Die eigene Ganzheit erleben - Das Kaiserschnitt Netzwerk
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Wissen Heilende Rituale in Schwangerschaft und Geburt<br />
<strong>Die</strong> <strong>eigene</strong> <strong>Ganzheit</strong> <strong>erleben</strong><br />
Katrin Mikolitch Alltägliche einfache Rituale machen viel Freude und lassen uns das Jetzt bewusster<br />
und achtsamer <strong>erleben</strong>. Rituale vermitteln ebenso Halt und Orientierung, sie vereinfachen<br />
die Bewältigung von Lebensaufgaben und krisenhaften ereignissen oder erleichtern Übergänge<br />
in neue Lebensphasen.<br />
Rituale sind Teil unseres Menschseins. Es<br />
gibt sie in allen Kulturen. Rituale dienen uns,<br />
Schwellen oder Übergänge bewusst zu <strong>erleben</strong><br />
und zu erleichtern, sie bieten Schutz und<br />
Struktur und tragen großes Heilungspotenzial<br />
in sich. Auch sind sie Ausdruck unserer<br />
Lebendigkeit. Sie haben die Kraft, uns unser<br />
Leben bewusst und achtsam <strong>erleben</strong> zu lassen<br />
und führen uns in einen Zustand, der im<br />
englischen mindfulness genannt wird, was<br />
bedeutet, bewusst in der <strong>eigene</strong>n <strong>Ganzheit</strong><br />
das »Hier und Jetzt« zu <strong>erleben</strong>.<br />
<strong>Die</strong> vielfältigen Anforderungen in Beruf<br />
und Familie, bringen uns oft in eine Alltagsroutine,<br />
in der uns der Sinn unseres Lebens<br />
und unserer Arbeit verloren geht. Rituale<br />
führen uns in eine Intensität und in einen<br />
tieferen Sinn, sodass wir uns wieder in unserer<br />
<strong>Ganzheit</strong> spüren und <strong>erleben</strong> können.<br />
Dabei müssen Rituale nicht immer große<br />
Zeremonien sein. Da wird eine alltägliche<br />
Handlung, wie achtsames Händewaschen zu<br />
einer Begegnung mit uns selber, ein einfaches<br />
Heilungsritual mit einer Schwangeren kannsinnvoll<br />
für die Gebende und Nehmende<br />
sein. Vor allem geben Rituale in schwierigen<br />
Zeiten Halt, da sie uns mit unserer Spiritualität<br />
verbinden.<br />
Übergänge begleiten<br />
Gibt es etwas Herausforderndes, als eine<br />
Schwangerschaft und die Geburt eines Kindes?<br />
Wo Leben und Sterben so nahe beieinander<br />
liegen? Da eignen sich Rituale für<br />
Hebammen und Schwangere gleichermaßen.<br />
Zum einen, um die <strong>eigene</strong> Arbeit ganzheitlicher<br />
zu <strong>erleben</strong> und zum anderen, um Schwan<br />
298 Hebammenforum 4/2012<br />
gere in dieser Wandlungsphase zu stärken.<br />
Hebammen können Frauen und deren<br />
Familien anleiten, ganz individuelle Rituale<br />
zu gestalten: um bei Kinderwunsch bewusst<br />
die Seele des Kindes einzuladen, in der<br />
Schwangerschaft die weibliche Kraft zu ehren<br />
oder nach der Geburt ein Heilungsritual<br />
mit dem Baby zu gestalten. Auch ein Plazentaritual<br />
kann ein festlicher Abschluss sein,<br />
um das Wochenbett zu beenden.<br />
Für therapeutisch ausgebildete Hebammen<br />
können individuelle Heilungsrituale für<br />
Mütter nach traumatisch erlebten Geburten<br />
ein kraftvolles Instrument zur Heilung sein.<br />
Den Moment zu <strong>erleben</strong>, wie eine Mutter ein<br />
Geburtstrauma zum Beispiel nach <strong>Kaiserschnitt</strong><br />
integriert, weil ihr Achtsamkeit und<br />
