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Der Abfindungsvergleich beim Personenschaden - SVR

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AUFSÄTZE | Nehls, <strong>Der</strong> <strong>Abfindungsvergleich</strong> <strong>beim</strong> <strong>Personenschaden</strong><br />

3.4. Verdammung des BGH-Denkmodells<br />

Das Denkmodell, der Geschädigte werde die Kapitalabfindung<br />

zur Bank bringen, sei die Ausnahme und deshalb nicht zu beachten.<br />

In diesem Ausnahmefall könne es bei der laufenden<br />

Regulierung bleiben 38 . Folge: Die Beachtung von Kosten für<br />

die Geldanlage und von Steuern auf die Zinsen – beides soll<br />

nach dem BGH-Urteil beachtet werden – wird weggeputzt.<br />

3.5. Lösung des Falles (Variante B)<br />

Keine Rentendynamik, Kapitalmarktzinsfuß 5 Prozent, s. Abb. 1:<br />

Zinsfuß 5, Faktor 13,951, Barwert 418.530 Euro.<br />

Fazit<br />

BGH: <strong>Der</strong> Berechtigte soll denjenigen Kapitalbetrag erhalten,<br />

der während der voraussichtlichen Laufzeit der Rente zusammen<br />

mit dem Zinsertrag dieses Kapitals ausreicht, die an sich<br />

geschuldete Rente zu zahlen. Dieser Grundsatz wird bei einem<br />

Barwert von 564.480 Euro beachtet. Nicht aber bei 418.530<br />

Euro. Ergo: Bei <strong>Abfindungsvergleich</strong>en wird zu wenig gezahlt.<br />

3.6. Weitere Reduzierung der Abfindungssumme<br />

Es können verschiedene Punkte strittig sein, die im <strong>Abfindungsvergleich</strong><br />

berücksichtigt werden. Zum einen kann es sich<br />

um Umstände handeln, die die laufende Regulierung betreffen.<br />

Zu denken ist an die Haftungsquote, die Karriereentwicklung<br />

oder an das Ende der Laufzeit. Zu letzterem: Das OLG<br />

Frankfurt am Main hat im Beweisbeschluss die vermeintliche<br />

Aktivenzeit des Verletzten als Beamter begrenzt: „Vom 1.1.2012<br />

(62 Jahre) bis zum statistischen Lebensende ... Ruhegehalt“,<br />

Aktivenbezüge also nur bis 61 Jahre.<br />

Zum anderen können Umstände im Streit sein, die sich für<br />

die eigentliche Kapitalisierung ergeben: z. B. Rentendynamik,<br />

Kapitalmarktzinsfuß. Nie im Streit dürfte das Nichtvorliegen<br />

eines wichtigen Grundes sein.<br />

Wie hoch ist ein schwerer <strong>Personenschaden</strong> zu beziffern? Die<br />

Medien und die Öffentlichkeit wissen es nicht. Gerichtsentscheidungen<br />

gibt es nicht. Die <strong>Abfindungsvergleich</strong>e werden<br />

– wie ich es ketzerisch ausdrücke – in dunklen Höhlen abgeschlossen.<br />

Deshalb werden wir täglich mit etwa folgenden<br />

Berichten konfrontiert:<br />

Überschrift: „Drei Schwerverletzte und 20.000 Euro Schaden“,<br />

Text: „Drei Menschen wurden gestern mittag bei einem<br />

schweren Unfall in Bielefeld schwer verletzt. Eine 33-jährige<br />

bog auf eine Vorfahrtsstraße rechts ab, in ihren Kombi knallte<br />

von links ein Bulli mit einem Anhänger. Beide Autos landeten<br />

im Straßengraben. Den Sachschaden schätzt die Polizei<br />

auf 20.000 Euro.“ 39 Regelmäßig wird der Blechschaden eingeschätzt,<br />

niemals erfahren wir etwas über die Höhe des <strong>Personenschaden</strong>s,<br />

obwohl er ein Vielfaches (10-fach?, 100-fach?)<br />

des Sachschadens ausmacht.<br />

4. Anwaltshaftung<br />

Liegt ein wichtiger Grund vor, hat der Anwalt die obigen<br />

166 | <strong>SVR</strong> 5/2005<br />

Grundsätze des BGH zu beachten. Zu den Pflichten des Anwalts<br />

bei <strong>Abfindungsvergleich</strong>en hat der Arbeitskreis folgende<br />

4. Empfehlung ausgesprochen:<br />

„<strong>Der</strong> Anwalt des Geschädigten hat seinen Mandanten vor Abschluss<br />

