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Ausgabe 2 - TUI ReiseCenter

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<strong>Ausgabe</strong> 2


(Ent)Spannung,<br />

wie sie im<br />

Buche steht


Die kostenlose<br />

Urlaubslektüre von<br />

<strong>TUI</strong> <strong>ReiseCenter</strong><br />

und Thalia speziell<br />

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Reisens offen steht. Mit über 90 Standorten in ganz Österreich ist<br />

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Studien- oder Busreise, ob Kreuzfahrt oder Individualreise – wo<br />

immer Sie das bekannte Lächeln der World of <strong>TUI</strong> sehen, lacht Ihnen<br />

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Heiteres oder Besinnliches, ob Wissen oder Information, ob ferne Länder oder<br />

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wünscht Ihnen schon heute Urlaubsfreuden, wie sie im Buche stehen!


8<br />

Taschenbuch Klassiker<br />

Friedrich Torberg - Die Tante Jolesch ............................ 98<br />

Heimito von Doderer - Die Merowinger ....................... 98<br />

Heimito von Doderer - Ein Mord den jeder begeht ....... 99<br />

Joseph Roth - Radetzkymarsch ...................................... 99<br />

Leo N. Tolstoi - Anna Karenina ................................... 100<br />

Umberto Eco - Der Name der Rose ............................. 100<br />

Jane Austen - Stolz und Vorurteil................................. 101<br />

Fjodor M. Dostojewski - Die Brüder Karamasow ........ 101<br />

Jules Verne- Reise zum Mittelpunkt der Erde .............. 102<br />

Jules Verne - In 80 Tagen um die Welt ......................... 102<br />

John Steinbeck - Straße der Ölsardinen ....................... 103<br />

Jack London - Wolfsblut ............................................. 103<br />

Miguel de Cervantes Saavedra - Don Quijote .............. 104<br />

Herbert G. Wells - Die Zeitmaschine .......................... 104<br />

�omas E. Lawrence - Die sieben Säulen der Weisheit 105<br />

Johann W. von Goethe - Italienische Reise .................. 105<br />

�omas Mann - Tod in Venedig .................................. 106<br />

�omas Mann - Zauberberg ........................................ 106<br />

Charles Dickens - David Copperfield .......................... 107<br />

Charles Dickens - Oliver Twist .................................... 107<br />

Edgar Allan Poe - Grusel- u. Schauergeschichten ......... 108<br />

Daniel Defoe - Robinson Crusoe ................................. 108<br />

Homer - Odyssee ........................................................ 109<br />

Hape Kerkeling - Ich bin dann mal weg ...................... 109


Leseproben Neuerscheinungen<br />

Marieke van der Pol - Brautflug ..................................... 10<br />

Jeffery Deaver - Der Täuscher ........................................ 18<br />

Fred Vargas - Der verbotene Ort .................................... 25<br />

Sandra Gulland - Die Sonne des Königs ........................ 31<br />

Jan Winter - Erzähl mir von den weissen Blüten ............ 38<br />

Ann Cleeve - Im kalten Licht des Frühlings ................... 46<br />

Oliver Bottini - Jäger der Nacht .................................... 54<br />

Kate Saunders - Liebe macht lustig ................................ 61<br />

Melanie Rose - Mein Tag ist Deine Nacht ..................... 68<br />

Val McDermid - Nacht unter Tag .................................. 75<br />

Arne Dahl - Totenmesse ................................................ 81<br />

David Gilmour - Unser allerbestes Jahr ......................... 91<br />

9


Marieke van der Pol<br />

Brautflug<br />

Roman<br />

ISBN 3-8105-1580-9<br />

© Krüger Verlag<br />

10<br />

Marieke van der Pol machte eine Schauspielausbildung<br />

und arbeitete viele Jahre für �eater und Film. Dann<br />

wechselte sie die Seiten und ist heute eine der be-<br />

kanntesten Drehbuchautorinnen der Niederlande. Für<br />

ihr Werk wurde sie mehrfach ausgezeichnet, u.a. für<br />

ihr Drehbuch zum Oscar-nominierten Film ›Die Zwil-<br />

linge‹. ›Brautflug‹ ist Marieke van der Pols Romande-<br />

büt, das in viele Sprachen übersetzt und mit Rutger<br />

Hauer fürs Kino verfilmt wurde. Die Autorin lebt in<br />

Amsterdam und schreibt an ihrem zweiten Roman.


So sah es also aus, ihr Schiff, ihre Arche. Die silbergraue Kabine mit den<br />

gebogenen Wänden, der Teppich im Durchgang in beruhigendem Blau, links<br />

drei Sitze und rechts zwei, bis tief ins Heck hinein. Willkommen an Bord. Zwei<br />

Stewards und eine Stewardess, die Uniform in der gleichen beruhigenden Farbe,<br />

nahmen ihre Jacken in Empfang und verstauten sie schnell und effizient im<br />

Garderobenraum im hinteren Teil des Flugzeugs. Sie wiesen den Passagieren ihre<br />

Plätze an, eine gut vorbereitete Operation. Das spendete allgemein Vertrauen,<br />

und innerhalb von zehn Minuten saßen alle. Natürlich waren die Plätze auf<br />

die jeweiligen Namen, vielleicht sogar auf ihr individuelles Gewicht ausgestellt,<br />

doch für den jungen Mann, der Frank hieß, galten anscheinend andere Regeln.<br />

Er leitete Ada mit festem Griff zu zwei Sitzen irgendwo in der Mitte, als wäre<br />

es genauso gedacht. Esther und Marjorie ließen sich ohne Zögern hinter ihnen<br />

auf die Sitze fallen. Ada wusste genau, dass sie das dieses Jungen wegen taten, als<br />

wollten sie ihn nicht loslassen, jetzt, wo sie ihn einmal entdeckt hatten. Es war<br />

ein ziemliches Hin und Her, einige Passagiere mussten ein Stück weiter nach vorn<br />

oder hinten rücken, doch es war alles kein Problem, denn alle waren zu aufgeregt,<br />

um irgendwelche Schwierigkeiten zu machen. Die Journalisten waren direkt bis<br />

zum Heck durchgelaufen und klappten dort die Tischchen für ihre Schreibmaschinen<br />

aus.<br />

Das Handgepäck lag über ihren Köpfen in den Netzen, die Erfolgskoffer<br />

mussten unter den Sitzen verstaut werden. Marjorie machte ihren auf, um den<br />

Schleier ordentlich hineinzufalten. Ada, die nicht so recht wusste, wie sie sich<br />

mit dem Unbekannten an ihrer Seite verhalten sollte, setzte sich und drehte sich<br />

sofort nach hinten um. Die Reisende, die hier so lässig über der Lehne hängt, das<br />

bin ich. Marjorie lachte ihr zu. »Schön, nicht?«<br />

Es war eigentlich keine Frage, aber sie nickte trotzdem.<br />

»Der Geschmack der Neuseeländer scheint ziemlich konservativ zu sein«, sagte<br />

Esther und ließ den Brautschleier ihrer Nachbarin prüfend durch die Finger gleiten,<br />

»davon werde ich profitieren.« Das Urteil in ihren Augen war Ada nicht entgangen.<br />

Noch nie zuvor hatte sie so eine Frau aus solcher Nähe heraus betrachtet.<br />

Marjorie faltete und stopfte so lange, bis die Meter weggleitenden Tülls ihr<br />

11


gehorchten. Und Esther würde davon profitieren, von diesem konservativen Geschmack.<br />

Die langen, schwarzen Wimpern hoben und senkten sich kühl, blinzeln<br />

konnte man das nicht nennen. »Ich bin Modeschöpferin.«<br />

In dem Kupferstich mit dem Totenkopf pudert die Frau sich zum letzten Mal<br />

die Nase, erhebt sich schwebend von ihrem Schemel, schlägt die weiten Falten<br />

ihres Abendkleides anmutig zurück und trippelt zum Schauspielhaus, nirgendwo<br />

ein Schädel zu sehen.<br />

12<br />

»Heiratest du?«, fragte Marjorie.<br />

»Das habe ich vor.«<br />

»Und dann auch noch Kinder bekommen?«<br />

Esther schob den letzten Rest widerspenstigen Tülls von sich, ihre Armreifen<br />

klimperten heftig. »Vielleicht werde ich selber Stoffe entwerfen«, sagte sie.<br />

»Let me be by myself in the evenin’ breeze …«<br />

Es wurden Zeitungen und Kaugummipäckchen verteilt. Ein Steward lief nach<br />

vorne. »Guten Tag, meine Damen und Herren … ich weiß nicht, ob meine Stimme<br />

bis ins Heck zu hören ist, jedenfalls heiße ich Sie im Namen der Besatzung<br />

herzlich willkommen an Bord …« Das Kabinenpersonal arbeitete auf Hochtouren,<br />

wie eine gut geölte Maschine, sie mussten ihrem Namen alle Ehre machen,<br />

das Kaugummi trug seinen Teil dazu bei, verstehen tat Ada das allerdings nicht.<br />

Ihr neuer Bekannter wusste Bescheid.<br />

»Für die Ohren, beim Starten.«<br />

Ada starrte verlegen auf das Päckchen und versuchte sich vorzustellen, wie das<br />

ging.<br />

»Stimmt was nicht?«<br />

Sie hasste ihre eigene Unwissenheit.


»Muss man erst darauf kauen?«<br />

Er sah sie weiter an, seine Augen blitzten vergnügt auf.<br />

»Ja.«<br />

Das Einzige, was sie tun konnte, war, darauf zu achten, was die anderen taten.<br />

Sie drehte sich zum Fenster, sah den Herzog von Gloucester vor dem Kalkstrich<br />

stehen, und zeigte nach draußen, erleichtert, sieh nur.<br />

Frank beugte sich über sie herüber, sie hielt den Atem an. Er hatte ein scharfes,<br />

irgendwie arrogantes Profil, mit einer Nase, die man nicht wirklich als Hakennase<br />

bezeichnen konnte, die aber durchaus respekteinflößend wirkte. Ein Herrschergesicht.<br />

Auch andere hatten den Herzog entdeckt. Jeder versuchte, durch die kleinen<br />

Fenster hindurch das Geschehen zu verfolgen. Sie drückten sich die Nasen am<br />

Glas platt. Marjorie tippte sie an, ob sie eigentlich wussten, dass er ein Onkel von<br />

Königin Elizabeth war? Das würde auch ihre Königin werden. Die Stewardess<br />

lief zu der offenen Tür, winkte den Fotografen zum letzten Mal, schloss dann die<br />

schwere Tür und verriegelte sie. Sie waren allein.<br />

In der Kabine leuchteten die Deckenlichter auf.<br />

Ein Ruck ging durch das Flugzeug und erschütterte die Reihen – der Fliegende<br />

Holländer rollte schwerfällig zur Startlinie. Die drei Konkurrenten der Handicapklasse<br />

würden mit fünf Minuten Abstand voneinander aufsteigen, sie waren<br />

als Erste an der Reihe. Wieder winkten die Wegfliegenden, diesmal hinter den<br />

kleinen Fenstern. Ada nicht, sie hatte genug vom ziellosen Winken, und Frank<br />

tat es auch nicht.<br />

An der Kalklinie blieb das Flugzeug stehen, einen Moment lang neigten sich<br />

alle vornüber, sie hingen in ihren Gurten. Draußen erhob der Herzog seine grüne<br />

Flagge. Eine eigenartige, gespannte Stille erfüllte die Kabine. Dann schwoll das<br />

Geräusch der Motoren dumpf und dunkel an. Ada schloss die Augen. Vater unser<br />

im Himmel. Die Stewardess setzte sich als Letzte und schnallte sich schnell an.<br />

Sie zeigte den Leuten, die in der Nähe saßen, ihre Armbanduhr. »Noch siebzig<br />

13


Sekunden.« Ada wimmerte leise, und Frank ergriff ihre Hand, aber da sich das<br />

nicht gehörte, zog sie sie vorsichtig zurück. Dabei überkam sie allerdings das<br />

Gefühl, dass sich dies ebenso wenig gehörte. Glücklicherweise schauten alle nur<br />

auf den Herzog.<br />

14<br />

Ein Moment äußerster Spannung folgte, dann wurde die Flagge gesenkt.<br />

»Gas geben«, sagte Frank.<br />

Mit einem kräftigen Ruck stoben sie über die Startlinie, vorbei an den Männern<br />

mit den Walkie-Talkies, die Startbahn entlang. Als sie in ihrem Sitz nach hinten<br />

gedrückt wurde, spürte sie nun zum zweiten Mal die Gewalt, während ihr das<br />

Herz in der Brust raste. Vater unser im Himmel. Unter dem Flugzeug knallte und<br />

wummerte es.<br />

»Wir sind in der Luft«, rief die Stewardess, »fünfundzwanzig Sekunden nach<br />

dem Start, und wir sind in der Luft! Noch nicht mal auf der Hälfte der Startbahn!«<br />

Das Flugzeug neigte sich zur Seite, wackelte, sank und stieg, dasselbe<br />

grässliche Gefühl im Magen wie gestern.<br />

»Zehntausend Pferde galoppieren uns in die Luft«, bemerkte Frank.<br />

Aber Hufe müssen doch Funken sprühen. Sie sah Getrappel im luftleeren<br />

Raum, ein senkrechter Fall nach unten, ein blutiger Berg aus gebrochenen<br />

Knochen und zertrümmerten Schädeln, aus denen Hirn herausgespritzt ist. Dein<br />

Wille geschehe. Sie krallte sich an die Sitzlehne und richtete ihren Blick auf den<br />

Teil des Flügels, den sie sehen konnte. Sie hingen schief. Das ging nicht gut. Dass<br />

der Mensch fliegen könnte, war ein hochmütiger Irrtum. Vergib uns.<br />

Über dem Gebrüll der Motoren erklang Gesang aus Mädchenmündern. »Hup,<br />

Holland, hup, lasst den Löwen nicht im Regen stehen.« Fröhliche Seelen hatten<br />

eine Fassung für besondere Gelegenheiten gedichtet: Auf dem Fußballplatz<br />

feierten sie keine herausragenden Erfolge, doch hoch in der Luft würde Holland<br />

vielleicht Champion werden können. Von hinten ertönte ein heiseres Lachen.<br />

»Was für ein schlichtes Lied.«<br />

Frank grinste. Marjorie sang aus voller Kehle mit. Niemand schien etwas zu


merken. Wir fallen herunter, wollte sie schreien, aber ihre Kiefer wollten sich<br />

nicht bewegen. In einem Angstkrampf saß sie in ihren Sitz geklebt und fühlte,<br />

wie das Flugzeug machtlos vibrierend um seine letzten Momente in der Luft<br />

kämpfte.<br />

»Was ist los?«<br />

Sie konnte ihn nicht ansehen, denn dann würde sie ihren Blick von dem Flügel<br />

lösen müssen.<br />

»Hast du Angst?«<br />

Mit einer winzigen Geste zeigte sie nach draußen.<br />

»Wir fliegen eine Kurve, das ist alles.« Er sah sie weiter an. Das Flugzeug kippte,<br />

richtete sich wieder auf und kippte wieder. »Es passiert nichts. Du musst dich<br />

entspannen, dann macht es Spaß. Wie auf dem Jahrmarkt.« Sie starb, und in der<br />

Ferne schrie jemand etwas von Jahrmarkt.<br />

»Denkst du, dass wir abstürzen, wenn du redest?«<br />

Das Reißen von Papier, er packte das Kaugummi aus. »Wenn du Probleme<br />

mit dem Luftdruck hast, musst du kauen. Bitte schön.« Er hielt ihr etwas vor<br />

den Mund. Sie schüttelte den Kopf, sie konnte nicht, nicht jetzt. Er lachte und<br />

steckte es sich selbst in den Mund.<br />

»Na, dann nicht …«<br />

Seine Hand glitt ruhig über die ihre hinweg, die sich wie eine Kralle um die<br />

Lehne geklammert hatte. Ada spürte die angenehme, trockene Wärme.<br />

»Konzentrier du dich nur, dann bleiben wir wenigstens in der Luft.«<br />

Behutsam bewegte sie die Augen in seine Richtung. Er klopfte ihr freundlich<br />

auf die Hand.<br />

»Ich hoffe, dass du bis Christchurch durchhältst.«<br />

Inzwischen sangen immer mehr Leute mit, die Stimmung wurde ausgelassener.<br />

Frank stimmte fröhlich ein, bellend und kauend. Ab und zu nickte er ihr<br />

aufmunternd zu.<br />

15


Ada löste die Hand, mit der sie die Lehne umfasste, ein wenig und dachte<br />

nach. Aber das Flugzeug rumpelte und stieß durch die Wolkenschicht, und das<br />

machte das Nachdenken nicht gerade einfacher. Erst als die letzten Wolkenfetzen<br />

wie Schaum am Rumpf abgeglitten waren und sie in eine bildschöne, neue Welt<br />

hineinflogen, das Flugzeug scheinbar zur Ruhe gekommen war und die Kabine in<br />

blendendes, weißes Sonnenlicht gebadet wurde, erst dann ging ein Seufzer durch<br />

Adas Körper. Sie beendete ihr Gebet, entspannte die Finger, schloss die Augen<br />

und ließ die Sonne über ihr Gesicht gleiten.<br />

Irgendetwas hatte es mit diesem Unbekannten auf sich. Keine halbe Stunde später<br />

– inzwischen flogen sie mit Dauergeschwindigkeit und schienen schon zwei<br />

Minuten vor ihrem eigenen Zeitplan zu liegen – hing Esther an seiner Sitzlehne<br />

auf dem Gang und Marjorie steckte ununterbrochen ihren Kopf zwischen ihren<br />

Sitzen hindurch. Ada saß nun wieder wie festgeklebt auf ihrem Sitz, denn sie hatte<br />

entdeckt, dass zwischen einigen Paneelen Licht hindurchdrang, und außerdem<br />

kräuselte sich hier und da eine dünne Schliere Rauch oder Nebel in die Kabine.<br />

Das Geräusch der Motoren blieb dumpf und bedrohlich, und manchmal heulten<br />

sie ohne ersichtlichen Grund auf. Alles in der Kabine vibrierte. Sie machte sich<br />

große Sorgen deswegen und klammerte sich am Lächeln auf dem Gesicht der<br />

Stewardess fest. Das Gewirr und Gesumm um den jungen Mann entging ihr<br />

jedoch nicht.<br />

16<br />

Marjorie zog ein Foto ihres Verlobten hervor.<br />

»Er heißt Hans. Hans Doorman. Hübsch, nicht wahr? Er ist schon zwei Jahre<br />

dort, und jede Woche schreibt er einen Brief. Er hat sehr schöne Hände. Er arbeitet<br />

als Zimmermann, dabei hat er eigentlich studiert!«<br />

Ada versuchte, sich die Hände von Derk ins Gedächtnis zu rufen. Sie hatte sie<br />

auf ihrem Körper gespürt, die verzweifelten Hände eines Ertrinkenden.<br />

»Er musste unterschreiben, dass er zwei Jahre lang als Gelegenheitsarbeiter<br />

einspringt, wo er gerade gebraucht wird, sonst hätte er keinen Zuschuss bekommen.«


Frank reichte ihr das Foto weiter. Es zeigte einen Jüngling in Knickerbockern<br />

auf einer Düne, der sinnend in die Ferne sah. »Bei mir ist es genauso. Ich habe<br />

auch einen Vertrag. Plan-Auswanderer, haben sie das genannt. Ich muss auch erst<br />

einmal abwarten. Ich bin ein Standard-Emigrant.« Esther beugte sich zu ihm herüber<br />

und sagte mit heiserer Stimme, dass er gar nicht danach aussähe. Sie nahm<br />

das Foto von Ada, würdigte es aber keines Blickes.<br />

»Ich will nicht einfach irgendeinen Job machen«, sagte Marjorie. »Ich bin diplomierte<br />

Krankenschwester, das ist schließlich schon was.« Sie schnaubte entrüstet.<br />

»To be honest, ich will überhaupt nicht arbeiten, ich will heiraten … und sobald<br />

wir ein Haus haben, bekommen wir Kinder.«<br />

17


Jeffery Deaver<br />

Der Täuscher<br />

Roman<br />

ISBN 3-7645-0296-7<br />

© Blanvalet Verlag<br />

18<br />

Jeffery Deaver, laut �e Times „der beste Autor<br />

psychologischer �riller weltweit“, hat sich nach<br />

dem ersten großen Erfolg als Schriftsteller aus seinem<br />

Beruf als Rechtsanwalt zurückgezogen und lebt nun<br />

abwechselnd in Virginia und Kalifornien. Seine<br />

Bücher wurden bislang in 150 Länder verkauft, in 25<br />

Sprachen übersetzt und haben ihm bereits zahlreiche<br />

renommierte Auszeichnungen eingetragen. Die Ver-<br />

filmung seines Romans „Die Assistentin“ unter dem<br />

Titel „Der Knochenjäger“ (mit Denzel Washington<br />

und Angelina Jolie in den Hauptrollen) war weltweit<br />

ein sensationeller Kinoerfolg und hat dem faszinie-<br />

renden Ermittler- und Liebespaar Lincoln Rhyme und<br />

Amelia Sachs eine riesige Fangemeinde erobert.


Irgendetwas stimmte nicht ganz, aber sie konnte es nicht genau benennen.<br />

Wie ein Schmerz, der irgendwo in deinem Körper vage wieder aufflackert.<br />

Oder ein Mann, der auf dem Heimweg hinter dir geht … Etwa derselbe Kerl,<br />

der in der U-Bahn ständig zu dir herübergeschaut hat?<br />

Oder ein dunkler Punkt, der sich deinem Bett nähert und plötzlich verschwunden<br />

ist. Eine giftige Spinne?<br />

Doch dann sah der Besucher, der auf ihrem Wohnzimmersofa saß, sie lächelnd<br />

an, und Alice Sanderson vergaß ihre Sorge – falls man das überhaupt als eine<br />

Sorge hätte bezeichnen können. Arthur war nicht nur intelligent und ziemlich<br />

durchtrainiert. Er hatte vor allem ein großartiges Lächeln.<br />

»Wie wär’s mit einem Glas Wein?«, fragte sie und ging in die kleine Küche.<br />

»Gern. Was immer du gerade im Haus hast.«<br />

»Das macht echt Spaß – mitten in der Woche die Arbeit zu schwänzen. Man<br />

sollte meinen, wir seien zu alt für so was. Aber es gefällt mir.«<br />

»Born to be wild«, scherzte er.<br />

Das offene Fenster gab den Blick auf die Sandsteingebäude der anderen Straßenseite<br />

frei, manche davon mit Anstrich, andere naturbelassen. Auch ein Teil der<br />

Skyline Manhattans war zu sehen und ragte in den Dunst des schönen Frühlingstages<br />

auf. Ein Luftzug – recht frisch für New Yorker Verhältnisse – trug den Duft<br />

von Knoblauch und Oregano herein. Das kam von dem italienischen Restaurant<br />

ein paar Häuser weiter. Es war ihrer beider Lieblingsküche – eine der vielen<br />

Gemeinsamkeiten, die sie festgestellt hatten, seit sie sich vor einigen Wochen bei<br />

einer Weinprobe in SoHo begegnet waren. Alice hatte Ende April zusammen<br />

mit etwa vierzig anderen Leuten den Ausführungen eines Sommeliers über die<br />

Weine Europas gelauscht, als eine Männerstimme sich nach einem bestimmten<br />

spanischen Rotwein erkundigte.<br />

Sie hatte unwillkürlich leise aufgelacht, denn zufälligerweise besaß sie einen<br />

Karton genau dieses Weines (nun ja, inzwischen war der Inhalt nicht mehr ganz<br />

vollständig). Das Weingut war eher unbekannt, und es mochte sich nicht um<br />

19


den besten Rioja aller Zeiten handeln, aber für Alice waren schöne Erinnerungen<br />

damit verbunden. Während eines einwöchigen Spanienaufenthaltes hatten sie<br />

und ihr französischer Geliebter nämlich jede Menge davon getrunken – eine perfekte<br />

Liaison, genau das Richtige für eine Frau Ende zwanzig, die sich kurz zuvor<br />

von ihrem Freund getrennt hatte. Die Urlaubsromanze verlief leidenschaftlich,<br />

intensiv und natürlich ohne die Gefahr einer längerfristigen Bindung, was sie nur<br />

umso besser machte.<br />

Bei der Weinprobe hatte Alice sich vorgebeugt, um einen Blick auf den Fragesteller<br />

zu werfen: ein durchschnittlich aussehender Mann in Anzug und Krawatte.<br />

Nach einigen Gläsern der vorgestellten Weinkollektion war sie etwas mutiger<br />

geworden, hatte mit ihrem Häppchenteller in der Hand den Raum durchquert<br />

und sich bei dem Fremden nach dem Grund für sein Interesse an dem besagten<br />

Rioja erkundigt.<br />

Er erzählte ihr von einer Spanienreise, die er ein paar Jahre zuvor mit einer<br />

Exfreundin unternommen und dabei Gefallen an dem Wein gefunden hatte. Sie<br />

nahmen an einem Tisch Platz und unterhielten sich eine Weile. Wie sich herausstellte,<br />

schien Arthur das gleiche Essen und dieselben Sportarten zu mögen wie<br />

Alice. Sie gingen beide joggen und brachten jeden Morgen eine Stunde in einem<br />

überteuerten Fitnesscenter zu. »Aber ich trage dabei bloß schlichte Shorts und<br />

ein einfaches T-Shirt vom Wühltisch«, sagte er. »Nicht so einen Designermüll …«<br />

Dann wurde er rot, weil er merkte, dass er Alice womöglich beleidigt hatte.<br />

Doch sie lachte nur, denn sie selbst hielt es mit ihren Sportsachen genauso (und<br />

kaufte diese meistens in einem Billigladen in Jersey, wenn sie ihre Eltern besuchte).<br />

Allerdings widerstand sie dem Impuls, Arthur sogleich davon zu erzählen; sie<br />

wollte schließlich nicht übereifrig wirken. Und so spielten sie das beliebte Kennenlernspiel<br />

der Großstadtsingles: Was wir zwei gemeinsam haben. Sie vergaben<br />

Noten an Restaurants, verglichen Episoden einer bekannten Sitcom und klagten<br />

über ihre Psychotherapeuten.<br />

Es folgte eine Verabredung, dann noch eine. Art war witzig und aufmerksam.<br />

Ein wenig formell und bisweilen schüchtern und zurückhaltend, aber das führte<br />

Alice auf die – wie er es nannte – »höllische Trennung« von seiner langjährigen<br />

20


Freundin aus der Modebranche zurück. Und auf seine enorme Arbeitsbelastung<br />

– ty pisch für einen Geschäftsmann in Manhattan. Er hatte nur wenig Freizeit.<br />

Würde etwas aus ihnen beiden werden?<br />

Noch war nichts Ernstes zwischen ihnen gelaufen. Aber es gab weitaus unangenehmere<br />

Menschen, mit denen man seine Zeit verbringen konnte. Und als<br />

sie sich beim letzten Treffen geküsst hatten, hatte Alice dieses sanfte Kribbeln<br />

gespürt, das ihr mitteilte, dass die Chemie stimmte. Der heutige Abend würde<br />

ihr eventuell genaueren Aufschluss darüber geben. Ihr war nicht entgangen, dass<br />

Arthur immer wieder – insgeheim, wie er glaubte – das enge rosafarbene Kleid<br />

musterte, das sie sich extra für diese Verabredung gekauft hatte. Für den Fall, dass<br />

es nicht beim Küssen bleiben würde, hatte Alice im Schlafzimmer zudem einige<br />

