Eintauchen in die Frauenseele - Lio Elfie Payer
Eintauchen in die Frauenseele - Lio Elfie Payer
Eintauchen in die Frauenseele - Lio Elfie Payer
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<strong>E<strong>in</strong>tauchen</strong> <strong>in</strong> <strong>die</strong><br />
<strong>Frauenseele</strong><br />
<strong>Lio</strong> Hero de la Luna<br />
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2<br />
Diese Arbeiten (Texte und Gedichte entstanden im Zeitraum 1981-1995, <strong>die</strong> Zeichnungen<br />
von 1990-1995). Sie bilden e<strong>in</strong>en kle<strong>in</strong>en Auszug aus dem persönlichen Wachstumsprozeß.<br />
Ich habe <strong>die</strong> Beiträge nicht aktualisiert, weil ich der Me<strong>in</strong>ung b<strong>in</strong>, dass sie damit den<br />
unmittelbaren Bezug zur Entstehungsgeschichte verlieren. Hi <strong>Lio</strong>
Mit me<strong>in</strong>em lautlosen, <strong>in</strong>neren S<strong>in</strong>nen<br />
Hör‘ ich den Ton und das Echo der Welt<br />
Hör‘ ich den wahren heiligen Namen,<br />
der <strong>die</strong>se Erde zusammenhält.<br />
Über <strong>die</strong> Stufen der schweigenden Sprache<br />
Steig‘ ich h<strong>in</strong>ab <strong>in</strong> <strong>die</strong> Formen der Welt,<br />
sprech‘ ich <strong>die</strong> uralten mächtigen Worte<br />
<strong>in</strong> e<strong>in</strong>em schw<strong>in</strong>genden, s<strong>in</strong>genden Feld.<br />
Jede das Ihre,<br />
alle geme<strong>in</strong>sam<br />
bauen wir Ton um Ton<br />
unsere Welt.<br />
Über <strong>die</strong> Stimmen der tanzenden Hölzer<br />
Fühl‘ ich mich e<strong>in</strong> <strong>in</strong> den Körper der Erde,<br />
flüstre der D<strong>in</strong>ge wirklichen Namen,<br />
flüstre von Wandel und Se<strong>in</strong> und von Werde.<br />
Durch <strong>die</strong> Silben der lebenden Kräfte<br />
Hol‘ ich mir wieder <strong>die</strong> Wahrheit des Traums,<br />
geb‘ ich der Zeit ihre wahre Bedeutung<br />
b<strong>in</strong>d‘ ich mich e<strong>in</strong> <strong>in</strong> <strong>die</strong> Weite des Raums.<br />
Jede das Ihre,<br />
alle geme<strong>in</strong>sam<br />
bauen wir Ton um Ton<br />
unsre Welt.<br />
Autor<strong>in</strong> mir unbekannt.<br />
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E<strong>in</strong>leitung<br />
Mit <strong>die</strong>sem Buch möchte ich allen Frauen, <strong>die</strong> auf der Suche nach ihrem Selbst und<br />
ihren eigenen Maßstäben für das Frause<strong>in</strong> s<strong>in</strong>d, me<strong>in</strong>e Erfahrungen und E<strong>in</strong>sichten aus<br />
me<strong>in</strong>em Entwicklungsprozeß geben. Es heißt, daß große Freude und großes Leid zur<br />
Erweckung des Menschen führen. Doch gerade <strong>in</strong> leidvollen Zeiten merken wir, daß es<br />
ke<strong>in</strong>en Weg an der eigenen Entwicklung vorbei gibt.<br />
Im ewigen Wandel des Lebens erfährt auch unsere eigene Person e<strong>in</strong>en ständigen Wandel.<br />
Wenn wir <strong>die</strong>sen Entwicklungen offen gegenüberstehen, erleben wir <strong>die</strong> Veränderung<br />
nicht mehr als tragisch, als Leid, als Zerfall unseres Selbst – sondern erkennen<br />
immer besser, daß wir uns freiwillig verändern können und damit für e<strong>in</strong> Leben offen<br />
werden, das wir selbst aus uns schöpfen.<br />
Es wurde Frauen <strong>in</strong> den vergangenen Jahrtausenden nicht leicht gemacht, ihren eigenen<br />
Wert und <strong>die</strong> eigene Würde als Mensch und Frau für sich selbst zu def<strong>in</strong>ieren. Die<br />
meisten Werte und Bewertungen s<strong>in</strong>d aus Männermund und Männerhand – und nun, da<br />
sich immer mehr Frauen bewußt werden, daß sie auch <strong>in</strong> der Interpretation ihres Lebens<br />
e<strong>in</strong> Wörtchen mitzureden haben, tauchen gleichzeitig neue Ängste auf. Als selbständige<br />
Frau womöglich ke<strong>in</strong>en Mann mehr zu f<strong>in</strong>den, als Emanze abklassifiziert zu<br />
werden, als Mannweib <strong>in</strong> <strong>die</strong> Schublade gesteckt zu werden und vieles mehr.<br />
Unsere Gesellschaft neigt dazu, alles <strong>in</strong> Schwarz/Weiß e<strong>in</strong>zuteilen und vor allem <strong>in</strong><br />
Fe<strong>in</strong>d und Freund. Doch das eigene Selbst fragt nicht nach <strong>die</strong>sen E<strong>in</strong>teilungen. Letztendlich<br />
geht es um das erfüllt gelebte eigene Leben – und dafür lohnt es sich, sich auf<br />
<strong>die</strong> Suche nach sich selbst zu begeben.<br />
Dazu möchte ich allen Frauen Mut machen. Sich selbst <strong>in</strong> der Vielfalt ihrer Möglichkeiten,<br />
<strong>in</strong> der Echtheit ihrer eigenen Gefühle und Bedürfnisse zu erkennen und zu leben.<br />
Die eigenen Stärken und Schwächen anzunehmen und damit dem persönlichen Glück<br />
und der Selbstentfaltung von Tag zu Tag näher zu kommen.<br />
Denn: echtes Selbstvertrauen erwächst aus der immer größeren Selbsterkenntnis. Es ist<br />
e<strong>in</strong> Weg <strong>in</strong> <strong>die</strong> eigenen Tiefen, <strong>in</strong> <strong>die</strong> eigene Seele und ihr Sose<strong>in</strong>. Dieses Sose<strong>in</strong> immer<br />
besser zu erkennen und zu leben macht uns frei von den Ent- und Bewertungen von<br />
außen, <strong>die</strong> so oft das eigene Gleichgewicht zerstören und uns gebrochen zurücklassen.<br />
„No hay cam<strong>in</strong>os, hay que cam<strong>in</strong>ar“, was übersetzt soviel bedeutet: es gibt ke<strong>in</strong>e Wege,
wir müssen gehen. Uns so wird der Weg zum Ziel.<br />
In <strong>die</strong>sem S<strong>in</strong>ne soll <strong>die</strong>ses Buch Anregungen vermitteln, eigene Wege der Selbstsuche<br />
zu f<strong>in</strong>den und angstfrei zu gehen. Es gibt viele Wege, <strong>die</strong> begangen werden können und<br />
es führen viele Wege zu unserem Urgrund, zu unserem Sose<strong>in</strong>.<br />
Die Die Suche Suche beg<strong>in</strong>nt beg<strong>in</strong>nt von von Neuem<br />
Neuem<br />
Mit Dreißig beg<strong>in</strong>nt <strong>die</strong> Suche nach me<strong>in</strong>er Identität, me<strong>in</strong>em Sose<strong>in</strong> von Neuem und<br />
ich merke, dass das e<strong>in</strong>zig Beständige des Lebens der Wandel ist. Als ich gerade fünfzehn<br />
Jahre alt war, dachte me<strong>in</strong>e Mutter wohl noch, dass ich <strong>in</strong> ihre Fußstapfen treten<br />
werde und ich selbst ja auch. E<strong>in</strong>e frauenspezifische Schulbildung bis zur Matura festigte<br />
<strong>die</strong>ses Bild noch.<br />
Die Abenteuerlust trieb mich mit sechzehn <strong>in</strong> <strong>die</strong> Welt h<strong>in</strong>aus. Me<strong>in</strong> Freund war drei<br />
Jahre älter und da <strong>die</strong> Erziehung im gut katholischen S<strong>in</strong>ne erfolgte, verlobten wir uns,<br />
damit wir als Reisegefährten legitimiert waren.<br />
Diese erste große Liebe war von romantischen Vorstellungen durchtränkt. E<strong>in</strong>e rosarote<br />
B<strong>in</strong>dung auf Lebenszeit, wie es <strong>die</strong> Eltern so bemüht vorlebten? Wir träumten von<br />
e<strong>in</strong>em Häuschen, m<strong>in</strong>destens vier K<strong>in</strong>dern und e<strong>in</strong>em trauten, liebevollen Heim bis das<br />
der Tod uns scheide.<br />
Me<strong>in</strong>e Eltern priesen me<strong>in</strong>e weiblichen Tugenden des Kochens, des Dekorierens von<br />
Partyhappen, <strong>die</strong> Näh- und Stickkünste und sonstige herausragende Eigenschaften e<strong>in</strong>er<br />
guten, zukünftigen Ehefrau und Mutter.<br />
Doch es sollte anders kommen. Mit bestandener Matura wusste ich, dass ich <strong>in</strong> <strong>die</strong> Stadt<br />
wollte, um dort zu stu<strong>die</strong>ren. Der Verlobte aber hatte bereits e<strong>in</strong>e „sichere“ Anstellung<br />
<strong>in</strong> e<strong>in</strong>em öffentlichen Amt – und da das genau dem Wunschbild se<strong>in</strong>er Eltern entsprach,<br />
trennten sich unsere Ziele. In mir tobte großer Schmerz – aber gleichzeitig auch<br />
das Wissen, dass <strong>die</strong> Trennung unvermeidlich vor uns stand. Der Schmerz war so neu –<br />
so heftig – und zum ersten Mal <strong>in</strong> me<strong>in</strong>em Leben erlebte ich <strong>die</strong> Tiefen me<strong>in</strong>er E<strong>in</strong>samkeit.<br />
Me<strong>in</strong>e Eltern waren wie vor den Kopf geschlagen – sie wollten uns mit aller Kraft<br />
wieder zusammenführen. Sie me<strong>in</strong>ten, dass es nur <strong>die</strong> Laune e<strong>in</strong>es heranwachsenden<br />
Mädchens war. Doch <strong>in</strong> mir breitete sich <strong>die</strong> Trauer des Abschieds aus und h<strong>in</strong>terließ<br />
angstvolle Spuren. Zum ersten Mal <strong>in</strong> me<strong>in</strong>em Leben glaubte ich, dass mit mir etwas<br />
nicht stimmen könne, weil ich den Erwartungen <strong>die</strong>ser Menschen, <strong>die</strong> ich liebte, nicht<br />
entsprach. Und das verdoppelte den Schmerz.<br />
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Langsam erwachsen werden<br />
Euphorisch kam ich mit Neunzehn <strong>in</strong> <strong>die</strong> Stadt. Noch tat <strong>die</strong> Trennung von den Eltern<br />
nicht weh. Die neugewonnenen Freiheiten waren viel zu aufregend. Neben dem Studium<br />
arbeitete ich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Betriebsberatungs<strong>in</strong>stitut und fand alles aufregend.<br />
Bald fand ich mich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er neuen Partnerbeziehung wieder und so wurde me<strong>in</strong> Leben<br />
zu e<strong>in</strong>er der vielbesprochenen „Mehrfachbelastungen“. Die Unbekümmertheit wich<br />
immer mehr dem Bewusstse<strong>in</strong> von Verantwortung, Leistung, Frau im Männerberuf und<br />
<strong>die</strong> „tüchtige Frau“ h<strong>in</strong>ter dem erfolgreichen Mann.<br />
In <strong>die</strong>ser Zeit beschäftigte ich mich <strong>in</strong>tensiv mit Frauenliteratur. Mit der Def<strong>in</strong>ition von<br />
„Frau“ und „Frause<strong>in</strong>“. Die Unzufriedenheit, nicht <strong>in</strong> dem Maße anerkannt zu werden,<br />
wie es e<strong>in</strong> Mann von Haus aus wird – <strong>die</strong> Konfrontation mit den Männerclubs <strong>in</strong> den<br />
Führungsetagen, den Parteien, den Geheimbünden und Männerseilschaften - das alles<br />
vermittelte mir das Gefühl der Wertlosigkeit. Die Anstrengungen steigerten sich <strong>in</strong>s<br />
Unermeßliche. Ich dachte, dass ich nur mehr leisten, lernen, können müsse, um <strong>die</strong><br />
Anerkennung zu f<strong>in</strong>den, <strong>die</strong> ich für me<strong>in</strong>e Person suchte. Doch alle Jahre der Karriere<br />
blieben mir <strong>die</strong>se Anerkennung schuldig. Natürlich wurde das perfekte Funktionieren<br />
honoriert – doch etwas fehlte – und ich wusste noch nicht was.<br />
Warum war me<strong>in</strong> „Lohn“ für <strong>die</strong> Arbeit gleich um e<strong>in</strong> Drittel kle<strong>in</strong>er, als für me<strong>in</strong>en<br />
männlichen Kollegen. Langsam lernte ich, wie es mir gel<strong>in</strong>gen kann, mich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Runde<br />
männlicher Gesprächspartner zu Wort zu melden. Ich bemerkte, dass ich von den<br />
Freunden me<strong>in</strong>es Partners als charmantes „Anhängsel betrachtet wurde, von männlichen<br />
Auftraggebern als „Botengänger<strong>in</strong>“ für <strong>die</strong> kompetenten männlichen Ausgaben<br />
gehalten wurde. Und <strong>in</strong> mir wuchs Verzweiflung. Ich wollte doch geliebt werden. Und<br />
ich hatte gelernt, mir Liebe über Leistung zu erarbeiten. Doch wo blieb der Erfolg?<br />
In me<strong>in</strong>er Identität als Frau fühlte ich mich angeschlagen. War ich denn nicht gleich viel<br />
wert wie me<strong>in</strong> Kollege? War ich neben me<strong>in</strong>em Partner niemand? Die zweite Geige?<br />
Wer war ich?
Frau, Karriere, Glück?<br />
Die Lernjahre im „Frause<strong>in</strong>“ g<strong>in</strong>gen weiter. Ich fragte mich, ob es nicht besser wäre,<br />
„selbständig“ zu arbeiten. Dann könnte mir ke<strong>in</strong>e Entwertung widerfahren. Tatsächlich<br />
hatte ich das Gefühl, damit den Schlüssel der Weisheit gefunden zu haben. Bis <strong>die</strong> ersten<br />
Über- und Untergriffe auf me<strong>in</strong> Geschlecht erfolgten. Me<strong>in</strong>e Wut tobte ich <strong>in</strong> bissigen<br />
Pamphlets aus.<br />
In <strong>die</strong>ser Zeit reifte <strong>in</strong> mir das Bewusstse<strong>in</strong>, dass ich nicht Mensch unter Menschen b<strong>in</strong>,<br />
sondern Frau <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er von Männern dom<strong>in</strong>ierten Gesellschaft.<br />
Bislang war ich der Me<strong>in</strong>ung gewesen, dass ich me<strong>in</strong>em <strong>in</strong>neren und äußeren Wachstum<br />
nur genug Zuwendung geben müsste, um als vollwertiger Mensch gesehen zu werden.<br />
Doch nun stellte sich heraus, dass das genau das Gegenteil bewirkte.<br />
Ab e<strong>in</strong>em bestimmten Moment erhielt ich <strong>die</strong> Rückmeldung aus der Männerwelt, dass<br />
ich zu selbständig b<strong>in</strong>, dass ich ja nicht e<strong>in</strong>mal den starken Arm als Stütze „benütze“<br />
und dass me<strong>in</strong>e f<strong>in</strong>anzielle Unabhängigkeit das Gefühl vermittle, der Mann, würde nicht<br />
„gebraucht“.<br />
Immer mehr beschäftigten sich me<strong>in</strong>e Gedanken mit den Klischees der Rollendef<strong>in</strong>itionen<br />
von Mann und Frau.<br />
„Getroffen“ 1/90 <strong>Lio</strong><br />
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„Hilflose EP schreit nach Symbiose“ 1010/91 <strong>Lio</strong>
Alte Def<strong>in</strong>itionen, neue Def<strong>in</strong>itionen,<br />
Def<strong>in</strong>itionen<br />
Rollenbilder, Rollenverhalten, Rollen spielen, Rollen erarbeiten, Rollen verlernen, Rollen<br />
erlernen. Aus alt mach’ neu... In jedem Buch von Frauen für Frauen suchte ich nach<br />
Strohhalmen, mich selbst zu f<strong>in</strong>den. E<strong>in</strong>mal war es <strong>die</strong> erlernte Hilflosigkeit, e<strong>in</strong> anderes<br />
Mal der C<strong>in</strong>derella-Komplex, dann wieder <strong>die</strong> Sprache, der Mutterkomplex, der Vaterkomplex,<br />
das eigene Unvermögen mich durchzusetzen, me<strong>in</strong>e Fehler, me<strong>in</strong>e<br />
Unweiblichkeit, fehlende Konsequenz, falsches Zeitmanagement, dann wieder Rollenkonflikte...<br />
Ich hatte das Gefühl, ich bräuchte nur me<strong>in</strong>e angelernte Hilflosigkeit als Frau bekämpfen,<br />
um e<strong>in</strong> vollwertiger Mensch zu werden. E<strong>in</strong> anderes Mal glaubte ich, dass ich nur<br />
lernen müsste, mich hart abzugrenzen.<br />
Dann wiederum las ich, wie ich erfolgreich als Frau im Management b<strong>in</strong>. Ich bräuchte<br />
nur so und so zu se<strong>in</strong>, mich so und so zu verhalten... und das wäre dann das Geheimnis<br />
me<strong>in</strong>es Glücks und Erfolgs.<br />
Um „weiblich“ zu se<strong>in</strong> bräuchte ich nur me<strong>in</strong>e Garderobe verändern oder ke<strong>in</strong>e Hosen<br />
zu tragen. Als „echte“ Frau müsste ich nur me<strong>in</strong>e weiblichen Vorzüge herausstreichen.<br />
In den Partnerbeziehungen erkannte ich, dass H<strong>in</strong>gabe und E<strong>in</strong>fühlungsvermögen mit<br />
Schwäche gleichgesetzt wurden und erfolgreiches Agieren im Außen als<br />
„Vermännlichung“. Egal, wie sehr ich mich bemühte – ich war nie wirklich richtig.<br />
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„Zertreten. Verletzt. Getroffen.2“ 278/91 <strong>Lio</strong><br />
Beziehungskrisen, Wachstumskrisen.<br />
Trennung. Verlassenheit. Trauer und Wiedergeburt. Jede Trennung von e<strong>in</strong>em geliebten<br />
Menschen ist mit viel Leid und Trauer verbunden. Die Vergangenheit hatte mich das<br />
gelehrt. Doch das Wissen darum l<strong>in</strong>derte nicht den Schmerz e<strong>in</strong>er neuerlichen Trennung<br />
von me<strong>in</strong>em Beziehungspartner. Nach sieben Jahren, den verflixten, wie man sagt,<br />
stand ich vor den Trümmern der selbstgezimmerten Zweisamkeit. Doch <strong>die</strong>smal sollte<br />
es dicker kommen. Und das, was passierte, bohrte sich mit aller Macht <strong>in</strong> me<strong>in</strong> Herz. Ich<br />
hätte es mir nie träumen lassen, dass ich das Opfer männlicher Gewalt werden könnte.<br />
Grün- und blaugeprügelt lag ich auf me<strong>in</strong>em Sofa und heulte <strong>die</strong> ganze Entwertung der<br />
Vergangenheit und Gegenwart aus mir h<strong>in</strong>aus. Wie konnte das passieren. Dieser Mann<br />
hat mich geliebt? Die Nachbarn haben aus ihren Fenstern zugesehen, bis ich ohnmächtig<br />
auf dem Boden des Hofes lag – und dann erst riefen sie nach dem E<strong>in</strong>schreiten der<br />
Polizei? In mir tobte unsagbare Verletztheit, Entwertung, Ohnmacht und Nichtbegreifen.<br />
Ich machte Bekanntschaft mit der E<strong>in</strong>stellung der Gesellschaft, dass männliche Gewalt<br />
gegen Frauen e<strong>in</strong> „Kavaliersdelikt“ sei – und <strong>die</strong> Schuldige natürlich <strong>die</strong> Frau. Trotz der<br />
<strong>in</strong>neren Zwiespälte und Verzweiflung erstattete ich Anzeige und g<strong>in</strong>g vor Gericht. Dass<br />
mir <strong>die</strong> Richter<strong>in</strong> alle Strafen für e<strong>in</strong>en „Me<strong>in</strong>eid“ androhte, konnte mich nach allem<br />
nicht mehr verwundern. War ich doch Mensch zweiter Klasse und offensichtlich auch<br />
zweiter Rechte. Was mir zu <strong>die</strong>sem Zeitpunkt so große Probleme machte, war das H<strong>in</strong>und<br />
Hergerissense<strong>in</strong> zwischen Liebe und Haß. Heute weiß ich, dass es me<strong>in</strong>e Selbstrettung<br />
war, zum<strong>in</strong>dest den Versuch zu unternehmen, auf me<strong>in</strong>em Wert und auf me<strong>in</strong>er<br />
Würde zu bestehen. Und <strong>die</strong> tiefste Verzweiflung führte mich zu mir zurück.<br />
Zu me<strong>in</strong>em Sose<strong>in</strong>, zu me<strong>in</strong>er Seele.
