16.01.2013 Aufrufe

Leseprobe Heft Nr. 24-2 - Heimatverein Hinterhermsdorf eV

Leseprobe Heft Nr. 24-2 - Heimatverein Hinterhermsdorf eV

Leseprobe Heft Nr. 24-2 - Heimatverein Hinterhermsdorf eV

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

CHRISTIAN MAAZ<br />

Sächsische Begegnung in Tirol<br />

Der Königsplatz, Foto Herrmann Krone<br />

Es ist allgemein bekannt, dass der Königsplatz bei <strong>Hinterhermsdorf</strong> nach<br />

dem sächsischen König Friedrich August II. benannt ist, der angeblich häufig<br />

hier weilte. Diese Aussicht wurde vom Revierförster Eduard Voigt 1836<br />

gangbar gemacht. Die Jahreszahl der Erschließung ist noch schwach an dem<br />

gespaltenen Block auf dem Zugangsweg sichtbar.<br />

Unterhalb des Felsblockes, auf dem sich die Aussicht befindet, war eine<br />

Bank und darüber ein Spruch angebracht, der möglicherweise von einem<br />

sächsischen Höfling, oder von Voigt stammt. 1 Als Leberecht Götzinger die<br />

Hintere Sächsische Schweiz bekannt machte, war der Königsplatz noch<br />

nicht erschlossen. Er beschreibt die Aussicht von der Grünstellige. Aber<br />

nach 1836 ist die Örtlichkeit in allen Reiseführern aufgeführt. In <strong>Hinterhermsdorf</strong><br />

hat sich der Name offensichtlich nicht so schnell durchgesetzt.<br />

Als die Sektion <strong>Hinterhermsdorf</strong> des Gebirgsvereins für die Sächsisch-Böhmische<br />

Schweiz für den Himmelfahrtstag (22. Mai) 1879 alle Mitglieder zur<br />

Einweihung des neu errichteten Aussichtsturm einlud, wurde abwechselnd<br />

vom Königsplatz und Friedrichs-Höhe gesprochen, aber beides bezog sich<br />

auf das herrschende Königshaus und so wurde auch der Turm auf Prinz August<br />

getauft. Als dieser aber 1904 den Thron bestieg, hatten man den Turm<br />

schon längst wegen Baufälligkeit abgebrochen.<br />

Am Himmelfahrtstag 1879 wurde auch die Schutzhütte im Holl eingeweiht.<br />

Ursprünglich sollte sie „Georghütte“ getauft werden. Man entschloss sich<br />

aber dann, ihr den Namen „Marienhütte“ zu Ehren der Gemahlin des Prinzen<br />

Georg zu geben, der von 1902 – 1904 König von Sachsen war.<br />

1 Siehe Abbildung und Spruch in: Die Botenfrau, <strong>Heft</strong> 3/2007, S. 25<br />

1


2<br />

Carl Wilhelm Arldt, Aussicht vom Königsplatz bei <strong>Hinterhermsdorf</strong>, Lithographie um 1850<br />

Zehn Jahre später, im Jahre 1889, errichtete der Gebirgsverein Saxonia zum<br />

800-jährigen Bestehens des Hauses Wettin am Holl, jetzt Wettinplatz, ein<br />

Denkmal aus einem nordischen Findling. Darauf ist ein Wahlspruch der<br />

Wettiner „PROVIDENTIAE MEMOR“ (Der Vorsehung eingedenk) eingehauen.<br />

Die Forstverwaltung <strong>Hinterhermsdorf</strong><br />

unter Oberförster Plant<br />

gestaltete zum gleichen Anlass ein<br />

Waldstück zum König-Albert-Hain.<br />

Seine Ausdehnung entsprach fast<br />

genau der heutigen Waldhusche. Es<br />

schloss den Hantschengrund ein.<br />

König Albert war von 1873 bis<br />

1902, also zur Zeit des bemerkenswerten<br />

Jubiläums, König von Sachsen.<br />

Im König-Albert-Hain wurden<br />

Spazierwege angelegt, eine Wettin-<br />

Eiche gepflanzt und eine Erinne-<br />

Denkstein am Wettinplatz bei <strong>Hinterhermsdorf</strong><br />

rungstafel aufgestellt. Oberhalb der jetzigen Husche wurde ein Pavillon aufgestellt.<br />

