Künstler, und unter diesem Aspekt ist eine Beachtung des Werkes <strong>Kurt</strong> <strong>Kühn</strong>s sicherlich berechtigt.<br />
Deshalb sei abschließend nochmals auf das in Afrika entstandene Werk hingewiesen, das<br />
innerhalb des Orientalismus des zwanzigsten Jahrhunderts sicherlich eine hervorragende<br />
Stellung einnimmt.
Anmerkungen Teil III<br />
- 77 -<br />
1. Bei Marquet fand die Wende von der leuchtenden Farbe, die so typisch für die Fauves<br />
ist, zu <strong>einer</strong> grauen Tonigkeit endgültig 1906 statt.<br />
vgl. Katalog: Albert Marquet, Hamburg, 1965, Einführung von Hans Platte (ohne Paginierung<br />
).<br />
2. In beiden Fällen ist der so genannte Zimmermannsche Garten in Holzhausen geze1gt,<br />
des damals einzigen Gasthauses in Holzhausen. (Freundliche Mitteilung Frau<br />
Lotte <strong>Kühn</strong>)<br />
3. Hier sei nochmals an die z.B. bei Gotthard Kühl so beliebte Diagonalkomposition erinnert,<br />
worauf schon an anderer Stelle hingewiesen wurde. Abb. 104<br />
4. Dies zeigt sich vor allem innerhalb der Literatur über André <strong>Der</strong>ain, der einst neben<br />
Matisse als der wichtigste französische <strong>Maler</strong> im 20. Jahrhundert galt.<br />
Mit <strong>Der</strong>ains Einordnung hatte man spätestens seit den zwanziger Jahren erhebliche<br />
Schwierigkeiten.<br />
vgl.:<br />
Sutton, D.: André <strong>Der</strong>ain, Köln, 1960<br />
Cooper, D.: <strong>Der</strong>ain Exhibition at the Musée d'Art Moderne, in:<br />
The Burlington Magazine XCII, 1955, S. 51f<br />
5. San Lazzaro, Gualtieri di: Painting in France 1895-1949, London, 1949, S. 39<br />
6. Freundliche Mitteilung Frau Lotte <strong>Kühn</strong>.<br />
7. <strong>Kurt</strong> <strong>Kühn</strong> hatte durch dieses Architekturbüro die Stelle in der Krefelder Gobelinmanufaktur<br />
erhalten. Da das Bildnis in jenen Jahren entstanden sein dürfte, liegt die Vermutung<br />
nahe, dass es sich um einen Angehörigen dieses Büros handelt. Dies aber<br />
konnte nicht positiv bestätigt werden.<br />
8. vgl. Anmerkung 5.
Bibliographie<br />
- 78 -<br />
Ahlers-Hestermann, Friedrich: Stilwende, Berlin, 1941<br />
Alazard, Jean: L'Orient et la peinture Française en XIX e Siècle, d'Eugène Delacroix à<br />
Gustave Renoir, Paris, 1930<br />
Alazard, Jean: Souvenirs et Melanges, Paris, 1963<br />
Allgemeines Lexikon der bildenden Künstler von der Antike bis zur Gegenwart,<br />
hrsg. von U. Thieme und F. Becker, 37 Bände, 1907-1950<br />
Baroli, Marc: 'La Vie Quotidienne des Français en Algérie', 1830-1914, Paris, 1967<br />
Barr, Alfred jr.: Matisse. His Art and His Public, New York, 2 1974<br />
Beerbohm, Max: Letters, London, 1975<br />
Bell, Clive: Since Cézanne, New York, 1923<br />
Bezombes, Roger: L'Exotisme dans l'Art et dans la Pensée, Paris, Brüssel, New York, 1953<br />
Biermann, Georg: Die Scholle. Eine Münchner Künstlervereinigung, München, 1910<br />
Boime, Albert: The Academy and French Painting in the 19 th Century, London, 1971<br />
Breuer, Peter: Münchner Künstlerköpfe, München, 1937<br />
Buschor, Ernst: Bildnisstufen, München, 1947<br />
Buschor, Ernst: Das Portrait, München, 1960<br />
Cabanne, Pierre: Henri Manguin, Neuchâtel, 1964<br />
Celebonovic, Aleksa: Bürgerlicher Realismus. Die Meisterwerke der Salonmalerei,<br />
Berlin, 1974<br />