GEDEMÜTIGT<br />
Nichts wert,<br />
ke<strong>in</strong> Wert,<br />
ke<strong>in</strong>e Sprache,<br />
ke<strong>in</strong>e Gebet.<br />
Getreten.<br />
Ke<strong>in</strong> Gefühl ist genug,<br />
alles verloren,<br />
Werte s<strong>in</strong>d draußen<br />
Ohnmacht und schmerzerfüllt.<br />
Getreten.<br />
Hilflos, voll Angst,<br />
Ke<strong>in</strong> Rückhalt, ke<strong>in</strong> Wehren.<br />
H<strong>in</strong>aufschauen und flehen.<br />
Um Vergebung.<br />
Getreten.<br />
Wehrhaft im Verstand.<br />
Schwach das Gefühl.<br />
H<strong>in</strong>nehmen und erleiden.<br />
Wehren mit Verstand.<br />
Nie mehr getreten.<br />
Auf der Suche nach dem Selbst.<br />
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Schmerz fühlen, Schmerz ausdrücken.<br />
Der tiefempfundene Schmerz durch Fremd- und Selbstentwertung suchte sich e<strong>in</strong> Ventil<br />
<strong>in</strong> Bildern und Texten. Die Seele suchte nach Erleichterung und fand sie im unmittelbaren,<br />
spontanen Ausdruck ihrer Bilder. Und ich sah <strong>die</strong> Bilder me<strong>in</strong>er Seele und lernte<br />
sie zu verstehen. Mitleid mit mir selbst und me<strong>in</strong>em Leben machte mich empfänglich<br />
für mich selbst und half mir, mich furchtlos <strong>in</strong> <strong>die</strong> Tiefen me<strong>in</strong>es Unbewussten h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>zugehen<br />
und alle me<strong>in</strong>e Gefühle und Bedürfnisse als me<strong>in</strong> wahres Sose<strong>in</strong> anzunehmen.<br />
Schuld- und Schamgefühle, Hass und Wut. Verletztheit und Hoffnung, E<strong>in</strong>samkeit und<br />
Selbstverlust, Zweifel und Angst waren nur e<strong>in</strong> Teil der im Schatten liegenden Gefühle.<br />
Und ich erkannte, dass ich nur dann ganz se<strong>in</strong> werde, wenn ich auch me<strong>in</strong>e Schattenseiten<br />
annehme und <strong>die</strong> Bilder, <strong>die</strong> ich auf andere Menschen projiziere, wieder auf mich<br />
selbst zurücknehme.<br />
Und so begann e<strong>in</strong> <strong>in</strong>niger Dialog mit me<strong>in</strong>er Seele. Mit den Wassern und dem Feuer<br />
des Lebens und führte mich zu me<strong>in</strong>en Urgründen zurück. Damit beg<strong>in</strong>nt me<strong>in</strong>e Reise<br />
<strong>in</strong>s Innere, zurück zu mir selbst.<br />
„Der Griff nach den Sternen“ 1810/91 <strong>Lio</strong>
Vom<br />
gesellschaftlichen<br />
Tod.<br />
„Das letzte Taschentuch“ 268/91 <strong>Lio</strong><br />
Menschen, <strong>die</strong> unter e<strong>in</strong>er leichten oder<br />
massiven „Betriebsstörung“ leiden, werden<br />
<strong>in</strong> unserer Gesellschaft sofort ausgegrenzt.<br />
Alles hat perfekt zu funktionieren. Lässt<br />
sich der Ausfall e<strong>in</strong>zelner Funktionen nicht<br />
gleich mit Pillen beheben, tritt der gesellschaftliche<br />
Tod e<strong>in</strong>.<br />
Die aus dem Gleichgewicht gebrachten<br />
Personen wirken auf das künstlich stabil<br />
gehaltene Selbstverständnis der meisten<br />
Mitmenschen äußerst bedrohlich. Die<br />
Angst, das eigene wackelige Selbstbild<br />
könnte <strong>in</strong>s Schleudern kommen und <strong>die</strong><br />
tiefen Abgründe dah<strong>in</strong>ter zum Vorsche<strong>in</strong><br />
br<strong>in</strong>gen, nötigt sie offenbar zum Selbstschutz<br />
und damit zur Abkehr von beunruhigenden<br />
Geschehnissen und Gefühlen.<br />
Es dauert nicht lange und der Hilfe- und<br />
Trostsuchende steht vor versperrten Türen.<br />
Und ist sich selbst überlassen. Gebrandmarkt,<br />
als säße er auf e<strong>in</strong>er Insel der<br />
Leprakranken. Zufall oder Regelfall?<br />
Doch das Zurückgeworfense<strong>in</strong> auf sich<br />
selbst, auf se<strong>in</strong> e<strong>in</strong>sames, erwachsenes Ich<br />
kann jenes Bewusstse<strong>in</strong> wachrufen, dass<br />
Geborgenheit und Sicherheit nur <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />
selber gesucht und gefunden werden kann.<br />
Und dass es immer e<strong>in</strong>en Menschen gibt,<br />
auf den wir uns verlassen können –<br />
uns selbst.<br />
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77/91 <strong>Lio</strong><br />
Blockaden<br />
Nicht loslassen und nicht losgelassen werden. Die Starre des Haltens. Nicht verändern.<br />
Bleiben. Stillestehn. Verharren – im Trotz des Unvermögens.<br />
Beh<strong>in</strong>dert durch <strong>die</strong> Beh<strong>in</strong>derungen, <strong>die</strong> nicht freilassen. Die <strong>die</strong> Energie aufstauen –<br />
<strong>die</strong> verzehren und nicht h<strong>in</strong>auskönnen. Die zerstören und nicht kreieren. Ohnmacht,<br />
<strong>die</strong> nicht weicht. Die Weichheit und Verletzlichkeit von E<strong>in</strong>geweiden, <strong>die</strong> begehren –<br />
nach Festigkeit und Starre suchen und bleiben.<br />
Bleiben, um zu bleiben. Um <strong>die</strong> Angst des Flusses nicht zu spüren. Die Starre des<br />
Überichs von anderen. Festgefahren. E<strong>in</strong>gekeilt. Beh<strong>in</strong>dert. Blicklos blockiert.<br />
Blockade.
Verträumt...<br />
Verträumt, verzückt, verzerrt.<br />
Zerschlagene Spiegelbilder me<strong>in</strong>er Gestalt<br />
In der Kürze des Erkennens.<br />
Die tiefe Kluft von Traum und Wirklichkeit.<br />
Der auszehrende Schmerz der Selbsterkenntnis.<br />
Zerstückelte Seele. Projiziertes Se<strong>in</strong> –<br />
Ke<strong>in</strong> eigener Gedanke, ke<strong>in</strong> Weg, ke<strong>in</strong> Bild.<br />
„Blicklos“ 268/91 <strong>Lio</strong><br />
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Selbstwert zwischen Größenwahn und<br />
Depression<br />
Das Selbstverständnis unserer Kultur, unserer Gesellschaft zwischen Grandiosität und<br />
Depression und das eigene Unvermögen, den Selbstwert zu bestimmen, der <strong>die</strong> Veräußerung<br />
<strong>in</strong>nenliegender Möglichkeiten zulässt. Karma des E<strong>in</strong>zelwesens <strong>in</strong> der Masse.<br />
Traum und Vorstellung, <strong>die</strong> auf den Boden der Realität, des Gemachten gerückt werden<br />
muss? Wie aber soll sich jenes Wesen, das sich se<strong>in</strong>er nicht im vollen Umfange<br />
bewusst ist, veräußern.? Woh<strong>in</strong> äußern? Ist Mitteilbarkeit nicht alle<strong>in</strong>e schon e<strong>in</strong>e Illusion?<br />
Wie oft s<strong>in</strong>d <strong>die</strong> Schranken des Verständnisses so eng an <strong>die</strong> eigenen Hautzellen<br />
gebunden. Nichts geht weiter als der eigene Atem. Nichts ist realer, als der eigene Tod,<br />
und nicht das Leben als Gesamtheit. Wie soll es jemals gel<strong>in</strong>gen, das Gedachte <strong>in</strong> Materie<br />
umzusetzen, wenn der S<strong>in</strong>n im Immateriellen liegt? Ist nicht jedes gesprochene Wort<br />
Versäumnis und Schuld? Und das Nichtgedachte und Nichtgesprochene Lebensaufgabe<br />
und S<strong>in</strong>n?<br />
Selbst-Verständnis. Die anderen überbewertet, sich unterbewertet zu erleben. Unvermögen<br />
auszuatmen und gleichzeitig e<strong>in</strong>e Ganzkörperlähmung hervorzurufen. Körperlich<br />
und geistig. Weil es ke<strong>in</strong>en eigenen Lebensraum gibt? Weil alles nur <strong>in</strong> der Wechselwirkung<br />
mit dem Wirkraum im Außen zusammenfällt. Weil <strong>die</strong> anderen so notwendig<br />
als Projektionsfläche s<strong>in</strong>d? Weil das Selbst beharrlich bleibt und sich gespiegelt sehen<br />
will. Alles <strong>in</strong> Relation setzen will. Sogar das Nichts?<br />
„Mack mit Canabisaugen“ 88/92 <strong>Lio</strong>
Du bist me<strong>in</strong> Selbst für Jahre<br />
Jetzt b<strong>in</strong> ich alle<strong>in</strong>.<br />
Ohne Boden r<strong>in</strong>nt <strong>die</strong> Leere<br />
Durch mich und <strong>die</strong> Zeit.<br />
Ohne Dich e<strong>in</strong> Niemand.<br />
Mit Dir e<strong>in</strong> Nichts.<br />
„E<strong>in</strong>samkeit ohne Selbst“<br />
„Entwurzelt“ 268/91 <strong>Lio</strong><br />
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18<br />
„Woh<strong>in</strong> tragen?“ 268/91 <strong>Lio</strong>
Wer b<strong>in</strong> ich, woh<strong>in</strong> geh’ ich.<br />
Jede Trennung von e<strong>in</strong>em Menschen bedeutet, dass wir <strong>die</strong> Projektionen, <strong>die</strong> wir auf<br />
den Partner geworfen haben, wieder auf uns selbst zurücknehmen müssen. Für Frauen<br />
und ihr Selbstverständnis bedeutet e<strong>in</strong>e Trennung oft das Gefühl, <strong>in</strong>s Nichts, <strong>in</strong> den<br />
Abgrund vers<strong>in</strong>ken zu müssen. Umso mehr, als sich viele männliche Partner mit den<br />
Worten verabschieden: „Du wirst schon sehen, dass Du ohne mich <strong>in</strong> der Gosse landest.“<br />
Ke<strong>in</strong>e sehr große Aufmunterung, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e ungewisse Zukunft h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>zugehen.<br />
Das Leben war durch konkrete Beziehungen def<strong>in</strong>iert. Zum Partner und zur Umwelt.<br />
Jetzt sche<strong>in</strong>t alles zerbrochen. Und das eigene Leben e<strong>in</strong> Trümmerhaufen.<br />
Die alte Identität geht verloren und <strong>die</strong> neue ist noch nicht gefunden. Und bis sich <strong>die</strong><br />
neue Identität entwickelt hat, gähnt e<strong>in</strong> tiefes Loch im Bewusstse<strong>in</strong>. Angst und Zweifel<br />
begleiten <strong>die</strong>sen zermürbenden Wachstumsprozess. Doch e<strong>in</strong>es Tages blitzt e<strong>in</strong> erster<br />
Hoffnungsfunken durch <strong>die</strong> Nebendecke des negativ verzerrten Selbstbildes.<br />
„268/91“ <strong>Lio</strong><br />
19
20<br />
Aufbruch zu neuen Ufern.<br />
Das re<strong>in</strong>e Beobachten und Benennen. Die Objektklarheit. Die Objekterkenntnis. Ruhe<br />
und Gelassenheit und <strong>die</strong> Wahrheit des eigenen Se<strong>in</strong>s. Die Ichlosigkeit. Der Anfang, <strong>die</strong><br />
Mitte, das Ende. Erkennen, dass alles ENDLICH ist, unbefriedigend und substanzlos.<br />
Sie<br />
Die Verlassenheit ihrer Mutterlosigkeit war im Rücken ihrer großen Anstrengungen zu<br />
erkennen gewesen. Sie hatte sich <strong>die</strong> Liebe der Menschen immer erarbeiten, erleisten<br />
wollen. E<strong>in</strong> endloser Kreislauf s<strong>in</strong>nloser Verletzungen der Seele. Und sie hatte es nicht<br />
erkannt! Die Gewohnheit war stärker als der Schmerz gewesen. Viel stärker als <strong>die</strong> eigenen<br />
Wünsche nach Liebe und Geborgenheit.<br />
Sie hatte <strong>die</strong> „felix culpa“, <strong>die</strong> glückselige Schuld auf sich genommen und konnte glücklich<br />
lachen. Die verkrusteten Gedanken waren aufgebrochen <strong>in</strong> e<strong>in</strong> neues Sehen. Sie<br />
konnte sich plötzlich annehmen. Ihre Schatten an der Wand entlang laufen lassen, ohne<br />
davor <strong>in</strong> <strong>die</strong> Knie zu gehen.<br />
„Der Aufbruch des Helden“ 258/91 <strong>Lio</strong>
Vom Neuen Leben<br />
Absage an <strong>die</strong> Vergangenheit.<br />
Träume und Hoffnung f<strong>in</strong>den.<br />
Neue Gedanken denken.<br />
Selbst nicht mehr <strong>die</strong> se<strong>in</strong>, <strong>die</strong> man war.<br />
Andere Menschen, Gerüche und Töne.<br />
Offen für <strong>die</strong> Gegenwart.<br />
Nicht abgegrenzt nach außen,<br />
Fe<strong>in</strong>fühlig für den Tag.<br />
H<strong>in</strong>e<strong>in</strong>schauen <strong>in</strong> <strong>die</strong> Gefühle,<br />
Und ausleben der Triebe.<br />
Denken an <strong>die</strong> Seiten, <strong>die</strong> nicht waren.<br />
Die se<strong>in</strong> werden im Morgen.<br />
„Selbstentwertung“ 68/91 <strong>Lio</strong><br />
21
22<br />
lied<br />
Hörst Du das Flüstern,<br />
Hörst Du sie schlagen,<br />
Hörst Du sie richten und verklagen<br />
Hörst Du sie streiten,<br />
Hörst Du sie?<br />
Hörst Du sie werben,<br />
hörst Du sie lügen,<br />
hörst Du sie fordern und fordern<br />
hörst Du sie flöten,<br />
hörst Du sie?<br />
Hörst Du sie alle,<br />
hörst Du <strong>die</strong> andern,<br />
hörst Du auf sie und <strong>die</strong> andern,<br />
hörst Du auf Dich<br />
hörst Du Dich?<br />
„Der Krenn ist unverfehlbar, sagt der heilige Geist“ 1110/92 <strong>Lio</strong>
„Zum Licht“ 268/91 <strong>Lio</strong><br />
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24<br />
„Hero“ 188/91 <strong>Lio</strong>
Schritt für Schritt zu neuen Ufern<br />
Es ist Zeit zu gehen, sagen manche und me<strong>in</strong>en doch nur, dass sie auf der gleichen<br />
Stelle treten. Und andere gehen, ohne vorher zu wissen, woh<strong>in</strong>. Ich bleibe, weil ich noch<br />
nicht weiß, woh<strong>in</strong> ich gehen werde. Es s<strong>in</strong>d <strong>die</strong> Träume und Wünsche, <strong>die</strong> mich auf<br />
me<strong>in</strong>em Weg begleiten.<br />
E<strong>in</strong>gefleischte Yogis wissen um den Wert der Gedankenkontrolle. In tiefer Meditation<br />
soll <strong>die</strong> Gedankenleere, das Nichts erreicht werden – als höchstes Ziel. Wie schön wäre<br />
es, Zwangsgedanken e<strong>in</strong>fach abstellen zu können wie e<strong>in</strong> Radio. E<strong>in</strong> anderes Programm<br />
zu wählen, wenn der Inhalt nicht den eigenen Vorstellungen entspricht.<br />
Und tatsächlich. Wir alle haben <strong>die</strong> Fähigkeit, unsere Gedanken zu erkennen und zu<br />
kontrollieren. Wahrsche<strong>in</strong>lich nie alle (und es sollen pro Tag doch immerh<strong>in</strong> 15.000<br />
Gedanken se<strong>in</strong>).<br />
Gedankenkontrolle durch Achtsamkeit, <strong>die</strong> Kraft der <strong>in</strong>neren Vorstellung, Selbstsuggestion<br />
und positives Denken wird zwar nicht <strong>in</strong> der Schule gelehrt, aber wir haben<br />
alle <strong>die</strong> Möglichkeit zu erkennen, dass wir Kraft unserer Gedanken das s<strong>in</strong>d, was wir<br />
s<strong>in</strong>d. Die fernöstliche Kultur sagt sogar: „Alles was ist, ist verdichteter Geist“.<br />
Die Selbstheilung der Seele f<strong>in</strong>det ihren Helfer <strong>in</strong> den heilenden Gedanken. Das<br />
Bewusstwerden e<strong>in</strong>es neuen, kraftvollen und harmonischen Weltbildes führt zur Entfaltung<br />
e<strong>in</strong>er „neuen“ Persönlichkeit.<br />
„Agua“ 128/91 <strong>Lio</strong><br />
25
26<br />
„Geborgenheit geben“ 169/91 <strong>Lio</strong>
„Pars pro toto“ 58/91 <strong>Lio</strong><br />
27
28<br />
Sicherheit und Geborgenheit<br />
<strong>in</strong> der eigenen Mitte.<br />
„Erst das schmerzhafte Erlebnis und <strong>die</strong> Annahme der eigenen Wahrheit macht uns<br />
von der Hoffnung frei, doch noch <strong>die</strong> verstehende, emphatische Mutter zu f<strong>in</strong>den“,<br />
schreibt Alice Miller im Buch: „Das Drama des begabten K<strong>in</strong>des.“<br />
Und sie me<strong>in</strong>t weiter: „Eigentlich ist <strong>die</strong> Grandiosität <strong>die</strong> Abwehr gegen <strong>die</strong> Depression<br />
und <strong>die</strong> Depression <strong>die</strong> Abwehr des tiefen Schmerzes über den Selbstverlust.“<br />
In e<strong>in</strong>em Zeitalter der Grandiosität und der Depression verfallen wir nur zu leicht dem<br />
Glauben, dass wir durch e<strong>in</strong>e symbiotische Paarbeziehung <strong>die</strong> Trennung von der Mutter<br />
wiedergutmachen können. Doch das ist e<strong>in</strong>e Illusion. Und viele <strong>die</strong>ser „suchtartigen“<br />
Bemühungen zerplatzen wie e<strong>in</strong>e Seifenblase. Und wieder stehen wir alle<strong>in</strong>e mit unserem<br />
e<strong>in</strong>samen Selbst.<br />
Doch wenn wir e<strong>in</strong>mal erkannt haben, dass wir alle<strong>in</strong>e auf <strong>die</strong> Welt gekommen s<strong>in</strong>d –<br />
und sie alle<strong>in</strong>e wieder verlassen werden – lohnt es sich da nicht, zu den eigenen Wurzeln<br />
zurückzukehren und uns selbst <strong>die</strong> Sicherheit und Geborgenheit zu vermitteln, <strong>die</strong> wir<br />
benötigen. Maßgeschneidert?<br />
„H<strong>in</strong>ausstreben“ 149/91 <strong>Lio</strong>
„Ich glaub’ das war ich nicht...“<br />
Verrat und Betrug an mir selber,<br />
wann war ich schon so pervers,<br />
mich zu quälen und zu foltern<br />
mit der Norm.<br />
Die Eigenart anzupassen,<br />
an <strong>die</strong> e<strong>in</strong>zig gültige Form.<br />
Heuchel und Lüge tragen <strong>die</strong> Züge,<br />
<strong>die</strong> mir raten mit dem Strom –<br />
<strong>in</strong>nig verschlungen dah<strong>in</strong>zutreiben,<br />
me<strong>in</strong>e Kraft abzulegen<br />
und den philosophischen Kram.<br />
In schleimige Watte packen sie me<strong>in</strong>e Gefühle,<br />
ihre gierigen Fratzen fangen me<strong>in</strong>e Seele –<br />
h<strong>in</strong>ter den goldenen Stäben bleibt ihr Leben<br />
auf der Strecke, für Neid und Geld.<br />
„<strong>Lio</strong>“ 149/91 <strong>Lio</strong><br />
„Endgültige Abkehr“ 149/91 <strong>Lio</strong><br />
29
30<br />
„Der Mittelpunkt der Welt“ 267/92 <strong>Lio</strong>
Die eigenen<br />
Maßstäbe.<br />
Den eigenen Wert<br />
