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CAPITAL Investor Nr. 49/2011

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Inhalt<br />

Top-Thema<br />

Steuererklärung: Der Fiskus wartet nicht ...................................................................................................... 3<br />

Dirk "Mister DAX" Müller im Interview: "Aus China droht uns Ungemach" .........................................6<br />

Eurokrise: Inflationsangst der Deutschen wächst ....................................................................................... 8<br />

Schuldengipfel: Bye-bye, Britannia! ................................................................................................................9<br />

Schuldenkrise: Was Deutschland blüht, wenn der Euro am Ende ist ....................................................12<br />

Eurokrise: Rettungsanker aus Frankfurt........................................................................................................13<br />

Anschlagsversuch: Attentat auf Ackermann vereitelt...............................................................................17<br />

Kommentar<br />

EU-Gipfel: Endspiel der Euro-Regierungen .................................................................................................. 19<br />

Axel Retz: Marktindikatoren mahnen zur Vorsicht ...................................................................................20<br />

Aktien<br />

Fonds<br />

<strong>Nr</strong>. <strong>49</strong>/<strong>2011</strong> | 08.12.<strong>2011</strong><br />

Anlagestrategie: Gewinnen mit der zweiten Reihe ..................................................................................28<br />

Dividenden: Renditekick zum Jahreswechsel .............................................................................................30<br />

Süßwaren: Schokolade macht Anleger glücklich....................................................................................... 32<br />

Konsumlaune: Üppiger Gabentisch für Anleger ........................................................................................ 33<br />

Wall Streeter: Kritik der Rating-Kritik ........................................................................................................... 35<br />

Volatilitätsfonds: Angst als Renditebringer ................................................................................................ 37<br />

Filmfonds: Windiges Geschäft mit der Illusion .......................................................................................... 38<br />

Mikrofinanzfonds: Mit gutem Gewissen gewinnen ................................................................................ 40<br />

Imageproblem: Anleger meiden geschlossene Fonds ..............................................................................42<br />

Rentenfonds: Wagemut gilt als Gebot der Stunde ................................................................................... 43<br />

Schwellenländer: Nebenwerte aus China....................................................................................................44<br />

Banken & Zinsen<br />

Eurokrise: Das Gespenst der Kreditklemme ............................................................................................... 46<br />

Staatsanleihen: Aus Europa flüchten - aber richtig...................................................................................48<br />

Pfändungsschutz: Zoff um geplante P-Konten ..........................................................................................50<br />

Insolvenzplan abgesegnet: Lehman-Opfer können endlich auf Geld hoffen......................................51<br />

Zinsticker: Die besten Konditionen für Tages- und Festgeld .................................................................. 52<br />

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Zertifikate & Rohstoffe<br />

Optionsscheine: Keine Lust auf Hängepartie.............................................................................................. 54<br />

Skandinavien-Papiere: Das Hoch im Norden .............................................................................................. 55<br />

Vorsorge & Versicherungen<br />

Riester-Policen: Versicherer keilen zurück ................................................................................................... 57<br />

Krankenversicherung: Private sollen nicht Billigheimer spielen............................................................58<br />

Versicherungen: Vermittler über 50 gesucht............................................................................................. 60<br />

Krankenversicherungen: Zuschlag ist nicht gleich Zuschlag..................................................................62<br />

Krankversicherung: Allianz bekennt sich zur Vollversicherung .............................................................63<br />

Immobilien<br />

Offene Immo-Fonds: Bröckelnde Fassade................................................................................................... 64<br />

Büroimmobilien: Düsterer Ausblick für Europa......................................................................................... 66<br />

Schwellenländer: Darum in die Ferne schweifen.......................................................................................67<br />

Finanzierung: Die günstigsten Baugeld-Konditionen ............................................................................. 68<br />

Steuern & Recht<br />

Schenkungen: Nur ein kleiner Umweg.........................................................................................................70<br />

Prozess um exklusiven Teppich: Der Fluch des verkannten Persers ......................................................71<br />

Infomatec-Prozess: Wettlauf gegen die Zeit............................................................................................... 72<br />

Steuerrechtsexperte Jörg Schauf im Interview: "Die Schweigepflicht bleibt trotzdem"................. 74<br />

Gastronomie: Hotelier zieht in den Kampf gegen Bewertungsforen................................................... 75<br />

Mein Steuertipp: Arbeitnehmer müssen ihre Lohnsteuerdaten penibel prüfen...............................76<br />

Urteil der Woche: Banken haften verschärft bei Kartenverlust............................................................. 78<br />

Es geht um: Ihr Geld...........................................................................................................................................79<br />

Exit<br />

Mysteriöse Erfindung: Signor Rossi und die unglaubliche Energiemaschine......................................81<br />

"The Muppets": Comandante Kermit - der kommunistische Kinderschreck ......................................82<br />

Schlapphut-Test: Was wissen Sie über Geheimagenten? ....................................................................... 83<br />

EZB-Filmchen bei Youtube: Friede, Freude, Eurokuchen..........................................................................84<br />

Wenn Autos zu Filmstars werden ..................................................................................................................84<br />

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Steuererklärung: Der Fiskus wartet nicht<br />

Top-Thema<br />

Wer <strong>2011</strong> angefallene Verluste steuerlich geltend machen will, muss jetzt<br />

loslegen. Auch für Riester- und Rürup-Policen gilt es zum Jahresende<br />

wichtige Termine zu beachten.<br />

Für Anleger steht am 15. Dezember ein wichtiger Stichtag an. Spätestens bis dahin müssen sie bei<br />

ihrer Bank eine Bescheinigung über die in diesem Jahr angefallenen Verluste anfordern, sofern sie<br />

noch über Depots bei anderen Banken verfügen und die Gewinne dort mit den Verlusten<br />

ausgleichen wollen. Denn die Verrechnung funktioniert nur über die Steuererklärung beim<br />

Finanzamt, und dafür brauchen Anleger die Verlustbescheinigung, die die Banken zum Jahresende<br />

ausstellen.<br />

Der Antrag bringt jedoch nicht immer Vorteile. Der Abschluss von Lebensversicherungs-, Riesterund<br />

Rürup-Police bis spätestens Silvester rettet einige Privilegien für die Altersvorsorge. Capital.de<br />

sagt, wann es sich lohnt, in den kommenden Tagen aufs Tempo zu drücken.<br />

Verlustausgleich<br />

Die in diesem Jahr entstandenen Verluste mit Wertpapieren - seien es Aktien, Optionsscheine oder<br />

Anleihen - berücksichtigen die Banken zunächst einmal automatisch. Dazu führen sie zwei<br />

verschiedene Verrechnungstöpfe: einen für allgemeine negative Kapitaleinkünfte und einen für<br />

Verluste mit ab 2009 erworbenen Aktien. Diese Trennung ist notwendig, weil das Aktienminus nur<br />

mit gleichartigen Gewinnen ausgeglichen werden darf, nicht aber mit Zinsen, Dividenden oder<br />

Gewinnen aus anderen Wertpapierarten.<br />

Sofern die positiven Einnahmen <strong>2011</strong> nicht ausreichen, um die Verlusttöpfe zu leeren, überträgt die<br />

Bank zum Jahresende das verbleibende Minus aus beiden Töpfen automatisch in das Folgejahr. Die<br />

dann anfallenden Gewinne bleiben so lange steuerfrei, bis das Minuspolster aufgezehrt ist. Die<br />

Übertragung der Verluste kann jedoch ungünstig sein, wenn Anleger noch positive Einnahmen bei<br />

anderen Banken haben, für die sie bereits Abgeltungsteuer bezahlt hatten.<br />

Um Plus und Minus auszugleichen und dadurch eine Steuererstattung zu erhalten, muss der Sparer<br />

sein Finanzamt in Anspruch nehmen. Hierfür braucht er zwingend die Verlustbescheinigung.<br />

Ausschlussfrist<br />

Wer die Verluste dazu benutzen will, positive Kapitaleinnahmen bei anderen Banken,<br />

Versicherungserlöse oder Erträge aus Auslandskonten auszugleichen, muss bis spätestens 15.<br />

Dezember bei seiner Bank eine Bescheinigung darüber beantragen. Einen verspäteten Antrag darf<br />

das Institut nicht berücksichtigen, dann wandert das Minus ins Folgejahr. Bei fristgerechtem Abruf<br />

schließt die Bank den Verlustverrechnungstopf zum Jahresende und beginnt 2012 wieder bei null.<br />

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Nur wer alle Depots und Konten bei einer Bank führt, braucht nichts zu veranlassen, weil er kein<br />

positives Verrechnungspotenzial von anderen Instituten hat. Diese Anforderung der roten Zahlen<br />

ist aber nicht generell klug, da es keinen Weg zurück gibt und Aktienverluste die übrigen positiven<br />

Kapitaleinkünfte nicht mindern. Fällt die Entscheidung jedoch nur einen Tag zu spät, geht<br />

Steuerminderungspotenzial für <strong>2011</strong> verloren.<br />

Es gibt aber zwei Ausnahmen von der Regel. Versicherungsunternehmen bescheinigen angefallene<br />

Verluste - etwa bei einer vorzeitigen Kündigung - auch ohne Antrag. Das liegt daran, dass dort keine<br />

positiven Erträge mehr anfallen können. Stirbt ein Anleger, stellt die Bank automatisch eine<br />

Verlustbescheinigung aus. Das gilt auch für Gemeinschaftskonten von Ehepaaren. Konnte eine<br />

Bank Quellensteuer auf Auslandsdividenden nicht komplett verrechnen, bescheinigt sie den<br />

Kunden das Restminus. Das darf sie nämlich nicht mit ins neue Jahr nehmen.<br />

Antrag<br />

Einen besonderen Vordruck braucht es nicht, viele Banken akzeptieren Onlineanträge. Der Abruf<br />

kann entweder für beide Töpfe erfolgen oder separat nur für die Aktienverluste oder die sonstigen<br />

negativen Kapitaleinnahmen.<br />

Anleger sollten sich den Schritt gut überlegen. Gleichen nämlich die noch vorhandenen Gewinne<br />

auf anderen Konten die abgerufenen Minusbeträge nicht vollständig aus, verbleibt das übrige<br />

Verrechnungspotenzial beim Finanzamt. Verloren geht zwar nichts, weil der Fiskus das<br />

unverbrauchte Minus für die Folgejahre konserviert. Anleger haben aber mitunter einen<br />

Liquiditätsnachteil.<br />

So behält ihre Bank für 2012 anfallende Gewinne Abgeltungsteuer ein, obwohl noch verrechenbare<br />

Verluste beim Fiskus vorliegen. Anleger sollten daher genau prüfen, ob sie ihre Töpfe abrufen. Für<br />

Teilbeträge ist das jedenfalls nicht möglich.<br />

Strategien<br />

Da sich beide Verlusttöpfe getrennt verwalten lassen, sollten Anleger vor Mitte Dezember zunächst<br />

einmal überschlagen, welche Gewinne mit nach 2008 gekauften Aktien und sonstigen<br />

Kapitaleinnahmen bei anderen Banken angefallen sind.<br />

Liegen etwa hohe Zinsen und Dividenden vor, aber keine Aktienerträge, sollte nur für den<br />

allgemeinen Topf der Antrag für eine Verlustbescheinigung gestellt werden. Genau umgekehrt<br />

agieren Aktionäre, die außer Aktiengewinnen keine Einnahmen bei anderen Depots erzielt haben.<br />

Fällt jedoch die Summe der positiven Erträge bei anderen Banken gering aus, wäre es unsinnig,<br />

hohe Verluste abzufordern. Die schlummern dann möglicherweise ungenutzt über Jahrzehnte beim<br />

Finanzamt.<br />

Altverluste<br />

Bis Ende 2010 entstandene, aber noch nicht ausgeglichene Spekulationsverluste lassen sich<br />

ebenfalls mit Gewinnen verrechnen, die der Abgeltungsteuer unterliegen. Da Banken das Minus<br />

aber nicht automatisch berücksichtigen, gelingt der Ausgleich nur über die Steuererklärung.<br />

Anleger sollten vorrangig ihre Altverluste abbauen. Andernfalls droht das Verrechnungspotenzial<br />

zu verpuffen, da der Ende 2013 verbleibende Betrag nur noch mit Spekulationsgewinnen - etwa aus<br />

Immobilien - ausgeglichen werden darf. Anleger sollten Gewinne daher erst zum Abbau der<br />

Altverluste verwenden, ehe sie die übrigen Verlusttöpfe antasten.<br />

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Altersvorsorge<br />

Wer noch bis zum 31. Dezember eine Vertragsunterschrift leistet, um sein Auskommen im<br />

Rentenalter abzusichern, oder von seinem Chef die Zusage für eine betriebliche Altersvorsorge<br />

erhält, sichert sich dauerhaft Steuervorteile oder eine um 24 Monate verkürzte Wartezeit.<br />

Bei Riester- und Rürup-Renten, Lebensversicherungen und betrieblichen Direktversicherungen<br />

sowie Pensionskassen und Pensionsfonds steigt das Mindestrentenalter auf 62 Jahre, sofern der<br />

Vertrag erst im kommenden Jahr abgeschlossen wird. Bei einer rechtzeitigen Unterschrift bleibt es<br />

dauerhaft beim Renteneintritt zum 60. Geburtstag, und das spart Zeit bis zur ersten Auszahlung. Bei<br />

Lebensversicherungen gibt es zusätzlich die halbierte Besteuerung der Kapitaleinnahmen bei einer<br />

Mindestlaufzeit von zwölf Jahren.<br />

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Dirk "Mister DAX" Müller im Interview: "Aus China droht uns<br />

Ungemach"<br />

Eine Kombination aus Sparen und Absichern sei in diesen Zeiten bei der<br />

Geldanlage angebracht, sagt Mister DAX und warnt davor, dass innerhalb<br />

von drei Jahren die Märkte kollabierten. Danach erst folge der ersehnte<br />

Aufschwung.<br />

Herr Müller, zum zweiten Mal sind Sie im Ranking des Magazins BÖRSE ONLINE unter den Top drei<br />

der Börsenstars gelandet. Mal ehrlich: Blicken Sie bei der aktuellen Marktlage noch durch?<br />

Zugegeben, es fällt durch die Dynamisierung und Zockerei an den Börsen schwerer. Traditionelle<br />

Mechanismen funktionieren nicht mehr. Was früher in Jahrzehnten passierte, ist jetzt eine<br />

Entwicklung von ein bis zwei Jahren. Dinge, die einst für Verwerfungen gesorgt haben, werden nur<br />

noch achselzuckend zur Kenntnis genommen. Profis können kaum noch folgen, wie sollen das dann<br />

Privatanleger schaffen?<br />

Schreiben Sie deswegen in Ihrem neuen Buch viel über das Sparen?<br />

Jeder sollte zunächst seine Finanzen in Ordnung bringen. Unnötige Ausgaben sind ärgerlich, egal in<br />

welcher Wirtschaftslage.<br />

Kann man sich derzeit sparen, sein Geld an der Börse zu investieren?<br />

Nein. Vor fünf Jahren hätte ich gesagt, kaufen Sie Staatsanleihen oder Festgeld. Heute sage ich das<br />

nicht mehr. Wenn sich Banken untereinander kein Geld mehr leihen, warum sollten Privatanleger<br />

den Instituten trauen? Was bleibt, sind reale Werte.<br />

Dazu zählen Sie?<br />

Immobilien! Die sind aber schon sehr teuer und einem möglichen Preisverfall schutzlos ausgeliefert.<br />

Also muss ich Realwerte kaufen, die sich absichern lassen. Das ist bei Aktien und Edelmetallen der<br />

Fall.<br />

Wie funktioniert das?<br />

Mit klassischen Sicherungsstrategien über Optionsscheine. Anleger gehen nur ein geringes Risiko<br />

von rund fünf Prozent ein, egal wie stark die Kurse nachgeben. Ziehen die Börsen an, sind sie voll<br />

dabei und müssen nur die Sicherungskosten abrechnen.<br />

Derivate für jeden Privatanleger?<br />

Sie sind kein Hexenwerk. Der Aufwand ist vergleichbar mit dem Abschluss einer Feuerversicherung<br />

und hat praktisch die gleiche Wirkung. Sich drei Stunden mit dem Thema auseinanderzusetzen<br />

reicht. Natürlich ist es einfacher, nur BMW-Aktien zu kaufen. Aber ich riskiere Haus und Hof, wenn<br />

ich mit meiner Einschätzung falsch liege.<br />

Ist es einfacher, einen Indexfonds, sogenannte ETFs, zu kaufen und abzusichern?<br />

Ja. Da empfehle ich aber einen replizierenden ETF, der wirklich die Aktien des Index kauft. Finger<br />

weg von Swap-basierten Varianten, bei denen sich der Emittent die Performance des Index über ein<br />

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Tauschgeschäft sichert. Das ist wieder Zockerei. Allerdings stört mich bei Replizierenden die<br />

weitverbreitete Wertpapierleihe. Ich möchte, dass die Aktien im Depot bleiben. Will man dieses<br />

Risiko nicht eingehen, helfen nur Einzeltitel.<br />

Welche sind interessant?<br />

Ich bevorzuge amerikanische und deutsche Papiere. Selbst weitere Verwerfungen werden große<br />

Unternehmen wie Coca-Cola gut überstehen. Es bieten sich auch Pharmawerte wie Fresenius an<br />

oder Konzerne wie BASF, Siemens und die Versorger.<br />

Wie geht es an den Märkten 2012 weiter?<br />

Wir werden bei Aktien noch einen richtigen Schlag nach unten bekommen. Aus China droht uns<br />

Ungemach, dort beginnt bereits die Immobilienblase zu platzen.<br />

Wann bessert sich denn die Lage?<br />

Das ist schwer zu prognostizieren. Meine wahrscheinlichste Variante ist der große<br />

Wirtschaftseinbruch, befeuert durch China. Die Staaten sind dann gezwungen, sehr<br />

unkonventionelle Maßnahmen zu ergreifen. Das kann eine Inflationierung sein oder ein<br />

Schuldenschnitt. Spätestens in drei Jahren erzwingen die Märkte eine Lösung. Nach dieser<br />

Neuaufstellung erfolgt ein lang anhaltender Aufschwung.<br />

Bleiben Sie bis dahin Ihrem Goldfaible treu?<br />

Aktuell fällt mir das schwerer als früher, weil Edelmetalle sehr teuer sind. Wir werden zwar noch<br />

mal Höchststände sehen, aber der Goldmarkt ist unkalkulierbar. Ich würde nicht mehr einsteigen.<br />

Den Bestand sollten Anleger absichern.<br />

Gold selbst werten viele als Absicherung.<br />

Nein, ich bezahle meine Stromrechnung immer noch in Euro und nicht in Unzen. Ich möchte nicht<br />

sagen können: Hey, ich hab noch eine Unze, nur leider kann ich mir nichts mehr dafür kaufen.<br />

Was ist denn am Goldmarkt unkalkulierbar?<br />

Goldfonds tragen wesentlich zur Preistreiberei bei. Kommen ihre Halter unter Druck, werfen sie als<br />

Erstes die Papiere auf den Markt und lösen Verwerfungen aus.<br />

Helfen physisch hinterlegte Produkte?<br />

Das ist doch die Perversion an sich: Sie können diese physisch hinterlegten ETFs nackt leer<br />

verkaufen. Damit haben aber wieder Leute gekauft, ohne dass tatsächlich der Gegenwert in Gold<br />

hinterlegt wurde. Es ist also mehr verkauft worden, als in Depots lagert. Eigentlich hilft es nur,<br />

Goldmünzen und Barren im eigenen Safe aufzuheben und ihren Wert abzusichern.<br />

Sicherheit ist Trumpf! Und sonst?<br />

Ruhe bewahren. Die Welt dreht sich weiter. Es wird auch morgen noch Staaten, Währungen und<br />

Banken geben.<br />

Dirk Dirk Müller Müller ist Börsenexperte und Buchautor: Nach "Crashkurs" erschien in diesem Herbst<br />

"Cashkurs". Zudem ist Müller Geschäftsführer der Finanzethos GmbH und Betreiber der Website<br />

www.cashkurs.com. Seine Prominenz verdankt der gelernte Bankkaufmann und ehemalige<br />

Kursmakler dem langjährigen Arbeitsplatz unter der DAX-Tafel im Frankfurter Börsensaal.<br />

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Eurokrise: Inflationsangst der Deutschen wächst<br />

Die Schuldenkrise verunsichert die Deutschen immer mehr. Die Furcht vor<br />

einer Geldentwertung nimmt einer Umfrage zufolge rapide zu. Auch das<br />

Vertrauen in den Euro hat gelitten. Anleger halten Abstand von Aktien und<br />

Fonds.<br />

Angesichts der Euro-Schuldenkrise wächst in Deutschland die Furcht vor einer massiven<br />

Geldentwertung. Zugleich steigt laut einer Studie die Verunsicherung darüber, wo das eigene<br />

Vermögen möglichst verlustfrei angelegt werden kann. Immerhin 33 Prozent der Befragten haben<br />

kein oder kaum mehr Vertrauen in die Stabilität der gemeinsamen europäischen Währung, zeigte<br />

eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts TNS Infratest im Auftrag der Allianz Bank.<br />

Trotzdem sind die meisten Deutschen mit ihrer Vermögenssituation durchaus zufrieden. Noch<br />

überwiegt der Optimismus.<br />

Bundesweit haben inzwischen 46 Prozent der Befragten Angst davor, dass ihr Vermögen durch<br />

Inflation seinen Wert verliert. Bei der vorangegangenen Umfrage im Frühjahr waren es 37 Prozent.<br />

Im gleichen Maße wuchs die Verunsicherung über die richtige Geldanlage: 45 Prozent gaben an,<br />

nicht sicher zu sein, wo ihr Geld am besten aufgehoben ist. Für die Umfrage Allianz Bank Money<br />

Trends wurden Mitte November 2277 Menschen ab 18 Jahren befragt, die in ihrem Haushalt über<br />

finanzielle Fragen entscheiden oder aber mitentscheiden.<br />

Während ohnehin wenig beliebte Anlagen wie Aktien oder Fonds weiter an Beliebtheit einbüßten,<br />

wuchs der Zuspruch für Immobilien oder Anlageformen wie Betriebsrenten. Weiter ganz vorne auf<br />

der Liste der beliebten Anlagen liegen Klassiker wie Sparbuch oder Sparbrief - 53 Prozent gaben an,<br />

dort Geld zu parken. Erstmals fragten die Macher der Studie auch nach dem Vertrauen in den Euro:<br />

30 Prozent gaben an, Vertrauen in die Stabilität der Währung zu haben, 36 Prozent haben teilweise<br />

Vertrauen. Jeder Dritte immerhin gibt an, seinen Glauben an die Stärke des Euro verloren zu haben.<br />

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Trotz der wachsenden Sorgen sind nach wie vor 42 Prozent mit ihrem Vermögen zufrieden, auch<br />

wenn die Unterschiede in Deutschland regional weiter unterschiedlich ausfallen. Deutlich<br />

unglücklicher sind die Deutschen weiterhin mit ihrem Nettoeinkommen. Nur jeder Dritte<br />

bundesweit gab an, damit zufrieden zu sein, was nach Abzug aller Kosten übrig bleibt. Im März<br />

waren es ebenso viele. 23 Prozent erwarten sich in den kommenden zwei Jahren eine Verbesserung,<br />

20 rechnen damit, dass ihr Einkommen schrumpft. Mit 56 Prozent denkt die Mehrheit, dass sich an<br />

ihrem Nettoeinkommen nichts ändern wird.<br />

Zwar halten 66 Prozent Sparen für wichtig oder gar sehr wichtig. Doch nur 28 Prozent sind zufrieden<br />

mit der Summe, die sie dafür abzweigen können - im März waren es allerdings nur 26 Prozent.<br />

Immerhin 11 Prozent gaben an, dass ihnen kein Geld übrig bleibe, weder um sich Konsumwünsche<br />

zu erfüllen, noch um zu sparen. Wenn die Deutschen aber Geld ausgeben, um sich etwas zu gönnen,<br />

dann zahlen 66 Prozent am liebsten für die Verschönerung der Wohnung, für Kleidung und Schuhe<br />

oder für Reisen und Ausflüge.<br />

Schuldengipfel: Bye-bye, Britannia!<br />

Der Krisengipfel soll den Weg bereiten für eine Rückkehr zur<br />

Haushaltsdisziplin. Einig sind sich 23 von 27 EU-Staaten über die Grundzüge<br />

einer Fiskalunion. Nicht an Bord sind die Briten, die nur lapidar<br />

kommentieren: "Alles Gute."<br />

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Die EU-Staaten haben den Umbau der Euro-Zone zu einer Fiskalunion ein großes Stück<br />

vorangetrieben - allerdings um den Preis einer drohenden Spaltung der EU. Auf dem Krisengipfel in<br />

Brüssel vereinbarten die 17 Euro-Staaten zusammen mit sechs Nicht-Euro-Ländern der EU einen<br />

Vertrag, der verschärfte Spar- und Kontrollauflagen für die Unterzeichner vorsieht. Der genaue<br />

rechtliche Charakter dieses Vertrags soll noch verhandelt werden.<br />

Die von Deutschland und Frankreich geforderte Änderung des EU-Vertrages der 27 Mitgliedstaaten<br />

scheiterte vor allem am Widerstand Großbritanniens, sagte der französische Präsident Nicolas<br />

Sarkozy nach elfstündigen Beratungen am frühen Freitagmorgen in Brüssel.<br />

Die Euro-Staaten sollen grundsätzlich den Staatshaushalt ausgleichen. Bei außergewöhnlichen<br />

Umständen oder schlechter Konjunktur seien Defizite aber weiterhin im Rahmen der Drei-Prozent-<br />

Grenze zulässig. Der Haushaltsausgleich wäre erreicht bei einem strukturellen - also um<br />

Konjunktureffekte bereinigten - Defizit von nicht mehr als 0,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts.<br />

Bei Überschreiten dieser Grenze müsste ein "automatischer Korrekturmechanismus" in Gang<br />

gesetzt werden. Der Europäische Gerichtshof soll über die Umsetzung in nationales Recht wachen.<br />

EZB-Präsident Mario Draghi betonte, der neue Pakt komme einer Fiskalunion nahe. Zugleich haben<br />

sich die EU-Regierungen auch auf einige Schritte verständigt, um angeschlagene Euro-Staaten<br />

notfalls besser unter die Arme greifen zu können. Dazu gehört ein schnellerer Einsatz des<br />

dauerhaften Euro-Rettungschirms ESM und die stärkere Einbindung des IWF in die Stabilisierung<br />

der Euro-Zone.<br />

Damit haben sich Deutschland und Frankreich mit ihren Forderungen weitgehend durchgesetzt. Sie<br />

wollten erreichen, dass von dem EU-Gipfel ein starkes politisches Signal für eine engere<br />

Zusammenarbeit der Euro-Zone ausgeht. "Wir werden eine neue Fiskalunion schaffen für die Euro-<br />

Zone", sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). Sie lobte die Beschlüsse des Brüsseler Gipfels als<br />

"sehr, sehr wichtiges Ergebnis, weil wir aus der Vergangenheit und den Fehlern lernen". Künftige<br />

Regelungen sollten bindend sein und zugleich mehr Raum lassen für gemeinsames<br />

haushaltspolitisches Handeln der beteiligten Länder sowie der EU-Kommission mehr Macht geben.<br />

Allerdings wird die Euro-Zone mit einigen Staaten nun gesondert voranschreiten müssen. Denn der<br />

britische Premierminister David Cameron verweigerte die Zustimmung zur EU-Vertragsänderung,<br />

weil er kein Vetorecht bei der Finanzmarktregulierung durchsetzen konnte. Ungarn, Tschechien<br />

und Schweden wollen eine Teilnahme noch prüfen. Am Freitag wollten die EU-Regierungen weiter<br />

über die rechtlichen Details des Vertrages beraten, kündigte Sarkozy an.<br />

Cameron ist glücklich<br />

Cameron verteidigte seine Blockadehaltung. "Es war eine harte Entscheidung, aber die richtige",<br />

sagte er. "Was geboten wird, ist nicht im Interesse Großbritanniens, deshalb habe ich nicht<br />

zugestimmt." Der britische Premier warnte zudem vor rechtlichen Problemen: "Es gibt immer<br />