Cogniat, Raymond: Gauguin, ses amis, L'Ecole de Pont-Aven et l'Académie Julian,<br />
Paris, 1934<br />
Coquiot, Gustave: Les Indépendants, 1884-1920, Paris, 4 1920<br />
Corinth, Lovis: Legenden aus dem Künstlerleben, Berlin, 1908<br />
Covey, Arthur, Sinclair: A German Painter,: Ludwig Herterich in: The Studio, Vol. 37,<br />
No. 155, 1906, S. 41-48<br />
Crespelle, Jean-Paul: Fauves und Expressionisten, München, 1963<br />
Crespelle, Jean-paul: Les Maîtres de la belle Epoque, Paris, 1966<br />
Daniel Henry (d. i. Kahnweiler, D. H.): André <strong>Der</strong>ain, Leipzig, 1920<br />
<strong>Der</strong>i, Max: Die <strong>Maler</strong>ei im 19. Jahrhundert, Berlin, 1920<br />
Diehl, Gaston: Henri Matisse, Paris, o. J.<br />
Dobsky, Arthur: Dresdner Kunst, in: Die Kunst unserer Zeit, München, XIII, o. J.<br />
Duthuit, George: Les Fauves. Braque, <strong>Der</strong>ain, van Dongen, Dufy, Friesz, Manguin, Marquet,<br />
Matisse, Puy, Vlaminck, Genève, 1949<br />
Eichner, Johannes: Wassily Kandinsky und Gabriele Münter, München, <strong>1957</strong><br />
Encyclopedia of World Art, 15 Bände, New York, Toronto, London, 1959-1968<br />
Engels, Eduard: Münchens Niedergang als Kunststadt; München, 1902<br />
Enzensberger, Hans Magnus: Einzelheiten I. Bewusstseinsindustrie, Frankfurt/M., 8 1973<br />
Festschrift 1200 Jahre Holzhausen am Ammersee, St. Ottilien, o. J.<br />
Friedlaender, Max J.: Landscape, Portrait, Stillife: Their Origin and Development,<br />
Oxford, 1949
- 79 -<br />
Goergen, Hans-Peter: Düsseldorf und der Nationalsozialismus, Diss., Köln, 1968<br />
Goldschneider, Ludwig: 500 Selbstportraits, Wien, 1936<br />
Gollek, Rosel: <strong>Der</strong> Blaue Reiter im Lenbachhaus München, München, 1974<br />
Gordon, Donald, E.: Modern Art Exhibitions, München, 1974<br />
Grautoff, Otto: Formzertrümmerung und Formaufbau in der bildenden Kunst, Berlin, 1919<br />
Grautoff, Otto: Die französische <strong>Maler</strong>ei seit 1914, Berlin, 1921<br />
Grautoff, Otto: Franzosen sehen Deutschland, St. Ottilien, o. J.<br />
Grautoff, Otto: Das gegenwärtige Frankreich, Halberstadt, 1926<br />
Grohmann, Will: <strong>Der</strong> <strong>Maler</strong> Paul Klee, Köln, 1966<br />
Grohmann, Will: Slevogts Reisebilder aus Ägypten in der Dresdner Gemäldegalerie,<br />
in: Cicerone XX, 1928<br />
Grohmann, Will: Wassily Kandinsky, Leben und Werk, Köln, 1958<br />
Die große Enzyklopädie der <strong>Maler</strong>ei, hrsg. von Hermann Bauer, 8 Bände, Freiburg, Basel,<br />
Wien, 1976-1978<br />
<strong>Der</strong> große Garten. Wege und Ziele der Kunst und Kultur in Dresden.<br />
Hrsg. für den sächsischen Kunstverein zu Dresden von Erich Haenel.<br />
Band 1, Dresden, 1925<br />
Band 2, Dresden, 1928<br />
Grote, Ludwig: Deutsche Kunst im 20. Jahrhundert, München, 1953<br />
Guichard-Meili, Jean: Matisse. Sein Leben und seine Welt, Köln, 1968<br />
Gurlitt, Cornelius: Dresden, Berlin, 1907<br />
Haendler, Gerhard: Deutsche <strong>Maler</strong> der Gegenwart, Berlin, 1956<br />
Haftmann, Werner: <strong>Maler</strong>ei im 20. Jahrhundert, 2 Bände, München, 5 1976, 2 1973<br />
Hamann, Richard: Die deutsche <strong>Maler</strong>ei vom Rokoko bis zum Expressionismus,<br />
Leipzig, Berlin, 1925<br />
Hamann, Richard und Jost Hermann: Epochen deutscher Kultur<br />
von 1870 bis zur Gegenwart, 5 Bände:<br />
Bd. 1: Gründerzeit, München, 1971<br />