Vorkehrungen getroffen.<br />

Dann meldete sich plötzlich wieder diese leichte Verunsicherung, die Sorge<br />

wegen der Spinne.<br />

Was war denn nur los?<br />

Alice nahm an, es müsse sich wohl um einen Rest des Unbe ha gens handeln,<br />

das sie empfunden hatte, als ihr früher an jenem Tag ein Paket zugestellt worden<br />

war, von einem Mann mit kahl geschorenem Kopf und buschigen Augenbrauen,<br />

der nach Zigaretten roch und mit starkem osteuropäischen Akzent sprach. Während<br />

sie den Empfang quittierte, hatte der Kerl sie von oben bis unten anzüglich<br />

begafft und dann um ein Glas Wasser gebeten. Widerwillig hatte sie ihm aus der<br />

Küche etwas zu trinken geholt und ihn bei ihrer Rückkehr mitten im Wohnzimmer<br />

vorgefunden, wo er ihre Stereoanlage anstarrte.<br />

Sie hatte gesagt, sie erwarte Besuch, und er war mit finsterer Miene gegangen,<br />

als sei er beleidigt. Daraufhin hatte Alice aus dem Fenster gesehen und fast zehn<br />

Minuten warten müssen, bis der Mann unten zum Vorschein kam, in den in<br />

zweiter Reihe geparkten Lieferwagen stieg und wegfuhr.<br />

Was hatte er die ganze Zeit in dem Apartmentgebäude gemacht? Die Sicherheitsvorkehrungen<br />

ausgekundschaftet …?<br />

21


22<br />

»Hallo, Erde an Alice …«<br />

»Entschuldige.« Sie lachte, ging zum Sofa und setzte sich neben Arthur. Ihre<br />

Knie berührten einander. Die Gedanken an den Paket-boten verschwanden. Alice<br />

und Arthur nahmen ihre Gläser und stießen an, diese zwei Menschen, die auf<br />

vielen wichtigen Gebieten harmonierten – Politik (sie spendeten nahezu den gleichen<br />

Be trag an die Demokratische Partei und zusätzlich etwas für die Wahlkampagnen),<br />

Filme, Essen, Reisen. Sie waren beide nicht praktizierende Protestanten.<br />

Als ihre Knie einander erneut berührten, rieb Arthur sein Bein verführerisch an<br />

ihrem. Dann lächelte er und fragte: »Übrigens, was ist mit diesem Gemälde, dem<br />

Prescott? Hast du es bekommen?«<br />

Sie nickte mit leuchtenden Augen. »Jawohl, ich bin jetzt stolze Besitzerin eines<br />

Harvey Prescott.«<br />

Nach New Yorker Begriffen war Alice Sanderson keine reiche Frau, aber sie<br />

hatte ihr Geld gut investiert und frönte einer großen Leidenschaft. Prescott, ein<br />

Maler aus Oregon, dessen Karriere sie lange verfolgt hatte, war auf fotorealistische<br />

Familienbilder spezialisiert gewesen – nicht von echten Leuten, sondern von<br />

ausgedachten Personen. Manche der Werke fielen eher traditionell aus, andere<br />

weniger – sie zeigten Alleinerziehende, Eltern von unterschiedlicher Hautfarbe<br />

oder homosexuelle Paare. Was sich von Prescott überhaupt noch auf dem Markt<br />

befand, war für Alice meistens viel zu teuer, aber sie stand auf den Mailinglisten<br />

der Galerien, die gelegentlich neue Angebote hereinbekamen. Letzten Monat<br />

hatte sie aus dem Westen der USA die Nachricht erreicht, demnächst könne<br />

für einen Preis von hundertfünfzigtausend Dollar ein kleines frühes Ölgemälde<br />

erhältlich sein. Der Eigentümer entschied sich tatsächlich für den Verkauf, und<br />

Alice machte einen Teil ihrer Anlagen zu Geld, um die Summe aufzubringen.<br />

Das war die Lieferung, die sie heute erhalten hatte. Doch der Gedanke an den<br />

Zusteller ließ die Freude über den Neuerwerb schlagartig wieder verblassen. Sie<br />

erinnerte sich an den Geruch des Mannes, an seine lüsternen Blicke. Alice stand<br />

auf und ging zum Fenster, als wolle sie die Vorhänge ein Stück weiter aufziehen.<br />

Dabei sah sie nach draußen. Keine Lieferwagen, keine Glatzköpfe, die an der


Straßenecke standen und zu ihrer Wohnung he raufstarrten. Sie überlegte, ob sie<br />

das Fenster schließen und verriegeln sollte, aber das würde gewiss etwas eigenartig<br />

wirken und eine Erklärung erfordern.<br />

Sie kehrte zu Arthur zurück, wies auf die Zimmerwände und erzählte ihm, sie<br />

sei sich nicht sicher, wo in ihrem kleinen Apartment sie das Gemälde aufhängen<br />

solle. Vor ihrem inneren Auge lief ein kurzer Film ab: Arthur blieb eines Samstags<br />

über Nacht und half ihr am Sonntag nach dem Brunch dabei, den perfekten<br />

Platz für das Bild zu finden.<br />

»Möchtest du es mal sehen?«, fragte sie fröhlich und voller Stolz.<br />

»Unbedingt.«<br />

Sie standen auf, und Alice ging voran zum Schlafzimmer. Ihr war so, als würde<br />

sie draußen auf dem Hausflur Schritte hören. Die anderen Mieter hätten um<br />

diese Tageszeit eigentlich bei der Ar beit sein müssen.<br />

War das etwa der Paketbote?<br />

Nun ja, wenigstens war sie nicht allein.<br />

Sie erreichten die Schlafzimmertür.<br />

In diesem Moment biss die Giftspinne zu.<br />

Alice war urplötzlich klar, was sie die ganze Zeit gestört hatte, und es hatte<br />

nichts mit dem Paketzusteller zu tun gehabt. Nein, es ging um Arthur. Er hatte<br />

sie gestern gefragt, wann der Prescott eintreffen würde.<br />

Zuvor hatte sie ihm zwar erzählt, dass sie sich ein Gemälde kaufen wolle, aber<br />

den Namen des Künstlers hatte sie nie erwähnt. Sie hielt an der Schlafzimmertür<br />

inne. Ihre Hände wurden feucht. Falls er von selbst etwas über das Bild herausgefunden<br />

hatte, dann vielleicht auch über andere Aspekte ihres Lebens. Was war,<br />

falls die vielen Gemeinsamkeiten gelogen wären? Falls er schon vorher gewusst<br />

hätte, dass sie diesen spanischen Wein mochte? Falls er nur deswegen bei der<br />

Weinprobe aufgetaucht wäre, weil er sich an sie heranmachen wollte? All die<br />

Restaurants, die sie beide kannten, die Reisen, die Fernsehserien …<br />

23


Mein Gott, und jetzt führte sie einen Mann, den sie erst seit ein paar Wochen<br />

kannte, in ihr Schlafzimmer. Völlig schutzlos …<br />

24<br />

Das Atmen fiel ihr schwer … Sie zitterte.<br />

»Oh, das Bild«, flüsterte er und schaute an ihr vorbei. »Wie wunderbar.«<br />

Als sie seine ruhige, wohltönende Stimme hörte, lachte Alice innerlich auf. Bist<br />

du von allen guten Geistern verlassen? Sie musste Arthur irgendwann Prescotts<br />

Namen genannt haben. Ihre Verunsicherung schob sie beiseite. Beruhige dich.<br />

Du lebst schon zu lange allein. Denk an sein Lächeln, seine Witze. Er tickt so wie<br />

du.<br />

Bleib locker.<br />

Ein leises Lachen. Alice musterte das sechzig mal sechzig Zentimeter große<br />

Ölgemälde, die gedämpften Farben: ein halbes Dutzend Leute an einem Esstisch,<br />

die den Betrachter ansahen, einige belustigt, andere nachdenklich oder besorgt.<br />

»Unglaublich«, sagte er.<br />

»Der Bildaufbau ist großartig. Aber am besten hat Prescott die verschiedenen<br />

Gesichtsausdrücke eingefangen. Meinst du nicht auch?« Alice wandte sich zu ihm<br />

um.<br />

Ihr Lächeln erstarb. »Was ist denn, Arthur? Was machst du da?« Er hatte sich<br />

beigefarbene Stoffhandschuhe übergestreift und griff soeben in die Tasche. Und<br />

dann sah Alice ihm in die Augen, die sich in dunkle kleine Punkte unter finsteren<br />

Brauen verwandelt hatten, in einem Gesicht, das sie kaum wiedererkannte.


Fred Vargas<br />

Der Verbotene Ort<br />

Roman<br />

ISBN 3-351-03256-0<br />

© Aufbau Verlag<br />

Fred Vargas, geb. 1957, ist die bedeutendste franzö-<br />

sische Kriminalautorin und eine Schriftstellerin von<br />

Weltrang; sie wird heute in über 40 Sprachen übersetzt.<br />

Alle ihre Romane liegen bei Aufbau in Übersetzung<br />

vor. Deutscher Krimipreis 2004 für »Fliehe weit und<br />

schnell«.<br />

„FRED VARGAS ist die beste Kriminalschriftstellerin<br />

in Frankreich“, urteilt Die Zeit. „Es gibt eine Magie<br />

Vargas“, schreibt Le Monde. Und sie heißt: litera-<br />

rische Phantasie, poetische Intelligenz, Humor und<br />

sprühende Dialoge. Heute werden ihre Romane in 30<br />

Sprachen übersetzt.<br />

25


Kommissar Adamsberg verstand es, Hemden zu bügeln, seine Mutter hatte ihm<br />

beigebracht, wie man die Schulterpasse ausstrich und den Stoff um die Knöpfe<br />

herum glättete. Er zog den Stecker des Bügeleisens, legte die Kleidungsstücke in<br />

den Koffer. Er hatte sich rasiert, gekämmt, er würde nach London reisen, daran<br />

führte kein Weg mehr vorbei. Er nahm seinen Stuhl und schob ihn in das<br />

sonnenbeschienene Viereck der Küche. Der Raum öffnete sich nach drei Seiten,<br />

und so verbrachte er seine Zeit damit, seinen Stuhl je nach dem einfallenden<br />

Licht um den runden Tisch herum zu bewegen, gleich der Eidechse, die um den<br />

Fels wandert. Adamsberg stellte seine Schale mit Kaffee Richtung Osten und setzte<br />

sich mit dem Rücken zur Wärme. Er wäre ja einverstanden, nach London zu<br />

fahren, um sich die Stadt anzusehen, zu riechen, ob die �emse den gleichen<br />

modrigen Geruch nasser Wäsche hatte wie die Seine, zu hören, wie die Möwen<br />

schrien. Schon möglich, dass die Möwen auf Englisch anders schrien als auf<br />

Französisch. Aber man würde ihm nicht die Zeit dazu lassen. Drei Tage<br />

Kolloquium, zehn Vorträge pro Sitzung, sechs Debatten, ein Empfang im<br />

Innenministerium. Über hundert hochrangige Polizisten würden sich in der<br />

großen hall drängen, nichts als Polizisten aus dreiundzwanzig Ländern, die<br />

zusammenkamen, um das große Europa der Polizei zu optimieren, genauer noch,<br />

um»die Regelung der Migrationsströme zu harmonisieren«. So lautete das �ema<br />

des Kolloquiums. Als Leiter der Pariser Brigade criminelle musste Adamsberg<br />

sich dort blicken lassen, aber das kümmerte ihn wenig. Seine Teilnahme würde<br />

flüchtig sein, nahezu ätherisch, einerseits aufgrund seiner Abneigung gegen das<br />

Regelnvon Strömen, andererseits, weil er nie auch nur ein einziges Wort Englisch<br />

im Gedächtnis behalten hatte. Er trank ruhig seinen Kaffee aus, während er die<br />

Nachricht überflog, die ihm Commandant Danglard gerade schickte. »Treffen<br />

uns in 1 Std 20 Min in der Abfertigungshalle. Verfluchter Tunnel. Habe<br />

passendes Jackett für Sie eingesteckt, mit Kraw. «Adamsberg strich mit dem<br />

Daumen über das Display seines Handys und löschte die Angst seines Stellvertreters,<br />

so wie man den Staub von einem Möbelstück wischt. Danglard war wenig<br />

geschaffen fürs Laufen, fürs Rennen, schon gar nicht fürs Reisen. Den Ärmelkanal<br />

im Tunnel zu durchqueren schreckte ihn ebenso wie ihn zu überfliegen.<br />

Dennoch hätte er niemandem seinen Platz abgetreten. Seit dreißig Jahren schwor<br />

26


der Commandant auf die Eleganz der englischen Kleidermode, er setzte darauf,<br />

um seinen natürlichen Mangel an Erscheinung zu kompensieren. Von dieser<br />

lebenswichtigen Option inspiriert, hatte er seine Dankbarkeit auf das übrige<br />

Vereinigte Königreich ausgedehnt und war zum Typus des anglophilen Franzosen<br />

schlechthin geworden, der die Liebenswürdigkeit der Manieren, das Taktgefühl<br />

der Engländer und ihren diskreten Humor bewunderte. Außer in Augenblicken,<br />

in denen er jede Zurückhaltung fahrenließ, worin der anglophile Franzose sich<br />

vom wahren Engländer unterscheidet. So freute ihn die Aussicht auf einen<br />

Aufenthalt in London, mit Migrationsströmen oder ohne. Blieb nur noch das<br />

Hindernis dieses verfluchten Tunnels zu überwinden, durch den er zum ersten<br />

Mal fuhr. Adamsberg spülte seine Kaffeeschale aus, nahm seinen Koffer, wobei er<br />

sich fragte, was für ein Jackett mit was für einer Kraw Commandant Danglard<br />

für ihn ausgesucht haben mochte. Da schlug sein Nachbar, der alte Lucio, mit<br />

seiner schweren Faust an die verglaste Eingangstür, dass sie erzitterte. Der<br />

Spanienkrieg hatte ihm seinen linken Arm genommen, als er neun Jahre alt war,<br />

und es schien, als sei der rechte dementsprechend stärker geworden, um in sich<br />

allein die Spannweite und Kraft von zwei Händen zu vereinen. Das Gesicht an<br />

die Scheiben gepresst, sah er mit gebieterischem Blick zu Adamsberg herein.<br />

»Komm mal rüber«, brummte er im Ton eines Befehls. »Sie kriegt sie nicht allein<br />

raus, ich brauch deine Hilfe.« Adamsberg stellte seinen Koffer nach draußen in<br />

den verwilderten kleinen Garten, den er sich mit dem alten Spanier teilte. »Ich<br />

muss für drei Tage nach London, Lucio. Ich helfe dir, wenn ich zurück bin.« »Zu<br />

spät«, polterte der Alte. »Komm rüber.« Und wenn Lucio polterte, mit seinen<br />

rollenden »r« in der Stimme, erzeugte er ein so dumpfes Geräusch, dass es<br />

Adamsberg schien, als käme der Ton direkt aus der Erde. Er nahm seinen Koffer<br />

in die Hand, in Gedanken schon an der Gare du Nord. »Was kriegst du nicht<br />

raus?«, sagte er abwesend und verschloss seine Tür. »Die Katze, die im Schuppen<br />

lebt. Du wusstest doch, dass sie Junge kriegt, oder?« »Ich wusste nicht, dass im<br />

Schuppen eine Katze lebt, und es ist mir auch vollkommen egal.« »Dann weißt<br />

du’s jetzt. Und es wird dir nicht egal sein, hombre. Sie hat bis jetzt erst drei<br />

rausgebracht. Eins ist tot, und zwei weitere stecken fest, ich kann ihre Köpfe<br />

spüren. Ich werde massieren und dabei sanft schieben, und du ziehst raus. Aber<br />

27


pass auf, fass nicht wie ein Schlächter zu, wenn du sie holst. So ein Kätzchen, das<br />

zerbricht dir unter den Fingern wie Keks.« Finster und mit dringlichem<br />

Ausdruck stand Lucio da und kratzte seinen fehlenden Arm, indem er die Finger<br />

im Leeren bewegte. Er hatte oft erklärt, dass er damals, als er seinen Arm verlor,<br />

dort einen Spinnenbiss hatte und gerade dabei war, ihn zu kratzen. Aus diesem<br />

Grund juckte der Biss ihn noch nach neunundsechzig Jahren, weil er mit dem<br />

Kratzen nicht fertig gewesen war, es nicht gründlich hatte machen, nicht hatte<br />

vollenden können. Das war die neurologische Erklärung, die seine Mutter ihm<br />

geliefert hatte, sie war für Lucio mit der Zeit zur Philosophie schlechthin<br />

geworden und ließ sich auf jede Situation und jedes Gefühl anwenden. Man<br />

muss bis ans Ende gehen, oder gar nicht erst anfangen. Den Kelch bis zur Neige<br />

leeren, auch in der Liebe. Wenn also eine lebenswichtige Handlung ihn intensiv<br />

beschäftigte, kratzte Lucio seinen unterbrochenen Spinnenbiss. »Lucio«, sagte<br />

Adamsberg etwas entschiedener, indem er den kleinen Garten durchquerte, »in<br />

eineinviertel Stunden geht mein Zug, mein Stellvertreter steht an der Gare du<br />

Nord und verzehrt sich vor Ungeduld, und ich werde jetzt nicht den Geburtshelfer<br />

bei deinem Katzenvieh spielen, während in London hundert Spitzenpolizisten<br />

auf mich warten. Sieh zu, wie du klarkommst, am Sonntag erzählst du mir dann<br />

alles.« »Und wie willst du, dass ich hiermit klarkomme?«, schrie der Alte und hob<br />

seinen Armstumpf. Lucio hielt Adamsberg mit seiner mächtigen Hand auf und<br />

reckte sein vorgeworfenes Kinn, das nach Meinung von Commandant Danglard<br />

eines Velázquez’ würdig gewesen wäre. Der Alte sah nicht mehr scharf genug, um<br />

sich korrekt zu rasieren, und manche Stoppeln entkamen seiner Klinge. Weiß<br />

und hart stachen sie hier und da aus seinem Gesicht und bildeten so etwas wie<br />

eine Dekoration aus silbrigen Dornen, die in der Sonne glänzten. Manchmal<br />

kriegte Lucio eine von ihnen zu fassen, klemmte sie resolut zwischen zwei<br />

Fingernägel und zog daran, als wenn er eine Zecke ausreißen würde. Und er gab<br />

nicht auf, bevor er sie nicht hatte, gemäß der Spinnenbiss-Philosophie. »Du<br />

kommst mit mir.« »Lass mich in Ruhe, Lucio.« »Du hast gar keine Wahl,<br />

hombre«, sagte Lucio düster. »Das kreuzt deinen Weg, du musst es wahrnehmen.<br />

Oder es wird dich dein Leben lang jucken. Es kostet dich ganze zehn Minuten.«<br />

»Auch mein Zug kreuzt meinen Weg.« »Der kreuzt hinterher.« Adamsberg ließ<br />

28


seinen Koffer los und verfluchte seine Ohnmacht, während er Lucio zum<br />

Schuppen folgte. Ein klebriges, blutbeschmiertes Köpfchen zeigte sich zwischen<br />

den Hinterpfoten des Tieres. Unter den Anweisungen des alten Spaniers nahm er<br />

es behutsam in seine Hand, während Lucio mit professionellem Griff auf den<br />

Bauch drückte. Die Katze miaute fürchterlich. »Zieh noch ein bisschen stärker,<br />

hombre, fass es unter den Pfoten und zieh! Entschlossen, aber sanft, und drück<br />

nicht den Schädel zusammen. Mit deiner anderen Hand kraul der Mutter die<br />

Stirn, sie ist in Panik.« »Lucio, wenn ich jemandem die Stirn kraule, schläft er<br />

ein.« »Joder! Zieh, verdammt!« Sechs Minuten später legte Adamsberg zwei kleine<br />

rote, piepsende Ratten neben zwei andere auf eine alte Decke. Lucio schnitt<br />

ihnen die Nabelschnur durch und legte sie nacheinander an die Zitzen. Er warf<br />

einen besorgten Blick auf das klagende Muttertier. »Wie war das mit deinen<br />

Händen? Womit bringst du die Leute in Schlaf?« Adamsberg schüttelte bedauernd<br />

den Kopf. »Ich weiß es nicht. Wenn ich ihnen die Hand auf den Kopf lege,<br />

schlafen sie ein. Das ist alles.« »So machst du es mit deinem Kind?« »Ja. Es<br />

kommt auch vor, dass die Leute einschlafen, während ich mit ihnen rede. Ich<br />

habe schon Verdächtige während eines Verhörs eingeschläfert.« »Dann mach das<br />

mit der Mutter. Apúrate! Mach, dass sie einschläft.« »Großer Gott, Lucio, kriegst<br />

du das nicht in deinen Schädel rein, dass ich zum Zug muss?« »Wir müssen die<br />

Mutter beruhigen.« Adamsberg war die Katze egal, nicht aber der schwarze Blick,<br />

den der Alte ihm zuwarf. So streichelte er den – unglaublich weichen – Kopf der<br />

Katze, denn in der Tat, er hatte keine Wahl. Das Hecheln des Tieres kam zur<br />

Ruhe, während Adamsbergs Finger wie Kugeln von seinem Mäulchen zu seinen<br />

Ohren rollten. Lucio wiegte anerkennend den Kopf. »Sie schläft, hombre.«<br />

Adamsberg löste langsam seine Hand, wischte sie im feuchten Gras ab und<br />

entfernte sich im Rückwärtsgang. Während er über den Bahnsteig der Gare du<br />

Nord lief, fühlte er, wie das Zeug zwischen seinen Fingern und unter den Nägeln<br />

hart wurde. Er hatte zwanzig Minuten Verspätung, Danglard kam mit eiligen<br />

Schritten auf ihn zu. Man hatte immer den Eindruck, dass Danglards Beine, die<br />

schlecht konstruiert waren, von den Knien abwärts in ihre Einzelteile zerfallen<br />

würden, wenn er zu rennen versuchte. Adamsberg hob die Hand, um seiner Eile<br />

wie auch seinen Vorwürfen Einhalt zu gebieten. »Ich weiß«, sagte er. »Etwas hat<br />

29


meinen Weg gekreuzt, und ich musste zufassen, sonst hätte ich mich mein Leben<br />

lang kratzen müssen.« Danglard war an Adamsbergs unverständliche Bemerkungen<br />

schon so gewöhnt, dass er sich selten die Mühe machte, Fragen zu stellen.<br />

Wie viele andere in der Brigade beachtete er sie kaum noch, wusste er doch<br />

zwischen Interessantem und Unwichtigem zu unterscheiden. Außer Atem wies er<br />

auf die Abfertigungshalle und machte kehrt. Während Adamsberg ihm in aller<br />

Gelassenheit folgte, versuchte er sich an die Farbe der Katze zu erinnern. Weiß<br />

mit grauen Flecken? Mit roten Flecken?<br />

30


Sandra Gulland<br />

Die Sonne des Königs<br />

Historischer Roman<br />

ISBN 3-8105-0878-0<br />

© Krüger Verlag<br />

Sandra Gulland wuchs im kalifornischen Berkeley<br />

auf, wo sie auch studierte. 1970 ging sie nach Kanada<br />

und arbeitete als Lehrerin und Lektorin. Heute lebt<br />

sie in Killaloe, Ontario und San Miguel de Allende<br />

in Mexiko. Sandra Gulland ist verheiratet und hat<br />

zwei erwachsene Töchter. Mit ihrer Romantrilogie um<br />

Joséphine hat sich Sandra Gulland bereits längst ihren<br />

Platz unter den großen Autoren historischer Romane<br />

gesichert. Die Sonne des Königs ist ihr neuer Roman.<br />

31


Eine Roma-Frau in einem flatternden karmesinroten Kleid rauscht vorbei. Sie<br />

steht kerzengerade auf dem Rücken eines galoppierenden Pferdes. Ihr Kopfschmuck<br />

aus Truthahnfedern zittert in der brennenden Sommersonne.<br />

»Die wilde Frau!«, verkündet der Schausteller und schwenkt seinen schwarzen<br />

Hut.<br />

Die Menge jubelt, als das schäumende Pferd seinen Schritt beschleunigt. Es<br />

schüttelt seinen großen Kopf, Schweiß- und Speicheltropfen fliegen umher,<br />

wehender Schweif, donnernde Hufe im Staub.<br />

Die wilde Frau streckt die Arme aus. Ihre zarten Röcke bauschen sich hinter<br />

ihr auf. Langsam erhebt sie die Arme zum wolkenlosen Himmel und stößt einen<br />

gellenden Kriegsschrei aus.<br />

Ein blasses Mädchen – kaum groß genug, um über die Absperrung hinwegzublicken<br />

– schaut wie gebannt zu. In ihrer Phantasie streckt sie selbst ihre dünnen<br />

Arme aus, die Füße fest auf dem breiten Rücken eines Pferdes.<br />

32<br />

Hingerissen presst sie die Hände an die Wangen. Oh, der Wind!<br />

Man schrieb das Jahr 1650, das achte Herrschaftsjahr des jungen Königs Louis<br />

XIV – eine Zeit von Hungersnot, Pest und Krieg. In den Weilern, Höhlen und<br />

Wäldern fern der Städte starben die Menschen. Landauf, landab regierte die<br />

Gewalt. Das Mädchen war gerade sechs Jahre alt geworden.<br />

Sie war klein für ihr Alter und wurde oft für eine Vierjährige gehalten – jedenfalls<br />

bis sie den Mund zum Reden öffnete. Ihr Ausdruck war von einer<br />

selbstverständlichen Reife, durch die sie ihrem Alter weit voraus schien. Sie trug<br />

eine eng anliegende, mit Bändern unter dem Kinn befestigte Kappe, und ihre<br />

flachsfarbenen Haare fielen ihr bis hinunter zur Taille. Ihr Kleid aus grauem Serge<br />

wurde von einer Kette verschönert, die sie selbst aus Igelzähnen gefertigt hatte.<br />

»Koboldkind«, so nannten die Leute sie manchmal, wegen ihrer kleinen Gestalt,<br />

ihrer zarten weißen Haut, den blonden Haaren und dem beunruhigenden Blick.<br />

Das Mädchen ließ die wilde Frau nicht aus den Augen, als diese von dem Pferd


hinuntersprang und sich mit einem Schwenk ihrer Federkrone verbeugte. Ohne<br />

die Jongleure, den Clown auf Stelzen, den Purzelbäume schlagenden Zwerg oder<br />

den Bauern mit der luftgefüllten Schweinsblase an einer Schnur auch nur eines<br />

Blickes zu würdigen, umrundete sie das Gelände und lief zu dem Wagenplatz<br />

jenseits des Hügels. Dort fand sie die wilde Frau, die gerade einen Ledereimer<br />

voller Wasser über ihr wirres Haar goss. Die Blechspangen ihres Kleides blitzten<br />

in der Sonne.<br />

»Potzblitz, ist das heiß!«, fluchte die Frau. Ihr Pferd, ein Schecke mit rosafarbenen<br />

Augenlidern, stand ein paar Schritte entfernt, angebunden an einen Ochsenkarren.<br />

»Was willst du, Engelchen?«, fragte die Akrobatin durch ihre tropfenden<br />

Strähnen hindurch.<br />

»Ich möchte reiten können wie Ihr«, antwortete das Mädchen. »Im Stehen.«<br />

»So, das möchtest du also«, sagte die Frau und rieb sich das Gesicht mit den<br />

Händen ab.<br />

»Ja. Ich bin eine Pferdenärrin«, erklärte das Mädchen nüchtern. »Sagt mein<br />

Vater.«<br />

Die Frau lachte. »Und wo ist dein Vater, wenn man fragen darf?«<br />

Das Pferd scharrte mit den Hufen und wirbelte Staubwolken auf. Die Frau<br />

ruckte an seinem ausgefransten Führstrick und sagte etwas in einer fremden Sprache.<br />