Schließlich sei in diesem Zusammenhang noch an die Benennung<br />

des Carolastein im Dorfbachgrund (am Rande des Albert-Parkes) erinnert.<br />

Albert hatte die Carola von Wasa-Holstein-Gottorp 1853 geheiratet. Die<br />

Ehe blieb aber kinderlos, sodass nach seinem Tode 1902 sein Bruder, der<br />

oben genante Georg an die Macht kam. Etwas gewagt erscheint mir, dass


man damals in unmittelbarer Nachbarschaft eine Höhle unterm Dorfbachstein<br />

zugänglich machte und ihr den Namen „Drachenhöhle“ gab.<br />

Wie wir sehen, haben sich die <strong>Hinterhermsdorf</strong>er ordentlich Mühe gegeben<br />

den Wettinern Denkmäler zu setzen. Unseren Großeltern wurde damals vom<br />

Kantor nicht nur das Lesen, Schreiben und das kleine Einmaleins mit dem<br />

Rohrstock beigebracht. Auf dem Stundenplan stand auch der Katechismus<br />

und die Geschichte des sächsischen Königshause. So musste meine Großmutter<br />

auswendig erlernen, dass jener Friedrich August II. 1797 im Schloss<br />

Pillnitz geboren wurde, ab 1836 als dritter sächsische König die Geschäfte<br />

übernahm und 1854 bei Brennbüchel in Tirol bei einem Kutschenunfall ums<br />

Leben kam. Unter Tirol konnte sie sich aber nichts vorstellen. Natürlich sind<br />

Jüngere nicht mehr so gut über die sächsische Geschichte informiert. Dafür<br />

ist Tirol uns heutzutage wohl bekannt.<br />

Als wir 1994 in<br />

den Dolomiten das<br />

erste Mal am Sella<br />

Joch waren, fanden<br />

wir den Friedrich-<br />

August-Weg. Dieser<br />

Panoramaweg<br />

(Markierung <strong>Nr</strong>.<br />

594) beginnt am<br />

Sellajoch (2<strong>24</strong>4 m)<br />

und führt unterhalb<br />

des Plattkofels zur<br />

Plattkofelhütte.<br />

Man steigt aber zuerst<br />

zum Col Rodella<br />

(<strong>24</strong>80 m) auf,<br />

Aufstieg zum COL RODELLA im September 1994. Im Hintergrund<br />

der Plattkofel (2965 m) und rechts der Langkofel (3189 m)<br />

wo der Weg seinen ursprünglichen Anfang hat. Es bieten sich einzigartige<br />

Fernsichten zu den bizarren, über 3000 m hohen Felsmassiven Langkofel,<br />

Plattkofel, Sella, Marmolata, Rosengarten mit Schlern u.a. Auf dem Rückbzw.<br />

Weiterweg zur Seiseralm (1800 m) kommt man an der „Friedrich-August-Hütte“<br />

2 (2298 m) und der „Plattkofelhütte“ (2300 m) vorbei, wo man<br />

zu Bier oder einen Kaiserschmarren einkehrt. So mancher Sachse wird<br />

schon auf diesem Weg gegangen sein.<br />

Dieser Höhenweg ist aber nicht Friedrich August II. sondern dem letzten<br />

sächsischen König Friedrich August III. (* 1865, † 1932) gewidmet, von<br />

dem wir genau wissen, dass er mehrmals in <strong>Hinterhermsdorf</strong> weilte. Auch<br />

