Leseprobe Heft Nr. 24-2 - Heimatverein Hinterhermsdorf eV
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CHRISTIAN MAAZ<br />
Sächsische Begegnung in Tirol<br />
Der Königsplatz, Foto Herrmann Krone<br />
Es ist allgemein bekannt, dass der Königsplatz bei <strong>Hinterhermsdorf</strong> nach<br />
dem sächsischen König Friedrich August II. benannt ist, der angeblich häufig<br />
hier weilte. Diese Aussicht wurde vom Revierförster Eduard Voigt 1836<br />
gangbar gemacht. Die Jahreszahl der Erschließung ist noch schwach an dem<br />
gespaltenen Block auf dem Zugangsweg sichtbar.<br />
Unterhalb des Felsblockes, auf dem sich die Aussicht befindet, war eine<br />
Bank und darüber ein Spruch angebracht, der möglicherweise von einem<br />
sächsischen Höfling, oder von Voigt stammt. 1 Als Leberecht Götzinger die<br />
Hintere Sächsische Schweiz bekannt machte, war der Königsplatz noch<br />
nicht erschlossen. Er beschreibt die Aussicht von der Grünstellige. Aber<br />
nach 1836 ist die Örtlichkeit in allen Reiseführern aufgeführt. In <strong>Hinterhermsdorf</strong><br />
hat sich der Name offensichtlich nicht so schnell durchgesetzt.<br />
Als die Sektion <strong>Hinterhermsdorf</strong> des Gebirgsvereins für die Sächsisch-Böhmische<br />
Schweiz für den Himmelfahrtstag (22. Mai) 1879 alle Mitglieder zur<br />
Einweihung des neu errichteten Aussichtsturm einlud, wurde abwechselnd<br />
vom Königsplatz und Friedrichs-Höhe gesprochen, aber beides bezog sich<br />
auf das herrschende Königshaus und so wurde auch der Turm auf Prinz August<br />
getauft. Als dieser aber 1904 den Thron bestieg, hatten man den Turm<br />
schon längst wegen Baufälligkeit abgebrochen.<br />
Am Himmelfahrtstag 1879 wurde auch die Schutzhütte im Holl eingeweiht.<br />
Ursprünglich sollte sie „Georghütte“ getauft werden. Man entschloss sich<br />
aber dann, ihr den Namen „Marienhütte“ zu Ehren der Gemahlin des Prinzen<br />
Georg zu geben, der von 1902 – 1904 König von Sachsen war.<br />
1 Siehe Abbildung und Spruch in: Die Botenfrau, <strong>Heft</strong> 3/2007, S. 25<br />
1
2<br />
Carl Wilhelm Arldt, Aussicht vom Königsplatz bei <strong>Hinterhermsdorf</strong>, Lithographie um 1850<br />
Zehn Jahre später, im Jahre 1889, errichtete der Gebirgsverein Saxonia zum<br />
800-jährigen Bestehens des Hauses Wettin am Holl, jetzt Wettinplatz, ein<br />
Denkmal aus einem nordischen Findling. Darauf ist ein Wahlspruch der<br />
Wettiner „PROVIDENTIAE MEMOR“ (Der Vorsehung eingedenk) eingehauen.<br />
Die Forstverwaltung <strong>Hinterhermsdorf</strong><br />
unter Oberförster Plant<br />
gestaltete zum gleichen Anlass ein<br />
Waldstück zum König-Albert-Hain.<br />
Seine Ausdehnung entsprach fast<br />
genau der heutigen Waldhusche. Es<br />
schloss den Hantschengrund ein.<br />
König Albert war von 1873 bis<br />
1902, also zur Zeit des bemerkenswerten<br />
Jubiläums, König von Sachsen.<br />
Im König-Albert-Hain wurden<br />
Spazierwege angelegt, eine Wettin-<br />
Eiche gepflanzt und eine Erinne-<br />
Denkstein am Wettinplatz bei <strong>Hinterhermsdorf</strong><br />
rungstafel aufgestellt. Oberhalb der jetzigen Husche wurde ein Pavillon aufgestellt.<br />
Schließlich sei in diesem Zusammenhang noch an die Benennung<br />
