RA Nr. 218 - Rote Anneliese
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6 ROTE ANNELIESE / NR. <strong>218</strong> / Juni 2011 ROTE ANNELIESE / NR. <strong>218</strong> / Juni 2011 7<br />
Mobbing an Schulen<br />
«Es riecht nach<br />
Ausländerin hier»<br />
BRIG-GLIS – Eine Primarschülerin in Brig wird von ihren Mitschülern<br />
gemobbt. Von ihrer Lehrerin erhält sie keine Unterstützung,<br />
im Gegenteil: sie wird handgreiflich. Jetzt hat der Vater<br />
die Lehrerin angezeigt.<br />
Von Cyrill Pinto<br />
«Meine Tochter wurde gemobbt – von ihrer Klassenlehrerin<br />
erhielt sie keine Unterstützung.»<br />
Wenn R.* vom letzten Halbjahr seiner Tochter<br />
in der Schule von Brig berichtet, reiht er Vorfall<br />
an Vorfall, Aussprache an Aussprache. Am Ende<br />
der Eskalation steht eine Strafanzeige gegen eine<br />
Primarschullehrerin und die Versetzung seiner<br />
Tochter in eine andere Klasse. Was R. aber im<br />
Rückblick an das letzte Schulhalbjahr am meisten<br />
ärgert, ist, dass er von Seiten der Schulbehörden<br />
keine Unterstützung erhielt. «Die Schuldirektion<br />
und der zuständige Schulinspektor haben nur<br />
unter massivstem Druck an der unhaltbaren<br />
Situation etwas geändert», blickt der betroffene<br />
Vater zurück. Und: «Eine Entschuldigung gab es<br />
nie – weder von den Schulbehörden, noch von<br />
der Lehrerin.»<br />
Aber von vorn. Begonnen hatte das vermurkste<br />
vierte Schuljahr von H. R.* mit Sticheleien von<br />
Mitschülerinnen. Die 11-Jährige wurde aufgrund<br />
der Herkunft ihrer Mutter auch mit Rassismus<br />
konfrontiert.<br />
«Nutte, Hure, Negerin»<br />
Ultimativ Alarm schlugen die Eltern in einem<br />
Brief an Schuldirektor Robert Lochmatter im<br />
November 2010: Ihre Tochter werde von ihren<br />
Mitschülerinnen massiv bedroht, beleidigt und<br />
diskriminiert. «Unsere Tochter wird von ihren<br />
Mobbende Schüler: Auch an briger Schulen ist dies Realität.<br />
Mitschülern als ‚Tochter einer Nutte’ oder ‚Negerin’<br />
bezeichnet», heisst es im Schreiben der Eltern.<br />
Offenbar spielt Fremdenhass eine Rolle. «Es riecht<br />
nach Ausländern hier – Ausländer können nicht<br />
in der Schweiz bleiben», seien Ausdrücke mit<br />
denen die 11-Jährige durch ihre Mitschülerinnen<br />
konfrontiert werde, heisst es in der Stellungnahme<br />
an die Schuldirektion nach einer missglückten<br />
Aussprache zwischen Eltern und Lehrerin. Den<br />
Eingang der Stellungnahme bestätigt die Schuldirektion<br />
kurz mit einem Bestätigungsschreiben am<br />
1. Dezember. Man nehme interne Abklärungen<br />
vor und werde sich sobald als möglich melden,<br />
heisst es darin. Auf weitere Massnahmen wartete<br />
R. allerdings vergeblich, wie er sagt.<br />
Strafanzeige eingereicht<br />
In den folgenden Monaten häufen sich bei H.<br />
die schlechten Noten – die Situation spitzt sich<br />
zu. Trauriger Höhepunkt: Als die Schülerin nach<br />
dem Unterricht früher zu einem Anlass weg muss,<br />
behält sie die Lehrerin zurück. Als die 11-Jährige<br />
trotzdem weg geht, wird die Lehrerin handgreiflich<br />
– die Spuren des Griffs der Lehrerin am<br />
Handgelenk der Schülerin werden anschliessend<br />
vom Hausarzt des Mädchens in der Patientenakte<br />
festgehalten. Dieser Vorfall geschah Mitte März.<br />
Nach Rücksprache mit seinem Anwalt und dem<br />
Walliser Amt für Kinderschutz entschloss sich<br />