mein Vater war unter den Schulkindern, die ihm am Ortseingang, an der so<br />

genannten Kanzel, mit Liedern begrüßten. Er verzichtete 1918 für sich und<br />

2 Rifugio Federico Augusto alla Forcella di Rodella<br />

3


4<br />

seine Erben auf Amt und Würden mit<br />

dem bekannten Ausspruch: „Macht Euern<br />

Dreck alleene“.<br />

König Friedrich August III. residierte<br />

samt Anhang 1904 in Seis in Tirol. Er<br />

war bei der hiesigen Bevölkerung sehr<br />

beliebt, da er auf seinen ausgedehnten<br />

Wanderungen des öfteren bei den einfachen<br />

Bauersleuten im Heu übernachtete<br />

und mit ihnen auch gemeinsam zu Abend<br />

Der Bergführer Gosper Sepp (stehend) mit<br />

dem König Friedrich August III. von Sachsen<br />

(sitzend) und Prinzen (rechts). Anno 1909<br />

Die heutige Friedrich August Hütte (2298 m)<br />

mit dem Standbild Fr. August III. (re.)<br />

Die Seiseralmhütte um 1906<br />

aß. Sechs Wochen vor Ausbruch des<br />

1. Weltkrieges verweilte der König<br />

noch auf der Defregger-Hütte in der<br />

Venedigergruppe. Sein Lieblingsberggebiet<br />

lag aber zwischen Sella,<br />

Langkofel und Rosengarten.<br />

Standbild Friedrisch August III.<br />

Wer aber war Friedrich August II., nach dem der Königsplatz in <strong>Hinterhermsdorf</strong><br />

benannt ist? Wie kam der nach Tirol?<br />

In der einschlägigen Literatur erfahren wir, dass dieser Friedrich August in<br />

den Befreiungskriegen Offizier war, aber sonst für das Militärische kaum Interesse<br />

zeigte. Politische Fragen löste er aus reinem Pflichtgefühl. Meist berief<br />

er sich auf seine Minister. Als ein ausgesprochen liebenswerter und in-


telligenter Mann war er schnell beim<br />

Volk beliebt. Die Städteordnung vom<br />

2. Februar 1832 brachte den Städten<br />

die freie Selbstverwaltung. Das<br />

Edikt vom 17. März 1832 befreite<br />

die Bauern nom Frondienst und der<br />

Erbuntertänigkeit. Eine einheitliche<br />

Rechtsprechung für Sachsen schuf<br />

das Strafgesetzbuch von 1836. Aber<br />

auch die Auflösung der Waldgerechtsame,<br />

die einen tiefen Einschnitt<br />

für <strong>Hinterhermsdorf</strong> bedeutete, fällt<br />

in seine Regierungszeit, in der es zu<br />

einem Aufblühen des Landes Sachsen<br />

kam, die ersten Dampfschiffe und<br />

Dampfzüge in Betrieb genommen<br />

wurden.<br />

Friedrich August II., selbst wissenschaftlich<br />

und künstlerisch gebildet,<br />

Prinz Friedrich August von Sachsen als<br />

Offizier<br />

war Förderer der Kunst, was sich in dem Neubau von Theatern und Ausstellungsgebäuden<br />

ausdrückt. Darüber hinaus war er ein eifriger Botaniker,<br />

Wanderer und Naturliebhaber. Seine häufigen Aufenthalte im aufblühenden<br />

Schandau, könnte er auch für Ausflüge nach <strong>Hinterhermsdorf</strong> genutzt haben.<br />

Belegt ist das leider nicht.<br />

Mit Tirol verbindet ihn seine erste 1819<br />

geschlossene Ehe mit seiner Cousine<br />

(zweiten Grades) der Erzherzogin Maria<br />

Karoline von Österreich (1801–1832),<br />

Tochter von Kaiser Franz I. Die Ehe<br />

blieb aber kinderlos. Tirol war damals<br />

ein Bestandteil des Habsburger Vielvölkerstaates<br />

Österreich. Ein Jahr nach dem<br />

Tod seiner ersten Frau heiratete er Prinzessin<br />

Maria Leopoldine, Tochter des<br />

bayerischen Königs Maximilian I. Aber<br />

auch diese Ehe blieb kinderlos. Friedrich<br />

August II. war ein eifriger Bergsteiger.<br />

Er war u.a. auf dem Unteraargletscher<br />

(Berner Alpen), um das Geheimnis<br />

des fließenden Eises zu erkunden. 1840<br />

König Friedrich August II. von Sachsen<br />

bestieg er den Krivan in der Hohen Tatra<br />

und im Jahr darauf war er in den Komna-Bergen in den Julischen Alpen.<br />

Auch botanisch war der König sehr interessiert. Er weilte häufig in Tirol zu<br />