Gefahren, wenn man einen Vertrag innerhalb eines Vertrages schließt."<br />

Zugleich betonte Cameron, dass sein Land auch in Zukunft die Gemeinschaftswährung Euro nicht<br />

einführen wolle. Ebenso habe London nicht die Absicht, dem Schengen-Raum ohne Grenzkontrollen<br />

beizutreten. "Ich bin glücklich, nicht in Schengen zu sein, und glücklich, nicht den Euro zu haben."<br />

Zum Vorhaben der anderen Staaten für einen intergouvernementalen Pakt zur Rettung des Euro<br />

sagte Cameron lapidar: "Wir wünschen ihnen alles Gute."<br />

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Mehrere EU-Regierungschefs kündigten am Freitagmorgen an, dass der Vertrag der Euro-Zone bis<br />

März ausgehandelt sein soll. Vorteil ist nach den Worten von EU-Ratspräsident Herman Van<br />

Rompuy, dass ein solcher Vertrag schneller in die Tat umzusetzen ist als eine vollständige<br />

Vertragsänderung. "Geschwindigkeit ist nötig, um die Glaubwürdigkeit zu erhöhen", sagte er. EU-<br />

Kommissionspräsident José Manuel Barroso lobte die Stärkung seiner Behörde, die mehr<br />

Aufsichtsrechte über die nationalen Haushalte der Euro-Staaten bekommen soll.<br />

EU-Energiekommissar Günther Oettinger zeigte sich mit der geplanten neuen Fiskalunion aus der<br />

Eurogruppe und sechs weiteren EU-Staaten nur zum Teil zufrieden. "Es ist eine gute zweitbeste<br />

Lösung", kommentierte der CDU-Politiker im Deutschlandfunk. Besser wäre seines Erachtens eine<br />

kollektive Änderung der europäischen Verträge durch alle 27 Mitgliedstaaten gewesen: Dass neben<br />

Großbritannien auch drei weitere Länder ausscherten, birgt nach Ansicht Oettingers die Gefahr,<br />

dass diese sich in wirtschafts- und finanzpolitischen Fragen von der Unionsmehrheit entfernen.<br />

Sarkozy nennt Gipfel historisch<br />

Teil der Brüsseler Beschlüsse sind nationale Schuldenbremsen, deren Niveau gemeinsam vereinbart<br />

und deren Einhaltung vom Europäischen Gerichtshof überprüft werden soll. Damit haben sich<br />

Deutschland und Frankreich in weiten Bereichen mit ihrer Forderung durchgesetzt, dass die Euro-<br />

Zone einen klaren Weg zu einer echten Fiskal- und Stabilitätsunion aufzeigen müsse, um das<br />

Vertrauen der Finanzmärkte zurückzugewinnen. Sarkozy sprach von einem historischen Gipfel.<br />

Zudem wurde beschlossen, dass der dauerhafte Euro-Rettungsmechanismus ESM nach Möglichkeit<br />

bereits zum Juli 2012 und damit ein Jahr früher als geplant seine Arbeit aufnehmen soll. Die<br />

Obergrenze des Kreditvolumens soll aber auf 500 Mrd. Euro beschränkt bleiben, wobei die schon<br />

vergebenen Hilfskredite des vorläufigen Rettungsfonds EFSF eingerechnet werden. Allerdings wird<br />

diese Summe im Juli 2012 überprüft.<br />

Zur Diskussion hatte gestanden, unabhängig von den schon zugeteilten Mitteln 500 Mrd. Euro<br />

bereitzustellen. Merkel hatte diese Forderung von vornherein genauso strikt abgelehnt wie eine<br />

Banklizenz für den ESM. Die ist nach derzeitigem Stand vom Tisch. Auch ein Fahrplan zur<br />

langfristigen Einführung von Euro-Bonds wurde auf deutschen Druck verworfen. Bei der weiter<br />

vorgesehenen Beteiligung der privaten <strong>Investor</strong>en im Falle einer möglichen Insolvenz will sich die<br />

Euro-Zone an den Regelungen des Internationalen Währungsfonds (IWF) orientieren.<br />

Der IWF soll künftig eine größere Rolle bei Rettungsaktionen spielen. So prüften die EU-Staaten,<br />

dem Fonds über ihre Notenbanken bilaterale Kredite von insgesamt 200 Mrd. Euro zur Verfügung zu<br />

stellen - dabei sollen 150 Mrd. Euro von den Euro-Ländern kommen und 50 Mrd. Euro von den zehn<br />

Nicht-Euro-Staaten in der EU. Diese Prüfung soll innerhalb von einer Woche abgeschlossen werden.<br />

IWF-Chefin Christine Lagarde sagte, sie freue sich über den Ausgang des Gipfels.<br />

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Schuldenkrise: Was Deutschland blüht, wenn der Euro am<br />

Ende ist<br />

Pleitewellen bei Staaten, Banken, Firmen und Haushalten: Ein Zerfall der<br />

Euro-Zone könnte in Deutschland eine Depression historischen Ausmaßes<br />

auslösen.<br />

Eine Rückkehr zur D-Mark gilt vielen in Deutschland als die letzte Rettung. Fragt man Volkswirte<br />

nach den Folgen eines solchen Schrittes, warnen sie jedoch vor einer Katastrophe: Ein<br />

Komplettzerfall der Euro-Zone mit Rückkehr zu nationalen Währungen wäre für Deutschland<br />

"kurzfristig schlecht und langfristig schrecklich", warnt Dennis Snower, Präsident des Instituts für<br />

Weltwirtschaft. "Die Vorstellung, zur Mark zurückzukehren, ist absurd", sagt Ulrich Kater,<br />

Chefökonom der Dekabank.<br />

Die Schockkanäle für die deutsche Wirtschaft wären vielfältig. Etwa durch die starke<br />

Exportausrichtung: "Für einige europäische Volkswirtschaften wäre das Ende des Euro<br />

gleichbedeutend mit Pleitewellen - bei Staaten, Banken, Firmen und Haushalten", sagt David<br />

Milleker, Chefvolkswirt von Union Investment. Damit würden wichtige Absatzmärkte auf einen<br />

Schlag wegbrechen.<br />

Ökonomen rechnen zudem mit einer einsetzenden Kapitalflucht nach Deutschland. Die Folge wäre<br />

eine massive Aufwertung der neuen D-Mark - je nach Schätzung um bis zu 50 Prozent. Gift für<br />

deutsche Exporteure, ihre Ausfuhren würden einbrechen.<br />

Der wohl heftigste Effekt droht aber von den Finanzmärkten. "Das europäische Finanzsystem ist so<br />

eng verflochten, dass eine Auflösung des Euro nur schwer praktikabel wäre", sagt Michael Schröder,<br />

Professor an der Frankfurt School of Finance & Management. So müssten Auslandsforderungen teils<br />

in schwächere Währungen umgerechnet werden. Abschreibungen bei Banken wären das Ergebnis.<br />

Europas Bankensektor könnte kollabieren. "Einen Ausstieg aus einer Währungsunion kann man<br />

nicht reibungslos gestalten", warnt der Princeton-Ökonom Markus Brunnermeier. "Viele deutsche<br />

Vermögenswerte würden zerstört werden." Enorme Turbulenzen wären die Folge.<br />

Der Zusammenbruch des Euro wäre schlimmer als die Lehman-Pleite, sagen die Ökonomen der<br />

Investmentbank HSBC. "Deutschlands Banken wären pleite, ein Kollaps der Kreditvergabe die<br />

Folge", sagt auch Christian Schulz, Volkswirt der Berenberg Bank. Institute müssten wohl von den<br />

Steuerzahlern gestützt werden. Und auch in den Bilanzen deutscher Versicherungen würden große<br />

Löcher klaffen. Besonders Rückversicherer, die Ausfallverträge auf Staatsanleihen bieten, würden in<br />

die Pleite gerissen. "Zugesicherte Leistungen könnten nicht mehr erbracht werden", warnt Kater.<br />

Sparer müssten um ihre private Rente bangen - die Regierung wäre auch hier gefragt. Der deutsche<br />

Schuldenstand würde infolge von Rezession, Bankenhilfen und Kompensationszahlungen<br />

regelrecht explodieren.<br />

Deutschland dürfte in eine schwere Rezession rutschen. Ein Einbruch der Wirtschaftsleistung um<br />

bis zu 7,5 Prozent wäre laut Union Investment möglich, bei einem massiven Anstieg der<br />

Arbeitslosigkeit. Manch ein Ökonom rechnet gar mit einem Niedergang, der alle Krisen seit Beginn<br />

des 20. Jahrhunderts in den Schatten stellt: "Die Ausgangskatastrophe in der Großen Depression<br />

<strong>CAPITAL</strong> <strong>Investor</strong> <strong>Nr</strong>. <strong>49</strong>/<strong>2011</strong> www.capital.de 12


war kleiner als in diesem Fall, demnach könnten die Konsequenzen heute schlimmer sein", warnt<br />

Schulz.<br />

Noch höher als die ökonomischen könnten die politischen Kosten sein. Ein Scheitern des Euro sei<br />

mit ernsthaften sozialen Konsequenzen verbunden, so Stephane Deo, Ökonom der UBS. Er verweist<br />

auf das Scheitern der Währungsunion zwischen Tschechien und der Slowakei 1993. Der<br />

Zusammenbruch führte zu Grenzschließungen, Kapitalkontrollen und Zugangsbeschränkungen<br />

von Konten.<br />

Eurokrise: Rettungsanker aus Frankfurt<br />

Die Europäische Zentralbank gerät immer mehr ins Zentrum des Kampfs<br />

um den Fortbestand der Gemeinschaftswährung. Capital.de hat Experten<br />

befragt, welche Strategie sie dabei verfolgen sollte.<br />

In Deutschland ist das Rezept umstritten. Die Zahl der Experten aber steigt, die Europas Zentralbank<br />

drängen, einen massiven Aufkauf von Staatsanleihen in Aussicht zu stellen, um die Panik an den<br />

Märkten zu stoppen. Die Frage ist nur, wie genau die Währungshüter das machen sollen. Muss die<br />

EZB dafür eine Menge Geld ausgeben? Oder nur damit drohen? Wäre es gut, ein fixes Zinsziel zu<br />

setzen, das sie gegen den Markt verteidigt - so ähnlich wie es die Schweizer Notenbank mit dem<br />

Franken tut?<br />

Capital.de hat vier Befürworter des EZB-Feuerwehreinsatzes befragt. Und die geben sich<br />

zuversichtlich: Wenn die Ankündigung glaubhaft sei, könne die EZB die Krise mit einem Schlag<br />

beenden. Am Ende könnte sie mit der Aktion sogar Gewinn machen. Und das auch ohne die<br />

Zustimmung der Bundesbank, wie Charles Wyplosz vom Graduate Institute in Genf fordert. Nach<br />

Urteil von Beobachtern steht die Notenbank mittlerweile bereit, mehr zu tun, um den Euro zu<br />

retten. Letzter Stand der Spekulation: Auf dem EU-Gipfel diese Woche könnten die Regierungschefs<br />

einen Plan präsentieren, bei dem der Internationale Währungsfonds mit EZB-Geld Italien und<br />

Spanien stützt.<br />

Fragt sich nur, ob die kolportierten 200 Mrd. Euro reichen, um bei fortschreitendem<br />

Vertrauensverlust die Krise zu beenden. "Vor zwei Monaten hätte das noch gereicht", so Holger<br />

Schmieding von der Berenberg Bank. Heute sei das nicht mehr sicher. Da sei die direkte EZB-<br />

Intervention aussichtsreicher. Die Bank sollte ankündigen, notfalls unbegrenzt Anleihen zu kaufen.<br />

Was für Laien wie Irrsinn klingen mag, könnte die günstigste Lösung sein, so Schmieding. Dann<br />

gäbe es keine Zweifel an ihrer Entschlossenheit - und sie könnte die Anleihen nach der Krise zu<br />

erholten Kursen wieder verkaufen.<br />

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Streitfall Staatsanleihekauf<br />

Die EZB soll als Retterin in letzter Not eingreifen. Aber wie? Und wie teuer wird das? Vier Experten<br />

antworten:<br />

Kritiker sagen, die EZB könnte die Flucht aus Euro-Anleihen am ehesten<br />

stoppen, bevor die Krise eskaliert. Wie genau soll sie das machen?<br />

Paul De Grauwe<br />

Die EZB sollte ankündigen, dass ihre Interventionen an den Märkten für Staatsanleihen weder<br />

vom Umfang noch zeitlich beschränkt sind. Mit anderen Worten sollte sie genau das Gegenteil<br />

von dem tun, was sie heute tut. Und diese Ankündigung sollte so bald wie möglich kommen<br />

Holger Schmieding<br />

Die EZB sollte sagen, dass sie notfalls unbegrenzt eingreift, um solvente Euro-Mitglieder vor einer<br />

Pleite zu retten. Dafür muss der IWF bescheinigen, dass diese Länder Reformen und<br />

Schuldenbremsen beschließen sowie geänderten EU-Verträgen mit einem gehärteten Stabipakt<br />

zustimmen.<br />

Charles Wyplosz<br />

Die Euro-Währungshüter werden die Krise stoppen, wenn sie die Garantie abgeben, für alle<br />

öffentlichen Schulden der Euro-Zone zu einem Teil ihres Nennwerts einzustehen. Das würde<br />

effektiv als Kugelfang wirken und den Weg zu einer Restrukturierung von Staatsschulden ebnen.<br />

Guntram Wolff<br />

Die EZB muss auf jeden Fall die drohende Kreditklemme abwenden. Die Geldpolitik muss<br />

expansiver werden. Sollte man sich auf dem Euro-Gipfel in dieser Woche auf eine Fiskalunion<br />

einigen, könnte die EZB am Staatsanleihemarkt intervenieren. Wichtig ist dann, dass sie es<br />

glaubwürdig macht.<br />

Ist das nicht sehr teuer? Wie viel Geld müsste die EZB in Staatsanleihen<br />

angeschlagener Euro-Länder investieren, damit das funktioniert?<br />

Paul De Grauwe<br />

Sie sollte keine Zahl nennen. Kündigt sie unbegrenzte Hilfen an, dürften sich die Anleihekurse<br />

stabilisieren. Heute muss die EZB so viel kaufen, weil sie sagt, dies zeitlich und volumenmäßig<br />

begrenzt zu machen. Daher erwarten Anleger sinkende Kurse. Die EZB liefert also einen Anreiz,<br />

eher heute als morgen zu verkaufen. Ein ungeschickteres Verhalten ist kaum vorstellbar.<br />

Holger Schmieding<br />

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Sendet die EZB ein glaubwürdiges Signal, wird sie vermutlich kaum investieren müssen. Seit die<br />

Schweizerische Nationalbank Anfang September angekündigt hat, dass sie unbegrenzt eingreift,<br />

um eine festgelegte Obergrenze für den Wechselkurs des Franken zu verteidigen, haben ihre<br />

Interventionen am Devisenmarkt kräftig abgenommen.<br />

Charles Wyplosz<br />

Wenn die EZB eine Garantie abgibt, wird sie nur sehr wenige Staatspapiere aufkaufen müssen.<br />

Denn die Garantie einer Notenbank ist zu 100 Prozent glaubhaft.<br />

Guntram Wolff<br />

Dies hängt davon ab, wie glaubwürdig die EZB handelt. Wenn sie ein starkes und für <strong>Investor</strong>en<br />

glaubwürdiges Signal sendet und die Probleme in Italien in der Tat nur liquiditätsgetrieben sind,<br />

dann wäre die Gesamtsumme sehr gering.<br />

Einige sagen, die EZB sollte einen Zielzins festlegen, ab dessen Erreichen sie<br />

interveniert. Welcher Zinssatz wäre sinnvoll?<br />

Paul De Grauwe<br />

Ein Zielzinssatz, der zwischen zwei und drei Punkten über dem von deutschen Bundesanleihen<br />

liegt. Damit bliebe ein „Strafzins“, der dazu beiträgt, dass Italien und Spanien ihre Schulden<br />

senken. Gleichzeitig ist das eine attraktive Rendite für kaufbereite <strong>Investor</strong>en.<br />

Holger Schmieding<br />

Als Interventionsmarke ist ein Renditeaufschlag von 5,5 Punkten über Bundesanleihen denkbar,<br />

um den Anpassungsdruck hoch zu halten. Für zehnjährige Staatsanleihen wäre das derzeit eine<br />

Rendite von 7,7 Punkten, also oberhalb der aktuellen Rendite für Italien.<br />

Charles Wyplosz<br />

Der Zins sollte deutlich niedriger sein, als die Märkte heute von Italien und Spanien verlangen.<br />

Mindestens die Hälfte der Schulden sollte garantiert werden. Ihren Leitzins sollte sie auf null<br />

senken.<br />

Guntram Wolff<br />

Das ist eine politische Entscheidung. Der Zielzins sollte aber unter dem aktuellen Marktzins für<br />

Länder wie Italien und Spanien liegen. Wichtig ist gleichzeitig, dass der Reformdruck nicht<br />

nachlässt. Den Leitzins sollte sie auf 0,75 Prozent senken.<br />

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Wie wichtig ist es für die Glaubwürdigkeit eines solchen Eingriffs der EZB,<br />

dass die Bundesbank damit einverstanden ist?<br />

Paul De Grauwe<br />

Die EZB ist eine europäische Institution. Die Bundesbank sollte kein Vetorecht haben. Wenn es<br />

eine entsprechende Mehrheit im EZB-Rat gibt, sollte die Bundesbank eine entsprechende<br />

Entscheidung akzeptieren.<br />

Holger Schmieding<br />

Es geht nicht ohne die Bundesbank. Protestiert sie erneut gegen eine EZB-Entscheidung, kann das<br />

die Ankündigung entscheidend schwächen. Ein Einspruch der Bundesbank könnte eine<br />

Verkaufswelle für Staatsanleihen und eine tiefe Banken- und Wirtschaftskrise auslösen.<br />

Charles Wyplosz<br />

Eine einstimmige Entscheidung ist wünschenswert. Aber die Bundesbank ist nur eine von vielen<br />

Notenbanken, und ihre Analyse – wenn man das überhaupt so nennen kann – ist völlig falsch. Sie<br />

hat bislang alle Ideen lediglich kritisiert und selbst keinen einzigen schlüssigen Lösungsvorschlag<br />

geliefert.<br />

Guntram Wolff<br />

Die EZB sollte nur dann handeln, wenn es eine klare politische Einigung gibt, in Richtung<br />

Fiskalunion zu gehen. In diesem Moment sollte auch die Bundesbank ihre Bedenken<br />

zurücknehmen.<br />

Drohen der EZB Verluste, wenn sie die Staatsanleihen angeschlagener Länder<br />

kauft?<br />

Paul De Grauwe<br />

Nein, im Gegenteil. Sie kann im Erfolgsfall die Anleihen zu erholten Kursen wieder loswerden. Die<br />

Bedingung dafür ist, dass sie ein Bekenntnis abgibt, das glaubhaft genug ist.<br />

Holger Schmieding<br />

Nein, vermutlich nicht. Sobald die Angst davor weicht, dass die EZB selbst Italien der Pleite<br />

überlässt, dürften viele Anleger bei Renditen zwischen sechs und sieben Prozent wieder zugreifen.<br />

Charles Wyplosz<br />

Das ist irrelevant. Eine Zentralbank ist kein kommerzieller Betrieb. Aber sie sollte Steuerzahler<br />

beschützen. Und die Kosten der Untätigkeit sind bereits jetzt sehr hoch, auch wenn sie nicht<br />

genau messbar sind.<br />

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Guntram Wolff<br />

Nein, aber sie würde trotzdem ein Risiko in ihren Büchern haben. Deswegen benötigt die EZB die<br />

politische Zustimmung zur Fiskalunion, die für Verluste einstehen könnte.<br />

Zur Person: Paul De Grauwe<br />

Paul De Grauwe lehrt an der Universität Leuven in Belgien. Er ist Autor eines Standardwerks zur<br />

Ökonomie von Währungsunionen.<br />

Zur Person: Holger Schmieding<br />

Holger Schmieding ist Chefökonom der Berenberg Bank in London. Früher forschte er am Institut für<br />

Weltwirtschaft in Kiel.<br />

Zur Person: Charles Wyplosz<br />

Charles Wyplosz unterrichtet am Graduate Institute in Genf. Er ist einer der renommiertesten<br />

Makroökonomen in Europa.<br />

Zur Person: Guntram Wolff<br />

Guntram Wolff ist Vizedirektor des einflussreichen Brüsseler Thinktanks Bruegel. Davor war er bei<br />

der EU-Kommission und der Bundesbank.<br />

Anschlagsversuch: Attentat auf Ackermann vereitelt<br />

Die Drohung gegen den Chef der Deutschen Bank war wesentlich ernster<br />

als zunächst bekannt. Die Staatsanwaltschaft spricht von einem<br />

funktionsfähigen Sprengsatz. Der Konzern erhöht weltweit seine<br />

Sicherheitsvorkehrungen.<br />

Eine an Deutsche Bank-Chef Josef Ackermann adressierte verdächtige Postsendung ist am<br />

Mittwoch in Frankfurt abgefangen worden. Dabei handelte es sich um eine "funktionsfähige<br />

Briefbombe". Das teilten das hessische Landeskriminalamt (LKA) und die Staatsanwaltschaft<br />

Frankfurt nach ersten Untersuchungen am Donnerstag in Wiesbaden mit. Die Untersuchungen<br />

dauerten noch an. Einzelheiten zur Zusammensetzung des Inhalts könnten aus<br />

ermittlungstaktischen Gründen nicht gesagt werden.<br />

Zuvor hatte ein Polizeisprecher nach Angaben der Nachrichtenagentur dpa behauptet: "Das war<br />

kein Sprengstoff, weder militärischer oder gewerblicher." Das Pulver hätte beim Öffnen des<br />

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Umschlags "aber mit Sicherheit gefährlich werden können", und Verbrennungen an Hand, Gesicht<br />

und Oberkörper verursachen können.<br />

Der verdächtige DIN-A5-Umschlag war am Mittwochnachmittag bei der Deutschen Bank<br />

eingegangen und aufgefallen. Die Polizei nahm daraufhin die Ermittlungen auf. Nach Angaben der<br />

Frankfurter Polizei untersucht das Landeskriminalamt in Wiesbaden den Umschlag. Keine<br />

Stellungnahme gab es bislang dazu, wer hinter der Sendung stehen könnte. Bankenkreisen zufolge<br />

verstärkte die Deutsche Bank weltweit ihre Vorkehrungen, es werde mehr Sicherheitspersonal<br />

eingesetzt.<br />

Auch die Finanzmetropole New York befindet sich in erhöhter Alarmbereitschaft. Die Bundespolizei<br />

FBI schaltete sich in die Frankfurter Ermittlungen ein: "Die FBI-Ermittlungsgruppe für Terrorismus<br />

arbeitet mit den deutschen Behörden zusammen, um den Vorfall in Frankfurt aufzuklären und<br />

mögliche Bedrohungen gegen Menschen oder Einrichtungen auszumachen", sagte ein FBI-Sprecher<br />

der Nachrichtenagentur Bloomberg.<br />

Nach Informationen eines hochrangigen Mitarbeiters der US-Strafverfolgungsbehörden war als<br />

Rücksendeadresse die ebenfalls in Frankfurt ansässige Europäische Zentralbank angegeben. Nach<br />

dem Fund seien die Sicherheitsvorkehrungen in den New Yorker Büros des größten deutschen<br />

Kreditinstituts erhöht worden. Bankenkreisen zufolge verstärkte die Deutsche Bank weltweit ihre<br />

Vorkehrungen. Es wird mehr Sicherheitspersonal eingesetzt.<br />

Die New Yorker Polizei verschickte eine Warnung an Wall-Street-Unternehmen, dass sie bei Paketen<br />

"besonders vorsichtig" sein sollten. Das bestätigte ein Polizeisprecher. Die Streifen rund um die<br />

Büros der Deutschen Bank wurden verstärkt.<br />

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EU-Gipfel: Endspiel der Euro-Regierungen<br />

Kommentar<br />

Die Europäische Zentralbank gilt vielen als letzte Hoffnung im Kampf um<br />

den Fortbestand der Gemeinschaftswährung. Doch die Rettung der<br />

Währungsunion hängt von den Staaten ab.<br />

Für viele Politiker und Marktbeobachter ist das Drehbuch für das Drama "Die Rettung des Euro" so<br />

gut wie geschrieben. Erster Akt: Die Europäische Zentralbank (EZB) senkt am Donnerstag die Zinsen<br />

und spült dadurch zusätzliche Liquidität in den Bankensektor. Zweiter Akt: Europas Regierungen<br />

beschließen am Freitag den Fiskalpakt, den EZB-Präsident Mario Draghi vergangene Woche im EU-<br />

Parlament gefordert hat. Demnach würden sich die Euro-Länder strengen Budgetregeln mit<br />

automatischen Strafen für Defizitsünder unterwerfen und den Einstieg in Eurobonds mit<br />

Gemeinschaftshaftung vereinbaren. Dritter Akt: Kurz vor der Marktöffnung in Asien lässt die EZB in<br />

der Nacht auf Montag durchblicken, dass sie künftig für die Euro-Staaten als Kreditgeber der letzten<br />

Instanz auftritt und deren Anleihen in unbegrenztem Umfang aufkauft. Kurz: ein dramatisches<br />

Finale, bei dem die geldpolitische Bazooka auf die Bühne geholt wird.<br />

Die Vorlage zu diesem Skript hatte die erste Euro-Rettung am Wochenende vom 7. bis zum 9 Mai<br />

2010 geliefert. Sie verlief damals ähnlich, war aber kleiner dimensioniert. An einem Freitag einigten<br />

sich die Regierungen auf das erste Griechenland-Paket. Am Sonntag überraschten die<br />

Finanzminister die Welt mit dem Euro-Rettungsschirm. In der Nacht auf Montag überrumpelte die<br />

Euro-Notenbank die Märkte mit der Nachricht, dass sie fortan Anleihen aus Griechenland aufkaufen<br />

werde, um die Risikoaufschläge auf die Hellas-Papiere zu drücken und so das reibungslose<br />

Funktionieren der Geldpolitik im Währungsraum zu gewährleisten.<br />

Tatsächlich ähnelt die dramatische Zuspitzung der Ereignisse von damals der Lage heute. Mit dem<br />

Unterschied, dass die Krise seither ständig weiter eskalierte. Darum steht heute mehr auf dem Spiel.<br />

Scheitern die Rettungsbemühungen der kommenden Tage, ist eine Marktpanik mit<br />

unkontrollierten Weiterentwicklungen und einem Auseinanderbrechen der Euro-Zone nicht mehr<br />

ausgeschlossen. Doch nicht jede kurzfristige Stabilisierung der Währungsunion bietet unbedingt die<br />

Basis für das langfristige Überleben des Euro - im Gegenteil. Kommt es zu schweren Fehlern beim<br />

Notumbau der Euro-Architektur, kann eine längere Agonie mit einem noch krachenderen Kollaps<br />

die Folge sein.<br />

EZB kann Lücken überbrücken<br />

Deshalb ist es wichtig, sich erst einmal klarzumachen, wer wofür verantwortlich ist in der<br />

Währungsunion. Das Entwerfen neuer Regeln für die Haushalts- und Wirtschaftspolitik, der Aufbau<br />

und die Finanzierung von Rettungsinstrumenten für insolvente Staaten und Banken sind Aufgabe<br />

der Regierungen. Angela Merkel, Nicolas Sarkozy und ihre Kollegen haben ab heute bis<br />

Sonntagabend Zeit, um überzeugende Lösungen vorzulegen.<br />

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So können sie an den Märkten und im Rest der Welt verloren gegangenes Vertrauen langfristig<br />

zurückzugewinnen. In der Krise können aber Lücken entstehen zwischen kurzfristigen<br />

Finanzierungsnotwendigkeiten und dem langfristigen Greifen der politischen Beschlüsse. Diese<br />

Lücken kann die EZB für eine befristete Zeit und gegen Bedingungen überbrücken. Wer jedoch<br />

glaubt, tief greifende politische Reformen ließen sich auf Dauer durch das Anwerfen der<br />

Notenpresse ersetzen, der irrt.<br />

Konkret: Ideal wäre, die Regierungen würden ihre Haushaltspolitik so vergemeinschaften, wie sie<br />

bereits vor zwölf Jahren ihre Geldpolitik vergemeinschaftet haben. Doch zu diesem Sprung in eine<br />

wirkliche Fiskalföderation scheinen derzeit weder Deutschland noch Frankreich bereit. Deshalb ist<br />