R. zu einer Anzeige – wegen einfacher Körperverletzung,<br />
eventuell wegen Tätlichkeit und versuchter<br />
Nötigung. Per Einschreiben schickte er<br />
die Anzeige an die zuständige Staatsanwaltschaft<br />
Oberwallis.<br />
Keine Entschuldigung<br />
Zwei Wochen später kam es zu einer ersten Einvernahme<br />
durch die Polizei. «Der Beamte sagte<br />
mir, dass es bisher im Oberwallis noch nie eine<br />
Strafanzeige gegen eine Lehrperson gab – ich<br />
antwortete ihm: Dann ist das jetzt das erste Mal.»<br />
R. will an der Anzeige mit Absprache seiner Noch-<br />
Ehefrau und der Tochter festhalten, auch nach<br />
Überredungsversuchen der Polizei, diese wieder<br />
fallen zu lassen: «Bei einer ersten Einvernahme<br />
musste ich feststellen, dass die Polizei bereits<br />
in Kontakt mit der Schuldirektion stand und so<br />
die Einstellung des Verfahrens erwirken wollte»,<br />
berichtet er.<br />
Nach dem Übergriff von H.s Klassenlehrerin reagierte<br />
die Schuldirektion endlich. Nach fast vier<br />
Monaten Funkstille teilte Direktor Robert Lochmatter<br />
den Eltern mit, dass ihr Kind in ein anderes<br />
Schulhaus der Schulgemeinde versetzt werde.<br />
Diese Massnahme werde «aufgrund des unwiederbringlich<br />
zerstörten Vertrauensverhältnisses<br />
zwischen der Lehrperson und H. erforderlich»,<br />
begründet Lochmatter den Entscheid.<br />
Inzwischen geht es H. in ihrer neuen Klasse gut:<br />
«Sie hat wieder Freude zur Schule zu gehen», berichtet<br />
ihr Vater. Eins kann er aber immer noch<br />
nicht verstehen: «Warum gehen die Schulbehörden<br />
nicht konsequenter gegen Mobbing an der<br />
Schule vor?» und «warum hat sich bisher niemand<br />
für die Vorgänge in H.s alter Klasse entchuldigt?»<br />
«Laufendes Verfahren»<br />
Schuldirektor Robert Lochmatter wollte auf Anfrage<br />
zum Fall R. keine Stellungnahme abgeben,<br />
« da es sich um ein laufendes Verfahren handelt,<br />
bin ich nicht befugt, dazu Auskünfte zu erteilen»,<br />
schreibt Lochmatter. Dass es an den Schulen<br />
von Brig-Glis keine Interventionsmöglichkeiten<br />
gegen Mobbing gebe, diesen Vorwurf weist Lochmatter<br />
zurück. Es gebe diverse Möglichkeiten,<br />
welche kaskadenartig eingesetzt würden. Dazu<br />
gehöre die Intervention auf Klassenstufe mit<br />
einem Schülerrat oder einem Klassenrat oder<br />
die Aufarbeitung mit spezieller Literatur in der<br />
Klasse – dies geschehe jeweils mit Beratung durch<br />
psychologische Instanzen. Auf Stufe Schule würden<br />
Mediatoren eingesetzt – am Ende der Kaskade<br />
stehen Interventionen durch die Schulsozialarbeit<br />
oder Kinder- und Jugendpsychologen.<br />
Lochmatter hält allgemein fest, dass Interventionen<br />
bei Mobbing an Grundschulen nur mit<br />
Hilfe der Eltern wirksam werden könnten – «sonst<br />
bleiben die Kinder im Konflikt mit der Loyalität<br />
zwischen den Eltern, der Lehrperson und den<br />
anderen Kindern hängen».<br />
Die Lehrpersonen an den Schulen von Brig-Glis<br />
arbeiteten fachlich und menschlich professionell<br />
und hielten sich an die ethischen und moralischen<br />
Vorgaben ihres Berufes, hält Lochmatter<br />
weiter fest. Es sei aber eine Tatsache, dass Schulen<br />
heute Erziehungsaufgaben übernehmen müssten,<br />
die eigentlich Aufgabe der Eltern wären, schreibt<br />
Lochmatter.<br />
* Name der Redaktion bekannt<br />