Das Pferd hob seinen hässlichen Kopf, wieherte und erhielt gleich darauf<br />

eine vielstimmige Antwort.<br />

Pferde.<br />

»Sie stehen hinten auf der Weide«, sagte die Frau und ermunterte das Kind,<br />

dorthin zu gehen.<br />

Das Mädchen schlängelte sich zwischen den Wagen und Zelten hindurch bis zu<br />

einer Weide, auf der vier Zugpferde, ein Esel und ein geschecktes Pony grasten.<br />

Eine angebundene ältere Stute mit einer Glocke um den Hals hob den Kopf, als<br />

das Kind sich näherte, fuhr dann aber fort, an den schimmeligen Kleiebrotlaiben<br />

zu fressen, die man den Tieren auf einen Haufen hingeworden hatte. Der Som-<br />

33


mer war trocken gewesen, und das Gras wurde knapp.<br />

Und da entdeckte das Mädchen das Pferd, das weiter hinten im Wald angebunden<br />

war – ein junger Hengst, so erriet sie anhand seines stolzen Gehabes. Eine<br />

Absperrung trennte ihn von den anderen Pferden, und eines seiner Vorderbeine<br />

war mit einem Lederriemen hochgebunden.<br />

Es war ein Schimmel, ein großes Tier. Worte aus der Bibel kamen ihr in den<br />

Sinn: Und ich sah den Himmel aufgehen, und siehe: ein weißes Pferd. Sein Hals<br />

war lang und am Kopfansatz schmal. Seine gespitzten Ohren waren klein und<br />

wohlgeformt, seine Nüstern weit gebläht. Seine Augen schauten ihr mitten ins<br />

Herz. Halleluja!<br />

Sie dachte an die Geschichten, die ihr Vater ihr erzählt hatte – Geschichten von<br />

Neptun, der seine Schimmel der Sonne geopfert hatte, Geschichten von Pegasus,<br />

dem geflügelten Pferd. Huldige ihm, der auf Wolken reitet. Sie dachte an den<br />

König, einen Jungen, kaum älter als sie selbst, der die Aufstände in Paris beendet<br />

hatte, indem er auf einem Schimmel in das Kampfgetümmel hineingeritten war.<br />

Und der ihn reitet, von dem heißt es: Treu und wahrhaftig, und er richtet und<br />

streitet mit Gerechtigkeit.<br />

34<br />

Sie kannte dieses Pferd: Es war das Pferd aus ihren Träumen.<br />

Sie bahnte sich einen Weg über die Lichtung. »Ho, mein Junge«, sagte sie und<br />

streckte die Hand aus.<br />

Der Hengst legte die Ohren an.<br />

Laurent de la Vallière lenkte seinen quietschenden Wagen auf das steinige Feld,<br />

ließ sich vom Kutschbock gleiten und reckte sich, eine Hand auf den unteren<br />

Rücken gelegt. Sein Armeehut war mit Federn geschmückt, aber fleckig, und er<br />

trug ein rissiges Lederwams mit geflickten Wollärmeln, die an der Schulterpartie<br />

verschnürt waren. Seine gesteppten Kniebundhosen und die ausgeleierte Pumphose<br />

darüber, seit über einem halben Jahrhundert aus der Mode, waren ebenfalls<br />

an vielen Stellen geflickt und gestopft. Mit seinen Stiefeln und Sporen und dem


umgegürteten Schwert glich er einem Offizier der Kavallerie, der schon bessere<br />

Zeiten gesehen hatte.<br />

Er band das Kutschpferd, eine Stute, an einer verkümmerten Eiche fest und<br />

ging auf die Gruppe von Leuten zu, die sich auf dem Feld versammelt hatte. Wo<br />

der Weg endete, saß eine korpulente Roma-Frau auf einem Baumstumpf – die<br />

Wächterin, wie er annahm. Nicht alle Zigeuner waren Vagabunden, aber die<br />

meisten durchaus zwielichtige Gestalten. Er tastete unter seinem Lederwams nach<br />

dem Rosenkranz, den er am Herzen trug, eine Schnur mit einfachen Holzperlen,<br />

die einst die heilige �eresia von Avila berührt hatte. O Gott, vertreibe<br />

alle unheilvollen Gedanken aus meinem Herzen und erquicke mich mit froher<br />

Hoffnung. Amen.<br />

»Monsieur de la Vallière«, stellte er sich vor und tippte an seinen Hut. Er war<br />

sehr angesehen in dieser Gegend, und man schätzte ihn wegen seiner Heilkunst<br />

und seiner Mildtätigkeit, aber die Roma waren ein fahrendes Volk, sie kannten<br />

ihn höchstwahrscheinlich nicht. »Ich suche ein kleines Mädchen«, erklärte er.<br />

Ein plötzlicher Windstoß trug ihm Uringeruch zu. »Ein Mädchen, sagt Ihr?«,<br />

fragte die Frau grinsend, ihr lückenhaftes Gebiss entblößend.<br />

»Ja, meine Tochter.« Mit einer Hand gab Laurent dabei die Größe an.<br />

»Blond, mit einer Zahnlücke im Oberkiefer?«<br />

»Also ist sie hier!« Gepriesen seist du, o Herr! Er hatte bereits den ganzen Nachmittag<br />

nach ihr gesucht. Nachdem sie im Haus nirgendwo zu finden gewesen<br />

war, hatte er in der Scheune, im Taubenschlag, in der Kornkammer, der Molkerei<br />

und sogar im Hühnerstall nachgesehen. Er hatte den Wald und die Felder dahinter<br />

durchkämmt und ängstlich das Flussufer abgeschritten, bis er schließlich die<br />

Stute angespannt hatte und in die Stadt gefahren war. Beim Stoffhändler in Reugny<br />

erfuhr er schließlich von den Roma mit ihren dressierten Ponys. Das Mädchen<br />

war verrückt nach Pferden.<br />

»Sie ist auf der Weide ganz hinten – bei Diablo«, fügte die Frau mit einem<br />

kehligen Lachen hinzu.<br />

35


Der Teufel? Laurent bekreuzigte sich und machte sich auf den Weg über den<br />

Hügel und zwischen den Planwagen hindurch bis zu dem dahinter liegenden<br />

Feld. Dort sah er seine Tochter. Sie kauerte im Staub.<br />

36<br />

»Petite!«, rief er. Sie war von kräftigen Pferden umringt.<br />

»Vater?« Sie stand auf. »Sieh mal!«, sagte sie, als sie sich ihm näherte, und zeigte<br />

auf einen Schimmel am Waldrand.<br />

»Wo bist du bloß gewesen?« Furcht übermannte ihn, jetzt, wo er sie in Sicherheit<br />

wusste. »Du hättest …« Überall machten Vagabunden die Gegend unsicher.<br />

Noch in der Woche zuvor waren zwei Pilger auf dem Weg nach Tours ermordet<br />

worden.<br />

Er beugte sich zu seiner Tochter hinunter und nahm ihre Hand. O Gott, ich<br />

danke dir von ganzem Herzen für die Gnade, die du mir geschenkt hast. Amen.<br />

Ihre blassen Wangen waren gerötet. »Kleines, du darfst nicht einfach so weglaufen.«<br />

Sie war ein impulsives, gefühlvolles Kind, aufrichtig und unabhängig,<br />

jungenhaft in ihrem Wesen. Eigenschaften, die seine Frau ganz und gar nicht<br />

schätzte. Sie ließ bei dem Mädchen Strenge walten und zwang sie, stundenlang<br />

am Spinnrad zu sitzen. Doch was konnte er schon dagegen tun? Die Erziehung<br />

einer Tochter war Aufgabe der Frau.<br />

»Ich werde im Stehen auf einem galoppierenden Pferd reiten«, lispelte Petite<br />

durch ihre Zahnlücke. Sie streckte die Arme aus und ihre weit auseinander stehenden<br />

blauen Augen leuchteten.<br />

Laurent fragte sich, ob der Heilige Geist aus ihr sprach oder gar der Teufel?<br />

Man konnte die beiden leicht verwechseln.<br />

»Wie die wilde Frau«, erklärte sie.<br />

Die blühende Phantasie des Mädchens bereitete ihnen Sorge. Im Frühjahr hatte<br />

sie hinten in der Scheune aus Steinen einen einfachen Pferch gebaut, den sie als<br />

ihr »Kloster« bezeichnete. Darin hatte sie verletzte Tiere gesund gepflegt, zuletzt<br />

einen Feuersalamander und einen Hühnerhabicht.<br />

»Die haben versprochen, es mir beizubringen.«


»Komm, lass uns gehen«, sagte Laurent und nahm seine Tochter an der Hand.<br />

»Ich habe Brötchen im Wagen.« Vorausgesetzt, die Roma hatten sie nicht gestohlen.<br />

»Aber was ist mit Diablo?«, fragte Petite und blickte sich nach dem Hengst um.<br />

»Er gehört diesen Leuten hier.«<br />

»Sie haben gesagt, sie würden ihn billig verkaufen.«<br />

»Nächste Woche fahren wir zum Pferdemarkt nach Tours«, versprach er. »Dort<br />

kaufen wir dir ein Pony, wie du es dir immer gewünscht hast.« Tatsächlich ritt das<br />

Mädchen auf allem, was vier Beine hatte. Im Jahr zuvor hatte sie einem Kalb das<br />

Springen beigebracht.<br />

»Du hast gesagt, die Pferde, die auf dem Markt verkauft würden, wären kreuzlahm.<br />

Du hast gesagt, das wären alles klapprige Mähren.«<br />

»Stimmt, es ist kein gutes Jahr für Pferde.« Durch den endlosen Krieg mit<br />

Spanien und die ewigen Aufstände waren akzeptable Reittiere schwer zu finden.<br />

Praktisch jeder Vierbeiner war von irgendeiner Armee konfisziert worden. Außerdem<br />

wurde die natürliche Aversion der Leute gegen den Verzehr von Pferdefleisch<br />

in Zeiten einer Hungersnot außer Kraft gesetzt. »Aber Hoffnung gibt es immer.<br />

Lass uns beten, und der liebe Gott wird uns helfen, ein Pferd für dich zu finden.«<br />

»Ich habe für dieses Pferd gebetet«, erklärte Petite. Der Hengst stand immer<br />

noch reglos wie eine Statue da und ließ sie nicht aus den Augen. »Ich habe für<br />

diesen Schimmel gebetet.«<br />

Laurent blieb stehen und dachte nach. Er konnte einen Hengst gebrauchen,<br />

und seine Tochter hatte einen untrüglichen Blick für Pferde. Die Beine des<br />

Hengstes waren gerade, seine Schultern lang. Sein Kopf war schmal wie der eines<br />

Widders: einfach perfekt. Obwohl das Tier mager war, besaß es eine breite Brust.<br />

Pferde mit dieser seltenen, milchweißen Färbung, seien, so hieß es, wie Wasser:<br />

temperamentvoll und dennoch sanft. Einmal gestriegelt und gebürstet, wäre er<br />

ein prachtvolles Tier, zweifellos.<br />

»Wie viel wollen sie für ihn haben, hast du gesagt?«<br />

37


Jan Winter<br />

Erzähl mir von den<br />

weissen Blüten<br />

Roman<br />

ISBN 3-547-71150-9<br />

© Verlag Marion von Schröder<br />

38<br />

Jan Winter, 1961 in Hamburg geboren, entdeckte früh<br />

das Unterwegssein als seine Berufung. Nach ausführ-<br />

licher Erkundung Europas und Nordafrikas bereiste er<br />

fünf Jahre lang verschiedene Länder in Asien. Seinen<br />

Roman schrieb er auf Bali und Malaysia, wo er sich<br />

fast zwei Jahre lang das Haus mit einer chinesischen<br />

Familie teilte. Wenn er nicht gerade reist, lebt Jan<br />

Winter mit seiner Frau in Hamburg.


Die Wärme und Weichheit der tropischen Nächte hatten auch nach Jahren<br />

ihren Reiz nicht verloren. Schon wenige Schritte vom Haus entfernt ließ der<br />

Lärm der Party nach und wich dem Zirpen der Insekten, den Rufen streitender<br />

Eidechsen und anderer Kleintiere, die in der Dunkelheit des Gartens unterwegs<br />

waren.<br />

Unter einem knorrigen Frangipanibaum saß Chee Wahs Frau mit einem Mann<br />

an einem Tisch, auf dem drei Kerzen standen; um sie herum lag alles in tiefer<br />

Dunkelheit. Der Anblick erinnerte Julie an zwei glückliche Menschen auf einer<br />

winzigen Insel mitten im Ozean. Als die alte Frau ihnen zuwinkte, drehte auch<br />

der Mann seinen Kopf in ihre Richtung und erhob sich zur Begrüßung. Der<br />

große, sehr schlanke Europäer trug einen Leinenanzug und hielt eine weiße Blüte<br />

in der linken Hand.<br />

»Das ist Paul, ein alter Freund unserer Familie. Harry und Julie«, stellte Chee<br />

Wahs Frau sie einander vor.<br />

Julie ergriff die Hand des Mannes.<br />

»Schön, Sie kennenzulernen«, sagte sie.<br />

»Die Freude ist auf meiner Seite.«<br />

Er sah sie an, und mehrere Sekunden vergingen, ohne dass sie sich rühren oder<br />

etwas sagen konnte. Obwohl die beinahe unverschämte Intensität seines Blicks<br />

Julie einschüchterte, fiel es ihr schwer, sich von seinen strahlend blauen Augen<br />

loszureißen und ihre Aufmerksamkeit dem Rest seines Gesichts zuzuwenden.<br />

Paul war älter als sie, bestimmt über vierzig. Um seine ungewöhnlichen Augen<br />

herum hatten sich zahllose kleine Fältchen eingenistet, und von der Nase liefen<br />

zwei scharfe Furchen schräg an den Mundwinkeln vorbei. Mitten in der Betrachtung<br />

seines Mundes bemerkte Julie erschrocken, dass sie immer noch seine Hand<br />

hielt, und ließ sie hastig los.<br />

»Habt ihr schon gegessen, Kinder?«, fragte Chee Wahs Frau in die Stille.<br />

»Meine Eltern erwarten uns zum Abendessen«, sagte Harry.<br />

»Wenn das so ist, könntest du ein paar Bücher mitnehmen? Deine Mutter hatte<br />

39


sie mir geliehen.«<br />

40<br />

»Selbstverständlich, kein Problem.«<br />

»Dann lass uns ins Haus gehen, damit ich sie dir geben kann. Leistest du Paul<br />

solange Gesellschaft, Julie?«<br />

»Sehr gern.«<br />

»Setzen Sie sich doch«, sagte Paul, als die beiden gegangen waren, und wies auf<br />

den frei gewordenen Stuhl. Julie strich ihren Qipao glatt und folgte seiner Aufforderung.<br />

Seine Stimme war tief und beruhigend.<br />

»Mögen Sie Frangipani?«, fragte sie mit einem Blick auf die Blüte in seiner<br />

Hand.<br />

»Es ist meine Lieblingsblüte.«<br />

»Was ist so besonders daran?«<br />

»Das Weiß der Frangipani ist rein und kühl. Alles Hässliche gleitet daran ab«,<br />

sagte er bedächtig, jedes Wort genau abwägend. »Außerdem liebe ich den verführerischen<br />

Duft: intensiv, zugleich durchdringend und zart.«<br />

»Haben Sie schon einmal Schneelotus gesehen?«<br />

»Ich glaube nicht. Wie sieht er aus?«<br />

»Ein Kranz aus weißen Blättern um ein tiefrotes Herz.«<br />

Er betrachtete ihr Gesicht, und Julie erinnerte sich an ihren Anblick im Spiegel:<br />

ihre weiße Haut und der auffallend rot geschminkte Mund. Sie war Paul dankbar,<br />

als er das �ema wechselte.<br />

»Wie nennt man diese Art von Kleid? Ich wusste es, habe es aber vergessen.«<br />

»Auf Chinesisch heißt es Qipao oder Cheongsam.«<br />

»Richtig. Es steht Ihnen ganz ausgezeichnet, auch die Farbe. Ein Blau für die<br />

Nacht.«<br />

Obwohl der Mann Julie verunsicherte, gefiel ihr die Art, wie er sie ansah. Auf<br />

einmal kam es ihr so vor, als hätte sie diesen Fremden schon einmal gesehen.


»Leben Sie in Penang?«, wollte sie wissen.<br />

»Nein. Ich komme gelegentlich hierher, weil Penang eine meiner Lieblingsstädte<br />

ist und ich einige Bekannte hier habe. Natürlich auch wegen des guten Essens«,<br />

fügte er hinzu.<br />

»Und wo leben Sie?«<br />

Ȇberall und nirgends. Ich habe ein kleines Haus in Indonesien, aber die meiste<br />

Zeit bin ich beruflich unterwegs. Es macht mir nichts aus, weil ich gern reise und<br />

zu den Menschen gehöre, die sich in Hotels wohl fühlen. Hier in Penang wohne<br />

ich immer im Cathay. Kennen Sie es?«<br />

»Der alte weiße Bau in der Lebuh Leith?«<br />

»Genau. Ich mag die Atmosphäre und den abgewohnten Charme.«<br />

Wieder entstand eine Pause im Gespräch. Julie legte den Kopf zurück und<br />

lauschte dem Quaken der Frösche. Sie war sich bewusst, dass Paul sie beobachtete,<br />

aber es war ihr nicht unangenehm. Als sie wieder zu ihm sah, trafen sich<br />

ihre Augen. Sie hielt seinem Blick stand, bis es ihr zu viel wurde und sie sich mit<br />

einem leichten Schwindelgefühl abwandte.<br />

»Wie lange bleiben Sie in Penang?«, fragte sie.<br />

»Noch drei oder vier Tage, denke ich.«<br />

»Sind Sie allein hier?«<br />

Sobald sie die Zweideutigkeit ihrer Frage erkannte, schoss Julie das Blut in die<br />

Wangen. Sie war ihr einfach so herausgerutscht. Paul blinzelte.<br />

»Ja, ich bin allein.«<br />

Er strich mit der Hand über seine kurzgeschnittenen, zum großen Teil bereits<br />

ergrauten Haare und kratzte sich am Ohr, was Julie als ersten Anflug von<br />

Nervosität wertete. Bisher hatte er einen ausgesprochen selbstsicheren Eindruck<br />

gemacht.<br />

»Darf ich Sie etwas fragen?«<br />

41


42<br />

»Ja.«<br />

»Ist Julie Ihr richtiger Name?«<br />

»Alle nennen mich so, also ist es wohl mein richtiger Name.«<br />

Sie griff in ihre Handtasche und zog ein Paket Filterzigaretten heraus. Paul riss<br />

ein Streichholz an, um ihr Feuer zu geben. Er schützte die Flamme mit beiden<br />

Händen und berührte dabei ihre Finger. Als der Tabak aufglühte, blies er das<br />

Streichholz aus und warf es in den Aschenbecher.<br />

»Ihre Hände …«, begann er, brach dann aber ab.<br />

»Was ist mit meinen Händen?«<br />

»Ach, nichts. Ich bin ein bisschen durcheinander.«<br />

Er zündete sich ebenfalls eine Zigarette an. Die Kretek, eine indonesische Nelkenzigarette,<br />

verströmte ein schweres, süßliches Aroma. Julie hatte den Eindruck,<br />

dass Paul einiges von seiner Gelassenheit verloren hatte, und das schmeichelte ihr.<br />

Sie hörte Stimmen hinter sich: Madame Tan kehrte mit Harry aus dem Haus<br />

zurück. Er hielt zwei Bücher in der Hand und war sichtlich schlecht gelaunt.<br />

»Können wir endlich los? Wir werden erwartet«, sagte er.<br />

»Ich würde gern noch zu Ende rauchen«, entgegnete sie kühl.<br />

Chee Wahs Frau blickte zu Paul, und ihre Mundwinkel zuckten amüsiert, als sie<br />

bemerkte, dass er seine Augen nicht von Julie lassen konnte.<br />

»Ich gehe wieder ins Haus, man vermisst mich sicher schon. Paul, wir sehen uns<br />

später.«<br />

Er nickte ihr zu und wandte sich dann an Harry.<br />

»Setzen Sie sich doch, da steht noch ein Stuhl.«<br />

»Danke, ich stehe lieber.«<br />

»Na gut, gehen wir also«, sagte Julie und warf die halbgerauchte Zigarette<br />

verärgert auf den Rasen. Harry wartete. Als sie trotz ihrer Ankündigung keine<br />

Anstalten machte, sich zu erheben, verschwand er wortlos in der Dunkelheit.


»Es tut mir leid, Paul.«<br />

»Mir auch.«<br />

Wieder sah er sie aufmerksam an, als wollte er sich jede Einzelheit ihres Gesichts<br />

einprägen. Julie erwiderte seinen Blick, bis sie sich schließlich einen Ruck<br />

gab und aufstand.<br />

»Es war schön, Sie kennenzulernen.«<br />

»Passen Sie gut auf sich auf.«<br />

Julie ging in Richtung des Hauses davon. Sie war erst wenige Schritte weit<br />

gekommen, als er ihren Namen rief. Gespannt drehte sie sich um. Würde er sie<br />

um ein Wiedersehen bitten?<br />

»Was ich vorhin sagen wollte …«, begann er zögerlich. »Ich habe in meinem<br />

ganzen Leben keine so schönen Hände gesehen wie Ihre.«<br />

Wie er so allein im Licht der Kerzen stand, glich er einem Jungen, den man bei<br />

einem Streich ertappt hatte. Sein Kompliment war ehrlich gemeint, ohne jede<br />

Berechnung. Julie lächelte.<br />

»Wirklich?«<br />

»Ja. Sie sind wie weiße Blüten. Wie Frangipani.«<br />

»Danke.«<br />

Als sie weiterging, stieß sie fast mit Harry zusammen. Er hatte im Dunkeln auf<br />

sie gewartet und jedes Wort gehört.<br />

Er schwieg, bis sie sein Auto erreichten, dann platzte sein Ärger<br />

aus ihm heraus.<br />

»Was sollte das?«<br />

»Wovon sprichst du?«<br />

»Stell dich nicht dumm. Die schönsten Hände der Welt. Wie weiße Blüten«,<br />

äffte er Paul nach. »Was für ein Schwachsinn.«<br />

43


Unwillkürlich betrachtete sie ihre Hände: schlank und glatt, mit langen Fingern<br />

und schmalen Knöcheln. Die Nägel waren kurz geschnitten und gepflegt. Sie<br />

hatte nie darüber nachgedacht, aber es waren tatsächlich schöne Hände. Als Julie<br />

aufsah, stellte sie fest, dass Harry sie ungeduldig musterte.<br />

44<br />

»Was willst du hören?«<br />

»Warum du dich so aufführst. Hast du nicht gemerkt, wie er dich angeglotzt<br />

hat? Wie ein halbverhungerter Tiger, der seine Beute vor Augen hat.«<br />

»Eben nicht. Genau so hat er mich nicht angesehen.«<br />

»Ich bin doch nicht blind!«<br />

»Denkst du, ich wüsste nicht, wie es ist, wenn man angegafft wird? Wenn mir<br />

Männer auf die Brüste starren und ich in ihren Augen lesen kann, welche schmierigen<br />

Gedanken ihnen durch den Kopf gehen? Wenn irgendwelche Jugendlichen<br />

im Vorbeigehen meinen Hintern kommentieren? Ich kann es nicht ausstehen,<br />

doch das eben war anders, voller Respekt.«<br />

Sie brach ab, weil sie begriff, dass der Eifer, mit dem sie Paul verteidigte, die<br />

Situation nicht entspannen würde.<br />

»Respektiere ich dich etwa nicht?«, fragte er, offenbar um Ruhe bemüht, aber<br />

die fahrigen Bewegungen seiner Hände verrieten seine Anspannung.<br />

»Doch, das tust du«, räumte sie ein.<br />

»Warum bist du dann so abweisend zu mir? Erst flirtest du mit diesem braungebrannten<br />

Lackaffen, und dem Mat Salleh hättest du dich am liebsten gleich auf<br />

den Schoß gesetzt.«<br />

»Bitte, Harry. Was soll das?«<br />

»Ich fand ihn unsympathisch, das ist alles. Was hat er, das mir fehlt?«<br />

»Warum bist du eifersüchtig? Wir sind kein Liebespaar. Du bist mein Freund,<br />

und ich war immer offen und fair zu dir. Du hast kein Recht, mir Vorwürfe zu<br />

machen.«<br />

»Habe ich nicht alles für dich getan? Wie eine Prinzessin habe ich dich behan-


delt. Was verlangst du noch?«, brach es aus ihm heraus.<br />

»Hör bitte auf. Es reicht.«<br />

»Wenn ich dich nur küssen will, drehst du den Kopf weg. Bin ich nicht gut<br />

genug für dich? Für wen hältst du dich eigentlich, Julie Lin?«<br />

»Halt endlich den Mund. Das ist jämmerlich.«<br />

»Klar, das willst du natürlich nicht hören. Bei mir spielst du die Unberührbare,<br />

aber für diesen Kerl würdest du wie eine billige Schlampe sofort die Beine breit<br />

machen.«<br />

Julie schlug ihm mit aller Kraft ins Gesicht.<br />

»So spricht niemand mit mir! Verstehst du? Niemand!«<br />

Ihre Stimme zitterte vor Wut. Harry sah sie betroffen an und hielt sich die<br />

Wange.<br />

»Verzeih mir, ich habe es nicht so gemeint.«<br />

Als sie nichts erwiderte, sondern ihn nur kalt anfunkelte, drehte er sich hastig<br />

um und stieg ins Auto. Sekunden später fuhr er mit quietschenden Reifen davon.<br />

Es machte Julie nichts aus, dass er sie allein auf der menschenleeren Straße<br />

stehenließ. Nach diesem Streit hätte sie sich ohnehin nicht von ihm nach Hause<br />

fahren lassen. Dennoch fühlte sie sich elend: Es schmerzte Julie, dass sie einen<br />

Freund verloren hatte, und noch schlimmer war die Konfusion, in die ihre Begegnung<br />

mit Paul sie gestürzt hatte. Sie merkte, wie ihr die Tränen kamen.<br />

Nach einigen Minuten zog sie ein Taschentuch aus ihrer Handtasche und<br />

trocknete sich die Augen. Ihre Absätze klackten scharf auf dem Pflaster, als sie<br />

entschlossenen Schrittes zu Chee Wahs Villa zurückging.<br />

45


Ann Cleeves<br />

Im kalten Licht des Frühlings<br />

Kriminalroman<br />

ISBN 3-8052-0876-6<br />

© Wunderlich<br />

46<br />

Ann Cleeves, geboren 1954 in Herefordshire, hielt sich<br />

zunächst mit Gelegenheitsjobs über Wasser. Bei ihrem<br />

Job als Köchin einer Vogelwarte auf Fair Isle lernte<br />

sie ihren späteren Ehemann und Ornithologen Tim<br />

kennen. Kurz nach der Hochzeit lebte sie mit ihm als<br />

einzige Bewohner auf einer kleinen Insel namens Hil-<br />

bre, wo er als Vogelwächter arbeitete und sie mit dem<br />

Schreiben begann. Heute lebt sie mit ihrer Familie in<br />

West Yorkshire und ist Mitglied des «Murder Squad»,<br />

eines illustren Krimi-Zirkels. Im Jahre 2006 erhielt<br />

sie für «Die Nacht der Raben» die weltweit wichtigste<br />

Auszeichnung der Kriminal-Literatur, den Duncan<br />

Lawrie Dagger Award der britischen Crime Writers‘<br />

Association.