5


6<br />

ausgedehnten Bergwanderungen. 1854 kam er bei Brennbüchel in Tirol bei<br />

einem Kutschenunfall ums Leben.<br />

Soweit die Lebensgeschichte Friedrich August II., dem <strong>Hinterhermsdorf</strong> mit<br />

dem Königsplatz ein würdiges Denkmal gesetzt hat. Es schien mir Grund<br />

genug, mehr über seine Aufenthalte in Tirol herauszufinden und den Ort<br />

aufzusuchen, an dem er verunglückte.<br />

Das hatte ich bei unserer Radtour 2006 eingeplant, die uns von der Quelle<br />

des Inn am Malojapass (1800 m) in mehreren Etappen mit vollem Gepäck,<br />

durch den Engadin mit vielen lieblichen Städtchen schließlich nach Österreich<br />

und über Pfunds und Landeck bis Schönwies brachte. Von verschiedenen<br />

Etappenorten machten wir zu Fuß Abstecher in die Berge. Ab Schönwies<br />

geht der Radweg ziemlich stressig direkt neben der Autobahn weiter.<br />

Angesichts der vielen unvergesslichen Erlebnisse, die wir bisher hatten, brachen<br />

wir unsere Tour ab und gaben die Suche nach der Kapelle auf. Ich<br />

wusste damals sowieso nicht, wo sie sich befindet.<br />

Im September 2008 nahmen wir einen erneuten Anlauf, als wir nach einer<br />

Woche Bergwanderurlaub in der Silvrettagruppe mit über 3000 Höhenmeter<br />

in den Beinen ins neue Quatier nach Pfunds umsetzten, wo wir eine weitere<br />

Woche verbrachten. Allerdings reizten uns hier im Dreiländereck nicht die<br />

spektakulären Skigebiete Fiss, Ladis, Servaus, Samnaun und Naunders, wo<br />

hunderte von Seilbahnen und Versorgungsstraßen bis in die höchsten Gipfellagen<br />

die Natur verschandeln. Wie stiegen lieber in den dazwischenliegenden<br />

noch unberührten Tälern über urige Almen und wenig besuchten<br />

Schutzhütten in die Berge, so, wie wir jetzt wissen, auch König Friedrich II.<br />

gern gewandert war. Die kurze Fahrstrecke an einem regnerischen Tag<br />

schien dafür wie geschaffen. Das Problem bestand aber darin, das der angegebene<br />

Ort Brennbüchel heutzutage längst nicht mehr selbständig ist. Er ist<br />

im Autoatlas nicht zu finden. Ich hatte nur gelesen, dass er bei Imst ist und<br />

dass der König damals angeblich aus dem Pitztal gekommen sei. Man müsste<br />

die Kapelle also an einer alten Straße zum Inn finden, die jetzt möglicher<br />

weise als Wanderweg gekennzeichnet ist.<br />

Die heutige Landstraße ins Pitztal führt von Imst kommend, aus einem<br />

Kreisverkehr auf einer hohen Brücke über den Inn. So sehr wir uns aus anstrengten,<br />

hinter den regennassen Scheiben war kein Wanderweg oder Hinweisschild<br />

zu erkennen. Schon waren wir in Arzl angelangt. Glockenläuten<br />

von der nahen Kirche erinnert uns daran, das heute Sonntag ist, das Touristenbüro<br />

hatte natürlich geschlossen. Bei diesem Regenwetter sind auf der<br />

Straße kaum Menschen zu sehen. Ein angesprochener Tourist aus den Niederlanden<br />

