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ETG Fachtagung „Grenzflächen in elektrischen Isoliersystemen“, Würzburg, 16.-17.09.2008<br />

Einfluss von Grenzflächen auf das dielektrische Verhalten von<br />

HGÜ-Isoliersystemen<br />

Marcus Liebschner und Andreas Küchler, FHWS, Schweinfurt, Deutschland<br />

Christoph Krause und Bernhard Heinrich, Weidmann Electrical Technology AG, Rapperswil, Schweiz<br />

Frank Berger, TU Ilmenau, Deutschland<br />

Kurzfassung<br />

Technische Gleichspannungsbeanspruchungen in Isoliersystemen der Hochspannungsgleichstromübertragung<br />

(HGÜ, engl. HVDC) verursachen in dielektrischen Werkstoffen Verschiebungsströme, Polarisationsströme und<br />

Leitungsströme. Die klassische Beschreibung dielektrischer Materialeigenschaften durch Dielektrizitätszahl und<br />

Leitfähigkeit ist eine starke Vereinfachung und in vielen Fällen für die Erklärung der gemessenen Ströme nicht<br />

ausreichend. Genauer betrachtet werden müssen dabei auch die Grenzschichten, z.B. an der Oberfläche fester<br />

Materialien sowie die Grenzschichten in flüssigen Medien beim Kontakt mit Elektrodenoberflächen. Es werden<br />

Messungen, Modellbildungen und physikalische Erklärungen für das Verhalten von unterschiedlichen Materialien<br />

wie Isolieröl, Transformerboard und harzimprägniertem Papier (RIP) vorgestellt.<br />

1 Einführung<br />

Die Hochspannungsgleichstromübertragung gewinnt<br />

zunehmend an Bedeutung, da die Drehstromübertragung<br />

an technische und wirtschaftliche Grenzen stößt.<br />

Derzeit stehen große Projekte an mit zuvor nicht realisierbaren<br />

Leistungen und Spannungen bis 800 kV [1].<br />

Trotzdem besteht noch immer ein Verständnisdefizit<br />

bezüglich der spezifischen Eigenschaften und des Verhaltens<br />

von HGÜ-Isolationen, so dass das heutige Design<br />

noch Optimierungsreserven besitzt.<br />

2 Verhalten von Isoliersystemen<br />

bei HGÜ-Beanspruchungen<br />

2.1 HGÜ-Beanspruchungen<br />

Das Verhalten der Isoliersysteme wird durch den Umstand<br />

bestimmt, dass die elektrische Feldverteilung<br />

bei Gleichspannung nicht wie bei Wechselspannung<br />

durch gut bekannte und einfach zu messende Dielektrizitätszahlen<br />

bestimmt wird, sondern durch schwer<br />

bestimm- und kontrollierbare Leitfähigkeiten. Auch<br />

das Verhalten beim Zuschalten, beim Polaritätswechsel<br />

und bei Übergangsvorgängen in den stationären<br />

Zustand (Transienten) ist nicht vollständig verstanden.<br />

Bei Gleichspannung tritt häufig der Fall auf, dass ein<br />

vorliegender Zustand durch einen Übergangszustand<br />

in einen anderen Zustand überführt wird, z.B. beim<br />

Polaritätswechsel. Beim Umpolen können in einem<br />

Barrierensystem unter Öl sehr komplexe Feldverhält-<br />

nisse entstehen, die mit erheblichen Feldüberhöhungen<br />

verbunden sind.<br />

Von besonderem Interesse in Transformatoren sind<br />

Grenzflächen zwischen Materialien mit sehr unterschiedlichen<br />

dielektrischen Eigenschaften (Dielektrizitätszahlen,<br />

Leitfähigkeiten, Polarisationserscheinungen),<br />

wie z.B. zwischen harzimprägniertem Papier<br />

(RIP), Transformerboard und Isolieröl.<br />

Die Beschreibung der geschilderten Vorgänge an den<br />

Grenzflächen der Isoliersysteme erfordert eine genaue<br />

Kenntnis der jeweiligen dielektrischen Materialeigenschaften.<br />

2.2 Dielektrische Eigenschaften<br />

Zur Beschreibung von Isolierstoffen werden Materialersatzschaltbilder<br />

verwendet. Sie sollen die dielektrischen<br />

Materialeigenschaften beschreiben. Üblicherweise<br />

sind dies die netzfrequente Dielektrizitätszahl<br />

und die stationäre Leitfähigkeit.<br />

Elektrische Feldverteilungen werden bei Wechselspannung<br />

durch kapazitive Verschiebungsströme und<br />

gut bekannte Dielektrizitätszahlen bestimmt. Letztere<br />

werden im Ersatzschaltbild durch Kapazitäten beschrieben.<br />

Von herausragender Bedeutung bei der Auslegung von<br />

Isolationssystemen für Gleichspannung ist die Leitfähigkeit<br />

der Isolierstoffe, da im stationären Fall ein<br />

stationäres Strömungsfeld vorliegt, das sich entsprechend<br />

der Leitfähigkeiten einstellt. Unter Leitfähigkeit<br />

versteht man im engeren Sinn die sogenannte<br />

Gleichstromleitfähigkeit, die sich aus dem Endwert<br />

des Polarisationsstroms ermitteln lässt und die im


ETG Fachtagung „Grenzflächen in elektrischen Isoliersystemen“, Würzburg, 16.-17.09.2008<br />

