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das argument - Berliner Institut für kritische Theorie eV

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Sprach- und Literaturwissenschaft 125<br />

wicklung von Lyriktheorien seit dem Ende des 2. Weltkriegs. Zum Prüfstein <strong>kritische</strong>r<br />

Bewertung wählt er folgendes Problem: »Ist die Wirklichkeit, die den Lyriker angeht,<br />

eine objektiv existierende Realität, auf die <strong>das</strong> Gedicht direkt oder indirekt bezogen<br />

werden kann, oder ist es <strong>das</strong> Subjekt. <strong>das</strong> diese Wirklichkeit aus sich heraus und ohne<br />

jeden Bezug zur Realität schafft'« (9)<br />

Ausgangspunkt der Untersuchung ist die Lyriktheorie G. Benns, die sich <strong>für</strong> die<br />

Dichtung der 50er Jahre als äußerst einflußreich erweisen sollte. Benns Forderung nach<br />

dem »absoluten Gedicht« entspricht der »Flucht in einen geschichtsblinden Ästhetizismus«<br />

(27), der eine Reaktion auf die Erfahrungen der Lyriker in der BRD der Nachkriegsjahre<br />

war. Allerdings hat die Konzeption Benns ihre Wurzeln in einer bereits in<br />

den 20er Jahren vollzogenen Umformung des spätbürgerlichen Entfremdungserlebnisses<br />

in ein »ontologisches und damit ewig menschliches« (40). Entsprechend führen die<br />

meisten Lyriker der BRD die Traditionslinie Nietzsche-Spengler-Klages weiter und feiern<br />

so unter dem Signum der Literaturrevolution ihre eigene Entfremdung. Enthistorisierung<br />

und archaisierender Mythos sollen eine poetische Gegenwelr zur Realität schaffen.<br />

- An diesem Punkt der Untersuchung wird allerdings deutlich, daß Schuhmanns<br />

Ineinssetzung von Poetik und Gedichtproduktion zu falschen Schlüssen führen muß: so<br />

sehr man seiner Bewertung der <strong>Theorie</strong> Benns und seiner Nachfolger zustimmen muß,<br />

so wenig kann man diese auch auf die verwendeten Stilmittel, die oft der surrealistischen<br />

Tradition entstammen, übertragen. Der Vorwurf einer »autonomisierten Phantasie<br />

( ... ), die sich von der Wirklichkeit emanzipiert hat« (93), kann sich höchstens an die<br />

<strong>Theorie</strong>, nicht aber an mögliche Rezeptionsweisen richten.<br />

Gesellschafts<strong>kritische</strong> Züge kommen nach Schuhmann erst in der Mitte der 50er Jahre<br />

wieder zum Tragen. Die Erfahrung der raschen Entwicklung des kapitalistischen<br />

Wirtschaftssystems provoziert Lyriker wie Bachmann, Enzensberger und Rühmkorf<br />

zwar dazu, »Veränderung« als Lebenshaltung zu fordern, doch bleiben ihre Zukunftsentwürfe<br />

im allgemeinen Utopien. Lyrik und Politik werden als zwei »wesensverschiedene<br />

Prozesse« (166) gedeutet. Auch die negative Einschätzung dieser theoretischen<br />

Position scheint mir auf überzogene Ansprüche des Autors an die direkte politische<br />

Wirkung von Literatur hinzudeuren.<br />

Das völlige Aufgehen der Lyrik in den Entfremdungsprozessen der Moderne sieht<br />

Schuh mann in der »konkreten Poesie« verwirklicht, die Max Benses Textästhetik verpflichtet<br />

ist: Dichtung soll hier nur noch Strukturen und Funktionen darstellen, nicht<br />

mehr Inhalte. Der Verfasser weist an der Reduktion von Wirklichkeit auf Sprache<br />

schlüssig den Zusammenhang zwischen dem logischen Positivismus der Wiener Schule<br />

und der vermeintlichen Revolution durch Sprache nach. Die zu Beginn der 60er Jahre<br />

einsetzende Orientierung auf den »Neuen Realismus« Herburgers und Brinkmanns<br />

z.B. sieht Schuhmann als eine reine Anpassung an den Innovationszwang des literarischen<br />

Marktes. obwohl mir gerade <strong>das</strong> zu dleser Zeit oft in Anspruch genommene Vorbild<br />

der amerikanischen Undergroundlyrik auf gesellschaftliche Protestpotentiale hinzudeuten<br />

scheint.<br />

Erst durch die Gründung des VdS und der Autorenbuchhandlungen und -selbstverlage<br />

sieht Schuhmann die materiellen Grundlagen <strong>für</strong> eine »kritisch-realistische Lyrik«<br />

(330) gesichert, obwohl vor allem bei Enzensberger noch eine vornehmlich intellektuelle<br />

Revolutionierung der Gesellschaft vorherrscht. Die Orientierung an den Kulturbe­<br />

JÜ1[lli"Cll Jn Massen und an Jer kninschcn Zwcikulturcnthcoric führt dann zur<br />

Gründung der "Werkkreise der Literatur der Arbeitswelt«, die einem neuen Verständnis<br />

der operativen Funktion von Lyrik verpflichtet sind. Damit wird Wirklichkeitskritik<br />

durch »utopische Entwürfe, Zukunftsdarstellungen und andere Arten politisch-literarischer<br />

Perspektivgestaltung« (346) möglich. Formal beziehen sich diese Lyriker nicht<br />

mehr auf die artifizidle Tradition der 50er Jahre, sondern auf progressive wie die Hci-

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