versucht mir auf englisch klar zu machen, dass er hier fremd sei.<br />

Einer Gruppe Italiener, die vor einem Hotel stehen, kann ich mich auch<br />

nicht so recht verständlich machen. Nach was soll ich eigentlich fragen?<br />

„Da, das ist eine Einheimische.“ Eine junge Frau, eine Regenjacke überge-


worfen, die Schnürsenkel der Trekkingschuhe offen, strebt den Geldautomaten<br />

an der Bank zu. Ich spreche sie an, noch bevor sie die Karte einsteckt.<br />

Fehlanzeige! Sie hat niemals etwas von einem sächsischen König gehört.<br />

Nach dem Gottesdienst müssten doch einige in der nahen Kneipe hängen geblieben<br />

sein. Richtig, neben der Kirche ist ein modernes Wiener Café. An<br />

der Tresen stehen rauchend ein paar junge Männer und schwatzen mit der<br />

Bardame. Die meisten Tische sind besetzt, man trinkt Kaffee und, wie in Tirol<br />

üblich, auch vormittags Rotwein. Am runden Stammtisch eine Gruppe<br />

alter Männer, zwei in Trachtenjacken. Das müsste unsere Zielgruppe sein.<br />

Ich unterbreche deren angeregtes Gespräch: „Grüß Gott, entschuldigen Sie<br />

bitte. Vielleicht können Sie uns helfen. Ich suche ein Kapelle, die man dort<br />

errichtet hat, wo ein sächsischer König vor 150 Jahren tödlich verunglückt<br />

ist.“ Offensichtlich hatte ich meine Frage etwas zu sehr Sächsisch gestellt,<br />

sodass die Männer, in ihren Dialekt vertieft, mich nicht so schnell verstanden.<br />

Ich wiederholte meine Frage und strenge mich an, möglichst hochdeutsch<br />

zu sprechen. Nun reden alle gleichzeitig los, jeder will mir den richtigen<br />

Weg dahin erklären, natürlich in ihren Tiroler Mundart und ich glaube<br />

sogar, dass einer in seinen Eifer ins rätoromanische verfiehl. Da ist von einer<br />

Schreinerei die Rede, die aber stillgelegt ist, von Brücken, Bahnhof und<br />

Gasthöfen usw. Schließlich sprach einer das Machtwort. „So geht das nicht,<br />

bleiben 'S ein Weilchen do sitzn, i' hol oane Karte.“<br />

Wenige Minuten später erklärt er uns dann bei einem guten Cappuccino,<br />

dass wir die „Königskapelle“ suchen, die aber nicht in Arzl, sondern unten<br />

am linken Innufer ist, und aus dem Kreisverkehr heraus in Richtung Bahnhof<br />

zu finden sei. Im Kreisverkehr sei auch ein kleiner Parkplatz mit einer<br />

Info-Tafel. Und, der sächsische König sei heutzutage noch sehr beliebt in<br />

Tirol, weil er damals so manches Neue in Gang gesetzt hätte. Die Kapelle<br />

würde von den Nachkommen gepflegt, und weil es ein Denkmal ist – natürlich<br />

mit staatlichen Fördermitteln. Nebenbei erfahren wir noch von dem<br />

freundlichen Tiroler, dass er sich jetzt in den Ruhestand befindet und in den<br />

letzten zehn Jahren sein Geld mit Fenstern und Türen für das Baugeschehen<br />

in Dresden gemacht habe.<br />

Wenige Minuten später fahren wir von Arzl kommend in den belebten<br />

Kreisverkehr ein und ehe ich es mich versehe bin ich an der Info-Tafel vorbei<br />

und auch die Ausfahrt zum Bahnhof verpasse ich und in der Hektik lande<br />

ich in auf der Straße Richtung Insbruck/Autobahn. Zum Glück ist vor<br />

dem Tunnel noch ein Notparkplatz. Ich kann wenden und noch einmal gemächlich<br />