Ersatzschaltbild durch einen Widerstand berücksichtigt<br />

wird.<br />

Sogenannte Leitfähigkeiten, die vorzeitig aus Polarisationsströmen<br />

nach endlichen Zeiten ermittelt werden,<br />

sollten besser als „scheinbare Leitfähigkeiten“<br />

bezeichnet werden, da die zugehörigen Ströme noch<br />

durch Polarisation der Materie bestimmt werden und<br />

keine reinen Leitungsströme sind.<br />

Die Polarisation von Materie wird in einem Ersatzschaltbild<br />

durch Parallelschaltung von RC-Gliedern<br />

berücksichtigt. Ihre Zeitkonstanten entsprechen den<br />

Relaxationszeitkonstanten der Polarisationsmechanismen.<br />

Grenzflächen werden durch das Verschalten<br />

mehrerer Material-Ersatzschaltbilder beschrieben.<br />

2.3 Grenzflächen in HGÜ-Isoliersystemen<br />

Typische Vorgänge an Grenzflächen sollen für eine<br />

ebene Barrierenanordnung zwischen zwei ebenen<br />

Elektroden unter Isolieröl erläutert werden, Bild 1.<br />

Bei Anliegen einer Gleichspannung bildet sich das<br />

stationäre Strömungsfeld im Öl parallel zu den Grenzflächen<br />

der hochohmigen Barrieren aus. Im Ölspalt<br />

werden die Potentiallinien stark auseinandergezogen<br />

und die Feldstärken stark gesenkt. Außerhalb des<br />

Überlappungsbereichs müssen die Barrieren nahezu<br />

die gesamte Spannung isolieren.<br />

- 100 %<br />

Öl<br />

0 %<br />

Pressspanbarriere<br />

-80 % -60 % -40 % -20 %<br />

Bild 1 Stationäres Strömungsfeld bei Anliegen einer<br />

neg. Gleichspannung an der oberen Elektrode [3].<br />

+ 200 % - 100 %<br />

180 %<br />

160 %<br />

140 %<br />

120 %<br />

100 %<br />

80 %<br />

0 %<br />

-80 % -60 % -40 % -20 %<br />

120 %<br />

100 %<br />

80 %<br />

60 %<br />

40 %<br />

20 %<br />

Bild 2 Überlagerung eines dielektrischen Verschiebungsfeldes<br />

entgegengesetzter Polarität und doppelter<br />

Amplitude beim Umpolen. Die dielektrische Feldverdrängung<br />

an den Barrieren bleibt in erster Näherung<br />

unberücksichtigt [3].<br />

Den Vorgang des Umpolens kann man durch Überlagerung<br />

einer positiven Spannungsänderung mit der<br />

doppelten Amplitude beschreiben, Bild 2. Die Umpolung<br />

wirkt sich zunächst als dielektrisches Verschie-<br />

bungsfeld aus, das dem ursprünglichen Strömungsfeld<br />

zu überlagern ist [4]. Dabei wird die Feldverdrängung<br />

aus den Barrieren in das Öl in erster Näherung vernachlässigt.<br />

Das Ergebnis der Überlagerung zeigt eine<br />

sehr starke Belastung des Ölspaltes, Bild 3.<br />

+ 100 %<br />

80<br />

60<br />

40<br />

-20<br />

0 %<br />

20<br />

0 %<br />

100 % 120<br />

80<br />

60<br />

40<br />

20<br />

Bild 3 Resultierendes Feld unmittelbar nach dem<br />

Umpolen. Durch Flächenladungen an den Grenzflächen<br />

bilden sich „Inseln“ mit Potentialen über 100 %<br />

und unter 0 %. [3].<br />

Die Barrieren werden geringfügig entlastet. Auffällig<br />

ist die Bildung von „Inseln“, die ein höheres Potential<br />

als 100 % und ein niedrigeres Potential als 0 % aufweisen.<br />

Sie entstehen durch positive und negative Flächenladungen<br />

auf den Oberflächen der Barrieren, die<br />

sich dort im stationären Zustand angesammelt hatten.<br />

Nach Ablauf des Übergangsvorgangs, in dessen Verlauf<br />

im wesentlichen die Kapazitäten der Barrieren<br />

über die in Reihe liegenden Widerstände der Ölspalte<br />

umgeladen werden, stellt sich eine neue stationäre<br />

Feldverteilung bei positiver Gleichspannung ein, die<br />

der ursprünglichen entgegengesetzt gleich ist.<br />

Die Erfahrung bei Gleichspannungsprüfungen von<br />

ölisolierten Geräten mit Barrierensystem zeigt, dass<br />

die Minuten nach der Umpolung oft kritisch sind. In<br />

dieser Zeit treten gelegentlich Teilentladungen mit abklingender<br />

Intensität und Häufigkeit auf. Darin<br />

kommt offenbar der Abbau hoher Feldstärken unmittelbar<br />

nach der Umpolung zum Ausdruck. [3]<br />

3 Messungen des dielektrischen<br />

Verhaltens<br />

Das dielektrische Verhalten von Isoliermaterialen ist<br />

von besonderer Wichtigkeit für das Verständnis und<br />

für die Auslegung von Isoliersystemen. Im Folgenden<br />

werden die Prozesstechnik zum Aufbereiten der Proben<br />

und der Versuchsaufbau für die Messungen beschrieben<br />

[2], [5], [6].<br />

3.1 Prozesstechnik für Materialproben<br />

Neben der Durchführung der Messung unter genau<br />

definierten Bedingungen ist ein besonderes Augenmerk<br />

auf die Vorbereitung (Reinigung) der Messzelle<br />

und der Probe (Trocknung und Imprägnierung) zu


ETG Fachtagung „Grenzflächen in elektrischen Isoliersystemen“, Würzburg, 16.-17.09.2008<br />