f<strong>in</strong>den.<br />
Jede Frau verdankt <strong>die</strong> Erweiterung des<br />
Frauenbildes den unermüdlichen Vorkämpfer<strong>in</strong>nen<br />
für <strong>die</strong> Gleichberechtigung sowohl<br />
im gesellschaftlichen als auch im privaten<br />
S<strong>in</strong>ne.<br />
Mögen viele Frauen auch heute noch <strong>die</strong><br />
Nase über <strong>die</strong> Fem<strong>in</strong>ist<strong>in</strong>nen rümpfen, profitiert<br />
haben sie dennoch von deren Arbeit.<br />
Es ist noch nicht e<strong>in</strong>mal e<strong>in</strong> Jahrhundert<br />
her, als <strong>die</strong> Frauen sich mühsam den Weg<br />
<strong>in</strong> <strong>die</strong> Universitäten erkämpften. Im alten<br />
Griechenland jedoch gab es <strong>in</strong> der vorchristlichen<br />
Zeit hochangesehene Philosoph<strong>in</strong>nen.<br />
Wie <strong>die</strong> von Frauen „richtiggestellte“ Geschichte<br />
zeigt, gab es vor dem Patriarchat<br />
e<strong>in</strong> Matriarchat – <strong>in</strong> dem <strong>die</strong> Würde und<br />
Bedeutung der Frau unsere heutigen Vor-<br />
stellungen weit <strong>in</strong> den Schatten gestellt hat.<br />
Doch zu me<strong>in</strong>er Zeit wurde im Geschichtsunterricht<br />
ke<strong>in</strong> Wort davon erwähnt.<br />
Kaum anzunehmen, dass sich an den Lehrplänen<br />
so viel geändert hat. Und so glaube<br />
ich, dass ke<strong>in</strong>e Frau an dem Studium ihrer<br />
eigenen Geschichte vorbeikommt, will sie<br />
ihr Dase<strong>in</strong> als Frau def<strong>in</strong>ieren und ihrer<br />
Möglichkeiten e<strong>in</strong>es erfüllten Lebens nicht<br />
von den Maßstäben unserer patriarchalen<br />
Gesellschaft abhängig machen.<br />
Den „männlichen“ Maßstäben zu folgen<br />
würde für <strong>die</strong> Frau bedeuten, ihre Eigenständigkeit<br />
mit „Geschlechtslosigkeit“ zu<br />
bezahlen.<br />
In Verb<strong>in</strong>dung mit e<strong>in</strong>em Macho-Mann<br />
hätte sie dann Teilhabe an se<strong>in</strong>er Macht.<br />
Der Easy-Rider sorgt für ihre Teilhabe an<br />
der Welt männlicher Abenteuer – und der<br />
Besitzergreifende sorgt für Fürsorge und<br />
Kontrolle, bis zur Gefangenschaft.<br />
Doch wir Frauen s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> der Lage, unsere<br />
eigenen Wertmaßstäbe zu f<strong>in</strong>den und unsere<br />
schöpferische Kreativität nach eigenem<br />
Gutdünken zu entfalten. Im Bewusstse<strong>in</strong>,<br />
dass wir so geme<strong>in</strong>t s<strong>in</strong>d, wie wir s<strong>in</strong>d.<br />
„E<strong>in</strong>gesperrte Kraft“ 149/91 <strong>Lio</strong><br />
31
32<br />
„Re<strong>in</strong>karnation im Pendel“ 3110/91 <strong>Lio</strong>
„Zweifel opfern“ 261/92 <strong>Lio</strong><br />
Frauenbild.<br />
Männerbild.<br />
Die Emanzipation der Geschlechter, e<strong>in</strong><br />
Wirrwarr an Polarisierungen und Abgrenzungen.<br />
Auf der Suche nach dem neuen<br />
Verständnis der Geschlechter, den Begriffen<br />
Männlichkeit und Weiblichkeit, aktivpassiv<br />
etc. fand ich mich <strong>in</strong> me<strong>in</strong>er Zweigeschlechtlichkeit<br />
wieder. Mit männlichen<br />
und weiblichen Hormonen, mit me<strong>in</strong>er<br />
passiven und aktiven Seite, mit der ich mich<br />
im Leben bewegte. Und im „neuen“ Mann<br />
stieß ich auf das Vorhandense<strong>in</strong> „weiblicher“<br />
Gefühlskomponenten.<br />
Die Suche nach der<br />
<strong>in</strong>neren Frau, dem<br />
<strong>in</strong>neren Mann.<br />
Mit zunehmender Selbsterkenntnis sah ich,<br />
wie „patriarchal“ sich me<strong>in</strong> <strong>in</strong>nerer Mann<br />
verhielt. Wie sehr me<strong>in</strong>e <strong>in</strong>nere Frau von<br />
den eigenen Entwertungen geh<strong>in</strong>dert wurde,<br />
sich <strong>in</strong> ihrem ganzen Reichtum „weiblicher“<br />
Facetten zu entfalten. Und ich begriff,<br />
dass es ke<strong>in</strong>en S<strong>in</strong>n hatte, <strong>die</strong> eigenen<br />
Entwertungen auf den „Fe<strong>in</strong>d Mann“ zu<br />
projizieren.<br />
Wieder e<strong>in</strong>mal war ich zurückgeworfen auf<br />
mich selbst und me<strong>in</strong>e Seele. Schritt für<br />
Schritt schälte ich me<strong>in</strong>e Fähigkeiten, Gefühle<br />
und Bedürfnisse h<strong>in</strong>ter den Verkleidungen<br />
heraus.<br />
„Selbstf<strong>in</strong>dung“ 54/92 <strong>Lio</strong><br />
33
34<br />
„<strong>Lio</strong> Hero de la Luna“ 92/93 <strong>Lio</strong>
Innere Frau<br />
und<br />
<strong>in</strong>nerer Mann<br />
schließen e<strong>in</strong><br />
Bündnis mit dem<br />
Mond.<br />
Die Mythologie birgt wahre Schätze für <strong>die</strong><br />
Selbstsuche der Frauen. TIAMAT, das personifizierte<br />
Salzwassermeer, als Urmutter<br />
des Alls und der Gottheiten verehrt – und<br />
wir Menschen, <strong>die</strong> das Salzwasser <strong>in</strong> sich<br />
tragen.<br />
Das Meer als Mutter des Lebens.<br />
Der Mond als Symbol des Lebens, eng verknüpft<br />
mit dem weiblichen Zyklus und den<br />
neun Mondzyklen e<strong>in</strong>er Schwangerschaft.<br />
So war der Mondkalender der erste Kalender<br />
der Menschheit.<br />
Dem weiblichen Pr<strong>in</strong>zip zugeordnet, als<br />
Symbol der Fruchtbarkeit, des<br />
Unbewussten, der fruchtbaren Passivität<br />
und der Empfänglichkeit. Als Ixchel<br />
(Mondgött<strong>in</strong> der Maya) verehrt als Gött<strong>in</strong><br />
der Wasserfluten und des Regenbogens.<br />
Die Sonne, als SOL (römischer Sonnengott)<br />
dem Mond als Bruder beigesellt, als<br />
Verkörperung des Lichtes und der<br />
Bewusstheit, erhalten <strong>die</strong> eignen<br />
Persönlichkeitsanteile ihre <strong>in</strong>newohnende<br />
Bedeutung.<br />
Der Mond ist vergleichbar der <strong>in</strong>neren<br />
Stimme, oft auch als Intuition bezeichnet,<br />
<strong>die</strong> Sonne als handelnde Energie im Au-<br />
„Kampf“ 123/92 <strong>Lio</strong><br />
ßen. Die harmonische Integration unserer<br />
Anteile macht uns ganz und gibt uns <strong>die</strong><br />
Möglichkeit, unseren <strong>in</strong>neren Reichtum<br />
immer besser <strong>in</strong> der Außenwelt sichtbar<br />
werden zu lassen.<br />
„Me<strong>in</strong>e Vorstellung“ 287/92 <strong>Lio</strong><br />
35
36<br />
„Alles loslassen, was niederdrückt<br />
und abhängig macht“ 72/92 <strong>Lio</strong><br />
Sie (Text)<br />
In der <strong>in</strong>neren Sicherheit und im Bewusstse<strong>in</strong>,<br />
nie alle<strong>in</strong> zu se<strong>in</strong>, sondern immer<br />
geborgen <strong>in</strong> allem, verliert sie ihre<br />
selbstbezogenen Ängste, <strong>die</strong> aus der E<strong>in</strong>stellung<br />
kamen, etwas erreichen zu müssen.<br />
Sie hat alles losgelassen, was sie <strong>in</strong> den<br />
Fesseln überkommener Werte und Erwartungen<br />
ankerte und fließt ganz frei im<br />
Energiefluss des Kosmos, des Alls, dem<br />
warmen und salzigen Wasser von Tiamat.<br />
Mit ihr und <strong>in</strong> ihr suhlt sie ihre Seele, befreit<br />
sie ihren Geist und ihr Herz von alten<br />
Gefühlen und Wünschen. Von überflüssigen<br />
Gedanken und Zielen. Es ist wie e<strong>in</strong>e<br />
Generalüberholung, sich selbst PUR neu<br />
zu f<strong>in</strong>den. Und <strong>in</strong> <strong>die</strong>ser kargen, puren Ersche<strong>in</strong>ung<br />
spiegelt sich doch <strong>die</strong> Vielfalt<br />
und Farbigkeit wie schillernder Glimmer,<br />
<strong>in</strong> dem sich das Sonnenlicht bricht und <strong>die</strong><br />
Regenbogen zeichnet.<br />
Ihr Auge ruht liebevoll auf ihrem Sose<strong>in</strong>.<br />
Ruhe und Zuversicht br<strong>in</strong>gen <strong>die</strong> verschütteten<br />
Kräfte zum Vorsche<strong>in</strong>. Die Wiedergeburt<br />
e<strong>in</strong>er neuen Identität auf Zeit – bis<br />
neue Wachstumsängste den Prozess wiederholen<br />
werden und alte Kleider <strong>in</strong> <strong>die</strong><br />
Truhe am Dachboden wandern, nicht ohne<br />
sie vorher sorgfältig e<strong>in</strong>zumotten.<br />
Doch sie wird nichts mitnehmen und nichts<br />
dalassen. Alles, was ihr Leben ausmachte,<br />
wird sie immer mit sich tragen. Und ke<strong>in</strong><br />
menschliches Auge wird je alles davon zu<br />
sehen bekommen. Wie Momentaufnahmen<br />
durch e<strong>in</strong> Fischauge, wie der Klang der<br />
Glocken, der <strong>die</strong> Abendstunde e<strong>in</strong>läutet –<br />
so vergänglich und doch prägnant scheidet<br />
alles aus dem Weltgeschehen. Um <strong>in</strong> veränderter<br />
Gestalt wiederzukehren und dort<br />
weiterzumachen, wo sie zuletzt aufgehört<br />
hatte, ihren Weg immer besser zu gehen<br />
und ihre Aufgaben zu lösen. Und damit zu<br />
erlösen.<br />
Die E<strong>in</strong>zigartigkeit des Se<strong>in</strong>s – <strong>die</strong> abgegrenzte<br />
Sose<strong>in</strong>sfähigkeit. Fasz<strong>in</strong>ierend und<br />
belebend. Und sie baut sich ihr Leben wie<br />
e<strong>in</strong>e große Baumeister<strong>in</strong>. Sie bestimmt <strong>die</strong><br />
Höhe, <strong>die</strong> Breite, <strong>die</strong> Gestalt des Sose<strong>in</strong>s.<br />
Und mit jedem erfüllten Augenblick erfüllt<br />
sich ihr Leben, ihr Dase<strong>in</strong>. Unendlichkeit<br />
und Endlichkeit. Ewigkeit und Zeitlichkeit.<br />
Harmonisch vere<strong>in</strong>t.
„Teil von Allem“ 219/92 <strong>Lio</strong><br />
37
38<br />
Die Energie hängt davon<br />
ab, wie und was<br />
wir denken.<br />
Wenn Frauen sagen: „Ich mag’ Frauen<br />
nicht, ich traue ihnen nicht“, dann sagen<br />
sie im Grunde „Ich kann mich selbst nicht<br />
leiden. Ich lehne alles Weibliche ab.“ Das<br />
beschreibt Anne Wilson Schaef sehr<br />
e<strong>in</strong>drücklich im Kapitel: Die Ursünde: E<strong>in</strong>e<br />
Frau zu se<strong>in</strong>. (<strong>in</strong>: Weibliche Wirklichkeit, S<br />
34.)<br />
Unsere gesellschaftlichen Werte s<strong>in</strong>d von<br />
Männern gesetzt. Das weibliche Sose<strong>in</strong> ist<br />
<strong>in</strong> <strong>die</strong>sem System ständigen Entwertungen<br />
ausgesetzt. Die eigenen Wahrnehmungen<br />
und Fähigkeiten werden nur allzu oft mit<br />
dem Satz: „Du hast ke<strong>in</strong>e Ahnung von der<br />
Realität“ im Keim erstickt. Der Urmythos<br />
vom Gottse<strong>in</strong> des weißen Mannes, gepaart<br />
mit dem Mythos, dass es möglich ist, absolut<br />
logisch, rational und objektiv zu se<strong>in</strong> –<br />
und damit „göttlich“.<br />
„Kampf und Sieg gegen Patriarchen“281/92<br />
Das männliche System me<strong>in</strong>t, es könnte<br />
über <strong>die</strong> „Angemessenheit von Gefühlen,<br />
von Lebendigkeit, von Lust und Freude“<br />
bestimmen. Sie als richtig oder falsch abqualifizieren.<br />
Die weibliche Identität macht sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er<br />
ersten Entwicklungsphase fast immer von<br />
e<strong>in</strong>er Primärbeziehung zu e<strong>in</strong>em Partner<br />
abhängig. Doch kaum <strong>in</strong>tegriert sich <strong>die</strong><br />
Frau <strong>in</strong> das männliche System, erkennt sie<br />
irgendwann, dass das nicht alles se<strong>in</strong> kann.<br />
Und beg<strong>in</strong>nt mit der Suche nach dem<br />
„Weiblichen System“.<br />
Das Bewusstse<strong>in</strong>, dass wir Frauen uns<br />
selbst von der „Erbsünde“ befreien können,<br />
<strong>in</strong>dem wir <strong>die</strong> Beziehung zu unserem<br />
eigenen Ich aufnehmen, befreit uns für e<strong>in</strong><br />
lebendiges Wachstum unseres Selbst. A.W.<br />
Schaef (o.A. S 117) sagt dazu: „E<strong>in</strong>e Frau,<br />
<strong>die</strong> zum Weiblichen System zurückgefunden<br />
hat, sieht das Wesentliche des Lebens
„Kollektive Träne“ 47/92 <strong>Lio</strong><br />
<strong>in</strong> ihren Beziehungen – allerd<strong>in</strong>gs nicht <strong>in</strong><br />
Beziehungen, <strong>die</strong> nur def<strong>in</strong>ieren und bewerten,<br />
sondern <strong>in</strong> wachsenden, nährenden<br />
Beziehungen: mit dem Ich, mit der<br />
Arbeit, mit den anderen und dem Universum.“<br />
Das s<strong>in</strong>d ke<strong>in</strong>e Beziehungen, <strong>die</strong> fe<strong>in</strong> säuberlich<br />
kategorisiert und fix und fertig abgepackt<br />
s<strong>in</strong>d, sondern Beziehungen, <strong>die</strong><br />
sich ständig entwickeln und verändern.<br />
Beziehungen im Wandel.<br />
Männer brauchen ihren Penis oder <strong>die</strong> Verlängerung<br />
ihres Gliedes als Waffe oder<br />
Faust. Sie brauchen den für Frauen<br />
unnotwendigen täglichen Kampf des<br />
„Kräftemessens“, weil sie nicht LEBEN <strong>in</strong><br />
sich tragen und weitertragen können. Ihr<br />
ganzes Dase<strong>in</strong> ist darauf abgestellt, s<strong>in</strong>nlose<br />
Verrichtungen um Macht und Geld zu<br />
tun, <strong>die</strong> ke<strong>in</strong>erlei E<strong>in</strong>druck auf <strong>die</strong> Essenz<br />
des Lebens machen:<br />
NEUES LEBEN ZUM LEBEN<br />
ZU ERWECKEN.<br />
„Schuld, Versäumnisse“ 47/92 <strong>Lio</strong><br />
Ihre Aufgabe ist es, den Samen zu produzieren<br />
und e<strong>in</strong>er Frau zu geben, <strong>die</strong> damit<br />
neues Leben aus sich herausbr<strong>in</strong>gen kann.<br />
Wie sehr verblassen hier alle Produkte und<br />
Erzeugnisse, Kunstwerke aus Glas oder<br />
Stahl - EIN LEBEWESEN. Blutgefüllte<br />
Adern, e<strong>in</strong>em Alchimisten gleich aus e<strong>in</strong>em<br />
Leib herausgetreten. Aus dem Nichts des<br />
Unverständnisses e<strong>in</strong>es Mannes, der es<br />
nicht ertragen kann, dass e<strong>in</strong>e Frau das<br />
schafft, was er mit aller Macht, mit allem<br />
Geld nicht schaffen kann –<br />
ETWAS LEBENDIGES.<br />
Sosehr hat <strong>die</strong> patriarchale Macht danach<br />
gestrebt, Frauen <strong>in</strong> <strong>die</strong> unmündige, rechtlose<br />
Ecke des Lebens zu drängen – obwohl<br />
nichts so wichtig ist, als nur zu LEBEN.<br />
Lebt Macht für sich? Lebt Geld für sich?<br />
Leben alle Konventionen und Intoleranz<br />
für sich? Um wie viel lebendiger s<strong>in</strong>d da<br />
Gefühle, Fleisch und Blut oder Gedanken<br />
der Menschlichkeit, des Überlebens, der<br />
Sehnsucht nach Harmonie und Frieden.<br />
39
40<br />
TRÄNEN<br />
E<strong>in</strong>e Träne fällt zu Boden.<br />
Laß’ sie auf <strong>die</strong> Erde fallen.<br />
Sie sehnt sich nach dem Fall.<br />
Laß’ sie nicht nach <strong>in</strong>nen.<br />
In das ungewisse Dunkel.<br />
Wo sie ausweglos gefangen ist.<br />
Die Tränen sehnen sich nach Erde.<br />
Es müssen noch viele Tränen fallen.<br />
Auf <strong>die</strong>ser Erde.<br />
„Verteidigen“ 178/91 <strong>Lio</strong><br />
FROST<br />
Frost <strong>in</strong> den Händen<br />
Frost <strong>in</strong> den Schultern<br />
Frost <strong>in</strong> den Augen<br />
Frost <strong>in</strong> den Zehen<br />
Frost im Mund<br />
Frost<br />
Ich fröstle vor De<strong>in</strong>er Froschnatur
„Sanfte Befreiung von Schatten“ 128/92 <strong>Lio</strong><br />
DIE MASKE<br />
FLETSCHT DIE<br />
ZÄHNE<br />
E<strong>in</strong>e kle<strong>in</strong>e Traumwelt<br />
Mit vielen Wachsgesichtern<br />
Und hohlen Augen<br />
E<strong>in</strong>e Welt der Gnome<br />
Mit schrillen Lachern<br />
Und kranken Herzen<br />
E<strong>in</strong> Platz für Tiefkühlleichen<br />
Mit starren Händen<br />
Und verätzter Zunge<br />
41
„Neue Aspekte“ 207/92 <strong>Lio</strong><br />
Objekt Objekt F FFrau.<br />
F rau.<br />
Trostlose Statistiken 1 beschreiben <strong>die</strong> Welt der Frauen nur unvollständig. 84 Millionen<br />
Frauen wurden 1982 genital verstümmelt. Durch Exzision (Herausschneiden<br />
der Klitroris und der ganzen oder Teile der kle<strong>in</strong>en Schamlippen) und durch<br />
Infibulation (Herausschneiden der Klitoris, der kle<strong>in</strong>en und Teile der großen Schamlippen,<br />
Zusammennähen des größten Teils der Vulva).<br />
[1997 s<strong>in</strong>d es rund 130 Millionen Frauen und Mädchen weltweit, <strong>die</strong> an den<br />
Genitalien verstümmelt s<strong>in</strong>d]<br />
Männer-Me<strong>die</strong>n wie der Playboy verbreiten Männerphantasien <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Auflage<br />
von 15 Mio. Stück (<strong>in</strong>ternational) 2 , <strong>die</strong> größte traditionelle Frauenzeitschrift „Family<br />
Circle“ (USA, Auflage 3 7,1 Mio. Stück) verkauft <strong>die</strong> Frau als gläubiges Verbraucherschaf<br />
für Modetrends, Schönheitsideale und Kosmetik<strong>in</strong>dustrie.<br />
Schönheitsvergleiche <strong>die</strong>nen dazu, Frauen zu erhöhen und zu degra<strong>die</strong>ren und<br />
auch, um von der Realität abzulenken. H<strong>in</strong>ter der Fassade der Unterhaltung verbirgt<br />
sich be<strong>in</strong>hartes Geschäft. Die Umsätze der Kosmetik<strong>in</strong>dustrie (z.B. Procter &<br />
Gamble, USA, 1994 8,7 Mrd. US Dollar) und steigende Nachfrage nach Schönheitsoperationen<br />
zeigen <strong>die</strong>sen Trend zum Körper nach Maß.