Kapitel 5<br />

Sandy Wilson überquerte das Feld mit zögernden Schritten. Vor ein paar Wochen<br />

war der Schädel gefunden worden, und es war eine dieser dichten schwarzen<br />

Nächte, die im Frühling so oft vorkamen. Nicht kalt, aber über der Insel hing<br />

eine tiefe Wolkendecke, aus der es unablässig nieselte und die den Mond und die<br />

Sterne verdeckte, sie verschluckte sogar das Licht aus den Fenstern der Häuser<br />

hinter ihm. Er hatte keine Taschenlampe, aber die brauchte er auch nicht. Er war<br />

hier aufgewachsen. Auf einer Insel, die gut elf Kilometer lang und knapp fünf Kilometer<br />

breit war, kannte man mit zehn Jahren jeden einzelnen Quadratzentimeter.<br />

Diese innere Landkarte trug man bei sich, selbst wenn man fortging. Sandy<br />

lebte jetzt in der Stadt, in Lerwick, aber man hätte ihn irgendwo auf Whalsay mit<br />

verbundenen Augen absetzen können – nach ein paar Minuten wüsste er, wo er<br />

sich befand, einfach an der Art, wie sich der Boden unter seinen Füßen hob und<br />

senkte.<br />

Er wusste, dass er zu viel getrunken hatte, beglückwünschte sich jedoch selbst<br />

dazu, dass er das Pier House Hotel noch rechtzeitig verlassen hatte. Seine Mutter<br />

war sicher aufgeblieben, um auf ihn zu warten. Noch ein paar Drinks, dann<br />

wäre er völlig besoffen gewesen. Und dann hätte er die alte Leier über Selbstbeherrschung<br />

zu hören bekommen und über Michael, seinen Bruder, der das<br />

Saufen aufgegeben hatte. Sandy überlegte, ob er auf dem Weg vielleicht bei seiner<br />

Großmutter vorbeischauen sollte, sie würde ihm eine Tasse starken schwarzen<br />

Kaffee machen, sodass er nüchtern zu Hause ankommen würde. Sie hatte ihn<br />

Anfang der Woche angerufen und ihn gebeten, doch mal in Setter vorbeizukommen,<br />

wenn er wieder auf Whalsay wäre. Mima störte sich nie daran, wenn er ein<br />

bisschen Schlagseite hatte. Sie selbst hatte ihm eines Morgens sein erstes Gläschen<br />

eingeschenkt, bevor er sich auf den Weg zur Schule machte. Es war ein frostiger<br />

Tag, und sie hatte gemeint, der Whisky wäre gut gegen die Kälte. Er hatte geprustet<br />

und sich verschluckt, als ob es die schlimmste Medizin wäre, aber seither<br />

hatte er Geschmack daran gefunden. Mima war wohl schon mit dem Geschmack<br />

daran auf die Welt gekommen, auch wenn man ihr die Wirkung nie anmerkte.<br />

Er hatte sie noch nie betrunken gesehen.<br />

47


Das Feld fiel sanft zu dem Fahrweg ab, der zu Mimas kleinem Bauernhof<br />

führte. Plötzlich hörte er einen Schuss. Der Lärm schreckte ihn kurz auf, aber<br />

er machte sich weiter keine Gedanken. Sicher war Ronald mit seiner großen<br />

Taschenlampe auf Kaninchenjagd. Er hatte davon gesprochen, als Sandy sich das<br />

Baby angesehen hatte, und es war eine gute Nacht dafür. Im blendenden Licht<br />

der Lampe blieben die Kaninchen reglos wie Statuen sitzen, als warteten sie nur<br />

darauf, abgeschossen zu werden. Es war illegal, aber auf den Inseln herrschte eine<br />

solche Kaninchenplage, dass sich niemand darum scherte. Ronald war Sandys<br />

Cousin. Gewissermaßen. Sandy fing an, über den genauen Verwandtschaftsgrad<br />

nachzudenken, aber sein Familienstammbaum war kompliziert, und er war<br />

betrunken, also verlor er den Überblick und gab es auf. Auf dem restlichen Weg<br />

nach Setter war immer mal wieder das Geräusch einer Schrotflinte zu hören.<br />

Die Straße machte eine Biegung, und wie erwartet sah Sandy noch Licht in<br />

Mimas Küchenfenster. Ihr Haus lag in den Hang gebettet, sodass man es erst entdeckte,<br />

wenn man schon fast da war. Vielen Inselbewohnern war es ganz recht,<br />

dass es so vor Blicken verborgen war, denn es war ein ziemlich schäbiger Hof, der<br />

Garten von Unkraut überwuchert, die Fensterrahmen unlackiert und halb verrottet.<br />

Evelyn, Sandys Mutter, schämte sich entsetzlich für den Zustand von Mimas<br />

Hof und lag seinem Vater deswegen regelmäßig in den Ohren. «Kannst du nicht<br />

mal hingehen und das Haus für sie in Schuss bringen?» Aber Mima wollte davon<br />

nichts hören. «Das wird mich noch überleben», sagte sie gleichmütig. «Mir gefällt<br />

es so, wie es ist. Mit dir auf dem Hof, das wäre mir zu viel Getue.» Und da Joseph<br />

mehr auf seine Mutter als auf seine Frau hörte, behielt Mima ihre Ruhe.<br />

Setter war der geschützteste Hof auf der Insel. Der Archäologe, der letztes Jahr<br />

von einer Universität im Süden hergekommen war, sagte, auf diesem Land hätten<br />

schon seit Jahrtausenden Menschen gesiedelt. Er hatte gefragt, ob sie vielleicht<br />

auf einem Feld nahe beim Haus ein paar Gruben ausheben dürften. Ein Projekt<br />

für eine Doktorandin, hatte er erklärt. Eine seiner Studentinnen glaubte, dass es<br />

auf diesem Gelände eine Kaufmannssiedlung gegeben habe. Sie würden anschließend<br />

genau den Zustand wiederherstellen, in dem sie das Gelände vorgefunden<br />

hatten. Sandy nahm an, dass Mima es ihnen so oder so erlaubt hätte. Der<br />

48


Professor gefiel ihr. «Er ist ein gutaussehender Mann», hatte sie Sandy erzählt, mit<br />

funkelnden Augen. Da hatte er geahnt, wie sie als junges Mädchen gewesen sein<br />

musste. Draufgängerisch. Keck. Kein Wunder, dass die anderen Frauen auf der<br />

Insel sie mit Argwohn betrachteten.<br />

Von dem Feld neben der Straße drang ein Geräusch her-über. Diesmal kein<br />

Schuss, sondern ein paar gedämpfte Laute, eine Art Reißen, dann Fußgetrappel.<br />

Sandy drehte sich um und sah die Silhouette einer Kuh nur wenige Schritte<br />

entfernt. Mima war der einzige Mensch auf der ganzen Insel, der noch von Hand<br />

molk. Die anderen hatten schon vor Jahrzehnten damit aufgehört, weil es zu viel<br />

Mühe machte und die Hygienevorschriften es einem untersagten, die Milch zu<br />

verkaufen. Aber es gab Leute, die die Rohmilch nach wie vor lieber mochten und<br />

Mimas Dach reparierten oder ihr eine Flasche Whisky zusteckten, wenn sie im<br />

Tausch dafür jeden Morgen einen Krug der gelben Flüssigkeit bekamen. Sandy<br />

war sich nicht sicher, ob sie auch so scharf darauf gewesen wären, wenn sie Mima<br />

mal beim Melken gesehen hätten. Als er sie das letzte Mal dabei beobachtet hatte,<br />

hatte sie sich die Nase mit demselben schmuddeligen Geschirrtuch geputzt, mit<br />

dem sie anschließend das Euter abwischte. Soweit er wusste, war davon aber auch<br />

noch niemand krank geworden. Er selbst war mit dem Zeug großgeworden, und<br />

es hatte ihm nicht geschadet. Sogar seine pingelige Mutter schöpfte den Rahm<br />

aus der Kanne und goss ihn sich als besondere Leckerei auf ihren Porridge.<br />

Er schob die Küchentür auf und rechnete damit, Mima in ihrem Sessel am<br />

Ofenherd anzutreffen, die Katze auf dem Schoß, ein leeres Glas neben sich,<br />

während im Fernseher irgendein brutaler Film lief. Früh schlafen zu gehen war<br />

nie ihre Sache gewesen, sie schien überhaupt kaum Schlaf zu brauchen, und sie<br />

hegte eine Vorliebe für Gewaltszenen. Sie war die Einzige in seiner Familie, der<br />

seine Berufswahl gefallen hatte. «So was», hatte sie gesagt, «ein Polizist!» Der<br />

verträumte Ausdruck in ihren Augen verriet ihm, dass sie ohne jeden Zweifel an<br />

New York, an Schießereien und rasante Verfolgungsjagden dachte. Sie war nie<br />

weiter gekommen als zu einer Beerdigung nach Aberdeen, ihre einzige Fahrt in<br />

Richtung Süden. Ihre Bilder von der Welt stammten aus dem Fernsehen. Die<br />

Polizeiarbeit auf Shetland hatte damit nicht sehr viel zu tun, aber sie hörte sich<br />

49


trotzdem gern seine Geschichten an, und er übertrieb dann ein kleines bisschen,<br />

weil es sie so glücklich machte.<br />

Der Fernseher lief auf voller Lautstärke. Mima wurde allmählich taub, auch<br />

wenn sie es nicht zugab. Aber die Katze lag allein im Sessel. Das große schwarze<br />

Tier war zu jedem außer seiner Besitzerin bösartig, eine Hexenkatze, hatte seine<br />

Mutter mal gesagt. Sandy drehte den Ton herunter, öffnete die Tür zu den übrigen<br />

Räumen und rief laut nach seiner Großmutter. «Mima! Ich bin’s!» Er wusste,<br />

dass sie nicht schlief. Niemals hätte sie das Licht und den Fernseher angelassen,<br />

außerdem teilte die Katze nicht nur den Sessel, sondern auch das Bett mit ihr.<br />

Mimas Mann war auf See verunglückt, als sie noch jung war. Gerüchteweise hieß<br />

es, sie hätte es als junge Witwe ganz schön bunt getrieben, aber seit er sie kannte,<br />

lebte sie allein.<br />

Keine Antwort. Er fühlte sich plötzlich sehr viel weniger betrunken und ging<br />

weiter ins Haus hinein. Vom Flur gingen drei Türen zu den dahinterliegenden<br />

Zimmern ab. Er konnte sich nicht erinnern, jemals zuvor Mimas Schlafzimmer<br />

betreten zu haben. Sie war nie krank gewesen. Der quadratische Raum wurde fast<br />

ganz von einem wuchtigen Kleiderschrank aus dunklem Holz ausgefüllt und von<br />

einem Bett, das so hoch war, dass er sich fragte, wie Mima ohne einen Schemel<br />

überhaupt hineinkam. Auf dem Boden lag das gleiche dicke braune Linoleum<br />

wie in der Küche, darauf ein Schaffell als Bettvorleger, ehemals weiß, jetzt grau<br />

und ziemlich verfilzt. Die Vorhänge, ausgeblichen und schäbig, cremefarben mit<br />

einem Muster aus kleinen Rosen, waren nicht zugezogen. Auf dem Fensterbrett<br />

stand ein Foto von Mimas Mann. Er hatte einen dichten roten Bart, sehr blaue<br />

Augen, trug Ölzeug und Stiefel und erinnerte Sandy an seinen Vater. Das Bett<br />

war gemacht und mit einem Quilt aus gehäkelten Rechtecken bedeckt. Von<br />

Mima keine Spur.<br />

Das Badezimmer war nachträglich an der Rückseite des Hauses angebaut worden,<br />

allerdings befand es sich dort schon, seit Sandy denken konnte. Badewanne<br />

und Spülbecken waren in einem unsäglichen Blau, aber auch hier bestand der<br />

Boden aus braunem Linoleum, teilweise von einem leuchtend blauen Hochflorteppich<br />

bedeckt. Es roch feucht und nach nassen Handtüchern. Eine riesige<br />

50


Spinne krabbelte um den Abfluss herum. Abgesehen davon war der Raum leer.<br />

Sandy bemühte sich, rational zu denken. Aus seinen eigenen Ermittlungen<br />

wusste er, dass die Angehörigen immer unnötig in Panik gerieten, wenn jemand<br />

vermisst wurde. Er hatte sich oft über die ängstlichen Eltern oder Partner lustig<br />

gemacht, sobald er das Telefon aufgelegt hatte. Aber jetzt traf ihn schlagartig und<br />

unerwartet die Ungewissheit. Mima ging nie so spät aus dem Haus, nicht in letzter<br />

Zeit, außer wenn es ein Familientreffen bei seinen Eltern gab oder ein großes<br />

Inselereignis wie eine Hochzeit, und dann hätte jemand sie im Auto mitgenommen,<br />

und er wüsste davon. Sie hatte keine richtigen Freunde. Die meisten Leute<br />

auf Whalsay fürchteten sich etwas vor ihr. Er merkte, wie seine Gedankengänge<br />

entgleisten, und bemühte sich, ruhig zu bleiben. Was würde Jimmy Perez in<br />

dieser Situation tun?<br />

Mima sperrte abends immer ihre Hühner in den Stall. Vielleicht war sie hinausgegangen,<br />

gestolpert und gestürzt. Die Archäologen hatten auf einem Gelände<br />

nicht weit vom Haus ihre Gruben ausgehoben. Sie war nicht mehr die Jüngste,<br />

und möglicherweise merkte sie den Alkohol inzwischen doch. Auf dem abschüssigen<br />

Weg konnte sie leicht den Halt verloren haben.<br />

Sandy ging zurück in die Küche und nahm eine Taschenlampe aus der Schublade<br />

unter dem Tisch. Sie lag dort seit der Zeit, als jedes Haus seinen eigenen<br />

Generator hatte, der nur für ein paar Stunden am Abend lief. Draußen spürte er<br />

die Kälte, den Dunst und den Nieselregen, schneidend nach der Ofenwärme im<br />

Haus. Es musste jetzt fast Mitternacht sein. Seine Mutter würde sich inzwischen<br />

fragen, wo er steckte. Er ging um das Haus herum zum Stall. Als sich seine Augen<br />

an die Dunkelheit gewöhnt hatten, reichte ihm das Licht, das aus dem Haus<br />

drang, zur Orientierung. Noch brauchte er die Taschenlampe nicht. Er hatte<br />

das Licht im Badezimmer angelassen, und das Fenster ging nach hinten hinaus.<br />

Die Hühner waren bereits eingesperrt. Er überprüfte den Riegel am hölzernen<br />

Hühnerstall und hörte, wie sie sich drinnen regten.<br />

Am Morgen war das Wetter schön gewesen, und Mima hatte Wäsche gemacht.<br />

Die Wäscheleine war vom Haus in Richtung der Grabungsstätte gespannt. An<br />

der Nylonschnur hingen noch Handtücher und ein Laken. Sie baumelten leblos<br />

51


und schwer, wie die Segel eines Bootes bei Flaute. Die anderen Frauen auf der<br />

Insel nahmen die Wäsche ab, sobald das Wetter trüber wurde, aber Mima sparte<br />

sich die Mühe wahrscheinlich, wenn sie gerade beim Tee saß oder ein Buch las.<br />

Es war diese Unbekümmertheit, die manche ihrer Nachbarn so ärgerte. Was fiel<br />

ihr ein, sich nicht darum zu scheren, was die Leute von ihr dachten? Wie konnte<br />

sie nur einen so schlampigen Haushalt führen?<br />

Sandy ging an der Wäsche vorbei zu der Stelle, wo die Studentinnen gearbeitet<br />

hatten. Ein paar Stangen, zwischen denen Schnur gespannt war, um die<br />

Grabungsfläche zu markieren oder zu vermessen. Ein Windschutz aus blauer<br />

Plastikplane über einem Metallgestänge. Ein Haufen ausgestochener Grasnarbe,<br />

ordentlich aufgeschichtet, ein weiterer mit Erdaushub. Zwei Gruben im rechten<br />

Winkel zueinander. Er leuchtete mit der Taschenlampe hinein, aber bis auf ein<br />

paar Wasserpfützen waren sie leer. Ihm ging durch den Kopf, dass das Ganze<br />

aussah wie ein Tatort in einem der Filme, die seine Großmutter so gerne sah.<br />

«Mima!», rief er. Seine Stimme klang sehr dünn und hoch. Sie war ihm selbst<br />

fremd.<br />

Er beschloss, dass es Zeit war, nach Hause zu gehen, schaltete die Taschenlampe<br />

aus und machte sich auf den Weg zurück zum Haus. Von dort konnte er in Utra<br />

anrufen. Sicher wusste seine Mutter, wo Mima war; ihr entging nichts, was auf<br />

Whalsay geschah. Dann sah er, dass ein Mantel von der Wäscheleine gefallen war<br />

und zusammengeknittert im Gras lag. Er erkannte einen der Regenmäntel der<br />

Studentinnen und nahm an, Mima hätte ihnen angeboten, ihre verschlammten<br />

Sachen zu waschen. Erst wollte Sandy ihn liegen lassen – musste er nicht ohnehin<br />

erneut in die Waschmaschine? Aber dann bückte er sich doch danach, um ihn ins<br />

Haus zu bringen.<br />

Da lag nicht nur ein Mantel. Da lag seine Großmutter, die in der gelben Jacke<br />

sehr klein aussah. Sie war kaum größer als eine Puppe, mit Armen und Beinen<br />

wie Stöckchen. Sandy berührte ihr Gesicht, das kalt und glatt wie Wachs war,<br />

tastete nach dem Puls. Er wusste, er sollte den Arzt rufen, konnte sich aber<br />

nicht von der Stelle rühren. Der Schock lähmte ihn, und er brauchte Zeit für<br />

die Erkenntnis, dass Mima tot war. Er blickte auf ihr Gesicht hinunter, das sich<br />

52


kreideweiß vom schlammigen Boden abhob. Das ist nicht Mima, dachte er. Das<br />

kann nicht sein. Es ist irgendein schrecklicher Irrtum. Aber natürlich war es seine<br />

Großmutter; er sah das schlechtsitzende Gebiss und das zerzauste weiße Haar,<br />

und ihm wurde übel. Mit einem Schlag war er ganz und gar nüchtern. Doch er<br />

traute seinem Urteil nicht. Er war Sandy Wilson, der immer alles falsch machte.<br />

Vielleicht hatte er nicht richtig nach dem Puls getastet, und in Wirklichkeit<br />

atmete sie, lebte.<br />

Er hob sie auf die Arme, um sie ins Haus zu tragen, denn er brachte es nicht<br />

über sich, sie hier draußen in der Kälte zu lassen. Erst als er mit ihr in die Küche<br />

trat, sah er die Wunde an ihrem Bauch und das Blut.<br />

53


Oliver Bottini<br />

Jäger der Nacht<br />

Kriminalroman<br />

ISBN 3-5021-1018-2<br />

© Scherz<br />

54<br />

Oliver Bottini, in Nürnberg geboren, studierte in<br />

München Neuere deutsche Literatur, Italianistik und<br />

Markt- und Werbepsychologie. Er erhielt für seine<br />

beiden Kriminalromane »Mord im Zeichen des Zen«<br />

und »Im Sommer der Mörder« jeweils den Deutschen<br />

Krimi Preis. Beide Romane standen monatelang auf<br />

der KrimiWelt-Bestenliste und wurden in mehrere<br />

Sprachen übersetzt. 2007 wurde er für den Friedrich-<br />

Glauser-Preis in der Sparte Roman nominiert. Sein<br />

dritter Roman, »Im Auftrag der Väter«, stand 2007<br />

auf der Shortlist des Münchener Tukan-Preises. Oliver<br />

Bottini lebt in Berlin.<br />

Im Internet: www.bottini.de


Prolog<br />

Ein blick auf das dunkle, lautlose Wasser des Rheins, und alles war für einen<br />

Moment vergessen. Der Hass, die Schmerzen, die Angst.<br />

Eddie ließ das Fahrrad ins Gras fallen, stieg zum Wasser hinunter, setzte sich.<br />

Wenn der Rhein nicht wäre. Trug alles weg für ein paar Minuten. Nur die Gedanken<br />

blieben. Die Gedanken und das Herzklopfen.<br />

Den Vater töten.<br />

Er zündete sich eine Zigarette an, streckte die Beine aus, hängte die Füße in den<br />

Fluss. Die Nikes sogen sich voll. Von unten kroch es kühl die Beine hoch.<br />

Wenn ihn der Hass und die Gedanken zu übermannen drohten, ging er nachts<br />

ins Wasser und schwamm. In Deutschland rein, in Frankreich raus. Erst der<br />

Altrhein, dann über die Insel, dann der Große Elsässische Kanal. Der Kanal<br />

war gefährlich. Einhundertfünfzig Meter Dunkelheit und Kälte, quer durch die<br />

Fahrrinnen, zwischen Lastkähnen, Fischerbooten, Sportbooten hindurch, und<br />

das bei starker Strömung. Manchmal hörte er eine wütende Stimme von einem<br />

der Schiffe, doch meistens sah ihn niemand. Am anderen Ufer blieb er liegen, bis<br />

er wieder zu Kräften gekommen war. Dann schwamm er zurück. So wurde er den<br />

Hass und die Gedanken los.<br />

Im Winter, wenn das Wasser zu kalt war, rannte er.<br />

Er füllte die Lungen mit Rauch, ließ den Blick wandern. Der Wald gegenüber<br />

im Sonnenlicht, flussabwärts am deutschen Ufer die Bootsanlegestelle, dann ging<br />

es in einer leichten Linkskurve hoch nach Breisach. Flussaufwärts ein weißer<br />

Fleck am Ufer, Dennis, der sich in jeder freien Minute in die Sonne legte und<br />

doch immer weiß blieb wie Mozzarella. Der kaum etwas aß und doch immer fett<br />

blieb wie eine Qualle.<br />

Ein weißer, schwabbliger Arm hob sich. Eddie winkte zurück. Als er eine<br />

Männerstimme hörte, hielt er den Atem an. Eine Frau lachte. Das Geräusch von<br />

Fahrradreifen auf dem Weg über ihm. Dann war es wieder ruhig.<br />

Er schnippte die Zigarette von sich, ließ sich zurücksinken und dachte darüber<br />

55


nach, wie das Leben ohne seinen Vater wäre.<br />

56<br />

»Eddie.«<br />

Er öffnete die Augen und fuhr hoch. Sein Herz raste, und er spürte, dass er die<br />

Muskeln angespannt hatte.<br />

Aber es war nur Dennis, eine gelbe Tüte in der einen, das Fahrrad an der anderen<br />

Hand. Vorsichtig ließ er das Rad ins Gras gleiten und kam die zwei Meter<br />

herunter. »Ich hab Bier, wenn du willst.«<br />

Eddie nickte, und Dennis nahm eine Flasche Ganter aus der Tüte und öffnete<br />

sie.<br />

Die Flasche war kühl und nass. Während er trank, dachte er, dass auch Dennis’<br />

Stimme irgendwie weiß und fett war.<br />

Rülpsend setzte sich Dennis neben ihn. Er rülpste und furzte alle paar Minuten.<br />

Eddie hatte den Eindruck, dass er es tat, weil er so weiß und so fett war. Dass er<br />

sich dachte: Wenn schon hässlich, dann richtig.<br />

Eddie störte sich nicht daran. Er schwamm nachts durch den Rhein, Dennis<br />

rülpste und furzte. Irgendwas musste man tun.<br />

Dennis furzte. »Du blutest.«<br />

Eddie berührte die Wunde an seiner linken Wange. Im Schlaf aufgekratzt. Jetzt<br />

tat es auch wieder weh. Er hielt die blutverschmierte Hand vor sich, und sie<br />

betrachteten sie eine Weile.<br />

»Krass«, sagte Dennis. »Meins ist viel heller.«<br />

»Weiß?«<br />

Sie grinsten. Eddie beugte sich vor und tauchte die Hand ins Wasser. Der Rhein<br />

wusch das Blut fort.<br />

Er drehte den Kopf, und ihre Blicke begegneten sich.<br />

Sie sprachen nicht darüber, und doch schien Dennis zu ahnen, wie die Wunde<br />

entstanden war. Weshalb Eddie auch im Sommer nie kurze Hosen oder kurzärm-


lige T-Shirts trug.<br />

Eddie dachte, dass er ihn mochte, obwohl er keine Ahnung hatte, weshalb.<br />

Vielleicht weil Dennis keine Fragen stellte. Oder weil er pausenlos rülpste und<br />

furzte. Oder weil sie fast so etwas wie Brüder waren. Sein Vater fickte die Mutter<br />

von Dennis.<br />

Die Mutter ging nie in die Sonne und aß für drei und war genauso weiß und<br />

fett wie Dennis. Wie Dennis’ Vater aussah, wusste niemand. Nicht einmal seine<br />

Mutter, behauptete Dennis. Ich bin von hinten gemacht worden, sagte er, als<br />

würde das alles erklären. Die weiße Haut, das Fett, die schlechten Noten in der<br />

Schule, und warum das Leben beschissen war.<br />

Eddie wandte sich ab und wusch sich das Blut von der Wange.<br />

»Du kannst das Spiel heute Abend bei mir anschauen, wenn du willst«, sagte<br />

Dennis.<br />

Das zweite Halbfinale. Mexiko gegen Argentinien in Dolby Digital, ein Plasmabildschirm,<br />

der die halbe Wohnzimmerwand einnahm. Viele Männer fickten<br />

Dennis’ Mutter, und manche ließen Geld da.<br />

»Okay.«<br />

Eddie starrte auf sein verzerrtes Spiegelbild im Wasser, und sein Herz begann<br />

wieder zu rasen. Gestern das erste Halbfinale. Die Deutschen hatten gut gespielt,<br />

aber die Brasilianer hatten gewonnen. Mit dem Schlusspfiff war sein Vater aufgesprungen<br />

und hatte zugeschlagen.<br />

»Mama macht Gulasch.«<br />

»Okay.«<br />

Eddie setzte sich zurück, nahm einen Schluck Ganter, und für einen Moment<br />

war er beinahe zufrieden. Fußball schauen, Bier trinken, rauchen und aus riesigen<br />

Suppentellern Gulasch essen. Später würde er wieder herkommen und zusehen,<br />

wie es Nacht wurde, und dann würde er durch den Fluss ans französische Ufer<br />

schwimmen.<br />

57


Eine Weile saßen sie da, beobachteten vereinzelte Kanufahrer auf dem Wasser,<br />

sagten nichts. Der Moment der Zufriedenheit war verflogen. Die Wunde brannte,<br />

und der Hass war wieder da. Das Tor von Adriano. Die Wut seines Vaters, der<br />

teilnahmslose Blick seiner Mutter.<br />

Heute Morgen erst die üblichen Knüffe, Schubsereien, Drohungen. Dann<br />

hatte sein Vater zu lachen begonnen, was hat’n der im Gesicht, ist der aus’m Bett<br />

gefallen? Seine Mutter hatte gesagt: Lach doch, Eddie, ist doch lustig, und sein<br />

Vater hatte gesagt: Schau dir dem seine Schmollfresse an, und nicht aufgehört<br />

zu lachen. Eddie war zur Tür gegangen, hatte sich umgedreht und gesagt: Eines<br />

Tages kill ich dich. Da hatte sein Vater nicht mehr gelacht.<br />

58<br />

»Ich fahr dann«, sagte Dennis.<br />

Eddie nickte.<br />

»Kommst du mit in den Ort?«<br />

»Ich bleib noch.«<br />

»Wenn du willst, lass ich dir ein Bier da.«<br />

»Okay. Hast du Zigaretten?«<br />

Dennis öffnete ein weiteres Ganter. »Sind alle«, sagte er. Sein Blick war merkwürdig,<br />

und Eddie fragte sich, was er dachte.<br />

»Du kannst mit zu mir kommen, wenn du willst.«<br />

Eddie schüttelte den Kopf.<br />

»Dann bis später.«<br />

»Okay.«<br />

Er hörte, wie Dennis oben am Weg auf das Rad stieg. Ein Furz, ein Rülpser, ein<br />

Quietschen, dann entfernten sich die Geräusche. Er hob das Bier an die Lippen,<br />

schloss die Augen, trank. Er wusste jetzt, was Dennis gedacht hatte, und er hasste<br />

ihn dafür. Dennis hatte Mitleid gehabt, und Mitleid hatte man nur mit den<br />

Schwachen.