Die Offerte: So biegt das Architekturbüro berchtold das Submissionsgesetz – mit 12 525 Franken Rabatt.<br />
Vergabewesen<br />
«Dieses Urteil fördert<br />
die Korruption»<br />
BITSCH – Das Urteil des Kantonsgerichts im Fall des Bitscher<br />
Gemeinde-Neubaus erlaubt einen tiefen Einblick in das korrupte<br />
Walliser Vergabesystem. Dieses wird sogar von der Justiz<br />
gedeckt – auf Kosten der Bürger.<br />
Geld ist Macht. Unter diesem Motto werden im<br />
Wallis Aufträge an Günstlinge vergeben. Diese<br />
wiederum unterstützen die Geldverteiler in den<br />
Gemeinderäten bei den nächsten Wahlen. Die<br />
meisten Walliser nennen dies «sich untereinander<br />
helfen». Kritiker nennen es Vetterliwirtschaft. Aber<br />
eigentlich ist es Korruption.<br />
Trotz des Submissionsgesetzes, welches die Vergabe<br />
von öffentlichen Aufträgen regelt, werden immer<br />
wieder Aufträge Parteikollegen zugeschanzt.<br />
Die skandalöse Praxis der Walliser C-Behörden<br />
illustriert ein aktuelles Beispiel: Die Vergabe des<br />
Architekturmandats für das neue Feuerwehrdepot<br />
in Bitsch.<br />
Rückblick: Im letzten Herbst entschied die Gemeindeversammlung<br />
für insgesamt knapp eine<br />
Million Franken ein neues Gemeindegebäude<br />
zu bauen – einen Werkhof mit Feuerwehrdepot.<br />
Dann begann das Gerangel um die Aufträge.<br />
Zuerst stand die Vergabe des Architekturauftrags<br />
an. Obwohl der Bau des neuen Gebäudes auf<br />
830 000 Franken geschätzt wird und sich davon<br />
der Betrag für das Architekturlos ableiten lässt,<br />
entscheidet der Gemeinderat unter Führung von<br />
CVP-Mann Anton Karlen ein sogenanntes freihändiges<br />
Verfahren durchzuführen. Das Problem:<br />
Dieses lässt sich nur bei Aufträgen unter der 50<br />
000-Franken-Grenze anwenden. Bei einem Bau<br />
von der grösse des Bitscher Feuerwehrdepots<br />
bewegen sich die Kosten für Planung und Bauführung<br />
aber zwischen 63 000 und 90 000 Franken,<br />
wie zwei Offerten zum Werkhof-Bau belegen.<br />
Die Offerten wurden vom Bitscher Gemeinderat<br />
Rupert G. Haenni in Auftrag gegeben – sie sollen<br />
belegen, dass die letztlich zum Zuge gekommenen<br />
Offerten mit zu tiefen Preisen operieren. Der<br />
Vorwurf: Diese wurden nur so tief angesetzt, um<br />
das Submissionsgesetz zu umgehen.<br />
Tatsächlich vergab der CVP-dominierte Gemeinderat<br />
den Auftrag zur Planung des Feuerwehrlokals<br />
kurzerhand dem CVP-nahen Architekturbüro<br />
Ritzo GmbH aus Bitsch. Für 45 000 Franken will<br />
das Büro den Auftrag ausführen. Hintergrund:<br />
Kostet ein öffentlicher Auftrag, wie der in Bitsch,<br />
weniger als 50 000 Franken, kann die Gemeinde<br />
den Auftrag im sogenannten freihändigen Verfahren<br />
vergeben. Sie kann den Auftrag einfach erteilen,<br />
ohne weitere Offerten einzuholen. Das Kalkül<br />
der CVP-Behörden: Kostet der Auftrag trotzdem<br />
mehr als veranschlagt, werden die Kosten einfach<br />
später verrechnet.<br />
grosszügiger Rabatt<br />
Wer den Architekturauftrag für das Feuerwehrdepot<br />
bekommt, war eigentlich schon im Vornherein<br />
klar. Bereits an der Gemeinderatssitzung vom 25.<br />
Oktober 2010 wurde entschieden, das Architekturmandat<br />
für den neuen Werkhof im freihändigen<br />
Verfahren einem Büro in Bitsch zu vergeben, wie<br />
aus einem Gemeinderatsprotokoll hervorgeht,<br />