Internationaler Frauenhandel, weltweiter Sextourismus durch organisierte Sexreisen<br />
für Männer, <strong>die</strong> steigende Zahl der Sexualverbrechen und <strong>die</strong> zunehmende Gewalt<br />
gegen Frauen und K<strong>in</strong>der zeigen <strong>die</strong> traurige Situation des Subjektes Frau im<br />
be<strong>in</strong>harten Objekt- und Konsumismus-Denken des Patriarchats.<br />
1 Der Frauenatlas: Fischer. Herausgegeben von Joni Saeger, Ann Olson. 1987 und 1998.<br />
2<br />
Playboy is the world’s best-sell<strong>in</strong>g men’s magaz<strong>in</strong>e. Almost 10 million American adults read Playboy every<br />
month, and the magaz<strong>in</strong>e’s U.S. total paid circulation of 3.15 million is larger than that of Esquire, GQ, and<br />
Roll<strong>in</strong>g Stone comb<strong>in</strong>ed. Additionally, an estimated 5 million adults read the 17 <strong>in</strong>ternational editions of the<br />
magaz<strong>in</strong>e, br<strong>in</strong>g<strong>in</strong>g Playboy’s global readership to almost 15 million.<br />
http://www.playboyenterprises.com/fact_sheet/<strong>in</strong>dex.html, 15.11.01<br />
3<br />
Titel: Family Circle<br />
Land: USA<br />
Gründungsjahr: 1932<br />
Verkaufte Auflage: 5.002.906 (2000)<br />
Ersche<strong>in</strong>ungsweise: 17x jährlich<br />
ttp://www.guj.de/<strong>in</strong>tern/unternehmen/<strong>in</strong>dex.html<br />
„Selbst tragen“ 148/92 <strong>Lio</strong>
44<br />
„Mit abgegrenztem Selbst zusammenleben“<br />
294/92 <strong>Lio</strong><br />
Weibliche eibliche Sexualität.<br />
Sexualität.<br />
Die Die Quelle Quelle der<br />
der<br />
L LLebendigkeit.<br />
L ebendigkeit.<br />
Frauen haben es auch heute noch nicht<br />
leicht, ihre eigene Sexualität mit eigenen<br />
Augen zu sehen. Die allgegenwärtige<br />
Darstellung der Frau als Sexualobjekt<br />
ist h<strong>in</strong>länglich bekannt – doch wie<br />
sieht das „SEXUAL-SUBJEKT FRAU“ aus?<br />
Im Weiblichen System ist Sex wichtig,<br />
beglückend – aber Sex wird nicht zur<br />
Def<strong>in</strong>ition der Welt, der Menschen, der<br />
Beziehungen benutzt.<br />
Frauen sehen ihre Sexualität meist als<br />
Aspekt ihrer Liebe. Intimität möchte <strong>die</strong><br />
Frau über das Gespräch, der Mann fasst<br />
ausschließlich über <strong>die</strong> körperliche Nähe<br />
herstellen.<br />
In der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts<br />
dämonisierte <strong>die</strong> katholische Kirche <strong>die</strong><br />
weibliche Sexualität, <strong>die</strong> bis dah<strong>in</strong> <strong>in</strong> den<br />
matriarchalen Vorstellungen mit<br />
Fruchtbarkeitsriten zelebriert wurde.<br />
Und noch heute wird <strong>die</strong> Frau zwischen<br />
Jungfrau, Hexe und Hure gehandelt.<br />
Daran hat <strong>die</strong> sexuelle Befreiung nichts<br />
geändert. Sie hat höchstens dem Suchtcharakter<br />
der Gesellschaft <strong>in</strong> <strong>die</strong> Hand<br />
gearbeitet.<br />
Unsere Gesellschaft präsentiert sich als<br />
„Sucht-Gesellschaft“, wo alles, was auch<br />
lebenserhaltend ist, wie Essen, Tr<strong>in</strong>ken,<br />
Arbeit, Sex als „Kick“ benützt wird. Und<br />
so ist es nicht verwunderlich, dass immer<br />
mehr Menschen erkennen, dass sie<br />
Sexsüchtige, Romanzensüchtige oder<br />
Beziehungssüchtige s<strong>in</strong>d. 1<br />
Auch <strong>die</strong> Frage unserer Sexualität können<br />
wir Frauen nur durch <strong>die</strong> Echtheit<br />
unserer Gefühle und Bedürfnisse beantworten<br />
– doch dazu müssen wir viele<br />
Fremdbewertungen und Normen zurücklassen<br />
und <strong>die</strong> eigenen Maßstäbe wiederf<strong>in</strong>den.<br />
1 Anne Wilson Schaef: „Gesellschaft als<br />
Suchtgesellschaft“
„Begehren“ 187/92 <strong>Lio</strong><br />
Zarte Hände und unendliche Zärtlichkeit<br />
me<strong>in</strong>em Geschlecht gegenüber. Es erblüht<br />
wie e<strong>in</strong>e Rose unter De<strong>in</strong>en Lippen. S<strong>in</strong>nlichkeit<br />
im Austausch. Nicht <strong>die</strong> direkte, <strong>die</strong><br />
unnachgiebige Vere<strong>in</strong>igung von Gliedern.<br />
Geistig und seelisch getragenes Verschmelzen<br />
der Energien. Mit Dir erfahre ich das,<br />
was auf der körperlichen Ebene Offenheit<br />
und Liebe ist. Und erlebe me<strong>in</strong>e Fülle <strong>in</strong><br />
den rosigen Zwischentönen mitmenschlichen<br />
Austausches. Ich danke Dir für De<strong>in</strong>e<br />
Zartheit, für De<strong>in</strong>e Nähe. Es ist, als würden<br />
Farben auf feuchtem Papier zusammenfließen<br />
<strong>in</strong> <strong>die</strong> Harmonie e<strong>in</strong>es E<strong>in</strong>sse<strong>in</strong>s.<br />
Als würde De<strong>in</strong> Rosa sich mit me<strong>in</strong>em<br />
Blau zu e<strong>in</strong>em Violett ergänzen. Als<br />
wäre <strong>die</strong> Liebe geistige Wesenheit.<br />
Ich falle, ich falle <strong>in</strong> Dich und De<strong>in</strong>e Hände.<br />
Ich falle <strong>in</strong> <strong>die</strong> Tiefe De<strong>in</strong>es Körpers,<br />
<strong>in</strong> me<strong>in</strong>e bodenlosen Gefühle und ich kann<br />
den Fall nicht bremsen. Unendliche Traurigkeit<br />
und gleichzeitig glühende Hitze umgibt<br />
mich, wenn me<strong>in</strong> Körper <strong>in</strong> <strong>die</strong>sem<br />
schwerelosen Zustand tanzt.<br />
SIE<br />
Als er sie fragte, ob er ihre Hände halten<br />
dürfe, hatte sie gewusst, dass es genau das<br />
war, was sie von ihm wollte. Sie wusste, dass<br />
das nicht e<strong>in</strong>e oberflächliche Geste war,<br />
sondern das E<strong>in</strong>gehen e<strong>in</strong>er <strong>in</strong>neren Verb<strong>in</strong>dung.<br />
Sie sehnte sich sosehr danach,<br />
se<strong>in</strong>e weichen Lippen auf ihrem Mund zu<br />
spüren und se<strong>in</strong>e konzentrierte Potenz <strong>in</strong><br />
sich e<strong>in</strong>zusaugen.<br />
Sie war für <strong>die</strong>se Kraft, <strong>die</strong> ihre Eigendynamik<br />
aus der eigenen Mitte bezog. Sie<br />
spürte <strong>die</strong> Zähne der Leidenschaft <strong>in</strong> ihrem<br />
Fleisch. Das starke, strahlende Feld des<br />
Chrysopras <strong>in</strong> ihren Händen. Fast schmerzhaftes<br />
Treiben <strong>in</strong> Trieben. Das Berühren<br />
über <strong>die</strong> äußeren S<strong>in</strong>ne und <strong>die</strong> Begegnung<br />
<strong>in</strong> Gedanken – nicht sosehr <strong>in</strong> der Wärme<br />
von Haut und Haar.<br />
***<br />
Ich möchte De<strong>in</strong>e König<strong>in</strong>, De<strong>in</strong>e Gött<strong>in</strong>,<br />
De<strong>in</strong>e Geliebte se<strong>in</strong>. Dich <strong>in</strong> <strong>die</strong> Arme nehmen<br />
und <strong>in</strong> me<strong>in</strong>e Liebe hüllen. Dir Flügel<br />
wachsen lassen, dass Du Dich stolz wie der<br />
Adler <strong>in</strong> <strong>die</strong> Lüfte schw<strong>in</strong>gen kannst. Du<br />
sollst Dich frei und mächtig fühlen, wie e<strong>in</strong><br />
Löwe. Es wäre schlimm glauben zu müssen,<br />
dass Liebe Illusion ist. Auch wenn es<br />
lebendige Gefühle s<strong>in</strong>d. Me<strong>in</strong>etwegen<br />
unbewusst wahrgenommene Geruchsstoffe,<br />
Phernome.<br />
E<strong>in</strong>e Formel drückt nicht <strong>die</strong> äußerste<br />
Offenheit aus, <strong>die</strong> Liebe zulässt. Und dann<br />
45
46<br />
geht es wohl darum, offen zu se<strong>in</strong> und den<br />
Zustand der äußersten Verschlossenheit,<br />
den Hass nicht zuzulassen. Dann würde ich<br />
mir wünschen, <strong>die</strong>sen äußersten Grad von<br />
Durchlässigkeit möglichst lange aufrechtzuerhalten<br />
– und Dich zu lieben.<br />
Aber es ist und bleibt Sehnsucht. Die Sehne<br />
ist etwas sehr Elastisches. Stark, dehnbar,<br />
sich weitend und zusammenziehend.<br />
„Anziehung“ 157/92 <strong>Lio</strong><br />
„Froschkönig“ 287/92 <strong>Lio</strong><br />
Lebendige Suche.<br />
SEHNSUCHE,<br />
statt Sehnsucht.<br />
„La fleur“ 261/92 <strong>Lio</strong>
„Die Katzenfrau“ 147/92 <strong>Lio</strong><br />
Ich b<strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Katze<br />
Me<strong>in</strong> Kopf schnurrt an De<strong>in</strong>er Brust<br />
De<strong>in</strong>e Hand streicht über me<strong>in</strong> Fell<br />
Und ich denke –<br />
Ich mag Dich<br />
Ich b<strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Katze<br />
Wenn Du mich streichelst, schnurre ich<br />
Wenn Du mich trittst, schlage ich<br />
Me<strong>in</strong>e Krallen <strong>in</strong> De<strong>in</strong> Fleisch<br />
Hüte Dich<br />
Ich b<strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Katze<br />
47
48<br />
„<strong>Lio</strong> lebt ihre Sexualität“ 910/91 <strong>Lio</strong>
La vida<br />
Er spiegelt se<strong>in</strong> Gesicht <strong>in</strong> ihren Tränen<br />
Am Boden liegend sieht sie se<strong>in</strong> Gesicht<br />
Gespiegelt von den Perlen des<br />
Vergehens<br />
Die sich ballen und ihn zeigen, wie er<br />
ist<br />
Befreit von Zwängen fühlt sie ke<strong>in</strong><br />
Gewicht<br />
Ihn nicht verachten, nicht besitzen<br />
Erfühlen <strong>die</strong> Zeit und ihre Freiheit<br />
H<strong>in</strong>geben an den Moment des<br />
Glücks<br />
Text5<br />
„Im Sonnene<strong>in</strong>fluß“ 258/91 <strong>Lio</strong><br />
Sie pflegte ihren Körper. Parfümierte sich<br />
und fühlte sich erotisiert.<br />
Der schwarze, durchsichtige Bodystock<strong>in</strong>g,<br />
<strong>die</strong> zarte Haut. Ihre F<strong>in</strong>gerkuppen<br />
pulsierten schneller und ihre Augen verrieten<br />
mit ihrem Glanz, dass sie sich wirklich<br />
mochte.<br />
Sie spürte den Pulsschlag an ihrem Halsansatz.<br />
Hitze <strong>in</strong> der Vere<strong>in</strong>igung mit sich<br />
selbst. Irgendetwas lag <strong>in</strong> der Luft.<br />
Unbeschreiblich leicht und frei. Das Gefühl<br />
alles zu besitzen ohne etwas zu haben.<br />
Da und stark. E<strong>in</strong> glücklicher Lidschlag.<br />
Die Farben irisierten im Spiegelbild<br />
ihres zufriedenen Lächelns. Sie lächelte sich<br />
ruhig <strong>in</strong>s Gesicht und vertraute ganz auf<br />
<strong>die</strong> Wärme ihrer haltenden Geste.<br />
49
50<br />
„Grenzenlose Liebe <strong>in</strong> All-Liebe“ 142/93 <strong>Lio</strong>
Selbstliebe. S<strong>in</strong>nlichkeit und Lebensfreude.<br />
Mit der zunehmenden Fähigkeit, uns selbst so anzunehmen, wie wir s<strong>in</strong>d und dass wir<br />
genauso geme<strong>in</strong>t s<strong>in</strong>d, wie wir s<strong>in</strong>d, gew<strong>in</strong>nen wir <strong>die</strong> Fülle, den Überfluss der Lebensfreude<br />
und der S<strong>in</strong>nlichkeit <strong>in</strong> allen Lebensäußerungen zurück.<br />
Der Ausdruck aller unserer Gefühle und Bedürfnisse macht uns zu Mitschöpfer<strong>in</strong>nen<br />
und Gestalter<strong>in</strong>nen unseres Lebens. Angst und Wut, Verzweiflung und Ohnmacht verlieren<br />
ihren Schrecken und wir merken, dass wir uns davon befreien, wenn wir <strong>die</strong>se<br />
Gefühle ausdrücken. Und so nehmen wir unsere Schattenseiten an und <strong>in</strong>tegrieren sie<br />
<strong>in</strong> unser facettenreiches Leben.<br />
Die zunehmende Selbsterkenntnis gibt uns Selbstvertrauen und <strong>die</strong> Stärke, gesunde und<br />
gleichwertige Beziehungen e<strong>in</strong>zugehen. Die Beziehung mit dem e<strong>in</strong>en Selbst wird zur<br />
reichen Quelle der Zufriedenheit und Erweiterung. Die Beziehung zu anderen Menschen<br />
e<strong>in</strong>e Arena des geme<strong>in</strong>samen Wachstums.<br />
Sobald wir <strong>die</strong> Zügel unseres Lebens selbst <strong>in</strong> <strong>die</strong> Hand nehmen, übernehmen wir auch<br />
<strong>die</strong> Verantwortung für das, was uns geschieht. Und s<strong>in</strong>d selbst unseres Glückes Schmid<strong>in</strong>.<br />
Frei von falschen Erwartungen und von der Delegation des Glücklichmachens an<br />
Beziehungspartner.<br />
Und wir lernen, dass Liebe nicht geschaffen und manipuliert werden kann, dass sie e<strong>in</strong><br />
Geschenk ist. Liebe erfüllt sich im Geben, <strong>in</strong> der Freude an und mit dem, war wir lieben.<br />
„The Queen. Ami und <strong>die</strong> Otter Silber und Gold“ 57/92 <strong>Lio</strong><br />
51
52<br />
„Facettenreich. La rica“ 1210/91 <strong>Lio</strong>
HER-ZÄHLUNG<br />
Her mit De<strong>in</strong>en Gedanken<br />
Sie gehören uns allen<br />
Her mit De<strong>in</strong>en Träumen<br />
Wir wollen sie alle träumen<br />
Her mit De<strong>in</strong>en Gefühlen<br />
Wir haben sie nicht mehr<br />
Her mit De<strong>in</strong>en Idealen<br />
Wir haben unsere verloren<br />
Her mit Dir<br />
Du sollst für uns verzweifeln<br />
„Eierlegen“ 211/92 <strong>Lio</strong><br />
„Träume“ 27/92 <strong>Lio</strong><br />
„Erneuerung“ 88/92 <strong>Lio</strong><br />
53
54<br />
„Morgendämmerung“ 138/92 <strong>Lio</strong>
Lied<br />
Mit beiden Füßen fest <strong>in</strong> der Luft,<br />
Such’ ich nach mir.<br />
In me<strong>in</strong>er Phantasie<br />
Laufen <strong>die</strong> Gestalten,<br />
Der Wirklichkeit <strong>in</strong>s Nichts.<br />
Weil sie vor me<strong>in</strong>en Welten<br />
Ängstlich flieh’n.<br />
Mit beiden Füßen fest <strong>in</strong> der Luft,<br />
Such’ ich nach me<strong>in</strong>em Grund –<br />
Der mir <strong>die</strong> Wirklichkeit <strong>in</strong> Erde<br />
Auf <strong>die</strong> S<strong>in</strong>ne drückt.<br />
Die Wirklichkeit ist Nichts,<br />
Weil sie vor me<strong>in</strong>en Welten<br />
Ängstlich flieht.<br />
55
56<br />
„Gebende Liebe mit der Rose der Erkenntnis“ 261/93 <strong>Lio</strong>
„La re<strong>in</strong>a de la vida“ 298/92 <strong>Lio</strong><br />
Tiefenkräfte<br />
der Seele.<br />
Die schöpferische<br />
Kraft.<br />
Der Mensch, der sich selbst angenommen<br />
hat, lebt aus der schöpferischen Mitte und<br />
entdeckt neue Ziele. Geist und Herz s<strong>in</strong>d<br />
offen für <strong>die</strong> Fülle des Lebens.<br />
Die Verfe<strong>in</strong>erung der Sensibilität schafft<br />
Raum für e<strong>in</strong> noch tiefer erlebbares Glück.<br />
Und mit der Rückb<strong>in</strong>dung an unseren Urgrund<br />
verlieren wir unsere Angst.<br />
Träume s<strong>in</strong>d F<strong>in</strong>gerzeige unseres Innenlebens<br />
und können uns helfen, uns immer<br />
besser zu erkennen, um immer mehr E<strong>in</strong>sicht<br />
zu gew<strong>in</strong>nen, <strong>die</strong> Welt und ihre Ersche<strong>in</strong>ungen<br />
mehr und mehr <strong>in</strong> ihrem<br />
Sose<strong>in</strong> zu betrachten, ohne sie zu werten.<br />
Wünsche und Träume s<strong>in</strong>d wie Wegweiser,<br />
<strong>die</strong> uns zeigen, woh<strong>in</strong> wir gehen möchten.<br />
Wenn wir unsere Vorstellungskräfte und<br />
<strong>in</strong>neren Bilder darauf richten, werden wir<br />
alles erreichen, was wir auch denken und<br />
„sehen“ können.<br />
Desto freier wir <strong>die</strong> eigenen schöpferischen<br />
Kräfte entfalten, zur eigenen Freude und<br />
H<strong>in</strong>gabe an erfüllte Momente, desto erfüllter<br />
wird unser Leben se<strong>in</strong>.<br />
„Dem Leben zugewendet“ 88/92 <strong>Lio</strong><br />
57
58<br />
„Wasserfrau und Mond<strong>in</strong> mit dem Sonnenmann“ 152/93 <strong>Lio</strong><br />
Geistige Erneuerung und Spiritualität.<br />
Wir ziehen an, was uns vollkommen macht. Und so f<strong>in</strong>det unser Geist immer wieder<br />
Inhalte, <strong>die</strong> unser Leben erneuern und weiterführen.<br />
Die eigene Spiritualität wächst mit dem Vertrauen auf <strong>die</strong> eigene „Sicht“ und <strong>die</strong> „E<strong>in</strong>sicht“,<br />
<strong>die</strong> wir daraus gew<strong>in</strong>nen.<br />
In der E<strong>in</strong>heit allen Se<strong>in</strong>s gibt es ke<strong>in</strong>e Polarität. Nachdem wir Menschen aber zeitlich<br />
begrenzt erleben, sehen wir <strong>die</strong> D<strong>in</strong>ge <strong>in</strong> ihrem zeitlichen Nache<strong>in</strong>ander.<br />
Sobald wir uns als Teil e<strong>in</strong>es größeren Ganzen begreifen, <strong>in</strong> dem alles als zugehörig<br />
erlebt wird und unsere Froschperspektive verlassen, können wir <strong>die</strong> Welt, das Universum<br />
von e<strong>in</strong>er höheren Warte aus begreifen und annehmen. Daraus können das Vertrauen<br />
und <strong>die</strong> Gelassenheit wachsen, <strong>die</strong> uns <strong>die</strong> Kraft geben, das Leben so zu nehmen,<br />
wie es ist.