des Carolastein im Dorfbachgrund (am Rande des Albert-Parkes) erinnert.<br />
Albert hatte die Carola von Wasa-Holstein-Gottorp 1853 geheiratet. Die<br />
Ehe blieb aber kinderlos, sodass nach seinem Tode 1902 sein Bruder, der<br />
oben genante Georg an die Macht kam. Etwas gewagt erscheint mir, dass
man damals in unmittelbarer Nachbarschaft eine Höhle unterm Dorfbachstein<br />
zugänglich machte und ihr den Namen „Drachenhöhle“ gab.<br />
Wie wir sehen, haben sich die <strong>Hinterhermsdorf</strong>er ordentlich Mühe gegeben<br />
den Wettinern Denkmäler zu setzen. Unseren Großeltern wurde damals vom<br />
Kantor nicht nur das Lesen, Schreiben und das kleine Einmaleins mit dem<br />
Rohrstock beigebracht. Auf dem Stundenplan stand auch der Katechismus<br />
und die Geschichte des sächsischen Königshause. So musste meine Großmutter<br />
auswendig erlernen, dass jener Friedrich August II. 1797 im Schloss<br />
Pillnitz geboren wurde, ab 1836 als dritter sächsische König die Geschäfte<br />
übernahm und 1854 bei Brennbüchel in Tirol bei einem Kutschenunfall ums<br />
Leben kam. Unter Tirol konnte sie sich aber nichts vorstellen. Natürlich sind<br />
Jüngere nicht mehr so gut über die sächsische Geschichte informiert. Dafür<br />
ist Tirol uns heutzutage wohl bekannt.<br />
Als wir 1994 in<br />
den Dolomiten das<br />
erste Mal am Sella<br />
Joch waren, fanden<br />
wir den Friedrich-<br />
August-Weg. Dieser<br />
Panoramaweg<br />
(Markierung <strong>Nr</strong>.<br />
594) beginnt am<br />
Sellajoch (2<strong>24</strong>4 m)<br />
und führt unterhalb<br />
des Plattkofels zur<br />
Plattkofelhütte.<br />
Man steigt aber zuerst<br />
zum Col Rodella<br />
(<strong>24</strong>80 m) auf,<br />
Aufstieg zum COL RODELLA im September 1994. Im Hintergrund<br />
der Plattkofel (2965 m) und rechts der Langkofel (3189 m)<br />
wo der Weg seinen ursprünglichen Anfang hat. Es bieten sich einzigartige<br />
Fernsichten zu den bizarren, über 3000 m hohen Felsmassiven Langkofel,<br />
Plattkofel, Sella, Marmolata, Rosengarten mit Schlern u.a. Auf dem Rückbzw.<br />
Weiterweg zur Seiseralm (1800 m) kommt man an der „Friedrich-August-Hütte“<br />
2 (2298 m) und der „Plattkofelhütte“ (2300 m) vorbei, wo man<br />
zu Bier oder einen Kaiserschmarren einkehrt. So mancher Sachse wird<br />
schon auf diesem Weg gegangen sein.<br />
Dieser Höhenweg ist aber nicht Friedrich August II. sondern dem letzten<br />
sächsischen König Friedrich August III. (* 1865, † 1932) gewidmet, von<br />
dem wir genau wissen, dass er mehrmals in <strong>Hinterhermsdorf</strong> weilte. Auch<br />
mein Vater war unter den Schulkindern, die ihm am Ortseingang, an der so<br />
genannten Kanzel, mit Liedern begrüßten. Er verzichtete 1918 für sich und<br />
2 Rifugio Federico Augusto alla Forcella di Rodella<br />
3
4<br />
seine Erben auf Amt und Würden mit<br />
dem bekannten Ausspruch: „Macht Euern<br />
Dreck alleene“.<br />
König Friedrich August III. residierte<br />
samt Anhang 1904 in Seis in Tirol. Er<br />
war bei der hiesigen Bevölkerung sehr<br />
beliebt, da er auf seinen ausgedehnten<br />
Wanderungen des öfteren bei den einfachen<br />
Bauersleuten im Heu übernachtete<br />
und mit ihnen auch gemeinsam zu Abend<br />
Der Bergführer Gosper Sepp (stehend) mit<br />
