Rundbrief_3-4_2012
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Am 23 . Februar 1933 sprach Wilhelm Pieck als Kandidat der<br />
Kommunisten für die Reichstagswahlen am 5 . März auf der<br />
letzten Massenkundgebung der KPD im Berliner Sportpalast .<br />
Johannes R . Becher schilderte später die damalige Situation:<br />
»Wir hatten diesmal den Sportpalast nicht ganz voll bekommen<br />
. Wir hatten für unsere ›letzte Versammlung‹ keine richtige<br />
Propaganda machen können . Noch am Vorabend hieß<br />
es, sie sei verboten, dann wurde sie plötzlich doch gestattet,<br />
aber wir konnten sie nicht mehr in der Presse anzeigen,<br />
die Propaganda blieb den einzelnen Berliner Bezirken überlassen<br />
. Es gab Lücken, … als aber die Kapelle mit unseren<br />
Kampfmärschen einsetzte, zitterte der Raum vor Begeisterung<br />
und die Lücken schlossen sich .« 5<br />
Rund 15 000 Berliner waren gekommen, um den kommunistischen<br />
Reichstagskandidaten Wilhelm Pieck zu hören . Er rief<br />
die Anwesenden auf, unverzüglich die Einheitsfront im Ringen<br />
gegen das NS-Regime zu schaffen .<br />
Ein formelles Verbot der KPD nach der Bildung der NS-Regierung<br />
erfolgte nicht, dennoch erwog sie in ihrer ersten Kabinettssitzung<br />
eine solche Maßnahme . Aus Sorge vor innenpolitischen<br />
Kämpfen wurde das geplante Verbot vertagt .<br />
In der Nacht des Reichstagsbrandes vom 27 ./28 . Februar<br />
1933 erfolgte in Berlin schlagartig die Festnahme von 1 .500<br />
Antifaschisten . Einen Tag später erließ Reichspräsident von<br />
Hindenburg die Notverordnung »Zum Schutze von Volk und<br />
Staat«, mit der die Weimarer Verfassung außer Kraft gesetzt<br />
wurde .<br />
Aufs schärfste verfolgt, musste die KPD sich auf die Reichstagswahl<br />
vorbereiten . Trotz der massiven Wahlbehinderung<br />
gegen die Arbeiterparteien erzielte die NS-Regierung nicht<br />
die erwartete absolute Stimmenmehrheit für die NSDAP bei<br />
den letzen Wahlen am 5 . März 1933 . Mehr als 12 Millionen<br />
Bürger gaben den Arbeiterparteien ihr Vertrauen, dies war ein<br />
mutiges Bekenntnis gegen die faschistische Diktatur .<br />
Die folgenden Monate des Jahres 1933 waren durch immer<br />
wieder aufflammenden Widerstand gegen die neuen Machthaber<br />
in Deutschland gekennzeichnet . So leuchteten am<br />
1 . Mai den Fußgängern im Spreetunnel in Berlin-Friedrichshagen<br />
rote Fahnen und antifaschistische Losungen entgegen .<br />
In den verschiedensten Stadtbezirken trafen sich Werktätige<br />
zum Mai-Spaziergang .<br />
Der Widerstand gegen das NS-Regime blieb nicht nur auf die<br />
Großstädte wie Berlin, Hamburg, München u . a . beschränkt,<br />
sondern entwickelte sich auch an ihren Randgebieten . So riefen<br />
Sozialdemokraten und Kommunisten im Industrieort Hennigsdorf<br />
auf, am 12 ./13 . April nicht die Kandidaten des neu<br />
zu wählenden faschistischen Vertrauensräte in den dortigen<br />
Großbetrieben zu wählen . Sie wurden dazu aufgerufen, auf<br />
die Wahlzettel Forderungen von Lohnverbesserungen zu schreiben<br />
und eigene illegale Vertrauensleute zu schaffen . Illegale<br />
Flugschriften, die dazu aufriefen, die Wahlen zu boykottieren,<br />
kursierten in den Betrieben und im Ort . Die Mehrzahl<br />