richten, damit sich reproduzierbare Messergebnisse<br />

ergeben.<br />

Isolieröl wird gefiltert, getrocknet und entgast, wobei<br />

eine Restfeuchte von unter 5 ppm erreicht wird. Feste<br />

Materialproben wie Transformerboard und harzimprägniertes<br />

Papier (RIP) werden unter Vakuum<br />

vorgetrocknet und in der gereinigten Zelle zwischen<br />

Schutzringelektroden montiert und nachgetrocknet.<br />

Die Zelle wird noch unter Vakuum mit dem aufbereiteten<br />

trocknen Isolieröl geflutet. In den imprägnierten<br />

Transformerboardproben wird eine Restfeuchte von<br />

0,3 % erreicht.<br />

3.2 Polarisations-/Depolarisationsstrom-<br />

(PDC-) Messungen<br />

Ziel ist es, die dielektrischen Systemeigenschaften<br />

durch Sprungantwortmessungen zu ermitteln, d. h. es<br />

wird ein Spannungssprung angelegt. In einer Schutzringanordnung<br />

wird der durch die Probe fließende<br />

Strom (Polarisationsstrom) als Sprungantwort erfasst,<br />

aus der die Systemeigenschaften ermittelt werden<br />

können. Weitere Systemeigenschaften sind aus dem<br />

nach Abschalten der Spannungsquelle und Kurzschließen<br />

der Probe fließenden Strom (Depolarisationsstrom)<br />

erkennbar. Die Differenz von Polarisationsstrom<br />

zu Depolarisationsstrom nähert sich dem durch<br />

Leitfähigkeit verursachten stationären Gleichstrom an<br />

[3], [5].<br />

3.3 Umpol-Messung<br />

Von besonderem Interesse für HGÜ-Isolierungen ist<br />

das Verhalten der Isolierstoffe beim Polaritätswechsel.<br />

Bei der Umpolmessung wird der Spannungssprung<br />

am Ausgang des PDC-Analysers als Eingangssignal<br />

in einer eigens dafür entwickelten Steuerung verarbeitet.<br />

Diese Steuerung führt je nach Einstellung das gewünschte<br />

Messprogramm durch und schaltet hierfür<br />

ein externes hochstabilisiertes 65 kV-Hochspannungsnetzgerät<br />

zu oder ab. Das Netzgerät wurde außerdem<br />

durch eine automatisierte Umpoleinrichtung nachgerüstet,<br />

die ebenfalls von der Steuerung angesprochen<br />

wird. Mit Hilfe des PDC-Analysers werden die Polarisations-,<br />

Depolarisations- und Umpolströme mit einer<br />

Auflösung von 1 pA erfasst [2].<br />

Am Beispiel eines imprägnierten Transformerboards<br />

soll der Ablauf einer Umpolmessung erläutert werden,<br />

Bild 4 und 5:<br />

Während der Einschaltphase (1-8 s) liegt noch keine<br />

Spannung an der Probe. Der angezeigte Strom entspricht<br />

der Restladung bzw. dem Störpegel in pA,<br />

Bild 4. Auf die Einschaltphase folgt der negative Polarisationsstrom,<br />

welcher betragsmäßig dargestellt ist.<br />

Durch die doppelt logarithmische Darstellung lässt<br />

sich der Zuschaltbereich zeitlich hoch aufgelöster<br />

darstellen, Bild 4.<br />

Nach der negativen Spannungsbeanspruchung und vor<br />

dem Umpolen folgt eine spannungslose Phase, in der<br />

die Probe durch den Erdungsschalter kurzgeschlossen<br />

ist. Diese Phase wird zeitlich verschoben an den Anfang<br />

des Diagrams (1-8 s) gelegt, Bild 5. Bei festen<br />

Materialien fließt ein großer Depolarisationsstrom.<br />

Nach dem Zuschalten der positiven Spannung (Umpolung)<br />

liegt nun der positive Polarisationsstrom zeitlich<br />

verschoben direkt über dem negativen.<br />

Strom / A<br />

1,0E-06<br />

1,0E-07<br />

1,0E-08<br />

1,0E-09<br />

1,0E-10<br />

1,0E-11<br />

1,0E-12<br />

1,0E-13<br />

Umpolung - --> +<br />

L07_TIV10_Bd_NP_00<br />

Einschaltphase<br />

Negative Polarität<br />

PR<br />

Positive Polarität<br />

1 10 100 1000 10000<br />

Zeit / s<br />

Bild 4 Strom vor dem Umpolen (vgl. Kap. <strong>4.1</strong>).<br />

Strom / A<br />

1,0E-06<br />

1,0E-07<br />

1,0E-08<br />

1,0E-09<br />

1,0E-10<br />

1,0E-11<br />

1,0E-12<br />

1,0E-13<br />

Umpolung - --> +<br />

L07_TIV10_Bd_NP_00<br />

Einschaltphase<br />

Negative Polarität<br />

PR<br />

Positive Polarität<br />

1 10 100 1000 10000<br />

Zeit / s<br />

Bild 5 Zusätzlicher Strom nach dem Umpolen.<br />

4 Messung fester Isolierstoffe<br />

Untersucht wurde Weidmann Transformerboard TIV<br />

und harzimprägniertes Krepp-Papier (RIP).<br />

<strong>4.1</strong> Transformerboard<br />

Bild 4 und 5 zeigen eine Messung von Transformerboard<br />

TIV bei einer Feldstärke von 30 kV/mm, Raumtemperatur,<br />

Umpolrichtung Negativ�Positiv mit<br />

5400 s je Polarität und einer Polaritätswechseldauer<br />

von 8 s.


ETG Fachtagung „Grenzflächen in elektrischen Isoliersystemen“, Würzburg, 16.-17.09.2008<br />