Die alte Identität, der Tod, das große Loslassen<br />
r<strong>in</strong>gt um das Vertrauen mit dem Rad<br />
des Schicksals, das <strong>die</strong> Unterwelt repräsentiert.<br />
Hilfe <strong>in</strong> der Oberwelt ist <strong>die</strong> äußere<br />
und <strong>die</strong> <strong>in</strong>nere Sicherheit. Der Reichtum<br />
an Erkenntnissen und der Reichtum im<br />
Alltag. Die helfenden Kräfte s<strong>in</strong>d <strong>die</strong> Hohepriester<strong>in</strong><br />
und der Hohepriester. Die Jungfrau,<br />
<strong>die</strong> mit der <strong>in</strong>tuitiven Vorstellungskraft<br />
geduldig abwartet – und der Heilige, der<br />
<strong>die</strong> eigenen <strong>in</strong>nere Wahrheit f<strong>in</strong>det und im<br />
Vertrauen auf das Höhere <strong>die</strong> eigene Mitte<br />
entdeckt. Das s<strong>in</strong>d <strong>die</strong> Helfer zur neuen<br />
Identität der Liebenden. Die Entscheidung<br />
aus vollem Herzen, <strong>die</strong> E<strong>in</strong>deutigkeit, <strong>die</strong><br />
große Liebe und Treue und <strong>die</strong> H<strong>in</strong>gabe<br />
an <strong>die</strong> Aufgabe, an das Leben.<br />
Die Kraft der Bilder, <strong>die</strong> Schönheit des<br />
Dase<strong>in</strong>s und <strong>die</strong> wahre Lebensfreude. So<br />
löst sich das verkrustete Korsett auf und<br />
br<strong>in</strong>gt <strong>die</strong> weichen empf<strong>in</strong>dsamen Gefühle<br />
an <strong>die</strong> Außenseite. Die Sonne dr<strong>in</strong>gt<br />
durch <strong>die</strong> Poren zum Herzen und es<br />
schmilzt mit der Kraft der Liebe. Alle Verhärtungen<br />
s<strong>in</strong>d weggefegt. Die ganze Empf<strong>in</strong>dsamkeit<br />
der K<strong>in</strong>derseele wird lebendig<br />
und erfüllt das Wesen mit der Fülle des<br />
Lebens. Mit der Liebe des Lebens und zu<br />
allem Leben.<br />
Die <strong>in</strong>tuitiven Kräfte ihrer Seele machten<br />
sich <strong>die</strong> Begierden untertan und sie gelangte<br />
zu ihrer Kraft zurück. Sie war nicht länger<br />
<strong>die</strong> Sklav<strong>in</strong> e<strong>in</strong>es Unbekannten Unbewussten.<br />
Das Tor war offen und sie konnte<br />
h<strong>in</strong>durchschreiten, wann immer sie wollte<br />
und so tief und lange sie es wollte. Und<br />
damit hatte sie <strong>die</strong> Formel für <strong>die</strong> spirituelle<br />
Ganzheit gefunden, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Anwesenheit<br />
der Geister aus dem Jenseits erklärte.<br />
„Wasserfrau und Poseidon“ 92/93 <strong>Lio</strong><br />
Unbekannte Schriftzeichen und doch vertraut<br />
aus e<strong>in</strong>em Leben, das h<strong>in</strong>ter ihr lag.<br />
Vage Er<strong>in</strong>nerungen waren wie schwärende<br />
Narben im Halbdunkel zu erahnen.<br />
Und sie er<strong>in</strong>nerten an den unaufhörlichen<br />
Wandel allen Lebens. Sie mahnten <strong>die</strong> Fragende,<br />
<strong>die</strong> Antwort von neuem zu suchen.<br />
Und sie stellt sich <strong>in</strong> den künstlich geworfenen<br />
Schatten und hüllt sich <strong>in</strong> <strong>die</strong> Dämmerung,<br />
ohne den Abend abzuwarten. In<br />
der H<strong>in</strong>gabe erfährt der <strong>in</strong>tuitive Geist<br />
se<strong>in</strong>e Ratschläge, <strong>die</strong> ihm sonst verschlossen<br />
bleiben.<br />
59
60<br />
„Die gute Mutter“ 219/92 <strong>Lio</strong>
Frau als Mutter<br />
Frauen <strong>in</strong> den reichen Industrieländern<br />
haben heute <strong>die</strong> Möglichkeit zu entscheiden,<br />
ob sie K<strong>in</strong>der haben wollen oder nicht.<br />
Nach wie vor s<strong>in</strong>d Mütter mit K<strong>in</strong>dern<br />
beruflich benachteiligt und der vielbeschriebenen<br />
Mehrbelastung durch Haushalt,<br />
Beruf und K<strong>in</strong>d/ern ausgesetzt.<br />
Die Mutterschaft ist je nach „Bedarf“ entweder<br />
verklärt oder verdammt worden. Wir<br />
Frauen müssen für uns selbst def<strong>in</strong>ieren,<br />
wieweit und wie wir Mütter se<strong>in</strong> wollen und<br />
können.<br />
Schlüsselk<strong>in</strong>der, Rabenmutter, Mütterchen<br />
und Emanze – unsere eigenen Def<strong>in</strong>itionen<br />
kann sich mit Kästchen und Schubladen<br />
nicht zufrieden geben.<br />
Doch e<strong>in</strong>es sche<strong>in</strong>t mir wichtig. Dass <strong>die</strong><br />
Frau e<strong>in</strong> Recht auf ihren Körper hat und<br />
<strong>die</strong>ses Recht auch lebt. Ob als Mutter oder<br />
Frau. Die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen<br />
Seiten der Mutterschaft muss jede<br />
Frau, ob alle<strong>in</strong> oder <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Beziehung lebend<br />
– selbst abschätzen. Dass es hier<br />
Nachteile gibt, wissen wir.<br />
Die Spiritualität der K<strong>in</strong>der mag viele Mütter<br />
für <strong>die</strong> Mehrarbeit und <strong>die</strong> Verantwortung<br />
entschädigen. Ob es so ist, kann wieder<br />
nur jede Mutter für sich entscheiden.<br />
Dass <strong>die</strong> Zeit Sorgen und Ängste für <strong>die</strong><br />
Zukunft der Neugeborenen aufwirft ist für<br />
viele Frauen bereits e<strong>in</strong> Gewissenskonflikt<br />
geworden. Wie immer <strong>die</strong> Entscheidung<br />
fällt – wir Frauen tragen <strong>die</strong> Verantwortung.<br />
„Alfredo y Viola con Mama“ 152/93 <strong>Lio</strong><br />
61
62<br />
„1000% JA zum Leben“ 142/93 <strong>Lio</strong>
Frau als Mutter.<br />
Historischer Rückblick.<br />
Die Neandertaler<strong>in</strong>nen kennen ke<strong>in</strong>e Väter<br />
(60.000 v. Chr.), Ste<strong>in</strong>zeitfrauen bestimmen<br />
<strong>die</strong> K<strong>in</strong>derzahl selbst (um 80.000 v.<br />
Chr.), <strong>die</strong> Frau als Zentrum kultischer Verehrung<br />
(um 30.000 v. Chr.), Mond – Symbol<br />
des Lebens (um 21.000 v. Chr.), Entmachtung<br />
der Gött<strong>in</strong> (2.000 v. Chr.), Sumerische<br />
Frauen entwickeln Schwangerschaftstests<br />
und Verhütung (2.250 v. Chr.).<br />
Geburt und Menstruation s<strong>in</strong>d im Matriarchat<br />
heilige Vorgänge. Doch seit dem 2.<br />
Jahrtausend v. Chr. Dämonisieren <strong>die</strong> Männer<br />
<strong>die</strong> für sie mit e<strong>in</strong>em Tabu belegten<br />
Bereiche weiblicher Sexualität.<br />
Aufgrund des patriarchalen LILITH-Mythos<br />
erklären <strong>die</strong> Priester weibliche Sexualität<br />
für „unre<strong>in</strong>“ und damit für kult-unfähig.<br />
Die Frauenverachtung treibt im Laufe der<br />
Geschichte seltsame Blüten. Ende des<br />
5.Jahrhunderts werden Griech<strong>in</strong>nen zu<br />
Unwissenheit und Arbeit erzogen. 18 v.<br />
Chr. ruft der römische Kaiser Augustus mit<br />
gesetzlichen Anreizen zu mehr Geburten<br />
auf. Söhne für den Krieg werden gebraucht.<br />
(Die Römer<strong>in</strong> benützte Öle oder Salben<br />
zum Verschließen des Muttermundes als<br />
Verhütung).<br />
314 n. Chr. Wird Abtreibung von den kirchlichen<br />
Würdenträgern als Mord gewertet.<br />
Das Verbot der Abtreibung ist e<strong>in</strong>e typisch<br />
christliche Ersche<strong>in</strong>ung. In der ganzen<br />
Antike war <strong>die</strong> Abtreibung e<strong>in</strong>e weit ver-<br />
breitete Methode der Bevölkerungsregulierung.<br />
Mit August<strong>in</strong>us (5. Jh.) wird <strong>die</strong> Geschichte<br />
von Eva und dem Sündenfall proklamiert.<br />
Mit Eva werden alle Frauen als Gefahrenquelle<br />
für den Mann verdammt.<br />
Durch ihre s<strong>in</strong>nlichen Reize löse <strong>die</strong> Frau<br />
das Begehren im Mann aus und verführe<br />
ihn zu unkontrolliertem Handeln. Daher<br />
rührt der Versuch, <strong>die</strong> Frau – das Objekt<br />
der Begierde – zu unterwerfen und zu diffamieren.<br />
1000 n. Chr.: Lust an der Liebe gilt im Mittelalter<br />
offiziell als Sünde. Das geme<strong>in</strong>same<br />
Lager darf nur der Zeugung von K<strong>in</strong>dern<br />
<strong>die</strong>nen. Weil Frauen als besonders<br />
triebhaft und lustempf<strong>in</strong>dend gelten, ist ihre<br />
Sexualität Beschränkungen unterworfen.<br />
1267: Thomas von Aqu<strong>in</strong> verkündet <strong>die</strong><br />
zweifache M<strong>in</strong>derwertigkeit der Frau. Sie<br />
sei nicht nur wegen ihrem Sündenfall dem<br />
Manne untergeordnet, sondern sei schon<br />
vorher, gleichsam von Natur aus, dem<br />
Mann <strong>in</strong> Logik und Klugheit unterlegen<br />
gewesen.<br />
1520 n. Chr. Taucht das Verbot auf, abtreibende<br />
Mittel zu verkaufen und das Heilwissen<br />
von Hebammen und kräuterkundigen<br />
Frauen kommt immer mehr <strong>in</strong> Verruf.<br />
Ab 1550 wird <strong>die</strong>ses Wissen durch <strong>die</strong><br />
Hexenverfolgungen und –verbrennungen<br />
nahezu ausgerottet.<br />
1589 n. Chr. Begründen <strong>die</strong> Engländer<strong>in</strong>nen<br />
den Fem<strong>in</strong>ismus. 1601 werden <strong>die</strong><br />
Frauen von selbständiger Berufsarbeit ausgegrenzt.<br />
Im 17. Jh. macht das Ideal der „guten Haus-<br />
63
64<br />
frau“ Schule. Mit der Zurückdrängung der<br />
Frauen aus der qualifizierten Erwerbsarbeit<br />
bilden Familie und Haushalt den weiblichen<br />
Lebensraum. Als moralisches Vorbild soll<br />
sie sich durch Fügsamkeit, Gottesfurcht,<br />
Häuslichkeit, Fleiß, Güte und Treue auszeichnen.<br />
Anfang des 18. Jahrhunderts gibt es e<strong>in</strong><br />
neues Ideal der Mütterlichkeit. Der Mensch<br />
wird jetzt als Rohstoff betrachtet, der <strong>die</strong><br />
Grundlage für Reichtum darstellt.<br />
1850 verdichten sich <strong>die</strong> Kämpfe der Fem<strong>in</strong>ist<strong>in</strong>nen<br />
unter dem ungeheuren Elend<br />
der Masse der Frauen. Bildungse<strong>in</strong>richtungen<br />
und mediz<strong>in</strong>ische Versorgung wird e<strong>in</strong>gerichtet<br />
und erste Frauengruppen organisieren<br />
sich, um <strong>die</strong> wirtschaftliche Lage zu<br />
verbessern.<br />
1870 wird der § 218, Zuchthaus für Abtreibung<br />
e<strong>in</strong>geführt.<br />
Die Frauenrechtler<strong>in</strong> Lilly Braun setzt sich<br />
für berufstätige Mütter e<strong>in</strong>. Sie klagt über<br />
<strong>die</strong> Doppel- und Dreifachbelastung. Sie<br />
fordert e<strong>in</strong>e Herabsetzung der Arbeitszeit<br />
und e<strong>in</strong>e Mutterschaftsversicherung, <strong>die</strong><br />
den Frauen e<strong>in</strong>ige Wochen vor und nach<br />
der Geburt Schutz gibt.<br />
1901 ersche<strong>in</strong>t e<strong>in</strong> Ratgeber für Verhütungsmittel.<br />
Gummihütchen, Pessarien,<br />
Sicherheits-Schutzr<strong>in</strong>g und ähnliche Mittel<br />
werden vorgestellt. (Frau als Hausärzt<strong>in</strong>,<br />
von Anne Fischer—Dückelmann).<br />
1905 wird <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> e<strong>in</strong> Bund zum Mutterschutz<br />
und K<strong>in</strong>derschutz unverheirateter<br />
Mütter gegründet. Und im selben Jahr forderte<br />
Käthe Schirmacher, dass Hausfrauenarbeit<br />
entlohnt werden müsse.<br />
„Unverstandener Liebesentzug“ 219/91 <strong>Lio</strong><br />
1913 treten 4.000 Frauen e<strong>in</strong>en Gebärstreik<br />
an und fordern das Recht auf den eigenen<br />
Körper.<br />
Der erste Weltkrieg erweitert den Handlungsspielraum<br />
der Frauen.<br />
1927 wird im deutschen Reichstag e<strong>in</strong> Mutterschutzgesetz<br />
verabschiedet.<br />
1932 veröffentlicht Hermann Knaus <strong>die</strong><br />
natürliche Empfängnisverhütung, Knaus-<br />
Og<strong>in</strong>o-Methode.<br />
1935 Der nationalsozialistische Mutterkult<br />
und Mythos von der Re<strong>in</strong>heit der Frau tritt<br />
h<strong>in</strong>ter dem Ziel zurück, zukünftige Kriegsverluste<br />
auszugleichen.<br />
1939 erhalten Frauen mit überdurchschnittlicher<br />
Gebärleistung das Ehrenkreuz der<br />
deutschen Mutter.
1949 wird <strong>in</strong> Bonn <strong>die</strong> Gleichberechtigung<br />
von Männern und Frauen vor dem Gesetz<br />
verkündet.<br />
1960 Mit der Pille zur Selbstbestimmung,<br />
vorerst nur für <strong>die</strong> verheiratete Frau.<br />
1962 Die Ehe steckt <strong>in</strong> der Krise. 60 % der<br />
Frauen aus den Industrieländern s<strong>in</strong>d <strong>in</strong><br />
ihrer Ehe unglücklich oder enttäuscht.<br />
1967 Freie Liebe wird e<strong>in</strong> populäres Thema<br />
<strong>in</strong> den Me<strong>die</strong>n.<br />
1971 Gegen § 218<br />
1972 Fordern Frauen <strong>in</strong> Los Angeles <strong>die</strong><br />
Selbstbestimmung über den eigenen Körper.<br />
1975 Frauenbücher über Fem<strong>in</strong>ismus und<br />
Selbstf<strong>in</strong>dung.<br />
1979 Verbesserung des Mutterschutzes.<br />
1980 Beg<strong>in</strong>n e<strong>in</strong>er systematischen Frauengeschichtsforschung,<br />
Frauenforschung.<br />
1985 Frauen gegen Gentechnik<br />
1992 Der § 218 wird im Deutschen Bundestag<br />
mit 12 Wochen straffrei gestellt.<br />
1993 Sollen mehr Frauenrechte <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er<br />
neuen Verfassung verankert werden.<br />
Seit 1980 Bemühungen um Gleichbehandlung<br />
der Frauen <strong>in</strong> der Gesellschaft.<br />
„Mutterliebe“ 1010/91 <strong>Lio</strong><br />
Stand 2001:<br />
Frauen verrichten 2/3 der Weltarbeit und<br />
besitzen 2 % des Weltvermögens.<br />
Frauen ver<strong>die</strong>nen im Schnitt 33 % weniger<br />
für gleiche Arbeit.<br />
Frauen s<strong>in</strong>d zu 2-4 % <strong>in</strong> Führungspositionen,<br />
obwohl sie bei der Bildung führen.<br />
Frauenanteil an Universitäten über 55 %.<br />
Von der EU verordnetes Genderma<strong>in</strong>stream<strong>in</strong>g:<br />
Alibihandlungen der Regierungen?<br />
65
66<br />
„Die liebevolle Integration der Triebenergie des Pan“ 261/93 <strong>Lio</strong>
„Seelchens“ 78/92 <strong>Lio</strong><br />
K<strong>in</strong>dererziehung und<br />
Bildungsarbeit<br />
Mit dem gesellschaftlichen Wertewandel<br />
verändern sich auch <strong>die</strong> Grundsätze der<br />
K<strong>in</strong>dererziehung. Wurden zur Zeit me<strong>in</strong>er<br />
Eltern noch „gesunde Ohrfeigen“ für e<strong>in</strong><br />
wichtiges Erziehungsmittel gehalten, wenden<br />
sich viele Mütter und Väter vertrauensvoll<br />
an Bücher und Beratungsstellen.<br />
Der erzieherische Drill hat sich mancherorts<br />
gelockert und hat viele neue Möglichkeiten<br />
aufgemacht, das K<strong>in</strong>d, <strong>in</strong> der persönlichen<br />
Entwicklung zu unterstützen und<br />
Erziehung als liebevolle Führung zu verstehen.<br />
Richtig und falsch lassen sich nicht immer<br />
leicht beurteilen. Dass <strong>die</strong> Allgeme<strong>in</strong>heit es<br />
lieber hätte, von Anfang an perfekt funktionierende<br />
kle<strong>in</strong>e Erwachsene zu haben,<br />
mag praktisch und ordentlich se<strong>in</strong>, aber es<br />
entspricht nicht der K<strong>in</strong>derseele.<br />
Mit der liebevollen H<strong>in</strong>wendung, der Abgrenzung<br />
und mit dem Zeigen des eigenen<br />
Zustandes, kann das K<strong>in</strong>d langsam lernen,<br />
wo es anfängt und wo andere Menschen<br />
anfangen. Und sich dabei doch frei <strong>in</strong> allen<br />
Fähigkeiten entwickeln.<br />
Alternativschulen, Schulversuche und eigene<br />
Vorstellungen der Eltern erleichtern <strong>die</strong><br />
Lockerung der bestehenden Schulpflicht.<br />
Gendersensible Erziehungsmodelle und<br />
erweiterte Montessori-Pädagogik <strong>in</strong> der<br />
„Wild-Schule“ s<strong>in</strong>d wichtige Impulse, umzudenken,<br />
k<strong>in</strong>dgerechter zu lehren und zu<br />
lernen.<br />
„Aufbruch <strong>in</strong> Konzentration“ 308/92 <strong>Lio</strong><br />
67
68<br />
„Kreative Lösung“ 152/93 <strong>Lio</strong>
Beruf, Berufung.<br />
Krisenzeiten und Kriege, <strong>in</strong> denen <strong>die</strong> Frauen mehr Handlungsspielraum erhielten haben<br />
immer wieder gezeigt, wie viel Frauen Kraft ihres Verstandes und ihrer Fähigkeiten<br />
zustandebr<strong>in</strong>gen. Dass Frauen heute noch immer ihre geistigen und schöpferischen<br />
Talente verteidigen und <strong>in</strong>s rechte Licht rücken müssen, ist traurig aber wahr.<br />
Zwei Drittel aller Analphabeten der Welt s<strong>in</strong>d Frauen. In vielen Ländern werden Mädchen<br />
gegenüber Buben benachteiligt. In ihrer Ausbildung und <strong>in</strong> ihrem Leben.<br />
In den „reichen“ Ländern haben wir als Frauen zwar <strong>die</strong> gleichen Bildungs- und Ausbildungsstätten<br />
zur Verfügung, was aber nicht heißt, dass wir auch <strong>die</strong> gleichen Berufschancen<br />
haben.<br />
Gleichbehandlungsgesetze weiblicher und männlicher Bewerber werden unter dem zunehmenden<br />
Druck (von Frauenorganisationen und Politiker<strong>in</strong>nen) festgeschrieben, doch<br />
noch gibt es zu viele Lücken und Fallstricke.<br />
Die Frauen, <strong>die</strong> im männlich dom<strong>in</strong>ierten, hierarchischen Karrierekampf mitmachen,<br />
s<strong>in</strong>d gezwungen, sich an <strong>die</strong>ses System anzupassen – was oft das Aufgeben e<strong>in</strong>er Fülle<br />
von „unerwünschten“ weiblichen Eigenschaften bedeutet.<br />
Frauensache ist für mich Sache aller Frauen. Musiker<strong>in</strong>nen gründen eigene Orchester<br />
mit Frauen und Männern, Frauen als Künstler<strong>in</strong>nen solidarisieren und organisieren sich,<br />
Frauen schreiben und treten <strong>in</strong> <strong>die</strong> Öffentlichkeit, sie formulieren ihre Rechte und setzen<br />
sich dafür e<strong>in</strong>.<br />
Das sollte Mut machen, für <strong>die</strong> eigenen Berufspläne und <strong>die</strong> eigene Berufung loszugehen<br />
und berufliche Wünsche und Träume zu realisieren.<br />
„Nuith“ 303/93 <strong>Lio</strong><br />
69
70<br />
„Die Kaiser<strong>in</strong> im Zeichen der Venus“ 291/93 <strong>Lio</strong>
B26a<br />
Nur noch <strong>die</strong> Innenschau konnte ihr helfen,<br />
sich im Außen zu veräußern, durch das,<br />
was sie im Inneren erschaute und durch das<br />
Erschauen sichtbar machte. Die <strong>in</strong> den<br />
Kristallspiegeln der Eispr<strong>in</strong>zess<strong>in</strong> gespiegelten<br />
Fratzen, ihre eigenen K<strong>in</strong>der verschl<strong>in</strong>gend<br />
– und <strong>die</strong> grausamen Züge der<br />
folternden Knechte und der selbstgerechten<br />
Herrscher.<br />
Sie fürchtete nichts sosehr, wie ihren Erfolg.<br />
Denn damit würde sie sich endgültig<br />