dem König Friedrich August III. von Sachsen<br />
(sitzend) und Prinzen (rechts). Anno 1909<br />
Die heutige Friedrich August Hütte (2298 m)<br />
mit dem Standbild Fr. August III. (re.)<br />
Die Seiseralmhütte um 1906<br />
aß. Sechs Wochen vor Ausbruch des<br />
1. Weltkrieges verweilte der König<br />
noch auf der Defregger-Hütte in der<br />
Venedigergruppe. Sein Lieblingsberggebiet<br />
lag aber zwischen Sella,<br />
Langkofel und Rosengarten.<br />
Standbild Friedrisch August III.<br />
Wer aber war Friedrich August II., nach dem der Königsplatz in <strong>Hinterhermsdorf</strong><br />
benannt ist? Wie kam der nach Tirol?<br />
In der einschlägigen Literatur erfahren wir, dass dieser Friedrich August in<br />
den Befreiungskriegen Offizier war, aber sonst für das Militärische kaum Interesse<br />
zeigte. Politische Fragen löste er aus reinem Pflichtgefühl. Meist berief<br />
er sich auf seine Minister. Als ein ausgesprochen liebenswerter und in-
telligenter Mann war er schnell beim<br />
Volk beliebt. Die Städteordnung vom<br />
2. Februar 1832 brachte den Städten<br />
die freie Selbstverwaltung. Das<br />
Edikt vom 17. März 1832 befreite<br />
die Bauern nom Frondienst und der<br />
Erbuntertänigkeit. Eine einheitliche<br />
Rechtsprechung für Sachsen schuf<br />
das Strafgesetzbuch von 1836. Aber<br />
auch die Auflösung der Waldgerechtsame,<br />
die einen tiefen Einschnitt<br />
für <strong>Hinterhermsdorf</strong> bedeutete, fällt<br />
in seine Regierungszeit, in der es zu<br />
einem Aufblühen des Landes Sachsen<br />
kam, die ersten Dampfschiffe und<br />
Dampfzüge in Betrieb genommen<br />
wurden.<br />
Friedrich August II., selbst wissenschaftlich<br />
und künstlerisch gebildet,<br />
Prinz Friedrich August von Sachsen als<br />
Offizier<br />
war Förderer der Kunst, was sich in dem Neubau von Theatern und Ausstellungsgebäuden<br />
ausdrückt. Darüber hinaus war er ein eifriger Botaniker,<br />
Wanderer und Naturliebhaber. Seine häufigen Aufenthalte im aufblühenden<br />
Schandau, könnte er auch für Ausflüge nach <strong>Hinterhermsdorf</strong> genutzt haben.<br />
Belegt ist das leider nicht.<br />
Mit Tirol verbindet ihn seine erste 1819<br />
geschlossene Ehe mit seiner Cousine<br />
(zweiten Grades) der Erzherzogin Maria<br />
Karoline von Österreich (1801–1832),<br />
Tochter von Kaiser Franz I. Die Ehe<br />
blieb aber kinderlos. Tirol war damals<br />
ein Bestandteil des Habsburger Vielvölkerstaates<br />
Österreich. Ein Jahr nach dem<br />
Tod seiner ersten Frau heiratete er Prinzessin<br />
Maria Leopoldine, Tochter des<br />
bayerischen Königs Maximilian I. Aber<br />
auch diese Ehe blieb kinderlos. Friedrich<br />
August II. war ein eifriger Bergsteiger.<br />
Er war u.a. auf dem Unteraargletscher<br />
(Berner Alpen), um das Geheimnis<br />
des fließenden Eises zu erkunden. 1840<br />
König Friedrich August II. von Sachsen<br />
bestieg er den Krivan in der Hohen Tatra<br />
und im Jahr darauf war er in den Komna-Bergen in den Julischen Alpen.<br />
Auch botanisch war der König sehr interessiert. Er weilte häufig in Tirol zu<br />
5
6<br />
ausgedehnten Bergwanderungen. 1854 kam er bei Brennbüchel in Tirol bei<br />
einem Kutschenunfall ums Leben.<br />
