Liberales Halle - Pieper, Cornelia
Liberales Halle - Pieper, Cornelia
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Mein Nein zum Betreuungsgeld<br />
Eine persönliche Erklärung von CORNELIA PIEPER an die Mitglieder über Ihre Ablehnung<br />
des Gesetzes zur Einführung des Betreuungsgeldes<br />
Ich möchte auf diesem Wege<br />
noch einmal die Argumente<br />
darlegen, warum ich die Entscheidung<br />
für ein Betreuungsgeld<br />
weder mit meinem<br />
Gewissen, noch mit meinen<br />
langjährigen politischen Überzeugungen<br />
vereinbaren kann.<br />
Ich bin 1990 nach der Deutschen<br />
Einheit in die Politik<br />
gegangen, um den neuen demokratischen<br />
Aufbau Sachsen-Anhalts<br />
und ein besseres<br />
Bildungssystem mitzugestalten.<br />
Dazu gehörten für mich<br />
insbesondere die guten pädagogischenBetreuungsmöglichkeiten<br />
für Kinder im frühkindlichen<br />
Alter, aber auch das<br />
Angebot an Schulhortplätzen<br />
und Ganztagsschulen zu erhalten.<br />
Ich habe dieses politische<br />
Anliegen auch immer wieder in<br />
den Bundesvorstand, auf Bundesparteitagen<br />
und in unserem<br />
Landesverband eingebracht.<br />
Die FDP hat in der ersten Regierungskoalition<br />
mit der CDU<br />
1990 bis 1994 dafür gesorgt<br />
- und ich war damals u.a. sozial-<br />
und familienpolitische<br />
Sprecherin -, dass der Rechtsanspruch<br />
in Sachsen-Anhalt<br />
auf einen Krippen-, Kindergarten-<br />
und Schulhortplatz mit<br />
einem Kinderbetreuungsgesetz<br />
und Schulhortgesetz überhaupt<br />
eingeführt wurde und<br />
das gegen den Widerstand des<br />
damaligen CDU-Ministerpräsidenten<br />
Münch und von Teilen<br />
der CDU. Das Schulhortgesetz<br />
wurde sogar mit der Mehrheit<br />
der Oppositionsfraktionen auf<br />
<strong>Liberales</strong> <strong>Halle</strong><br />
12-2012/1-2013<br />
Initiative der FDP auf den Weg<br />
gebracht.<br />
Mir ging es dabei um die Sache,<br />
die inzwischen auch wissenschaftlich<br />
von der Gehirnforschung<br />
nachgewiesen wurde.<br />
Es geht nicht nur um Betreuung,<br />
sondern vor allem um Bildung.<br />
Der Mensch lernt nie wieder<br />
so schnell und intensiv wie bis<br />
zum 6. Lebensjahr. Es gilt, Talente<br />
frühzeitig zu fördern und<br />
Kinder mit Migrationshintergrund<br />
besser zu integrieren. Ein<br />
bundesweites Konzept für einheitliche<br />
pädagogische KiTa-<br />
Standards, wie auch vom Vorsitzenden<br />
der Telekom-Stiftung,<br />
Dr. Klaus Kinkel, und vielen<br />
anderen Bildungsexperten gefordert,<br />
ist längst überfällig.<br />
Welche dramatischen Auswirkungen<br />
das Betreuungsgeld haben<br />
wird, lässt sich bereits jetzt<br />
schwarz auf weiß nachlesen. Im<br />
Frühjahr dieses Jahres wurde<br />
die Studie zum Thüringer Betreuungsgeld,<br />
das seit 2006 besteht,<br />
veröffentlicht. Zentrale<br />
Ergebnisse der von Prof. Christina<br />
Gathmann an der Universität<br />
Heidelberg erstellten Studie<br />
sind:<br />
• 2-jährige Mädchen wiesen<br />
nach Einführung des Betreuungsgeldes<br />
eine niedrigere Sozialkompetenz<br />
und geringere<br />
alltägliche Fertigkeiten auf.<br />
• Bei gering qualifizierten Eltern,<br />
Alleinerziehenden oder<br />
Familien mit niedrigem Einkommen<br />
sinkt der Anteil der<br />
Kinder, die in Kindertagesstät-<br />
Ich habe in den letzten Monaten nie ein Geheimnis dar-<br />
aus gemacht, dass es mir unmöglich war, dem Betreuungs-<br />
geldgesetz zuzustimmen. Auch die Ergebnisse des Koali-<br />
tionsgipfels haben daran nichts geändert.<br />
ten betreut werden, nach Einführung<br />
des Betreuungsgeldes<br />
um mehr als 20%. Stattdessen<br />
werden die Kinder ausschließlich<br />
zu Hause oder anderweitig<br />
informell betreut, obwohl<br />
viele Studien gezeigt haben,<br />
dass Kinder aus bildungsfernen<br />
oder ärmeren Familien<br />
besonders von einer qualitativ<br />
hochwertigen Kinderbetreuung<br />
profitieren.<br />
Wenn wir eine Bildungsrepublik<br />
Deutschland, wie in der Koalitionsvereinbarung<br />
gefordert,<br />
erreichen wollen, müssen wir<br />
zu allererst mehr in frühkindliche<br />
Bildung investieren. Dass<br />
Sachsen-Anhalt heute einen<br />
Rechtsanspruch von 0 bis 14<br />
Jahren im Gesetz festgeschrieben<br />
hat und eine fast 100%-ige<br />
KiTa-Versorgung anbietet, womit<br />
wir im Übrigen deutschlandweit<br />
auf Platz 1 liegen,<br />
macht mich stolz, weil es auch<br />
eine Leistung der FDP ist.<br />
Und es ist ein Erfolg der<br />
schwarz-gelben Bundesregierung<br />
und der Wirtschaft, insbesondere<br />
des Mittelstandes, dass<br />
sich die Arbeitslosigkeit von<br />
Frauen und Männern auf dem<br />
niedrigsten Stand seit der Deutschen<br />
Einheit befindet. Das<br />
wäre ohne die Kinderbetreuungsangebote<br />
- zumindest in<br />
Ostdeutschland - so nicht möglich<br />
gewesen und entspricht<br />
dem Wunsch der überwältigenden<br />
Mehrheit der Eltern. Jetzt<br />
müssen wir zu allererst daran<br />
arbeiten, dass die 220.000 fehlenden<br />
KiTa-Plätze für unter<br />
Dreijährige geschaffen werden.<br />
Bevor wir eine Prämie auszahlen,<br />
sollten wir den Kommunen<br />
unter die Arme greifen, die<br />
aufgrund knapper Kassen nicht<br />
einmal in der Lage sind, den<br />
Eigenanteil zum Ausbau der<br />
Kinderbetreuungsangebote aufzubringen.<br />
Bevor diese Hausaufgaben<br />
nicht erledigt sind, er-