Merkels Vorschlag einer regelgebundenen Fiskalunion weiter souveräner Staaten eine Lösung,<br />

wenn auch nur die zweitbeste. Kommt hier in den nächsten Tagen ein glaubwürdiges Paket<br />

zustande, sollten die Regierungen auch einen Zeitplan für die Einführung von Eurobonds festlegen.<br />

Instrumente gegen den Marktstress<br />

Die EZB sollte die Regierungen heute durch eine Zinssenkung unterstützen. Eine geldpolitische<br />

Lockerung ist angesichts der nachlassenden Inflationsdrucks und Konjunkturabsturzes<br />

gerechtfertigt, die alle Ökonomen für 2012 vorhersagen. Darüber hinaus sollte die EZB ihrer<br />

Funktion als Kreditgeber der letzten Instanz gegenüber solventen Banken heute voll gerecht werden<br />

und die Geldhäuser der Euro-Zone noch üppiger als bisher schon mit Liquidität versorgen.<br />

Mit dem Staatsanleihenkaufprogramm hat die EZB ein Instrument, das sie nutzen könnte, sollte der<br />

Marktstress intensiver werden. Doch das Programm, mit dem die EZB seit Mai 2010 Krisenanleihen<br />

im Volumen von 207 Mrd. Euro gekauft hat, ist ungeeignet für riesige Einsätze etwa zur Stützung<br />

Italiens und Spaniens. Denn am Ende hätten diese Stützkäufe zur Folge, dass 23 ungewählte<br />

Mitglieder des EZB-Rats per Mehrheitsbeschluss Risiken im Wert von Hunderten Milliarden Euro<br />

zwischen den Staaten der Währungsunion umverteilen. Dafür hat die EZB kein Mandat<br />

Natürlich ist eine Situation vorstellbar, in der nur noch ein unbegrenzter EZB-Einsatz hilft. Dann<br />

müssen die Notenbanker die Regierungen vor ihre Verantwortung stellen: Die EZB kann nur dann<br />

für die Euro-Zone zum Kreditgeber der letzten Instanz werden, wenn die Euro-Staaten doch ihre<br />

haushaltspolitische Souveränität unwiderruflich zusammenlegen. Setzen sie an zu diesem großen<br />

Sprung in eine wirkliche Fiskalunion, sollte die EZB den Euro retten. Andernfalls wäre es die<br />

politische Entscheidung und Verantwortung der Regierungen, die Währungsunion aufzugeben.<br />

Wolfgang Proissl ist EZB-Chefkorrespondent der Capital-Schwesterzeitung Financial Times<br />

Deutschland<br />

Axel Retz: Marktindikatoren mahnen zur Vorsicht<br />

Kaum ein Anleger mag noch auf die Eurokrise schauen. Ein gefährlicher<br />

Ermüdungs- und Gewöhnungsprozess hat begonnen, den auch der<br />

Überraschungs-Coup der Notenbanken nicht durchbrechen wird.<br />

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Axel Retz ist seit mehr als 25 Jahren als Chefredakteur von Börsenmagazinen und Börsendiensten<br />

tätig und betreibt das Portal private-profits. Konservative Anleger finden dort seit Jahren<br />

bewährte, treffsichere Strategien zur Outperformance der Märkte in Hausse- und Baissephasen.<br />

Aggressivere Trader finden alle notwendigen Tools, um mit kleinem Einsatz kurzfristige Gewinne<br />

zu erzielen. "Phasen, in denen sich keine Gewinne erzielen lassen, das sind die Seitwärtsmärkte.<br />

Aber sie sind nichts anderes als Unterbrechungen im Trendverhalten. Technische oder<br />

fundamentale Analyse? Für mich macht es die Mischung!"<br />

Manchmal macht es einfach die Verpackung. Mal ehrlich: Welcher halbwegs vernünftige Mensch<br />

hätte Lust, nach einer arbeitsreichen Woche ausgerechnet am späten Samstagabend noch einmal in<br />

Dunkelheit und Nieselregen hinaus zu müssen, um seine Wochenendkäufe zu erledigen? Bei einem<br />

Wetter, bei dem man keinen Hund vor die Tür jagt, hätte niemand dazu Lust. Ganz anders ist das,<br />

wenn sich diese Unannehmlichkeit als Midnight-Shopping verkauft und in der lokalen Presse<br />

Wochen zuvor als Event angekündigt wird. Nachts um elf wälzt sich die halbe Stadt nebst<br />

Vorortskohorten glühweinbeseelt durch überfüllte Einkaufspassagen und Läden, weicht in sich<br />

selbst versunkenen dauersimsenden Zeitgenossen aus, schubst und drängelt sich bis zu den<br />

endlosen Schlangen vor den Kassen durch, um dann knapp nach Mitternacht im Stop- and Go-<br />

Verkehr das erbeutete Kaufgut Richtung Kühlschrank zu schaffen. O du fröhliche!<br />

Um sich für ganz alltägliche Verrichtungen zusätzlichen Belastungen auszusetzen, bedarf es<br />

entweder einer angemessenen Portion an Leidenswillen oder eines gut funktionierenden<br />

Marketings. An letzterem hat es der Politik beim Handling der Schuldenkrise bisher zweifellos<br />

gefehlt, und zu ersterem finden sich in der Euro-Zone momentan keine Freiwilligen mehr.<br />

Stattdessen wachsen Frust, Sorge und Angst. Auch wenn es paradox klingen mag. Das lässt hoffen!<br />

Denn wird die Angst groß genug, kann sie – anders als bei einem Gewitter – das befürchtete<br />

Ungemach vielleicht noch abwenden.<br />

Ganz konkret: Das Handwerk, jüngste Zahlen belegen es, platzt vor Aufträgen regelrecht aus allen<br />

Nähten. Erst in der vergangenen Woche bestätigte mir ein Bauunternehmer, dass die Leute ihr Geld<br />

aus Angst vor der ungewissen Zukunft des Euro seit Monaten lieber ins eigene Häuschen stecken.<br />

Zudem dürfte der inländische Autoabsatz im laufenden Jahr nach den letzten Zahlen vermutlich um<br />

acht Prozent zulegen. Finden sich im gemeinen Volk nur genügend „Euro-Skeptiker“, die jetzt lieber<br />

konsumieren und investieren, kommt die Wirtschaft vielleicht tatsächlich richtig in Fahrt, vor allem<br />

auch die Binnennachfrage. Für die Südflanke Europas sieht das alles etwas anders aus. Weswegen<br />

sich die Verantwortlichen in dieser Woche zum „wasweißichwievielten“ letztentscheidenden<br />

Spitzentreffen zusammenfinden.<br />

Die hohe Kunst der Minusmaximierung<br />

Kein Wunder, dass der Bundesfinanzminister gleich ein paar „neue“ Ideen aus der Schublade holte.<br />

Die eine: IWF-Sonderziehungsrechte, SZR im Deutschen bzw. SDR im Englischen. Auf diese<br />

Kunstwährung des Internationalen Währungsfonds kann jedes der 187 Mitgliedsländer im Falle<br />

eines Liquiditätsengpasses zugreifen – über die sgn. Sonderziehungsrechte. Finanziert wird der IWF<br />

durch die nach ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit bemessenen, als „Quote“ bezeichneten<br />

Beiträge der Mitgliedsländer des Fonds. Der Sinn der ganzen Konstruktion: Gerät ein Staat in eine<br />

vorübergehende finanzielle Schieflage, kann er sich beim IWF Mittel bis zum Dreifachen der von<br />

ihm geleisteten Quote ausleihen, um damit seine Währung zu stabilisieren und/oder seine<br />

Wirtschaft zu stärken. Im Prinzip funktioniert das Ganze also wie eine Art Solidargemeinschaft, in<br />

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die alle einzahlen und die im Bedarfsfall einzelnen Mitgliedern per Kredit Zugriff auf das Vermögen<br />

aller gewährt. Natürlich müssen die Finanzhilfen danach auch wieder zurückgezahlt werden, in der<br />

Regel in einem Zeitraum von drei bis fünf Jahren.<br />

In der asiatischen Finanzkrise des letzten Jahrhunderts, aber auch bei den Liquiditätsengpässen<br />

Mexikos (1995), Russlands (ebenfalls 1995), Indonesiens, Koreas und Thailands (1998), Rumäniens<br />

(2008) Argentiniens sowie Irlands und Griechenlands (2010), bewährte sich dieses Procedere. Nur:<br />

Die größte jemals ausgezahlte Einzelsumme belief sich auf 35 Mrd. Dollar. An den heute im Feuer<br />

stehenden Summen gemessen, ist die Kapitalausstattung des IWF eine Lachnummer: Rund 250 Mrd.<br />

Dollar hat der Fonds zurzeit in der Kasse, an Krediten könnte er aber nur ca. die Hälfte<br />

herausreichen, da die Mitgliederbeiträge in den jeweiligen Landeswährungen eingezahlt werden<br />

müssen. Und Geld z. B. aus Uganda, Tuvalu, Libyen oder Madagaskar hilft anderen Staaten so gut<br />

wie gar nicht aus ihren Finanznöten. Wir reden also beim IWF von einem effektiv einsetzbaren<br />

Kreditrahmen in Höhe von rund 125 Mrd. Dollar. Allein die „gehebelte“ EFSF, von der wir wissen,<br />

dass auch sie viel zu klein konfektioniert ist, beläuft sich auf mehr als das Fünffache dieser Summe.<br />

Und noch eine Zahl: Deutschland als drittgrößter Geldgeber des IWF könnte sich bei einer aktuellen<br />

Quote von 5,98 Prozent an den SZR derzeit maximal 44,85 Mrd. Dollar vom IWF ausleihen. Was<br />

wollen wir damit, wenn sich unsere bisher zugesagten Bürgschaften zur Euro-Rettung auf<br />

Berechnungen des Ifo-Instituts auf über 540 Mrd. Euro belaufen? Und vor allem: Wer Geld vom IWF<br />

„nimmt“, der tut nichts anderes als neue Schulden machen, mitten in der Schuldenkrise. Oder<br />

anders: Er maximiert sein Minus.<br />

Wir sehen: Den IWF als Heilsbringer in der Schuldenkrise zu bemühen, mag ja in Reden des<br />

Bundesfinanzministers großartig klingen, de Facto ist der Fonds nur ein zwar schillernder, aber<br />

keineswegs tragender Stein in der bedenklich ins Wanken geratenen internationalen<br />

Finanzarchitektur. Und er ist viel zu schwach auf der Brust, um eine effektive Hilfestellung leisten<br />

zu können. Bitte glauben Sie nicht, dass Herr Schäuble mit diesen Fakten nicht vertraut ist; er<br />

vertritt Deutschland im IWF als stellvertretender Gouverneur.<br />

Schuldentilgungsfonds: der zweite Streich<br />

Des Bundesfinanzministers zweite Idee: nationale Schuldentilgungsfonds. Ein schöner Begriff, der<br />

suggeriert, dass da irgendwo ein vermutlich bis jetzt unentdeckt gebliebener Topf steht, aus dem<br />

bestehende Schulden getilgt werden. Das Gegenteil ist der Fall. Staatsschulden, die über die<br />

Obergrenze des EU-Stabilitätspakts (60 Prozent des BIP) hinausgehen, sollen in die<br />

Schuldentilgungsfonds ausgelagert werden, der dann durch „Einnahmen“ gespeist und sukzessive<br />

abgebaut werden soll. Die Webfehler der Konstruktion sind offensichtlich.<br />

Das Verschieben von Schulden in einen weiteren Schattenhaushalt gleich unter welchem Namen<br />

hat den Stallgeruch einer staatlichen Bad Bank und erinnert an das geflügelte Wort „aus den Augen,<br />

aus dem Sinn“. Und es ist ein Schlag ins Gesicht der EU-Verträge, wenn der Finanzminister allen<br />

Ernstes vorschlägt, die Verschuldungsgrenze des Stabilitätspakts dadurch „einzuhalten“, dass er die<br />

darüber hinausgehenden Schulden einfach in eine andere Schatulle umbettet. Seriös ist etwas<br />

anderes. Und vertrauensbildend ebenfalls. Überschuldete Verbraucher, die von ihrer Bank keinen<br />

Kredit mehr bekommen, werden ja auch nicht dadurch saniert und wieder kreditwürdig, dass sie<br />

ihre Schulden einfach auf ein Konto bei einer anderen Bank auslagern. Es muss wirklich nicht<br />

erstaunen, wenn Wolfgang Schäubles Vorgänger Peer Steinbrück in einem Interview gestern auf<br />

Nachfrage angab, er selbst als Privatmann würde keine Staatsanleihen kaufen.<br />

Der Korrektur bedarf auch der Verweis des Bundesfinanzministers auf den getilgten<br />

„Erblastentilgungsfonds“, in den die Schulden aus der deutschen Wiedervereinigung ausgelagert<br />

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wurden. Getilgt hat der Staat diese auch als „Sondervermögen“ deklarierten Schulden nur<br />

buchhalterisch, tatsächlich wurden die Verbindlichkeiten in die allgemeine Bundesschuld<br />

überführt. Und schließlich:<br />

Die „Einnahmen“ der Schuldentilgungsfonds, von denen Herr Schäuble spricht, sollen über eine<br />

neue Steuer erwirtschaftet werden. Da werden sich Griechen, Italiener und Spanier, die schon bis<br />

jetzt mit einer ganzen Serie neuer Steuern überzogen wurden, bestimmt richtig freuen. Und was<br />

Steueranhebungen in konjunkturellen Eiszeiten anrichten, wissen wir nicht erst seit der<br />

wirtschaftlichen Implosion Griechenlands. Mit Schulden, um es ganz lapidar auf den Punkt zu<br />

bringen, lässt sich kein Staat machen, ganz egal welches Etikett sie ziert.<br />

Euro - welcher Befreiungsschlag?<br />

Der Überraschungs-Coup der konzertierten Notenbankaktion hat gesessen. Und ich war froh, an<br />

diesem Tag keine Kolumne schreiben zu müssen. Nicht weil mir dazu nichts eingefallen wäre,<br />

sondern weil es bei derartigen Eingriffen in den Markt immer gut ist, erst einmal ein paar Tage<br />

abzuwarten und die Reaktionen der Börsen abzuwarten. Was die Aktienmärkte betrifft, war das<br />

Aufatmen regelrecht hörbar. Und es kam, sehen Sie sich einmal die Charts des BSE Sensex, des<br />

Shanghai Composite und des Bovespa, also gleich dreier Indizes der BRIC-Staaten an, buchstäblich in<br />

letzter Minute. Und auch für den CRB/Bridge (Chart s. Kolumne der letzten Woche) erfolgte die<br />

Aktion der Notenbanken keinen Augenblick zu früh. Die Aufwärtsbewegung des DAX, auf<br />

Wochenbasis immerhin die stärkste seit drei Jahren, verlangt allerdings ein genaueres Hinsehen.<br />

Hoppla, dachte ich beim Blick auf diesen Chart. Die Anzahl derjenigen deutschen Aktien, die<br />

oberhalb ihres 200-Tage-GD liegen, ist im Wochenvergleich gefallen, nicht gestiegen. Und das sogar<br />

relativ deutlich, nämlich von 19 auf nur noch neun Prozent, was genau den bisherigen Jahrestiefs<br />

aus August und Oktober entspricht. Der Verdacht, dass der angebliche Sprung in eine<br />

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Jahresendrallye doch noch zum Salto mortale werden könnte, erhärtet sich auch beim Blick auf den<br />

zweiten Chart:<br />

Denn auch die Anzahl neuer Jahreshochs minus neuer Jahrestiefs hat sich im Wochenvergleich<br />

verschlechtert, und das sogar so deutlich wie seit Mitte September nicht mehr. D. h.: Wenn der DAX<br />

sein bisheriges Jahresminus von 13,13 Prozent bis zum Jahreswechsel wirklich noch in Richtung<br />

einer versöhnlichen Bilanz verschieben will, muss sich an diesen „internen“ Marktindikatoren noch<br />

einiges verbessern. Ansonsten droht auch diesem Rallyeansatz das gleiche Schicksal wie seinen<br />

Vorgängern.<br />

Nicht verstanden habe ich in der abgelaufenen Woche die durch die Medien geisternden<br />

Kommentare zum angeblichen Befreiungsschlag für den Euro. 1,19 Prozent Wochenplus konnte die<br />

Gemeinschaftswährung gegen den Greenback ins Wochenende retten. In siebzehn der bis jetzt 24<br />

Aufwärtswochen von EUR/USD in diesem Jahr waren die Wochengewinne größer. Setzt sich jetzt<br />

nicht tatsächlich eine „richtige“ Stabilisierung des Euro in Gang, droht sogar ein kräftiger<br />

Kursrückgang. Sehen Sie sich den Chart an:<br />

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Einen „Befreiungsschlag“ sehen Sie hier vermutlich ebenso wenig wie ich. Aber Sie sehen, was in<br />

der Vergangenheit passiert ist, wenn im Kursverlauf von EUR/USD die 200-Tage-Linie (im<br />

Wochenchart als GD40) abgebildet) nach unten abgedreht hat. Der Kursverlust gewann an<br />

Dynamik. Auch beim Euro gilt also: Noch ist gar nichts entschieden. Und das Prinzip Hoffnung<br />

allein rechtfertigt noch keine neuen Positionen. Vielleicht sehen wir ja in einer Woche klarer …<br />

Apple - im Fadenkreuz der Charttechnik<br />

Wilhelm Tells legendärer Schuss ist nur eine der berühmten Geschichten, die sich um den Apfel<br />

ranken. Noch bekannter ist das Obst aber in angebissener Form, mussten Adam und Eva doch<br />

seinetwegen das Paradies verlassen. Und ebenfalls seinetwegen lag Schneewittchen jahrelang<br />

scheintot im gläsernen Sarg. Die derzeit wohl bekannteste märchenhafte Story des angebissenen<br />

Apfels aber hat ohne Zweifel Steve Jobs geschrieben. Apples Erfolgsgeschichte sucht seinesgleichen.<br />

Ausgehend von einem Startkapital in Höhe von 1.750 Dollar im April 1976 stieg das Unternehmen,<br />

gemessen an der Marktkapitalisierung, bis August <strong>2011</strong> zum weltweit wertvollsten Unternehmen<br />

auf. Und sieht man sich den Chart der Aktie an, scheint Steve Jobs’ Tod heute vor zwei Monaten dem<br />

Aufwärtsdrang des Kurses keinen Abbruch beschert zu haben. Bis jetzt, möchte ich einschränken.<br />

Denn beim genauern Hinschauen brauen sich über der Aktie jetzt erste dunkle Wolken zusammen.<br />

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Zuerst einmal das Positive: Es ist eine Grundregel der Charttechnik, dass sich ein einmal etablierter<br />

Trend bis zum Beweis des Gegenteils fortsetzen wird. Den im März 2009 gestarteten Aufwärtstrend<br />

der Apple-Aktie können wir getrost als Paradebeispiel für diese Aussage heranziehen. Aber es gibt<br />

gute Gründe, die Aktie jetzt nicht mehr aus den Augen zu lassen. Erstens: In der vorletzten Woche<br />

hat der Kurs wieder genau auf der beschriebenen Aufwärtsgeraden aufgesetzt. Zweitens: In<br />

unmittelbarer Nähe dieser Hausselinie verläuft auch der vor allem von institutionellen Anlegern<br />

viel beachtete 200-Tage-GD (im abgebildeten Wochenchart als GD40 dargestellt). Drittens: Der<br />

Trendtest vorletzter Woche fiel zusammen mit dem Test der durch die Hochs aus Februar/März<br />

definierten horizontalen Unterstützungslinie. So weit, so gut. Hält dieses multiple<br />

Unterstützungsgefüge, steht weiteren Kursgewinnen nichts im Wege. Aus markttechnischer<br />

Perspektive haben wir jedoch guten Grund, daran zu zweifeln. Denn das Momentum notiert nur<br />

noch knapp oberhalb seiner Mittelpunktslinie, während der Money Flow-Indikator, in dessen<br />

Berechnung auch die Umsätze einfließen, erstmals wieder unter seinen Stand vom Start der<br />

Aufwärtsbewegung im Frühjahr 2009 zurückgefallen ist. Diese Warnzeichen sollten uns zu denken<br />

geben, zumal der Mutterindex der Apple-Aktie, der Nasdaq 100, schon im August unter seine März<br />

2009-Aufwärtstrendlinie gefallen ist und diese nun von unten antestet.<br />

Trübt sich die Stimmung an der Wall Street ein, wobei uns die Gründe dafür gar nicht zu<br />

interessieren brauchen, könnte sich bei Apple eine „märchenhafte“ Chance für beherzte Putkäufer<br />

ergeben. Denn dass sich auch diese Kult-Aktie in turbulenteren Zeiten aufgrund kaskadenartiger<br />

Verkaufsorders in nur drei Monaten halbieren kann, hat sie im Sommer 2008 bewiesen. Dass die<br />

Aktie aus heutiger Sicht nach derartigen Rückschlägen ein Juwel für jedes Depot ist, steht außer<br />

Frage. Aber die Stückzahl, die Sie dann ins Depot nehmen können, lässt sich „im Falle des Falles“<br />

durch eine vorherige Put-Spekulation ganz massiv erhöhen.<br />

Viel Erfolg und beste Grüße!<br />

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Axel Retz<br />

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Anlagestrategie: Gewinnen mit der zweiten Reihe<br />

Aktien<br />

Nachdem die hochgelobten Trendfirmen an der Börse reihenweise<br />

abgestürzt sind, locken Traditionskonzerne zum Einstieg: Auch sie sind in<br />

Zukunftsbranchen aktiv und bieten gute Kurschancen.<br />

Es ist ein Brandschreiben an die Politiker in Berlin: Dringend fordert der niederländische<br />

Stromnetzbetreiber Tennet Unterstützung von der deutschen Regierung - Anschlüsse von<br />

Windparks seien im jetzigen Verfahren nicht länger möglich. Durch die Vielzahl an Petitionen sowie<br />

fehlende personelle und finanzielle Ressourcen ergäben sich Schwierigkeiten im Bau- und<br />

Planungsfortschritt. Dass die Regierung auf die Forderungen eingeht, ist nicht unwahrscheinlich.<br />

Nach dem Ausstieg aus der Kernenergie steht die Hoffnung in Gestalt von Windrädern vor allem im<br />

Meer. Bis zum Jahr 2030 soll Windkraft 15 Prozent des Strombedarfs decken. Profiteure sind<br />

allerdings nicht unbedingt die Hersteller von Windkrafträdern. Vielmehr sollten Anleger sich in der<br />

zweiten Reihe umschauen.<br />

Egal welcher Konzern den Zuschlag für den Bau der Anlagen bekommt - der Strom muss<br />

transportiert werden, per Leitung durch das Meer oder über Land. Der größte Hersteller ist der<br />

italienische Kabelfabrikant Prysmian. In einem zähen Bieterwettbewerb übernahmen die<br />

Südeuropäer Anfang des Jahres den niederländischen Anbieter Draka. Auch wegen dieser<br />

Akquisition erwartet der Konzern ein operatives Ergebnis vor Abschreibungen zwischen 530 und<br />

580 Mio. Das wären knapp 200 Mio. Euro mehr als im vergangenen Jahr. Vor Kurzem bekam das<br />

Unternehmen den Zuschlag für das Projekt Helwin 2 - der dritte Auftrag für die Verkabelung eines<br />

Windparks in der Nordsee binnen 15 Monaten.<br />

Verzögerungen von Projekten sollten keinen nachhaltig negativen Einfluss auf den Prysmian-<br />

Aktienkurs haben. Zwar rutschte die Notierung im momentan schwierigen Marktumfeld ab.<br />

Mittelfristig sollte der Kurs aber wieder nach oben drehen können. Besonders das Geschäft mit<br />

Unterwasserkabeln ist außerordentlich lukrativ. Zusammen mit dem französischen Konkurrenten<br />

Nexans dominieren die Italiener das Geschäft. Dass weitere Konkurrenten in den Markt drängen,<br />

gilt als unwahrscheinlich: Die Projekte sind komplex und kostspielig, die Eintrittsbarrieren hoch.<br />

Und auch die Telekomkonzerne sind auf schnellere Netze angewiesen. Die Glasfaserkabel der<br />

Italiener spielen dabei eine wichtige Rolle.<br />

Manchmal liegt das Gute ganz nah, <strong>Investor</strong>en sehen es aber nicht. Da häufig nur jene Firmen<br />

beleuchtet werden, die in der ersten Reihe stehen, verlieren einige Anleger den Überblick. Häufig<br />

sind es Konzerne aus etablierten Industrien, die an sogenannten Megatrends mitverdienen. Gerade<br />

in Phasen wirtschaftlicher Unsicherheit schlagen sich Konzerne, deren Geschäftsmodelle seit<br />

Jahrzehnten funktionieren, besser. Viele von ihnen haben Reserven, um finanzielle Durststrecken<br />

zu überstehen oder Fehlschläge in der Forschung zu verkraften. Die Firmen liefern den Boom-<br />

Branchen zu, haben jedoch ein Stammgeschäft, das den hohen Risiken - und den mitunter<br />

überzogenen Börsenerwartungen - nicht ausgesetzt ist.<br />

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Etwa der US-Konzern Thomas & Betts: Mehr als 30000 Produkte hat das Unternehmen im Angebot,<br />

darunter Kabelschutzsysteme, Kabelbinder sowie Erdungs- und Blitzschutzanlagen, um den<br />

störungsfreien Stromfluss in neuen, intelligenten Smart-Grid-Netzen zu gewährleisten. Für die<br />

einen ist Smart Grid eine riesige Blase, Cisco-Vorstandschef John Chambers dagegen sieht in<br />

intelligenten Stromnetzen die Chance des Jahrtausends. US-Präsident Barrack Obama will in den<br />

kommenden Jahren 32 Mrd. Dollar für clevere Netze zur Verfügung stellen. Böse unter die Räder<br />

kamen nach dem anfänglichen Hype Konzerne wie Enernoc oder Itron, die sich auf Soft- und<br />

Hardware spezialisiert haben. Zu horrenden Bewertungen stiegen viele Anleger ein.<br />

Attraktivere Chancen bieten alteingesessene Unternehmen. Ein Profiteur sollte Thomas & Betts<br />

sein. Bereits im Jahr 1898 gründeten Robert Thomas und Hobart Betts eine Agentur zum Verkauf<br />

von Kabeln an Elektrohändler. Seit dem ersten Stromfluss ist der Konzern führend mit Produkten<br />

für gewerbliche und industrielle Anlagen, für Reparatur und Instandhaltung. In den ersten neun<br />

Monaten des Jahres übertraf der Konzern die Erwartungen der Analysten deutlich. Im Gesamtjahr<br />

will er einen Gewinn von 3,46 Dollar je Aktie erwirtschaften. Im vergangenen Jahr waren es 2,75<br />

Dollar. Mehr als 80 Prozent des Umsatzes von über 2 Mrd. Dollar erzielt der Konzern in den USA und<br />

Kanada. Seit Ende 2009 kletterte der Titel vom Mehrjahrestief bei 13 Euro auf mittlerweile 35 Euro<br />

und nimmt schrittweise die Höchststände um 45 Euro wieder ins Visier. Mit einem Kurs-Gewinn-<br />

Verhältnis von etwas mehr als 12 für das Jahr 2012 ist der Titel momentan nicht zu teuer.<br />

Ein Gewinner wird mittelfristig auch Nibe sein. Der schwedische Konzern ist führender Anbieter<br />

von Heizungssystemen. Vor allem Wärmepumpen stehen im Fokus. Nur ein Bruchteil deutscher<br />

Heizungsanlagen entspricht momentan den Standards. Vor allem in Neubauten nutzen immer<br />

mehr Verbraucher Pumpen, um vom Öl- und Gaspreis unabhängiger zu sein. Der Trend geht zum<br />

Effizienz- und Niedrigenergiehaus. Auch immer mehr Firmen sanieren ihre Gebäude. Statt Aktien<br />

von Solarkonzernen sollten Anleger sich derzeit besser Papiere von Gesellschaften ins Depot legen,<br />

die sich um den effizienten Einsatz von Wärme und Strom kümmern - wie eben Nibe. Zuletzt<br />