meine Runde drehen. Nun geht es steil hinab<br />

zum Inn, links eine Schreinerei und ein Dutzend weitere<br />

Häuser, Stop, da ist ja schon das Ortsausgangsschild<br />

„Königskapelle, Gde. Karrösten“. Brennbüchel ist heute<br />

zusammen mit dem Weiler Königskapelle ein Ortsteil<br />

von Karrösten, welches sich am Hang des Tschiri-<br />

7


8<br />

gant (2372 m) direkt bei der Mündung des Grugltals in das Inntal – im<br />

Oberinntal befindet.<br />

Mit Schirm und Kamera bewaffnet<br />

treten wir unsere Erkundung an.<br />

Auf dem Inn, der hier in eine<br />

Schlucht gepresst, Stromschnellen<br />

bildet, treiben Schlauchboote mit<br />

vor Vergnügen schreienden Raftingsteilnehmer.<br />

Man ist gerade dabei<br />

ein Boot weiteres einzusetzen.<br />

Das Hinweisschild „Königskapelle“<br />

in anderer Richtung ist unmissverständlich.<br />

Und da ist endlich<br />

das gesuchte Objekt inmitten moderner<br />

Wohnhäuser. Der Weg, an<br />

dem sich das Unglück ereignete,<br />

windet sich in einer engen Kurve<br />

daran vorbei, kaum breiter als damals<br />

und ist heutzutage der Innradweg.<br />

Schicksal, bei unserer Radtour<br />

2006 hätten wir nur noch zehn<br />

Kilometern weiterfahren müssen.<br />

Eine Hinweistafel berichtet, dass<br />

die Kapelle 1855 von der Königin- Die Königskapelle<br />

Witwe Maria von Sachsen errichtet und 1958-60 durch Friedrich Christian,<br />

Markgraf von Meißen, Herzog von Sachsen renoviert und als Sachsen-Gedenk<br />

und Familien-Begräbisstätte ausgebaut wurde.<br />

Die Familienbegräbnisstätte hinter der Königskapelle<br />

Hinter der Kapelle befinden<br />

sich die Grabstätten<br />

dieses Friedrich Christian<br />

(geb. 1893, gest. 1968)<br />

und seiner Ehefrau Elisabeth<br />

Helene Markgräfin<br />

von Meißen und Prinzessin<br />

von Thurn und Taxis<br />

(geb. 1903, gest. 1976)<br />

und drei weiteren unbeschrifteten<br />

Platten, die<br />

offensichtlich für die<br />

Nachkommen gedacht<br />

sind. 3<br />

3 Friedrich August II. verstarb kinderlos. In den Gräbern ruhen keine direkte Nachkommen.


Merkwürdig, als Friedrich III. 1918 abdankte, hatte er doch für sich und seine<br />

Erben auf Sachsen verzichtet. Warum schmücken sich dessen Nachkommen<br />

immer noch mit Titeln der schon seit Jahrhunderten nicht mehr existierenden<br />

Markgrafschaft Meißen und dem Herzogtum Sachsen? Den eigentlichen<br />

Familiennamen „von Wettin“ suche ich vergeblich.<br />

Nachdenklich und dennoch froh darüber, dass es die Kapelle noch gibt und<br />

dass sie sich in einen guten Zustand befindet, machen wir unsere Fotos. Man<br />

könnte sich auch im Haus gegenüber den Schlüssel holen, aber ein Blick<br />

durch die Fenster zeigt, das der schlicht ausgestattete Innenraum dies nicht<br />

erforderlich macht. Unter dem Regenschirm bei heftigen Regen verlassen<br />

wir den Ort. Auf den Weg in unser neues Quartier frage ich mich, wie es damals<br />

zu den Unglück gekommen ist.<br />

Wer des Inntal schon bereist hat, wird erfahren haben, dass es hier ein uralter<br />