des Vergleiches über den Inhalt sowie über die Vor- und<br />

Nachteile des vorgesehenen <strong>Abfindungsvergleich</strong>es und über<br />

die alternative Rentenzahlung aufzuklären.”<br />

<strong>Der</strong> Anwalt sollte für den Mandanten zum Vergleich den Barwert<br />

so berechnen, als ob ein wichtiger Grund vorliegt, also Berechnung<br />

mit Rechnungszinsfuß um 2 Prozent, und dem Abfindungsangebot<br />

gegenüberstellen. Bei der Verhandlung sollte<br />

der Anwalt die Rentendynamik ansprechen, gegebenenfalls einen<br />

Dynamikzuschlag errechnen. Dies sollte dokumentiert<br />

und das Ergebnis dem Mandanten mitgeteilt werden.<br />

<strong>Der</strong> Mandant ist dahin aufzuklären, dass er ablehnen und<br />

weiterhin laufend regulieren kann. Ein Tipp: die ernsthafte<br />

Drohung an die Assekuranz, weiter laufend zu regulieren, kann<br />

Wunder bewirken. Z.B., dass die Assekuranz nunmehr bereit<br />

ist, einen Dynamikzuschlag zu zahlen.<br />

5. <strong>Abfindungsvergleich</strong> und Rechtsstaat<br />

5.1. <strong>Abfindungsvergleich</strong>e außerhalb des Rechtsstaates?<br />

Warum vollzieht sich der <strong>Abfindungsvergleich</strong> im rechtsfreien<br />

Raum, d. h. außerhalb einer Nachprüfbarkeit vor Gericht.<br />

Warum befindet sich das Verkehrsopfer außerhalb des Rechtsstaates?<br />

Wegen § 843 Abs. 3 BGB. Diese Vorschrift lautet seit<br />

über hundert Jahren: „Statt der Rente kann der Verletzte eine<br />

Abfindung in Kapital verlangen, wenn ein wichtiger Grund<br />

vorliegt.“ <strong>Der</strong> BGB-Gesetzgeber folgte mit dieser Regelung § 12<br />

des Badischen Gesetzes, die privatrechtlichen Folgen von Verbrechen<br />

betreffend, vom 6.3.1845. 40 Diese Vorschrift regelte<br />

den zivilrechtlichen Anspruch nach strafbaren Körperverletzungen<br />

und Tötungen. Zu diesen Verbrechen zählte das Gesetz<br />

auch Menschenraub, Raufhändel, Verursachung eines Zweikampfes,<br />

Notzucht, Entführung und betrügliche Verleitung<br />

zur Ehe. § 843 Abs. 3 BGB war ursprünglich eine vernünftige<br />

Lösung. <strong>Der</strong> Geschädigte sollte die Entschädigung nicht auf<br />

einmal erhalten, sondern laufend zum Lebenserhalt. Bei einer<br />

Einmalzahlung hätte er den Betrag vielleicht sofort auf den<br />

Kopf gehauen. Dann hätte er nichts mehr für den laufenden<br />

Unterhalt zur Verfügung gehabt.<br />

Die Zeiten haben sich geändert. Es geht nicht mehr um Opfer<br />

von Verbrechen, sondern um Geschädigte im Massenverkehr, in<br />

dem hinter dem verschuldeten oder dem zu verantwortenden<br />

Unfall ein Haftpflichtversicherer steht. <strong>Der</strong> Geschädigte ist geborgen<br />

im Netz der sozialen Sicherung. Und eine weitere Rechtstatsache:<br />

Ein wichtiger Grund liegt – fast – nie vor. An ihm<br />

mangelt es z. B., wenn hinter dem Schaden ein Versicherer steht.<br />

Wann ist dies nicht der Fall? Dennoch werden alle Fälle kapitalisiert<br />

(Rechtspraxis)! Aber in welchem rechtsfreien Raum?<br />

38 Lang.<br />

39 Neue Westfälische vom 12.10.2004.<br />

40 Beilage zum Großherzoglichen Badischen Regierungsblatt 1845.

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