übernahm der schwedische Traditionskonzern den 1845 gegründeten Schweizer Konkurrenten<br />

Schulthess. 638 Mio. Franken blätterte er dafür auf den Tisch. Mittelfristig sollte sich die Akquisition<br />

auszahlen. Mit dem Deal baut Nibe das Geschäft in Deutschland, der Schweiz und Österreich aus.<br />

Führend sind die Nordländer schon jetzt in Skandinavien und Polen. Damit wachsen sie schnell zu<br />

einem der größten Konzerne für Energieeffizienz heran. Seit Ende 2008 kletterte der Aktienkurs von<br />

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unter 5 auf mehr als 10 Euro. Einzig der schwächelnde Ölpreis könnte das Geschäft momentan etwas<br />

verderben.<br />

Mit einem Megaereignis verdienen: London richtet 2012 die Olympischen Spiele aus. Wieder<br />

beschützt der weltgrößte börsennotierte Sicherheitskonzern G4S Hunderttausende Sportler,<br />

Funktionäre, Gäste. Statt auf volatile Unternehmen zu setzen, die computergestützte<br />

Sicherheitssoftware anbieten, legen sich Anleger momentan lieber die Hardware ins Depot: Knapp<br />

625000 Menschen in 125 Ländern beschäftigt der bei uns fast unbekannte Experte für<br />

Geldtransporte sowie Militär- und Sicherheitsdienste. Sogar Polizeiaufgaben wie<br />

Zeugenbefragungen und Spurensicherung nehmen die Mitarbeiter vor - legal, versteht sich. G4S<br />

betreibt auch Gefängnisse und sichert Ölfelder in Afrika.<br />

Durch zahlreiche Joint Ventures und Übernahmen haben sich die Briten an die Spitze der<br />

Sicherheitsunternehmen geschoben. Zuletzt scheiterte allerdings die Übernahme des dänischen<br />

Dienstleistungskonzerns ISS in Höhe von 5,9 Mrd. Euro am Widerstand der Aktionäre. An der Börse<br />

kam das gut an. Der Kurs erholte sich leicht, nachdem er auf die Ankündigung hin abgesackt war.<br />

Für Anleger bietet sich eine Einstiegsgelegenheit.<br />

Dividenden: Renditekick zum Jahreswechsel<br />

Die Kurse schwanken wie nie, dennoch können Aktionäre teils hohe<br />

Dividenden kassieren. Dank flott laufender Konjunktur in den<br />

vergangenen Monaten haben viele Unternehmen ausgezeichnet verdient.<br />

Für einige Aktionäre ist bereits vor Weihnachten Bescherung. Sie freuen sich schon jetzt darauf, dass<br />

die DAX-Unternehmen 2012 mehr Dividenden für das abgelaufende Geschäftsjahr ausschütten<br />

dürften als in diesem Jahr. Das Geschenk an die Anteilseigner hat aktuellen Prognosen zufolge<br />

einen Wert von etwa 26 Mrd. Euro und ist damit so teuer wie selten zuvor. Auch europaweit können<br />

die Anleger frohlocken: "Derzeit sind die Dividendenrenditen europäischer Aktien die höchsten der<br />

Welt", sagte Andreas Zöllinger, Fondsmanager bei der Anlagegesellschaft Blackrock.<br />

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Die Dividendenrendite gibt die Verzinsung des eingesetzten Kapitals an. Pro Aktie bedeutet dies:<br />

Die Höhe der Ausschüttung von zum Beispiel zwei Euro wird durch den Aktienkurs von<br />

beispielsweise 40 Euro geteilt, mutipliziert mit 100. Die Dividendenrendite beträgt dann fünf<br />

Prozent. Folglich fällt sie umso höher aus, je höher die Ausschüttung und je niedriger der Aktienkurs<br />

sind.<br />

Die gegenwärtig niedrigen Kurse von an sich gesunden Dividenden-Dickschiffen machen eine<br />

Anlage-Strategie, die auf Dividendenrendite setzt, interessant. "In Europa gibt es mehr als 175<br />

Unternehmen mit einem Börsenwert von über 1 Mrd. Euro, die eine Rendite von mehr als 4,5 Prozent<br />

liefern", berichtet Zöllinger. Für Tagesgeld hingegen bekommen Anleger aktuell maximal 2,8<br />

Prozent. Attraktive europäische Dividendenwerte finden Anleger Blackrock zufolge vor allem in der<br />

Telekombranche sowie bei einigen Gesundheits- und den Industrieunternehmen.<br />

Dabei sind die Ausschüttungen aus Sicht von Investmentexperten mehr als nur ein kleiner<br />

Renditekick. Vielmehr machen sie nach Aussagen der Fondsgesellschaft DWS im Schnitt rund ein<br />

Drittel der gesamten Wertentwicklung einer Aktienanlage aus. Ausgezahlt werden sie nach den<br />

Hauptversammlungen der Firmen, die zumeist Anfang des kommenden Jahres abgehalten werden.<br />

Dividendenberechtigt sind alle Anteilseigner, die am Tag der Aktionärsversammlung Titel des<br />

Unternehmens in ihrem Depot haben.<br />

Tipps für Dividendenjäger<br />

Zur Freude der Anleger achten die Aktiengesellschaften in der Regel peinlich genau darauf,<br />

Enttäuschungen in Form von Dividendenkürzungen oder gar einer Streichung der Ausschüttung zu<br />

vermeiden. Denn eine mindestens konstant gehaltene Dividende signalisiert, dass das<br />

Unternehmen gesund ist und über genug Bargeld verfügt.<br />

Generell kann eine Gewinnbeteiligung nach Auffassung der Deutschen Schutzvereinigung für<br />

Wertpapierbesitz aber durchaus schwanken, solange sie erfolgsorientiert ist. "Im Umkehrschluss<br />

dürfen Aktionäre in mageren und wachstumsarmen Jahren wie während der Krise eben nicht ganz<br />

leer ausgehen", lautete das Fazit der Experten in ihrer aktuellen Dividendenstudie. Eine derart<br />

"atmende Dividende" sei durchaus im Sinne der Aktionäre und als Zeichen unternehmerischer<br />

Weitsicht zu werten.<br />

Dividendenpakete nicht sofort auspacken<br />

Weitsichtig können auch die Anleger agieren, wenn sie ihre Dividendenpakete nicht sofort<br />

auspacken, sondern für die Zeit nach dem Berufsleben horten. Die Idee: Möglichst konstante und<br />

ausreichend hohe Ausschüttungen mildern die Folgen einer drohenden Inflation ab. Diese Tatsache<br />

ist laut der Fondsgesellschaft Blackrock besonders wichtig in dem aktuellen Umfeld. In Europa und<br />

weltweit herrschen niedrige Zinsen und ein schwaches Wirtschaftswachstum vor.<br />

Allerdings sollten Dividendenjäger auf der Hut sein: Bei einigen Unternehmen kann sich eine hohe<br />

Ausschüttung auch als faules Ei entpuppen. So besagt eine Theorie, dass Unternehmen mit hohen<br />

Dividendenausschüttungen Schwierigkeiten haben, rentable Investitionsmöglichkeiten zu finden.<br />

Dies kann laut Christopher Wolter, Analyst der Ratingagentur Feri, vereinzelt zutreffen, sei aber<br />

nicht generell der Fall. "Auch zeugt die Dividende allein nicht von der Gesundheit eines<br />

Unternehmens", fuhr der Fachmann fort. "Wichtig sind zudem Aspekte wie der Verschuldungsgrad<br />

einer Firma sowie Bilanzkennziffern wie Liquidität, Umsatz und Gewinn."<br />

Es gebe sogar eine Reihe von Unternehmen, für die Auszahlungen an die Aktionäre eher ungesund<br />

sind. So schütteten typische Wachstumsfirmen, wie sie etwa im TecDAX zu finden sind, kaum oder<br />

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gar keine Dividenden aus. Diese Unternehmen müssen Erträge oft wieder in vollem Umfang in die<br />

Firma investieren, um den Expansionskurs zu finanzieren.<br />

Süßwaren: Schokolade macht Anleger glücklich<br />

Schoko- und Pralinenhersteller hoffen dieses Jahr auf ein starkes<br />

Weihnachtsgeschäft. Anlegern winken satte Gewinne - falls die<br />

Rohstoffkosten nicht durch die Decke schießen.<br />

Juliette Binoche hat es vorgemacht. In dem Film "Chocolat" verführt sie nicht nur Johnny Depp,<br />

sondern erobert mit ihren Pralinenkreationen zugleich die Herzen eines ganzen Dorfes.<br />

Die Schokoladenhersteller von heute denken in ganz anderen Dimensionen. Allein in Deutschland<br />

haben sich gerade wieder rund 150 Millionen Schokoweihnachtsmänner auf den Weg in die<br />

Verkaufsregale gemacht. In Feinkostläden und Konditoreien warten darüber hinaus Tausende von<br />

Geschenkpaketen mit erlesenen Pralinen auf ihre Käufer. "Die Monate um Weihnachten sind für<br />

Premiumanbieter wie Lindt & Sprüngli die wichtigste Zeit im Jahr", sagt Claudia Lenz,<br />

Aktienanalystin bei der Bank Vontobel.<br />

Der Schweizer Edelchocolatier zählt zu den wenigen börsennotierten Gesellschaften, die für ein<br />

reines Schokoinvestment infrage kommen. Anleger, die darauf setzen, sollten allerdings nicht nur<br />

an die bevorstehenden Weihnachtsfeiertage denken. Ebenso wichtig sind die Preis- und<br />

Marktstrategien der Hersteller und das wirtschaftliche Umfeld. Derzeit beispielsweise freut sich die<br />

Branche darüber, dass die Kakaopreise dank guter Ernten in den Hauptanbaugebieten Westafrikas<br />

von über 2300 Pfund (1967 Euro) pro Tonne in der Spitze auf unter 1500 Pfund zurückgegangen sind.<br />

"Lindt & Sprüngli kann deshalb mit besseren Margen rechnen, auch weil das Unternehmen dank<br />

seiner starken Marktstellung in jüngster Zeit Preissteigerungen durchsetzen konnte", sagt Analystin<br />

Lenz.<br />

Allerdings: Hohe Preise für andere Rohstoffe wie Zucker oder Nüsse schlagen weiterhin zu Buche.<br />

Optimistische Anleger hoffen deshalb vor allem auf das Wachstumspotenzial. "Größter<br />

Umsatztreiber für Lindt & Sprüngli sind die angloamerikanischen Ländern, wo der Marktanteil<br />

noch ausbaufähig ist", sagt Beat Keiser, Aktienanalyst bei Cheuvreux. Angesichts der zuletzt<br />

überraschend starken US-Konsumsektors stehen die Zeichen für das Weihnachtsgeschäft dort gut.<br />

In Westeuropa dagegen haben die Schweizer nur noch begrenzt Luft nach oben. In Asien wiederum<br />

kann Lindt & Sprüngli als Edelmarke noch nicht mit den ganz großen Umsätzen rechnen.<br />

Insgesamt plant das Management mit jährlichen Wachstumsraten von sechs bis sieben Prozent.<br />

Vergleicht man das mit den früher zweistelligen Zuwächsen, ist die Aktie mit einem historisch<br />

hohen Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) von 27 auf Basis der für 2012 erwarteten Gewinne allerdings<br />

schon sehr ambitioniert bewertet. Mit einem Preis von stolzen 32.000 Schweizer Franken (25601<br />

Euro) ist die Aktie nur etwas für ausgesprochene Feinschmecker.<br />

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Wegen der relativ stabilen Nachfrage gelten die Schokoaktien als defensive Werte und waren<br />

deshalb in jüngster Zeit besonders gefragt. Auf den ersten Blick sogar noch relativ günstig erscheint<br />

bei einem KGV von sieben die Aktie des weltgrößten Schokoladenherstellers Barry Callebaut. Das<br />

Schweizer Unternehmen kann allerdings auch keinen Markennamen in die Waagschale werfen und<br />

muss mit geringeren Margen zurechtkommen. Denn die Gesellschaft erwirtschaftet den<br />

Löwenanteil ihrer Umsätze als Zulieferer für Nahrungsmittelkonzerne wie Nestlé, Kraft Foods<br />

oder den gewinn- und umsatzstarken US-amerikanischen Schokoladenspezialisten Hershey.<br />

"Barry Callebaut profitiert davon, dass immer mehr Nahrungsmittelanbieter auf das für sie<br />

kostengünstige Outsourcing der Produktion und die Innovationsfähigkeiten des Unternehmens<br />

bauen", sagt Analyst Keiser. Neues Umsatzpotenzial winkt im Schlepptau der industriellen<br />

Großabnehmer zudem aus deren Expansion nach Asien.<br />

Auch Halloren, die älteste Schokoladenfabrik Deutschlands, setzt auf Expansion. Das Management<br />

rechnet in diesem Jahr mit einem Umsatzwachstum von acht Prozent. Mit der gerade<br />

übernommenen Steenland Chocolate in den Niederlanden, die vor allem Schokomünzen für<br />

Abnehmer in Großbritannien und den USA produziert, sucht die Firma nun auch Zugang zu den<br />

internationalen Märkten. "Die Übernahme ist in dem von Konsolidierungsdruck geprägten Markt<br />

sinnvoll und könnte schon im kommenden Jahr einen positiven Beitrag zum Ergebnis liefern", sagt<br />

Alexander Langhorst, Analyst bei GSC Research. Allerdings: Auch Halloren hat unter den höheren<br />

Rohstoffkosten gelitten.<br />

Angesichts der insgesamt rückläufigen inländischen Nachfrage nach Schokolade sind die Anleger<br />

zudem vorsichtig geworden. In den nächsten Monaten könnte das Interesse an Halloren mit dem<br />

nahenden Dividendentermin aber wieder steigen. "Die Aktie lebt von der hohen<br />

Gewinnausschüttung, die derzeit zu einer Dividendenrendite von mehr als fünf Prozent führt", sagt<br />

Langhorst.<br />

Konsumlaune: Üppiger Gabentisch für Anleger<br />

Trotz schwelender Schuldenkrise lassen sich die Konsumenten das<br />

Weihnachtsfest nicht vermisen - und sind in bester Kauflaune. Anlegern<br />

winken satte Renditen.<br />

Schuldenkrise, Rezessionsängste, Hickhack um den Euro - die Konsumenten scheint das alles nicht<br />

sonderlich zu beeindrucken. Der US-Einzelhandel verbuchte am vergangenen Wochenende 16<br />

Prozent höhere Einnahmen als im Vorjahr und startete so mit einem Rekordumsatz ins diesjährige<br />

Weihnachtsgeschäft.<br />

Auch in Deutschland hat die Hoffnung auf volle Gabentische zum Fest neue Nahrung erhalten. Der<br />

von der GfK zu Wochenbeginn veröffentlichte Konsumklimaindex für Dezember stieg auf 5,6<br />

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Punkte und deutet damit auf einen Zuwachs des realen privaten Konsums im Vergleich zum<br />

Vorjahresmonat hin.<br />

Die gute Stimmung hängt nach Einschätzung von Analysten vor allem damit zusammen, dass die<br />

privaten Verbraucher trotz aller Krisen im kommenden Jahr kaum mit Einkommenseinbußen<br />

rechnen. Das zumindest bestätigt eine aktuelle Studie von Deloitte.<br />

Bei so viel Weihnachtseuphorie sollte auch für Derivateanleger etwas zu holen sein. Beispielsweise<br />

mit Papieren auf Aktien, die gewöhnlich vom Weihnachts- beziehungsweise Jahresendgeschäft<br />

stark profitieren. Zumal nun auch der Hauptverband des Deutschen Einzelhandels (HDE) sich<br />

zuversichtlich zeigt. Der Branchenverband rechnet im Weihnachtsgeschäft mit einem Umsatzplus<br />

von zwei Prozent gegenüber dem Vorjahr.<br />

Mit einer Wachstumsprognose von 2,5 Prozent zeigt sich die DZ Bank in ihrer aktuellen Studie "Xmas<br />

<strong>2011</strong>" sogar noch etwas optimistischer. Da die Aussichten in vielen anderen europäischen<br />

Ländern aufgrund der Schuldenkrise weniger rosig sind, präferieren die Analysten vor allem<br />

Unternehmen mit einem hohen Umsatzanteil in Deutschland. Auch Onlinehändler werden bei<br />

geschätzten Wachstumsraten von 20 Prozent als Profiteure des Weihnachtsgeschäfts gesehen.<br />

Mit Cewe Color, Douglas, Fielmann und Metro stehen gleich vier Aktien auf der<br />

Empfehlungsliste der DZ Bank. Vor allem bei Cewe Color (87 Prozent) und Douglas (95 Prozent) wird<br />

demnach fast der gesamte prognostizierte Jahresgewinn im Laufe des vierten Quartals erzielt. Hier<br />

hat das Weihnachtsgeschäft also einen erheblichen Einfluss auf die Ergebnisse der Konzerne. Bei<br />

Metro liegt der Anteil des vierten Quartals am erwarteten Jahres-Ebit immerhin bei knapp 60<br />

Prozent.<br />

Weitere Werte mit Potenzial<br />

Die im DAX notierte Aktie des Handelsriesen hat sich schon in den vergangenen Wochen relativ gut<br />

geschlagen. Vor allem die anhaltenden Spekulationen über einen erfolgreichen Verkauf der Tochter<br />

Kaufhof sorgten für Fantasie. Dennoch hat das Papier nach Ansicht der meisten Analysten noch Luft<br />

nach oben. Die jüngst veröffentlichten Kursziele lagen zumeist zwischen 38 und 43 Euro, was<br />

bezogen auf den aktuellen Aktienkurs (36 Euro) einen Aufschlag von sieben bis 20 Prozent bedeutet.<br />

Ähnliches Potenzial wird auch Douglas zugetraut - trotz des deutlichen Kursanstiegs zu<br />

Wochenbeginn nach einer Kaufempfehlung von Equinet. Einen deutlich stärkeren Zuwachs von<br />

rund 30 Prozent erwarten die Banken bei Cewe Color, während sich der von den Experten<br />

prognostizierte faire Wert bei Fielmann fast schon traditionell nur leicht oberhalb des derzeit<br />

gültigen Niveaus einpendelt. Gestiegen ist der Kurs der Fielmann-Aktie in den vergangenen Jahren<br />

dennoch kontinuierlich, was in Verbindung mit guten Geschäftszahlen dann jedes Mal aufs Neues<br />

zu Anhebungen des Kursziels führte.<br />

Alternativ zum klassischen Aktienkauf haben Anleger die Möglichkeit, mit Zertifikaten und<br />

Hebelprodukten alternative Strategien zu fahren. Nur bei Cewe Color wird das schwierig, weil hier<br />

momentan keine passenden Produkte angeboten werden. Bei den anderen Kandidaten können<br />

risikofreudige <strong>Investor</strong>en, die lediglich auf den schnellen Weihnachtseffekt aus sind, mit<br />

Optionsscheinen oder Knock-out-Produkten von etwaigen Kursgewinnen überproportional<br />

profitieren (siehe Tabelle). Allerdings kann der für diese Produkte charakteristische Hebeleffekt bei<br />

fallenden Kursen auch zu deutlichen Verlusten führen. Das Gleiche gilt für Alpha-Turbos, wobei<br />

Anleger bei dem Wettlauf Aktie gegen DAX nur auf die relative Performance des Dividendenpapiers<br />

zum DAX setzen. Selbst bei Kursrückgängen lassen sich so im Falle einer Outperformance der Aktie<br />

Gewinne erzielen.<br />

<strong>CAPITAL</strong> <strong>Investor</strong> <strong>Nr</strong>. <strong>49</strong>/<strong>2011</strong> www.capital.de 34


Für vorsichtigere Anleger, die sich mit einer begrenzten Renditechance zufriedengeben, die dank<br />

eines Risikopuffers aber auch bei stagnierenden oder moderat fallenden Kursen erhalten bleibt, sind<br />

Aktienanleihen, Discountpapiere oder auch Bonus-Cap-Zertifikate eine sinnvolle Alternative.<br />

Während hier bei den ersten beiden Produkttypen immer nur der Aktienkurs am Bewertungstag<br />

über die Höhe der Rückzahlung entscheidet, kann bei Bonuspapieren im Falle des Bruchs der<br />

Barriere während der Laufzeit der Bonusanspruch verloren gehen. Entsprechend höher fallen<br />

allerdings die möglichen Renditen aus.<br />

Wall Streeter: Kritik der Rating-Kritik<br />

Die Polemik gegen die Agenturen lenkt von den grundsätzlichen<br />

Problemen der Euro-Zone ab. Die Europäer müssen anfangen, Brände zu<br />

verhindern und nicht erst aktiv werden, wenn das Feuer bereits<br />

ausgebrochen ist.<br />

Die Ratingagentur Standard & Poor's (S&P) hat in dieser Woche den Ausblick für 15 Euro-Länder,<br />

darunter die Bundesrepublik, gesenkt. Nieder mit den US-Agenturen, tönte es daraufhin von Berlin<br />

bis Wien. Österreichs Nationalbankchef Ewald Nowotny vermutete gar ein politisches Komplott.<br />

Doch dann kam einen Tag später die Entwarnung: Deutschlands Topnote ist gesichert, ließ Feri Euro<br />

Ratings durchblicken. Es gibt also auch europäische Ratingagenturen. Seltsam, dass der Markt nur<br />

auf die Amerikaner zu hören scheint. Was soll die Forderung nach einer neuen eigenen<br />

europäischen Agentur? Dann können sich Europäer und Amerikaner gegenseitig ein Wettrennen<br />

liefern, wer am schnellsten den Stab über Unternehmen und Volkswirtschaften bricht.<br />

Es gibt auch ein chinesisches Pendant. Dagong Global Credit Rating stufte Mittwoch die Bewertung<br />

für italienische Staatsschulden von "A-" auf "BBB" herunter. Grund seien die miesen<br />

Wachstumsprognosen, hieß es. Ein fachmännischer Rat ist doch immer hilfreich. Wie wäre es, die<br />

Bewertung von Volkswirtschaften einfach zu verbieten? Gute Idee, aber dann nehmen sich die<br />

Agenturen halt die Finanzinstitute der betroffenen Länder vor - was S&P übrigens am Mittwoch<br />

nachgeholt hat, indem es zahlreiche Euro-Banken auf die Creditwatch-Negative-Liste setzte.<br />

Wenn Länder wie Deutschland bewertet werden, dann geschieht das übrigens auf eigene Initiative.<br />

Entsprechend muss Wolfgang Schäuble für die Bewertung auch nichts bezahlen. Anders sieht das<br />

etwa bei Gemeinden aus. Wie der Nachrichtendienst Bloomberg jüngst meldete, hat Moody's die<br />

Gebühren für Ratings der klammen Stadt West Haven in den vergangenen sechs Jahren fast<br />

verdoppelt. Aber ohne Rating ist es so gut wie unmöglich, an den Kapitalmärkten Geld<br />

aufzutreiben.<br />

Die Attacken gegen die Agenturen lenken von den grundsätzlichen Problemen ab. An den<br />

wahnwitzigen Schulden in der Euro-Zone wie in den USA tragen weder S&P noch Moody's die<br />

Schuld. Die Europäer müssen anfangen, Brände zu verhindern und nicht erst aktiv werden, wenn<br />

<strong>CAPITAL</strong> <strong>Investor</strong> <strong>Nr</strong>. <strong>49</strong>/<strong>2011</strong> www.capital.de 35


das Feuer bereits ausgebrochen ist. Deutschland hat das zur Jahrtausendwende mit einer harten,<br />

aber letztlich erfolgreichen Reform des Arbeitsmarkts vorgemacht - und dafür auch ein "AAA"<br />

erhalten.<br />

Jens Korte schreibt als Wall-Street-Korrespondent für Capital.de.<br />

<strong>CAPITAL</strong> <strong>Investor</strong> <strong>Nr</strong>. <strong>49</strong>/<strong>2011</strong> www.capital.de 36


Volatilitätsfonds: Angst als Renditebringer<br />

Fonds<br />

Spezielle Fonds wollen an den aktuell hohen Marktschwankungen<br />

verdienen. Die Produkte sehen die Fluktuationen nicht als Bedrohung für<br />

ihr Portfolio, sondern als eigene Anlageklasse. Welche Risiken es für<br />

Anleger gibt.<br />

An den Kapitalmärkten gilt: Was nicht messbar ist, wird messbar gemacht. Sogar die Angst. Als<br />

deren Messlatte gelten Volatilitätsindizes, die die erwarteten Kursschwankungen an den Märkten<br />

abbilden, oder, wie Fachleute sagen: die implizite Volatilität.<br />

Am deutschen Angstbarometer VDAX etwa lässt sich ablesen, dass Anleger derzeit weniger<br />

ängstlich sind als zu Beginn der Finanzkrise Ende 2008, aber deutlich ängstlicher als in all den<br />

Monaten seit Anfang 2009. Der Index schnellte im August um 20 Zähler auf rund 40 Basispunkte<br />

nach oben und liegt nun bei circa 35 Punkten. Kurz nach der Lehman-Pleite 2008 lag er noch bei 65<br />

Zählern. <strong>Investor</strong>en scheinen ebenso wie Analysten davon überzeugt, dass die Schwankungen an<br />

den Märkten infolge der Euro-Staatsschuldenkrise und den ungewissen Konjunkturaussichten in<br />

den nächsten Monaten auf hohem Niveau bleiben werden.<br />

Was die meisten <strong>Investor</strong>en eher abschreckt, kommt Volatilitätsfonds entgegen. Die Produkte sehen<br />

Schwankungen an den internationalen Finanzmärkten nicht als Bedrohung für ihr Portfolio,<br />

sondern als eigene Anlageklasse, die sie in der Regel mittels Optionen investierbar machen. "Die<br />

Fonds handeln die Erwartungen auf eine sich verändernde Volatilität", sagt Christopher Wolter,<br />

Analyst der Ratingagentur Feri. Für die Produkte gilt: Je stärker die Schwankungen, desto besser. In<br />

welche Richtung sich die Schwankungen am Markt bewegen, ist dabei meist egal - Hauptsache, es<br />

passiert etwas.<br />

Das heißt allerdings nicht, dass aktuell alle Volatilitätsfonds gute Ergebnisse vorzeigen können. Die<br />

Performance der Fonds weist eine ebenso große Schwankungsbreite auf wie der Markt, von dem sie<br />

profitieren wollen. Von plus drei Prozent bis minus 15 Prozent ist im laufenden Jahr alles dabei. Auf<br />

Drei-Jahres-Sicht sieht es ähnlich aus: Wo mancher Fonds beinahe plus acht Prozent pro Jahr<br />

schaffte, können andere noch nicht einmal ein Prozent im Plus vorweisen. Vola-Fonds lassen sich<br />

eben nicht über einen Kamm scheren. Denn sie verfolgen unterschiedliche, zum Teil sehr<br />

komplizierte Strategien. Das macht sie zu einem riskanten Investment.<br />

Viele Vola-Fonds benötigen klare Trends, um gute Ergebnisse zu erzielen. Deren Richtung ist zwar<br />

oft egal. Sind aber keine Trends auszumachen, bekommen die Fonds Probleme. Auch plötzliche<br />

extreme Ereignisse sind für viele Volatilitätsprodukte eher von Nachteil. Sie handeln schließlich mit<br />

den Erwartungen der Marktteilnehmer, und die können sich durch Ereignisse wie das Fukushima-<br />

Unglück im Frühjahr oder den Kurssturz im August plötzlich drastisch ändern.<br />

Die schwierige Lage am Staatsanleihenmarkt dürfte den Fonds künftig zu schaffen machen. Viele<br />

von ihnen halten Anleihen als Basisinvestment und fügen als Renditebringer eine Optionsstrategie<br />

<strong>CAPITAL</strong> <strong>Investor</strong> <strong>Nr</strong>. <strong>49</strong>/<strong>2011</strong> www.capital.de 37


hinzu. Der Anleihemarkt steht allerdings aufgrund der Euro-Krise unter Druck, die Risikoprämien<br />

steigen.<br />

Volatilität als Anlageklasse<br />

Selbst die alten Hasen unter den Vola-Fondsmanagern haben es zurzeit nicht ganz leicht. Beispiel<br />

Amundi: Das französische Investmenthaus hat sich früher und stärker als viele Konkurrenten auf<br />