der Betriebsangehörigen im Stahl- und Walzwerk und in dem<br />
AEG-Betrieb verweigerte die Annahme der NS-Propagandatraktate<br />
und behinderte die Wahl der Vertrauensleute durch<br />
einen Kurzstreik .<br />
Bereits im Oktober 1932 entschlossen sich sozialdemokratische<br />
Intellektuelle, eine Widerstandsgruppe gegen die immer<br />
stärker aufkommenden NS-Horden zu bilden . Unter dem<br />
Namen »Roter Stoßtrupp« organisierten Rudolf Küstermeier,<br />
Kurt Blei und Franz Hering eine sich rasch entwickelndes<br />
Sammelbecken für links orientierte Studenten, Jungarbeiter<br />
sowie Arbeitslose . Wenige Tage nach dem 30 . Januar 1933<br />
war der »Rote Stoßtrupp in der Lage, illegale Schriften nicht<br />
nur in Berlin, sondern in mehren Orten Deutschlands zu verbreiten<br />
. Die Widerständler arbeiteten von Anfang an konspirativ<br />
. Sie waren nach dem Prinzip von Fünfergruppen aufgeteilt<br />
. Es bestand ein breites illegales Netz, das bis zur SPD,<br />
der SAP reichte, nebst Kontakten zu Trotzkisten, der Schwarzen<br />
Front unter Otto Strasser sowie zu katholischen und protestantischen<br />
oppositionellen Kreisen . Über die Familien Megelin<br />
und Kurt Düttchen gab es Kontakte zu Antifaschisten<br />
um Wilhelm Leuschner und dem Jungkommunisten Heinz Kapelle<br />
. 6<br />
Ende 1933 gelang der Gestapo, per Zufall ein Einbruch in die<br />
illegale Organisation . Trotz einer umfangreichen Verhaftungswelle<br />
gelang es den faschistischen Repressivorganen nicht,<br />
den »Roten Stoßtrupp« zu zerschlagen .<br />
Die umfangreiche illegale Propagandatätigkeit gegen das NS-<br />
Regime wird u . a . durch die Feststellung des Oberreichsanwaltes<br />
Karl Werner in seiner Anklageschrift gegen Karl Zinn<br />
u . a . sichtbar der den Angeklagten vorwarf, dass von April bis<br />
November 1933 alle sieben bis zehn Tage Ausgaben des »Roten<br />
Stoßtrupp in einer Gesamtauflage von 30 .000 bis 40 .000<br />
Exemplaren erschienen . 7<br />
Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass an Hand<br />
der dargelegten Beispiele des Widerstehens sich bereits unmittelbar<br />
nach Errichtung der NS-Diktatur in allen Provinzen<br />
des Landes der antifaschistische Widerstand regte – ungeachtet<br />
des Terrors, den die Organisationen der Arbeiterbewegung<br />
ausgesetzt waren .<br />
Günter Wehner<br />
1 Siehe Geschichte der revolutionären Berliner Arbeiterbewegung, Bd . 2 von<br />
1917 bis 1945, Berlin 1987, 356 ff .<br />
2 Siehe Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde RY 5/1/I 2/5/4 Bl . 132 ff . und I 2/3,<br />
Bl . 4 .<br />
3 Siehe Geschichte der revolutionären Berliner Arbeiterbewegung, Bd . 2 von<br />
1917 bis 1945, Berlin 1987, S . 359 .<br />
4 Vgl . Ebenda, S . 361 f . .<br />
5 Johannes R . Becher: Der verwandelte Platz . Erzählungen und Gedichte . Moskau/Leningrad<br />
1934, S . 15 .<br />
6 Vgl . Dennis Egginger: Der Rote Stoßtrupp . In: Geschichte des Kommunismus<br />
und Linkssozialismus . Der vergessene Widerstand der Arbeiter . Hrsg . von<br />
Hans Coppi und Stefan Heinz, Berlin <strong>2012</strong>, S . 91 ff . .<br />
7 Vgl . Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde, NJ 5315, Bl .1 ff . .<br />
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