Wandlung in einem Raum des einfach Seins<br />
und Fließens gegeben wird, ist ein Aspekt<br />
meiner Arbeit, den ich sehr schätze.<br />
Lebenszyklen ehren<br />
Meist kennen wir Rituale, die dem monatlichen<br />
oder jährlichen Kalender folgen, wie<br />
das Sonnenwendritual oder kirchliche Feste.<br />
Wenn wir Lebensübergänge begehen wollen,<br />
dann dienen uns lebenszyklische Rituale, wie<br />
die Taufe.<br />
In Krisen oder schwierigen Lebensphasen<br />
kommen ereignisbezogene Rituale zum Einsatz:<br />
das Begräbnis, das es in der ganzen Welt<br />
gibt, ist ein Beispiel dafür.<br />
Allen gemeinsam ist die zyklische Natur,<br />
was der Hebamme in ihrer Arbeit sehr nahe<br />
kommt.<br />
Pro Medico(Congress"FrühBuch")<br />
Einen heiligen Raum kreieren<br />
Ein Altar ist für mich ein besonderer Platz zu<br />
Hause oder in der Natur, den ich mit persönlichen<br />
Gegenständen versehe, ihn pflege und<br />
nach meinen Bedürfnissen verändere. Ein<br />
Platz, der mir in seiner Schönheit und Kraft<br />
dient.<br />
Bei unerfülltem Kinderwunsch kann ein<br />
kleiner Altar hilfreich sein. Ich begleitete<br />
eine Patientin, die lange nicht schwanger<br />
wurde und die – neben anderen ganzheitlichen<br />
Therapien – gemeinsam mit ihrem<br />
Ehemann einen Platz gestaltete, an dem sie<br />
Babykleidung, eine Kerze und hin und wieder<br />
Babynahrung stellte. Während sie diesen<br />
Babyaltar regelmäßig umsorgte, der die Seele<br />
des Kindes einladen sollte, wurde ihr bewusst,<br />
wo sie noch nicht das Nest bereitet<br />
hatte und sie unbewusste Widerstände und<br />
Ängste hatte. <strong>Die</strong>se konnten wir gemeinsam<br />
auflösen bis sie auf natürlichem Wege<br />
schwanger wurde.<br />
Einen transportablen kleinen Altar mit<br />
individuellen Kraftgegenständen für die Geburt<br />
kann überall, auch im Krankenhaus<br />
einen privaten oder auch heiligen Raum<br />
schaffen. Ein kleines Tuch kann als Unterlage<br />
für einige ausgewählte Gegenstände dienen,<br />
die Kraft und Sicherheit während der<br />
Geburt geben. In der Schwangerschaft hilft<br />
es, wenn Frauen sich selber eine Kraftdecke<br />
nähen oder mit Stofffarben ein feines Laken<br />
bemalen. <strong>Die</strong> Symbole für diese Decke können<br />
Frauen in inneren Reisen (geführten<br />
Visualisierungen) in sich selber intuitiv entdecken.<br />
So kann eine Frau sich während der<br />
Geburt – auch im Krankenhaus – ihren <strong>eigene</strong>n<br />
sicheren Raum gestalten, indem sie
Heilende Rituale … Wissen<br />
sich auf oder unter die Decke legt oder darauf<br />
gebiert. Aus meiner Erfahrung ist diese<br />
Decke durch die Geburt sehr aufgeladen<br />
und im weiteren Lebensverlauf eine Kostbarkeit.<br />
Sich ganzheitlich und kreativ auf die Geburt<br />
vorzubereiten kann in Geburtsvorbereitungskursen<br />
für viele Frauen ein stärkendes<br />
Element sein, das sie in ihre Gebärkraft<br />
führt.<br />
Den weiblichen Körper segnen<br />
Ein sehr schönes Geburtsvorbereitungsritual<br />
für Frauen ist die Segnung des <strong>eigene</strong>n Körpers.<br />
Dazu bietet man bunte Bodypaintfarben<br />
an, die je nach Körperstelle intuitiv ausgewählt<br />
werden. Alle Frauen können die<br />
Selbstsegnung gemeinsam sprechen oder<br />