Volatilität als Anlageklasse fokussiert und führt besonders viele Vola-Fonds. Diese schneiden auch<br />

zum Teil deutlich besser ab als die Produkte der Konkurrenz - hier kommt es allerdings ebenfalls auf<br />

die Strategie an.<br />

Der Amundi-Fonds, der auf die sogenannte Volatilitätsarbitrage setzt, liegt im laufenden Jahr im<br />

Minus, obwohl er als Absolute-Return-Produkt eigentlich stets positive Erträge bringen sollte. Wie<br />

die Strategie genau funktioniert, ist schwer verständlich. Der Fonds wolle sich<br />

Bewertungsunterschiede am Markt zunutze machen und von Volatilitätsarbitrage auf<br />

Aktienindizes, Einzeltitel, Zinspositionen und Wandelanleihen profitieren, sagt Amundi. "Die<br />

Strategie funktioniert gut, wenn es im Markt signifikante Verschiebungen gibt, die<br />

Arbitragemöglichkeiten hervorbringen", sagt Eric Hermitte, Leiter des Volatilitätsteams bei Amundi.<br />

Trotz aller Risiken und trotz ihrer Komplexität wird die Anlageklasse Volatilität offenbar beliebter.<br />

So hat ETF-Anbieter Lyxor im Frühjahr einen Indexfonds auf den Markt gebracht, der den<br />

Volatilitätsindex S&P 500 VIX abbildet. Dieser zeigt die erwarteten Kursschwankungen am US-<br />

Aktienmarkt. Nimmt dort die Volatilität zu, steigt auch der Kurs des ETF. Eine Mischung aus 90<br />

Prozent US-Standardwerten und zehn Prozent Volatilitätsinvestment habe von Oktober 2006 bis<br />

März <strong>2011</strong> eine um 18 Prozent höhere Rendite erzielt als das Aktieninvestment allein, warb Lyxor<br />

zum Start des passiv gemanagten Fonds.<br />

Als echte Renditebringer taugen Vola-Fonds kaum, wie der Blick auf die Performance jetzt zeigt.<br />

Stattdessen können sie aber ein Portfolio breiter aufstellen und, so widersinnig es klingen mag,<br />

dessen Volatilität reduzieren. "Es geht bei Volatilitätsfonds schließlich nicht darum, volatile Werte<br />

zu handeln", erläutert Feri-Analyst Wolter. "Der Vorteil der Produkte ist, dass sie geringe<br />

Korrelationen zu Aktien oder Renten aufweisen."<br />

Das ist das Hauptargument vieler Anbieter für ihre Vola-Fonds: Volatilität ist eine der letzten<br />

Anlageklassen mit wenig Korrelation zu anderen Werten. Die Fonds empfehlen sich so immerhin<br />

als Beimischung. Zumindest, wenn man sehr tief in die Materie einsteigt und versteht, wie sie<br />

eigentlich investieren.<br />

Filmfonds: Windiges Geschäft mit der Illusion<br />

Jahrelang steckten Anleger Millionenbeträge in boomende Medien- und<br />

Filmfonds. Nun müssen viele um die erhofften Steuervorteile bangen. In<br />

einem aktuellen Fall soll das Geld gar nicht in Filmproduktionen geflossen<br />

sein.<br />

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Es gab eine Zeit, da dominierten die Deutschen das Geschehen in Hollywood. Ende der 90er-Jahre<br />

investierten Tausende Privatanleger rund 14,2 Mrd. Euro in Filmfonds, zu Spitzenzeiten soll jeder<br />

fünfte Hollywood-Streifen mit deutschem Geld finanziert worden sein. Damit entstanden<br />

Meisterwerke wie "Herr der Ringe", aber auch Fehlbelichtungen wie ein Remake von "Rollerball".<br />

Inzwischen sind die Ereignisse um die Medienfonds einen eigenen Film wert, so vielseitig und<br />

abwechslungsreich ist deren Geschichte - und so voller Wendungen: Sie handelt von zerplatzten<br />

Träumen, von Flops an der Kinokasse und von einem Krieg zwischen dem Fiskus und den<br />

Fondsinitiatoren, in dem es um Steuernachforderungen in Millionenhöhe geht.<br />

Das jüngste Kapitel in dem Drama füllt der Initiator Hannover Leasing und dessen Konzernmutter,<br />

die Landesbank Hessen-Thüringen (Helaba). Das Emissionshaus aus Pullach hatte seinerzeit 14<br />

Medienfonds für Privatanleger aufgelegt, für acht von ihnen strich die Betriebsprüfung vor wenigen<br />

Wochen rückwirkend alle Steuervorteile, die mit solchen Produkten verbunden waren. Weil den<br />

Produktionskosten anfangs kaum Einnahmen gegenüber standen, durften Fondszeichner die<br />

Verluste voll geltend machen - wenngleich es inzwischen eine gerichtliche Auseinandersetzung<br />

zwischen Fiskus und Initiatoren gibt, ob die Schlusszahlung des Lizenznehmers an den Fonds nicht<br />

über die gesamte Laufzeit zu verteilen ist.<br />

Anlegern drohen erhebliche Steuernachforderungen<br />

Im aktuellen Fall geht es aber um Grundsätzlicheres. Die Anerkennung als Steuersparmodell setzt<br />

zunächst einmal voraus, dass das meiste Kapital in die Filmproduktion fließt. Das war nach Ansicht<br />

der Steuerfahnder bei den Medienfonds von Hannover Leasing nicht der Fall. Der Großteil des Gelds<br />

soll über mehrere Stationen hinweg bei der Helaba gelandet sein, die die Schlusszahlung des<br />

Lizenznehmers garantierte. Der Barwert der Sicherheit - so der Vorwurf - stamme letztlich vom<br />

Fonds, und damit von den Anlegern.<br />

Die Steuerfahnder gehen von einer "verdeckten Festgeldanlage" aus, das Filmgeschäft sei nur zum<br />

Schein betrieben worden. Die Beamten strichen daher die Verlustzuweisungen von 1 Mrd. Euro. Den<br />

rund 7500 Anlegern drohen nun erhebliche Steuernachforderungen.<br />

"Die Anleger sind von Anfang an getäuscht worden"<br />

Der Initiator streitet die Vorwürfe ab. Als "abenteuerlich" bezeichnet Hannover Leasing in einem<br />

Anlegerbrief die Auffassung der Steuerfahnder. Das Emissionshaus verweist zudem auf ein<br />

eingestelltes Steuerstrafverfahren. Auch die Helaba sieht die Dinge anders: Der Vorwurf, das Geld<br />

der Anleger sei nicht in die Filmproduktion geflossen, sei falsch.<br />

Den Beleg für das Gegenteil glaubt nun Wolfgang Schirp, Anwalt der Kanzlei Schirp, Schmidt-<br />

Morsbach Neusel, gefunden zu haben. Ihm liegt für den Fonds Hannover Leasing 128, der den Film<br />

"Ich bin Sam" finanziert hat, ein "Funds Flow Memorandum" vor. Das Dokument listet Zahlungen<br />

des Fonds an den Produktionsdienstleister auf, der wiederum Geld an den Lizenznehmer<br />

weiterleitet. Von ihm fließt ein Betrag von 50,7 Mio. Euro an die Helaba in Dublin, bezeichnet als<br />

Gebühr für die Schuldübernahme.<br />

"Das Dokument belegt den geschlossenen Geldkreis. Die Anleger sind von Anfang an getäuscht<br />

worden", sagt Schirp. Und die Helaba trage eine Mitverantwortung. Sie war nämlich nicht nur<br />

Sicherheitsgeberin, sondern stellte auch die Fremdfinanzierung für die Fondsanteile der Anleger.<br />

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Ihnen gegenüber hatte sie somit eine besondere Aufklärungspflicht. "Diese hat die Helaba verletzt",<br />

sagt Schirp.<br />

Die Bank streitet gar nicht ab, einen Vorschuss für den Schuldbeitritt vom Produktionsdienstleister<br />

erhalten zu haben. Die Konstruktion sei aber von mehreren Gerichten als unbedenklich eingestuft<br />

worden. Von einer "unspektakulären Liste" spricht auch Hannover Leasing. Sie enthalte lediglich<br />

eine Zusammenstellung der zu leistenden Zahlungen. Daraus lasse sich aber nicht ableiten, dass<br />

Mittel aus dem Fonds an die Helaba gegangen seien. Zudem enthalte das Dokument keine<br />

Unterschriften.<br />

Das ist ein Unterschied zu Andreas Schmid, dem Gründer der VIP-Medienfonds. Bei ihm gab es<br />

unterschriebene Zahlungsanweisungen, die den Geldkreislauf belegten. Schmid wurde inzwischen<br />

wegen Steuerhinterziehung zu sechs Jahren Haft verurteilt.<br />

Mikrofinanzfonds: Mit gutem Gewissen gewinnen<br />

Mikrofinanzprodukte fristen hierzulande ein Schattendasein. Das soll sich<br />

mit der Auflage des ersten deutschen Fonds dieser Gattung ändern. Das<br />

Renditeziel ist ehrgeizig.<br />

Lange Jahre hat es gedauert, nun geht der Fondsinitiator Invest in Visions mit dem ersten deutschen<br />

Mikrofinanzfonds an den Start. Die bestehenden Mikrofinanzfonds - allesamt in Luxemburg<br />

aufgelegt - sind hierzulande nicht zum aktiven Vertrieb zugelassen. Erst eine Änderung im<br />

deutschen Investmentrecht erlaubt es, die in Deutschland zugelassenen Mikrofinanzfonds<br />

öffentlich zu vertreiben.<br />

"Die erste Resonanz ist gut", freut sich Edda Schröder, Geschäftsführerin von Invest in Visions. Sie<br />

will mit dem Invest in Visions Microfinance Fonds mindestens 50 Mio. Euro einsammeln und ist<br />

guter Dinge, dass sie das schafft: "Gerade vor dem Hintergrund der Finanzmarktkrise kann dieses<br />

alternative Investment dem Anleger eine stabile, stetige Rendite bei niedriger Volatilität bieten",<br />

sagt Schröder. Die Zielrendite liegt bei vier Prozent pro Jahr.<br />

Mikrofinanzkredite werden vor allem in den Entwicklungsländern vergeben. Mit nur geringen<br />

Summen können sich die Menschen dort eine eigene Zukunft aufbauen. Zielgruppe der<br />

Mikrokredite sind vor allem Frauen, denen die Türen traditioneller Banken verschlossen bleiben,<br />

eben weil sie arm sind und nichts haben als ihre Arbeitskraft. Das Geld dazu bekommen sie von<br />

Mikrofinanzinstituten, auch MFIs genannt. Sie vergeben Kleinstkredite an Menschen, die sich eine<br />

wirtschaftliche Existenz aufbauen wollen. Die durchschnittliche Kredithöhe liegt bei etwa 870<br />

Dollar.<br />

Mehr als 100 Millionen Menschen nutzen bereits die Dienstleistungen der mehr als 10.000 Institute<br />

weltweit, Mikrokreditpionier Muhammad Yunus wurde für seine Idee 2006 mit dem<br />

Friedensnobelpreis geehrt.<br />

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Mit den Erfolgen kam im vergangenen Jahr aber auch Kritik an der Mikrofinanzierung auf. Die stark<br />

wachsende Branche hatte Akteure mit unterschiedlichen Motiven angezogen. Berichte über<br />

aggressive Eintreibungspraktiken von Mikrofinanzinstitutionen und Überschuldung von Kunden<br />

sorgten für weitere negative Stimmung. Mittlerweile hat sich die Situation aber wieder beruhigt.<br />

"Die Modelle sind etabliert, sie funktionieren."<br />

Gottfried Baer, Gründer und Geschäftsführer der Finanzberatung Mehrwert hält<br />

Mikrofinanzprodukte für eine insgesamt sinnvolle Anlage. "Die Modelle sind etabliert, sie<br />

funktionieren", sagt Baer. Anleger würden zudem nicht nur eine doppelte Rendite erhalten. "Dank<br />

der geringen Schwankungsbreite wird auch die Volatilität im Depot insgesamt gesenkt", sagt der<br />

Finanzberater.<br />

"Die Nachfrage ist noch lange nicht bedient", sieht Schröder Mikrofinanz weiter als<br />

Wachstumsmarkt. Laut UN und Weltbank haben weltweit immer noch weit mehr als 500 Millionen<br />

Menschen keinen Zugang zu Kapital und damit keine Möglichkeit, sich selbst aus der Armut zu<br />

befreien. Beim Management des Fonds arbeitet Schröder mit Concap Connective Capital, einer<br />

Tochter der Frankfurt School of Finance & Management zusammen. Schröders Firma berät als<br />

Initiator das Portfoliomanagement und verantwortet den Vertrieb des Fonds. Laut Analyse von<br />

Concap ist das Ausfallrisiko der Mikrofinanzkredite wegen der hohen Rückzahlungsquoten<br />

zwischen 95 und 98 Prozent sehr gering.<br />

Der Schwerpunkt der Mikrofinanzinstitute wird mit etwa 50 Prozent in Asien und 40 Prozent in<br />

Lateinamerika liegen, der Rest in Afrika. "Der Afrikaanteil soll mittelfristig auf 15 Prozent steigen.<br />

Derzeit befindet sich der Mikrofinanzmarkt dort noch im Aufbau", sagt Schröder. In Osteuropa sei<br />

dagegen die Kommerzialisierung sehr weit fortgeschritten und viel öffentliches Geld<br />

hineingeflossen.<br />

"Die Fondsidee ist eine doppelte Kreditvergabe", sagt Gerd Bennewirtz, Geschäftsführer der SJB<br />

Fondsskyline. Das Fondsmanagement vergebe das Kapital aus der Geldanlage der <strong>Investor</strong>en an<br />

ausgesuchte Mikrofinanzinstitute weltweit. Die wiederum vergeben Mikrofinanzkredite an<br />

Kreditnehmer. "Für Anleger liegt der Reiz des Investmentthemas Mikrofinanzkredite und in der<br />

doppelten Diversifikation", sagt Bennewirtz. Aufgrund der niedrigen Korrelation zum Finanzmarkt<br />

und der breiten Streuung der Mikrofinanzkredite würden sich Produkte wie der Invest in Visions<br />

Mikrofinanzfonds besonders als Baustein zur Diversifizierung des Portfolios eignen.<br />

Der Nachteil an den Produkten ist die mangelnde Liquidität: Viele Mikrofinanzfonds kann man<br />

nicht wie klassische Investmentfonds täglich, sondern nur einmal im Monat oder sogar noch<br />

seltener wieder verkaufen. Auch aus diesem Grund nehmen einige Fondsplattformen die Produkte<br />

nicht in ihr Fondsuniversum auf.<br />

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Dennoch: "Wir beobachten bei unseren Veranstaltungen großes Interesse an dem Thema<br />

Mikrofinanz", sagt Heidi Geisler, eine der beiden Gründerinnen der Finanzinitiative Geld mit Sinn<br />

aus München. Allerdings sei zum Teil erhebliche Aufklärungsarbeit zu leisten, denn für viele<br />

<strong>Investor</strong>en ist das Thema offenbar Neuland. Geisler erwartet, dass der erste Mikrofinanzfonds nach<br />

deutschem Recht die Nachfrage anheizen wird - allerdings erst nach einer gewissen Zeit. "Viele<br />

Anleger werden wahrscheinlich abwarten, wie sich der Fonds entwickelt." Wenn der Fonds die<br />

anvisierten vier Prozent Rendite pro Jahr erziele, werde das für viele ein Grund sein sich zu<br />

beteiligen. "Für Anleger, die nachhaltig und sinnvoll investieren und die mit ihrem Geld Gutes tun<br />

wollen, ist Mikrofinanz eine gute Möglichkeit", sagt Geisler. "Allerdings würde ich ein Investment in<br />

Mikrofinanzprodukte immer nur als Beimischung im Portfolio sehen."<br />

Imageproblem: Anleger meiden geschlossene Fonds<br />

Die Anbieter von Beteiligungsmodellen haben erhebliche<br />

Platzierungsprobleme. Zahlreiche Insolvenzen belasten das Image der<br />

Branche.<br />

Initiatoren geschlossener Fonds haben erhebliche Probleme, Anleger für ihre Beteiligungsmodelle<br />

zu gewinnen. Das zeigt eine aktuelle Studie der Ratingagentur Scope. Danach konnten die<br />

Emissionshäuser in den ersten drei Quartalen dieses Jahres mit 2,53 Mrd. Euro nur 58 Prozent des<br />

benötigten Eigenkapitals von insgesamt 4,34 Mrd. Euro am Markt platzieren. "Das Angebot<br />

übertrifft in weitem Umfang die Absatzfähigkeit", sagt Scope-Chefanalyst Steffen Möller.<br />

Die Zahlen zeigen, dass die Branchenprodukte nicht von der durch die Euro-Krise ausgelöste Flucht<br />

in Sachwerte profitieren können. Aus Angst vor einer Geldentwertung haben Anleger vor allem<br />

massiv in Mietwohnungen investiert.<br />

Nach einer neuen Studie des Immobilienverbands Deutschland (IVD) Nord verteuerten sich etwa in<br />

Hamburg Eigentumswohnungen in einfachen Lagen in den vergangenen zwölf Monaten um mehr<br />

als 20 Prozent, in guten und mittleren Lagen um zehn Prozent. "Die Zeit der Schnäppchen ist<br />

definitiv vorbei", sagt Axel Kloth, Vorsitzender des IVD Nord.<br />

Initiatoren geschlossener Immobilienfonds konnten jedoch kaum Nutzen aus diesem Trend ziehen.<br />

Nach Scope-Berechnungen erzielten die Emissionshäuser in diesem Teilsegment zwar eine<br />

überdurchschnittliche Platzierungsquote von 63 Prozent. Unter dem Strich fehlen den Anbietern<br />

damit jedoch immer noch rund 904 Mio. Euro an erwartetem Kapital.<br />

Bei Schiffsfonds konnten gar nur 44 Prozent des angepeilten Volumens gewonnen werden. Bei<br />

Beteiligungen, die in Solar- und Windkraftanlagen investieren, beträgt die Platzierungsrate<br />

lediglich 40 Prozent.<br />

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Gründe für die Absatzprobleme<br />

Nur Anbieter von Leasing- und Flugzeugfonds konnten mit 344 Mio. Euro unter dem Strich mehr<br />

Kapital einwerben, als an neuem Fondsvolumen mit 285 Mio. Euro angeboten wurde. "In diesem<br />

Marktsegment konnten die Emissionshäuser bestehendes Überangebot aus dem Vorjahr<br />

reduzieren", sagt Möller.<br />

Experten führen die Absatzprobleme auch auf die negativen Nachrichten aus der Branche zurück.<br />

Geschlossene Fonds nehmen zur Finanzierung ihrer Investments zusätzlich Kredite auf. "Das<br />

beschert Fonds regelmäßig Probleme, wenn die Erträge nicht ausreichen, um die Darlehen zu<br />

bedienen", sagt Niels Nauhauser, Finanzexperte der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg.<br />

Zahlreiche Immobilienfonds und einst namhafte Emissionshäuser wie die Münchner Falk Capital<br />

mussten deshalb Insolvenz anmelden. In jüngster Zeit sind durch den Einbruch der Charterraten<br />

mehr als ein Drittel aller Schiffsfonds in schwere See geraten. Anleger leisteten bereits in vielen<br />

Fällen Nachschüsse. Für eine Reihe von Beteiligungsmodelle war die Insolvenz dennoch nicht zu<br />

vermeiden.<br />

Am Zweitmarkt der Fondsbörse Deutschland fiel deshalb der Anteilspreis von Schiffsfonds im<br />

November weiter. "Beteiligungen an Containerfrachtern verbilligten sich im Schnitt um 12,2 Prozent<br />

gegenüber dem Vormonat", sagt Alex Gadeberg, Vorstand der von den Börsen Hamburg, Hannover<br />

und München betriebenen Handelsplattform. Tankeranteile verloren 10,9 Prozent, Bulker 3,28<br />

Prozent.<br />

Rentenfonds: Wagemut gilt als Gebot der Stunde<br />

<strong>Investor</strong>en, die mit Rentenanlagen Geld verdienen wollen, müssen<br />

momentan höhere Risiken eingehen. Denn risikoarme Zinsen gleichen<br />

nicht einmal mehr die Inflation aus.<br />

Höhere Zinsen bei mehr Risiko, dafür bieten Festverzinsliche drei Stellschrauben: Entweder, man<br />

investiert in höher verzinste Papiere, die längere Laufzeiten aufweisen. Damit kauft man sich ein<br />

Zinsänderungsrisiko ein, da Langläufer bei steigenden Zinsen besonders stark leiden. Oder man<br />

kauft Anleihen schlechterer Schuldner, die ebenfalls höhere Zinsen bieten - um den Preis des<br />

höheren Ausfallrisikos. Der dritte Weg schließlich wäre: Man spekuliert in Ländern, in denen<br />

Gläubiger im Schnitt höhere Zinsen erhalten. Hier bedrohen dann Wechselkursverluste die höheren<br />

Fremdwährungsrenditen.<br />

Das aktuelle Morningstar-Rating der Fonds, die das Geld ihrer <strong>Investor</strong>en ausschließlich in<br />

Schwellenländeranleihen anlegen, liefert Anschauungsmaterial für alle drei Strategien:<br />

Währungsrisiken gehen aus Sicht von Euro-<strong>Investor</strong>en alle Manager ein.<br />

Denn entweder landet das Geld in Anleihen auf US-Dollar, der Weltleitwährung. Oder es steckt gar<br />

in Anleihen lokaler Währungen, was zusätzliche Schwankungen bewirkt. Bonitätsrisiken sind<br />

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ebenfalls Teil aller Schwellenländer-Rentenfonds, weil Anleihen mit Topratingnoten in Asien,<br />

Südamerika, Afrika und Osteuropa gar nicht verfügbar sind.<br />

Das Spiel mit unterschiedlich langen Laufzeiten schließlich beherrscht ohnehin jeder<br />

Rentenfondsmanager. Und in den vergangenen Jahren sorgte die Anlage in Langläufer sogar für<br />

hübsche Zusatzrenditen. Denn die Zinsen stiegen ja nicht, sondern sanken tendenziell weltweit.<br />

Die herausragenden Renditen der vergangenen drei Jahre - die besten zehn Fonds im Vergleichsfeld<br />

legten jährlich wischen 17 und 23 Prozent zu - sind ein Ergebnis aller Faktoren. Wie ein zusätzlicher<br />

Hebel wirkte die Tatsache, dass Ende 2008 die Anleihemärkte am Boden lagen. Für Anleger, die<br />

damals eingestiegen sind, ist das Ergebnis überaus erfreulich. Allerdings ist nur schwer zu<br />

entschlüsseln, woher die größten Gewinne wirklich stammen. Und selbst wenn dies gelänge:<br />

Welche der Strategien künftig die meisten Früchte tragen wird, ließe sich daraus auch nicht ablesen.<br />

Auch unter den Managern der Top-Fonds gehen die Meinungen in dieser Frage auseinander. So<br />

orientieren sich die Fonds mehrheitlich am Leitindex JPM EMBI Global Diversified, der als reiner<br />

Hartwährungsindex von US-Dollar-Anleihen dominiert wird. Die Fonds von Aberdeen, ACM<br />

Bernstein und Pictet sind fast reine Dollar-Investments. Andererseits hält der Fonds von Legg Mason<br />

17 Prozent in Nicht-Dollar-Anleihen.<br />

Hier liegen unter anderem Papiere auf brasilianische Real, mexikanische Peso, indonesische Rupie<br />

und auf den malaysischen Ringgit im Depot - vier Länder, die derzeit in fast allen Depots zu den<br />

Lieblingen zählen. Templeton geht noch offensiver vor und hat über die Hälfte des Kapitals in<br />

Schwellenländerwährungen investiert. Das Geld aus dem Dexia-Fonds wiederum steckt zu fast<br />

einem Drittel in Euro-Anleihen. Das vermindert aus Sicht hiesiger Anleger Wertschwankungen.<br />

Einheitlicher verfahren die Manager beim Bonitätsmanagement: So stecken in den Fonds 40 bis 50<br />

Prozent Schuldtitel des Ratings "BBB", einer Note, die noch als Investmentgrade durchgeht, also als<br />

nicht allzu spekulative Anlageform. Nur 15 bis 20 Prozent weisen die weitaus schwächere Rating-<br />

Note B auf.<br />

Die Frage, wie viel Geld an solche riskanten Schuldner fließt, interessiert inzwischen nicht mehr nur<br />

Schwellenländer-Manager. So hofft Griechenland nach der Umschuldung auf die Ratingnote "B" -<br />

derzeit steht der Pleitestaat im "CCC"-Bereich, kurz vor dem Totalausfall. Und Portugal und Irland<br />

sind nur noch für "BBB"-Ratings gut.<br />

Schwellenländer: Nebenwerte aus China<br />

Der Aufstieg Chinas beflügelt die Fantasie vieler <strong>Investor</strong>en, die vom<br />

Wachstum im Reich der Mitte profitieren wollen. Darauf spekuliert der<br />

Fondsanbieter Nestor mit dem Nestor China Fonds. Der investiert das Geld<br />

der Anleger in Aktien kleiner und mittelgroßer chinesischer Unternehmen.<br />

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„Wer vom hohen Wachstum Chinas profitieren will, sollte vor allem in ausgewählte Aktien jenseits<br />

der großen Indexwerte investieren“, sagt Portfoliomanagerin Anna Ho. Ihrer Erfahrung nach sei es<br />

bei Papieren kleiner Unternehmen besonders leicht, mit einem aktiven Management zu punkten.<br />

Diese Linie verfolgt Nestor bei seinen Investments grundsätzlich. Die Fonds des Anbieters<br />

orientieren sich nicht an der Zusammensetzung eines Index, sondern die Manager versuchen,<br />

besonders vielversprechende Titel zu identifizieren, bevor andere <strong>Investor</strong>en auf sie aufmerksam<br />

werden.<br />

Bei der Aktienauswahl geht Portfoliomanagerin Ho, die noch einen weiteren Nestor-<br />

Schwellenländerfonds verwaltet, folgendermaßen vor: Zunächst identifiziert sie langfristige Trends,<br />

die die chinesische Wirtschaft künftig stark beeinflussen werden. Dazu zählt für Ho zum Beispiel<br />

der Aufstieg vieler Chinesen in die Mittelschicht, was mit einem Anstieg der Nachfrage nach<br />

Konsumgütern und Bildung einhergeht. Weitere Trends sind die mit der Alterung der Gesellschaft<br />

verbundene steigende Nachfrage nach Gesundheitsleistungen sowie das zunehmende Engagement<br />

Chinas im Umweltschutz. In einem zweiten Schritt versucht Ho, Unternehmen zu finden, die von<br />

diesen Trends besonders profitieren könnten. Dazu trifft sie sich pro Jahr mit rund 100 Managern<br />

chinesischer Firmen.<br />

Das Portfolio soll sich aus 30 bis 40 Aktien zusammensetzen. Da die Liquidität vieler Nebenwerte<br />

gering ist, besteht die Gefahr von Kursabstürzen, sobald sich der Fonds aus einzelnen Positionen<br />

zurückzieht. Die Managerin hat deshalb Liquiditätsregeln für die Papiere aufgestellt, in die sie<br />

investiert. Ziel ist es, jederzeit in der Lage zu sein, zehn Prozent der Bestände innerhalb eines Tages<br />

und 25 Prozent innerhalb von fünf Tagen zu verkaufen. Zudem darf der Fonds nicht mehr als acht<br />

Prozent an einem Unternehmen halten.<br />

Trotz der strengen Vorgaben gehen Anleger mit dem neuen Fonds erhebliche Risiken ein. Das gibt<br />

auch Nestor zu: Während die Kurse von Nebenwerten in guten Börsenzeiten überdurchschnittliche<br />

Kursgewinne versprechen, neigen die Anteilscheine kleiner Unternehmen in Krisen dazu, stärker<br />

abzustürzen als Papiere großer Konzerne. Ohnehin bergen Schwellenländermärkte nach wie vor<br />

größere Risiken als die Aktienmärkte von Industriestaaten. Wie stark die Kurse chinesischer Aktien<br />

in den vergangenen Jahren geschwankt haben, zeigt ein Blick auf den Aktienindex MSCI China.<br />

Hinzu kommt, dass sich die Konjunktur in China gerade dramatisch einzutrüben droht. Wer das<br />

