dez jan feb 2012/2013 - Kulturhaus Schwanen
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EDITORIAL<br />
Kultur und ANGST<br />
Nike, Armstrong, meine Tageszeitung<br />
und der Islam<br />
NIKE<br />
fliegst<br />
mir entgegen wendest<br />
dich ab sieg in<br />
den falten der<br />
tücher trägt schwer<br />
deine Hüfte am<br />
schmerz siegen zu<br />
müssen<br />
unter den flügeln<br />
zärtlich verbucht das<br />
nie stattgefundene<br />
leben<br />
Dieses Gedicht* der in Waiblingen lebenden<br />
Lyrikerin Johanna Klara Kuppe, angeregt durch<br />
die im Louvre ausgestellte Skulptur der griechischen<br />
Siegesgöttin Nike von Samothrake (entstanden<br />
ca. 190 v. Chr.), weist auf den Preis des Siegens,<br />
genauer des - weil G ö t t i n des Sieges - Siegen Müssens,<br />
Beste sein Müssens hin. Nike ist auch eine<br />
Friedensbringerin, durchaus, doch eines Friedens<br />
durch Sieg, notwendigen eigenen Sieg. Sie wendet<br />
sich von der Betrachterin ab. Das sagt etwas über<br />
diese: Sie ist ihr, Nike, nicht ebenbürtig, ist nicht<br />
auf Augenhöhe mit ihr. Vielleicht auch bisweilen<br />
„Siegerin“, doch jedenfalls keine zwanghafte, keine<br />
berufliche Siegerin, die sich nur durch das Siegen<br />
definiert. Der Zwang bei Nike ist so stark wie der<br />
Schmerz und immer noch ein wenig stärker. Und<br />
der Schmerz ist vor allem der über das dem permanenten<br />
Siegen geopferte Leben. Denn Leben ist<br />
mehr und vor allem anders als Siegen. Dass dieses<br />
„nie stattgefundene“ Leben unter den Flügeln der<br />
Göttin „zärtlich verbucht“ sei – wird in keinem<br />
Lehrbuch der Tiefenpsychologie zu finden sein.<br />
Und hat doch eine göttliche Logik. Ein starker Text,<br />
ein zärtliches Gedicht an die Steinerne.<br />
CORNELIuS WANDERSLEb<br />
Nicht zufällig ist die US-amerikanische Firma<br />
„Nike“ nach dieser griechischen Göttin benannt.<br />
Sie hat seit 1989 die weltweit führende Position als<br />
Sportartikelanbieter inne. Ihr Erfolg ist mit der Bindung<br />
an erfolgreiche Sportler verknüpft. Der größte<br />
davon: Lance Armstrong. Siebenmaliger Gewinner<br />
der Tour de France, der Tour der Schmerzen,<br />
ein geschäftig kühler Siegertyp, der den emotionaleren<br />
Europäern, insbesondere den Franzosen das<br />
Fürchten lehrte. Siegen wollen ist das Eine, siegen<br />
wollen um jeden Preis, also Siegen müssen, ist das<br />
andere. Der Sieg war ihm alles, nicht sein Gesicht,<br />
der Sieg, nicht irgendwelche Sympathien. Der Sieg<br />
richtet es, auch wenn man zur Abwägung der Mittel<br />
nicht mehr in der Lage ist.<br />
Der Unterschied dieses so siegreichen Sportlers<br />
zur antiken Göttin: Sie i s t Nike, sie ist die Göttin,<br />
der Inbegriff, des Sieges, er dagegen ist Mensch und<br />
nur mit ihr identifiziert. Sie, die in Marmor Abgebildete,<br />
hat die wunderbaren Flügel, die sie braucht,<br />
er dagegen war zu Stein erstarrt schon lange vor<br />
dem akuten, letal gewordenen Absturz. Sie opfert<br />
das andere, ihr anderes Leben, jedoch als Göttin so,<br />
dass es „zärtlich verbucht“ ist; er jedoch muss etwas<br />
wirklich abtöten, um unsterblich zu werden. Wenn<br />
Nike, Oregon, ihr Aushängeschild, die Rad-Ikone<br />
Armstrong, jetzt fallen lässt, weil sie angeblich<br />
Jahre lang auf seine Lebenslüge hereingefallen sei,<br />
so bedient sie sich genau der Skrupellosigkeit, die sie<br />
ihm vorwirft. Nike, die Firma, ist auf Sieg abonniert<br />
und scheißt auf Armstrong, den Schwachen.<br />
Was hat das nun, sehr geehrte Leser, mit dem<br />
Islam zu tun? Nichts. „Der Islam“ im Titel sollte nur<br />
Ihre Neugier anfachen und diesem Editorial zum<br />
Gelesenwerden verhelfen. Und Neugier weckt man<br />
nun mal gut mit Themen, die angstbesetzt sind.<br />
„Was passiert in unseren Moscheen?“ übertitelte<br />
meine Tageszeitung den Auftakt einer Serie von<br />
Artikeln über den Islam im Rems-Murr-Kreis.**<br />
Nicht „Wie sieht das religiöse und soziale Leben in<br />
den islamischen Gemeinden aus?“, sondern “Was