als e<strong>in</strong>sames erwachsenes Selbst deklarieren<br />
und hätte ke<strong>in</strong>en Anspruch auf Leid<br />
und Hilflosigkeit. Und so klammerte sie<br />
sich wie e<strong>in</strong>e Untergehende im Strom der<br />
Gezeiten an <strong>die</strong> Überreste ihrer alten Ängste,<br />
<strong>die</strong> wie Eis <strong>in</strong> der Sonne dah<strong>in</strong>schmolzen<br />
und sie aus der Behaglichkeit<br />
der selbstgezimmerten Beschränkungen <strong>in</strong><br />
<strong>die</strong> Welt h<strong>in</strong>auszogen.<br />
Ja, nichts würde mehr von den Ängsten und<br />
beengenden Denk- und Handlungsmustern<br />
übrigbleiben. Sie würde im Strom der eigenen<br />
kreativen Energien stehen und sie würde<br />
zum Kanal für <strong>die</strong> kosmische, gestaltende<br />
Kraft, <strong>die</strong> Himmel und Erde mite<strong>in</strong>ander<br />
verband.<br />
„Der mutige Sprung zu neuer Stärke“<br />
710/92 <strong>Lio</strong><br />
„Der Boss beim Eierlegen - mit<br />
Dampfablaßrohr“ 87/93 <strong>Lio</strong><br />
71
72<br />
„Goldhelm, Silberpfeil“ 142/93 <strong>Lio</strong>
S<strong>in</strong>n<br />
„Der Armlose mit der Doppelzunge“<br />
249/91 <strong>Lio</strong><br />
Monologe der Eitelkeit<br />
Reihen sich an Monologe der Eitelkeit<br />
Und aus dem Vakuum steigt Langeweile<br />
Gähnende Stille und das Gefühl<br />
vertaner Zeit.<br />
Solidarität des Schlamassels<br />
Humanität des Essens und Tr<strong>in</strong>kens<br />
Wärme des Kleiderkaufens<br />
Schönheit <strong>in</strong> Plastik<br />
Harmonie des Papiers<br />
Freunde des Vorteils<br />
Mächte um Macht<br />
Krankheit wegen des großen Angebots<br />
an Pillen<br />
Brillenträger für <strong>die</strong> Optiker<br />
Schmuck wegen des Gewichtes<br />
Zweifel wegen der zwischenmenschlichen<br />
Kommunikation<br />
Und der Verschiebung von<br />
Verantwortung<br />
Taten der Tätlichkeit<br />
Fragliche Fragen<br />
Und Statements wegen der<br />
elektronischen Übertragbarkeit<br />
Krieg, weil es Waffenlager gibt<br />
Entwicklungshilfe wegen des Exportmarktes<br />
Existieren für das F<strong>in</strong>anzamt<br />
Klagen wegen der Erhaltungskosten der<br />
Gerichte<br />
Richten, weil sich’s alle richten.<br />
Leben – damit es vielleicht e<strong>in</strong>e<br />
Biographie gibt<br />
Die möglicherweise e<strong>in</strong> Kassenschlager<br />
werden könnte<br />
Oder: Die Geme<strong>in</strong>de weiterh<strong>in</strong> <strong>die</strong> hervorragende<br />
Beschäftigungslage<br />
Der beamteten Totengräber halten kann<br />
Wer weiß?<br />
„Geteilte Gefühle“ 88/92 <strong>Lio</strong><br />
73
74<br />
„Gerüstet vor dem Fe<strong>in</strong>d, dem Freund“ 72/93 <strong>Lio</strong>
„Liebe. H<strong>in</strong>gabe“3012/92 <strong>Lio</strong><br />
Lied<br />
„Me<strong>in</strong> Lied ist e<strong>in</strong><br />
trauriges Lied...“<br />
Me<strong>in</strong> Lied ist e<strong>in</strong> trauriges Lied<br />
Und me<strong>in</strong>e Träume so fremd<br />
Der Tag ist e<strong>in</strong> Zw<strong>in</strong>ger<br />
In dem ich ohnmächtig sitze<br />
Beherrscht und verraten von der Macht<br />
Me<strong>in</strong> Lied ist e<strong>in</strong> trauriges Lied<br />
Und me<strong>in</strong>e Träume so fern<br />
Der Mensch ist verkauft schon<br />
Die Seele kennt niemand<br />
Wenn es ums Geld geht, das regiert<br />
Me<strong>in</strong> Lied ist e<strong>in</strong> trauriges Lied<br />
Und me<strong>in</strong>e Träume so kalt<br />
Ich morde mich selber<br />
Mit Zweifeln und Angst<br />
Beherrscht und verraten von der Macht<br />
„Im Regen. MR y EP“ 235/92 <strong>Lio</strong><br />
75
76<br />
10.11.1990<br />
Härte<br />
Plastikblumen<br />
Seidenblumen<br />
Atomkrieg<br />
Weltuntergang<br />
Kriege<br />
Hass<br />
Degeneration<br />
Härte<br />
Unfairness<br />
Dreck<br />
Verdrängt <strong>in</strong> <strong>die</strong> Ungelebtheit der Verstoßenen.<br />
Gebrandmarkt von Verlassenheit und Untreue.<br />
Sie haben es gerne <strong>in</strong> der Gemütlichkeit<br />
und verlassen <strong>die</strong> Verlassenen, weil<br />
sie sich sonst und ihre trügerische Idylle<br />
und Sicherheit verlassen.<br />
Zerbröckelte trügerische Begehrlichkeit<br />
h<strong>in</strong>ter dicken Vorhängen der Seele und des<br />
stumpfen Geistes.<br />
De<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>samkeit macht Dich reich und<br />
stark.<br />
Unser Morgengebet<br />
Große Mutter, lass uns ohne <strong>die</strong> Angst<br />
Vor den Atombomben aufwachen –<br />
Große Mutter, lass unsere K<strong>in</strong>der auch<br />
In Wäldern spazieren gehen –<br />
Große Mutter, lass uns nicht<br />
An unserer Beziehungslosigkeit<br />
verzweifeln –<br />
Große Mutter, lass uns noch e<strong>in</strong>mal<br />
Mit unserem Herzen empf<strong>in</strong>den –<br />
Große Mutter, lass uns e<strong>in</strong>en Weg f<strong>in</strong>den,<br />
Die Welt – und Selbstzerstörung<br />
aufzuhalten –<br />
Große Mutter, lass uns noch e<strong>in</strong>mal<br />
Wirklich Mensch se<strong>in</strong>.<br />
„Beziehung?“ 188/92 <strong>Lio</strong>
Brief an e<strong>in</strong>en Patriarchen.<br />
Du sagst, Du bist e<strong>in</strong> Rationalist und ich<br />
me<strong>in</strong>e, Du me<strong>in</strong>st damit, dass alles, was Du<br />
an Machtgebaren an den Tag legst gerechtfertigt<br />
ist. Du glaubst, dass alle Gedanken,<br />
<strong>die</strong> zum Leben führen, Kram für Idealisten,<br />
Blöds<strong>in</strong>n, weiblich – e<strong>in</strong>fach Nebensache<br />
sei. Aber woh<strong>in</strong> führt Dich De<strong>in</strong><br />
Rationalismus. Sollen alle Menschen daran<br />
zugrunde gehen?<br />
Soll <strong>die</strong> Natur nur noch aus Bildern bestehen?<br />
Soll alles, was das Leben schön und<br />
lebenswert macht e<strong>in</strong>e Er<strong>in</strong>nerung se<strong>in</strong>?<br />
E<strong>in</strong>e Er<strong>in</strong>nerung von jenen, <strong>die</strong> Du Idealisten<br />
schimpfst? Die Bilder erstehen lassen,<br />
<strong>die</strong> Dir <strong>die</strong> Welt zeigen, <strong>in</strong> der es sich lohnen<br />
würde, fürs Leben und für <strong>die</strong> Liebe<br />
zu se<strong>in</strong>? Was hast Du schon alles mit De<strong>in</strong>er<br />
„Sachlichkeit“ angestellt.<br />
K<strong>in</strong>der, <strong>die</strong> schon im Schulalter auf Leistung<br />
getrimmt s<strong>in</strong>d. Die nie gelernt haben,<br />
schöpferisch und spielerisch mit ihren<br />
eigenen Lebensmöglichkeiten umzugehen.<br />
Die sich im Leistungszwang und im Gegene<strong>in</strong>ander<br />
der Ellebogen wiederf<strong>in</strong>den.<br />
Frauen und K<strong>in</strong>der, Idealisten und Ausländer,<br />
<strong>die</strong> <strong>in</strong> M<strong>in</strong>derheiten jenes Ausgegrenztse<strong>in</strong><br />
erleben, das Du ihnen zuweist.<br />
Du selbst bist e<strong>in</strong> sterbender, e<strong>in</strong> toter Ast<br />
im Getriebe des zukünftigen Werdens des<br />
Weltgeschehens.<br />
Du hast verlernt, den Himmel mit Sternen<br />
zu sehen, Du hast verlernt, den Mond als<br />
wichtige Quelle De<strong>in</strong>er Inspiration zu nützen,<br />
Du hast verlernt, De<strong>in</strong>e <strong>in</strong>nere Stimme<br />
zu hören und De<strong>in</strong>en weiblichen Part<br />
<strong>in</strong> De<strong>in</strong> Leben e<strong>in</strong>fließen zu lassen. Wie<br />
schal und kalt s<strong>in</strong>d De<strong>in</strong>e Worte, <strong>die</strong> Du <strong>in</strong><br />
<strong>die</strong> Welt trägst. Wie schal und kalt s<strong>in</strong>d alle<br />
D<strong>in</strong>ge, <strong>die</strong> jeder mit Geld kaufen kann. Wie<br />
schal und kalt s<strong>in</strong>d jene Klischees, <strong>die</strong> Du<br />
uns mit aufwendigen Bildern auf <strong>die</strong> Augen<br />
drückst. Wie schal und kalt s<strong>in</strong>d <strong>die</strong><br />
elektronischen Me<strong>die</strong>n, <strong>die</strong> uns <strong>die</strong> S<strong>in</strong>nlosigkeit<br />
<strong>die</strong>ses Lebens nicht zum Bewusstse<strong>in</strong><br />
br<strong>in</strong>gen soll.<br />
Wie schal und kalt ist De<strong>in</strong>e Geste, <strong>die</strong> Du<br />
De<strong>in</strong>er Geliebten entgegenbr<strong>in</strong>gst. Wo hast<br />
Du alte Menschen h<strong>in</strong>gestellt? Du hast <strong>die</strong><br />
Reife und Erfahrung e<strong>in</strong>es alternden Menschen<br />
<strong>in</strong>s Abseits gestellt. Woh<strong>in</strong> führt e<strong>in</strong>e<br />
Gesellschaft, <strong>in</strong> der Patriarchen, alle <strong>die</strong><br />
nicht „LEISTEN“, <strong>in</strong>s Ghetto des körperlichen<br />
und seelischen Siechtums stellen.<br />
Wird <strong>die</strong> Welt nur noch aus Ausgegrenzten<br />
bestehen und aus e<strong>in</strong> paar Patriarchen,<br />
<strong>die</strong> sich alle Pfründe und Sahnetöpfe <strong>in</strong>s<br />
eigene Zimmer stellen?<br />
Wird alles, was Menschse<strong>in</strong> bedeuten kann,<br />
auf Befehlsempfänger und Roboter reduziert?<br />
„Dreifaltige und <strong>die</strong> Sonne im harlek<strong>in</strong>sgewand. Die Weisheit des Narren“ 18/92 <strong>Lio</strong><br />
77
78<br />
Wie armselig s<strong>in</strong>d unsere Seelen <strong>in</strong> <strong>die</strong>sem Reichtum.<br />
Wie armselig s<strong>in</strong>d unsere Freuden <strong>in</strong> <strong>die</strong>sem Reichtum.<br />
Wie armselig s<strong>in</strong>d wir selbst <strong>in</strong> <strong>die</strong>sem Reichtum.<br />
Wie armselig wird das Leben unserer K<strong>in</strong>der <strong>in</strong> <strong>die</strong>sem Reichtum.<br />
Vorstellungen schaffen Wirklichkeit, heißt es. Doch welche Vorstellungen schaffen<br />
<strong>die</strong>se grässlichen Wirklichkeiten, <strong>die</strong> von jenen Menschen, <strong>die</strong> <strong>in</strong> Schlüsselpositionen<br />
der Macht sitzen, als gegeben h<strong>in</strong>gestellt werden?<br />
Wehe dem, der es wagt, <strong>die</strong>ses System zu kritisieren.<br />
Wehe dem, der Rückgrat und Zivilcourage beweist.<br />
Intelligenz wird ignoriert. Phantasie und Kreativität werden benützt und ausgenützt.<br />
Und der Mensch selbst dah<strong>in</strong>ter ausgegrenzt.<br />
Die Volkswirtschaft schreit nach jungen UnternehmerInnen.<br />
Die Volkswirtschaft schreit nach gebärfreudigen Frauen.<br />
Die Volkswirtschaft schreit nach PensionszahlerInnen.<br />
Die Volkswirtschaft schreit nach umweltbewussten Menschen.<br />
Die Volkswirtschaft schreit nach Ideenbr<strong>in</strong>gern und Erf<strong>in</strong>dern.<br />
„Akt“ 179/91 <strong>Lio</strong><br />
Doch <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em politischen System der Gewerkschaften und Kämmerer,<br />
<strong>in</strong> e<strong>in</strong>em politischen System der Ignoranz und der gegenseitigen Beschimpfung,<br />
<strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Politischen System des Rassismus und<br />
<strong>in</strong> e<strong>in</strong>em politischen System des persönlichen Vorteils e<strong>in</strong>zelner Politiker,<br />
<strong>in</strong> e<strong>in</strong>em solchen System hat Wahrhaftigkeit und Intelligenz ke<strong>in</strong>e Platz.<br />
Denn hier geht es um re<strong>in</strong> materialistische Vorteile. Um ganz persönliche Macht, um<br />
ganz persönliche Geltung.<br />
Nicht für das Volk – Ne<strong>in</strong>! Für sich selber.<br />
Und ke<strong>in</strong> Mittel ist zu niedrig, ke<strong>in</strong> Mittel ist zu hart, ke<strong>in</strong> Mittel ist zu....<br />
Ke<strong>in</strong> Mittel ist zu unmenschlich.
Verständnisheischende Jugendliche werden<br />
zu Drogensüchtigen gemacht, engagierte<br />
Frauen werden zu Mannweibern gestempelt,<br />
K<strong>in</strong>der werden zu Psychopathen erzogen,<br />
Kranke werden <strong>in</strong> Ghettos aufgefangen<br />
und jeder, der noch gesund ist, wird<br />
mit Medikamenten krank gemacht.<br />
Wo bleibt <strong>die</strong> heilende Kraft des E<strong>in</strong>zelnen<br />
für das Gute zum Leben?<br />
Welchen Stellenwert nimmt Seele, Geist<br />
und Verstand e<strong>in</strong>er Gesellschaft e<strong>in</strong>, <strong>die</strong> von<br />
Halbdebilen, Psychopathen, Machtgierigen<br />
und Workaholics regiert wird.<br />
„Das retournierte Paket“ 59/91 <strong>Lio</strong><br />
„La Luna y los hombres“ 611/92 <strong>Lio</strong><br />
79
80<br />
„La re<strong>in</strong>a. <strong>Lio</strong> Hero“ 82/93 <strong>Lio</strong>
„Die neue Ganzheit im Bewußtse<strong>in</strong> des Pan. Geschützt von Nuith“ 301/93 <strong>Lio</strong><br />
Ich denke an Dich<br />
Ich möchte Dich gerade seh’n<br />
De<strong>in</strong> Gesicht entspannt<br />
Die Augen auf mich gerichtet<br />
Spürbar De<strong>in</strong> Verständnis<br />
Lautlos das Gefühl<br />
Es schreit nicht nach Dir<br />
Doch fragt es, ob es Dich gibt<br />
Viel freier ohne Schrei<br />
Viel lebendiger im Schweigen<br />
Ich denk’ an Dich<br />
Ich lebe um zu lieben<br />
Das Leben ist <strong>die</strong> Liebe<br />
Zu dem, was fließt,<br />
und ohne Fragen gibt<br />
Zu dem, was heute lebt und morgen<br />
stirbt<br />
Und wieder lebt und liebt.<br />
Ich liebe Dich im Jetzt<br />
Die Seele fliegt zu Dir<br />
Das Glück ist schon <strong>in</strong> mir<br />
Weil ich Dich eben liebe –<br />
Und nicht frag’ nach De<strong>in</strong>er Liebe.<br />
Die Liebe ist das freiste D<strong>in</strong>g,<br />
das ich erlebe.<br />
Stets gewandelt an mir selbst.<br />
Deshalb b<strong>in</strong> ich frei und liebe<br />
So frei ich lieben kann.<br />
81
82<br />
„Atlantiden. Die alte Erde und ihr Mensch“ 97/92 <strong>Lio</strong><br />
Entpatriarchalisierung als Humanisierung<br />
Frauen von der patriarchalen Herrschaft zu befreien nennt nicht nur Erich Fromm (Se<strong>in</strong><br />
und Haben S 182, dtv) als fundamentale Voraussetzung der Humanisierung der Gesellschaft,<br />
sie ist für <strong>die</strong> Zukunft der Welt von der größten Bedeutung.<br />
Noch viele Männer fühlen sich gottähnlich und belegen den obersten Platz <strong>in</strong> der gesellschaftlichen<br />
Hierarchie. In ihren Augen kommen männliche Pr<strong>in</strong>zipien zuerst. Gott und<br />
Mann, dann <strong>die</strong> Frau, das K<strong>in</strong>d, das Tier, zuletzt <strong>die</strong> Erde.<br />
Wie lange kann unsere Erde das todesorientierte System des weißen Mannes noch ertragen?<br />
Die Meere s<strong>in</strong>d zum Abfalleimer für Öl und Müll geworden, Forschungse<strong>in</strong>richtungen<br />
beschäftigen sich mit dem genauen Aufzeichnen von „Weltraum-Müll“<br />
(es könnte sonst zu größeren Müll-Zusammenstößen kommen, <strong>die</strong> Umlaufbahnen der<br />
Müllteile werden genau bestimmt und jedes Müllteilchen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Karte e<strong>in</strong>gezeichnet –<br />
wie lange noch?)
Umweltschutz bedeutet längst überfällige Notreparaturen unserer Lebensgrundlage Erde,<br />
wie lange wird man Giftmüll noch von Land zu Land weiterschieben können? Es s<strong>in</strong>d<br />
beängstigende, mörderische Akte e<strong>in</strong>er respektlosen Haltung gegenüber dem Leben und<br />
der Lebendigkeit.<br />
„Take the toys from the boys“, was soviel heißt wie: „Nehmt den Jungs das Spielzeug<br />
weg“, e<strong>in</strong> Spruch des Fem<strong>in</strong>ismus – sche<strong>in</strong>t immer dr<strong>in</strong>gender dazu aufzufordern, Entwicklungen<br />
zu stoppen, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Vernichtungskapazität <strong>in</strong> der Welt erhöhen.<br />
Nicht genug, dass <strong>die</strong> Welt bis auf <strong>die</strong> Zähne bewaffnet ist – gehen Technologien <strong>in</strong> den<br />
Labors (z.B. Gentechnologie) <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Richtung, <strong>die</strong> für alle äußerst bedrohlich werden<br />
könnte.<br />
Wer hier glauben kann, dass <strong>die</strong> Wissenschaftler sich ihrer Verantwortung bewusst s<strong>in</strong>d,<br />
so möchte ich das stark anzweifeln. Die Gefahr e<strong>in</strong>es Atomkrieges ist noch lange nicht<br />
gebannt – und jede Erf<strong>in</strong>dung und Entwicklung wurde bisher <strong>in</strong> <strong>die</strong> Masch<strong>in</strong>erie der<br />
Vernichtung gestellt, sobald sich <strong>die</strong> Gelegenheit dazu ergab. Ob Giftgase oder Viren.<br />
Und das gibt mir zu denken und ruft mich auf, nicht untätig zuzusehen.<br />
„Der Papst <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er -Unverfehlbarkeit- „ 1110/92 <strong>Lio</strong><br />
83
84<br />
„Hombre y mujer al agua“ 261/93 <strong>Lio</strong>
Die Utopie e<strong>in</strong>es<br />
neuen Geschlechterverständnisses<br />
Mann und Frau <strong>in</strong> Gleichberechtigung und<br />
Gleichwertigkeit neben- und mite<strong>in</strong>ander.<br />
E<strong>in</strong>e unerreichbare Illusion?<br />
Das Weibliche als<br />
gleichberechtigte<br />
Hälfte zum<br />
Männlichen<br />
Männer, <strong>die</strong> ihre weiblichen Anteile und<br />
ihre Gefühlsfähigkeit entwickeln und Frauen,<br />
<strong>die</strong> ihre aktiven Seiten ohne gesellschaftliche<br />
Ächtung <strong>in</strong> Anerkennung ihres Geschlechts<br />
leben können?<br />
Die Selektion der Geschlechter der Vergangenheit:<br />
Macho sucht mütterlichen Frauentyp mit<br />
großem Busen - ausgetauscht gegen:<br />
Erwachsene Frau sucht erwachsenen Mann:<br />
Sie gehen e<strong>in</strong>e Beziehung e<strong>in</strong> <strong>in</strong> gegenseitiger<br />
Anerkennung der Gleich- und Andersartigkeit<br />
– <strong>in</strong> Liebe. In e<strong>in</strong>er Liebe, <strong>die</strong> gibt,<br />
uns sich im Geben erfüllt?<br />
Es müsste für <strong>die</strong> Seelchen der K<strong>in</strong>der e<strong>in</strong>e<br />
wahre Wonne se<strong>in</strong>, <strong>in</strong> solchen Bed<strong>in</strong>gungen,<br />
unabhängig von ihrem Geschlecht<br />
Wärme, Liebe und Förderung zu erlangen.<br />
Und es müsste daraus e<strong>in</strong>e glückliche Welt<br />
entstehen können. Mit K<strong>in</strong>dern, <strong>die</strong> ihre<br />
Liebesfähigkeit aus tiefem Urvertrauen beziehen<br />
und sich <strong>in</strong> ihrer ganzen Kraft entfalten<br />
können. Frei von quälender Urangst<br />
und quälenden Überforderungen.<br />
In e<strong>in</strong>em Unternehmen <strong>in</strong> der Schweiz, von<br />
e<strong>in</strong>er Frau geführt, können Mütter und<br />
Väter ihrer K<strong>in</strong>der mit zum Arbeitsplatz<br />