Sein Vater schien auf ihn zu warten. Er saß im schmalen Vorgarten auf einem<br />

Stuhl, eine Bierflasche in Reichweite, den schwarzen Cowboyhut tief ins Gesicht<br />

gezogen. Er saß so, dass Eddie nicht ins Haus kommen würde, ohne ihn zu<br />

berühren.<br />

Dann hörte Eddie Schnarchgeräusche, und er dachte, dass er Glück hatte.<br />

Er ging am Zaun entlang um das Haus herum, bis er den faustgroßen, fast<br />

runden Stein fand, den er vor Monaten hierher gelegt hatte. Er wischte die Erde<br />

ab, rieb den Stein an seiner Hose sauber, damit er ihm nicht aus der Hand gleiten<br />

würde. Den Stein in der Rechten, ging er zum Gartentor zurück. Der Stein fühlte<br />

sich kühl und beruhigend an, so kühl und beruhigend wie das Wasser des Rheins.<br />

Er dachte, dass der Stein genau wie der Rhein für ihn gemacht war.<br />

Am Gartentor blieb er stehen und musterte seinen Vater. Er trug Shorts und<br />

Unterhemd, sodass die muskulösen Arme und Beine zu sehen waren. Eddie<br />

presste die Finger um den Stein. Wichtig war nur, beim ersten Mal so fest wie<br />

möglich zuzuschlagen. Dann würde er es schon schaffen, selbst wenn sein Vater<br />

danach versuchen würde, sich zu wehren.<br />

Eine Bewegung an einem der Fenster im ersten Stock ließ ihn aufblicken. Der<br />

weiße Vorhang war zugezogen, doch er sah den Schatten seiner Mutter dahinter.<br />

Sie stand reglos da, das Gesicht in seine Richtung gewandt. Dann hob sie eine<br />

Hand und krallte sie in den Vorhang. Dann stand sie wieder reglos da.<br />

Eddie machte ein paar Schritte auf seinen Vater zu. Sein Herz raste, und der<br />

Hass pochte in seinem Kopf. Erneut blieb er stehen und schaute zu seiner Mutter<br />

hoch. Dort, wo ihre Hand den Vorhang hielt, war der Stoff verdreht.<br />

Sein Vater gab im Schlaf ein leises, tiefes Schweinegrunzen von sich, und Eddie<br />

wandte sich ihm wieder zu. Er dachte, dass sein Vater so sterben würde, wie es zu<br />

ihm passte. Grunzend wie ein Schwein.<br />

Er ging weiter. Wieder hörte er das Grunzen, doch dann begriff er, dass sein<br />

Vater erwacht war und dass er nicht im Schlaf grunzte, sondern weil er die Augen<br />

geöffnet und den Stein gesehen hatte. In diesem Moment hob er den Kopf leicht,<br />

und Eddie konnte seine Augen unter der Hutkrempe sehen. Erwartungsvoll und<br />

59


voller Verachtung blickten sie ihn an. Komm, sagten sie. Versuch es.<br />

Eddie blieb stehen. Plötzlich wusste er, dass sein Vater genau wie er auf die<br />

richtige Gelegenheit gewartet hatte.<br />

Jetzt war sie da. Endlich, sagten die Augen, und Eddie dachte, dass er verloren<br />

und dass sein Vater gewonnen hatte. Alles war entschieden, ohne dass er etwas<br />

hatte tun können, das die Dinge entschied. Wie so oft war sein Vater zu stark<br />

und er zu schwach.<br />

60<br />

Sein Vater lächelte und sah sehr zufrieden aus.<br />

Eddie hob den Stein, holte aus und schleuderte ihn in Richtung seines Vaters.<br />

Aber der Stein verfehlte ihn um einen Meter. Als er gegen die Hauswand krachte,<br />

sprang sein Vater auf, und Eddie drehte sich um und rannte.<br />

Sein Vater folgte ihm nicht. Minutenlang stand Eddie am anderen Ende des<br />

Ortes im Schatten eines Baumes. Sein Herz raste, der Hass war da und noch<br />

mehr Angst. Doch sein Vater kam nicht. Warum auch, dachte er. Sein Vater musste<br />

nur abwarten, ob er es wagen würde, nach Hause zurückzukehren.<br />

Einen Augenblick lang überlegte er, was er jetzt machen sollte. Er hatte kein<br />

Geld, keine Kleidung. Um fortzugehen, musste er nach Hause. Aber er konnte<br />

nicht mehr nach Hause.<br />

Er verdrängte die Gedanken und folgte der Straße in Richtung Ortsmitte, um<br />

sein Fahrrad zu holen, das er vorhin am Taubenturm abgestellt hatte. Der Rhein<br />

würde Antworten haben.<br />

Als er das Schloss aufsperrte, spielte sein Handy die ersten Takte von »Candy<br />

Shop« von 50 Cent.<br />

Dennis.<br />

»Ich muss dir was zeigen«, sagte er, und seine Stimme klang nicht mehr weiß<br />

und fett, sondern geheimnisvoll.


Kate Saunders<br />

Liebe macht lustig<br />

Roman<br />

ISBN 3-8105-1935-9<br />

© Krüger Verlag<br />

Kate Saunders verlor als Teenager ihr Herz ans �eater,<br />

wo sie aber lieber hinter als auf der Bühne stand. Als<br />

Journalistin schrieb sie u. a. für die »Sunday Times«<br />

und »Cosmopolitan« und arbeitete für das Radio. Sie<br />

ist begeisterte Londonerin und lebt dort mit ihrem<br />

Sohn.<br />

61


Clare hatte diesen Anruf nicht erwartet. Sie wusste sofort, dass es Alarmstufe<br />

eins bedeutete. Charlie flüsterte hastig, während im Hintergrund ziemlich laut<br />

Wagner lief.<br />

»Mein Liebling – etwas Furchtbares – das muss jetzt schnell gehen, ich bin zu<br />

Hause im Arbeitszimmer. Es hat sich eine kleine Katastrophe ereignet.«<br />

»Katastrophe?« Clare nahm die Fernbedienung vom Fernseher, um das biblische<br />

Monumentaldrama stumm zu schalten, das sie sich angesehen hatte, während<br />

ihre Fußnägel trockneten. »Was ist passiert?«<br />

62<br />

»Beth hat alles herausgefunden.«<br />

»Oh.« Clares Magen drehte sich um. Ihr wurde übel.<br />

»Es ist nicht deine Schuld, aber du hast es jemandem bei deiner Krankenhaus-<br />

Komitee-Sache erzählt.«<br />

»Ich habe es jemandem erzählt?« Das war so lächerlich, dass es eigentlich keine<br />

ernste Antwort verdiente. »Glaubst du, dass wir uns damit unsere Zeit vertreiben?<br />

Uns über unsere Liebesleben zu unterhalten?<br />

Charlie murmelte: »Du hast einer neugierigen alten Tratschtante mit dem<br />

Namen Lizzie Parr erzählt, dass du ins Château Cornu fährst.«<br />

»Oh, ist das etwa die Frau vom Chefarzt? Vielleicht habe ich es am Ende eines<br />

Meetings erwähnt.«<br />

»Nun ja, sie ist eine Freundin von Beth. Sie hat herausposaunt, dass du in dasselbe<br />

Hotel fährst wie ich. Ich habe nichts zugegeben, aber Beth hat offensichtlich<br />

zwei und zwei zusammengezählt.«<br />

»Oh.«<br />

Er stöhnte leicht. Im Hintergrund schrien die Rheintöchter. »Sie ist wirklich<br />

aufgebracht und richtig wütend – sie hat mir vorgeworfen, die Mädchen zu<br />

betrügen und alles zu untergraben, was wir uns aufgebaut haben.«<br />

Clare wurde ungeduldig. Die Details seiner Vorort-Familien-Dramen waren für<br />

sie absolut uninteressant, es sei denn, sie führten dazu, dass er seine Frau verließe


– was sie natürlich nie taten. Charlie hatte ihr schon mehrere Male gesagt, dass<br />

er Beth nicht verlassen könne, bevor die Mädchen nicht das College absolviert<br />

hätten.<br />

»Also«, sagte sie, »werde ich wohl alleine fahren. Ich sollte besser ein paar gute<br />

Bücher mitnehmen.«<br />

Sie war enttäuscht, fand sich aber damit ab. Verheiratete Männer zu lieben hieß,<br />

plötzliche Absagen mit einer gewissen Haltung hinzunehmen.<br />

»Na ja«, sagte Charlie. »Nicht ganz.«<br />

»Bitte?«<br />

»Du wirst mich hassen, aber ich muss es tun, ich habe keine andere Wahl. Beth<br />

hat entschieden, dass sie mitkommt.«<br />

»Was?«<br />

»Und sie bringt die Kinder mit. Es tut mir so leid, wenn du nur wüsstest, wie<br />

leid es mir tut, während ich dich anbete, während ich deinen Körper und deinen<br />

Geist will – aber selbstverständlich zahle ich dir die Hälfte des Zimmerpreises<br />

zurück.«<br />

»Was redest du denn da?« Clare bebte vor Wut. »Warum solltest du denn das<br />

Zimmer behalten?«<br />

»Nun, weil ich es mit Beth teilen werde.«<br />

»Willst du damit sagen, du lässt es zu, dass deine Frau mir meinen Urlaub<br />

wegnimmt?«<br />

»Clare, Süße …«<br />

»Meinen Urlaub, den ich schon seit Wochen plane? Verpiss dich! Es ist nicht<br />

dein Hotel, im Übrigen habe ich es entdeckt, und du kannst mich davon nicht<br />

fernhalten.«<br />

»Komm schon, Clare! Ich werde mit meiner verdammten Familie dort sein.«<br />

»Oh, mach dir keine Sorgen. Ich werde mir ein anderes Zimmer buchen. Ich<br />

63


werde unsichtbar sein. Du wirst nicht einmal mitbekommen, dass ich da bin.«<br />

Sie legte einfach auf, und das hatte sie noch nie getan. Der Ärger fiel von ihr ab,<br />

und sie begann zu schluchzen. Es passierte wieder. Sie wusste nur zu gut, was jetzt<br />

kommen würde. Diese Art von Liebesbeziehung zerfällt zu Staub, wenn sie erst<br />

einmal der Lufteinwirkung ausgesetzt ist. Charlie wäre vor die Wahl gestellt, und<br />

dann entschied er sich bestimmt für seine spießige verheiratete Jungfrau. Clare<br />

müsste aus seinem Leben verschwinden und nichts als Reue und Schuldgefühle<br />

zurücklassen – keinen Gold-, sondern einen Trauerring.<br />

Sie war nicht böse auf ihn. Sie war noch nicht einmal böse auf Beth. Sie war<br />

böse auf sich selbst, weil sie ihr eigenes Leben so wenig im Griff hatte. In solchen<br />

Phasen musste Clare wohl oder übel zugeben, dass sie wusste, warum sie mit dreiunddreißig<br />

Jahren alleine war. Sie war süchtig nach der heimlichen Ekstase, dem<br />

schmerzlichen Verlangen und der unglaublichen sexuellen Erregung, die Affären<br />

mit verheirateten Männern mit sich brachten.<br />

Und weil sie wusste, dass sie kein Mitleid verdient hatte, tat es nur noch mehr<br />

weh. Ihre Mutter, die Sprichwörter sehr gemocht hatte, hätte gesagt, wer mit dem<br />

Feuer spielt, kommt darin um. Wenn ihr Herz bräche, wäre das ganz allein ihre<br />

Schuld.<br />

Clare ahnte seit dem Tag, an dem sie in dem großen Architekturbüro in Clerkenwell<br />

angefangen hatte, dass sie wahrscheinlich auf alle Gesellschafter abfahren<br />

würde. Sie wusste nur zu gut, dass sie die fatale Neigung hatte, männliche Autoritätspersonen<br />

anzuhimmeln. Das hatte sie in den bitteren Nachwehen der Affäre<br />

mit Patrick, ihrer ersten großen Liebe, herausgefunden.<br />

Sie hatte Charlie gesehen, wie er sich über den Schreibtisch lehnte und telefonierte.<br />

Er hatte kurz aufgeblickt, ihre Hand geschüttelt, und ihr Herz begann wie<br />

wild zu klopfen – diese dunklen Augen mit dem verschleierten Blick, die grauen<br />

Strähnen in seinem dicken schwarzen Haar. Er hatte etwas von Harrison Ford,<br />

eine Spur von Connery, einen Anflug von Gary Cooper in ›Zwölf Uhr mittags‹.<br />

Es hatte sie augenblicklich erwischt.<br />

Charlie war zweiundfünfzig. Über der Spüle in der Büroküche hing ein altes<br />

64


Foto von der Überraschungsparty zu seinem fünfzigsten Geburtstag. Er stand in<br />

der Mitte einer Gruppe, und sein grinsendes Gesicht drückte blankes Entsetzen<br />

aus. Fünfzig zu werden, das wusste Clare aus gutem Grund, war oft ein traumatisches<br />

Erlebnis für den grauhaarigen Alphamann.<br />

Der Sex mit Charlie war phantastisch, unglaublich. Aber natürlich war da noch<br />

mehr. Er war einfühlsam, galant und romantisch. Nach ihrer ersten Umarmung<br />

hatte Charlie sie zum Abendessen ausgeführt und ihr eine weiße Rose mitgebracht.<br />

Clare hatte sich nichts daraus gemacht, dass das düstere italienische<br />

Restaurant im Büro »Affärino’s« genannt wurde. Dieses erste Zusammentreffen<br />

hatte nichts Schmutziges oder Heimliches. Sie hatten sich angeregt unterhalten.<br />

Sie hatte sich dabei ertappt, ihm alle möglichen Dinge von ihren lustigen alten<br />

Eltern zu erzählen, die beide Landärzte gewesen waren, und von ihrer einsamen<br />

Lincolnshire-Kindheit. Diese Dinge waren alle unglaublich persönlich. Normalerweise<br />

war Clare eher zurückhaltend, was ihre Herkunft betraf, und zögerte<br />

eher, sie vor Leuten auszubreiten, die sie möglicherweise nicht verstanden, aber<br />

Charlie hatte einfach genau die richtigen Fragen gestellt. Und er hörte ihr mit<br />

großem Interesse zu. Sie hatte in diesen besonderen Ferien geplant, ihm von<br />

Patrick zu erzählen.<br />

Sie weinte eine halbe Stunde. Im Fernsehen bewegte Deborah Kerr stumm ihre<br />

Lippen in einer Toga aus violettem Chiffon.<br />

Clare konnte Charlie nicht zurückrufen, um ihm zu sagen, dass es ihr leidtat.<br />

Sie durfte ihn nicht anrufen. Es tat ihr sowieso nicht leid. Wie konnte er es<br />

wagen? Sie hatte diesen Urlaub – ihre ehebrecherischen Flitterwochen – mit solch<br />

liebevoller Sorgfalt geplant.<br />

Sie hatte das Château Cornu in einem Design-Magazin, das ans Büro geliefert<br />

wurde, entdeckt. Beim Durchblättern fiel ihr Blick auf ein atemberaubendes<br />

Foto. Es zeigte ein kleines Schloss mitten in einem Garten zwischen Lavendel,<br />

Rosen und Reihen von Geranien unter dem südlichen Himmel. Der älteste Teil<br />

des Schlosses war ein massiger Bau aus grauem Stein mit schmalen, tiefliegenden<br />

Fenstern hinter Eisengittern. Daran schloss sich ein traditionelles, weinumranktes<br />

französisches Manoir mit Verandafenstern an. Hinter dem neueren Flügel des<br />

65


Hauses war ein Teil des Swimmingpools zu sehen. Unter dem Foto stand ein<br />

kurzer Artikel. Clare überflog ihn schnell. Château Cornu war im 11. Jahrhundert<br />

zum Schutz vor den räuberischen Engländern gebaut worden. Der Rest war<br />

im 17. Jahrhundert hinzugefügt worden. In den frühen Zwanzigerjahren hat<br />

eine entschlossene amerikanische Lady mit einem großen Interesse an Kunst und<br />

Geschichte es erworben. Mrs Rushing hatte das Schloss restauriert und es in die<br />

Pension Cornu umgewandelt. Auf der zweiten Seite war ein Schwarz-Weiß-Foto<br />

von E. M. Forster, ein paar Mitgliedern der Bloomsbury Group und Angehörigen<br />

der Cunard-Familie abgebildet, die in weißen Klamotten auf einer großen, mit<br />

Kies bedeckten Terrasse saßen und ihre berühmten, alten Augen vor der Sonne<br />

schützten.<br />

Mrs. Rushings Hotel war vor dem Zweiten Weltkrieg geschlossen worden. Im<br />

Laufe der Jahre war es extrem baufällig, ja beinahe gefährlich geworden. Ein britisches<br />

Paar hatte diesen Ort letztes Jahr gekauft, mit dem Ziel, ihn in ein feines<br />

Hotel zu verwandeln. Das war alles, was Clare wissen musste. Sie hatte einen<br />

Zettel hineingelegt und das Magazin auf Charlies Schreibtisch gelegt. Er hatte<br />

ihnen auftragsgemäß ein luxuriöses Zimmer gebucht und seiner Frau erzählt, dass<br />

er alleine fahren würde, um den Akku aufzuladen. (Clare war erstaunt über Beths<br />

Leichtgläubigkeit – seit wann lädt ein Mann seinen Akku in einem Hotel auf, das<br />

so wahnsinnig schön ist, dass es fast schon unanständig ist?)<br />

Clare ging in ihre kleine Küche. Sie putzte sich die Nase mit einem Geschirrtuch<br />

und brühte einen Tee auf. Mach es jetzt, sagte sie zu sich selbst, bevor du<br />

dich noch umentschließt. Sie wählte die Nummer des Château Cornu. Sie ließ es<br />

lange klingeln. Endlich hob ein Mann mit einem vornehmen britischen Akzent<br />

ab. Er klang atemlos, und im Hintergrund hörte man so eine Art klappernde<br />

Unruhe. Clare musste mehrmals erklären, was sie wollte.<br />

»Oje«, sagte er schwach. »Ich fürchte, ich habe nur noch ein einziges Zimmer<br />

übrig. Es ist sehr klein, und es hat nur eine Dusche und keine Badewanne. Und<br />

um ehrlich zu sein, ist es nicht richtig fertig.«<br />

»Wie bitte?«<br />

66


»Es ist noch nicht komplett eingerichtet, verstehen Sie?«<br />

»Das macht nichts«, antwortete Clare.<br />

»Um die Wahrheit zu sagen«, fügte er hinzu, »wir haben gerade erst eröffnet.«<br />

»Bitte?«<br />

»Das Hotel. Wir haben bis jetzt noch keine Gäste gehabt.«<br />

Clare hörte ein Krachen, gefolgt von jemandem, der »Scheiße!« rief.<br />

»Aber«, sagte der Mann bestimmt, »einige Kinderkrankheiten ergeben sich ja<br />

zwangsläufig. Haben Sie schon einen Flug gebucht?«<br />

»Ja. Ich werde morgen Nachmittag in Toulouse am Flughafen ankommen. Um<br />

vier, glaube ich.«<br />

»Oh, gut. Dann können Sie mit in den Bus. Ich werde bei der Ankunft ein<br />

Schild hochhalten. Mein Name ist Jamie MacDuff.«<br />

»Sehr erfreut«, sagte Clare.<br />

»Scheiße!«, schrie die Phantomstimme im Hintergrund.<br />

»Dann bis morgen«, sagte Jamie MacDuff.<br />

Clare legte den Hörer auf und ließ sich von der Einsamkeit ihrer Wohnung<br />

überwältigen. Sie hatte keinerlei Zweifel daran, dass es ein wahnsinniger Akt<br />

war, mit ihrem Liebhaber und seiner Familie in den Urlaub zu fahren. Das war<br />

ihr egal. Sie war es leid, die Regeln des Ehebruchs einzuhalten – die kurzen Telefongespräche<br />

über Handy von seltsamen Orten, die diskreten Restaurants, die<br />

heimlichen Nächte und die plötzlich überflüssigen �eaterkarten.<br />

Dieses Mal war es anders. Wenn Charlie der Mann war, den sie liebte, dann<br />

musste sie auch bereit sein, um ihn zu kämpfen.<br />

67


Melanie Rose<br />

Mein Tag ist Deine Nacht<br />

Roman<br />

ISBN 3-426-66364-3<br />

© Droemer/Knaur<br />

68<br />

Melanie Rose lebt in Surrey und hat schon als Teena-<br />

ger Kurzgeschichten für Zeitschriften und Magazine<br />

geschrieben. Schon damals beschäftigte sie immer<br />

wieder die Frage: „Was wäre, wenn …?“ Die Autorin<br />

hat zunächst als Kinderkrankenschwester und Spiel-<br />

therapeutin gearbeitet, bevor sie mit ihrem Mann eine<br />

Familie gründete, zwei Söhne bekam und zwei weitere<br />

Kinder adoptierte. „Mein Tag ist deine Nacht“ ist ihr<br />

erster Roman.


Prolog<br />

Ausgelassen zog mich Frankie über den staubigen Parkplatz auf den kurzgeschnittenen<br />

Rasen der Downs, dem alljährlichen Schauplatz des Epsom-Derbys,<br />

wo ich stehen blieb und die Herbstluft einatmete, froh darüber, endlich draußen<br />

zu sein: fort von den Autoabgasen der nahe gelegenen Straße und der Enge<br />

meiner kleinen Wohnung. Ich bückte mich, um meine dreijährige Terrierhündin<br />

von der Leine los zu lassen, und als ich mich wieder aufrichtete, flitzte sie bereits<br />

übermütig davon. Lächelnd wünschte ich mir, ich könnte mit ebensolcher Hingabe<br />

hinter ihr herrennen.<br />

Stattdessen gab ich mich mit einem flotten Tempo zufrieden, holte sie schließlich<br />

ein, und gemeinsam setzten wir den vertrauten Weg auf den Epsom Downs<br />

fort, Frankie im geschäftigen Trippelschritt vorneweg. Ich ließ meine Gedanken<br />

schweifen und spürte, wie der Druck der vergangenen Woche von mir abfiel und<br />

ich mich entspannte.<br />

Als wir eine kleine Anhöhe erklommen, verschwand die Sonne hinter einer<br />

Wolke, und mit einem Mal herrschte -völlige Windstille. Das verdorrte Gras und<br />

die fernen Bäume, einen Augenblick zuvor in der frühen Nachmittagssonne noch<br />

in satten Herbsttönen leuchtend, hatten einen unheimlichen gelblichen Farbton<br />

angenommen. Schaudernd zog ich meinen Schaffellmantel fester um mich und<br />

beschleunigte den Schritt.<br />

Frankie hatte ein paar kleine Bäume ins Visier genommen, und ich fluchte leise<br />

vor mich hin, hoffte, sie würde nicht gerade jetzt verschwinden, wo ich mich auf<br />

den langen Rückweg zum Auto begeben wollte. Auf einmal wurde es kalt, und<br />

der Himmel färbte sich lila und schwarz wie eine überreife Pflaume. Die Landschaft<br />

schien in eine unnatürliche Stille getaucht. Beklommen bemerkte ich, dass<br />

selbst die Vögel zu singen aufgehört hatten.<br />

Ein tiefes Grollen hallte über die fernen Anhöhen wider, und ein paar Sekunden<br />

darauf kam Frankie panisch zurückgestürmt und bewegte ihre Hinterbeine dabei<br />

derart schnell, dass es fast aussah, als stünden sie unter ihrer Schnauze hervor. Sie<br />

prallte gegen meine Schienbeine und winselte.<br />

69


Ich nahm sie hoch und drückte sie an mich, ohne mich darum zu kümmern,<br />

dass sie mir mit ihren Pfoten den Mantel schmutzig machte. Ihr warmer, lebendiger<br />

Körper und ihr Hundeatem auf meinem Gesicht gaben mir die Gewissheit,<br />

nicht versehentlich in die Stille eines Landschaftsgemäldes getreten zu sein.<br />

Voller Ehrfurcht betrachtete ich die beängstigende Schönheit des Schauspiels<br />

um mich herum. Das eigenartige Licht hatte die herbstlichen Bäume auf der<br />

weit entfernten Hügelkuppe bemalt und ihre Wipfel in Gold getaucht, und doch<br />

zeigte sich der Himmel mit jedem Augenblick dunkler und unheilvoller.<br />

Und dann setzte der Wind mit einer derartigen Wucht ein, dass ich unter dem<br />

Angriff zurücktaumelte. Er fegte mein schulterlanges braunes Haar nach hinten<br />

und umklammerte mit seiner kalten Hand mein Gesicht, so dass ich nach Luft<br />

schnappte. Frankie wand sich in meinen Armen, aber ich wollte sie nicht absetzen,<br />

da ich befürchtete, sie würde dann in ihrer Angst das Weite suchen.<br />

Ich befestigte das Ende der Hundeleine unter Mühen an ihrem karierten<br />

Halsband. Gerade wollte ich sie auf den Boden setzen, als ein schwarzer Labrador<br />

auf uns zugeschossen kam. Er hatte uns fast erreicht, als der erste Blitzstrahl den<br />

Himmel zerriss. Sekunden darauf folgte der Donnerschlag, und die beiden Hunde<br />

drückten sich an meine Beine, ohne sich mit den üblichen Schnüffelformalitäten<br />

abzugeben. Ich kauerte mich zu ihnen, da ich einmal gehört hatte, Blitze<br />

schlügen immer in den höchsten Punkt ein. Der wollte ich nicht sein.<br />

Wir drängten uns noch immer mit gesenkten Köpfen aneinander, wobei ich die<br />

Arme beschützend um die Hunde gelegt hatte, als mir jemand auf die Schulter<br />

tippte. Ich riss den Kopf hoch und sah einen Mann über uns stehen, in dessen<br />

Hand eine Hundeleine baumelte.<br />

70<br />

»Alles in Ordnung?«, rief er mir über das Windgetöse hinweg zu.<br />

Vor Verlegenheit stieg mir die Röte ins Gesicht. Ich rappelte mich hoch und<br />

blickte unvermittelt in seine blauen Augen. Nachdem ich tief Luft geholt hatte,<br />

versuchte ich meinen aufflatternden Mantel zu schließen und gleichzeitig trotz<br />

der schweren Böen und Frankies beharrlichem Zerren nicht das Gleichgewicht zu<br />

verlieren.