Der Depolarisationsstrom nach der ersten Polarisation<br />

addiert sich mit gleicher Polarität zum Polarisationsstrom<br />

nach dem Umpolen und klingt ab.<br />

4.2 RIP<br />

Bild 6 zeigt eine Messung von harzimprägniertem Papier<br />

(RIP) bei einer Feldstärke von 30 kV/mm, Raumtemperatur,<br />

Umpolrichtung Negativ�Positiv mit<br />

5400 s je Polarität und einer Polaritätswechseldauer<br />

von 8 s. Bei der dargestellten RIP-Probe liegen die<br />

Papierlagen parallel zur Oberfläche und den Elektroden.<br />

Dies entspricht in einer Durchführung einer radialen<br />

Belastung.<br />

Strom / A<br />

1,0E-06<br />

1,0E-07<br />

1,0E-08<br />

1,0E-09<br />

1,0E-10<br />

1,0E-11<br />

1,0E-12<br />

1,0E-13<br />

Umpolung - --> +<br />

L04_23C_Bd_NP_00<br />

Einschaltphase<br />

Negative Polarität<br />

PR<br />

Positive Polarität<br />

1 10 100 1000 10000<br />

Zeit / s<br />

Bild 6 RIP unter Isolieröl bei 30 kV/mm und Raumtemperatur.<br />

Umpolrichtung Negativ�Positiv, 5400 s<br />

je Polarität, PR = 8 s.<br />

Nach der ersten Polarisation addiert sich der Depolarisationsstrom<br />

mit gleicher Polarität zum Polarisationsstrom<br />

nach dem Umpolen und klingt ab. RIP zeigt somit<br />

den gleichen Effekt wie Transformerboard, nur ist<br />

die Stromerhöhung bei RIP etwas geringer. Dies kann<br />

unter Umständen dadurch erklärt werden, dass die<br />

ölimprägnierte Zellulose im Transformerboard stärker<br />

polarisierbar ist als das harzimprägnierte Material.<br />

4.3 Physikalische Erklärungen<br />

In festen Isolationsstoffen treten beim Anlegen einer<br />

Spannung Polarisationserscheinungen auf, die zu zeitlich<br />

abklingenden Strömen sowie zur Speicherung,<br />

Freisetzung und Umladung von Ladungen führen. Ursache<br />

ist das elektrische Feld, welches die in einem<br />

Material vorhandenen Ladungen verschieben bzw.<br />

elektrische Dipole ausrichten kann (Polarisation).<br />

Üblicherweise wird diese Polarisation durch die<br />

Materialgleichung D = ε0<br />

ε r E beschrieben. Sie berücksichtigt<br />

die Vergrößerung der der Ladung proportionalen<br />

elektrischen Verschiebungsdichte über den<br />

Faktor ε , die relative Dielektrizitätszahl. Die weite-<br />

r<br />

ren Ladungen müssen in Form eines Stromes i aus<br />

der Quelle geliefert werden. Diese polarisierenden<br />

Stromanteile werden als Polarisationsstrom i = iPol<br />

bezeichnet.<br />