Risiko dennoch eingehen will, zahlt für die Verwaltung des neuen Nestor-Fonds pro Jahr eine<br />

üppige Gebühr.<br />

<strong>CAPITAL</strong> <strong>Investor</strong> <strong>Nr</strong>. <strong>49</strong>/<strong>2011</strong> www.capital.de 45


Eurokrise: Das Gespenst der Kreditklemme<br />

Banken & Zinsen<br />

Die wichtigsten Zentralbanken der Welt haben den Banken den Zugang<br />

zum Dollar verbilligt. Sie sorgen sich wegen der stockenden<br />

Bargeldversorgung und befürchten deshalb eine Kreditklemme. Doch es<br />

gibt noch ein ganz anderes Problem.<br />

Die Angst vor der Kreditklemme geht um. Sie hat vor allem zwei Ursachen: Zum einen die<br />

europäische Staatschuldenkrise und zum anderen die neuen Eigenkapitalrichtlinie für Banken.<br />

Beide Geschichten drehen sich um ein Kernthema: Den Zugang der Banken zu frischem Geld.<br />

Kriegen die institute kein Kapital, können sie es auch nicht weitergeben<br />

Durch die europäische Schuldenkrise ist das Misstrauen der Banken untereinander gewachsen. Dies<br />

hat dazu geführt, dass sie sie sich selbst nur noch ungern Geld leihen. Die Risikoaufschläge für<br />

unbesicherte Interbankenkredite am Geldmarkt sind auf Rekordständen.<br />

Die wichtigsten internationalen Notenbanken haben deshalb am Donnerstag in einer<br />

konzentrierten Aktion den Banken den Zugang zum Dollar verbilligt. Damit wollen sie den<br />

Geldhäusern die Refinanzierung erleichtern. Dennoch wird eine Kreditklemme kaum zu verhindern<br />

sein.<br />

Denn sollte sich die Staatsschuldenkrise weiter verschärfen, dürften die<br />

Refinanzierungsbedingungen noch schlechter werden und auch das Misstrauen weiter zunehmen.<br />

Warum einer Bank Geld leihen, wenn ich nicht weiß, ob sie morgen noch existiert? Vor allem die<br />

Banken aus den Krisenländern haben dies zu spüren bekommen. So hängen etwa die griechischen<br />

Banken vollständig am Tropf der Europäischen Zentralbank (EZB). Lediglich die Finanzierung durch<br />

die Frankfurter Währungshüter hält sie am Leben.<br />

Als großes Problem hatte sich dabei zuletzt vor allem der Zugang zum Dollar entpuppt. Er ist immer<br />

noch die Weltleitwährung, viele Geschäfte werden in der US-Valuta abgewickelt. Zuletzt hatten sich<br />

viele US-Banken und Geldmarktfonds aus dem Geschäft mit europäischen Banken zurückgezogen<br />

und damit deren Zugang zur US-Währung erschwert. Durch die Vereinbarung der Notenbanken<br />

vom Mittwoch wird der Zugang für die Finanzinstitute über die Zentralbanken nun günstiger und<br />

einfacher, das Grundproblem wird aber nicht beseitigt.<br />

Das Problem des Eigenkapitals<br />

Analysten hatten das Vorgehen der Notenbanken begrüßt. Es sei gut, dass man die Probleme auf<br />

dem Geldmarkt jetzt angehe, sagte Max Holzer von Union Investment. "Das Signal kommt jetzt<br />

genau zur richtigen Zeit." Postbank-Chefvolkswirt Marco Bargel sagte , die Notenbanken wollten vor<br />

allem eine neue Liquiditätskrise abwenden, die nach der Lehmann-Pleite vor drei Jahren das globale<br />

Finanzsystem lähmte. "Die Notenbanken stehen Gewehr bei Fuß. Jegliche Anzeichen einer<br />

<strong>CAPITAL</strong> <strong>Investor</strong> <strong>Nr</strong>. <strong>49</strong>/<strong>2011</strong> www.capital.de 46


Liquiditätskrise werden mit allen Mitteln bekämpft. Wenn Verspannungen auftreten, werden sie<br />

nachschießen." Japan signalisierte bereits, dass die Aktion nicht zwingend singulär bleiben muss.<br />

Als zweites Problem erweisen sich aber die neuen Kapitalvorschriften, wonach die Geldhäuser eine<br />

höhere Eigenkapitalquote aufweisen müssen. Um diese zu erreichen, schrumpfen die Banken<br />

teilweise ihr Geschäft oder vergeben restriktivere Kredite. Peter Bofinger, Mitglied des<br />

Sachverständigenrats zur Beurteilung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, beklagte gegenüber<br />

Börse Online genau diese Eigenkapitalproblematik. Von den Banken werde gefordert, dass sie Ihr<br />

Eigenkapital erhöhen. Sie bekämen aber im gegenwärtigen Umfeld kein neues Eigenkapital, also<br />

verkleinern sie ihre Bilanzen.<br />

"Die Europäische Bankenaufsicht verschärft das Problem jetzt noch, indem sie fordert,<br />

Staatsanleihen müssten künftig ebenfalls mit Eigenkapital unterlegt werden, was bisher nicht der<br />

Fall war", sagte der Ökonom dem FTD-Schwestermagazin. Dadurch werde die Gefahr einer<br />

Kreditklemme immer größer.<br />

Konjunkturelle Faktoren<br />

Noch ist in Deutschland keine Kreditklemme zu erkennen. So schrieb die deutsche Bundesbank<br />

noch in ihrem Monatsbericht für September, dass es keine Anhaltspunkte dafür gebe, dass "die<br />

schwache und zögerliche Erholung der Buchkredite im konjunkturellen Aufschwung als<br />

außergewöhnlich oder gar besorgniserregend zu bezeichnen" sei. Zwar sei das Kreditvolumen<br />

niedrig, aber liege im Rahmen des langfristigen Wachstums. Zudem sei es nicht auf eine<br />

Zurückhaltung der Banken zurückzuführen, sondern auf nachfrageseitige und konjunkturellen<br />

Faktoren. Die Bank kommt zu dem Schluss für das zweite Quartal, dass die "Staatsschuldenkrise<br />

bisher keine erkennbaren Spuren im Kreditvergabeverhalten der deutschen Banken hinterlassen"<br />

habe, eine Einschätzung, die sie im Novemberbericht noch einmal wiederholte.<br />

Banken exportieren die Schuldenkrise<br />

Deutsche Unternehmen machen sich aber bereits Sorgen. So sagte der Hauptgeschäftsführer des<br />

Deutschen Industrie- und Handelskammertag (DIHK) Martin Wansleben der "Neuen Osnabrücker<br />

Zeitung", aktuell gebe es keine Kreditklemme. Aber er warnte vor Risiken. Zum einen werde es auch<br />

für die hiesigen Banken nicht leicht sein, frische Mittel zu bekommen und das Eigenkapital zu<br />

erhöhen. Zum anderen könnten sich die Probleme im europäischen Ausland auf die deutschen<br />

Exporte auswirken. Dies gelte besonders dann, wenn deutsche Banken beim Finanzierungsgeschäft<br />

in von Insolvenz bedrohten Ländern einspringen, sagte Wansleben.<br />

Auch die KfW äußert sich derzeit vorsichtig. "Von einer Kreditklemme sind wir meilenweit<br />

entfernt", sagte der Chefvolkswirt der staatlichen Förderbank KfW, Norbert Irsch, bei der<br />

Vorstellung des "KfW-Mittelstandspanel <strong>2011</strong>". "Aber die Bedingungen werden schwerer." Das<br />

könnte dann vor allem innovative Unternehmen und riskantere Projekt von größeren Firmen<br />

treffen. Zwar müssten sich die Mittelständler darauf einstellen, dass sie im kommenden Jahr<br />

schwerer an Bankkredite kämen als 2010 und <strong>2011</strong>. Doch eine Kreditklemme sei nur in dem nach<br />

Ansicht der KfW unwahrscheinlichen Fall denkbar, dass es etwa gleichzeitig zu einer ungeordneten<br />

Insolvenz Griechenlands käme und die Banken die Kreditvergabe im Zuge ihrer schärferen<br />

Regulierung (Basel III) einschränkten.<br />

Genau dafür sieht der Gouverneur der Bank of England, Mervyn King aber bereits erste Anzeichen.<br />

Im Finanzstabilitätsbericht der britischen Notenbank heißt es: "Die aktuellen<br />

Refinanzierungsprobleme der Banken könnten zu verschärften Kreditbedingungen für die<br />

Realwirtschaft führen."<br />

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Die Furcht wächst aber, dass die europäischen Banken ihre Probleme exportieren. Denn es gilt<br />

generell, dass zuerst das eventuell riskante Geschäft im Ausland abgebaut wird und nicht das im<br />

Heimatland. Die Commerzbank hat ihr Kreditneugeschäft ohne Bezug zu Deutschland und Polen<br />

eingestellt, die Hypovereinsbank will das Volumen der ausstehenden Kredite bis zum Jahr 2015 von<br />

derzeit 100 auf 80 Mrd. Euro reduzieren. In den vergangenen Jahren sind die großen europäischen<br />

Banken vor allem in Schwellenländern gewachsen. Spanische und französische Institute sind vor<br />

allem in Asien aktiv, von dort wird bereits über höhere Finanzierungskosten für Unternehmen<br />

berichtet.<br />

Die OECD und das Wiener Institut für Weltwirtschaft warnten in den letzten Tagen, dass vor allem<br />

Osteuropa unter einer zurückhaltenden Kreditvergabe leiden wird. Diese könnte die momentan sich<br />

noch selbst tragende Wirtschaftsentwicklung empfindlich bremsen. Hatte das Kreditwachstum bis<br />

Anfang 2009 noch 20 bis 60 Prozent pro Jahr betragen, stagniert es derzeit, in den baltischen<br />

Staaten gehe das absolute Kreditvolumen sogar zurück. Der osteuropäische Finanzmarkt wird von<br />

den großen westeuropäischen Banken beherrscht.<br />

Staatsanleihen: Aus Europa flüchten - aber richtig<br />

Anleihen aus Schwellenländern sind derzeit eine interessante Alternative<br />

zu Euro-Papieren. Das gilt aber nicht für alle. Capital.de trennt die Spreu<br />

vom Weizen.<br />

Die Euro-Zone hat zurzeit etwas von einer ansteckenden Krankheit: Der nächste Hustenanfall<br />

könnte eine Herabstufung eines Landes sein, wie sie jüngst Belgien getroffen hat. Die Ratingagentur<br />

Standard & Poor's (S&P) hat das Land von "AA+" auf die Note "AA" heruntergesetzt. Belgien muss<br />

nun höhere Zinsen für seine kurzfristigen Staatsanleihen zahlen.<br />

Noch finden angeschlagene Länder zwar genügend Käufer für ihre Schuldtitel. Fondsgesellschaften<br />

nehmen aber vorsorglich Staatsanleihen aus Schwellenländern in den Fokus, sollte die Besorgnis<br />

der europäischen Anleger die Freude über die Rekordzinsen verdrängen. "Schwellenländeranleihen<br />

werden von der Krise der Euro-Randstaaten und deren Anleihenmärkten profitieren", ist beim<br />

Investmenthaus First State zu hören, das kürzlich einen neuen Schwellenländer-Rentenfonds<br />

aufgelegt hat.<br />

Die aufstrebenden Märkte haben gegenüber der Euro-Zone jetzt einen entscheidenden Vorteil: Sie<br />

plagt keine Schulden- und Währungskrise. Fundamental stehen die meisten Schwellenländer gut<br />

da: Die Verschuldung ist niedrig, die Wachstumsaussichten sind gut. "Viele Schwellenländer sind<br />

fiskalpolitisch besser aufgestellt als beispielsweise Portugal", sagt Torsten Hähn, Rentenanalyst der<br />

WGZ Bank. "Es ist eine sinnvolle Entscheidung, auf Anleihen aus Schwellenländern auszuweichen."<br />

Anleger sollten trotzdem vorsichtig sein und genau darauf achten, wo ein Fonds investiert. In<br />

manchen Ländern der Euro-Zone mag ein Investment in Staatsanleihen derzeit zwar riskanter sein<br />

<strong>CAPITAL</strong> <strong>Investor</strong> <strong>Nr</strong>. <strong>49</strong>/<strong>2011</strong> www.capital.de 48


als ein Engagement in Schwellenländern - das bedeutet aber nicht, dass Letztere im Umkehrschluss<br />

nur Chancen bieten. "In den meisten Schwellenländern gibt es zwar keine Schuldenkrise wie in<br />

Europa, dafür aber möglicherweise andere Probleme", sagt Hähn. Dazu zählten beispielsweise<br />

politische Unruhen oder drohende Naturkatastrophen. "Anleger sind jetzt nicht etwa von der Pflicht<br />

entbunden, eine Bonitätsprüfung vorzunehmen", sagt Hähn.<br />

Aufstrebende Volkswirtschaften gelten immer noch als riskantes Investment. Rentenfonds mussten<br />

hier im September herbe Rückschläge hinnehmen. Nach den Kursstürzen am Aktienmarkt im<br />

August zogen Anleger Kapital ab, die Anleihekurse gerieten unter Druck. "Die Bewegungen haben<br />

sich aber im Oktober und November beruhigt. Wir sehen zurzeit kaum Abflüsse, sondern moderate<br />

Zuflüsse", sagt Michael Mewes, Leiter des Anleiheteams bei JP Morgan Asset Management.<br />

<strong>Investor</strong>en interessierten sich zurzeit vor allem für Schwellenländeranleihen, die in Hartwährungen<br />

notieren. Zu Recht, meint Mewes: Papiere in lokalen Währungen bieten zwar teilweise höhere<br />

Liquidität, unterliegen aber deutlich höheren Risiken als Anleihen in Euro oder Dollar.<br />

Risiken der Schwellenländeranleihen sinken sukzessive<br />

Auch bei JP Morgan rät man zur Vorsicht. "Im Großen und Ganzen stehen die Schwellenländer jetzt<br />

fundamental besser da als viele europäische Staaten", sagt Mewes. "Man muss aber differenzieren.<br />

Ein Investment in Emerging Markets ist kein Free Lunch." Osteuropa beispielsweise betrachtet der<br />

Anleihespezialist mit Skepsis.<br />

Insbesondere Ungarn und Weißrussland litten zurzeit unter wirtschaftlichen Problemen. "Wir<br />

fühlen uns am wohlsten mit Ländern, die weit von der Euro-Zone entfernt liegen", sagt Mewes.<br />

Dazu zählt er vor allem lateinamerikanische Staaten. "Sie sind unter Ertrags- und Risikoaspekten am<br />

fairsten bewertet." Auch in Asien gibt es interessante Möglichkeiten für Rentenfondsmanager.<br />

"Aber die Märkte sind nicht mehr preiswert."<br />

Immerhin: Die Risiken der Schwellenländeranleihen sinken sukzessive. "Schon jetzt weisen rund 70<br />

Prozent der Titel in unserer Benchmark, dem Emerging-Market-Bond-Index von JP Morgan, den<br />

Investmentgrade-Status auf", sagt Luis-Filipe Martins, Manager eines Emerging-Markets-<br />

Rentenfonds beim Investmenthaus Fidelity. "Das zeigt, wie gut sich die Schwellenländer bisher<br />

entwickelt haben." Martins geht davon aus, dass in zwei Jahren rund 80 Prozent der Papiere im<br />

Vergleichsindex ein Investmentgrade-Rating haben werden, also mindestens die Note "BBB" von<br />

S&P beziehungsweise "Baa" von Moody's.<br />

Da zugleich die Bonitäten in den entwickelten Staaten sinken, wie zuletzt in Ländern der Euro-Zone<br />

infolge der Schuldenkrise, schließt sich die Risikoschere zwischen Industrie- und Schwellenländern<br />

immer schneller. Das belegt auch eine Studie von Goldman Sachs Asset Management. Danach sind<br />

die Zinsaufschläge auf Staatsanleihen vieler lateinamerikanischer und asiatischer Länder<br />

erkennbar zurückgegangen. Aus guten Gründen: Die Staaten sind im Schnitt solventer geworden,<br />

und vor Ort haben sich liquide Rentenmärkte etabliert - und mit ihnen eine entsprechende<br />

Kreditkultur.<br />

<strong>CAPITAL</strong> <strong>Investor</strong> <strong>Nr</strong>. <strong>49</strong>/<strong>2011</strong> www.capital.de <strong>49</strong>


Auch Fidelity-Manager Martins bevorzugt jetzt lateinamerikanische Papiere, etwa Staatsanleihen<br />

aus Venezuela. Von Lokalwährungsanleihen hält auch er sich eher fern, weil Devisen von der<br />

Unruhe an den Märkten besonders stark betroffen seien. Martins setzt hauptsächlich auf Anleihen,<br />

die in Dollar notieren. Selbst Schwellenländerfonds können es sich nicht leisten, die Euro-Krise zu<br />

ignorieren: "Die Entwicklung in Europa ist der Katalysator für weitere Kauf- und<br />

Verkaufsentscheidungen", sagt Martins.<br />

Pfändungsschutz: Zoff um geplante P-Konten<br />

Wenn Bankkunden eine Pfändung droht, gibt es einen besonderen Schutz.<br />

Doch das künftig dafür gedachte P-Konto sorgt für Unruhe: Politik und<br />

Verbraucherschützer prangern zu hohe Abgaben an die Geldhäuser an. Eine<br />

Bestandsaufnahme.<br />

Es soll eine Extra-Absicherung sein, wenn Kunden in große finanzielle Schwierigkeiten geraten.<br />

Doch ausgerechnet von ihnen kassieren manche Banken und Sparkassen auch noch happige Extra-<br />

Gebühren, wie Bundesverbraucherministerin Ilse Aigner (CSU) kritisierte. Das neue<br />

Pfändungsschutzkonto (P-Konto) ist kurz vor dem wichtigen Stichtag 1. Januar 2012 wieder in die<br />

Diskussion geraten.<br />

Was ändert sich zum Jahreswechsel?<br />

Schon seit Juli 2010 können Bankkunden ihr Konto in ein P-Konto umwandeln lassen. Dort ist das<br />

Existenzminimum von monatlich 1028,89 Euro automatisch vor Pfändungen sicher. Noch gibt es<br />

daneben auch bei normalen Konten einen besonderen Schutz für Sozialleistungen: Rente,<br />

Kindergeld oder Hartz-IV-Zahlungen können Kunden bisher innerhalb von 14 Tagen nach dem<br />

Eingang abheben, auch wenn schon eine Pfändung läuft. Doch diese Sonderregelung endet am 31.<br />

Dezember <strong>2011</strong>.<br />

Weshalb gibt es Ärger?<br />

Für das P-Konto haben viele Institute spezielle Konditionen bei Preis und Leistungen festgesetzt -<br />

zum Ärger von Verbraucherschützern und quer durch die politischen Lager. "Das P-Konto in seiner<br />

jetzigen Form ist sozial ungerecht", beklagt die Linke. Und Ministerin Aigner moniert: "Es ist nicht<br />

akzeptabel, dass gerade von finanzschwachen Verbrauchern unverhältnismäßig hohe<br />

Kontoführungsgebühren verlangt werden." Tatsächlich mahnte der Verbraucherzentrale<br />

Bundesverband (vzbv) schon im Frühjahr eine Reihe von Banken und Sparkassen ab. Der Vorwurf:<br />

enorm hohe Gebühren von bis zu 15 Euro im Monat.<br />

<strong>CAPITAL</strong> <strong>Investor</strong> <strong>Nr</strong>. <strong>49</strong>/<strong>2011</strong> www.capital.de 50


Was wird noch kritisiert?<br />

"Viele Banken sehen die Kreditwürdigkeit infrage gestellt, sobald ein Kunde ein P-Konto einrichtet",<br />

kritisieren Verbraucherschützer. Konkret kann das bedeuten, dass keine Kreditkarte ausgegeben<br />

wird oder Daueraufträge, Dispokredite und Funktionen beim Online-Banking nicht wie gewohnt<br />

möglich sind.<br />

Was sagt die Bankenbranche?<br />

"Die Kontoführungsentgelte von P-Konten bilden sich im Markt", heißt es bei der Deutschen<br />

Kreditwirtschaft als Dachorganisation von Privatbanken, Sparkassen und Genossenschaftsbanken.<br />

Und da herrsche ein sehr intensiver Wettbewerb, was positiv für die Kunden sei. Die Umstellung auf<br />

die P-Konten sei zudem kostenlos. Schon seit Monaten weist die Branche darauf hin, dass sich<br />

betroffene Kunden rechtzeitig vor Jahresende um ihren Pfändungsschutz kümmern sollten. Bis in<br />

den Sommer hatten 450 000 Kunden P-Konten eingerichtet. Mittlerweile dürften es nach<br />

Experteneinschätzung mindestens 800 000 sein.<br />

Insolvenzplan abgesegnet: Lehman-Opfer können endlich auf<br />

Geld hoffen<br />

Die Gläubiger der vor mehr als drei Jahren zusammengebrochenen<br />

Investmentbank Lehman Brothers dürfen mit einer Entschädigung<br />

rechnen. Nachdem ein US-Gericht dem überarbeiteten Insolvenzplan<br />

zugestimmt hat, wird mit ersten Auszahlungen Anfang kommenden Jahres<br />

gerechnet.<br />

Insgesamt soll verbliebenes Vermögen von rund 65 Mrd. Dollar ausgeschüttet werden. So sieht es<br />

der überarbeitete Insolvenzplan vor. Allerdings wird das Geld nicht auf einen Schlag fließen. Die<br />

Bank hat nur einen Teil des Vermögens noch in bar in der Kasse. Der überwiegende Teil sind<br />

Immobilien, die erst noch verkauft werden müssen. Damit könnte es sich noch Jahre hinziehen, bis<br />

bei Lehman endgültig die Lichter ausgehen.<br />

Lehman Brothers war im September 2008 wegen missglückter Spekulationen auf dem US-<br />

Häusermarkt und daraus folgender Liquiditätsschwierigkeiten zusammengebrochen. Die Pleite<br />

hatte die Finanzkrise angefacht. Seit dieser Zeit läuft die Abwicklung der einst viertgrößten<br />

Investmentbank der Welt. Das Prozedere zog sich so lange hin, weil Lehman eng in die Finanzwelt<br />

verflochten war und Tochterfirmen in mehr als 40 Ländern hatte.<br />

Auch in Deutschland kümmert sich ein Insolvenzverwalter um die Ansprüche der Gläubiger. Die<br />

Insolvenz gilt als die komplizierteste in der US-Geschichte. Es dauerte alleine Monate, bis die<br />

meisten Gläubiger sich hinter den jetzt vom Gericht abgenickten Insolvenzplan stellten. Denn die<br />

Geschädigten der Pleite mussten deutliche Abstriche machen. Für jeden verlorenen Dollar dürften<br />

<strong>CAPITAL</strong> <strong>Investor</strong> <strong>Nr</strong>. <strong>49</strong>/<strong>2011</strong> www.capital.de 51


sie am Ende im Schnitt um die 20 Cent zurückbekommen - je nachdem, wie die Geschäftsbeziehung<br />

zu Lehman war.<br />

Der Insolvenzverwalter hatte sich auch mit der Bundesbank und dem Bundesverband deutscher<br />

Banken (BdB) einigen müssen. Nach dem aktualisierten Insolvenzplan hat der Bundesverband<br />

deutscher Banken nun noch Forderungen über 5,3 Mrd. Dollar sowie die Bundesbank über 3,5 Mrd.<br />

Dollar. Aber auch sie bekommen nur einen Teil ihres reklamierten Schadens ersetzt.<br />

Zinsticker: Die besten Konditionen für Tages- und Festgeld<br />

Capital.de zeigt die lukrativsten Angebote für Tages- und Festgeld auf einen Blick.<br />

Tagesgeld<br />

Anbieter Kontakt für 1.000 für 50.000<br />

NIBC Direkt 2<br />

DenizBank 2<br />

Euro Euro<br />

nibcdirekt.de 2,75 2,75<br />

denizbank.de 2,75 2,75<br />

MoneYou moneyou.de 2,75 2,75<br />

DAB bank 1<br />

dabbank.com 2,75 0,50<br />

Bank of Scotland bankofscotland.de 2,70 2,70<br />

VTB Direktbank 2 vtbdirekt.de 2,70 2,70<br />

HKB Bank 2<br />

hkb.de 2,65 2,65<br />

CortalConsors 1<br />

cortalconsors.de 2,60 2,60<br />

Festgeld<br />

Anbieter Kontakt Anlagezeitraum<br />

GarantiBank 2<br />

NIBC Direkt 2<br />

DenizBank 2<br />

6 Monate 12 Monate<br />

garantibank.de 2,30 3,50<br />

nibcdirekt.de 2,80 3,15<br />

akbanknv.de 2,80 3,15<br />

Isbank (069) 29901199 2,50 3,10<br />

IKB direkt ikbdirekt.de 2,50 3,10<br />

SKG Bank skgbank.de 2,50 3,00<br />

VTB Direktbank 2<br />

vtbdirekt.de 2,40 3,00<br />

Bank of Scotland bankofscotland.de - 3,00<br />

in Prozent pro Jahr. Auswahl bester Anbieter: Maximal ein Angebot mit limitierter<br />

Einlagengarantie; maximal zwei nur für Neukunden 1) Für Neukunden. 2) Einlagengarantie<br />

begrenzt. 3) Rendite.<br />

<strong>CAPITAL</strong> <strong>Investor</strong> <strong>Nr</strong>. <strong>49</strong>/<strong>2011</strong> www.capital.de 52


Quelle: FMH-Finanzberatung Stand: 08.12.11<br />

<strong>CAPITAL</strong> <strong>Investor</strong> <strong>Nr</strong>. <strong>49</strong>/<strong>2011</strong> www.capital.de 53


Optionsscheine: Keine Lust auf Hängepartie<br />

Zertifikate & Rohstoffe<br />

Der DAX schwankt seit Wochen kräftig und findet keine klare Richtung.<br />

Das macht Discount-Optionsscheine für Anleger interessant. Welche<br />

Produkte sich anbieten.<br />

In den vergangenen zwei Monaten bewegte sich der DAX unter teils heftigen Tagesschwankungen<br />

per saldo kaum von der Stelle. Die Hängepartie zwischen der Angst vor einer schweren<br />

Wirtschaftskrise, ausgelöst durch einen Kollaps der Euro-Zone, und der Hoffnung auf eine Hausse,<br />

getrieben durch Liquiditätszufuhr der Notenbanken, kann sich noch einige Monate fortsetzen.<br />

Eine interessante Strategie, die bei einem solchen Szenario hohe Erträge verspricht, ist eine<br />

Kombination aus Discount-Call- und Discount-Put-Scheinen. Die Papiere funktionieren im Grunde<br />

genommen wie herkömmliche Optionsscheine. Einziger Unterschied: Die Rückzahlung ist von<br />

vornherein auf einen Maximalbetrag begrenzt. Das hat zur Folge, dass Discount-Optionsscheine<br />

günstiger sind als die Pendants ohne Cap.<br />

Ein Beispiel: BNP Paribas offeriert einen Discount-Call auf den DAX mit Basispreis 5000 Punkten<br />

und einer Obergrenze bei 5500 Punkten. Für jeden Punkt, den der DAX bei Fälligkeit am 20. Januar<br />

2012 über der Marke von 5000 Punkten steht, erhält der Inhaber des Discount-Calls 1 Cent. Bei einem<br />

Cap von 5500 Punkten, werden also maximal 5 Euro gezahlt. Discount-Puts funktionieren genau<br />

umgekehrt. Hier gibt es für jeden Punkt, den der DAX bei Fälligkeit unter dem Basispreis steht, 1<br />

Cent.<br />

Für Seitwärtsspekulanten ist eine Kombination aus beiden Produkten interessant: Dafür bietet BNP<br />

Paribas einen Discount-Put mit einem Basispreis von 7000 Punkten und einer Begrenzung bei 6500<br />

Zählern an. Den Rückzahlungswert von 5 Euro erreicht der Schein, wenn der DAX bei Fälligkeit<br />

unter 6500 Punkten schließt.<br />

Für sich allein betrachtet, droht bei beiden Discount-Scheinen ein Totalverlust. Liegt der Basiswert<br />

am Fälligkeitstag unter (Call) beziehungsweise über (Put) dem Basispreis, verfallen die Scheine<br />

wertlos. Kombiniert man jedoch beide Discounter, wird immer ein Schein zu 5 Euro zurückgezahlt -<br />

im besten Fall sogar beide.<br />

Aktuell kosten die Discounter 4,40 beziehungsweise 4,34 Euro. Liegt der DAX bei Fälligkeit am 20.<br />