Verbindungsweg, die „via claudia“ die Alpen überquert. Der römische<br />

Kaiser Claudius ließ sie errichten. Sie führte durch das Etschtal über den<br />

Rechenpass ins Inntal und stellte in den ersten nachchristlichen Jahrhunderten<br />

die wichtigste<br />

Verbindung zwischenAdria/Poebene<br />

und dem Donauraum<br />

dar. Sie wurde<br />

aber das ganze Mittelalter<br />

hindurch<br />

weiter in stand gehalten<br />

und genutzt<br />

und um 1720 zur<br />

Reichstraße ausgebaut<br />

und zwar immer<br />

noch auf der alten<br />

Trasse und kaum<br />

verbreiteter Straßen-<br />

führung.Ausgrabungen ergaben,<br />

dass die Wagen in<br />

Via Claudia. Erhaltene Brücke über den Inn an der Zollstelle Alt<br />

Finstermünz .<br />

römischer Zeit eine Spurweite von einheitlich 107 cm und im Mittelalter sogar<br />

nur 100 cm aufwiesen. Die Radabstände der Reisewagen um 1800 waren<br />

nur unerheblich breiter. Wegen der vielen Talverengungen war am Ufer des<br />

Inn häufig kein Platz. Man musste teilweise bis zu 300 m aus den Tal heraus<br />

auf steile Hanglagen ausweichen. Auch sumpfige Stellen zwangen zum Ausweichen<br />

auf den Berg. Die Straße war an vielen Stelle nur mit Gefahr zu befahren.<br />

Genau an der Unglücksstelle ist ein solches ausgesetztes Straßenstück.<br />

Die Via Claudia verlässt an dieser Stelle den Inn und führt steil hoch<br />

nach Karrösten. War das der Grund?<br />

9


10<br />

Nach unserem Urlaub begann ich<br />

weiter zu recherchieren und fand<br />

zu dem Thema in der TIROLER<br />

TAGESZEITUNG vom 10. Juli<br />

1997 einen Beitrag, welchen ich<br />

dem Leser nicht enthalten möchte.<br />

Darin erinnert sich der Journalist<br />

Herbert Buzas.<br />

„Im November 1949 übernachtete<br />

Rekonstruktion eines römischen Reisewagens<br />

ich im Zimmer 2 des Gasthofes<br />

'Neuner' in Brennbichl bei Imst. Von der Wand herab wachte über meinen<br />

Schlaf ein würdiger Herr, der mich aus einem goldenen Rahmen hinter Glas<br />

anschaute. In einer Vitrine entdeckte ich ein weißes Kopfkissen mit großen,<br />

vertrockneten Blutflecken. Erst als ich am Morgen den Raum verließ, wurde<br />

mir klar, daß ich an einer historischen Stätte in Morpheus Armen gelegen<br />

hatte. Eine Marmortafel über der Türe verriet mir nämlich, wer der hoheitsvoll<br />

wirkende Herr auf dem Bild war.<br />

'In diesem Zimmer verschied Seine Majestät, Friedrich August II. von<br />

Sachsen, am 9. August 1854 vormittag gegen 11 Uhr an den Folgen<br />

der erlittenen Kopfverletzung.'<br />

Die 87 Jahre alte Theresia Mayr in Imst brachte in einem Gespräch Licht ins<br />

Dunkel eines Verkehrsunfalls, der 95 Jahre zuvor als Sensation die Gemüter<br />

der Zeitgenossen erschüttert hatte. Frau Mayr erzählte: 'Meine Mutter war,<br />

als der König von Sachsen Tirol bereiste, Gastwirtin in Brennbichl. Anfang<br />

August war Friedrich August II. mit dem Pfarrer von Keniaten durch das<br />

Sellrain nach Kühtai und von dort über Silz nach Imst gewandert. 4 Der König<br />