Erst wenn das Isolationsmaterial vollständig polarisiert<br />

bzw. aufgeladen ist, stellt sich ein Strom ein, der<br />

allein durch Leitfähigkeit verursacht ist. Wird die<br />

Probe während des Polarisierens bzw. nach dem vollständigen<br />

Polarisieren umgepolt, entsteht ein großer<br />

Verschiebungsstrom. Die durch die erste Polarisation<br />

eingebrachten Ladungen depolarisieren als Strom<br />

iDepol<br />

. Gleichzeitig kommen neue Ladungen durch<br />

Polarisation in Form eines Stromes aus der umgepolten<br />

Quelle hinzu. Dieser Polarisationsstrom iPol<br />

' ist<br />

dem vorangegangen Polarisationsstrom der ersten Polarität<br />

entgegengesetzt, er hat allerdings die gleiche<br />

Richtung bzw. das gleiche Vorzeichen wie der herausfließende<br />

Depolarisationsstrom i Depol . Deshalb gilt<br />

für den Gesamtstrom i'<br />

nach dem Umpolen<br />

i ' = iPol'+<br />

iDepol<br />

. Für die Ströme ergibt sich daraus, dass<br />

sich der Depolarisationsstrom der vorangegangen<br />

Polarisation zum Polarisationsstrom der Polarität nach<br />

dem Umpolen addiert und zu einer erkennbaren<br />

Stromerhöhung führt, bis der Depolarisationsstrom<br />

abgeklungen ist.<br />

4.4 Modell<br />

Die Untersuchungen haben gezeigt, dass das beschriebene<br />

Verhalten nur wenig von der Feldstärke abhängig<br />

ist [5]. Feste Isolierstoffe können deshalb oft als<br />

linear angesehen und ihre dielektrischen Systemeigenschaften<br />

durch ein lineares Materialersatzschaltbild<br />

beschrieben werden. Oft begnügt man sich dabei mit<br />

einem klassischen Ersatzschaltbild aus einer Ersatzkapazität<br />

und einem Ersatzwiderstand. Damit können<br />

aber die realen Materialeigenschaften nur sehr unvollkommen<br />

nachgebildet werden, weil Polarisations- und<br />

Depolarisationsvorgänge damit nicht zu beschreiben<br />

sind. Diese können aber in Form von RC-Gliedern berücksichtigt<br />

werden, Bild 7. Dabei entspricht die Zeitkonstante<br />

RiCi der Zeitkonstanten des physikalischen<br />

Polarisationsmechanismus i. Die Kapazität Ci speichert<br />

während der Polarisation Ladung (Polarisationsstrom)<br />

und gibt diese während der Depolarisation<br />

(Depolarisationsstrom) wieder ab.<br />

Bild 7 Dielektrisches Materialersatzschaltbild in<br />

vereinfachter Form, erweitertes RC-Modell.


ETG Fachtagung „Grenzflächen in elektrischen Isoliersystemen“, Würzburg, 16.-17.09.2008<br />