Soweit die Lebensgeschichte Friedrich August II., dem <strong>Hinterhermsdorf</strong> mit<br />
dem Königsplatz ein würdiges Denkmal gesetzt hat. Es schien mir Grund<br />
genug, mehr über seine Aufenthalte in Tirol herauszufinden und den Ort<br />
aufzusuchen, an dem er verunglückte.<br />
Das hatte ich bei unserer Radtour 2006 eingeplant, die uns von der Quelle<br />
des Inn am Malojapass (1800 m) in mehreren Etappen mit vollem Gepäck,<br />
durch den Engadin mit vielen lieblichen Städtchen schließlich nach Österreich<br />
und über Pfunds und Landeck bis Schönwies brachte. Von verschiedenen<br />
Etappenorten machten wir zu Fuß Abstecher in die Berge. Ab Schönwies<br />
geht der Radweg ziemlich stressig direkt neben der Autobahn weiter.<br />
Angesichts der vielen unvergesslichen Erlebnisse, die wir bisher hatten, brachen<br />
wir unsere Tour ab und gaben die Suche nach der Kapelle auf. Ich<br />
wusste damals sowieso nicht, wo sie sich befindet.<br />
Im September 2008 nahmen wir einen erneuten Anlauf, als wir nach einer<br />
Woche Bergwanderurlaub in der Silvrettagruppe mit über 3000 Höhenmeter<br />
in den Beinen ins neue Quatier nach Pfunds umsetzten, wo wir eine weitere<br />
Woche verbrachten. Allerdings reizten uns hier im Dreiländereck nicht die<br />
spektakulären Skigebiete Fiss, Ladis, Servaus, Samnaun und Naunders, wo<br />
hunderte von Seilbahnen und Versorgungsstraßen bis in die höchsten Gipfellagen<br />
die Natur verschandeln. Wie stiegen lieber in den dazwischenliegenden<br />
noch unberührten Tälern über urige Almen und wenig besuchten<br />
Schutzhütten in die Berge, so, wie wir jetzt wissen, auch König Friedrich II.<br />
gern gewandert war. Die kurze Fahrstrecke an einem regnerischen Tag<br />
schien dafür wie geschaffen. Das Problem bestand aber darin, das der angegebene<br />
Ort Brennbüchel heutzutage längst nicht mehr selbständig ist. Er ist<br />
im Autoatlas nicht zu finden. Ich hatte nur gelesen, dass er bei Imst ist und<br />
dass der König damals angeblich aus dem Pitztal gekommen sei. Man müsste<br />
die Kapelle also an einer alten Straße zum Inn finden, die jetzt möglicher<br />
weise als Wanderweg gekennzeichnet ist.<br />
Die heutige Landstraße ins Pitztal führt von Imst kommend, aus einem<br />
Kreisverkehr auf einer hohen Brücke über den Inn. So sehr wir uns aus anstrengten,<br />
hinter den regennassen Scheiben war kein Wanderweg oder Hinweisschild<br />
zu erkennen. Schon waren wir in Arzl angelangt. Glockenläuten<br />
von der nahen Kirche erinnert uns daran, das heute Sonntag ist, das Touristenbüro<br />
hatte natürlich geschlossen. Bei diesem Regenwetter sind auf der<br />
Straße kaum Menschen zu sehen. Ein angesprochener Tourist aus den Niederlanden<br />
versucht mir auf englisch klar zu machen, dass er hier fremd sei.<br />
Einer Gruppe Italiener, die vor einem Hotel stehen, kann ich mich auch<br />
nicht so recht verständlich machen. Nach was soll ich eigentlich fragen?<br />
„Da, das ist eine Einheimische.“ Eine junge Frau, eine Regenjacke überge-
worfen, die Schnürsenkel der Trekkingschuhe offen, strebt den Geldautomaten<br />
an der Bank zu. Ich spreche sie an, noch bevor sie die Karte einsteckt.<br />
Fehlanzeige! Sie hat niemals etwas von einem sächsischen König gehört.<br />