Januar 2012 zwischen 5500 und 6500 Punkten, erzielen Anleger mit beiden Scheinen den<br />

maximalen Gewinn von insgesamt 10 Euro. Gezahlt haben sie für beide Scheine 8,74 Euro. Da der<br />

DAX in jedem Szenario über 5500 oder unter 6500 notiert, erhalten Anleger immer mindestens 5<br />

Euro. Das Risiko bleibt - ungeachtet des Emittentenrisikos - auf 3,74 Euro pro Pärchen beschränkt.<br />

Die Gewinnchance beträgt 1,26 Euro oder, bezogen auf das Risiko, 34 Prozent. Die Breakeven-Punkte<br />

liegen bei 5374 und 6626 Punkten. Erst wenn der DAX am 20. Januar <strong>2011</strong> außerhalb dieser Spanne<br />

schließt, erleiden Anleger Verluste.<br />

<strong>CAPITAL</strong> <strong>Investor</strong> <strong>Nr</strong>. <strong>49</strong>/<strong>2011</strong> www.capital.de 54


Sowohl das Chance-Risiko-Verhältnis als auch die Zone, in der die Spekulation Gewinne abwirft,<br />

lassen sich variieren. Wird der Discount-Call beispielsweise durch einen Schein mit gleicher<br />

Laufzeit, aber einem Basispreis bei 5500 und einem Cap von 6000 Punkten ersetzt, sieht die<br />

Rechnung wie folgt aus: Der Einsatz beträgt nur noch 7,87 Euro je Strategie. Das Risiko reduziert sich<br />

auf 2,87 Euro. Bezogen darauf beträgt der Maximalgewinn 74 Prozent. Dieser wird erreicht, wenn der<br />

DAX am 20. Januar zwischen 6000 und 6500 Punkten schließt. Die engere Spanne bringt demnach<br />

ein höheres Gewinnpotenzial - gleichzeitig sinkt aber die Wahrscheinlichkeit, dass der DAX bei<br />

Fälligkeit innerhalb der Spanne notiert, da diese enger geworden ist.<br />

Pessimisten tauschen nicht den Call, sondern den Put aus. Eine Kombination aus Discount-Call<br />

(5000/5500 Punkte) und Discount-Put (6500/6000 Zählern) kostet zusammen 7,38 Euro, die<br />

Maximalrendite beträgt 110 Prozent. Sie wird erreicht, wenn der DAX bei Fälligkeit zwischen 5500<br />

und 6000 Punkten notiert.<br />

Mit zwei Discount-Optionsscheinen der Commerzbank lässt sich die Spanne noch erweitern. Die<br />

Basispreise liegen bei 5000 und 7000 Punkten, die Begrenzungen bei 5300 und 6700 Zählern.<br />

Anleger erzielen maximal 3 Euro je Schein oder 6 Euro je Pärchen. Aktuell kostet das Paar 4,94 Euro.<br />

Liegt der DAX am 14. März 2012 zwischen 5300 und 6700 Punkten, beträgt der Gewinn bezogen auf<br />

das Risiko von 1,94 Euro 55 Prozent.<br />

Skandinavien-Papiere: Das Hoch im Norden<br />

Skandinavische Länder gewinnen für Anleger zunehmend an Attraktivität.<br />

Vor der schwelenden Eurokrise konnten sich die Nordländer bislang<br />

weitgehend abschotten. Welche Indexpapiere sich lohnen.<br />

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Ein Besuch im hohen Norden - warum nicht? Rentiere und Glögg-Punsch verbreiten traditionell<br />

weihnachtliche Stimmung. Und auch das Depot könnte Julfest feiern, denn inmitten der<br />

europäischen Schuldenkrise präsentieren sich die skandinavischen Länder äußerst stabil. Zwar<br />

haben die nordischen Aktienmärkte auch gelitten, aber die Verluste fielen moderat aus. Für<br />

Zertifikateanleger bieten sich Open-End-Papiere auf Skandinavien oder auf Norwegen und<br />

Schweden als Einzelländer an.<br />

Weitgehend unbemerkt haben sich Finnland, Schweden und Norwegen vom europäischen<br />

Schuldendrama abgekoppelt, glänzen mit Topratings und stabilen Ausblicken. Finnland, als<br />

einziges skandinavisches Land Mitglied der Euro-Zone, verbucht eine Staatsverschuldung von 48,4<br />

Prozent des Bruttoinlandsprodukts, bei den nordischen Nachbarn liegt die Staatsschuldenquote<br />

zwischen 39,8 und 44,7 Prozent. Zum Vergleich: In der Euro-Zone beträgt der Durchschnittswert 85,1<br />

Prozent. Beim Bruttoinlandsprodukt erwartet Norwegen für <strong>2011</strong> ein Plus von 2,6 Prozent, Schweden<br />

von 4,2 Prozent und Finnland von 3,9 Prozent. Als größter Wachstumstreiber gilt die<br />

Innovationskraft. Der Anteil der Forschungsausgaben am Bruttoinlandsprodukt lag 2010 in<br />

Finnland mit 3,87 Prozent und in Schweden mit 3,42 Prozent über dem Wert Deutschlands (2,82<br />

Prozent), das gemeinhin als innovativer Spitzenreiter gilt.<br />

Auch wenn sich die exportabhängigen Skandinavier davor fürchten, dass die Euro-Zone und damit<br />

der Hauptabsatzmarkt in eine Rezession abrutscht, bleiben <strong>Investor</strong>en optimistisch. "Wenn es um<br />

Derivate auf Skandinavien geht, kaufen Anleger meist immer noch die Nokia-Aktie als Basiswert",<br />

sagt Anouch Wilhelms, Zertifikateexperte der Commerzbank. Im Stoxx Nordic 30 hat sich das<br />

Gewicht des Klassikers über die Jahre allerdings sukzessive verringert und liegt aktuell bei 4,8<br />

Prozent. Der Blue-Chip-Index enthält die größten und liquidesten Titel aus Dänemark, Finnland,<br />

Island, Norwegen und Schweden. Größter Wert im Index ist mit elf Prozent Anteil der dänische<br />

Pharmahersteller Novo Nordisk, insgesamt überwiegen allerdings schwedische Titel mit einem<br />

Gesamtanteil von rund 50 Prozent. Ericsson und H&M kommen auf 7,4 beziehungsweise 7,3 Prozent.<br />

Jeweils im September wird die Zusammensetzung des Index überprüft. Die Gewichtung erfolgt nach<br />

dem frei handelbaren Streubesitz und wird quartalsweise angepasst. Die Kappungsgrenzen liegen<br />

bei zehn Prozent. Für Skandinavien-Fans bietet die HypoVereinsbank ein nicht<br />

währungsgesichertes Open-End-Indexzertifikat auf den Nordic 30 an (ISIN DE 000 HV5AAP 2) sowie<br />

Papiere auf den Länderindex von Norwegen, den OBX (DE 000 CB07MF 8), und auf den Index von<br />

Schweden, den OMX S30 (DE 000 CB5DWZ 8).<br />

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Riester-Policen: Versicherer keilen zurück<br />

Vorsorge & Versicherungen<br />

Das Urteil von Verbraucherschützern ist vernichtend: Riester-Renten haben<br />

eine schlechte Rendite und zu hohe Kosten. Zudem müssen die Kunden<br />

uralt werden, damit sich die Anlage lohnt. Mit einem schrägen Wirrwarr<br />

von Modellrechnungen versuchen die Anbieter, Kritik an den Verträgen<br />

abzuwehren.<br />

Hartgesotten ist, wem bei solchen Bekenntnissen nicht das Herz aufgeht: "Ich habe eine Riester-<br />

Rente, und ich bin sehr glücklich damit", sagt Peter Schwark, Mitglied der Hauptgeschäftsführung<br />

des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV). Der Preis für dieses Glück ist<br />

ihm keineswegs zu hoch. Dass die Kosten für seinen Vertrag streckenweise über dem liegen, was er<br />

an Zuschuss für die Altersvorsorge vom Staat bekommt, stört ihn "überhaupt nicht". Dafür stört ihn,<br />

dass Kritiker immer wieder darauf herumreiten, dass Kosten für die Riester-Rente die Zulagen<br />

auffressen. "Dieser Vergleich ist eine Form von Irreführung", findet er.<br />

Raum 4 im Haus der Bundespressekonferenz ist viel zu klein, es sind zu wenig Stühle für zu viele<br />

Gäste des GDV da. Schwark sitzt auf dem Podium, rechts neben ihm an die Wand projeziert steht die<br />

Losung des Tages: "...und sie lohnt sich doch. Die Riester-Rente. Warum sie sich für fast jeden<br />

rechnet. " Wer denn zu den wenigen gehört, für den sie sich nicht rechent, wird Schwark gefragt.<br />

Dazu fällt dem Mann, der sein Geld auch prima als Dieter-Thomas-Heck-Double verdienen könnte,<br />

nicht viel ein. Nur dass für manche ein Rürup-Vertrag besser ist.<br />

Aber schließlich ist er auch nicht hier, um den Blick auf die verschwindende Minderheit derer zu<br />

lenken, die nichts von der Riester-Rente hat. Er und Johannes Lörper vom Mathematikausschuss des<br />

GDV wollen die Öffentlichkeit von der Rentabilität der Riester-Rente überzeugen. Ausgerechnet<br />

Lörper, Vorstand des Ergo-Lebensversicherers, der mit falsch ausgewiesenen Kosten bei der Riester-<br />

Rente in die Schlagzeilen geraten ist.<br />

Immer wieder stellen Studien in Frage, dass die Riester-Rente für Anleger eine gute Sache ist. Zuletzt<br />

hatte eine Untersuchung des renommierten Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) für<br />

Wirbel gesorgt. Die vernichtende Kritik: Die Riester-Rente bietet eine schlechte Rendite, hat zu hohe<br />

Kosten und Kunden müssen uralt werden, damit sich die Anlage lohnt.<br />

Ist ja alles gar nicht wahr, soll die Botschaft lauten. "Wir wollen gar nicht die Rechnungen selbst<br />

kritisieren", sagt Schwark. Ihm geht es um die Interpretation. "Unser Anliegen ist die individuell<br />

rational ökonomische Betrachtung." Die Zahlen des DIW stellen weder er noch Lörper in Frage.<br />

Vielleicht liegt das auch daran, dass der Lieferant dieser Zahlen, der Versicherungsmathematiker<br />

und neue Vorsitzende der Verbraucherorganisation Bund der Versicherten Axel Kleinlein unter den<br />

Journalisten sitzt. Er sagt kein Wort. Aber einen Angriff auf die von ihm mitverfasste Studie würde<br />

er sicher aus dem Stand parieren können.<br />

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Schwark und Lörper haben es gar nicht nötig, sich an den Zahlen der anderen abzuarbeiten. Sie<br />

haben eigene. Die hat der GDV mit Hilfe einer Maklersoftware ermittelt. Überraschung: Ob Singles,<br />

Alleinerziehende oder Familien, für alle rechnet sich die Riester-Rente. Für den einen etwas früher,<br />

für den anderen eben ein bißchen später. "Das DIW hat eine andere Sterblichkeitsannahme", erklärt<br />

Lörper die ziemlich gegensätzlichen Ergebnisse "lohnt sich" und "lohnt sich nicht".<br />

Die Generalattacke versuppt im schrägen Wirrwarr von Modellrechnungen, bei denen der<br />

Normalverdiener mit 85 Jahren eine Rentabilität von 3,72 Prozent und die Alleinerziehende mit<br />

einem Kind den Breakeven einschließlich der Zulagen, die sie für ihr Kind länger als 20 Jahre<br />

bekommt, mit 74 Jahren erreicht. Die Riester-Rente soll sich nicht lohnen? 46 Charts des GDV sagen<br />

etwas anders. Man weiß nicht, ob es eine Drohung oder ein Versprechen ist, wenn Lörper als<br />

Konsequenz aus der Kritik an der Riester-Rente ankündigt: "Wir bemühen uns darum, für mehr<br />

Transparenz zu sorgen."<br />

Krankenversicherung: Private sollen nicht Billigheimer<br />

spielen<br />

Das Angebot von günstigen Tarifen mit geringem Leistungsumfang hat<br />

den Krankenversicherern heftige Kritik von Verbraucherschützern<br />

eingebracht. Zudem haben sie die Diskussion über das Qualitätsniveau der<br />

Leistungen angeheizt. Jetzt wollen die Versicherer Mindeststandards<br />

definieren.<br />

Wer von der gesetzlichen Krankenversicherung in die private Krankenversicherung (PKV) wechselt,<br />

um durch billige Policen viel Geld zu sparen, setzt aufs falsche Pferd. Die Versicherten nehmen nicht<br />

nur ein schmales Leistungsangebot in Kauf, sondern sie müssen sich auch auf kräftige<br />

Beitragssteigerungen einstellen. Wovor Verbraucherschützer und PKV-Insider schon länger warnen,<br />

hat jetzt das Analysehaus Franke und Bornberg in einer Untersuchung untermauert.<br />

Nach der Analyse des Hannoveraner Unternehmens werden mindestens elf Anbieter von Billigoder<br />

Einsteigertarifen zum 1. Januar 2012 ihre Prämien im Neugeschäft im zweistelligen<br />

Prozentbereich erhöhen. Die Spanne reicht von 11 Prozent bis 23 Prozent. Nach Einschätzung von<br />

Franke und Bornberg werden sich die Anpassungen für die Bestandskunden in ähnlicher Höhe<br />

bewegen. Fazit für Geschäftsführer Michael Franke: "Der Trend zu Einsteigertarifen ist eine für die<br />

Versicherten teure Fehlentwicklung."<br />

Überraschung kommt im Alter<br />

Die von vielen privaten Krankenversicherern auf den Markt gebrachten Billigangebote sind<br />

Ausdruck des heftigen Wettbewerbs um Vollversicherte. Durch die regelmäßige Erhöhung der<br />

Versicherungspflichtgrenze in den vergangenen Jahren und insbesondere durch die von der Großen<br />

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Koalition eingeführte dreijährige Wechselfrist für gesetzlich Versicherte wird es für die PKV-<br />

Anbieter immer schwieriger, unter den Angestellten neue Kunden zu gewinnen.<br />

Deshalb suchten viele ihr Heil in sehr günstigen Policen, die sich insbesondere an Existenzgründer<br />

und andere Selbstständige richten, die sich in einer unsicheren wirtschaftlichen Lage befinden.<br />

Manche dieser Policen haben dabei einen Leistungsumfang, der deutlich unter dem der gesetzlichen<br />

Krankenkassen liegt. So übernehmen die Versicherer bei diesen Tarifen häufig keine Kosten für die<br />

ambulante Psychotherapie und sehen Einschränkungen bei Heil- und Hilfsmitteln vor.<br />

Vielen jungen und gesunden Kunden ist beim Kauf einer solchen Police gar nicht bewusst, worauf<br />

sie sich da einlassen, warnen Verbraucherschützer. "Sie werden es erst merken, wenn sie älter oder<br />

krank werden und Leistungen benötigen, die sie nicht bekommen", sagte Thomas Rudnik, Vorstand<br />

beim Bund der Versicherten.<br />

Sargnagel für die private Krankenversicherung<br />

Hans-Ludger Sandkühler, Vorsitzender des Berufsverbands mittelständischer Versicherungs- und<br />

Finanzmakler, sieht die Vermittler in der Pflicht, die Kunden ausführlich über die Kehrseite der<br />

günstigen Prämien zu informieren. "Wenn ein Makler eine private Krankenversicherung vermittelt,<br />

die nicht einmal dem Niveau der gesetzlichen Krankenversicherung entspricht, hat er die Pflicht,<br />

den Kunden entsprechend aufzuklären." Tun die Vermittler das nicht, könnten sie<br />

haftungsrechtliche Probleme bekommen, erwartet er.<br />

Für Sandkühler schlagen die Anbieter solcher Policen den völlig falschen Weg ein. "Hier werden<br />

unter dem guten Namen PKV Produkte in den Markt geschoben, die so leistungsschwach sind, dass<br />

sie den Namen Krankenversicherung gar nicht verdienen", lautet sein hartes Urteil.<br />

Auch innerhalb der Branche sind die Einsteigertarife, oder zumindest diejenigen mit stark<br />

reduziertem Leistungsumfang, umstritten. "Die Billigtarife sind ein Sargnagel für die PKV",<br />

schimpfte Roland Weber, Vorstand beim Marktschwergewicht Debeka. Weber unterstützt die in der<br />

Branche diskutierte Idee, genau zu definieren, was zum Leistungsumfang einer privaten<br />

Vollversicherung gehören muss.<br />

Über Mindeststandard zu neuem Prestige<br />

"Wir sind im Verband dabei, einen Mindeststandard zu entwickeln", sagte Reinhold Schulte,<br />

Vorsitzender des PKV-Verbands. Verschiedene Arbeitsgruppen würden sich mit dem Thema<br />

beschäftigen. Momentan sei es noch zu früh, um über Einzelheiten zu berichten. Gleichzeitig sei die<br />

Branche in guten Gesprächen mit der Ärzteschaft, sagte er. "Unser gemeinsames Ziel ist: gute<br />

Qualität zu angemessener, leistungsgerechter Honorierung."<br />

Für Schulte ist klar, dass die PKV sich positiv von der gesetzlichen Krankenversicherung abheben<br />

muss. Dazu gehören Angebote wie die Beratung der Versicherten und die Unterstützung im<br />

Leistungsfall. Hier hätten die Unternehmen in der Vergangenheit schon viel auf den Weg gebracht,<br />

sagte er. Die Signal Iduna, deren Vorstandschef Schulte ist, beschäftigt 30 Ärzte und medizinisches<br />

Personal für solche Aufgaben. "Die medizinische Assistance hat sich bewährt."<br />

Verlustgeschäft<br />

In der Pflegeversicherung haben die PKV-Anbieter ein eigenes Unternehmen für die Beratung von<br />

Pflegebedürftigen und ihren Angehörigen gegründet. Die Mitarbeiter gehen mit ihren<br />

Unterstützungsangeboten über das hinaus, was die Krankenkassen etwa in den Pflegestützpunkten<br />

machen.<br />

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Dass einige große PKV-Anbieter den Ausflug in das Billig-Segment schon wieder beendet haben, hat<br />

allerdings nichts mit der Einsicht in eine Qualitätsverpflichtung der Branche zu tun. Sowohl die<br />

DKV als auch die Central haben feststellen müssen, dass die Tarife nicht nur für die Kunden ein<br />

Fehlgriff sein können. Bei beiden Unternehmen hat sich die Hoffnung zerschlagen, dass die Kunden<br />

von den Billigangeboten schnell in höherwertige Tarife wechseln.<br />

Noch schlimmer: Die Policen hatten Kunden angelockt, die nach einiger Zeit ihre Beiträge<br />

überhaupt nicht mehr bezahlen konnten. Seit Einführung der Versicherungspflicht können die PKV-<br />

Unternehmen diesen Kunden nicht mehr kündigen. Sie müssen aber weiter für die Nichtzahler<br />

Alterungsrückstellungen bilden und für ihre Notfallversorgung bezahlen.<br />

Versicherungen: Vermittler über 50 gesucht<br />

Der Bevölkerungswandel wird die Personalprobleme der Assekuranz<br />

verschärfen und den Wettbewerb um Kunden verstärken. Aber die alternde<br />

Gesellschaft bietet auch Wachstumschancen - vor allem jenen, die eine<br />

Strategie dafür haben.<br />

Versicherungen verkaufen ist unsexy. Danach gefragt, welchen Beruf sie auf keinen Fall ausüben<br />

wollen, antworten die meisten Deutschen regelmäßig mit "Versicherungsvertreter". In Rankings<br />

landet der Job alle Jahre wieder auf einem der letzten Plätze, noch nach Telekom-Mitarbeitern und<br />

Politikern. Die Branche gilt als wenig attraktiver Arbeitgeber. Hoher Verkaufsdruck und geringe<br />

Aufstiegschancen sind die gängigen Vorbehalte, die potentielle Mitarbeiter abschrecken, in der<br />

Versicherungswirtschaft Fuß zu fassen.<br />

Besonders im Vertrieb fällt es den Versicherern schon jetzt schwer, gute Leute zu finden. Der Kampf<br />

um die Talente tobt heftig. Der demographische Wandel wird das Problem nach Ansicht von<br />

Stephan Maier verschärfen, Versicherungsspezialist der Unternehmensberatung Schickler. "Bei den<br />

Mitarbeitern im Vertrieb gibt es ein Nachwuchsproblem", sagt er.<br />

Beruf gegen Privatleben<br />

Auch im Innendienst stehen die Gesellschaften häufig vor dem Problem, wichtige Posten nur<br />

schwer besetzen zu können. Besonders gesucht sind IT-Spezialisten und Mathematiker,<br />

ausgezeichnete Karrierechancen bietet die Branche aber auch Underwritern, die sich mit der<br />

Gestaltung der Versicherungsverträge beschäftigen, - wenn sie denn welche findet.<br />

"Vor allem im IT-Bereich hat die Assekuranz starke Wettbewerber aus anderen Branchen und zieht<br />

oft den Kürzeren." Ein Grund: "Versicherungsunternehmen tun vergleichsweise wenig für die<br />

Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben."<br />

Maier erwartet, dass das Nachwuchsproblem sich in ein paar Jahren noch zuspitzen wird. Die<br />

Versicherer stehen unter enormem Kostendruck und stellen weniger Leute ein. Wird eine Stelle frei,<br />

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weil ein Mitarbeiter kündigt oder in den Ruhestand geht, besetzen die Personalchefs diese häufig<br />

nicht wieder. Die Folge: "Der Altersdurchschnitt steigt, die Mannschaft wird kleiner." Das führe<br />

dazu, dass irgendwann die ganze Belegschaft praktisch auf einmal ersetzt werden müsse, sagt<br />

Maier.<br />

Ein hoher Altersdurchschnitt im Vertrieb kann den Versicherern jedoch auch nützen. Ältere Kunden<br />

haben andere Bedürfnisse in der Beratung und beim Versicherungskauf als junge. "Ein erfahrener<br />

Vermittler kann sich besser in die aktuelle Lebenssituation des Kunden einfühlen als ein<br />

23-Jähriger", sagt Maier. "Im Verkaufsgespräch wirkt er dann überzeugender und glaubwürdiger."<br />

Alter bringt Umsatz<br />

Damit die Berater im Gespräch mit dem älteren Kunden gut aufgestellt sind, setzen manche<br />

Versicherer auf spezielle Schulungen. Die Ideal bietet Maklern regelmäßig Kurse in der hauseigenen<br />

Trainingsakademie an, in denen sie lernen, wo die Besonderheiten bei der Beratung älterer<br />

Menschen liegen. Die Berliner Gesellschaft hat sich auf die Versicherung von älteren Menschen<br />

spezialisiert und verkauft vor allem Pflege- und Sterbegeldpolicen sowie spezielle<br />

Rechtsschutzversicherungen für Senioren. Auch Marktführer Allianz bietet Maklern spezielle<br />

Verkaufsseminare zum Thema an.<br />

Tobias Maack, Leiter Produktmanagement bei der Ideal, glaubt, dass es bei der Kundenberatung vor<br />

allem auf die Lebensumstände ankommt. "Familienpflege wird es nicht mehr so geben wie früher,<br />

weil nahe Verwandte oft nicht mehr in der direkten Umgebung leben", sagt er. Die Policen und die<br />

Beratung der Zukunft müssen auf diese besonderen Bedürfnisse und Entwicklungen zugeschnitten<br />

sein.<br />

Er sieht sein Unternehmen gut aufgestellt und äußert die Gewissheit, dass es vom<br />

Bevölkerungswandel profitieren kann. "Den größten Teil des Neugeschäfts machen wir mit Kunden<br />

um die sechzig, das heißt die zunehmende Alterung der Bevölkerung bietet uns<br />

Wachstumschancen", sagt er.<br />

Auch Walter Botermann, Vorstandsvorsitzender der Alten Leipziger-Halleschen Gruppe, sieht in<br />

einer alternden Gesellschaft Wachstumspotential. "Ich glaube nicht, dass der Markt kleiner wird,<br />

nur weil die Bevölkerung schrumpft", sagt er. Viele ältere Menschen hätten erheblichen finanziellen<br />

Spielraum: "Wir haben seit 65 Jahren Friedenszeiten und daher haben weite Teile der Bevölkerung<br />

Vermögen bilden können, das auch zur persönlichen Absicherung eingesetzt wird."<br />

Viele Versicherer setzen zudem auf speziellen Service für die älteren Kunden. Die privaten<br />

Krankenversicherer haben vor einigen Jahren ein eigenes Beratungsunternehmen für den Bereich<br />

Pflegeversicherung eingerichtet, die Compass Pflegeberatung. Damit will sich die Branche qualitativ<br />

von der gesetzlichen Pflegeversicherung absetzen. Menschen, die Hilfe oder Informationen zur<br />

Pflege eines Angehörigen benötigen, können sich an eine Hotline oder einen der rund 200<br />

Pflegeberater wenden, der sie auch zuhause oder in der Rehaklinik besucht.<br />

Maier von der Unternehmensberatung Schickler gibt sich sicher: der demographische Wandel wird<br />

dazu führen, dass der Versicherungsmarkt in Deutschland kleiner wird. Wer den<br />

Verdrängungswettbewerb überstehen wolle, müsse sehr viel stärker als derzeit kommunizieren,<br />

wofür er als Versicherer steht, glaubt er. Eine Möglichkeit sei, sich in Nischen zu spezialisieren.<br />

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Krankenversicherungen: Zuschlag ist nicht gleich Zuschlag<br />

Die Allianz Krankenversicherung legt Kunden beim Tarifwechsel nach wie<br />

vor Steine in den Weg. Anwälte und Verbraucherschützer haben den Fall<br />

der BaFin vorgelegt.<br />

Kunden der Allianz Private Krankenversicherung (APKV) müssen sich auf ein zähes Ringen gefasst<br />

machen, wenn sie im Unternehmen den Tarif wechseln wollen. Kritiker werfen der APKV vor, das<br />

gesetzlich verbriefte Wechselrecht zu torpedieren.<br />

Kunden der privaten Krankenversicherer dürfen beim selben Anbieter in einen Tarif mit<br />

gleichartigem Versicherungsschutz wechseln. Für eventuelle Mehrleistungen kann das<br />

Unternehmen nach einer Gesundheitsprüfung gegebenenfalls einen Risikozuschlag verlangen.<br />

Durch Vereinbarung eines Leistungsausschlusses ist es möglich, diesen zu umgehen. Da der<br />

Tarifwechsel in der Regel zu einer niedrigeren Prämie führt, ist er in der Branche nicht sonderlich<br />

beliebt.<br />

Die APKV hat sich beim Versuch, das Tarifwechselrecht auszuhebeln, schon einmal eine blutige<br />

Nase geholt. Sie hatte einen neuen, den Aktimed-Tarif, auf den Markt gebracht und von<br />

wechselwilligen Altkunden unabhängig vom Gesundheitszustand einen "Strukturzuschlag"<br />

verlangt. Die Begründung: Der Aktimed-Tarif sei anders kalkuliert. Auf Intervention der<br />

Finanzaufsicht BaFin kassierte das Bundesverwaltungsgericht im Juni 2010 den neuen Tarif, die<br />

APKV musste ihn überarbeiten.<br />

Doch der Tarifwechsel ist problematisch geblieben. Der Versicherungsjurist Arno Schubach vertritt<br />

einen Kunden, von dem die APKV für den neuen Aktimed-Tarif einen Risikozuschlag verlangt. Den<br />

gewünschten Leistungsausschluss verweigert der Versicherer. "Hier wird das Wechselrecht<br />

unterlaufen", ist Schubach überzeugt. Er hat die Sache der BaFin vorgelegt. Auch der Bund der<br />

Versicherten hat wegen solcher Fälle die Aufsicht eingeschaltet.<br />

Die APKV hält die Kritik für unberechtigt. Es gehe nicht um einen Zuschlag für Mehrleistungen,<br />

sondern für Vorerkrankungen. Ihn müssten auch Neukunden zahlen, teilte der Versicherer auf<br />