5 Messung flüssiger Isolierstoffe<br />

5.1 Transformatorenöl<br />

Bild 8 zeigt eine Umpolmessung an einem Transformatorenöl<br />

bei einer Feldstärke von 4 kV/mm, Raumtemperatur,<br />

Umpolrichtung Negativ�Positiv mit<br />

1200 s je Polarität und einer Polaritätswechseldauer<br />

von 8 s. Dabei ist zu beachten, dass deckungsgleiche<br />

positive und negative Ströme nur durch eine Konditionierung<br />

mit alternierenden Polaritäten erreichbar ist<br />

(vgl. Kap. 5.2.2).<br />

Auch bei Sprungantwortmessungen an Ölen ergeben<br />

sich fallende Stromverläufe. Es handelt sich dabei<br />

aber nicht um Polarisationsvorgänge, sondern vielmehr<br />

um eine zeitlich veränderliche Leitfähigkeit<br />

durch Ladungsträgerbewegung. Der Nachweis wird<br />

durch Depolarisationsstrommessungen erbracht, die<br />

bei typischen Isolierölen bereits nach wenigen Sekunden<br />

vernachlässigbar kleine Ströme liefern. Dies bedeutet,<br />

dass Öl praktisch nicht polarisierbar ist und<br />

keine Ladung speichert. Bei anliegender Gleichfeldstärke<br />

wandern die Ionen innerhalb einer Transitzeit<br />

vor die Elektroden. Nach Bildung von Raumladungszonen<br />

stellt sich dann ein neues Gleichgewicht auf<br />

niedrigerem Leitfähigkeitsniveau ein, das der sog.<br />

Gleichstromleitfähigkeit entspricht. Die in Bild 8<br />

gezeigten deckungsgleichen Stromverläufe vor und<br />

nach der Umpolung ergeben sich erfahrungsgemäß<br />

aber erst, wenn das Öl zuvor durch Anlegen von<br />

Spannungen positiver und negativer Polarität in<br />

vergleichbare Ausgangszustände gebracht wird (Konditionierung).<br />

5.2 Physikalische Erklärungen<br />

5.2.1 Ladungsträgerwanderung<br />

In Isolierölen überwiegt die Ionenleitung. Positive<br />

und negative Ionen bilden sich durch Dissoziation von<br />

Verunreinigungen. Bei erhöhten Feldstärken sind auch<br />

geladene Partikel von Bedeutung, die zu unstetigen<br />

Stromverläufen führen. Freie Elektronen werden erst<br />

bei hohen Feldstärken aus ihren Haftstellen befreit<br />

[7].<br />

Die mit der Ladungsträgerwanderung verbundenen<br />

Effekte sollen an einem Öl mit ausgeprägter Transitzeit<br />

erläutert werden, Bild 9. Bei diesem sind die<br />

Ströme und die Transitzeit der Ionen nach dem Umpolen<br />

offenbar erhöht.<br />

Mit Bild 10 soll die folgende Interpretation veranschaulicht<br />

werden: Zunächst sind Ladungsträger in einem<br />

Ölspalt zwischen zwei Elektroden ohne elektrische<br />

Feldbelastung weitgehend frei verteilt, Bild 10a.<br />

Beim Anlegen einer Gleichspannung wandern die Ladungsträger<br />

im Ölspalt zu den Elektroden. Der Weg<br />

beträgt im Mittel den halben Elektrodenabstand, Bild<br />

10b. Nach dem Umpolen sind die Ströme überraschenderweise<br />

(mindestens) genauso groß wie bei der<br />

ersten Spannungsbeanspruchung, Bild 8 und 9. Dies<br />

bedeutet, dass die Ladungsträger nicht, wie man annehmen<br />

könnte, weitgehend an den Elektroden<br />

neutralisiert werden und verschwinden. Sie sind vielmehr<br />

nach der Umpolung noch vorhanden und tragen<br />

erneut zum Stromfluss bei. Die Ladungsträger im Isolieröl<br />

sammeln sich offenbar zu einem großen Teil als<br />

Raumladungszonen vor den Elektroden, ohne dass<br />

eine vollständige Neutralisierung eintritt, Bild 10c.<br />

Dies bedeutet, dass der Kontakt der Ladungsträger<br />

mit den Elektroden nicht vollständig ist.<br />

Strom / A<br />

1,0E-06<br />

1,0E-07<br />

1,0E-08<br />

1,0E-09<br />

1,0E-10<br />

1,0E-11<br />

1,0E-12<br />

1,0E-13<br />

Umpolung - --> +<br />

L02_Bbx_NP_04<br />

Einschaltphase<br />

Negative Polarität<br />

PR<br />

Positive Polarität<br />

1 10 100 1000 10000<br />

Zeit / s<br />

Bild 8 Isolieröl bei 4 kV/mm und Raumtemperatur.<br />

Umpolrichtung Negativ�Positiv, 1200 s je Polarität,<br />

PR = 8 s. (Nach der Konditionierung, vgl. Kap. 5.2.2)<br />

Strom / A<br />

1,0E-06<br />

1,0E-07<br />

1,0E-08<br />

1,0E-09<br />

1,0E-10<br />

1,0E-11<br />

1,0E-12<br />

1,0E-13<br />

Umpolung - --> +<br />