Ein zweiter Blitzstrahl knisterte über uns, und wir zuckten beide unwillkürlich<br />

zusammen. Gedanken wirbelten durch meinen Kopf, unter anderem die Frage,<br />

wieso ich dem Traum einer jeden Frau genau dann begegnen musste, wenn ich<br />

mich – mitten in einem Gewittersturm in den Downs – mit zwei verdreckten<br />

Hunden zusammendrängte?<br />

»Ist das Ihrer?«, brüllte ich und blickte auf den schwarzen Labrador, der nun<br />

verzückt um den Mann, der wohl Anfang dreißig sein musste, herumsprang.<br />

»Ja, sie ist mir weggelaufen. Danke, dass Sie sie aufgehalten haben.«<br />

Er schien seinen Weg nur ungern fortsetzen zu wollen, und ich überlegte<br />

krampfhaft, wie ich die Unterhaltung in Gang halten konnte, bekam den Mund<br />

aber einfach nicht auf. Hilflos sah ich zu, wie er seinen Hund an die Leine nahm,<br />

mich dankbar anlächelte und sich zum Gehen wandte.<br />

Das wär’s gewesen, ganz bestimmt, hätte es nicht wieder zu regnen begonnen:<br />

Riesige, schimmernde Tropfen, die wie kleine Kanonenkugeln niederprasselten<br />

und da, wo sie auf die trockene Erde fielen, dunkle Flecken bildeten. Der Unbekannte<br />

drehte sich um, schlug seinen Jackenkragen hoch und kam, den Kopf<br />

gegen den Gewitterregen gesenkt, zu mir zurück. Der Regenguss nahm nun an<br />

Heftigkeit zu, bis wir in keine Richtung mehr weiter als über eine Armeslänge<br />

hinaus blicken konnten. Es war, als stünde man unter einem Wasserfall.<br />

Wir blickten einander an, dieser Fremde und ich, und brachen in Gelächter aus.<br />

Er hatte ein bezauberndes Lachen, tief und kehlig, und obwohl ihm das kurze<br />

Haar am Kopf klebte und Wasser von der Nasenspitze tropfte, wusste ich auf der<br />

Stelle, dass er jemand Besonderes war.<br />

»Mein Wagen steht da drüben«, schrie er und deutete vage in eine Richtung.<br />

»Da wären wir im Trockenen. Laufen wir hin?«<br />

Ich nickte, und zu meiner großen Freude nahm er meine kalte, nasse Hand in<br />

seine und zog mich mit sich, die beiden Hunde mit eingezogenen Schwänzen im<br />

Gefolge.<br />

Ich konnte spüren, wie das Blut in meinen Adern pulsierte, und meine mit<br />

71


seinen verschlungenen Finger kribbelten in einer Art Ekstase, die dem Schmerz<br />

nicht unähnlich war.<br />

Fast hatten wir den Parkplatz erreicht, als erneut ein Blitz aufzuckte und die<br />

Wagenreihen im Nebel vor uns beleuchtete. Die Regentropfen schufen einen<br />

dunstigen aufwärtsstrebenden Sprühnebel, der auf seine Weise schön war, allerdings<br />

nicht so schön wie das Zusammengehörigkeitsgefühl, das ich gegenüber<br />

diesem Mann empfand, dessen tropfende Finger mir Löcher in die Handflächen<br />

brannten. Zwischen uns beiden knisterte es, wie ich es noch nie erlebt hatte und<br />

nicht einmal ansatzweise in Worte zu fassen vermochte.<br />

Der Regen trommelte auf unsere Rücken, stieß uns voran, unsere Schritte<br />

stampften in vollkommenem Gleichklang, und als wir uns atemlos dem Wagen<br />

näherten, blickte mir der attraktive Unbekannte in die Augen, und mich überlief<br />

ein Schauer der Erregung. Er ließ meine Hand einen Augenblick los, um den<br />

Autoschlüssel aus seiner Tasche zu holen, und in diesem Bruchteil einer Sekunde<br />

erhellte sich der Himmel mit einem krachenden Donnern. Wie in einer heftigen<br />

Explosion drang ein Blitzstrahl in meinen Körper.<br />

Als hätte jemand einen riesigen Schalter betätigt, verschwand die zuvor verspürte<br />

Euphorie. In der Schulter durchfuhr mich ein brennender Schmerz. Hingerissen<br />

beobachtete ich, wie sich die Augen des Fremden vor Entsetzen weiteten.<br />

Ich konnte den unerträglichen Gestank verbrannten Fleisches riechen und wusste<br />

unwillkürlich, dass es meines war. Einen kurzen Moment lang vermeinte ich,<br />

über mir zu schweben, mein irdischer Körper umflutet von einer roten Aura. Ich<br />

erschauerte ich, sank auf den nassen Boden, und dann war da nur noch Schwärze.<br />

Nichts.<br />

72


Kapitel 1<br />

Was für ein unheimlicher Traum. Ich schmiegte mich tiefer in mein Kissen und<br />

wollte zurück in den Schlaf finden und die Gefühle wieder einfangen, die ich für<br />

den gutaussehenden Unbekannten empfunden hatte. Ein fremdartiger Geruch<br />

weckte mich jedoch, zerrte an meinem Bewusstsein. Verschlafen schlug ich ein<br />

Auge auf und drehte mich zu meinem Wecker um. Er war nicht da. Stattdessen<br />

stand dort ein Resopal-Nachtkasten mit einem Wasserkrug aus Plastik und einem<br />

Becher mit Strohhalm darauf.<br />

Mühsam stützte ich mich auf einen Ellbogen und entdeckte dabei, dass auf<br />

meinem linken Handrücken mittels Heftpflaster eine Nadel befestigt war. Sie<br />

schien mit einem durchsichtigen Beutel verbunden, der eine Flüssigkeit enthielt,<br />

die über einen dünnen Schlauch in meine Adern tropfte. Ich starrte ihn ein paar<br />

Sekunden an und blickte mich dann in dem kleinen, fensterlosen Raum um, an<br />

dessen Wand sich mehrere rhythmisch piepsende Monitore befanden. Als ich mit<br />

den Händen über das gestärkte weiße Krankenhausgewand fuhr, in dem ich mich<br />

wiederfand, entdeckte ich die klebrigen Elektroden der Monitore – sie waren an<br />

meinem Brustkorb angebracht.<br />

Ich setzte mich kerzengerade auf und verfluchte mich umgehend dafür, da<br />

mich in Rücken und Schulter ein stechender Schmerz durchzuckte. Behutsam<br />

befühlte ich das hauchdünne Material auf meinem Nacken und über meiner<br />

linken Schulter. Verband. Ich dachte an den Blitzschlag zurück. Es war also gar<br />

kein Traum gewesen! Einen Augenblick saß ich reglos da und bemühte mich, die<br />

Geschehnisse noch einmal Revue passieren zu lassen: das Unwetter, der gutaussehende<br />

Fremde, die beiden Hunde, die sich hinter dem Auto versteckt hatten, der<br />

Regen, der erbarmungslos niedergegangen war. Und was war mit Frankie? Wer<br />

kümmerte sich jetzt um sie?<br />

Ich wohnte allein in meiner Souterrainwohnung am Stadtrand von Epsom.<br />

Meine Eltern lebten Meilen entfernt, lebendig begraben in einem ruhigen Nest<br />

in Somerset – einem Dorf, das aus einer Handvoll Cottages, einem Pub und<br />

einer Kombination aus Postamt und Gemischtwarenhandlung bestand – die Art<br />

von Ort, die man durchfahren konnte, ohne ihn überhaupt wahrzunehmen.<br />

73


Niemand käme auf die Idee, meine Eltern davon zu unterrichten, dass ich verletzt<br />

oder dass Frankie irgendwo allein war.<br />

Ich berührte meinen Kopf, der empfindlich schmerzte, und ver-suchte mich<br />

zu erinnern, ob ich bei dem Spaziergang irgendwelche Ausweispapiere dabeigehabt<br />

hatte. Meine Handtasche war im Auto gewesen, das an einer anderen Stelle<br />

geparkt war als das des Fremden. In meinen Manteltaschen hatten sich -lediglich<br />

ein paar Papiertaschentücher und ein Hundekeks befunden. Nicht viel, um Hinweise<br />

auf meine Identität zu geben.<br />

Als ich mich in dem weiß gestrichenen Raum umsah, blieb mein Blick an einer<br />

Grußkarte hängen, die durch den Wasserkrug auf dem Nachtschrank zum Teil<br />

verdeckt wurde. Eine Kinderzeichnung von einer Frau befand sich darauf, umgeben<br />

von kleinen Kindern, die Köpfe auf den Strichkörpern unverhältnismäßig<br />

groß, das hellblaue Haar stand ihr zu Berge.<br />

74<br />

Ich schlug die Karte auf und las, was hineingekrakelt worden war.<br />

»Liebe Mami. Hoffentlich geht’s Dir bald wieder besser. Alles Liebe von Sophie,<br />

Nicole, Toby und Teddy. XXXX.«<br />

Ich fragte mich, wie sauber das Zimmer sein mochte, wenn man die Sachen<br />

meiner Vorgängerin noch nicht weggeräumt hatte, und hatte die Karte gerade<br />

wieder auf den Nachttisch gestellt, als die Tür aufging und eine Krankenschwester<br />

mit einem Krankenblatt hereinkam. Als sie sah, dass ich wach war, lächelte<br />

sie.


Val McDermid<br />

Nacht unter Tag<br />

Roman<br />

ISBN 3-426-19844-4<br />

© Droemer/Knaur<br />

Val McDermid wurde 1955 in Kirkcaldy im schot-<br />

tischen Fife geboren und wuchs dort in einer Bergar-<br />

beiterfamilie auf. Nach der Schulzeit studierte sie Eng-<br />

lisch in Oxford. Nach Jahren als Literaturdozentin und<br />

als Journalistin bei namhaften Zeitungen lebt sie heute<br />

als freie Autorin in Manchester und in einem kleinen<br />

Dorf an der englischen Nordseeküste. Sie gilt als eine<br />

der interessantesten Autorinnen im Spannungsgenre<br />

und ist außerdem als Krimikritikerin der BBC, der<br />

„Times“, des „Express“ und der Krimi-Website Tangled<br />

Web sowie als Jurymitglied mehrerer Krimipreise<br />

eine zentrale Figur in der britischen Krimiszene. Ihre<br />

Kriminalromane und �riller sind weltweit in mehr<br />

als 25 Sprachen übersetzt.<br />

75


76<br />

Mittwoch, 27. Juni 2007,<br />

Glenrothes<br />

Die junge Frau schritt durch den Empfangsbereich, und das rhythmische<br />

Klacken ihrer niedrigen Absätze auf dem Kunststoffboden wurde vom Geräusch<br />

der vielen anderen vorbeieilenden Füße übertönt. Sie sah aus wie jemand, der<br />

eine wichtige Mission hat, dachte der Beamte in Zivil, als sie auf seinen Schreibtisch<br />

zukam. Aber eigentlich war das ja bei den meisten so. Die ganzen Poster an<br />

den Wänden, auf denen Hinweise zur Verbrechensverhütung und allerlei weitere<br />

Informationen standen, erreichten diese Leute nie, wenn sie in wilder Entschlossenheit<br />

auf ihn zuschritten.<br />

Sie steuerte ihn mit fest aufeinandergepressten Lippen an. Sieht nicht schlecht<br />

aus, dachte er. Aber wie bei vielen der Frauen, die sich hier einfanden, war ihr<br />

Äußeres auch nicht gerade spitzenmäßig. Ein bisschen mehr Make-up wäre angebracht<br />

gewesen, um ihre leuchtend blauen Augen stärker zu betonen; und auch<br />

etwas Kleidsameres als Jeans und ein Kapuzenpullover. Dave Cruickshank setzte<br />

sein gewohntes professionelles Lächeln auf. »Kann ich Ihnen helfen?«, fragte er.<br />

Die Frau schob den Kopf leicht zurück, als wolle sie sich verteidigen. »Ich<br />

möchte jemanden als vermisst melden.«<br />

Dave versuchte, sich seine Müdigkeit und Gereiztheit nicht anmerken zu lassen.<br />

Wenn nicht bitterböse Nachbarn, dann waren es sogenannte Vermisste. Die Frau<br />

war für ein verschwundenes Kleinkind zu gelassen und für einen weggelaufenen<br />

Teenager zu jung. Bestimmt ging es um einen Streit mit ihrem Freund. Oder um<br />

einen senilen Opa, der ausgebrochen war. Also eine verflixte Zeitverschwendung<br />

– wie üblich. Er zog einen Block mit Formularen über den Schaltertisch zu sich<br />

heran, bis er akkurat und gerade vor ihm lag, und griff nach einem Füller. Aber<br />

er nahm dessen Kappe noch nicht ab. Es gab eine Schlüsselfrage, die beantwortet<br />

werden musste, bevor er Einzelheiten notieren würde. »Und wie lange ist diese<br />

Person schon verschwunden?«<br />

»Zweiundzwanzig Jahre und sechs Monate. Genau genommen seit Freitag, dem<br />

vierzehnten Dezember 1984.« Sie streckte das Kinn vor, und Entrüstung verdü-


sterte ihre Gesichtszüge. »Ist das lang genug, um es ernst nehmen zu können?«<br />

[…]<br />

Detective Inspector Karen Pirie führte die Frau einen Seitenkorridor entlang<br />

zu einem kleinen Zimmer. Ein hohes Fenster ging auf den Parkplatz und auf<br />

den Golfplatz hinaus mit seinem gleichmäßig künstlichen Grün in der Ferne.<br />

Vier mit dem grauen Tweed der Ämter bezogene Polsterstühle standen um einen<br />

runden Tisch, dessen helles Kirschbaumholz zwar poliert war, aber nur stumpf<br />

glänzte. Der einzige Hinweis auf den Zweck dieses Raums ergab sich aus der<br />

Reihe gerahmter Fotos an der Wand, alles Bilder von Polizisten im Einsatz. Jedes<br />

Mal, wenn sie das Zimmer nutzte, fragte sich Karen, warum die oberen Etagen<br />

nur Bilder ausgewählt hatten, die in den Medien meistens dann veröffentlicht<br />

wurden, wenn etwas sehr Schlimmes passiert war.<br />

Die Frau sah sich unsicher um, während Karen einen Stuhl herauszog und ihr<br />

ein Zeichen machte, Platz zu nehmen. »Im Fernsehen ist das anders«, sagte sie.<br />

»Nicht vieles im Polizeibezirk von Fife ist wie im Fernsehen«, entgegnete Karen<br />

und setzte sich in einem Winkel von neunzig Grad, nicht der Frau direkt gegenüber.<br />

Eine weniger herausfordernde Position brachte bei einer Zeugenbefragung<br />

gewöhnlich mehr.<br />

»Wo sind die Tonbandgeräte?« Die Frau ließ sich nieder, zog aber ihren Stuhl<br />

nicht näher an den Tisch heran und hielt ihre Tasche auf dem Schoß fest.<br />

Karen lächelte. »Sie verwechseln eine Zeugenbefragung mit dem Verhör eines<br />

Verdächtigen. Sie sind ja hier, um eine Meldung zu machen, nicht um wegen<br />

eines Verbrechens befragt zu werden. Sie dürfen also auf einem bequemen Stuhl<br />

sitzen und aus dem Fenster schauen.« Sie schlug ihren Block auf. »Ich glaube, Sie<br />

wollten jemanden als vermisst melden?«<br />

»Das stimmt. Sein Name ist …«<br />

»Einen Moment. Ich muss ein bisschen weiter vorn anfangen. Zunächst mal,<br />

wie heißen Sie?«<br />

»Michelle Gibson. So heiße ich, seit ich verheiratet bin. Mein Mädchenname ist<br />

77


Prentice. Aber alle nennen mich Misha.«<br />

78<br />

»Gut, Misha. Ich brauche auch Ihre Adresse und Telefonnummer.«<br />

Misha ratterte alle Angaben herunter. »Das ist die Adresse meiner Mutter. Ich<br />

mache das sozusagen in ihrem Auftrag, wissen Sie?«<br />

Karen kannte den Namen des Dorfes, aber nicht den der Straße. Es hatte sich<br />

aus einem der kleinen Weiler entwickelt, die der dortige Grundbesitzer für seine<br />

Bergleute zu einer Zeit gebaut hatte, als ihm die Arbeiter noch genauso gehörten<br />

wie die Gruben selbst. Und es wurde schließlich zu einer Schlafstadt für Fremde,<br />

die weder eine Verbindung zu dem Ort noch zu seiner Vergangenheit hatten.<br />

»Trotzdem brauche ich auch die Angaben zu Ihrer Person«, erklärte sie.<br />

Misha runzelte leicht die Stirn, dann gab sie eine Adresse in Edinburgh an. Karen<br />

sagte die Anschrift nichts; obwohl sie nur dreißig Meilen von der Hauptstadt<br />

entfernt wohnte, waren ihre Kenntnisse der sozialen Gegebenheiten dort von provinzieller<br />

Unzulänglichkeit. »Und Sie möchten jemanden als vermisst melden«,<br />

fuhr sie fort.<br />

Misha zog scharf die Luft ein und nickte. »Meinen Vater. Mick Prentice. Also<br />

eigentlich Michael, genau genommen.«<br />

»Und wann ist Ihr Vater verschwunden?« Jetzt könnte es interessant werden,<br />

dachte Karen. Sollte es überhaupt jemals interessant werden.<br />

»Wie ich dem Mann unten schon sagte, vor zweiundzwanzig Jahren und sechs<br />

Monaten. Am Freitag, dem vierzehnten Dezember 1984, haben wir ihn zum<br />

letzten Mal gesehen.« Misha Gibson zog die Augenbrauen zusammen und blickte<br />

störrisch und finster drein.<br />

»Das ist eine ziemlich lange Zeit, um jemanden dann erst vermisst zu melden«,<br />

bemerkte Karen.<br />

Misha seufzte und wandte den Kopf, um aus dem Fenster zu sehen. »Wir glaubten<br />

nicht, dass er verschwunden war. Nicht direkt.«<br />

»Ich kann Ihnen nicht folgen. Was meinen Sie mit ›nicht direkt‹?«


Misha drehte sich um und hielt Karens beharrlichem Blick stand. »Hört sich so<br />

an, als seien Sie aus der Gegend hier.«<br />

Karen fragte sich, worauf das hinauslaufen würde, und erwiderte: »Ich bin in<br />

Methil aufgewachsen.«<br />

»Also, nichts für ungut, aber Sie sind alt genug, um sich zu erinnern, was 1984<br />

los war.«<br />

»Der Streik der Bergleute?«<br />

Misha nickte. Ihr Kinn war weiterhin vorgeschoben, und sie starrte sie trotzig<br />

an. »Ich bin in Newton of Wemyss aufgewachsen. Mein Vater war Bergmann.<br />

Vor dem Streik arbeitete er unten in der Lady Charlotte. Sie werden sich erinnern,<br />

was die Leute in dieser Gegend damals sagten: Niemand sei streitbarer<br />

als die Kumpel von Lady Charlotte. Trotzdem verschwand in einer Nacht im<br />

Dezember nach neun Monaten Streik ein halbes Dutzend von ihnen. Na ja, ich<br />

sage, sie verschwanden, aber alle kannten die Wahrheit. Nämlich dass sie nach<br />

Nottingham zu den Streikbrechern gingen.« Ihr Gesicht verzog sich krampfhaft,<br />

als kämpfe sie gegen einen körperlichen Schmerz an. »Bei fünf von ihnen war<br />

niemand allzu überrascht, dass sie den Streik unterliefen. Aber meine Mum<br />

erzählt, alle seien fassungslos gewesen, dass mein Dad sich ihnen anschloss. Sie<br />

selbst auch.« Sie sah Karen flehentlich an. »Ich war zu klein, um mich erinnern<br />

zu können. Aber alle sagen, er war durch und durch Gewerkschaftsmann. Der<br />

Letzte, von dem man erwartet hätte, dass er zum Streikbrecher werden könnte.«<br />

Sie schüttelte den Kopf. »Trotzdem, was sollte sie sonst denken?«<br />

Karen verstand nur zu gut, was ein solcher Treuebruch für Misha und ihre<br />

Mutter bedeutet haben musste. In dem radikalen Kohlegebiet Fife gab es nur<br />

Sympathie für diejenigen, die durchhielten. Mick Prentice’ Verhalten hatte seine<br />

Familie bestimmt sofort zu Parias gemacht. »Es war für Ihre Mutter bestimmt<br />

nicht leicht«, sagte sie.<br />

»In einer Hinsicht war es total einfach«, entgegnete Misha bitter. »Was meine<br />

Mutter betraf, war’s das. Für sie war er tot. Sie wollte nichts mehr mit ihm zu<br />

tun haben. Er schickte Geld, aber sie spendete es dem Unterstützungsfonds für<br />

79


Notfälle. Später, als der Streik vorbei war, gab sie es dem Wohlfahrtsverband für<br />

Bergarbeiter. Ich bin in einem Haus aufgewachsen, in dem der Name meines<br />

Vaters nie erwähnt wurde.«<br />

Karen spürte einen Kloß im Hals, ein Gefühl zwischen Anteilnahme und Mitleid.<br />

»Er hat sich nie gemeldet?«<br />

»Nur sein Geld kam. Immer in gebrauchten Scheinen. Immer mit einem Nottinghamer<br />

Poststempel.«<br />

»Misha, ich hoffe, es klingt nicht herzlos, aber für mich hört es sich nicht so<br />

an, als sei Ihr Vater verschollen.« Karen bemühte sich, ihre Stimme so sanft wie<br />

möglich klingen zu lassen.<br />

»Das dachte ich auch nicht. Bis ich ihn suchen ging. Glauben Sie mir, Inspector.<br />

Er ist nicht dort, wo er sein sollte. Er war nie dort. Und es ist absolut nötig,<br />

ihn ausfindig zu machen.«<br />

Die schiere Verzweiflung in Mishas Stimme überraschte Karen. Sie erschien ihr<br />

interessanter als Mick Prentice’ Aufenthaltsort. »Wieso?«, fragte sie.<br />

80


Arne Dahl<br />

Totenmesse<br />

Kriminalroman<br />

ISBN 3-492-05018-2<br />

© Piper<br />

Arne Dahl ist das Pseudonym des 1963 geborenen<br />

schwedischen Schriftstellers Jan Arnald. Der promo-<br />

vierte Literaturwissenschaftler war Herausgeber der<br />

Zeitschriften Artes und Aiolos und schreibt als Kritiker<br />

für Göteborgs-Posten. Arnald war auch Herausgeber<br />

einer Literaturzeitschrift der Schwedischen Akademie,<br />

die alljährlich den Nobelpreis vergibt.<br />

In den letzten Jahren bescherten ihm seine Kriminal-<br />

romane um die Kommissare Paul Hjelm und Kerstin<br />

Holm Millionen Leser weltweit. »Totenmesse« ist nach<br />

»Ungeschoren« der siebte Fall für das Stockholmer A-<br />

Team, die Sondereinheit für internationale Verbrechen.<br />

Die Verfilmung ist bereits nach Deutschland verkauft.<br />

Arne Dahl erhielt mehrere Auszeichnungen, darunter<br />

zweimal den Deutschen Krimipreis: 2005 für »Falsche<br />

Opfer« und 2006 für »Tiefer Schmerz«.<br />

Weitere Informationen zum Autor: www.arnedahl.net<br />

und www.piper.de<br />

81


82<br />

Staffagefigur. Ein seltsames Wort.<br />

Kapitel 4<br />

Es kommt aus dem Deutschen und wurde in der Mitte des 19. Jahrhunderts<br />

ins Schwedische übernommen. Es bezog sich damals auf etwas sehr Spezifisches,<br />

nämlich auf die Barockmalerei. ›Staffage‹ sind kleinere Nebenfiguren in<br />

einem Landschaftsbild, die die künstlerische Darstellung beleben sollen.<br />

Am Ende des 19. Jahrhunderts wurde das Wort ›Staffagefigur‹ von ›Staffage‹<br />

losgelöst und in übertragener Bedeutung für eine Person benutzt, die – in welchem<br />

Zusammenhang auch immer – eine untergeordnete Rolle spielt.<br />

Das Wort hatte sich in ihr festgesetzt, sie hatte das Gefühl, zur Existenz einer<br />

Staffagefigur verdammt zu sein.<br />

Aber Cilla Hjelm hatte es satt, sie hatte es gründlich satt, eine Nebenfigur zu<br />

sein, untergeordnet, ohne eigene Persönlichkeit.<br />

Es hatte irgendwann in der Zeit begonnen, als die Kinder geboren wurden,<br />

Danne und Tova, vor fast zwanzig Jahren. Eine Art von Selbstverleugnung. Alle<br />

außer ihr im Mittelpunkt. Als ihr Mann Paul bei der Polizei Karriere machte<br />

und sie versuchte, verlorenen Boden zurückzugewinnen und der Mensch zu<br />

werden, der sie im Innersten war, musste etwas schief gelaufen sein. Sie hatte<br />

versucht, wieder die zu werden, die sie vor zwanzig Jahren gewesen war, und<br />

das war natürlich unmöglich. Es kam zu einem Konflikt, dessen Ergebnis eine<br />

große existenzielle Verwirrung war.<br />

Eines wusste sie auf jeden Fall: Von jetzt an würden sie selbst und ihre Wünsche<br />

im Mittelpunkt stehen. Nur was waren ihre Wünsche? Die Entfremdung<br />

zwischen ihr und<br />

Paul wurde immer größer. Er war so aufdringlich in seinem Wunsch nach Intimität,<br />

sie fühlte sich bedrängt, er ließ ihr keinen Raum zum Atmen. Schließlich<br />

bekam sie keine Luft mehr. Kontakte zu anderen Menschen wurden wichtiger<br />

als der zum Ehemann, und um etwas rekonstruieren zu können, musste sie<br />

alles verwerfen, was irgendwie Pauls Sphäre zugerechnet werden konnte. Und


die Sexualität gehörte zu seiner Sphäre. Sie musste sich verweigern, um sich<br />

nicht ganz zu verlieren.<br />

Paul Hjelm kam mit dem ihm aufgezwungenen Zölibat nicht zurecht. Plötzlich<br />

war er einfach verschwunden, hatte seine Siebensachen gepackt und war<br />

gegangen.<br />

In der Tiefe ihres Herzens fühlte sie sich verraten.<br />

Fast ein Jahr war inzwischen vergangen.<br />

Ganz schuldlos war sie selbst wohl auch nicht.<br />

Das war eine neue und nicht ungeteilt angenehme Einsicht.<br />

Es war einfacher, wenn er an allem schuld war.<br />

Cilla Hjelm hatte eine neue Arbeit gefunden und war jetzt Abteilungsleiterin<br />

in einer Klinik für plastische Chirurgie im Sophiaheim im Stockholmer Stadtteil<br />

Östermalm. Ein ruhigerer Job – denn war sie nicht einfach ausgebrannt<br />

gewesen?<br />

Sie hatte die Ambulanz und die ständigen Überstunden hinter sich gelassen,<br />

ihr Lohn war höher, das Tempo ruhiger, die Stimmung angenehmer – aber war<br />

sie zuvor wenigstens ein kleines bisschen Florence Nightingale gewesen, mit einem<br />

hauchzarten Anstrich von Idealismus, so war sie jetzt eine krasse Realistin.<br />

Entwicklung? Na ja. Zumindest Überleben.<br />

Es war Donnerstagvormittag, und sie schlenderte auf dem Weg zur Arbeit die<br />

Skeppargata hinauf. Es war einer ihrer beiden späten Arbeitstage; sie arbeitete<br />

Teilzeit und kam gut damit zurecht. Auf dem Weg vom U-Bahn-Aufgang am<br />

Östermalmstorg zum Sophiaheim am Valhallaväg wollte sie noch in die Bank<br />

und die Reste einiger abstürzender Fonds retten. Das Reihenhaus in Norsborg<br />

war bezahlt, ihre Lebenshaltungskosten waren niedrig. Sie hatte es nicht über<br />

sich gebracht, den Kontakt zum anderen Geschlecht wieder herzustellen. Sie<br />

fragte sich, ob sie je wieder Lust auf Sex haben würde.<br />

Aber sie hatte ja Tova. Zumindest manchmal. Und morgen hatte sie Geburts-<br />

83


tag, die Kleine. Achtzehn. Volljährig. Die meisten Teenagerkrisen waren überstanden.<br />