Bd. 2: Naturalismus, München, 2 1973<br />
Bd. 3: Impressionismus, München, 2 1974<br />
Bd. 4: Stilkunst um 1900, München, 1973<br />
Bd. 5: Expressionismus, München, 1976<br />
Hamilton, George Heard: Painting and Sculpture in Europe, <strong>1880</strong>-1940,<br />
Harmondsworth, 1978<br />
Hanfstaengl, Erika: Wassily Kandinsky Zeichnungen und Aquarelle.<br />
Katalog der Sammlungen in der Städtischen Galerie im Lenbachhaus München,<br />
München, 1974<br />
Hausenstein, Wilhelm: Die bildende Kunst der Gegenwart, Stuttgart, 1920<br />
Hausenstein, Wilhelm: Eugen von Kahler, in: Ganymed V (1925)<br />
Hausenstein, Wilhelm: Kairouan oder eine Geschichte vom <strong>Maler</strong> Klee und von der Kunst<br />
dieses Zeitalters, München, 1921<br />
Herterich, Ludwig: Aus meinem Leben, in: Kunst und Künstler, Bd. VII, Berlin, 1909<br />
Hess, Thomas B. and John Ashberry: Academic Art, New York, 1971<br />
Hevesi, Ludwig: Altkunst-Neukunst, Wien 1894-1908, Wien, 1909
Hirth, Georg: Wege zur Kunst, München, 1918<br />
- 80 -<br />
Hofmann, Werner: Das irdische Paradies. Motive und Ideen des 19. Jahrhunderts,<br />
München, 2 1974<br />
Hofmann, Werner: Von der Nachahmung zur Erfindung der Wirklichkeit.<br />
Die schöpferische Befreiung der Kunst 1890-1914, Köln, 1970<br />
Hofmann, Werner: Zeichen und Gestalt. Die <strong>Maler</strong>ei des 20. Jahrhunderts,<br />
Frankfurt/M., <strong>1957</strong><br />
Hofstätter, Hans: Geschichte der europäischen Jugendstilmalerei, Köln, 1963<br />
Hütt, Wolfgang: Die Düsseldorfer <strong>Maler</strong>schule 1819-1869, Leipzig, 1864<br />
Hütt, Wolfgang: Deutsche <strong>Maler</strong>ei und Graphik im 20. Jahrhundert, Berlin, 1969<br />
Imdahl, Max: Die Rolle der Farben in der neueren französischen <strong>Maler</strong>ei - Abstraktion und<br />
Konkretion, in: Poetik und Hermeneutik II, München, 1966<br />
Imiela Hans Jürgen: Max Slevogt, Karlsruhe, 1968<br />
Jullian, Philipe: Les Orientalistes. La Vision de l'Orient par les Peintres Européens aux<br />
XIX e Siècle, Fribourg, 1977<br />
Jullian, Philippe: The Triumph of Art Nouveau. Paris Exhibition 1900, London, 1974<br />
Kahler, Eugen von: Briefe aus Ägypten, in: Ganymed V, 1925<br />
Kahnweiler, Daniel-Henry: <strong>Der</strong> Weg zum Kubismus, Stuttgart, 1958<br />
Kalkschmidt, Eugen: Die Akademie und der Akademieunterricht,<br />
in: Die Kunst für Alle, Bd. 24, 1908/09, S. 547-556<br />
Kandinsky, Wassily: Eugen von Kahler, in: <strong>Der</strong> Blaue Reiter, München, 3 1967, S. 105<br />
Katalog: Courbet und Deutschland, Köln, 1978<br />
Katalog: Eastern Encounters. Orientalist Painters of the Nineteenth Century, London, 1978<br />
Katalog: Anselm Feuerbach. 1829-<strong>1880</strong>. Gemälde und Zeichnungen, Karlsruhe, 1976<br />
Katalog: <strong>Der</strong> französische Fauvismus und der deutsche Frühexpressionismus, München,<br />
Haus der Kunst, 1966<br />
Katalog: Kandinsky-Gabriele Münter Stiftung und Gabriele Münter,<br />
Werke aus 5 Jahrzehnten, München, <strong>1957</strong><br />
Katalog: Wassily Kandinsky Gemälde 1900-1944, Baden-Baden, 1970<br />
Katalog: Wassily Kandinsky 1866-1944, München, 1976/77<br />
Katalog: Das kleine Schaufenster - Düsseldorfer Kunst im Malkasten, Düsseldorf,<br />
Malkasten, 1968<br />
Katalog: Kunst in Dresden. 18. - 20. Jahrhundert. Aquarelle, Zeichnungen, Druckgraphik,<br />
Heidelberg, 1964<br />