U_4kV_N1200s_PR8s_P1200s_02a<br />

Einschaltphase<br />

Negative Polarität<br />

1 10 100 1000 10000<br />

Zeit / s<br />

PR<br />

Positive Polarität<br />

Bild 9 Isolieröl mit ausgeprägter Transitzeit bei<br />

4 kV/mm.<br />

Das Isolieröl wird nicht von Ladungsträgern freigeräumt<br />

und es hat nach dem Umpolen nicht die bei der<br />

vorangegangenen Spannungsbeanspruchung erreichte<br />

niedrige Leitfähigkeit. Das heißt, nach dem Umpolen<br />

ergeben sich wieder Ströme in der ursprünglichen<br />

Höhe, Bild 8. Diese Ströme sind oft längere Zeit größer<br />

als nach der ersten Spannungsbeanspruchung,<br />

Bild 9. Dies liegt daran, dass der Weg, den die La-


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dungsträger zurücklegen müssen, nun in etwa dem<br />

gesamten Elektrodenabstand entspricht, Bild 10d. Bei<br />

der ersten Spannungsbeanspruchung war dies im Mittel<br />

der halbe Elektrodenabstand, Bild 10b.<br />

Nach dem Umpolen müssen die sich vor den Elektroden<br />

angesammelten Ladungsträger den ganzen Elektrodenabstand<br />

durchlaufen, Bild 10d. Dadurch fließt<br />

ein durch diese Ladungsträger verursachter erhöhter<br />

Strom für eine längere Zeit.<br />

Für sehr hohe Feldstärken oberhalb von ca. 3 bis 6<br />

kV/mm werden die geschilderten Effekte durch neu<br />

generierte Ladungsträger völlig überdeckt. D.h. es<br />

gibt eine stark erhöhte, zeitlich "konstante" Leitfähigkeit,<br />

die aufgrund von Partikeldrift erheblichen<br />

Schwankungen unterworfen ist.<br />

5.2.2 Konditionierung<br />

Die Theorie der Ladungsträgerwanderung erklärt auch<br />

den Effekt der Konditionierung: Öl kann über eine vorangegangene<br />

Messung polaritätsabhängig konditioniert<br />

werden (Memoryeffekt). Wird dies nicht beachtet,<br />

ist die korrekte Auswertung von Strommessungen<br />

nicht möglich.<br />

Nach einer Konditionierung durch Spannungsbeanspruchungen<br />

mit alternierender Polarität sind die<br />

Wege für die Ladungsträgerwanderung immer gleich<br />

dem vollen Abstand zwischen den Elektroden, so dass<br />

auch die Stromverläufe in beiden Polaritäten identisch<br />

werden.<br />

5.3 Modell<br />

Isolieröle zeigen bei Sprungantwortmessungen zwar<br />

zeitlich veränderliche Polarisationsströme, aber ab<br />

etwa einer Sekunde praktisch keine Depolarisationsströme.<br />

Das dielektrische Ersatzschaltbild reduziert<br />

sich damit im wesentlichen auf eine geometrische<br />

Kapazität und eine veränderliche Leitfähigkeit.<br />

Der Leitfähigkeitsendwert ist extrem feldstärkeabhängig,<br />

weil bei Feldstärken oberhalb von 2 bis 3 kV/mm<br />

eine stark erhöhte Erzeugung neuer Ladungsträger<br />

einsetzt.<br />

In einem Ölmodell müssen das ausgeprägte nichtlineare<br />

Verhalten des Isolieröls, die Ionenwanderung sowie<br />

die Einflüsse zahlreicher Einflussgrößen berücksichtigt<br />

werden. Lineare Ersatzschaltbilder analog<br />

Bild 7 sind hierfür prinzipiell nicht geeignet. Stattdessen<br />

werden funktionale Zusammenhänge zu einem<br />

sog. physikalisch- mathematisches Ölmodell verbunden<br />

[6] und in laufenden Forschungsarbeiten weiterentwickelt.<br />

6 Schlussfolgerung<br />

a) b) c)<br />

Bild 10 Wanderung der<br />

Ladungsträger im Isolieröl<br />

mit Ausbildung<br />

von Raumladungszonen<br />

vor den Elektroden.<br />

Das dielektrische Verhalten von Isoliersystemen bei<br />

HGÜ-Beanspruchungen hängt wesentlich von den im<br />

System vorhandenen Grenzflächen ab. Es kann nur<br />

bei guter Kenntnis der materialspezifischen dielektrischen<br />

Systemeigenschaften verstanden werden. Zu<br />

diesem Zweck wurden Umpolmessungen an typischen<br />

Isolierwerkstoffen durchgeführt.<br />

Die Umpolmessungen von festen Materialien wie<br />

Transformerboard und harzimprägniertem Papier<br />

(RIP) zeigen nach dem Umpolen eine Stromerhöhung<br />

aufgrund der Ladungsspeicherung. Der Depolarisationsstrom<br />

nach der ersten Polarisation addiert sich<br />

mit gleicher Polarität zum Polarisationsstrom nach<br />

e) d)