Cilla drückte das blaue Paket an sich. Gewagt, einer Achtzehnjährigen<br />

ein Kleid zu kaufen. Ein leichtes, dünnes Sommerkleid. Tova entwickelte sich<br />

zu einer richtig gut aussehenden Frau, das musste die Mutter einräumen, und<br />

gerade deshalb mussten die Ambitionen, ständig in die Welt hinauszuziehen,<br />

gebremst werden. Da war Paul wie üblich viel zu tolerant.<br />

84<br />

Paul, ja, Paul ...<br />

Hätten wir unsere Verschiedenheiten nicht für uns statt gegen uns sprechen<br />

lassen können? All die bitteren Worte. Die verbalen Misshandlungen. Seine<br />

wohlgesetzten Bosheiten.<br />

Und all ihre Neins ... Nein als Lösung für alles. Nein als das Passwort der<br />

Identität.<br />

Sie bog aus der Skeppargata in den Karlaväg ein, betrat die Bankfiliale und<br />

zog eine Nummer. Fünf waren vor ihr. Es würde nicht länger als zehn Minuten<br />

dauern, eine Viertelstunde, wenn es hoch kam. Zwei geöffnete Schalter. Und<br />

tatsächlich saßen fünf Personen auf den Sofas der gediegenen klimatisierten<br />

Östermalmsbank. Es fehlte nur noch ein wenig dezente Stimmungsmusik.<br />

Wie in der Abteilung für plastische Chirurgie.<br />

Ihre Gedanken machten sich selbstständig. Warum? Weil ihre Tochter morgen<br />

volljährig wurde? Weil es gewissermaßen ihr letzter Tag als Mutter war?<br />

Aber war das nicht ausschließlich ihr eigener Fehler? Sie hatte Paul zum Sündenbock<br />

erkoren, hatte beschlossen, alles Ungute in ihrem Leben ihm anzulasten.<br />

Sie wollte nichts als arbeiten, schlafen und mit Freundinnen verkehren,<br />

die besser lebten als sie selbst und an deren Leben sie Anteil nehmen konnte.<br />

Alle anderen hatten es sowieso besser.<br />

Die roten Leuchtdioden blätterten zur nächsten Nummer vor, jetzt warteten<br />

nur noch vier auf den Sofas, und zwei standen an den Schaltern und ließen sich<br />

viel Zeit.<br />

Sie dachte an Pauls affektierte Argumentation. Was passiert mit der weibli-


chen Sexualität, wenn die Frau beschließt, keine Kinder mehr zu bekommen?<br />

Sie – ermüdet.<br />

Wenn das Geheimnisvolle verschwunden ist, ermüdet die Frau. Und wenn die<br />

Kinder geboren sind, auch. Die weibliche Sexualität existiert nur angesichts des<br />

Unbekannten. Unbekannter Mann, unbekannte Kinder. Sie hatte das natürlich<br />

abgestritten. Männlicher Chauvinismus, ganz einfach.<br />

Seine Worte: »Ich kenne keine einzige länger andauernde Beziehung, in der<br />

der Mann nicht irgendwann sexuell frustriert gewesen ist.«<br />

Es war ein Geschlechterkrieg.<br />

Aber im Nachhinein musste sie sich eingestehen, dass sie ihre eigene Sexualität<br />

nicht richtig verstand. Es war so unglaublich kompliziert. Jede Erfahrung<br />

war wie ein Strang in einem Netz aus Hindernissen, Kindheit, Pubertät,<br />

Erwachsensein, Elternschaft. Für ihn war es so verdammt einfach. Er wurde<br />

geil, ganz klar.<br />

Sigmund Freud widmete Jahrzehnte dem Bemühen, die weibliche Sexualität<br />

zu verstehen. Gegen Ende seines Lebens entrang sich ihm in einem Gespräch<br />

mit Marie Bonaparte die Frage: ›Was will das Weib?‹ Er hatte nichts verstanden.<br />

Aber er war ja auch ein alter Chauvi.<br />

Cilla griff nach ihrem Handy. Es war das denkbar jüngste Modell, komplett<br />

mit Kamera und Zoom. Sie blätterte im Adressbuch und stieß auf Paul. Wie<br />

durch Zufall. Seine Nummer bei der Arbeit, die neue Nummer bei der Sektion<br />

für Interne Ermittlungen; die Nummer seiner Wohnung auf Messer-Söder; ein<br />

Diensthandy und ein privates Handy.<br />

Warum hatte sie vier Nummern von ihrem Exmann?<br />

Und warum trug sie immer noch den Nachnamen Hjelm?<br />

Es machte wieder Pling im Schalterraum. Noch drei Personen vor ihr.<br />

Auf ihrem Handy, oberhalb von Paul Hjelms Diensthandynummer, zeigte die<br />

Uhr 10.39. Nein, sie sprang gerade um.<br />

85


86<br />

Auf 10.40 Uhr.<br />

Was dann geschah, wollte nicht in sie hinein. Es kam ihr die ganze Zeit nicht<br />

wirklich vor.<br />

Die zwei maskierten Männer. Die harten Worte auf Englisch. Die Tatsache,<br />

dass sie auf den Marmorfußboden gepresst dalag. Die Plastikpakete, die an die<br />

Wände geklebt wurden. Das Brüllen der Maschinenpistolen. Das zersplitterte<br />

Glas.<br />

Aha, fuhr es ihr durch den Kopf. Deshalb waren die Gedanken so schnell<br />

abgerollt. Weil ich sterben soll.<br />

Und Cilla Hjelm war keine Staffagefigur mehr.<br />

Kapitel 6<br />

Niklas Grundström war Chef der Sektion für Interne Ermittlungen. Er war<br />

jetzt seit einem guten Jahr Paul Hjelms Chef, Paul Hjelms einziger Chef.<br />

»Nur damit du es weißt«, sagte er.<br />

Das bedeutete immer viel, viel mehr. Beispielsweise: ›Sei gefasst auf polizeiliche<br />

Fehltritte.‹ Oder: ›Wir müssen jetzt jede Sekunde ausrücken.‹ Oder sogar:<br />

›Hoffentlich hast du dir am Wochenende nichts vorgenommen.‹<br />

»Die A-Gruppe also?«, fragte Paul Hjelm, der sich an seinem wohlproportionierten<br />

Schreibtisch im Polizeipräsidium auf Kungsholmen wohlfühlte.<br />

Doch, wohlfühlte.<br />

Unverschämt wohl, wie kleingeistige Missgunst es formulieren würde.<br />

Nicht einmal die Tatsache, dass die A-Gruppe wieder einmal in etwas verwickelt<br />

war, was die Sektion für Interne Ermittlungen tangierte, konnte seinem<br />

Wohlbefinden Abbruch tun. Erst waren es seine Kontroversen und Konflikte<br />

mit dem besten Kumpel Jorge Chavez letztes Jahr zu Mittsommer gewesen.<br />

Dann, erst vor Kurzem, Lena Lindbergs ungewöhnlich grobe Misshandlung<br />

eines nordfinnischen Zuhälters. Die er, gegen alle Vernunft und gegen alle


Gesetze, hatte unter den Tisch fallen lassen. Nach einem Gespräch.<br />

»Nicht direkt«, sagte Niklas Grundström und beugte sich über Hjelms<br />

Schreibtisch.<br />

Paul Hjelm betrachtete ihn. Diese blonde, gesunde, gepflegte Straffheit, die<br />

er einst verachtet hatte, für die er aber inzwischen großen, wenn auch distanzierten<br />

Respekt empfand. Sie trugen an einer unaufgearbeiteten gemeinsamen<br />

Vergangenheit, die wie das unreinste Eisenerz angereichert werden musste, um<br />

glänzen zu können. »Nicht direkt?«, fragte Paul Hjelm misstrauisch.<br />

Grundström setzte sein kleines Grinsen auf und legte sich die Worte zurecht.<br />

Eines nach dem anderen, bis die Formulierung perfekt geschliffen war.<br />

Grundström & Hjelm waren mittlerweile ein respektiertes – und zeitweilig<br />

gefürchtetes – Warenzeichen innerhalb der Polizei. Die ›Internabteilung‹, diese<br />

Schreckensbezeichnung, hatte einen ganz anderen Klang bekommen. Einerseits<br />

war die Gefahr für einen Polizisten, dass ihm Unrecht widerfuhr, stark<br />

vermindert worden, anderseits hatte die Gefahr, dass er rechtmäßig belangt<br />

wurde, erheblich zugenommen. Polizeiintendent Niklas Grundström war Chef<br />

der Gesamtsektion für Interne Ermittlungen, während Kommissar Paul Hjelm<br />

der Stockholmsektion vorstand.<br />

Und Hjelm musste einräumen, dass sie sehr gut zusammenarbeiteten, mit<br />

wenigen Worten und ohne unnötige Diskussionen. Das Gegenteil von seiner<br />

früheren Zusammenarbeit mit Kerstin Holm und Jorge Chavez. Dort hatte es<br />

viele unnötige Diskussionen gegeben.<br />

»In erster Linie ist es die NE«, sagte Grundström.<br />

Niklas Grundström. Verheiratet mit Elsa, einer tiefschwarzen Frau aus Orsa,<br />

die am Moderna Museet für Pressearbeit zuständig war und ein singendes<br />

Dalarna-Schwedisch sprach. Und Vater eines ganzen Schwarms kleiner brauner<br />

Kinder. Hjelm hätte nicht sagen können, wie viele es eigentlich waren. Das ließ<br />

Rückschlüsse auf ihre Beziehung zu. Dachte er. Heiter.<br />

»Was hat die A-Gruppe mit der Nationalen Einsatztruppe zu tun?«, fragte er.<br />

87


Am schlimmsten war, dass Grundström sich mit Hjelms altem Boss Jan-Olov<br />

Hultin angefreundet hatte, dem Gründer der A-Gruppe. Hjelm traf ihn sehr<br />

selten draußen in Norrviken in Sollentuna, nördlich von Stockholm. Doch<br />

Grundström war oft da. Und das Ehepaar Hultin war oft zu Besuch bei der<br />

Familie Grundström in der viel zu kleinen Wohnung in Fredhäll.<br />

»Nicht das Geringste«, sagte Grundström. »Panik in der Einsatzleitung, würde<br />

ich tippen.«<br />

Die beiden teilten das Misstrauen in die Polizeiführung. In der fast kein<br />

Polizist zu finden war.<br />

88<br />

»Waldemar Mörner«, sagte Paul Hjelm.<br />

Er brachte Grundström inzwischen ziemlich oft zum Lachen. Vielleicht war<br />

das ein Schritt in die richtige Richtung. Und die erwähnte Wortkonstellation<br />

war ein bombensicherer Schlüssel zu Grundströms hellem Jungenlachen.<br />

So auch diesmal.<br />

»Ich glaube, sie haben die A-Gruppe einfach hinzugezogen, damit sie für sie<br />

denkt«, sagte Grundström.<br />

»Zum Sprengstoff«, sagte Hjelm.<br />

»Sie haben eine Einsatzzentrale auf der anderen Seite von Karlavägen eingerichtet.«<br />

»Mörner und Kerstin?«<br />

»Nur damit du es weißt«, wiederholte Grundström und verschwand.<br />

Wie er immer verschwand. Mit einem Augenzwinkern.<br />

Hjelm stand auf und ging zu seiner Stereoanlage. Es fiel ihm schwer, sich<br />

daran zu gewöhnen, dass Stereoanlagen kaum noch sichtbar waren. Und sogar<br />

die Lautsprecher waren klein. Aber Klang hatten sie. Mozarts Requiem, wie<br />

immer in voller Lautstärke, woraufhin die ersten Male seine Sekretärin – er vergaß<br />

immer, dass er eine Sekretärin hatte – in Panik hereingestürzt war. Sogar<br />

die Fernbedienung hatte Miniformat. Er hielt sie jetzt so in der Hand, dass sie


vollkommen unsichtbar war, und legte den Zeigefinger auf die Stopptaste. Er<br />

würde die Musik im Bruchteil einer Sekunde ausschalten können, falls jemand<br />

ins Zimmer stürmte. Es war keine gute Situation für eine Totenmesse.<br />

Da halb Östermalm drauf und dran war, in die Luft gejagt zu werden.<br />

Und der Irak in Flammen stand.<br />

Das war das Zweischneidige an seiner neuen Lebenssituation. Von außen betrachtet<br />

war er ein einsamer Mensch. Seit der Scheidung hatte er ein paar kurze<br />

Liebschaften hinter sich, und im Grunde fehlte ihm der Wille, sich aufs Neue<br />

zu binden. Er fragte sich, warum. Allerdings fragte er sich das heiter. Er fühlte<br />

sich in letzter Zeit bemerkenswert obenauf – solange er nicht an seine frühere<br />

Frau dachte und an alles, was sich zwischen ihnen abgespielt hatte. Er wollte es<br />

einfach vergessen, aus seinem Bewusstsein streichen. Die Gewaltspirale in der<br />

Gesellschaft drehte sich weiter, die globale Gleichmacherei walzte weiter alles<br />

platt, die polizeiliche Arbeit wurde immer härter und die soziale Ausgrenzung<br />

immer rücksichtsloser. Aber nichts konnte ihn, der so leicht deprimiert war, in<br />

schlechte Stimmung versetzen. Außerdem wurde sein jüngstes Kind morgen<br />

volljährig. Klein-Tova.<br />

Fühlte er sich also wohl als Geschiedener?<br />

Eigentlich nicht. Natürlich fehlte ihm jemand an seiner Seite, jetzt, wo die<br />

Freiheit praktisch in Reichweite lag. Er vermisste die tägliche Berührung, aber<br />

er konnte es sich erlauben, zufrieden zu sein.<br />

Das beste Verhältnis, eigentlich das einzig dauerhafte seit seiner Scheidung,<br />

hatte er mit Christina gehabt. Sie hatten sich um Mittsommer im vorigen Jahr<br />

getroffen und einen wunderbaren Sommer verlebt. Und ganz plötzlich hatte<br />

sie die Beziehung beendet. Sie sei nicht in der Lage, erklärte sie, sich nach ihrer<br />

Scheidung wieder zu binden, und so war auch er verlassen worden.<br />

Das Gesicht, das er vor sich sehen wollte, war Christinas.<br />

Das Gesicht, welches er sah, war Cillas.<br />

Er würde es nie begreifen.<br />

89


Er verschränkte die Hände im Nacken, lehnte sich zurück und ließ die Kraft<br />

des Requiems den Raum erfüllen.<br />

90<br />

Das überirdische Dröhnen der Totenmesse.<br />

Und mittendrin eine ganz kleine Störung.<br />

Er hörte sie erst im Nachhinein, als hätte etwas Unbekanntes das vertraute<br />

Ganzheitserlebnis verändert. Zwei kleine Piepsignale. Er öffnete die oberste<br />

linke Schreibtischschublade. Da lag das Diensthandy. Normalerweise rief ihn<br />

dort nur Niklas Grundström an.<br />

Er hatte eine SMS bekommen. Und nicht von Grundström, sondern von einer<br />

unbekannten Nummer. Er klickte die Nachricht aufs Display. Mozarts mächtiger<br />

Klangteppich hallte im Hintergrund.<br />

Die Totenmesse.<br />

Auf dem Display stand: ›Hilfe Geisel Cilla‹.<br />

Er blickte auf die Nachricht. Es dauerte einen Moment, bis er sie verstand.<br />

Dann brach seine Vergangenheit über ihm zusammen und begrub ihn.


David Gilmour<br />

Unser allerbestes Jahr<br />

Roman<br />

ISBN 3-10-027819-4<br />

© S. Fischer Verlag<br />

David Gilmour, Jahrgang 1949, lebt in Toronto, Kana-<br />

da, und ist Buchautor, Fernsehmoderator, Journalist<br />

und Filmkritiker. Er wurde mit vielen Literaturpreisen<br />

ausgezeichnet, etwa mit dem renommierten Governor<br />

General´s Award. Sein 16-jähriger Sohn Jesse schmiss<br />

die Schule und schaute sich mit seinem Vater zusam-<br />

men Filme an. Wie es mit Jesse weiterging, kann man<br />

in ›Unser allerbestes Jahr‹ nachlesen. Es ist David<br />

Gilmours erstes Buch in deutscher Übersetzung und<br />

war in Kanada ein Bestseller.<br />

91


Als ich neulich an einer roten Ampel halten musste, sah ich meinen Sohn aus<br />

dem Kino kommen. Er war mit seiner Freundin zusammen. Sie hielt ihn am Jakkenärmel<br />

fest, ganz vorne und nur mit den Fingerspitzen, und flüsterte ihm etwas<br />

ins Ohr. Ich konnte nicht herausfinden, welchen Film sie gerade gesehen hatten ;<br />

die Markise war von einem blühenden Baum verdeckt ;, aber mich überkam eine<br />

tiefe Wehmut, weil ich an die drei Jahre denken musste, die er und ich, nur wir<br />

zwei, damit verbracht hatten, Filme zu sehen, auf der Veranda zu sitzen und zu<br />

reden. Eine magische Zeit, wie man sie als Vater so spät im Leben eines Heranwachsenden<br />

normalerweise nicht mitbekommt. Inzwischen sehe ich ihn nicht<br />

mehr so oft wie früher (so soll es ja auch sein), aber es waren wunderbare Jahre.<br />

Ein Glücksfall, für uns beide.<br />

Als Kind dachte ich, es gibt einen Ort, wohin böse Jungs geschickt werden,<br />

wenn sie die Schule schmeißen. Dieser Ort befand sich irgendwo am Ende der<br />

Welt, so ähnlich wie der berühmte Elefantenfriedhof, nur war er eben voll mit<br />

weißen Knöchelchen von kleinen Jungen. Garantiert habe ich deswegen bis<br />

heute diesen Albtraum, dass ich für eine Physikarbeit lernen muss, ich blättere in<br />

meinem Buch, Vektoren, Parabeln, und mit jeder Seite wächst die Panik ; weil ich<br />

die ganzen Sachen noch nie im Leben gesehen habe!<br />

Fünfunddreißig Jahre später. Als die Noten meines Sohnes in der neunten<br />

Klasse zu wackeln anfingen und in der zehnten endgültig kippten, packte mich<br />

eine Art Doppelhorror, erstens wegen der konkreten Situation, mit der ich konfrontiert<br />

war, und zweitens wegen dieses Angstgefühls von früher, das in meinem<br />

Körper immer noch hellwach herumtobte. Ich tauschte mit meiner Exfrau die<br />

Wohnung (»Er muss mit einem Mann zusammenwohnen«, sagte sie). Ich zog<br />

in ihr Haus, sie in meinen Loft, der zu klein war, um einen einsneunzig großen,<br />

schwerfüßigen Jugendlichen Vollzeit zu beherbergen. Auf diese Weise, so dachte<br />

ich insgeheim, konnte ich an ihrer Stelle für ihn die Hausaufgaben machen.<br />

Aber es half nichts. Auf meine allabendliche Frage: »Hast du keine Hausaufgaben?«,<br />

antwortete mein Sohn Jesse immer mit einem fröhlichen: »Nein, überhaupt<br />

keine!«. Als er dann im Sommer eine Woche bei seiner Mutter verbrachte,<br />

fand ich hundert verschiedene Hausaufgabenblätter, die er in seinem Zimmer an<br />

92


allen nur denkbaren Stellen versteckt hatte. Mit einem Wort: Die Schule machte<br />

ihn zum Lügner, zu einem unzuverlässigen Kandidaten.<br />

Wir schickten ihn auf eine Privatschule; an manchen Vormittagen rief uns eine<br />

irritierte Sekretärin an: »Wo steckt er?«. Später erschien mein schlaksiger Sohn<br />

dann irgendwann auf der Veranda. Wo war er gewesen? Vermutlich bei einem<br />

Rap-Wettbewerb in einer Shopping Mall in den Suburbs oder auch bei etwas<br />

weniger Erfreulichem. Auf jeden Fall nicht in der Schule. Wir machten ihm<br />

die Hölle heiß, er entschuldigte sich feierlich, war ein paar Tage brav, und dann<br />

ging‘s wieder von vorne los.<br />

Er war ein sanfter, umgänglicher Junge, aber sehr stolz und völlig außerstande,<br />

etwas zu tun, was ihn nicht interessierte, selbst wenn ihm die Konsequenzen<br />

Angst machten. Sie machten ihm sogar große Angst. Er bekam miserable Noten,<br />

nur die Kommentare waren positiv. Er war beliebt, die Leute mochten ihn, sogar<br />

die Polizisten, die ihn verhafteten, weil er die Mauern seiner ehemaligen Grundschule<br />

mit Graffiti besprühte (ein paar Nachbarn erkannten ihn, ungläubig,<br />

fassungslos). Als der Beamte ihn zu Hause ablieferte, sagte er: »Ich würde mir an<br />

deiner Stelle keine Hoffnungen auf eine kriminelle Karriere machen, Jesse. Dafür<br />

hast du einfach nicht das Zeug.«<br />

Als ich eines Nachmittags mit ihm Latein lernte, merkte ich, dass er kein Heft<br />

hatte, keine Notizen, kein Lateinbuch, nichts, nur einen zerknitterten Zettel mit<br />

ein paar Sätzen über die römischen Konsuln. Diese Seite sollte er übersetzen.<br />

Ich erinnere mich noch genau, wie er mir mit gesenktem Kopf am Küchentisch<br />

gegenübersaß, ein Junge mit einem blassen, gegen jede Sonnenbräune immunen<br />

Gesicht, auf dem sich die kleinste Erregung überdeutlich spiegelte. Es war<br />

Sonntag, dieser Tag, den man als Jugendlicher hasst: Das Wochenende so gut wie<br />

vorüber, die Hausaufgaben nicht gemacht, die Stadt so grau wie der Ozean an<br />

einem Tag ohne Sonne. Feuchtes Laub auf der Straße, und im Nebel lauert schon<br />

der Montag.<br />

Nach einer Weile fragte ich: »Wo sind deine Aufzeichnungen, Jesse?«<br />

»Ich hab sie in der Schule gelassen.«<br />

93


Er war sprachbegabt, begriff die innere Logik von Sprachen, hatte das Gehör<br />

eines Schauspielers, die Übersetzung hätte ein Kinderspiel für ihn sein müssen,<br />

aber man brauchte ihm nur zuzusehen, wie er in seinem Lexikon blätterte, um zu<br />

wissen, dass er keine Ahnung hatte.<br />

Ich sagte: »Ich verstehe nicht, wieso du deine Notizen nicht mit nach Hause<br />

genommen hast. So ist alles viel schwieriger.«<br />

Er hörte den ungeduldigen Unterton in meiner Stimme; ich machte ihn nervös,<br />

was wiederum bei mir Unbehagen auslöste. Er hatte Angst vor mir. Das konnte<br />

ich nicht leiden. Ich wusste nie, ob es ein Vater-Sohn-Ding war oder ob ich, ganz<br />

speziell ich mit meiner Reizbarkeit, meiner generellen Ungeduld, diese Reaktion<br />

verursachte. »Na, egal«, sagte ich. »Spaß macht es trotzdem. Ich liebe Latein.«<br />

»Ehrlich?«, fragte er eifrig (alles war okay, solange es nur von den fehlenden<br />

Notizen ablenkte). Ich schaute ihm eine Weile zu, wie er arbeitete, die Finger mit<br />

den Nikotinflecken um den Stift gekrampft. Seine schlechte Handschrift.<br />

94<br />

»Wie raubt man eigentlich eine Sabinerin, Dad?«, fragte er.<br />

»Erklär ich dir später.«<br />

Pause. »Ist _cassis¬ ein Verb?«<br />

So ging es immer weiter, die spätnachmittäglichen Schatten krochen über die<br />

Küchenfliesen. Die Bleistiftspitze hüpfte auf der Tischfläche. Nach einer Weile<br />

merkte ich, dass etwas brummte. Woher kam dieses Geräusch? Von ihm? Was<br />

sollte das? Ich musterte ihn aufmerksam. Es war ein Ausdruck von Langeweile, ja,<br />

aber einer ganz besonderen Form von Langeweile, es war die physisch spürbare<br />

Überzeugung, dass die gestellte Aufgabe absolut irrelevant war. Und merkwürdigerweise<br />

hatte ich ein paar Sekunden lang das Gefühl, als würde sich das alles in<br />

meinem eigenen Körper abspielen.<br />

Ach, dachte ich, so erlebt er also die Schule. Dagegen kommt keiner an. Und<br />

plötzlich ; es war so eindeutig wie das Geräusch einer splitternden Fensterscheibe<br />

; begriff ich, dass wir den Schulkampf verloren hatten.<br />

Und im selben Moment wusste ich ; ich wusste es mit jeder Faser meines Kör-


pers ;, dass ich auch ihn verlieren würde, dass er eines Tages vom Tisch aufstehen<br />

und sagen würde: »Du willst wissen, wo meine Notizen sind? Ich werd‘s dir<br />

sagen. Ich hab sie mir in den Arsch gesteckt. Und wenn du mich nicht augenblicklich<br />

in Ruhe lässt, stecke ich sie dir genau dahin.« Und weg wäre er, peng,<br />

Schluss, Tür zu.<br />

»Jesse«, sagte ich leise. Er wusste, dass ich ihn beobachtete, und das beunruhigte<br />

ihn, weil er ahnte, gleich würde er Schwierigkeiten bekommen (mal wieder), und<br />

diese hektische Aktivität, dieses Geblättere, vor und zurück, vor und zurück, war<br />

ein Versuch, die Zurechtweisungen im Vorfeld abzuschmettern.<br />

»Jesse, leg mal kurz den Stift weg. Hör auf zu schreiben, bitte.«<br />

»Was ist?«, fragte er. Er ist so blass, dachte ich. Die Zigaretten saugen noch die<br />

ganze Lebenskraft aus ihm heraus.<br />

Ich sagte: »Ich möchte, dass du mir einen Gefallen tust. Ich möchte, dass du dir<br />

überlegst, ob du in die Schule gehen willst oder nicht.«<br />

»Dad, die Notizen sind in meinem ;«<br />

»Vergiss die Notizen. Ich möchte, dass du dir überlegst, ob du grundsätzlich<br />

noch länger in die Schule gehen willst oder nicht.«<br />

»Warum?«<br />

Ich merkte, wie mein Herz anfing, schneller zu schlagen, das Blut stieg mir ins<br />

Gesicht. Das war eine Situation, in der ich mich noch nie befunden hatte, nicht<br />

einmal in meiner Vorstellung. »Weil es okay ist, wenn du nicht mehr willst.«<br />

»Was ist okay?«<br />

Sag‘s doch. Spuck es aus.<br />

»Wenn du nicht mehr in die Schule willst, brauchst du nicht mehr zu gehen.«<br />

Er räusperte sich. »Du erlaubst mir, dass ich mit der Schule aufhöre?«<br />

»Wenn du das möchtest. Aber überleg dir‘s ein paar Tage. Es ist eine wich ;«<br />

Er sprang auf. Er sprang immer auf, wenn ihn etwas bewegte, seine langen<br />

95


Gliedmaßen hielten dann nicht länger still. Er beugte sich über den Tisch und<br />

senkte die Stimme, als hätte er Angst, jemand könnte mithören: »Ich muss mir<br />

das nicht überlegen.«<br />

96<br />

»Tu‘s trotzdem. Ich bestehe darauf.«<br />

Später am selben Abend trank ich mir mit ein paar Glas Wein Mut an und<br />

wählte die Nummer seiner Mutter in meiner Wohnung (ein Loft in einer alten<br />

Bonbonfabrik), um ihr die Neuigkeit mitzuteilen. Sie ist eine dünne, hübsche<br />

Schauspielerin und überhaupt der liebste Mensch, den ich kenne. Eine Schauspielerin<br />

ohne Schauspielerallüren, könnte man sagen. Aber andererseits ist sie<br />

eine Schwarzmalerin der schlimmsten Sorte, und schon nach ein paar Sekunden<br />

sah sie Jesse in Los Angeles in einem Pappkarton wohnen.<br />

»Glaubst du, das ist so, weil er zu wenig Selbstbewusstsein hat?«, fragte Maggie.<br />