Katalog: Mahmal et Attatiches. Peintres et Voyageurs en Turquie en Egypte et en Afrique du<br />
Nord, Paris, 1975/76<br />
Katalog: Albert Marquet. Gemälde, Pastelle, Aquarelle, Zeichnungen, Hamburg, 1964/65<br />
Katalog: Albert Marquet 1875-1947, München, 1976<br />
Katalog: München 1869-1958. Aufbruch zur modernen Kunst, München, 1958<br />
Katalog: Die Münchner Schule 1850-1914, München, 1979<br />
Katalog: North-African Traveller. Casablanca to Cairo, London, 1974<br />
Katalog: Paris-Berlin 1900-1933. Übereinstimmungen und Gegensätze<br />
Frankreich-Deutschland, München, 1979
- 81 -<br />
Katalog: Pariser Begegnungen 1904-1914. Café du Dôme, Académie Matisse, Lehmbrucks<br />
Freundeskreis, Duisburg, 1965<br />
Katalog: Le salon imaginaire. Bilder aus den großen Kunstausstellungen der zweiten Hälfte<br />
des XIX. Jahrhunderts, Berlin, 1969<br />
Katalog: Sezession. Europäische Kunst um die Jahrhundertwende, München, 1964<br />
Katalog: Simplizissimus. Eine satirische Zeitschrift München 1896-1940, München, 1977/78<br />
Katalog: Weltausstellungen im 19. Jahrhundert. Idee, Auswahl und Texte: Christian Beuter<br />
mit einem Beitrag von Günther Metken, München, 1973<br />
Kessel-Thöny Dagmar von: Eduard Thöny. Leben und Werk, Diss., München, 1974<br />
<strong>Kühn</strong>, <strong>Kurt</strong>: Aufzeichnungen über Afrika I (ohne Titel), Maschinenschrift, nicht veröffentlicht<br />
<strong>Kühn</strong>, <strong>Kurt</strong>: Aufzeichnungen über Afrika II "Südwärts", Maschinenschrift, nicht veröffentlicht<br />
<strong>Kühn</strong>, <strong>Kurt</strong>: Aufzeichnungen über Afrika III "Weihnachten unter der Palme",<br />
Maschinenschrift, nicht veröffentlicht<br />
<strong>Kühn</strong>, <strong>Kurt</strong>: Ibiza - ein entweihtes Paradies, in: <strong>Der</strong> Mittag, Nr. 126, 3. Juni 1937<br />
Lassaigne, Jacques: Matisse, Genève, 1959<br />
Laxner, Uta: Stilanalytische Untersuchungen zu den Aquarellen der Tunisreise 1914:<br />
Macke, Klee, Moillet, Diss., Bonn, 1967<br />
Lehrs, Max: Slevogts Bilder aus Ägypten, in: Zeitschrift für Bildende Kunst 26, 1915, S. 217ff<br />
Lessing, Julius: Japan im europäischen Kunstleben,<br />
in: Westermanns Monatshefte, Bd. 49, 1881<br />
Lexikon der Kunst, 5 Bände, Leipzig, 1968-1978<br />
Lieb, Norbert: München. Die Geschichte s<strong>einer</strong> Kunst, München, 1971<br />
Loup, <strong>Kurt</strong>: <strong>Der</strong> Künstler-Verein 'Malkasten', Düsseldorf 1848-1968, Düsseldorf, 1968 .<br />
Macke, August: Die Tunisreise. Aquarelle und Zeichnungen, Köln, 1973<br />
Matisse, Henri: Notizen eines <strong>Maler</strong>s, in: Kunst und Künstler, VII, 1909, S. 335-347<br />
Meier-Graefe, Julius (Hrsg.): Die Weltausstellung in Paris 1900, Paris und Leipzig, 1900<br />
Nolde, Emil: Mein Leben, Köln, 1976<br />
Oldenbourg, Rudolf: Die Münchner <strong>Maler</strong>ei im 19. Jahrhundert, 2 Bände,<br />
München, 1922, 1925<br />
Ostini, Fritz von: Die VII Internationale Kunstausstellung im Königlichen Glaspalast zu<br />
München, in: Die Kunst für Alle, 16. Jg., 1900/01, S. 513-522<br />
Ostini, Fritz von: Fritz Erler, Leipzig, 1921<br />
Overy, Paul: Kandinsky. Die Sprache des Auges, Köln, 1970<br />
Pecht, Friedrich: Geschichte der Münchner Kunst im 19. Jahrhundert, München,1888<br />
Peregrin, Jakob: Die Wende der Neuen Kunst als Schicksal eines Künstlers<br />