jede wählt ihre Worte individuell. <strong>Die</strong> Körperregionen<br />
können benannt, bemalt und<br />
gesegnet werden. Dabei sind die genauen<br />
Worte nicht so wichtig, sondern die Intention.<br />
»Gesegnet sei mein Uterus, sodass er einen<br />
sicheres Zuhause für mein Baby sei.«<br />
»Ich segne meine Brust, sodass sie in Fülle<br />
Liebe und Nahrung geben kann« «Ich segne<br />
meine Beine, sodass ich während der Geburt<br />
stark und kraftvoll bin.« »Ich segne mein<br />
Baby....« usw. Während des Sprechens wählt<br />
die Frau eine Farbe und bemalt sich dort<br />
symbolhaft. Dabei können die Frauen, wenn<br />
sie vertraut untereinander sind, sich nur mit<br />
einem großen Tuch oder Sari bekleiden. Anschließend<br />
kann von jeder angemalten<br />
Schwangeren ein Foto gemacht werden, das<br />
als Erinnerung an die kraftvolle weibliche<br />
Göttin in uns auch auf dem Geburtsaltar<br />
Platz haben kann.<br />
Klang verbindet und heilt<br />
Für uns Frauen kann die Geburt eines Babys<br />
Auflösung der vertrauten psychischen Strukturen,<br />
nahe Todeserfahrung und das Erleben<br />
einer großen weiblichen Urkraft bedeuten.<br />
<strong>Die</strong> Energien, die während einer Geburt frei<br />
und fühlbar werden, sind enorm. <strong>Die</strong>se Erfahrung<br />
kann durch Rituale, die mit Klang<br />
zu tun haben unterstützt werden.<br />
Wenn Frauen in einem geschützten Kreis<br />
zusammenkommen, und eine Hochschwangere<br />
Segnung und Einstimmung auf die Geburt<br />
wünscht, hat sich das gemeinsame Tönen<br />
bewährt. Klang verbindet! Töne, die<br />
intuitiv gesungen werden, erschaffen einen<br />
4/2012 Hebammenforum 299<br />
Büttner-Frank/Degra WA
Wissen Heilende Rituale in Schwangerschaft und Geburt<br />
heilenden Raum der Mutter und Baby umhüllt.<br />
Es kommt nicht auf die Klangschönheit<br />
an, sondern dass jede Teilnehmerin aus<br />
sich heraus das tönt, was sich stimmig anfühlt.<br />
So lassen sich Klangteppiche weben,<br />
die man nicht mit dem Kopf machen oder<br />
planen kann. <strong>Die</strong>se Klänge können sehr berührend<br />
sein. Eine Mutter, die ihre erste<br />
Tochter erwartete, legte sich in dem kleinen<br />
Frauenkreis in die Mitte und ließ sich durch<br />
das achtsame Tönen auf die Geburt vorbereiten.<br />
Tränen der Berührung zeigten sich,<br />
weil sie sich sehr getragen und beschützt<br />
fühlte. Danach tönten wir für das Baby im<br />
Bauch: Und wie unterschiedlich war der<br />
Klang für das Baby! Sanft und getragen reagierte<br />
die Kleine mit leichten Bewegungen.<br />
Auch bei Trennung hat Klang sich bewährt.<br />
Haben Sie schon erlebt, wenn Menschen im<br />
Singen zusammenfinden und eine Einheit<br />
entsteht? Auch im Körper kann man mit<br />
Klang verbinden. So kann es helfen eine<br />
ABZ Lakt.+Stillen(Neonatal)/DHV<br />
300 Hebammenforum 4/2012<br />
Mutter die eine PDA bekommt, anzuleiten<br />
zum Baby zu tönen. <strong>Die</strong> Hebamme oder der<br />
Partner können dabei helfen. Babys fühlen<br />
sich bei einer PDA oft – das ist aus der pränatalen<br />
Psychologie bekannt – alleine gelassen<br />
und getrennt von der Mutter, da sich das<br />
Gefühl und das Körperbewusstsein der Mutter<br />
von der unteren Körperhälfte und somit<br />
auch vom Baby trennt.<br />