Nach dem Gottesdienst müssten doch einige in der nahen Kneipe hängen geblieben<br />
sein. Richtig, neben der Kirche ist ein modernes Wiener Café. An<br />
der Tresen stehen rauchend ein paar junge Männer und schwatzen mit der<br />
Bardame. Die meisten Tische sind besetzt, man trinkt Kaffee und, wie in Tirol<br />
üblich, auch vormittags Rotwein. Am runden Stammtisch eine Gruppe<br />
alter Männer, zwei in Trachtenjacken. Das müsste unsere Zielgruppe sein.<br />
Ich unterbreche deren angeregtes Gespräch: „Grüß Gott, entschuldigen Sie<br />
bitte. Vielleicht können Sie uns helfen. Ich suche ein Kapelle, die man dort<br />
errichtet hat, wo ein sächsischer König vor 150 Jahren tödlich verunglückt<br />
ist.“ Offensichtlich hatte ich meine Frage etwas zu sehr Sächsisch gestellt,<br />
sodass die Männer, in ihren Dialekt vertieft, mich nicht so schnell verstanden.<br />
Ich wiederholte meine Frage und strenge mich an, möglichst hochdeutsch<br />
zu sprechen. Nun reden alle gleichzeitig los, jeder will mir den richtigen<br />
Weg dahin erklären, natürlich in ihren Tiroler Mundart und ich glaube<br />
sogar, dass einer in seinen Eifer ins rätoromanische verfiehl. Da ist von einer<br />
Schreinerei die Rede, die aber stillgelegt ist, von Brücken, Bahnhof und<br />
Gasthöfen usw. Schließlich sprach einer das Machtwort. „So geht das nicht,<br />
bleiben 'S ein Weilchen do sitzn, i' hol oane Karte.“<br />
Wenige Minuten später erklärt er uns dann bei einem guten Cappuccino,<br />
dass wir die „Königskapelle“ suchen, die aber nicht in Arzl, sondern unten<br />
am linken Innufer ist, und aus dem Kreisverkehr heraus in Richtung Bahnhof<br />
zu finden sei. Im Kreisverkehr sei auch ein kleiner Parkplatz mit einer<br />
Info-Tafel. Und, der sächsische König sei heutzutage noch sehr beliebt in<br />
Tirol, weil er damals so manches Neue in Gang gesetzt hätte. Die Kapelle<br />
würde von den Nachkommen gepflegt, und weil es ein Denkmal ist – natürlich<br />
mit staatlichen Fördermitteln. Nebenbei erfahren wir noch von dem<br />
freundlichen Tiroler, dass er sich jetzt in den Ruhestand befindet und in den<br />
letzten zehn Jahren sein Geld mit Fenstern und Türen für das Baugeschehen<br />
in Dresden gemacht habe.<br />
Wenige Minuten später fahren wir von Arzl kommend in den belebten<br />
Kreisverkehr ein und ehe ich es mich versehe bin ich an der Info-Tafel vorbei<br />
und auch die Ausfahrt zum Bahnhof verpasse ich und in der Hektik lande<br />
ich in auf der Straße Richtung Insbruck/Autobahn. Zum Glück ist vor<br />
dem Tunnel noch ein Notparkplatz. Ich kann wenden und noch einmal gemächlich<br />
meine Runde drehen. Nun geht es steil hinab<br />
zum Inn, links eine Schreinerei und ein Dutzend weitere<br />
Häuser, Stop, da ist ja schon das Ortsausgangsschild<br />
„Königskapelle, Gde. Karrösten“. Brennbüchel ist heute<br />
zusammen mit dem Weiler Königskapelle ein Ortsteil<br />
von Karrösten, welches sich am Hang des Tschiri-<br />
7
8<br />
gant (2372 m) direkt bei der Mündung des Grugltals in das Inntal – im<br />
Oberinntal befindet.<br />
Mit Schirm und Kamera bewaffnet<br />
treten wir unsere Erkundung an.<br />
Auf dem Inn, der hier in eine<br />
Schlucht gepresst, Stromschnellen<br />
bildet, treiben Schlauchboote mit<br />