nehmen. Auf ihre Fragen e<strong>in</strong>gehen, sie<br />
halten und daneben arbeiten. Und das<br />
Schöne daran: das System hat sich für das<br />
Unternehmen und <strong>die</strong> Mitarbeiter als voller<br />
Erfolg herausgestellt. Die Mitarbeiter<br />
bleiben länger und arbeiten sorgenfreier.<br />
Und <strong>die</strong> K<strong>in</strong>der fühlen sich wohl und sehen<br />
ihren Eltern bei der Arbeit zu.<br />
Es ist e<strong>in</strong> gutes Beispiel für <strong>die</strong> Humanisierung<br />
der Arbeitswelt und ich b<strong>in</strong> sicher,<br />
dass es viele Wege und Möglichkeiten <strong>in</strong><br />
allen Bereichen des Lebens gibt, sie lebensbejahend<br />
und glücksbetont zu gestalten.<br />
Das gilt auch für <strong>die</strong> Themen der Erziehung,<br />
der Bildung, der Berufswahl, der<br />
Arbeitswelt, des Gesundheitswesens, allen<br />
Formen des Ausgegrenztse<strong>in</strong>s, zu Strafund<br />
Bewachungssystemen, zur Sicherheit,<br />
zur Menschenwürde, Individuum/Gesellschaft,<br />
Selbstf<strong>in</strong>dung und Eigenkreativität.<br />
Denn <strong>die</strong> Überbetonung e<strong>in</strong>es krankhaften<br />
und suchtförmigen Perfektionismus <strong>in</strong><br />
unserer Gesellschaft schadet uns allen. Die<br />
Angst vor Versagen h<strong>in</strong>dert uns an der H<strong>in</strong>gabe<br />
ans Leben und am angstfreien Lernen.<br />
Vielleicht funktionieren wir dann nicht alle<br />
so perfekt, aber wer weiß: vielleicht gew<strong>in</strong>nen<br />
wir alle unsere Lebensfreude und Lust<br />
an uns selbst und anderen Menschen zurück<br />
und damit zum Pr<strong>in</strong>zip der Liebe.<br />
85
86<br />
„Nut umhüllt den W<strong>in</strong>ter“ 12/92 <strong>Lio</strong><br />
„H<strong>in</strong>gabe“ 2811/93 <strong>Lio</strong>
Jo im Stammbeisl<br />
Es war an e<strong>in</strong>em Samstag. Und <strong>die</strong>ser Samstag<br />
war wie viele Samstage davor heiß und<br />
gleichförmig. Jo stand vor se<strong>in</strong>em Spiegel<br />
im Schlafzimmer, schnippelte e<strong>in</strong> paar verwachsene<br />
Härchen se<strong>in</strong>es schwarzen<br />
Oberlippenbartes zurecht, zog sich mit viel<br />
Sorgfalt an, schmierte <strong>die</strong> Pomade <strong>in</strong>s Haar<br />
und legte <strong>die</strong> e<strong>in</strong>zelnen Locken wie er es<br />
am besten fand, bückte sich e<strong>in</strong> wenig, um<br />
den Hut mit e<strong>in</strong>em kecken Schmiss aufs<br />
Haupt zu setzen und verließ se<strong>in</strong>e Wohnung<br />
gegen Mittag. Er g<strong>in</strong>g langsam und<br />
aufrecht. Sich jeden Schrittes bewusst und<br />
se<strong>in</strong>e Augen, <strong>die</strong> h<strong>in</strong>ter e<strong>in</strong>er dunklen Sonnenbrille<br />
versteckt waren, schauten auf <strong>die</strong><br />
Passanten. Er wollte <strong>die</strong> Wirkung, se<strong>in</strong>e<br />
Wirkung auf <strong>die</strong> Welt spüren. Er wollte<br />
sehen, ob sich se<strong>in</strong>e Erwartungen erfüllen<br />
würden.<br />
Jo richtete se<strong>in</strong>en Blick nach oben und sah,<br />
dass ke<strong>in</strong> Wölkchen am Himmel stand. Er<br />
verhielt den Schritt, drehte sich zum Schaufenster<br />
des Videoshops, aber nicht, um <strong>die</strong><br />
neuesten Pornotitel zu stu<strong>die</strong>ren, sondern<br />
um zu sehen, ob se<strong>in</strong>e schwarze Jacke mit<br />
den vergoldeten Knöpfen faltenlos saß. In<br />
se<strong>in</strong>em Kopf meldeten sich Er<strong>in</strong>nerungen<br />
an den Zocalo von Acapulco. Nächtelang<br />
war er dort auf der Mauer gesessen und<br />
hatte <strong>die</strong> Musik der Mariachis über sich herunterprasseln<br />
lassen. Das hatte ihn auf <strong>die</strong><br />
Idee gebracht, sich <strong>die</strong>se Uniform zuzulegen.<br />
Es war e<strong>in</strong>e gute Entscheidung gewesen.<br />
Der Schneider arbeitete gut und billig.<br />
Nichts verzollt. Und jetzt, <strong>in</strong> der gewohnten<br />
Umgebung konnte er e<strong>in</strong> Image pflegen,<br />
das ihn weit von den anderen distanzierte.<br />
Er war e<strong>in</strong>zigartig. Se<strong>in</strong> Auftreten,<br />
se<strong>in</strong>e Worte. La alma und el corazon. El<br />
patron etc. geschickt e<strong>in</strong>geflochten <strong>in</strong> e<strong>in</strong><br />
paar banale Sätze. Es würde se<strong>in</strong>e Wirkung<br />
nicht verfehlen. Jo warf noch e<strong>in</strong>en letzten<br />
Blick auf se<strong>in</strong> Gesicht, bleckte <strong>die</strong> Zähne,<br />
<strong>die</strong> <strong>in</strong> strahlend weiß anlächelten und spazierte<br />
langsam Richtung Stammlokal.<br />
Jo suchte sich e<strong>in</strong>en prom<strong>in</strong>enten Platz,<br />
setzte sich langsam und schlug <strong>die</strong> Be<strong>in</strong>e<br />
übere<strong>in</strong>ander. Den Hut nahm er mit der<br />
l<strong>in</strong>ken Hand schwungvoll vom Kopf und<br />
legte ihn mitten auf den Tisch. Auf das<br />
l<strong>in</strong>ke Hosenbe<strong>in</strong> breitete er mit Andacht<br />
e<strong>in</strong> kariertes Taschentuch und legte se<strong>in</strong>e<br />
ber<strong>in</strong>gte Hand mit lässiger Gebärde auf das<br />
Tuch am Oberschenkel. So hatte er es <strong>in</strong><br />
Mexiko gesehen. Es schonte <strong>die</strong> Hose und<br />
verh<strong>in</strong>derte den Glanz auf der Hose. Der<br />
Schweiß, der sich bildete wurde vom Taschentuch<br />
aufgesogen. Zufrieden mit sich<br />
lehnte sich Jo zurück, nahm kurz se<strong>in</strong>e Sonnenbrille<br />
ab und schaute sich um. Wenige<br />
bekannte Gesichter heute, dachte er bei<br />
sich. Der Wirt des MOZ kam schon mit<br />
e<strong>in</strong>em breiten Lächeln auf ihn zu. „Amigo,<br />
was darf es se<strong>in</strong>?“ Jo’s Herz hüpfte höher.<br />
Se<strong>in</strong>e monatelange Anstrengung hatte sich<br />
gelohnt. Se<strong>in</strong> Image zog bereits se<strong>in</strong>e Kreise<br />
und bald würde es weitere Kreise ziehen.<br />
Er hatte vor, se<strong>in</strong>en Aktionsradius zu vergrößern.<br />
Jo bestellte e<strong>in</strong> Bier. Früher hatte er mit all<br />
se<strong>in</strong>en Freunden über das Thema Seele<br />
gesprochen. Jetzt fand er, dass man <strong>die</strong>sen<br />
Banausen nichts aufdrängen sollte, was sie<br />
nicht hatten. Für ihn zählte sie, <strong>die</strong> Seele.<br />
Der Machismo der mexikanischen Männer<br />
hatte ihm gefallen. Die Inszenierung der<br />
eigenen Männlichkeit. Das Spiel mit der<br />
eigenen Wirkung. Die europäischen Männer<br />
ließen jeden Individualismus, jeden<br />
Stolz auf ihr Se<strong>in</strong> vermissen. Er fand sie<br />
87
88<br />
langweilig <strong>in</strong> ihrer E<strong>in</strong>fältigkeit. Mit den<br />
genagelten Schuhen und den stillosen Polohemden.<br />
Massenware. Als Mann und als<br />
Inszenierung . Jo wusste, wovon er sprach.<br />
Se<strong>in</strong>e Selbstdef<strong>in</strong>ition hatte nicht <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er<br />
Heimat, sondern im Ausland begonnen. Im<br />
Gegene<strong>in</strong>ander des Bekannten und des Unbekannten<br />
hatte er Lücken gefunden, <strong>die</strong><br />
er für sich schließen wollte. Dazu brauchte<br />
es nur e<strong>in</strong>en geistigen Reißverschluss. Und<br />
den hatte er gefunden. Spiel und Ernst <strong>in</strong><br />
der Selbstdarstellung gegenüber den anderen.<br />
Wie leicht sich manche über se<strong>in</strong>e wahre<br />
Identität täuschen ließen. Für Jo war es<br />
e<strong>in</strong> weiterer Beweis für <strong>die</strong> Oberflächlichkeit<br />
des Kontaktes. Für <strong>die</strong> Oberflächlichkeit<br />
des Austausches. Für das Fehlen ihrer<br />
Seele. Sie suchten nicht se<strong>in</strong>e Seele, sondern<br />
se<strong>in</strong> Image. Und im Glauben darüber,<br />
was er nicht war, <strong>in</strong> <strong>die</strong>sem Glauben wollte<br />
er sie lassen.<br />
Und nächsten Samstag würde er an se<strong>in</strong>er<br />
Brücke zu den anderen weiterbauen. Se<strong>in</strong><br />
Kunstwerk Samstag für Samstag mehr und<br />
mehr der Vollendung zuführen. Bis er selbst<br />
auch daran glauben würde, etwas Besonderes<br />
zu se<strong>in</strong>. Dann würde er se<strong>in</strong> Ziel erreicht<br />
haben und <strong>in</strong> <strong>die</strong> Normalität se<strong>in</strong>es<br />
Se<strong>in</strong>s zurückgehen können. Ohne Illusion.<br />
„Masked life“ 139/92 <strong>Lio</strong>
„Tr<strong>in</strong>ität der weiblichen Intuition“ 3012/92 <strong>Lio</strong><br />
Schwesterlichkeit und<br />
Brüderlichkeit<br />
Wenn kirchliche Würdenträger von den<br />
Menschen <strong>die</strong>ser Welt sprechen, so sprechen<br />
sie von der „Brüderlichkeit“, niemals<br />
aber von der „Schwesterlichkeit“. Zufall<br />
oder Absicht?<br />
Für <strong>die</strong> meisten großen Weltreligionen<br />
wurde <strong>die</strong> Frau im Laufe des Patriarchats<br />
„kultunfähig“, da sich <strong>die</strong>se Institutionen<br />
mit aller Kraft und Macht bemühten, das<br />
unre<strong>in</strong>e und sündenhafte Weib zu diskreditieren.<br />
Humanisierung der Gesellschaft bedeutet<br />
für uns Frauen auch e<strong>in</strong>e Befreiung von den<br />
verächtlichmachenden Doktr<strong>in</strong>en der<br />
mächtigen Kirchenfürsten.<br />
Solange der Papst als Mann <strong>die</strong> UNFEHL-<br />
BARKEIT e<strong>in</strong>es Menschen, e<strong>in</strong>es Mannes<br />
behauptet, solange kann es ke<strong>in</strong>e angestammte<br />
Würde der Frau geben. Solange<br />
unter dem Deckmantel e<strong>in</strong>es patriarchalen<br />
Gottes Frauen gedemütigt und verstümmelt<br />
werden, solange kann ich nicht an <strong>die</strong> Liebe<br />
und Güte solcher Götter glauben.<br />
Jede Verehrung von Muttergottheiten, sei<br />
es <strong>die</strong> Erdgött<strong>in</strong> Gea, <strong>die</strong> Meeresgött<strong>in</strong><br />
Tiamat, <strong>die</strong> Himmels- und Sternengött<strong>in</strong><br />
Nut, <strong>die</strong> katzenköpfige Gött<strong>in</strong> der Freude<br />
und Liebe „Bastet“, oder <strong>die</strong> Mutter-, Frauen-<br />
und Geburtsgött<strong>in</strong> Isis ersche<strong>in</strong>t mir<br />
unter <strong>die</strong>sen Umständen als Stärkung der<br />
<strong>Frauenseele</strong>.<br />
89
90<br />
„F<strong>in</strong>gerzeig“ 277/92 <strong>Lio</strong>
Immerh<strong>in</strong> musste <strong>die</strong> katholische Kirche<br />
<strong>die</strong> Jungfrau Maria wieder <strong>in</strong> <strong>die</strong> Reihe der<br />
verehrungswürdigen Katholiken aufnehmen,<br />
um dem Wunsch der Frauen nach e<strong>in</strong>er<br />
Muttergottheit gerecht zu werden. Das<br />
sollte zu denken geben.<br />
Für <strong>die</strong> Zukunft <strong>die</strong>ser Welt heißt es für<br />
mich, dass wir zu unserer SCHWESTER-<br />
LICHKEIT f<strong>in</strong>den müssen, <strong>in</strong>nerlich und<br />
<strong>in</strong> der Öffentlichkeit, um <strong>die</strong> Humanisierung<br />
der Welt voranzutreiben.<br />
Der gewaltlose Widerstand von mutigen,<br />
für das Leben e<strong>in</strong>tretenden Frauen <strong>in</strong> aller<br />
Welt kann uns hier e<strong>in</strong> Beispiel se<strong>in</strong>. Internationale<br />
Solidarität <strong>in</strong> vielen Organisationen<br />
fördern das Bewusstse<strong>in</strong>, dass es um<br />
<strong>die</strong> ganze Welt geht. Die Menschenrechte<br />
<strong>in</strong> allen Ländern. Schwesterlichkeit und<br />
Brüderlichkeit auf der ganzen Erde.<br />
„Ver<strong>in</strong>nerlichung von Sprache“ 197/92 <strong>Lio</strong><br />
„Auf Empfang“ 187/92 <strong>Lio</strong><br />
91
92<br />
Der Delph<strong>in</strong> auf der<br />
Schlangen<strong>in</strong>sel<br />
Tiefe Ruhe breitete sich über <strong>die</strong> hügelige<br />
Landschaft des Küstenstriches von<br />
Suchmich. Der W<strong>in</strong>d bewegte <strong>die</strong> Blätter<br />
der Maulbeerbäume und <strong>die</strong> Sonne streifte<br />
<strong>die</strong> Stirne der sitzenden Gestalt, <strong>die</strong> sich<br />
auf dem Felsen <strong>in</strong> der Nähe des Meeresufers<br />
niedergelassen hatte und voll Hoffnung<br />
über <strong>die</strong> blaue, tröstende Wellenlandschaft<br />
schaute.<br />
Sie wusste nicht, wie sie <strong>die</strong> Landschaft<br />
beschreiben sollte. Eigenartig fremd und<br />
weit weg. E<strong>in</strong> knorriger Baumstamm. E<strong>in</strong><br />
verdorrter Hagebuttenstrauch. Die Luft<br />
stand still und legte sich auf <strong>die</strong> Nasenflügel.<br />
Sie hatte das Gefühl, dass sie nicht mehr<br />
atmen konnte. Der Herzschlag verlangsamte<br />
sich und sie horchte auf das Beben <strong>in</strong><br />
ihrem Inneren. Der Brustkorb hob und<br />
senkte sich. Irgend etwas zog sie zu Boden.<br />
Sie verlor das Bewusstse<strong>in</strong>.<br />
Fünfzehn Milliarden Jahre vor unserer Zeit<br />
erhob sich das Licht und umfloss <strong>die</strong> Gestalt,<br />
<strong>die</strong> sich im Spiegelbild zeigte. Hochgereckte<br />
Brüste, wallendes Haar bis zu den<br />
Hüften. Die Venus, <strong>die</strong> vor den Teufelsfüßen<br />
kam. Der Lichtkranz hüllte ihre Gestalt<br />
e<strong>in</strong>, breitete sich über <strong>die</strong> ganze Welt<br />
wie e<strong>in</strong> Schleier des Entzückens.<br />
Am unteren Ende <strong>die</strong>ser Welt erhoben sich<br />
<strong>die</strong> Teufelsfüße. Schwarze Klauen, <strong>die</strong> Gehörnten.<br />
Grau wurde alles, was vorher Weiß<br />
und Schwarz war. Grau wie das Gefieder<br />
der Taube. Solange sie ihre Flügel und ihr<br />
Gefieder <strong>in</strong> Weiß flattern ließ, gab es Frieden<br />
auf <strong>die</strong>ser Erde, <strong>die</strong> nach sovielen Milliarden<br />
Jahren wie durch e<strong>in</strong> Wunder hervorkam.<br />
Wir suchen unsere Spuren umsonst. Wir<br />
tappen im Dunklen. Ungeschickte Pfoten<br />
tasten sich nach vorne. Abgehobene Gedanken<br />
knoten sich zu merkwürdigen<br />
Gedankengebilden. Ohne Zusammenhang<br />
mit dem Ursprung. Fremd und unwirklich.<br />
Dicke Schleier senken sich über das<br />
Bewusstse<strong>in</strong> des kosmischen Geschehens.<br />
Und wieder wird <strong>die</strong> Welt aufgeteilt <strong>in</strong><br />
Schwarz und Weiß. In das Gute und <strong>in</strong> das<br />
Böse. In Gott und Teufel. E<strong>in</strong>e w<strong>in</strong>zige<br />
Gestalt kauert am Boden. Die Ellebogen<br />
auf <strong>die</strong> nasse Erde gestemmt. Große blaue<br />
Tränen quellen aus den Augen. Der Mond<br />
ist verzerrt und e<strong>in</strong> Hilfeschrei entr<strong>in</strong>gt sich<br />
ihm. Die Luft vibriert. Der Himmel bewölkt<br />
sich und dichthängende Nebel, <strong>die</strong><br />
ke<strong>in</strong> Licht durchlassen hüllen <strong>die</strong> ängstliche<br />
Kreatur e<strong>in</strong>.<br />
Tautropfen legen sich auf <strong>die</strong> langen Zoten.<br />
Stampfen mit aller Gewalt <strong>in</strong> <strong>die</strong> Erde.<br />
Langsam kriecht e<strong>in</strong> Etwas im Schlamm<br />
dah<strong>in</strong>. E<strong>in</strong> riesiges Tor tut sich auf. Wie das<br />
Tor e<strong>in</strong>es Stalles, durch das man später das<br />
Vieh treiben würde. E<strong>in</strong> riesiger Körper,<br />
alles verschluckend steht da. Breitbe<strong>in</strong>ig.<br />
Die Knie deuten nach Norden und Süden.<br />
Das Herz pocht. Die Lippen wölben sich<br />
wulstig wie das Maul e<strong>in</strong>es Riesenwals.<br />
Dampfende heiße Luft strömt nach draußen<br />
und formt Wolken. So wie <strong>die</strong> riesige<br />
Kröte ihren Körper bläht, so bläht sich <strong>die</strong><br />
Oberlippe. Langsam öffnet sich der Mund<br />
und <strong>die</strong> Kreatur kriecht langsam nach vorne.<br />
Der Kopf ist e<strong>in</strong>gedrungen und wie<br />
schlangenartig aufgesogen vom Leben.<br />
Zähne schieben sich <strong>in</strong> das nasse Wesen<br />
und ziehen es <strong>in</strong> <strong>die</strong> Wärme der Höhle. E<strong>in</strong>
schwaches, magisches Licht, ähnlich dem<br />
leuchtenden Gral tut sich auf.<br />
Die Tränen trocknen und gleisendes, rötlich<br />
weiches Licht hüllt sie e<strong>in</strong>. Das<br />
Urwissen, das Urvertrauen im Schoße der<br />
großen Mutter Erde. Es kleidet sich mit<br />
Geborgenheit und hält sich fest.<br />
Die schlanken Arme recken sich nach oben<br />
und halten sich am nährenden Busen fest.<br />
Die keimenden Drüsen nähren das neue<br />
Wachsen. Der Ausblick durch <strong>die</strong> Augen<br />
ist verschlossen. Sie s<strong>in</strong>d bl<strong>in</strong>d, denn sie<br />
haben zuviel gesehen und haben sich geschlossen.<br />
Das <strong>in</strong>nere Licht erwärmt <strong>die</strong><br />
Pupille und e<strong>in</strong> Gehörgang öffnet sich.<br />
Spitze, kalte Töne fallen frostig auf das<br />
Trommelfell. Die abgewendete Seele. Das<br />
Dunkel im Widerspruch. Alles fließt <strong>in</strong> e<strong>in</strong>es.<br />
Der Bocksfüßige, der Gehörnte – er kann<br />
nicht aufrecht stehen. Im Schlamm kriecht<br />
er zu sich h<strong>in</strong>. Zu den Vorfahren des Bösen,<br />
das als Schatten sich zeigt, undurchdr<strong>in</strong>glich<br />
ist und durch nichts verlöschend.<br />
Geträumte Träume, visionierte Visionen.<br />
Die Würde ohne Herrschaft, <strong>die</strong> Gleichheit<br />
aller gleichen.<br />
Nicht ausgesucht, geboren zu werden.<br />
Das E<strong>in</strong>swerden zweier Seelen unter e<strong>in</strong>em<br />
christlichen Gotte. Fischartige Kiemen e<strong>in</strong>es<br />
ungeborenen Wesens. Nicht Sie nicht<br />
Er. Das Anschlagen der Wellen am Ohr.<br />
Die nach <strong>in</strong>nen gewendeten Augen. Den<br />
sicheren Halt verlieren und im Draußen nie<br />
wieder f<strong>in</strong>den. Der Schrei nach dem Verlust<br />
der Geborgenheit. Die eigene Entscheidung<br />
nicht zu atmen, nicht zu sehen. Und<br />
es auf Neugierde tun.<br />
93
94<br />
„Dharana“ 211/91 <strong>Lio</strong>
B29d<br />
„Musik“<br />
Ich lege mich auf Dich<br />
Ich schwebe mit <strong>in</strong> De<strong>in</strong>e Welt<br />
Auf Dir will ich tanzen<br />
Mit Dir me<strong>in</strong>e Träume erfüllen<br />
Tag und Nacht streiten<br />
Dich köpfen<br />
Dich erhöhen<br />
Dich zermalmen<br />
Dich auf <strong>die</strong> Zunge legen<br />
Und zergehen lassen<br />
Mich ändern mit Dir.<br />
Mei Mei Mei Söl Söl hot hot a a Loch<br />
Loch<br />
Mei Söl hot a Loch<br />
Und mei Gfühl r<strong>in</strong>nt do aus<br />
