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Das Wien meiner Kindheit von Susanne Blach

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<strong>Das</strong> <strong>Wien</strong> <strong>meiner</strong> <strong>Kindheit</strong><br />

<strong>von</strong> <strong>Susanne</strong> <strong>Blach</strong><br />

Wenn ich sage, dass ich aus <strong>Wien</strong> komme, begegnen mir meist verklärte<br />

Blicke. <strong>Das</strong> Gegenüber denkt sofort an Schloss Schönbrunn und Sissy, an die<br />

Hofburg mit ihrer Schatzkammer, an Opernball und Neujahrskonzert. Darf<br />

ich diese Illusionen zerstören, indem ich mich auf unerwünschte Details<br />

einlasse und schildere, dass ich nicht etwa in einem Palais mit Parkett und<br />

Stuckdecke aufgewachsen bin, sondern in einem Plattenbau in<br />

Transdanubien? Transdanubien sind die Bezirke jenseits der Donau, jene<br />

Gebiete, die nicht zum römischen Reich gehörten und bis heute als<br />

unzivilisiert und proletarisch gelten. Transdanubier sind kaum echte <strong>Wien</strong>er,<br />

und schon gar keine ‚besseren‘. Kommt erschwerend hinzu, dass auch mein<br />

Vater aus dem sozialen Wohnungsbau in Transdanubien stammt.<br />

Dabei liess meine <strong>Kindheit</strong> im Plattenbau nichts zu wünschen übrig. Da<br />

innerhalb der Siedlung keine Autos fuhren, durften wir uns überall frei<br />

bewegen, zu Fuss, per Rollschuh oder auf dem Fahrrad. Hinter unserem Haus<br />

war die Mist-G’stetten, wo man Fussball spielte und <strong>von</strong> Zeit zu Zeit ein<br />

Lagerfeuer anzündete, was gelegentlich die Feuerwehr auf den Plan rief.<br />

Etwas weiter hinten befand sich das Wäldl mit der Todesbahn, deren steile<br />

Abhänge nur geübte Radfahrer bewältigen konnten. Noch weiter kam man<br />

zur Donau mit ihrem riesigen Überschwemmungsgebiet, das<br />

pflichtschuldigst zweimal im Jahr - im Frühling und im Herbst -<br />

überschwemmt wurde.<br />

Schwimmen konnte man in der Donau nicht. Euch kann ich es ja verraten: Die<br />

Donau war nie schön und blau, sondern stets grau, braun oder gelb, an<br />

guten Tagen grün. In den siebziger Jahren war sie so verschmutzt, dass<br />

unsere Eltern uns streng verboten, darin zu schwimmen. Angeln hingegen<br />

durfte man. Wahrscheinlich sind die Giftstoffe weniger schädlich, wenn der<br />

Fisch sie schon einmal vorverdaut hat.<br />

Zum Schwimmen musste man an die alte Donau, einen abgestorbenen Arm<br />

des Flusses, der besonders <strong>von</strong> der proletarischen Bevölkerung gerne für<br />

Freizeitvergnügen genutzt wurde. Man konnte dort segeln, rudern oder<br />

Tretboot fahren, und natürlich schwimmen. Manche hatten sogar ein<br />

Gartenhäuschen direkt am Wasser. Jene, die dieses Privileg nicht genossen,<br />

gingen gerne ins Gänsehäufel. <strong>Das</strong> ist eine Insel in der alten Donau, die als<br />

öffentliches Freibad dient. Dort gab es im grossen Bassin sogar einmal pro<br />

Stunde Wellenbad.<br />

1


Meine Grosseltern wohnten im legendären Goethe-Hof - einer Hochburg der<br />

Sozialisten und Kommunisten - direkt an jenem Teil der alten Donau, der als<br />

„Kaiserwasser“ bezeichnet wurde. So fuhren wir am Wochenende oft mit<br />

dem Rad dem Donau-Damm entlang nach Kaisermühlen, wo gerade die<br />

UNO-City gebaut wurde.<br />

Mit einem Palais kam ich schliesslich doch noch in Berührung, als ich im<br />

Lycée Français eingeschult wurde. Die erste Klasse war damals im Palais<br />

Clam-Gallas an der Währingerstrasse einquartiert. Es war eine eigentümliche<br />