vor Vergnügen schreienden Raftingsteilnehmer.<br />
Man ist gerade dabei<br />
ein Boot weiteres einzusetzen.<br />
Das Hinweisschild „Königskapelle“<br />
in anderer Richtung ist unmissverständlich.<br />
Und da ist endlich<br />
das gesuchte Objekt inmitten moderner<br />
Wohnhäuser. Der Weg, an<br />
dem sich das Unglück ereignete,<br />
windet sich in einer engen Kurve<br />
daran vorbei, kaum breiter als damals<br />
und ist heutzutage der Innradweg.<br />
Schicksal, bei unserer Radtour<br />
2006 hätten wir nur noch zehn<br />
Kilometern weiterfahren müssen.<br />
Eine Hinweistafel berichtet, dass<br />
die Kapelle 1855 von der Königin- Die Königskapelle<br />
Witwe Maria von Sachsen errichtet und 1958-60 durch Friedrich Christian,<br />
Markgraf von Meißen, Herzog von Sachsen renoviert und als Sachsen-Gedenk<br />
und Familien-Begräbisstätte ausgebaut wurde.<br />
Die Familienbegräbnisstätte hinter der Königskapelle<br />
Hinter der Kapelle befinden<br />
sich die Grabstätten<br />
dieses Friedrich Christian<br />
(geb. 1893, gest. 1968)<br />
und seiner Ehefrau Elisabeth<br />
Helene Markgräfin<br />
von Meißen und Prinzessin<br />
von Thurn und Taxis<br />
(geb. 1903, gest. 1976)<br />
und drei weiteren unbeschrifteten<br />
Platten, die<br />
offensichtlich für die<br />
Nachkommen gedacht<br />
sind. 3<br />
3 Friedrich August II. verstarb kinderlos. In den Gräbern ruhen keine direkte Nachkommen.
Merkwürdig, als Friedrich III. 1918 abdankte, hatte er doch für sich und seine<br />
Erben auf Sachsen verzichtet. Warum schmücken sich dessen Nachkommen<br />
immer noch mit Titeln der schon seit Jahrhunderten nicht mehr existierenden<br />
Markgrafschaft Meißen und dem Herzogtum Sachsen? Den eigentlichen<br />
Familiennamen „von Wettin“ suche ich vergeblich.<br />
Nachdenklich und dennoch froh darüber, dass es die Kapelle noch gibt und<br />
dass sie sich in einen guten Zustand befindet, machen wir unsere Fotos. Man<br />
könnte sich auch im Haus gegenüber den Schlüssel holen, aber ein Blick<br />
durch die Fenster zeigt, das der schlicht ausgestattete Innenraum dies nicht<br />
erforderlich macht. Unter dem Regenschirm bei heftigen Regen verlassen<br />
wir den Ort. Auf den Weg in unser neues Quartier frage ich mich, wie es damals<br />
zu den Unglück gekommen ist.<br />
Wer des Inntal schon bereist hat, wird erfahren haben, dass es hier ein uralter<br />
Verbindungsweg, die „via claudia“ die Alpen überquert. Der römische<br />
Kaiser Claudius ließ sie errichten. Sie führte durch das Etschtal über den<br />
Rechenpass ins Inntal und stellte in den ersten nachchristlichen Jahrhunderten<br />
die wichtigste<br />
Verbindung zwischenAdria/Poebene<br />
und dem Donauraum<br />
dar. Sie wurde<br />
aber das ganze Mittelalter<br />
hindurch<br />
weiter in stand gehalten<br />
und genutzt<br />
und um 1720 zur<br />
Reichstraße ausgebaut<br />
und zwar immer<br />
noch auf der alten<br />
Trasse und kaum<br />
verbreiteter Straßen-<br />
führung.Ausgrabungen ergaben,<br />
dass die Wagen in<br />
Via Claudia. Erhaltene Brücke über den Inn an der Zollstelle Alt<br />
Finstermünz .<br />
römischer Zeit eine Spurweite von einheitlich 107 cm und im Mittelalter sogar<br />
nur 100 cm aufwiesen. Die Radabstände der Reisewagen um 1800 waren<br />