das der «<strong>Rote</strong>n <strong>Anneliese</strong>» vorliegt. Drei Büros<br />
wurden angeschrieben – darunter auch das Büro<br />
von Gemeinderat Rupert G. Haenni, dem späteren<br />
Beschwerdeführer gegen die Vergabe. Haenni weigerte<br />
sich, beim abgekarteten Spiel mitzumachen<br />
– er offerierte erst gar nicht.<br />
Interessant an den Angeboten der beiden Bitscher<br />
Büros die Offerten einreichten: Beide berechneten<br />
die Kosten für das Architekturmandat nach<br />
Vorgabe des Gemeinderats. Erstaunlich: Das Büro<br />
von Gemeinderat Renato Berchtold kam auf<br />
Planungskosten von 60 525 Franken – das Büro<br />
Twen Ritz berechnete Kosten von 60 169 Franken.<br />
Beide gaben danach aber ein Pauschalangebot<br />
von unter 50 000 Franken ein: 48 000 warens bei<br />
Berchtold, 45 000 bei Ritz der schliesslich den Zuschlag<br />
erhielt. Die beiden Büros gewährten damit<br />
einen sagenhaften Rabatt von rund einem Drittel.<br />
gericht überfordert<br />
Haenni zog den Entscheid des Gemeinderats<br />
Bitsch ans Kantonsgericht. Dieses fällte Mitte<br />
Mai sein Urteil: Es lehnte Hännis Beschwerde ab,<br />
worauf CVP-Gemeindepräsident Karlen über den<br />
«Walliser Boten» verlauten liess: «Wir haben korrekt<br />
gehandelt.» Nur: Das Gericht ging inhaltlich<br />
auf die Beschwerde gar nicht ein, wie Haennis<br />
Anwalt in einem Schreiben ans Kantonsgericht<br />
festhält: «Aus den Akten ist ersichtlich, dass die<br />
Gemeinde bei der Arbeitsvergabe falsch vorgegangen<br />
ist» – konkret hätte die Gemeinde gemäss<br />
Submissionsgesetz zuerst den Auftragswert bestimmen<br />
müssen, woraus sich dann das entsprechende<br />
Verfahren ergibt – «und nicht umgekehrt».<br />
Tatsächlich hatte das Kantonsgericht einfach den<br />
Schnitt zwischen den beiden Bitscher Offerten<br />
Ritz und Berchtold als Grundlage zur Berechnung<br />
des effektiven Werts der Architekturarbeiten genommen.<br />
«Das arithmetische Mittel der beiden<br />
Offerten liegt bei 46 500 Franken», schlussfolgerte<br />
das Kantonsgericht nach Beurteilung der Fakten.<br />
Damit hat das Verwaltungsgericht aber nur eines<br />
bewiesen: Das es zwar den Durchschnitt von zwei<br />
Summen berechnen kann – bei einem komplexen<br />
Fall, wie der Beurteilung eines Verfahrensfehlers<br />
bei der Auftragsvergabe aber überfordert ist.<br />
Entsprechend geharnischt fällt auch die Reaktion<br />
der Beschwerdeführer aus: «Es geht in diesem Fall<br />
nicht bloss um die Gemeinde Bitsch, sondern um<br />
den ganzen Kanton», schreibt Haennis Anwalt<br />
in einer Reaktion auf das Urteil und dessen Bekanntmachung<br />
an der Gemeindeversammlung<br />
von Bitsch. Mit der nun vom Kantonsgericht<br />
legitimierten Vergabepraxis «wird nicht nur Recht<br />
gebrochen, sondern zudem politischer und ökonomischer<br />
Korruption Vorschub geleistet, indem<br />
Politiker mit Auftragen politisieren können, und<br />
andererseits Handwerker und Dienstleister gezwungen<br />
sind, tiefer als realistisch zu offerieren,<br />
um den Auftrag zu erhalten», so die Stellungnahme<br />
der Beschwerdeführer zum Urteil. Auch<br />
Gemeinderat und Beschwerdeführer Haenni hat<br />
dem Gericht geschrieben, worin er seinen Unmut<br />
über das Urteil des Kantonsgerichts äussert. Er<br />
schliesst diesen mit einem Molière-Zitat: «Die<br />
volle Wahrheit kann ein Mensch ertragen, doch<br />
die Zweifel nagen an ihm.» (cp)