Mischung aus Prunk und Verfall. Wir schritten auf roten Teppichen unseren<br />

Klassenzimmern entgegen, über unseren Köpfen hingen prächtige Kristall-<br />

Lüster, wenn auch etwas verstaubt. Von den Wänden bröckelte der Putz,<br />

und zahlreiche Schüler hatten sich dort mit Schmierereien verewigt. Da die<br />

Prunksäle des Palais für Klassenzimmer zu gross waren, hatte man sie<br />

einfach mit dünnen Stellwänden abgetrennt, durch die man regelmässig den<br />

Lehrer der Parallelklasse schreien hörte. Jedes Mal dankte ich dem Himmel,<br />

dass ich nicht in seiner Klasse sass.<br />

Im Pausenhof wuchsen jahrhundertealte Kastanien, doch die<br />

Begrenzungsmauer war baufällig und stürzte irgendwann tatsächlich ein.<br />

Unter dem gedeckten Teil des Hofes konnte man durch Spinnwebenverhangene<br />

Fenster in ein dunkles Zimmer sehen, das nur selten genutzt<br />

wurde. Ich war da<strong>von</strong> überzeugt, dass es sich um einen geheimen Räuber-<br />

Treffpunkt handelte und beobachtete die Benützer mit Argus-Augen.<br />

Heute ist das Palais Clam-Gallas renoviert und wird als französisches<br />

Kulturinstitut genutzt. Ich kann einen Besuch nur wärmstens empfehlen,<br />

zumal die berühmte Strudelhofstiege (siehe Heimito <strong>von</strong> Doderer) und<br />

Siegmund Freuds Berggasse jeweils nur ein paar Schritte da<strong>von</strong> entfernt sind<br />

– was ich übrigens erst kürzlich festgestellt habe.<br />

Die <strong>Wien</strong>er Innenstadt entdeckte ich, als ich gross genug war, um alleine zu<br />

<strong>meiner</strong> Tante zu gehen, die am Graben, gleich neben der Pestsäule,<br />

arbeitete. Wacker marschierte ich <strong>von</strong> der Schule die Währingersrasse<br />

entlang, an der Votivkirche vorbei zum Schottentor, geradeaus durch die<br />

Herrengasse, am Café Central vorbei bis zur Spanischen Hofreitschule. Dort<br />

bog ich links ab, schlängelte mich durch Galerien und Hinterhöfe, und schon<br />

war ich da.<br />

Darf ich gestehen, dass ich bis heute keine Vorstellung der Spanischen<br />

Hofreitschule gesehen habe?<br />

Schönbrunn war uns Kindern ein Begriff. Nicht wegen des Schlosses, vor<br />

dem die Touristen Schlange standen - Sissy schaute man lieber im Fernsehen<br />

2


an. Wir gingen dort in den Tiergarten, der sich aus der kaiserlichen<br />

Menagerie entwickelt hat.<br />

Einmal im Jahr mussten wir uns der Kultur-Tournée durch die Stadt<br />

unterziehen—Hofburg, Rathaus (Der Rathausmann auf dem Dach des<br />

Gebäudes hätte Schuhgrösse 62!), Schloss Schönbrunn, Stephansdom und<br />

Naturhistorisches Museum—sonst hätten wir unsere Marken für das <strong>Wien</strong>er<br />

Ferienspiel nicht bekommen. Nur mit voller Karte durfte man an der grossen<br />

Endauslosung teilnehmen, bei der ein Wunsch nach Belieben erfüllt wurde.<br />

Ich wünschte mir jedes Jahr aufs Neue ein gelbes Rennrad, gewann aber nie.<br />

Den Prater besuchten wir gerne, aber mit dem Riesenrad fuhren wir<br />

höchstens, um unserer Grosstante einen Gefallen zu tun: das war zu<br />

langweilig.<br />

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