ETG Fachtagung „Grenzflächen in elektrischen Isoliersystemen“, Würzburg, 16.-17.09.2008<br />

dem Umpolen, was zu einer erkennbaren Stromerhöhung<br />

führt. Diese Stromerhöhung hält so lang an, bis<br />

der Depolarisationsstrom abgeklungen ist. Das Verhalten<br />

fester Materialien ist weitgehend linear und<br />

kann durch lineare Ersatzschaltbilder beschrieben<br />

werden.<br />

Die Umpolmessungen von Ölen zeigen einen interessanten<br />

Effekt: Bisher wurde angenommen, dass das<br />

Öl durch eine Gleichspannung von Ladungsträgern so<br />

weit freigeräumt wird, dass es nach dem Umpolen<br />

eine erniedrigte Leitfähigkeit besteht. Diese Annahme<br />

spiegeln die Umpolmessungen aber nicht wieder, nach<br />

dem Umpolen ergeben sich Ströme in der ursprünglichen<br />

Höhe.<br />

Die Messungen zeigen zwar, dass beim Anlegen einer<br />

Gleichspannung eine Wanderung der Ladungsträger<br />

auftritt, die zu zeitlich abklingenden Strömen führt.<br />

Die Ladungsträger im Isolieröl sammeln sich aber offenbar<br />

zum großen Teil als Raumladungszonen vor<br />

den Elektroden, ohne dass sich eine vollständige Neutralisierung<br />

ergibt. Dies bedeutet, dass der Kontakt<br />

der Ladungsträger mit den Elektroden nicht vollständig<br />

ist.<br />

Die Messungen zeigen, dass Öl ein polaritätsabhängiges<br />

Konditionierungsverhalten aufweist. Jede Polarität<br />

muss für sich betrachtet werden. Das Öl kann gezielt<br />

über eine vorangegangene Langzeitbeanspruchungen<br />

konditioniert werden. Dies ist mit der Theorie<br />

der Ladungsträgerwanderung und dem Ladungsträgerstau<br />

vor den Grenzflächen erklärbar.<br />

Für die Beschreibung des komplexen dielektrischen<br />

Verhaltens von Isolierölen sind funktionale Zusammenhänge<br />

erforderlich, lineare Ersatzschaltbilder sind<br />

nicht ausreichend.<br />

7 Literatur<br />

[1] WG on HVDC and FACTS Bibliography and<br />

Records: HVDC Projects Listing. IEEE Transmission<br />

and Distribution Committee, Dec. 2006<br />

[2] Liebschner, M.; Küchler, A.; Berger, F.: Interaktion<br />

von Ölspalten und fester Isolation in<br />

HVDC-Barrierensystemen. XXV. Internat. Wiss.<br />

Kolloquium Science in Practice, 2007<br />

[3] Küchler, A.: Hochspannungstechnik, 2. Auflage.<br />

Berlin-Heidelberg-New York: Springer, 2005<br />

[4] Hammer, F.; Küchler, A.: Insulating System for<br />

HVDC Power Apparatus. IEEE Trans. on Electrical<br />

Insulation, Vol. 27, No. 3, 1992<br />

[5] Kuechler, A.; Huellmandel, F.; Boehm, K.; Liebschner,<br />

M.; Krause, C.; Heinrich, B.: Parameters<br />

Determining the Dielectric Properties of Oil Impregnated<br />

Pressboard an Presspaper in AC an<br />

DC Power Transformer Applications. 15th International<br />

Symposium on High Voltage Engineering<br />

Ljubljana, Slovenia, 2007<br />

[6] Kuechler, A.; Huellmandel, F.; Hoppe, J.;<br />

Krause, C.; Koch, N.: Transiente Belastung<br />

durch Grenzflächen- und Materialpolarisation in<br />

HGÜ-Transformatoren. ETG-Fachtagung Grenzflächen<br />

in elektr. Isoliersystemen, Hanau, 2005<br />

[7] Lewis, T. J.: Basic Electrical Processes in Dielectric<br />

Liquids. IEEE Trans. on Dielectrics and<br />

Electrical Insulation, Vol. 1 No. 4, pp. 630 – 643,<br />

Aug. 1994<br />

Danksagung: Die Autoren danken den Herren Michael<br />

Moser, Michael Geißler und Franz Klauer, die die<br />

vorgestellte Untersuchung durch zahlreiche praktische<br />

Arbeiten sehr gut unterstützt haben.

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