kannte bereits ganz Tirol, das Pitztal ausgenommen. Dieses Tal wollte<br />

er am 9. August erkunden, nachdem er im Gasthof 'Post' in Imst übernachtet<br />

hatte. Am frühen Morgen ließ er einspannen und fuhr mit einem Begleiter<br />

gegen Brennbichl. In der Nähe der Innbrücke war der Weg ziemlich<br />

schlecht, doch der Postillon wagte es nicht, den hohen Gast zum Aussteigen<br />

zu veranlassen.'<br />

Theresia Mayrs Erzählung über das Geschehene, das sie von ihrer Mutter<br />

immer wieder geschildert bekommen hatte, nahm nun die Präzision eines<br />

modernen Gendarmerieberichtes an: In der Nähe der Brücke verließ der König<br />

aus eigenem Antrieb den Wagen. Er fiel beim Aussteigen so unglücklich<br />

zwischen die beiden Pferde, daß eines der scheu gewordenen Tiere ausschlug<br />

und dabei die Hirnschale des Sachsenherrschers verletzte. Blutüberströmt<br />

und bewußtlos wurde der König auf einer Bahre in das Gasthaus in<br />

Brennbichl getragen, wo ihm der Kaplan die Letzte Ölung spendete.<br />

4 Das sind 42 km Luftlinie, zu Fuß mindestens 60 km und es geht über mehr als 2000 m<br />

Hohe Berge.


Theresia Mayr hielt die Tränen zurück, als sie fortfuhr: 'Um 11 Uhr ist König<br />

Friedrich August, ohne zu Bewußtsein gekommen zu sein, in Anwesenheit<br />

meiner Eltern auf einem weißen Polster verschieden. Jetzt erst erfuhr<br />

meine Mutter, daß der Tourist, der vor ihren Augen entschlummert war, der<br />

König der Sachsen war. Seine Leiche wurde nach Dresden überführt.'<br />

Ein Jahr später kam die Königinwitwe mit ihrem Hofstaat nach Brennbichl,<br />

um bei der Einweihung der zu Ehren ihres Gemahls errichteten Gedächtniskapelle<br />

dabeizusein. Sie mietete das Sterbezimmer des Königs auf 50 Jahre.<br />

Das Totenbett wurde verschnürt und versiegelt. Immer wieder kamen sächsische<br />

Prinzen zu den Jahresgottesdiensten nach Brennbichl. 'Meine Mutter<br />

bekam zum Dank für ihren Beistand in der Sterbestunde des Königs und für<br />

die 50jährige Betreuung des Sterbezimmers vom sächsischen Hof eine<br />

schwere Goldkette geschenkt. Sie ist heute noch in unserem<br />

Familienbesitz.'“<br />

Soweit der Bericht aus der Tiroler<br />

Tageszeitung. Ja, hätten<br />

wir das gewusst, es wäre noch<br />

Zeit gewesen das Gasthaus<br />

„Neuner“ aufzusuchen. Die<br />

spätere Nachfrage ergab, dass<br />

es das Sterbezimmer wegen eines<br />

Brandes nicht mehr gibt,<br />

aber das man das Andenken an<br />

Friedrich II. durch eine Tafel<br />

im Haus immer noch aufrecht<br />

erhält.<br />

Bemerkenswert finde ich noch, dass der König bis zum 13. August 1854 im<br />

Sterbezimmer aufgebahrt blieb aber schon am 16. August die feierliche Beisetzung<br />

in der katholischen Hofkirche in Dresden statt fand. Man brachte<br />

den Verstorbenen am 13. August gegen 1 Uhr mittags in feierlichem Zug<br />

über den Fernpass nach Biessenhofen, das schon 1852 Anschluss an die Eisenbahn<br />

erhalten hatte. Von da aus gelangte der<br />

Sarg mit der Eisenbahn über Augsburg, Hof und<br />

Leipzig nach Dresden. Unglaublich, die erste Eisenbahn<br />

Deutschlands wurde 1833 in Betrieb genommen,<br />

Dresden-Leipzig 1839 und schon 15 Jahre<br />

später gab es ein geschlossenes Schienennetz<br />

von den Alpen bis Dresden!<br />

Standbild auf dem Neumarkt<br />

in Dresden<br />

11<br />

Bleibt noch zu berichten, dass das von Ernst Hähnel<br />

geschaffene Standbild des Königs Friedrich August<br />

II. auf den Dresdner Neumarkt steht.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!