(Eugen von Kahler 1882-1911), in: Genius III, 1921<br />
Pevsner, Nikolaus: Academies of Art. Past and Present, New York, 1973<br />
Reif, Wolfgang: Zivilisationsflucht und literarische Wunschräume. <strong>Der</strong> exotische Roman im<br />
ersten Viertel des 20. Jahrhunderts, Diss., Saarbrücken, 1970<br />
Rewald, John: Die Geschichte des Impressionismus, Köln, 2 1979<br />
Rewald, John: Post-Impressionism from van Gogh to Gauguin, New York, 1956<br />
Rischer, Walter: Die nationalsozialistische Kulturpolitik, in: Düsseldorf, Diss., Köln, 1972<br />
Roditi, Eduard: Dialoge über Kunst, Wiesbaden, 1960
- 82 -<br />
Roh, Franz: Geschichte der deutschen Kunst von 1900 bis zur Gegenwart, München, 1958<br />
Rothenstein, William: Imperfect Encounter, Cambridge, Mass., 1972<br />
Rothenstein, William: Men and Memories. Recollections 1872-1900, New York, 1931<br />
Said, Edward: Orientalism, London, 1978<br />
San Lazzaro, Gualtieri di: Painting in France 1895-1949, London, 1949<br />
Schab, Günther: Blick in den Malkasten, in: Merian Düsseldorf, Heft 5, 4. Jahrgang,<br />
Hamburg, 1951<br />
Schlittgen, Hans: Erinnerungen, München, 1926<br />
Schumann, Paul: Die erste Ausstellung der Künstlervereinigung Dresden, 1910,<br />
in: Die Kunst für Alle, Bd. 26, 1910/11, S. 121ff<br />
Schumann, Paul: Dresden, Leipzig, 1909<br />
Shinoda, Yujiro: Degas. <strong>Der</strong> Einzug des Japanischen in die französische <strong>Maler</strong>ei, Diss.,<br />
Köln, <strong>1957</strong><br />
Simon, Hans-Ulrich: Sezessionismus. Kunstgewerbe in literarischer und bildender Kunst,<br />
Stuttgart, 1976<br />
Sternberger, Dolf: Panorama oder Ansichten vom 19. Jahrhundert, Frankfurt/M. 1974<br />
Sutton, Dennys: André <strong>Der</strong>ain: Art as Fate, in: Encounter, October 1955, S. 68-72<br />
Sutton, Dennys: André <strong>Der</strong>ain, Köln, 1960<br />
Trier, Eduard (Hrsg.): 200 Jahre Kunstakademie Düsseldorf, Düsseldorf, 1973<br />
Uhde-Bernays, Hermann: Die Münchner <strong>Maler</strong>ei im 19. Jahrhundert, II. Teil 1850-1900,<br />
München, o. J.<br />
Vollard, Ambroise: Erinnerungen eines Kunsthändlers, o. O., 1949<br />
Vriesen, Gustav: August Macke, Stuttgart, 1953<br />
Vriesen, Gustav und Max Imdahl: Robert Delaunay - Licht und Farbe, Köln, 1967<br />
Waetzold, Wilhelm: Deutsche <strong>Maler</strong>ei seit 1870, Leipzig, 1919<br />
Waldmann, Emil: Max Slevogts Bilder aus Ägypten, in: Kunst und Künstler, XIII, 1915,<br />
S. 393ff<br />
Warnod, Jeannine: Le Bâteau-Lavoir, 1892-1914, Genf, 1976<br />
Wedewer, Rolf: Landschaftsmalerei zwischen Traum und Wirklichkeit, Köln, 1978<br />
Weidenhaupt, Hugo: Kleine Geschichte der Stadt Düsseldorf, Düsseldorf, 2 1962<br />
Wiessner, M.: Die Akademie der Bildenden Künste zu Dresden, Dresden, 1864<br />
Wilenski, R.-H.: André <strong>Der</strong>ain: An Austere Romantic, in: Apollo, Jg. 1928, S. 169-174<br />
Wingler. H.-M. (Hrsg.): Wie sie einander sahen. Moderne <strong>Maler</strong> im Urteil ihrer Gefährten,<br />
München, 1961<br />
Wolf, Georg-Jacob: Zur Jahrhundertfeier der Münchner Akademie der bildenden Künste,<br />
in: Die Kunst für Alle. Bd. 24, 1908/09, S. 402-411<br />
Wolf, Georg-Jacob: Münchner Künstlergenossenschaft und Session, München, o. J.<br />
Wolter, Franz: Die Jahresausstellung im Münchner Glaspalast,<br />
in: Die Kunst für Alle, Bd. 18, 193, S. 539-547