nur unerheblich breiter. Wegen der vielen Talverengungen war am Ufer des<br />
Inn häufig kein Platz. Man musste teilweise bis zu 300 m aus den Tal heraus<br />
auf steile Hanglagen ausweichen. Auch sumpfige Stellen zwangen zum Ausweichen<br />
auf den Berg. Die Straße war an vielen Stelle nur mit Gefahr zu befahren.<br />
Genau an der Unglücksstelle ist ein solches ausgesetztes Straßenstück.<br />
Die Via Claudia verlässt an dieser Stelle den Inn und führt steil hoch<br />
nach Karrösten. War das der Grund?<br />
9
10<br />
Nach unserem Urlaub begann ich<br />
weiter zu recherchieren und fand<br />
zu dem Thema in der TIROLER<br />
TAGESZEITUNG vom 10. Juli<br />
1997 einen Beitrag, welchen ich<br />
dem Leser nicht enthalten möchte.<br />
Darin erinnert sich der Journalist<br />
Herbert Buzas.<br />
„Im November 1949 übernachtete<br />
Rekonstruktion eines römischen Reisewagens<br />
ich im Zimmer 2 des Gasthofes<br />
'Neuner' in Brennbichl bei Imst. Von der Wand herab wachte über meinen<br />
Schlaf ein würdiger Herr, der mich aus einem goldenen Rahmen hinter Glas<br />
anschaute. In einer Vitrine entdeckte ich ein weißes Kopfkissen mit großen,<br />
vertrockneten Blutflecken. Erst als ich am Morgen den Raum verließ, wurde<br />
mir klar, daß ich an einer historischen Stätte in Morpheus Armen gelegen<br />
hatte. Eine Marmortafel über der Türe verriet mir nämlich, wer der hoheitsvoll<br />
wirkende Herr auf dem Bild war.<br />
'In diesem Zimmer verschied Seine Majestät, Friedrich August II. von<br />
Sachsen, am 9. August 1854 vormittag gegen 11 Uhr an den Folgen<br />
der erlittenen Kopfverletzung.'<br />
Die 87 Jahre alte Theresia Mayr in Imst brachte in einem Gespräch Licht ins<br />
Dunkel eines Verkehrsunfalls, der 95 Jahre zuvor als Sensation die Gemüter<br />
der Zeitgenossen erschüttert hatte. Frau Mayr erzählte: 'Meine Mutter war,<br />
als der König von Sachsen Tirol bereiste, Gastwirtin in Brennbichl. Anfang<br />
August war Friedrich August II. mit dem Pfarrer von Keniaten durch das<br />
Sellrain nach Kühtai und von dort über Silz nach Imst gewandert. 4 Der König<br />
kannte bereits ganz Tirol, das Pitztal ausgenommen. Dieses Tal wollte<br />
er am 9. August erkunden, nachdem er im Gasthof 'Post' in Imst übernachtet<br />
hatte. Am frühen Morgen ließ er einspannen und fuhr mit einem Begleiter<br />
gegen Brennbichl. In der Nähe der Innbrücke war der Weg ziemlich<br />
schlecht, doch der Postillon wagte es nicht, den hohen Gast zum Aussteigen<br />
zu veranlassen.'<br />
Theresia Mayrs Erzählung über das Geschehene, das sie von ihrer Mutter<br />
immer wieder geschildert bekommen hatte, nahm nun die Präzision eines<br />
modernen Gendarmerieberichtes an: In der Nähe der Brücke verließ der König<br />
aus eigenem Antrieb den Wagen. Er fiel beim Aussteigen so unglücklich<br />
zwischen die beiden Pferde, daß eines der scheu gewordenen Tiere ausschlug<br />
und dabei die Hirnschale des Sachsenherrschers verletzte. Blutüberströmt<br />
und bewußtlos wurde der König auf einer Bahre in das Gasthaus in<br />
Brennbichl getragen, wo ihm der Kaplan die Letzte Ölung spendete.<br />
4 Das sind 42 km Luftlinie, zu Fuß mindestens 60 km und es geht über mehr als 2000 m<br />
Hohe Berge.