»Nein«, sagte ich. »Ich glaube, es ist so, weil er die Schule hasst.«<br />

»Aber irgendwas stimmt doch nicht mit ihm, wenn er die Schule hasst.«<br />

»Ich habe die Schule auch gehasst«, sagte ich.<br />

»Vielleicht kommt es ja daher.« Wir redeten noch eine Weile, bis sie schließlich<br />

in Tränen ausbrach und ich mit eiligen Verallgemeinerungen daherkam, auf die<br />

Che Guevara stolz gewesen wäre.<br />

»Dann muss er sich eben einen Job suchen«, sagte Maggie.<br />

»Hat es einen Sinn, deiner Meinung nach, wenn man eine Tätigkeit, die man<br />

ablehnt, gegen eine andere austauscht?«<br />

»Was soll er denn sonst machen?«<br />

»Keine Ahnung.«<br />

»Vielleicht kann er ja irgendwo ehrenamtlich arbeiten«, schniefte sie.<br />

Ich wachte mitten in der Nacht auf. Tina, meine Frau, drehte sich im Schlaf<br />

auf die andere Seite. Ich trat ans Fenster. Der Mond hing ungewöhnlich tief am<br />

Himmel, er hatte sich verirrt und wartete darauf, dass man ihn abholte und nach<br />

Hause brachte. Was ist, wenn ich mich irre?, dachte ich. Was ist, wenn ich auf


Kosten meines Sohnes cool bin und ihm erlaube, sein Leben zu ruinieren?<br />

Es stimmt ; er muss etwas tun. Aber was? Wozu kann ich ihn motivieren, ohne<br />

das Schuldebakel zu wiederholen? Er liest nicht, er hasst Sport. Was macht er<br />

gern? Er sieht gern Filme. Ich auch. Mit Ende dreißig war ich sogar ein paar Jahre<br />

lang ein ziemlich geistreicher Filmkritiker für eine Fernsehsendung. Hilft uns das<br />

irgendwie weiter?<br />

Drei Tage später trafen wir uns zum Essen im Le Paradis, einem französischen<br />

Restaurant mit weißen Tischdecken und schwerem Besteck. Jesse wartete draußen<br />

auf mich. Er hockte auf der Steinballustrade und rauchte eine Zigarette, weil<br />

er nicht gern allein in einem Restaurant saß. Da fühlte er sich unwohl, weil er<br />

dachte, dass jeder ihn für einen Versager ohne Freunde hielt.<br />

Ich umarmte ihn. Man spürte die Kraft in seinem jungen Körper, die Vitalität.<br />

»Wir bestellen den Wein, und dann reden wir.«<br />

Wir gingen hinein. Begrüßung per Handschlag. Rituale der Erwachsenen, die<br />

ihm schmeichelten. Sogar ein Scherz zwischen ihm und dem Bartender über<br />

John-Boy aus der Serie Die Waltons. Wir schwiegen beide, während wir auf<br />

den Kellner warteten. Auf unserer Agenda stand ein wichtiges �ema, da gab es<br />

vorher nichts zu sagen.<br />

97


Friedrich Torberg<br />

Die Tante Jolesch<br />

Roman<br />

ISBN 978-3-4230-1266-9<br />

© dtv<br />

Heimito von Doderer<br />

Die Merowinger oder<br />

Die totale Familie<br />

Roman<br />

ISBN 978-3-4231-1308-3<br />

© dtv<br />

98<br />

Friedrich Torberg war wohl einer der letzten, der aus eigener<br />

Erinnerung die Atmosphäre des ehemals habsburgischen<br />

Kulturkreises und die Welt der Boheme in Budapest, Prag<br />

und Wien so intensiv zu beschwören vermochte. Franz<br />

Molnár, Egon Erwin Kisch, Anton Kuh, Egon Friedell<br />

und Alfred Polgar - hier werden sie alle wieder lebendig.<br />

Aber mehr noch kommen die Unbekannten zu Wort: der<br />

zerstreute Religionslehrer Grün, der geistreiche Rechtsanwalt<br />

Sperber, die Redakteure des legendären ‚Prager Tagblatts‘<br />

und natürlich die Tante Jolesch, die den Lauf der Welt auf<br />

ihre Weise kommentierte.<br />

Familie? Dieser Mann ist sich selbst genug. Freiherr<br />

Childerich von Bartenbuch gelingt es, durch Heiraten sein<br />

eigener Großvater, Vater, Schwiegervater und Schwiegersohn,<br />

Schwager, Onkel und Neffe zu werden. - Abenteuer,<br />

Analysen und Anregungen für Nachahmer: in diesem Buch.<br />

Aberwitzig!


Heimito von Doderer<br />

Ein Mord den jeder begeht<br />

Roman<br />

ISBN 978-3-4231-0083-0<br />

© dtv<br />

Joseph Roth<br />

Radetzkymarsch<br />

Roman<br />

ISBN 978-3-4231-2477-5<br />

© dtv<br />

Und längst auf der Hochzeitsreise war es, zu Bologna, daß er,<br />

nun eigentlich ganz erstmalig, die Beziehung und Ähnlichkeit<br />

entdeckte, die zwischen Marianne und Louison bestand.<br />

Er traf ihn wie ein Pfeil. Der Lebensroman eines jungen<br />

Mannes, der in den Wirren eines ungewöhnlichen Schicksals<br />

schließlich zur Wahrheit und zu sich selbst findet.<br />

In der Schlacht bei Solferino im Jahre 1859 rettet der slowenische<br />

Infantrieleutnant Joseph Trotta dem österreichischen<br />

Kaiser Franz Joseph I. das Leben. Er wird dafür geadelt und<br />

mit Orden ausgezeichnet und verläßt unwiderruflich den<br />

Weg seiner bäuerlichen Vorfahren. So beginnt die Geschichte<br />

der Familie von Trotta in einer Zeit, in der die Herrschaft<br />

der Habsburger noch einmal eine glorreiche Blüte erlebt.<br />

Der Kaiser ist mächtig, das Reich ist groß, die bestehende<br />

Ordnung der Welt scheint unvergänglich. Und doch wird<br />

hinter diesem Glanz eine Müdigkeit fühlbar, eine Erstarrung,<br />

eine Ahnung von Verfall und Auflösung. Von der knorrigen<br />

Stärke des „Helden von Solferino“ ist bei seinem weichen<br />

und feinfühligen Enkel Carl Joseph von Trotta nichts<br />

übriggeblieben. Er erkennt, daß neue Kräfte die Zukunft bestimmen<br />

werden, aber er kann nicht selbst daran teilnehmen.<br />

Im Aufstieg und Verfall einer Familie spiegeln sich die letzten<br />

Jahrzehnte der Donaumonarchie. ‚Radetzkymarsch‘ gilt als<br />

das Hauptwerks des großen Epikers Joseph Roth.<br />

99


Leo N. Tolstoi<br />

Anna Karenina<br />

Roman<br />

ISBN 978-3-4231-2494-2<br />

© dtv<br />

Umberto Eco<br />

Der Name der Rose<br />

Roman<br />

ISBN 978-3-4231-0551-4<br />

© dtv<br />

100<br />

Die frostige Vornehmheit und gefühllose Engherzigkeit ihres<br />

Gatten treibt die schöne und sensible Anna Karenina in die<br />

Arme des jungen Grafen Wronskij. Ihre gemeinsame Flucht<br />

aus der Enge gesellschaftlicher und religiöser Konventionenendet<br />

in einer Sackgasse: Anna Karenina geht in den Freitod,<br />

nachdem sich ihre Liebe in Eifersucht und Haß verkehrt hat.<br />

Der Heldin, die in ihremStreben nach dem absoluten und<br />

damit unerreichbaren Glück scheitern muß, steht antithetisch<br />

der junge, grüblerische Gutsbesitzer Lewin gegenüber,<br />

der sich aus der Moskauer Gesellschaft zu einem bescheidenen<br />

Glück in der Harmonie eines tätigen Landlebens<br />

zurückzieht. Mit großem psychologischenGespür, scharfem<br />

Beobachtungssinn und einer meisterhaften Beherrschung der<br />

darstellerischen Mittel schuf Tolstoi ein Werk, das �omas<br />

Mann zurecht als‚ den größten Gesellschaftsroman der Weltliteratur‘<br />

bezeichnet hat.<br />

Daß er in den Mauern der prächtigen Benediktinerabtei<br />

an den Hängen des Apennin das Echo eines verschollenen<br />

Lachens hören würde, das hell und klassisch herüberklingt<br />

aus der Antike, damit hat der englische Franziskanermönch<br />

William von Baskerville nicht gerechnet. Zusammen mit Adson<br />

von Melk, seinem etwas tumben, jugendlichen Adlatus,<br />

ist er in einer höchst delikaten politischen Mission unterwegs.<br />

Doch in den sieben Tagen ihres Aufenthalts werden die<br />

beiden mit kriminellen Ereignissen und drastischen Versuchungen<br />

konfrontiert: Ein Mönch ist im Schweineblutbottich<br />

ertrunken, ein anderer aus dem Fenster gesprungen, ein<br />

dritter wird tot im Badehaus gefunden. Aber nicht umsonst<br />

stand William lange Jahre im Dienste der heiligen Inquisition.<br />

Das Untersuchungsfieber packt ihn. Er sammelt Indizien,<br />

entziffert magische Zeichen, entschlüsselt Manuskripte und<br />

dringt immer tiefer in ein geheimnisvolles Labyrinth vor,<br />

über das der blinde Seher Jorge von Burgos wacht ...


Jane Austen<br />

Stolz und Vorurteil<br />

Roman<br />

ISBN 978-3-4231-2350-1<br />

© dtv<br />

Fjodor M. Dostojewski<br />

Die Brüder Karamasow<br />

Roman<br />

ISBN 978-3-4231-2410-2<br />

© dtv<br />

Stolz und Vorurteil - damit haben alle in Jane Austens<br />

populärstem Roman zu kämpfen. Um aristokratischen und<br />

bürgerlichen Dünkel dreht sich ein wild wirbelndes Heiratskarussell,<br />

das schließlich beim Happy End zum Stehen<br />

kommt. Witz und Ironie prägen die Dialoge dieses 1813<br />

erstmals erschienenen Buches.<br />

Ein Roman in vier Teilen, erschienen 1879/80, ein Jahr vor<br />

dem Tod seines Autors. Wiederum als Kriminalgeschichte<br />

angelegt - diesmal jedoch bleibt der Täter für den Leser bis<br />

zum Schluss unbekannt - erzählt Dostojewskij die Geschichte<br />

der drei Brüder Karamasow, die als Erwachsene in ihr<br />

Elternhaus zurückkehren, wo sie ihrem Vater als einem alten<br />

lüsternen Trunkenbold begegnen. Ihre Verachtung für den<br />

Vater ist so groß, dass sie seinen Tod herbeiwünschen. Als<br />

er dann wirklich ermordet aufgefunden wird, fällt der Verdacht,<br />

ein Vatermörder zu sein, auf den ältesten der Brüder,<br />

Dimitrij. Er wird schuldig gesprochen und zu Zwangsarbeit<br />

in Sibirien verurteilt. Alle wissen jedoch: Ein anderer hat den<br />

greisen Unhold ermordet, und trotzdem nehmen die Brüder<br />

die Schuld auf sich ...<br />

101


Jules Verne<br />

Reise zum Mittelpunkt<br />

der Erde<br />

Roman<br />

ISBN 978-3-4231-3575-7<br />

© dtv<br />

Jules Verne<br />

In 80 Tagen um die Welt<br />

Roman<br />

ISBN 978-3-4231-3545-0<br />

© dtv<br />

102<br />

»Steig hinab in den Krater des Sneffels Jökull und du wirst<br />

zum Mittelpunkt der Erde gelangen.« Der Traum eines jeden<br />

Professors: die sensationelle Entdeckung - und ewiger Ruhm!<br />

Ein rätselhaftes Runendokument scheint Professor Lidenbrock<br />

genau dies zu eröffnen, woraufhin er sich mit seinem<br />

Neffen und einem isländischen Führer auf eine phantastische<br />

Reise in die Unterwelt begibt. Was ihn dort erwartet, übersteigt<br />

jede Vorstellung. Und auch für den gelehrtesten Geologen<br />

der Welt steckt die Erde noch voller Überraschungen!<br />

Ein Klassiker der phantastischen Literatur und der zweite<br />

Band der Jules Verne-Reihe lädt ein zu einer spannenden<br />

Expedition zu den Ursprüngen der Erdgeschichte.<br />

Top! Die Wette gilt: In 80 Tagen will Phileas Fogg die Erde<br />

umrunden, setzt darauf die Hälfte seines Vermögens und<br />

macht sich mit Jean Passepartout auf den Weg. Europa,<br />

Asien, Nordamerika, per Eisenbahn, Schiff, Elefant oder<br />

Schlitten - in atemberaubender Ruhe lässt der elegante junge<br />

Herr Landschaften und Städte und Abenteuer an sich vorbeiziehen,<br />

bis ihm am Ende die Zeit doch beinahe ausgeht.<br />

Jules Vernes populärster Roman in einer neuen Übersetzung,<br />

prachtvoll illustriert und mit einem ausführlichen Anhang<br />

bildet den Auftakt einer neuen Verne-Edition im Klassik-<br />

Programm des dtv.


John Steinbeck<br />

Straße der Ölsardinen<br />

Roman<br />

ISBN 978-3-4231-0625-2<br />

© dtv<br />

Jack London<br />

Wolfsblut<br />

Roman<br />

ISBN 978-3-4230-1298-0<br />

© dtv<br />

Gelegenheitsarbeiter, Taugenichtse, Dirnen und Sonderlinge<br />

bevölkern die Cannery Row im kalifornischen Fischerstädtchen<br />

Monterey. Sie leben in alten Lagerhallen wie Mack und<br />

seine vier Kumpane, denen jede geregelte Arbeit verhasst ist;<br />

sie hausen in ausrangierten Dampfkesseln und verrosteten<br />

Röhren auf dem leeren Platz, der alles andere als leer ist oder<br />

wie Henri, der Maler, in einem Boot Marke Eigenbau, an<br />

dem er seit zwanzig Jahren herumbastelt und in dem es keine<br />

seiner Frauen und Freundinnen lange aushält. Sie treffen sich<br />

im unerschöpflichen Kramladen des Chinesen Lee Chong,<br />

um auf Pump einzukaufen, in den Kneipen rund um die<br />

Fischkonservenfabriken, in Doras Etablissement und im Laboratorium<br />

des einsiedlerisch lebenden Meeresbiologen Doc,<br />

den sie eines Tages mit einer grandiosen Party überraschen.<br />

Und das alles spielt sich unter den misstrauischen Blicken der<br />

ordentlichen Bürger von Monterey ab ... So komisch, leicht<br />

und nostalgisch ist diese Prosa, dass man beinahe vergessen<br />

könnte, dass es sich um Weltliteratur handelt.<br />

Geboren in der Wildnis des Nordens, als Jungtier von<br />

Indianern gefangen und zum Schlittenhund abgerichtet, für<br />

Schnaps an einen skrupellosen Menschen verkauft, der ihn<br />

zur Belustigung von Neugierigen in einem Käfig zur Schau<br />

stellt und zu seiner eigenen Bereicherung gegen Hunde und<br />

Wölfe kämpfen läßt, im letzten Augenblick vor dem sicheren<br />

Tod gerettet und schließlich ergebener Diener seines neuen<br />

Herrn: das ist der Lebenslauf von Wolfsblut. Früh lernt<br />

Wolfsblut eine Reihe von Gesetzen zu beachten und sich<br />

gegen seine feindliche Umgebung zu behaupten. Doch eines<br />

Tages macht der junge Wolf eine Entdeckung: er sieht zum<br />

erstenmal Menschen und fühlt instinktiv, daß er sich ihnen<br />

unterwerfen muß.<br />

103


Miguel de Cervantes<br />

Don Quijote<br />

Roman<br />

ISBN 978-3-4231-2351-8<br />

© dtv<br />

Herbert G. Wells<br />

Die Zeitmaschine<br />

Roman<br />

ISBN 978-3-4231-2234-4<br />

© dtv<br />

104<br />

Miguel de Cervantes Saavedra hat eine Figur geschaffen, die<br />

sprichwörtlich geworden ist für den Kampf des Idealisten<br />

gegen die Windmühlen der Realität: Don Quijote. Der arme<br />

Ritter und sein Diener Sancho Pansa haben den Kampf<br />

gegen das Vergessen gewonnen: Der Roman zählt seit 1605<br />

zu den größten Werken der Weltliteratur. Die Erfolgsausgabe<br />

mit den kongenialen Illustrationen Grandvilles von 1848<br />

erscheint zu Cervantes‘ 450. Geburtstag in neuer Ausstattung.<br />

Prämiert 2002 vom Osloer Nobelinstitut als „Das beste<br />

Buch der Welt“.<br />

>Die Zeitmaschine


�omas E. Lawrence<br />

Die sieben Säulen<br />

der Weisheit<br />

Roman<br />

ISBN 978-3-4230-1456-4<br />

© dtv<br />

Johann W. von Goethe<br />

Italienische Reise<br />

Roman<br />

ISBN 978-3-4231-2402-7<br />

© dtv<br />

T. E. Lawrence, der legendäre ‚Lawrence von Arabien‘, war<br />

ursprünglich Archäologe und Sprachforscher. Im Ersten<br />

Weltkrieg trat er als britischer Agent in den Dienst des Arab<br />

Bureau in Kairo; 1916 knüpfte er Kontakte zum Emir von<br />

Mekka und organisierte, unterstützt von dessen Sohn Faisal,<br />

den von England geschürten Aufstand der Araber gegen die<br />

Türkenherrschaft - mit großem Erfolg dank der neuartigen<br />

Guerillataktik. Lawrence, der sich bei seinem Auftrag<br />

zunehmend mit dem arabischen Freiheitsideal identifiziert,<br />

wird dabei selbst zu einem Sohn der Wüste, der Burnus und<br />

Krummsäbel trägt, die Gewohnheiten der Wüstenbewohner<br />

annimmt und der wie sie das mörderische Klima, die Qualen<br />

des Durstes, der Entbehrung sowie die Strapazen der endlosen<br />

Kamelritte zu ertragen versteht. Sein packender, aus der Sicht<br />

des aktiven Partisanenkämpfers geschriebener Bericht über<br />

den Aufstand in der Wüste erschöpft sich jedoch nicht in der<br />

Darstellung der militärischen Ereignisse, sondern er beschreibt<br />

zugleich eingehend Bräuche und Mentalität der Wüstenvölker<br />

und die bizarren Eigenartigkeiten des Lebensraumes.<br />

Früh drei Uhr stahl ich mich aus Karlsbad, weil man<br />

mich sonst nicht fortgelassen hätte. Man schreibt den 3.<br />

September 1786. Nur mit Mantelsack und Dachsranzen<br />

ausgerüstet, verwirklicht Goethe den seit seiner Kindheit<br />

gehegten Wunsch, selber das Land zu betreten, das er schon<br />

aus den Beschreibungen seines Vaters kannte. Er bricht nach<br />

Italien auf, als die Problematik seiner Weimarer Existenz zur<br />

lebensbedrohlichen Krise geworden war - die Unmöglichkeit,<br />

gleichzeitig dem öffentlichen Amt und der dichterischen<br />

Berufung zu leben; dazu die Anssichtslosigkeit seiner Liebe<br />

zu Charlotte von Stein.<br />

105


�omas Mann<br />

Der Tod in Venedig<br />

Roman<br />

ISBN 978-3-596-90027-5<br />

© Fischer Klassik<br />

�omas Mann<br />

Zauberberg<br />

Roman<br />

ISBN 978-3-596-90124-1<br />

© Fischer Klassik<br />

106<br />

�omas Manns Erzählungen sind vor allem eines: großartige<br />

und abgründige Liebesgeschichten. Der alternde Gustav<br />

Aschenbach zum Beispiel, den es nach Venedig treibt,<br />

verliebt sich an der schwülen Lagune hoffnungslos in den<br />

jungen Tadzio und bringt es auch dann nicht über sich, die<br />

Stadt zu verlassen, als die Cholera ausbricht … Luchino<br />

Visconti hat die Melancholie und Sinnlichkeit des ›Tod in<br />

Venedig‹ kongenial verfilmt, Benjamin Britten hat sie vertont,<br />

und John Neumeier hat sie sogar getanzt.<br />

Ein epochaler Roman, ein Roman, der aufs Ganze geht und<br />

es wagt, die eigene Zeit in Gedanken und große epische<br />

Zusammenhänge zu fassen – was heute vor allem von amerikanischen<br />

Autoren wie Richard Powers oder Philip Roth<br />

geleistet wird, haben die Autoren der Klassischen Moderne<br />

schon lange vorher durchgespielt. Wie klug und vergnüglich<br />

diese Autoren erzählen konnten, sieht man am Vorbild aller<br />

Epochen-Romane: an �omas Manns berühmtem ›Zauberberg‹,<br />

in dem ein Davoser Lungensanatorium zur großen<br />

Weltbühne wird.


Charles Dickens<br />

David Copperfield<br />

Roman<br />

ISBN 978-3-596-90009-1<br />

© Fischer Klassik<br />

Charles Dickens<br />

Oliver Twist<br />

Roman<br />

ISBN 978-3-596-90042-8<br />

© Fischer Klassik<br />

Das England der beginnenden Industrialisierung: harsche<br />

Erziehungseinrichtungen, Schuldnergefängnisse. Es schlägt<br />

Mitternacht an einem Freitag, da mischt sich unter die Glockenschläge<br />

der Schrei des Neugeborenen David Copperfield.<br />

Kein gutes Omen. Doch Charles Dickens versteht es, mit<br />

überbordendem Realismus und scharfer Zunge, mit Gefühl<br />

und Witz, nicht nur den Leidensweg des Jungen zu schildern,<br />

sondern ein buntes Regiment an Figuren vorzuführen, die<br />

in ihrer Verbohrtheit oder Herzensgüte noch lange lebendig<br />

bleiben, nachdem man das Buch zugeschlagen hat.<br />

Mit Daten zu Leben und Werk, exklusiv verfasst von der<br />

Redaktion der<br />

Schurken, schmieriges Elend, ein hilfloses, unterdrücktes<br />

Waisenkind. Dutzende Film- und Fernsehadaptionen hat<br />

Dickens’ Roman inspiriert. Einst wühlte das krasse Porträt<br />

des jüdischen Schurken Fagin die Gemüter auf. Heute stört<br />

sich Roman Polanski an der Hoffnung, dass das Gute im<br />

Menschen über die Ungerechtigkeit triumphieren kann.<br />

Dickens’ ›Oliver Twist‹ lebt weiter, weil er eine existenzielle<br />

Spannung gestaltet: der Einzelne gegen die Gesellschaft.<br />

107


Edgar Allan Poe<br />

Grusel- u. Schauergeschichten<br />

Roman<br />

ISBN 978-3-596-90134-0<br />

© Fischer Klassik<br />

Daniel Defoe<br />

Robinson Crusoe<br />

Roman<br />

ISBN 978-3-596-90052-7<br />

© Fischer Klassik<br />

108<br />

Dunkel und gespenstisch sind Edgar Allan Poes schaurige<br />

Geschichten, die ganz ohne das übliche Repertoire des<br />

Schaurigen, ohne Geister und Gespenster, auskommen. Die<br />

Menschen selbst sind es, die sich in Angst und Schrecken<br />

versetzen: In der königlichen Spaßgesellschaft muss ein<br />

verkrüppelter Zwerg, seiner physischen Deformation wegen als<br />

›Hopp-Frosch‹ verlacht, das Entertainment auf Kosten seiner<br />

eigenen Würde gewährleisten. Systematisch erniedrigt, wächst<br />

in ihm ein unbändiger Rachedurst heran. Er treibt seinen<br />

Beruf auf die Spitze und erlaubt sich einen tödlichen Spaß …<br />

Eine einsame Insel in der Südsee, Kannibalen und ein<br />

Freund namens Freitag. ›Robinson Crusoe‹ ist einer der<br />

bekanntesten Abenteuerromane aller Zeiten, und Filme<br />

wie ›Castaway‹, Gameshows wie ›Survivor‹ oder Fernsehserien<br />

wie ›Lost‹ speisen sich aus dieser faszinierenden Welt,<br />

ihrer Romantik und ihrem Schauer: Robinson kämpft sich<br />

mit Pfiff und einer ordentlichen Portion Mut durch seine<br />

exotische Umwelt. Und lernt nichts weniger, als auf eigenen<br />

Füßen zu stehen.


Homer<br />

Odysee<br />

Roman<br />

ISBN 978-3-596-90019-0<br />

© Fischer Klassik<br />

Hape Kerkeling<br />

Ich bin dann mal weg<br />

ISBN: 978-3-492-25175-7<br />

© Piper<br />

Das Epos von König Odysseus ist zu einem Urmythos der<br />

abendländischen Kultur geworden. Odysseus kann durch<br />

seine Beharrlichkeit und seinen Einfallsreichtum von seiner<br />

verworrenen Reise heimkehren. Die imaginative Kraft, die<br />

heldenhafte Größe dieser über 2500 Jahre alten Geschichte<br />

besticht noch heute mit ihrer bilderreichen Schönheit und<br />

inspiriert mit ihrem Schatz an irrwitzigen Geschichten so<br />

skurrile Verfilmungen wie die Mississippi-Odyssee ›O Brother,<br />

Where Art �ou‹ der Kultregisseurbrüder Coen.<br />

Hape Kerkeling, Deutschlands vielseitigster TV-Entertainer,<br />

lief zu Fuß zum Grab des heiligen Jakob - über 600<br />

Kilometer durch Spanien bis nach Santiago de Compostela<br />

- und erlebte die reinigende Kraft der Pilgerreise. Ein außergewöhnliches<br />

Buch voller Witz, Weisheit und Wärme, ein<br />

ehrlicher Bericht über die Suche nach Gott und sich selbst<br />

und den unschätzbaren Wert des Wanderns.<br />

109


Impressum:<br />

Herausgegeben von: <strong>TUI</strong> <strong>ReiseCenter</strong> eine Marke der <strong>TUI</strong> Austria Holding GmbH, Heiligenstädter<br />

Straße 31, 1190 Wien · In Kooperation mit �alia Buch & Medien GmbH, 4020 Linz · Für den Inhalt<br />

verantwortlich: Manfred Fussek und Birgit Schott · Konzept, Gestaltung, Satz: Freund Werbeagentur<br />

GmbH, 4020 Linz · Druck: Druckerei Ferdinand Berger & Söhne GmbH, 3580 Horn


Bücher, Papier, Medien<br />

Urlaub hat viele schöne Seiten<br />

Es freut uns, dass Sie Ihre wertvolle<br />

Freizeit dem <strong>TUI</strong> <strong>ReiseCenter</strong><br />

anvertrauen und wir wünschen<br />

Ihnen schon heute einen schönen,<br />

erholsamen Urlaub. Als kleines<br />

Dankeschön für Ihre Reisebuchung<br />

soll Ihnen dieses Buch einen<br />

Vorgeschmack auf die Urlaubszeit<br />

als Lesezeit vermitteln. Gemeinsam<br />

mit Thalia, Österreichs größter<br />

Qualitätsbuchhandlung, präsentieren<br />

wir Ihnen darin Leseproben aus<br />

12 Bestseller-Neuerscheinungen<br />

und 24 Taschenbuch Klassikern<br />

des aktuellen Thalia-Programms.<br />

Lesen Sie sich ein und wählen Sie<br />

Ihr Lieblingsbuch als Lektüre für<br />

den bevorstehenden Urlaub aus.<br />

Ihr <strong>TUI</strong> <strong>ReiseCenter</strong> und Thalia<br />

machen es Ihnen dann gerne zum<br />

Geschenk.

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