Ebenso kann das Bonding nach der Geburt<br />
durch Klänge unterstützt werden. Sollte<br />
es für eine Mutter stimmig sein und zu ihr<br />
passen, kann sie während eines <strong>Kaiserschnitt</strong>s<br />
leise für sich tönen. (<strong>Das</strong> OP Team muss dafür<br />
offen sein.) Ein heilender Klangraum, der<br />
das Bonding unterstützt, kann ein Kind<br />
empfangen und die Mutter stärken. Gerade<br />
bei einem <strong>Kaiserschnitt</strong> ist auch ein Begrüßungsritual<br />
wichtig. Warum soll der Operateur<br />
nicht das Kind mit Namen – wenn er<br />
schon feststeht – begrüßen?<br />
Baderitual integriert und heilt<br />
Bei einer unnatürlichen Geburt wie der Sectio<br />
ist für das Baby ein Bondingbad heilsam.<br />
Bei diesem Heilungsritual wird Mutter und<br />
Baby die Chance gegeben, die ersten ungestörten<br />
Minuten des Kennenlernens nachzu<strong>erleben</strong>.<br />
<strong>Das</strong> ist im Kreißsaal möglich, wenn<br />
es der Mutter gut genug geht, in den ersten<br />
Tagen des Wochenbetts oder später bei Bondingstörungen,<br />
Stillschwierigkeiten oder<br />
nach längerer Trennung vom Kind. Der<br />
Raum sollte gut erwärmt und das Baby gebadet<br />
werden – vom Vater oder der Hebamme<br />
– und dann der Mutter nass und nackt<br />
(wichtig!) auf den freien Bauch und die Brust<br />
gelegt werden. Gut zugedeckt können Mutter<br />
und Baby kuscheln. Wurde die Geburt<br />
traumatisch erlebt, führt das oft zu heilsamen<br />
Tränen. Eine Patientin erzählte mir, sie habe<br />
das Heilbad mit ihrer Tochter gemacht, die<br />
dabei sehr geschrieen habe. Es war ein lösendes<br />
Schreien. Und als die Mutter sich auf die<br />
Seite legte, sei die Tochter eingeschlafen. »<strong>Das</strong><br />
tat sehr gut«, waren ihre Worte.<br />
Gerade bei Bondingstörungen, hat sich ein<br />
einmal am Tag ritualisiertes so genanntes<br />
Nacktstillen bewährt. Winterkinder genießen<br />
den engen Hautkontakt, bei dem die<br />
Mutter obenrum und das Baby zum Stillen<br />
nackt sind.<br />
<strong>Die</strong> <strong>eigene</strong> <strong>Ganzheit</strong>lichkeit leben<br />
Rituale können wie eine Reise sein, in der wir<br />
das Größere, die Essenz unsere <strong>Ganzheit</strong>lichkeit<br />
oder das Heilsein erfahren. Durch Rituale<br />
in der Begleitung von werdenden Müttern<br />
kann eine <strong>Ganzheit</strong> in der <strong>eigene</strong>n Hebammenarbeit<br />
erlebt werden. Es ist eine<br />
Bereicherung, dass nicht nur die Mutter, die<br />
ein Ritual erlebt, sondern auch die Hebamme<br />
in einen mindfulnessZustand gelangen<br />
kann. So kann die <strong>eigene</strong> Arbeit in eine<br />
mehrdimensionale, sinnvolle und sehr befriedigende<br />
Form gelangen. Den Müttern<br />
und den Babys dient es, einen heilsamen<br />
Start ins Leben zu erfahren.<br />
Katrin Mikolitch, Ärztin, MOA-SAM Praxis für<br />
ganzheitliche Entwicklung und Heilung in Düsseldorf,<br />
Schwerpunkt Frauengesundheit und Traumaheilung,<br />
Gründerin des <strong>Kaiserschnitt</strong> <strong>Netzwerk</strong>es: Kontakt:<br />
www.moasam.de, www.kaiserschnitt-netzwerk.de<br />
Mikolitch K: <strong>Die</strong> <strong>eigene</strong> <strong>Ganzheit</strong> <strong>erleben</strong>. Hebammenforum<br />
2012; 13: 298-300