Theresia Mayr hielt die Tränen zurück, als sie fortfuhr: 'Um 11 Uhr ist König<br />
Friedrich August, ohne zu Bewußtsein gekommen zu sein, in Anwesenheit<br />
meiner Eltern auf einem weißen Polster verschieden. Jetzt erst erfuhr<br />
meine Mutter, daß der Tourist, der vor ihren Augen entschlummert war, der<br />
König der Sachsen war. Seine Leiche wurde nach Dresden überführt.'<br />
Ein Jahr später kam die Königinwitwe mit ihrem Hofstaat nach Brennbichl,<br />
um bei der Einweihung der zu Ehren ihres Gemahls errichteten Gedächtniskapelle<br />
dabeizusein. Sie mietete das Sterbezimmer des Königs auf 50 Jahre.<br />
Das Totenbett wurde verschnürt und versiegelt. Immer wieder kamen sächsische<br />
Prinzen zu den Jahresgottesdiensten nach Brennbichl. 'Meine Mutter<br />
bekam zum Dank für ihren Beistand in der Sterbestunde des Königs und für<br />
die 50jährige Betreuung des Sterbezimmers vom sächsischen Hof eine<br />
schwere Goldkette geschenkt. Sie ist heute noch in unserem<br />
Familienbesitz.'“<br />
Soweit der Bericht aus der Tiroler<br />
Tageszeitung. Ja, hätten<br />
wir das gewusst, es wäre noch<br />
Zeit gewesen das Gasthaus<br />
„Neuner“ aufzusuchen. Die<br />
spätere Nachfrage ergab, dass<br />
es das Sterbezimmer wegen eines<br />
Brandes nicht mehr gibt,<br />
aber das man das Andenken an<br />
Friedrich II. durch eine Tafel<br />
im Haus immer noch aufrecht<br />
erhält.<br />
Bemerkenswert finde ich noch, dass der König bis zum 13. August 1854 im<br />
Sterbezimmer aufgebahrt blieb aber schon am 16. August die feierliche Beisetzung<br />
in der katholischen Hofkirche in Dresden statt fand. Man brachte<br />
den Verstorbenen am 13. August gegen 1 Uhr mittags in feierlichem Zug<br />
über den Fernpass nach Biessenhofen, das schon 1852 Anschluss an die Eisenbahn<br />
erhalten hatte. Von da aus gelangte der<br />
Sarg mit der Eisenbahn über Augsburg, Hof und<br />
Leipzig nach Dresden. Unglaublich, die erste Eisenbahn<br />
Deutschlands wurde 1833 in Betrieb genommen,<br />
Dresden-Leipzig 1839 und schon 15 Jahre<br />
später gab es ein geschlossenes Schienennetz<br />
von den Alpen bis Dresden!<br />
Standbild auf dem Neumarkt<br />
in Dresden<br />
11<br />
Bleibt noch zu berichten, dass das von Ernst Hähnel<br />
geschaffene Standbild des Königs Friedrich August<br />
II. auf den Dresdner Neumarkt steht.