Ols war’s nia g’stockt<br />
So lar is olls<br />
Und I Muaß denkn,<br />
Doss gor nia wos wor<br />
In me<strong>in</strong>a Söl<br />
Mochst Di hort gegn dos,<br />
Wos da weh tuat<br />
Und norchan bist sölba<br />
Da Blöde.<br />
Du siagst und riachst<br />
Nix mehr<br />
Vom Spürn host kann Schimma<br />
Hiaz is es aus<br />
Host es verlurn<br />
Ka Heach und ka Tiafn.<br />
„La Gota blickt wieder nach oben“ 179/91 <strong>Lio</strong><br />
95
96<br />
„Pars pro toto“ 89/91 <strong>Lio</strong>
„Gewohnheit Gewohnheit ist<br />
ist<br />
Gewöhnlichkeit...“<br />
Gewöhnlichkeit...“<br />
Was heißt gewöhnen – ich will es nicht –<br />
Gewöhnlich se<strong>in</strong>.<br />
Ich weiß, dass vieles sich verändert<br />
Und vieles ich verändern kann<br />
Und wenn nichts sich ändert <strong>in</strong> dem<br />
Vielen,<br />
Werde ich verändert se<strong>in</strong>.<br />
Dass alles fließt, sich stets verändert,<br />
Gibt mir Leben<br />
Freude, S<strong>in</strong>n<br />
Ich weiß, dass ich im Flusse<br />
Mitten dr<strong>in</strong>nen b<strong>in</strong>.<br />
Und morgen ist e<strong>in</strong> Teil von heute<br />
Anders als er gestern war<br />
Ich spüre Stärke <strong>in</strong> dem Wandel<br />
Von dem, was menschlich<br />
Schön und wichtig ist.<br />
Gewohnheit ist e<strong>in</strong> Räuber,<br />
Der Stärke stiehlt und das Gefühl,<br />
Für das, was grade eben<br />
Jetzt nur – im Entstehen ist.<br />
„Geborgenheit“ 92/93 <strong>Lio</strong><br />
97
98<br />
„Frag’ De<strong>in</strong>en Tod“ 249/91 <strong>Lio</strong>
Demaskierung und<br />
Öffnung für das<br />
Leben<br />
Die Masken, <strong>die</strong> wir selbst tragen, stellen<br />
sich früher oder später nicht nur als Schutz,<br />
sondern auch als Trennung von uns selbst<br />
heraus. Und so entfernen wir uns mit der<br />
Anzahl der aufgesetzten Masken immer<br />
weiter von unserem Sose<strong>in</strong>.<br />
Wenn wir <strong>die</strong> Fülle aller Lebensmöglichkeiten<br />
für unser Leben erkennen<br />
wollen, dann müssen wir <strong>die</strong> Masken nach<br />
und nach fallen lassen und mutig verwundbar<br />
<strong>in</strong>s Leben h<strong>in</strong>ausgehen. In alle unsere<br />
Gefühle, <strong>in</strong> <strong>die</strong> S<strong>in</strong>neserfahrungen, <strong>in</strong> neue<br />
Aufgaben und Situationen.<br />
Doch der Gew<strong>in</strong>n ist groß. Wir lernen,<br />
angstfrei Nähe zuzulassen und beziehen<br />
daraus Wärme. E<strong>in</strong> andermal erkennen wir<br />
durch <strong>die</strong> Schutzlosigkeit, was uns weh tut<br />
und was uns freut.<br />
Desto näher wir uns selbst kommen,<br />
desto mehr Nähe werden wir auch zulassen<br />
können, weil wir wissen, dass nichts<br />
geschehen kann, wenn <strong>die</strong> Masken fallen.<br />
Außer: mehr Nähe, mehr Verständnis, mehr<br />
Ehrlichkeit und Vertrauen. Und im Vertrauen<br />
wächst <strong>die</strong> Intimität. Unser e<strong>in</strong>sames<br />
erwachsenes Selbst wird sich mit dem<br />
Selbst der anderen tiefer Austauschen und<br />
damit Geborgenheit <strong>in</strong> sich selbst und <strong>in</strong><br />
Anwesenheit anderer f<strong>in</strong>den.<br />
Immer mehr können wir übergehen, unser<br />
aufgeblasenes Ego h<strong>in</strong>ter uns zu lassen und<br />
uns selbst nicht so wichtig zu nehmen. Die<br />
Zeit wird nicht mehr ausschließlich mit der<br />
Uhr gemessen, sondern <strong>in</strong> ihrer Qualität.<br />
Für unser Glück s<strong>in</strong>d wir selbst verantwortlich.<br />
Und wir tragen über unsere S<strong>in</strong>ne e<strong>in</strong>e<br />
unerschöpfliche Quelle von Freude und<br />
S<strong>in</strong>nlichkeit <strong>in</strong> uns, <strong>die</strong> Zeit, <strong>die</strong> wir erleben<br />
<strong>in</strong> Selbstvergessenheit zu genießen. In<br />
H<strong>in</strong>gabe und Zuwendung zu unseren Gefühlen<br />
und Bedürfnissen.<br />
Ob <strong>die</strong> Selbstliebe nun durch den Magen,<br />
das Herz oder das Ohr geht... oder sich mit<br />
e<strong>in</strong>em Spaziergang Luft verschafft, das<br />
kann jeder für sich entscheiden. Doch ich<br />
glaube, dass wir oft viel zu sehr mit dem<br />
Zählen der M<strong>in</strong>uten beschäftigt s<strong>in</strong>d, als uns<br />
möglichst viele Höhepunkte an Freude,<br />
Glück und Genuss zu verschaffen.<br />
Die Yogi-Tradition sagt: „Der Hastende<br />
verzappelt se<strong>in</strong>e Zeit.“ Und daran mag viel<br />
Wahres se<strong>in</strong>. Wir brauchen nur daran zu<br />
denken, wie oft unsere Zeitplanung danebengeht<br />
und wir uns dem Stress<br />
unserer Erf<strong>in</strong>dung Zeit aussetzen.<br />
Es ist e<strong>in</strong> Plädoyer für <strong>die</strong> Qualität der Zeit.<br />
Und für <strong>die</strong> Qualität des Lebens. Nicht für<br />
<strong>die</strong> Quantität.<br />
99
100<br />
„Selbstbeschau nach der Wurzel“ 1211/92 <strong>Lio</strong><br />
One day...<br />
One day, everyth<strong>in</strong>g comes to an end.<br />
Life, and anyth<strong>in</strong>g.<br />
War, and anyth<strong>in</strong>g.<br />
Peace, and anyth<strong>in</strong>g.<br />
Love, and anyth<strong>in</strong>g.<br />
One day, everyth<strong>in</strong>g comes to an end.<br />
De<strong>in</strong>e Augen<br />
De<strong>in</strong>e Stimme<br />
De<strong>in</strong>e Hand auf me<strong>in</strong>em Arm<br />
Glaube ich e<strong>in</strong> Gott zu se<strong>in</strong><br />
Weder reich und auch nicht arm.<br />
Hast De<strong>in</strong> Herz ganz vorn getragen<br />
Erste Reihe, erstes Glied<br />
Hast <strong>die</strong> Schläge abgefangen<br />
Die es nur für Erste gibt.<br />
Hast gelitten wie e<strong>in</strong> Erster<br />
Hast gekämpft ja ebenso<br />
Niemand hat Dich festgehalten –<br />
Als De<strong>in</strong> Leben aus Dir floh.<br />
„Das Lebensbarometer“ 1511/92 <strong>Lio</strong>
Host Dir gonz umsonst<br />
das Lebn<br />
gnommen<br />
Host Dir gonz umsonst das Lebn<br />
gnommen,<br />
Host Di gonz umsunst so graft,<br />
Host umsonst De<strong>in</strong> Gspü ernst<br />
gnommen<br />
Host vül pleart und Hoar ausgraft,<br />
Nix is onders ohne Di<br />
Olls is gleich bliebn weg’n dem –<br />
Wos host es wegschmissn –<br />
Dei Lebn<br />
„Klare Zukunftsperspektiven“ 152/93 <strong>Lio</strong><br />
„F<strong>in</strong>“ 308/92 <strong>Lio</strong><br />
101
102<br />
„Selbstverwirklichung“ 242/93 <strong>Lio</strong>
„Das Neue gebären“ 82/93 <strong>Lio</strong><br />
Vom abschiedlichen<br />
Leben<br />
Kaum e<strong>in</strong>e Tradition wie <strong>die</strong> europäische<br />
ist so geschickt im Verdrängen des Todes.<br />
Wir glauben, dass wir mit Geldhorten,<br />
Materialhorten dem Tod entgehen.<br />
Doch es gibt auch Kulturen, wo der Tod<br />
offen <strong>in</strong>s Leben <strong>in</strong>tegriert wird. In Mexiko<br />
zum Beispiel, feiern <strong>die</strong> Verwandten zu<br />
Allerheiligen/Allerseelen mit ihren Verstorbenen<br />
auf dem Friedhof. Sie tr<strong>in</strong>ken und<br />
tanzen und lachen.<br />
Das tibetanische und ägyptische Totenbuch<br />
gibt umfassend Auskunft über den Tod.<br />
Seit unserer Geburt begleitet uns der<br />
verlässlichste aller Begleiter – der Tod. Wir<br />
wissen, dass das Ziel des Lebens der Tod<br />
ist. Dass er unvermeidlich ist.<br />
Die Sufi-Tradition sagt: „Stirb’, bevor Du<br />
stirbst.“ Was nichts anderes bedeuten soll,<br />
dass wir vor dem realen persönlichen Tod<br />
alles Loslassen sollen, was nicht zum Leben<br />
gehört. Der Tod ist nur e<strong>in</strong>e andere<br />
Form des Lebens.<br />
Ob wir an Re<strong>in</strong>karnation glauben oder das<br />
Glück im Himmelreich, oder an das absolute<br />
Ende – danach fragt der Tod nicht.<br />
Der Tod kann uns aber im Leben e<strong>in</strong> weiser<br />
Ratgeber se<strong>in</strong>. Wenn wir nicht wissen,<br />
was und wie wir etwas tun sollen, dann weiß<br />
der Tod Antwort.<br />
Für viele Verzweifelte ist im Angesicht der<br />
größten Not oft der Gedanke an Selbstmord<br />
hilfreich. Natürlich ist das ke<strong>in</strong> Ausweg,<br />
für den es sich lohnt, das Leben wegzuwerfen.<br />
Doch im ersten Moment des tiefsten<br />
Unvermögens entsteht Ruhe bei dem<br />
Gedanken, dass wir uns damit Erleichterung<br />
schaffen könnten.<br />
„Lebe, als sei jeder Tag De<strong>in</strong> letzter Kampf<br />
auf Erden“, heißt es <strong>in</strong> Carlo Castanedas<br />
Werk „Die Reise nach Ixtlan“.<br />
Wenn wir wissen, dass es nur e<strong>in</strong>en Richter<br />
<strong>in</strong> unserem Leben gibt – und nur e<strong>in</strong>e<br />
Angst, dann können wir vielleicht aus dem<br />
Wissen den größten Mut, <strong>die</strong> größte Zuversicht<br />
und <strong>die</strong> grenzenloseste H<strong>in</strong>gabe<br />
ans Leben, an jeden Moment unseres Dase<strong>in</strong>s<br />
gew<strong>in</strong>nen. Wovor sollten wir sonst<br />
Angst haben? Niemand sollte zwischen der<br />
103
104<br />
„Harmonie“ 222/93 <strong>Lio</strong>
Angst vor dem Leben und der Angst vor<br />
dem Tod dah<strong>in</strong>vegetieren.<br />
Und so kann das Wissen, dass wir nicht<br />
ewig leben werden, der Maßstab für e<strong>in</strong><br />
mutigeres, <strong>in</strong>tensiveres, erfüllteres Leben<br />
werden.<br />
In Gelassenheit und Leichtigkeit. Mit Humor<br />
und Bes<strong>in</strong>nlichkeit. Im Zweifelsfalle:<br />
„Frag’ De<strong>in</strong>en Tod“...<br />
„Seniora de emotiones“ 811/92 <strong>Lio</strong><br />
Ich lebe,<br />
um zu lieben...<br />
Ich lebe um zu lieben<br />
Mit allen me<strong>in</strong>en S<strong>in</strong>nen<br />
Dr<strong>in</strong>gt <strong>die</strong> Welt und Du<br />
Voll Kraft <strong>in</strong> mich h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>.<br />
In b<strong>in</strong> nicht treu, ich liebe –<br />
Die Freiheit lässt Dich frei<br />
Nur im Moment geb’ ich Dir Liebe<br />
Denn sie ist vogelfrei.<br />
Ich liebe Dich, und Dich,<br />
Und Dich, und alles,<br />
Was ich <strong>in</strong> mir spüre.<br />
Was konzentriert ist <strong>in</strong> mir selbst<br />
In me<strong>in</strong>er Liebe.<br />
Lieben ist das Leben<br />
Und das hat e<strong>in</strong> eigenes Gesetz<br />
Nicht De<strong>in</strong> b<strong>in</strong> ich, nicht immer<br />
Werde ich Dich lieben<br />
Wie im Jetzt.<br />
E<strong>in</strong> Augenblick am Morgen,<br />
Entscheidet, ob ich Dich liebe –<br />
Oder nicht –<br />
Vielleicht hat sich das Leben über Nacht,<br />
E<strong>in</strong>e andere Liebe ausgedacht.<br />
Ich möchte, dass ich immer liebe<br />
Ganz offen streifen me<strong>in</strong>e S<strong>in</strong>ne<br />
Die glatten Arme <strong>die</strong>ser Welt<br />
Voll Gefühl und voll Vertrauen<br />
In <strong>die</strong> Güte des Moments<br />
105
106<br />
„Neue Inhalte - La gota“ 88/91 <strong>Lio</strong>
Unerschöpfliche Fülle<br />
und Intensität des<br />
Lebens<br />
Desto mehr wir uns selbst annehmen und<br />
desto offener wir s<strong>in</strong>d, desto mehr entdekken<br />
wir unsere <strong>in</strong>neren Reichtümer, <strong>die</strong> wir<br />
<strong>in</strong> unserem Leben nach außen tragen können.<br />
Wenn wir alle unsere Gefühle und Bedürfnisse<br />
lebendig leben und uns empfänglich<br />
für alles, was uns geschieht machen, uns<br />
ganz e<strong>in</strong>lassen auf unsere Freude und Begeisterung,<br />
aber auch unsere Wut und Trauer,<br />
dann löst sich <strong>die</strong> Erstarrung, <strong>die</strong> durch<br />
das Niederknüppeln von uns selbst entstanden<br />
ist.<br />
Die ganze Fülle an Leben wird zu e<strong>in</strong>em<br />
Erlebnis, wenn wir uns erlebnisfähig machen<br />
und halten. Nur dann werden wir das<br />
Gefühl haben, mit jeder Faser unseres<br />
Körpers, unserer Seele, unseres Herzens<br />
und unseres Geistes zu leben.<br />
Das wünsche ich mir und allen Menschen<br />
<strong>die</strong>ser Erde. Hier und jetzt <strong>die</strong> ganze <strong>in</strong>nere<br />
und äußere Fülle des Lebens auszukosten.<br />
Maßstab dafür sollte unser eigenes<br />
Gewissen und <strong>die</strong> Stimme des Herzens<br />
se<strong>in</strong>.<br />
Die Schatzsuche. Das verborgene Gold <strong>in</strong><br />
Schwarz aus den Tiefen der eigenen Möglichkeiten<br />
zu heben und ihnen Leben e<strong>in</strong>zuhauchen.<br />
Verborgene Aspekte der eigenen<br />
Persönlichkeit erkennen und <strong>in</strong>tegrieren<br />
und damit e<strong>in</strong>e neue Ganzheit erleben<br />
und Trost <strong>in</strong> <strong>die</strong>ser E<strong>in</strong>samkeit zu f<strong>in</strong>den.<br />
Im Erkennen der verwandten Seele e<strong>in</strong>e<br />
Reise zu wagen, <strong>die</strong> weit über <strong>die</strong> Grenzen<br />
des Meeres h<strong>in</strong>ausführt. In <strong>die</strong> Tiefe des<br />
Vulkankraters h<strong>in</strong>unterzufallen und am<br />
anderen Ende der Welt neu zu erstehen.<br />
Reicher um <strong>die</strong> Erfahrung des Todes und<br />
<strong>die</strong> E<strong>in</strong>igkeit <strong>in</strong> dem Wissen um den Tod.<br />
Der Tod als Maßstab allen Lebendigen und<br />
als Verb<strong>in</strong>dungsglied allen Lebens.<br />
„<strong>Lio</strong>, der Hahn“ 297/92 <strong>Lio</strong><br />
107
108<br />
„<strong>Lio</strong> und Hero <strong>in</strong> ihrer gleichwertigen Kraft“ 202/93 <strong>Lio</strong>
Rückkehr <strong>in</strong> <strong>die</strong><br />
Harmonie des<br />
Ganzen<br />
Wer verachtet, ist im Grunde selbst der<br />
Verachtete. Sobald wir aufhören, das Rad<br />
der Verachtung weiterzudrehen, können wir<br />
anfangen, uns selbst und das Leben zu achten.<br />
Anerkennen wir, dass wir Teil e<strong>in</strong>es größeren<br />
Ganzen s<strong>in</strong>d, verliert sich <strong>die</strong><br />
Grandiosität und se<strong>in</strong> Gegenteil, <strong>die</strong> Depression<br />
und wir können zu unserer <strong>in</strong>neren<br />
Harmonie zurückkehren. Zur Harmonie<br />
mit uns selbst, mit der Umwelt, mit dem<br />
Ganzen.<br />
Nur der Grandiose muss verachten. Weil<br />
er denkt, andere seien schlechter, böser,<br />
m<strong>in</strong>derwertiger, ärmer...<br />
Die Erkenntnis, dass wir über das Ganze<br />
mit allen und allem verbunden s<strong>in</strong>d, kann<br />
uns von Hochmut und starrer Abgrenzung<br />
befreien. Im Bewusstse<strong>in</strong>, dass alles was ist,<br />
e<strong>in</strong> Spiegelbild für uns selbst ist.<br />
Nicht umsonst heißt es: „Liebe Dich selbst<br />
und Du wirst geliebt werden.“ „Gib’, und<br />
Dir wird gegeben“...<br />
Das ließe sich endlos fortsetzen. Wenn wir<br />
erkennen, dass wir das zurückbekommen,<br />
was wir als Ursache gesetzt haben, werden<br />
wir <strong>die</strong> Verantwortung für unser Leben<br />
selbst übernehmen können und uns bewusst<br />
werden, dass wir unsere Lebensumstände<br />
selbst schaffen, <strong>in</strong> denen wir leben.<br />
109
110<br />
„Die gespeicherte Kraft ist wach und strömt frei“ 281/93 <strong>Lio</strong>
Literaturh<strong>in</strong>weise<br />
„Die Liebe der Frauen“. Über Weiblichkeit und Misshandlung.<br />
Margit Brückner. Fischer TB 1988<br />
„Verlassenheit und Selbstenfremdung“.<br />
Kathr<strong>in</strong> Asper. Dtv TB 1990<br />
„Frauensprache: Sprache der Veränderung“.<br />
Senta Trömel-Plötz. Fischer 1982<br />
“Die Stärke weiblicher Veränderung”.<br />
Jean Baker Miller. Fischer 1979<br />
„Wir werden nicht als Mädchen geboren – wir werden dazu gemacht.“<br />
Ursula Scheu. Fischer 1977<br />
„Der C<strong>in</strong>derella Komplex“.<br />
Die heimliche Angst der Frauen vor der Unabhängigkeit.<br />
Colette Dowl<strong>in</strong>g. Fischer 1987<br />
„Das Drama des begabten K<strong>in</strong>des“.<br />
Alice Miller. Suhrkamp tb 1983<br />
„Die positive Kraft der Träume.“<br />
Ann Faraday. Knaur 1972<br />
“Die Trennung der Liebenden”.<br />
Igor A. Caruso. Fischer 1986<br />
“Lebenskrisen”.<br />
Hg. Von Christ<strong>in</strong>e Stromberger. Verlag für Gesellschaftskritik, Wien 1990<br />
„Wege aus Angst und Symbiose“.<br />
Verene Kast, dtv tb 1987<br />
„Imag<strong>in</strong>ation als Raum der Freiheit“.<br />
Verena Kast. Walter Verlag, Olten 1989<br />
„Der schöpferische Sprung“.<br />
Vom therapeutischen Umgang mit Krisen.<br />
Verene Kast. Dtv tb 1989<br />
111
112<br />
„Weibliche Wirklichkeit“.<br />
Anne Wilson Schaef. Heyne 1981<br />
„Die Flucht vor der Nähe“<br />
Anne Wilson Schaef. Dtv 1992<br />
„Im Zeitalter der Sucht“<br />
Anne Wilson Schaef. Dtv 1991<br />
„Symbole“<br />
Herder Lexikon. 1990<br />
„Der Frauenatlas“<br />
Joni Seager. Ann Olson. Fischer 1986<br />
Joni Seager. Fischer 1998<br />
„Geistheilung durch sich selbst“.<br />
Kurt Tepperwe<strong>in</strong>. Goldmann 1991<br />
„Stell’ Dir vor...“ und<br />
„Leben im Licht“<br />
Shakti Gawa<strong>in</strong>.<br />
„Die Chronik der Frauen“<br />
Chronikverlag, Dortmund 1992<br />
Knaurs Lexikon der Mythologie<br />
Gerhard J. Bell<strong>in</strong>ger. Droemer Knaur 1989<br />
„Karriere ist weiblich“<br />
Ruth Merkel. Rororo Rowohlt 1989<br />
„Mut zum Erfolg“. Warum Frauen blockiert s<strong>in</strong>d und was sie dagegen tun können“.<br />
Susan Schenke. Campus Verlag Frankfurt 1986<br />
„Wenn Frauen Karriere machen“.<br />
Bock-Rosenthal, Haase, Streeck. Campus Verlag Frankfurt 1978<br />
„Perfekte Frauen“.<br />
Colette Dowl<strong>in</strong>g. S. Fischer 1989<br />
„Die Angst der Frauen, sie selbst zu se<strong>in</strong>.“<br />
Dan Kiley. Kagel Verlag Hamburg und Heyne München 1988
„Matriarchat I“<br />
Heide Göttner-Abendroth, Kohlhammer, 1988<br />
„Matriarchat II“<br />
Heide Göttner-Abendroth, Kohlhammer , 1991<br />
„Die Gött<strong>in</strong> und ihr Heros“<br />
Von Heide Göttner Abendroht, Frauenoffensive, München 1980<br />
„Die Tanzende Gött<strong>in</strong>“<br />
Von Heide Göttner Abendroht, Frauenoffensive, München 1988<br />
„Am Anfang war <strong>die</strong> Frau“<br />
Elizabeth Gould Davis, Ullste<strong>in</strong> Sachbuch, 1990<br />
„Die Zweierbeziehung“<br />
Jürg Willi<br />
„Die Therapie der Zweierbeziehung“<br />
„Die Revolution der Hoffnung“<br />
Erich Fromm. Rowohlt 1974<br />
„Haben und Se<strong>in</strong>“<br />
Erich Fromm. Dtv 1980<br />
Dieser Stand bezieht sich auf <strong>die</strong> Jahre 1990/1991.<br />
„<strong>Lio</strong> y Hero“ 68/91 <strong>Lio</strong><br />
113
114<br />
Dieses Buch wurde von <strong>Lio</strong> <strong>Elfie</strong> <strong>Payer</strong><br />
Kolonitzplatz 6/11, A-1030 Wien<br />
gestaltet und im Eigenverlag als Unikat produziert.<br />
<strong>Lio</strong>. 4.12.2001, Vienna