Anfrage mit. "Wenn wir feststellen, dass im Antrag des Kunden zum ersten Versicherungsbeginn<br />

eine Vorerkrankung dokumentiert ist, die nach dem neuen Tarif, in den der Kunden nun wechseln<br />

möchte, zu einem Risikozuschlag führt, dann wird dieser wie bei Neukunden auch hier erhoben", so<br />

die Erklärung. "Ein Recht des Versicherungsnehmers, diesen Risikozuschlag durch die Vereinbarung<br />

eines Leistungsausschlusses abzuwenden, ist weder gesetzlich vorgesehen, noch geht dies aus der<br />

Rechtsprechung hervor."<br />

Das hält Hajo Köster vom Bund der Versicherten für vorgeschoben. "Die Allianz versucht, das Urteil<br />

zu umgehen", glaubt er. Wenn das Risiko in den ursprünglichen Vertrag nicht eingepreist war, dann<br />

dürfe man das jetzt auch nicht tun. "Anders haben Kunden überhaupt keine Möglichkeit zu<br />

überprüfen, für was der Versicherer Zuschläge erhebt", sagt Köster.<br />

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Krankversicherung: Allianz bekennt sich zur Vollversicherung<br />

Trotz Überlegungen in der Konzernspitze, sich auf lukrative Zusatzpolicen<br />

zu konzentrieren, will die Allianz Private Krankenversicherung nach<br />

Marktanteilsverlusten wieder in der Vollversicherung zulegen.<br />

Vorstandsmitglied Birgit König kritisiert die Pläne für eine<br />

Bürgerversicherung.<br />

Die Allianz hält trotz Zweifeln innerhalb des eigenen Konzerns an der privaten Kranken-<br />

Vollversicherung fest. "Wir wollen in der privaten Vollversicherung deutlich wachsen", sagte<br />

Allianz-Managerin Birgit König der FTD in Reaktion auf Zweifel in der Assekuranz - auch innerhalb<br />

der Allianz-Konzernspitze - an der Zukunft des Nebeneinanders von gesetzlichen Krankenkassen<br />

und privaten Versicherern (PKV). "Der Markt für die private Vollversicherung wächst kräftig", sagte<br />

König. Die frühere McKinsey-Partnerin ist seit September im Vorstand von Allianz Private<br />

Krankenversicherung (APKV) und soll 2012 Chefin werden.<br />

Das deutsche duale System von gesetzlichen Krankenkassen und privaten Versicherern sorge für<br />

einen hohen medizinischen Standard, sagte König. "Es ist offensichtlich, dass andere Systeme in<br />

Europa mit einer Grundsicherung für alle große Schwierigkeiten haben, einen hohen Standard zu<br />

halten." Fiele die PKV weg, gäbe es in Deutschland noch weniger Praxen auf dem Land, weil die<br />

Finanzierung dann nicht mehr stimme. In den Topetagen der großen Versicherer ist die private<br />

Vollversicherung jedoch unbeliebt. Nach Informationen der Capital-Schwesterzeitung Financial<br />

Times Deutschland (FTD) denkt auch die Allianz-Spitze darüber nach, künftig nur noch lukrative<br />

Zusatzversicherungen anzubieten - und die Absicherung der wesentlichen Gesundheitsrisiken<br />

gesetzlichen Kassen zu überlassen.<br />

König wehrt sich gegen den Plan der SPD, eine Bürgerversicherung für alle einzuführen, die von<br />

Kassen und privaten Versicherern angeboten werden soll. "Das System würde durch die verschärfte<br />

Konkurrenz ineffizienter", sagte König. "Wir haben rund 150 Krankenkassen. Da setzen wir jetzt<br />

noch mehr als 40 Krankenversicherer drauf." Große Kassen hätten Vorteile, weil Systeme wie die<br />

Bürgerversicherung stark von der IT abhingen. "Dabei machen sich Skaleneffekte bemerkbar." Zwar<br />

hat die Allianz zwischen 1999 und 2010 Marktanteile verloren -von 12,62 Prozent der Prämien auf 9,6<br />

Prozent. "Doch werden wir uns jetzt wieder stark auf das Feld Vollversicherung fokussieren", sagte<br />

König.<br />

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Offene Immo-Fonds: Bröckelnde Fassade<br />

Immobilien<br />

Offene Immobilienfonds stehen vor einem massiven Umbruch. Fast ein<br />

Drittel des Branchenvermögens steckt fest. Anleger brauchen derzeit viel<br />

Geduld.<br />

Während bei vielen anderen Fondsgattungen immer mehr Produkte auf den Markt kommen,<br />

schrumpft die Anzahl offener Immobilienfonds zusehends. Deren Volumen stagniert bei rund 85<br />

Mrd. Euro. Ende Oktober haben die Fonds Axa Immoselect und Degi International ihre Auflösung<br />

bekannt gegeben, womit insgesamt sieben offene Immobilienfonds alle Objekte verkaufen und die<br />

erlösten Mittel an die Anleger auszahlen müssen. Neben diesen Fonds gehören dazu der Morgan<br />

Stanley P2 Value, der Kanam US-Grundinvest, der Degi Europa, der Degi Global Business sowie der<br />

TMW Immobilien Weltfonds.<br />

Bei sechs weiteren Produkten werden keine Anteilscheine mehr zurückgenommen, dazu zählen die<br />

beiden rund 6 Mrd. Euro schweren Fonds CS Euroreal und SEB Immoinvest. Rund 24 Mrd. Euro<br />

stecken insgesamt in den Problemprodukten fest – fast 30 Prozent des Gesamtvermögens der<br />

Branche.<br />

Das Debakel hat bereits ein juristisches Nachspiel: Anlegeranwälte gehen im Auftrag ihrer<br />

Mandanten gegen Berater vor. Zudem plant das Anwaltsduo Andreas Tilp und Klaus Nieding<br />

Klagen gegen die Fondsanbieter selbst, was in Deutschland fast noch nie vorgekommen ist.<br />

Es ist das Ende der offenen Immobilienfonds, wie man sie bisher kannte. Die Produkte galten lange<br />

als sicher und liquide. Doch spätestens ab Herbst 2008 wurden die Schwächen etliche Fonds<br />

deutlich – damals wurde bereits bei zwölf Produkten die Rücknahme von Anteilscheinen wegen<br />

Mittelabflüsse ausgesetzt. Vor allem semi-institutionelle <strong>Investor</strong>en wie Dachfonds und<br />

Vermögensverwalter hatten in der Finanzkrise ihr Geld abgezogen und damit etliche der Fonds in<br />

Liquiditätsnöte gebracht.<br />

Offene Immobilienfonds versuchen einen schwierigen Spagat. Einerseits investieren sie in Gebäude<br />

– eine grundsätzlich sehr illiquide Anlageklasse. Andererseits wollen sie täglich liquide sein. Das<br />

funktioniert aber nicht, wenn viele <strong>Investor</strong>en zeitgleich hohe Summen aus den Fonds abziehen,<br />

wie es in der aktuellen Krise der Fall war. Die Produkte dürfen dann maximal zwei Jahre lang<br />

geschlossen werden. Stehen dann nicht genügend Mittel zur Verfügung, folgt die Auflösung. Ein<br />

neues Gesetz, das doch erst 2013 in Kraft tritt, soll hier Abhilfe schaffen. Es verlangt eine zweijährige<br />

Mindesthaltedauer, zudem dürfen Anleger maximal 30000 Euro pro Halbjahr abziehen.<br />

Die Krise verdeutlicht die Zweiteilung der Branche: Einerseits die offenen Fonds mit einer<br />

Bankmutter im Rücken, die den Vertrieb steuern und notfalls hohe Abflüsse verhindern kann.<br />

Andererseits Anbieter, die in Deutschland über keinen eigenen Vertrieb verfügen, sondern mit<br />

Vermittlern und Vermittlerpools kooperieren. Auch die Einkaufspolitik der Fonds ist unterschiedlich<br />

gut.<br />

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Umsatz am Zweitmarkt schwankt relativ stark<br />

Ohne einen großen hauseigenen Vertrieb müssen auch der SEB Immoinvest und der CS Euroreal<br />

auskommen. Es sind die größten derzeit noch eingefrorenen Produkte. Beide Anbieter haben<br />

angepeilt, noch in diesem Jahr zu öffnen - Zeit bleibt ihnen offiziell bis Mai 2012. Die Fonds haben<br />

sich von etlichen Objekten getrennt und verfügen jeweils über eine Liquiditätsquote von rund 20<br />

Prozent. Ob das für die Öffnung bis Jahresende reicht, war zuletzt noch fraglich.<br />

Für <strong>Investor</strong>en stellt sich die Frage: auf die Wiedereröffnung warten oder gleich über die Börse<br />

verkaufen? Sie ist schwierig zu beantworten. Der Umsatz am Zweitmarkt schwankt relativ stark,<br />

weil sich hier weniger Anleger engagieren als am Aktienmarkt. Zudem dürften einige <strong>Investor</strong>en<br />

Anteile erwerben, um sie gleich wieder zu verkaufen, sobald die Fonds erneut öffnen. Neben<br />

Fremdkapitalquote und Liquidität gehören auf die Checkliste die Fragen, wie stark der Fonds seine<br />

Objekte regional gestreut hat und wie groß oder alt die Gebäude sind.<br />

Problematisch für die Branche sind jedoch die hohen Verluste einiger Produkte. Der Morgan Stanley<br />

P2 Value hat binnen drei Jahren etwa 50 Prozent an Wert verloren. Der Degi Europa büßte ebenso<br />

stark ein. Über mehrere Jahre hinweg erzielten die Fonds in der Tat im Schnitt Renditen von vier<br />

Prozent und mehr. Steffen Sebastian, Professor für Immobilienfinanzierung an der Universität<br />

Regensburg, erwartet, dass kurzfristig so hohe Renditen unerreichbar sind: "Ich bezweifle, dass das<br />

nächstes Jahr anders aussehen wird."<br />

Selbst die stabileren Fonds erzielen derzeit eine Jahresrendite von nur maximal 3,5 Prozent. Der<br />

Uniimmo Global des Fondsanbieters Union Investment musste mehrere Gebäude in Japan<br />

abwerten und liegt daher auf Jahressicht knapp zwei Prozent im Minus. Der Fonds hatte im<br />

Frühjahr zudem vorübergehend die Rücknahme von Anteilscheinen ausgesetzt. Offene<br />

Immobilienfonds bewerten ihre Objekte nicht zu Marktpreisen, sondern lassen den sogenannten<br />

Verkehrswert durch bestellte Sachverständige ermitteln.<br />

Die Anleger haben bereits reagiert: Aus mehreren Fonds, wie dem Uniimmo Global und dem<br />

Grundbesitz Global, flossen seit Jahresbeginn Mittel ab. Bei <strong>Investor</strong>en beliebt sind derzeit<br />

Immobilienfonds mit Europafokus. Die großen Anbieter Deka, Deutsche Bank und Union bieten hier<br />

je ein Produkt an. Am meisten Zuflüsse verbuchte <strong>2011</strong> bisher der Uniimmo Deutschland.<br />

Ungemach droht der Branche allerdings von noch anderer Seite: Anlegerklagen. Der Anwalt Peter<br />

Hahn vertritt etliche <strong>Investor</strong>en mit Klagen gegen die Berater. Solche Fälle enden häufig mit einem<br />

Vergleich. Tilp und Nieding gehen noch weiter, indem sie die Fondsgesellschaften direkt angreifen.<br />

Der Ansatzpunkt: Die Fondsanbieter hätten erstens nicht ausschließlich im Interesse der Anleger<br />

gehandelt, wie es das Investmentgesetz vorschreibt. Außerdem hätten die Investmentfirmen<br />

vertragliche Verpflichtungen, die durch den Kauf der Fondsanteile entstünden, verletzt.<br />

Der Ausgang dieser geplanten Klagen wird für die Branche von großer Bedeutung sein – zumal die<br />

zwei Anlegervertreter eine Musterklage gegen den Morgan Stanley P2 Value anpeilen. Andere<br />

Anleger könnten sich dann einfach anschließen.<br />

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Büroimmobilien: Düsterer Ausblick für Europa<br />

Leerstand, Wirtschaftskrise, Rezession - der Markt für Büroimmobilien<br />

stellt sich für Anleger zunehmend als Ödland dar. Dekabank und IVG<br />

erwarten fallende Mieten und Preise.<br />

An den europäischen Büroimmobilienmärkten werden die Mieten und Preise im kommenden Jahr<br />

größtenteils stagnieren oder fallen. Zu dieser Einschätzung kommen die Dekabank und die<br />

Immobiliengesellschaft IVG in unabhängig voneinander erstellten Prognosen für 2012. Die beiden<br />

Jahresausblicke bestätigen die Einschätzung jener Marktforscher und Analysten, die an den<br />

europäischen Gewerbeimmobilienmärkten vorerst kaum Wachstumsmöglichkeiten sehen.<br />

"Lediglich in den Zentren der deutschen Bürohochburgen Berlin, Düsseldorf, Hamburg, Frankfurt,<br />

München und Stuttgart sowie in Stockholm ist ein leichter Anstieg der Mieten zu erwarten", sagt<br />

IVG-Chefresearcher Thomas Beyerle. Die Dekabank-Analysten prognostizieren für 2012 sogar am<br />

deutschen Markt stagnierende Büromieten. Erst von 2013 an werden die Mieten nach ihrer Prognose<br />

leicht um 2,5 Prozent zulegen. Ein Einbruch am hiesigen Markt sei aber nicht zu erwarten, sagt<br />

Matthias Danne, Immobilienvorstand des Sparkassen-Fondsanbieters. "Der robuste Arbeitsmarkt<br />

und das niedrige Neubauvolumen stabilisieren den Markt."<br />

Preissteigerungen seien weder in Deutschland noch in Schweden zu erwarten, sagt Beyerle.<br />

"Solange die Euro-Krise anhält, werden <strong>Investor</strong>en wegen der Unsicherheit über die weitere<br />

wirtschaftliche Entwicklung eher auf Käufe verzichten, als Abstriche bei den Renditen<br />

hinzunehmen." Gegenwärtig würden Büroobjekte in den deutschen Metropolen zu Preisen<br />

gehandelt, die Käufern aus den Mieterträgen eine Anfangsrendite von fünf Prozent bringen<br />

könnten. In Stockholm betrage die Anfangsrendite 4,75 Prozent.<br />

Skeptisch sehen die Experten von Dekabank und IVG die südeuropäischen Büromärkte. "Diese<br />

Märkte sind von der Finanzkrise am stärksten betroffen", sagt Danne. "Die Sparprogramme der<br />

Regierungen in Italien, Portugal und Spanien werden die Konjunktur dämpfen", sagt Beyerle.<br />

Unternehmen würden Mitarbeiter entlassen und Büroflächen freisetzen. "In Madrid, Mailand und<br />

Lissabon werden deshalb 2012 die Büromieten tendenziell sinken und die Immobilienpreise weiter<br />

fallen", sagt Beyerle. In Lissabon würden Bürogebäude zwar bereits zu Anfangsrendite von 7,5<br />

Prozent gehandelt. Dennoch setzten <strong>Investor</strong>en darauf, dass die Objekte noch billiger werden. Auch<br />

für London fällt die IVG-Prognose verhalten aus. Immer mehr Banken entlassen Mitarbeiter. "Das<br />

bringt die Preise von Büroobjekten in den Nebenlagen der City und im Westend unter Druck", sagt<br />

Beyerle.<br />

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Schwellenländer: Darum in die Ferne schweifen<br />

Deutsche Immobilienanleger bevorzugen Europa. Bessere Chancen auf<br />

hohe Renditen bieten derzeit aber Asien und Lateinamerika - solange es in<br />

China nicht zu einer Immobilienblase kommt.<br />

Bei indirekten Immobilieninvestments bleiben deutsche <strong>Investor</strong>en am liebsten in heimischen<br />

Gefilden: Sie bevorzugen Fonds und Aktien börsennotierter Unternehmen, die in Deutschland oder<br />

in Nachbarstaaten investieren. Experten halten das für einen Fehler: "Außerhalb Europas bieten<br />

sich größere Renditechancen", sagt Patrick Nass, Fondsmanager beim Bankhaus Ellwanger & Geiger.<br />

Das bestätigt eine neue Studie des britischen Immobiliensachverständigenverbands Royal<br />

Institution of Chartered Surveyors (RICS). Danach sollen Mieten und Preise von Gewerbeimmobilien<br />

in Asien und Lateinamerika stärker steigen als in Europa und Nordamerika.<br />

"Finanz- und Staatsschuldenkrise belasten die Wirtschaft und damit die Gewerbeimmobilienmärkte<br />

in den westlichen Industrienationen", sagt RICS-Ökonom Matthew Edmonds. Hingegen seien<br />

Unternehmen in den aufstrebenden Staaten hungrig nach immer mehr Büro- und<br />

Einzelhandelsflächen. Zwar seien die Länder in Asien und Lateinamerika nicht resistent gegen<br />

allgemeine Kapitalmarktturbulenzen. Die Konjunktur werde dort aber deutlich stärker wachsen als<br />

in der Euro-Zone. Hier rechnen Ökonomen der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit<br />

und Entwicklung (OECD) für 2012 beim Bruttoinlandsprodukt nur mit einem minimalen Plus von 0,5<br />

Prozent.<br />

Chinas Wirtschaft soll hingegen nach 9,4 Prozent in diesem Jahr 2012 um acht Prozent zulegen. In<br />

Lateinamerika erwartet das Weltwirtschaftsforum im kommenden Jahr ein Plus von 3,9 Prozent.<br />

Die Prognosen spiegeln sich in den Erwartungen der <strong>Investor</strong>en, wie die jüngste RICS-Umfrage unter<br />

809 internationalen Marktteilnehmern zeigt. In Brasilien und China rechnen mehr als 54 Prozent<br />

der Experten mit steigenden Mieten. In den meisten europäischen Staaten und den USA werden<br />

dagegen fallende Mieten erwartet. Professionelle Immobilienanleger investieren deshalb seit<br />

Jahren immer stärker in aufstrebende Märkte.<br />

Fonds für Investments außerhalb Europas und Nordamerikas<br />

Nach Angaben der Beratungsgesellschaft Jones Lang LaSalle stieg der Anteil der Investments im<br />

asiatisch-pazifischen Raum am weltweit in Immobilien angelegten Kapital zwischen 2004 und 2010<br />

von 11,7 auf 26,3 Prozent. Asieh Mansour, Leiterin Research Amerika bei der Beratungsgesellschaft<br />

CBRE, rechnet damit, dass Lateinamerika künftig stark in den Anlegerfokus gerät: "In den<br />

Bürobezirken der Metropolen südlich des Rio Grande beträgt die Leerstandsrate im Schnitt nur 7,8<br />

Prozent." Zum Vergleich: In Frankfurt sind mehr als 13 Prozent der Büroflächen unvermietet.<br />

Dennoch scheuen Privatanleger vor Investments außerhalb Europas zurück. Während offene<br />

Immobilienfonds in den ersten drei Quartalen des Jahres nach Angaben des Branchenverbands BVI<br />

insgesamt 876,5 Mio. Euro an Zuflüssen verbuchen konnten, mussten die international<br />

investierenden Branchenprodukte deutliche Abflüsse hinnehmen. Aus dem Grundbesitz Global der<br />

Deutsche-Bank-Tochter RREEF etwa zogen Anleger 502 Mio. Euro ab. Dabei erzielte der Fonds in den<br />

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vergangenen zwölf Monaten eine Rendite von 2,9 Prozent - während der Branchenschnitt nur<br />

knapp ein Prozent betrug.<br />

Das Misstrauen der Anleger rührt daher, dass einige international investierende Fonds erst auf dem<br />

Höhepunkt des globalen Immobilienbooms aufgelegt wurden. Sie kauften Objekte überteuert und<br />

mit kurzen Mietverträgen. Als die Finanzkrise ausbrach, zogen die Mieter aus, die Immobilien<br />

mussten massiv abgewertet werden. Sechs der Fonds werden nun abgewickelt. Darunter der P2<br />

Value von Morgan Stanley, der seit 2008 Verluste von rund 60 Prozent einfuhr.<br />

Auch bei den Immobilienaktienfonds des Bankhauses Ellwanger & Geiger bevorzugen Anleger den<br />

E&G Fonds Immobilienaktien Europa. Er hat ein Volumen von 4,07 Mio. Euro. Hingegen kommt der<br />

Property Stocks Asia Pacific nur auf 1,3 Mio. Euro, obwohl dieser seit Beginn der Finanzkrise im<br />

Herbst 2008 eine Rendite von 47 Prozent eingefahren hat (siehe Tabelle). Der Europafonds hingegen<br />

kam in dieser Zeit nur auf ein Plus von 27,2 Prozent. Auch künftig dürften asiatische<br />

Immobilienaktien besser abschneiden als europäische Werte, meint Fondsmanager Nass. "Die<br />

Sparprogramme der Euro-Staaten dämpfen das Wirtschaftswachstum."<br />

Finanzierung: Die günstigsten Baugeld-Konditionen<br />

Capital.de zeigt die Konditionen für Baugeld mit fünf-, zehn- und<br />

15-jähriger Bindung.<br />

Unter Baugeldvergleich lassen sich individuell günstige Angebote berechnen.<br />

Baugeld Zinsbindung: 5 Jahre<br />

Anbieter Kontakt bis 70% bis 90%<br />

Creditweb 2<br />

Finanzierung Finanzierung<br />

(0800) 2220550 2,72 2,90<br />

comdirect bank 2 (01803) 336365 2,72 2,90<br />

Dr. Klein 2<br />

(0800) 8833880 2,72 2,90<br />

SKG Bank (0681) 8571105 2,72 2,90<br />

Degussa Bank (069) 36003399 2,79 3,09<br />

Baugeld Zinsbindung: 10 Jahre<br />

Anbieter Kontakt bis 70% bis 90%<br />

Finanzierung Finanzierung<br />

DTW Immobilien- finanzierung 2 (0800) 1155600 3,21 3,44<br />

Accedo 2<br />

(0800) 2288500 3,21 3,44<br />

Hypotheken- Discount 2<br />

(0800) 6008060 3,21 3,44<br />

ING-DiBa (069) 50500109 3,25 3,66<br />

<strong>CAPITAL</strong> <strong>Investor</strong> <strong>Nr</strong>. <strong>49</strong>/<strong>2011</strong> www.capital.de 68


SKG Bank (0681) 8571105 3,27 3,44<br />

Baugeld Zinsbindung: 15 Jahre<br />

Anbieter Kontakt bis 70% bis 90%<br />

Interhyp 2<br />

Accedo 2<br />

Enderlein 2<br />

Finanzierung Finanzierung<br />

(0800) 200151515 3,66 3,92<br />

(0800) 2288500 3,66 3,92<br />

(0521) 580040 3,66 3,92<br />

ING-DiBa (069) 50500109 3,66 4,07<br />

SKG Bank (0681) 8571105 3,74 3,92<br />

Effektivzinsen in Prozent pro Jahr für 200.000 Euro Darlehen und zwei Prozent Tilgung. Bei der<br />

Auswahl der günstigsten Angebote werden maximal drei Vermittler berücksichtigt und<br />

mindestens zwei überregionale Geldgeber. 1) Finanzierung bezogen auf den Kaufpreis. 2)<br />

Kreditvermittler. 3) Kein Angebot.<br />

Quelle: FMH-Finanzberatung Stand: 07.12.<strong>2011</strong><br />

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Schenkungen: Nur ein kleiner Umweg<br />

Steuern & Recht<br />

Familien können ihr Vermögen nicht ganz frei untereinander verteilen. Bei<br />

Kettenschenkungen schaut der Fiskus genau hin. Worauf bei der Methode<br />

zu achten ist.<br />

Sollte seine Ehe eines Tages geschieden werden, schrieb der Gatte in den notariellen Vertrag, könnte<br />

er das Grundstück von seiner Frau wieder zurückverlangen. Das war die Bedingung, und es war die<br />

einzige. Der Mann unterschrieb - und übertrug auf seine Frau die Hälfte eines Grundstücks, das ihm<br />

seine Eltern am gleichen Tag erst geschenkt hatten. Alles steuerfrei natürlich, denn bei<br />

Schenkungen innerhalb des engsten Familienkreises sind die Freibeträge hoch.<br />

Eine Schwiegertochter gehört aber nicht zur allerengsten Familie, zumindest nicht im fiskalischen<br />

Sinne. Und so wurde das Finanzamt skeptisch. Im Grunde habe ja gar nicht der Sohn seiner Frau<br />

etwas geschenkt, sondern er sei nur pro forma dazwischengeschaltet gewesen. Die Beamten<br />

argwöhnten, dass die Familie sich um die Steuer tricksen wollte - die das Schwiegertöchterchen<br />

hätte zahlen müssen, wenn seine Eltern ihr das Grundstück direkt übertragen hätten. Das Amt<br />

quittierte dies mit einem Steuerbescheid über mehr als 5000 Euro, die Schwiegertochter zog vor<br />

Gericht.<br />

Jetzt muss der Bundesfinanzhof (BFH) über den Fall urteilen - und entscheiden, wer bei einer<br />

Kettenschenkung innerhalb der Familie steuerpflichtig ist und wer nicht. Die Frau musste bis vor<br />

das oberste Finanzgericht ziehen, weil sie in der unteren Instanz verloren hatte (Finanzgericht<br />

München, Az.: 4 K 396/11).<br />

Verschenken vermögende Menschen Geld oder Immobilien innerhalb der Familie, hat das oft<br />

handfeste, nicht selten steuerliche Hintergründe. Oft wird dadurch ein Teil des Erbes schon zu<br />

Lebzeiten ausgezahlt. Dadurch kann die Erbschaftsteuer umgangen werden - bei einer Schenkung<br />

leben die gesetzlichen Freibeträge legal alle zehn Jahre neu auf, beim Erbe gelten sie naturgemäß<br />

nur einmal. Auch Unternehmer übertragen ihr Grundstück gern auf Ehegatten, damit im Falle einer<br />

Pleite zumindest Haus und Hof in der Familie bleiben.<br />

Aber auch Finanzbeamte und Richter kennen diese Tricks. Für das Finanzgericht München war es im<br />

Falle der bayerischen Familie unerheblich, dass das Grundstück erst nach zwei einzelnen<br />

Schenkungen auf den Namen der Schwiegertochter eingetragen war. Steuerrechtlich sahen die<br />

Richter darin nur einen einzigen Vorgang: die Schenkung der Eltern an die Schwiegertochter. "Das<br />

ist zumindest fragwürdig", sagt Michael Messner, der Fachanwalt für Steuer- und Erbrecht bei Kapp,<br />

Ebeling & Partner in Hannover ist.<br />

Unlauterer Umweg<br />

Ehepartner können sich untereinander alle zehn Jahre 500.000 Euro schenken, ohne dass das<br />

Finanzamt davon einen Cent sieht. 400.000 Euro Freibetrag sind es bei Präsenten der Eltern an die<br />

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eigenen Kinder. Geschenke an Schwiegertochter- oder Sohn sind aber nur bis zu 20.000 Euro<br />

steuerfrei. Jeder zusätzliche Euro kostet mindestens 15 Cent, abzuführen an das Finanzamt.<br />

Deshalb versuchen Familien natürlich, die günstigen Freibeträge durch Kettenschenkungen<br />

auszuschöpfen. Dabei wird das Geld oder die Immobilie über Verwandte mit einem hohen<br />

Freibetrag umgeleitet. Der kleine Umweg ist aufwendig, kann im Ergebnis aber eine Menge Steuern<br />

sparen - wenn die Richter mitmachen.<br />

Der BFH ging bislang von einem unlauteren Umweg aus, wenn zwischen den einzelnen<br />

Schenkungen eine auf einem Gesamtplan beruhende sachliche Verknüpfung erkennbar war.<br />

Entscheidendes Kriterium dafür ist, ob dem unmittelbar Beschenkten - im Streitfall der leibliche<br />

Sohn - überhaupt ein eigener Entscheidungsspielraum bleibt, ob er also über seinen Erwerb frei und<br />

selbstständig verfügen kann. Ein Indiz dagegen ist ein allzu kurzer Zeitraum zwischen beiden<br />

Rechtsakten: Im Fall der bayerischen Familie gingen beide Schenkungen innerhalb eines Tages über<br />

die Bühne.<br />

"Es darf auch nirgendwo ein Vertrag bestehen, der die zweite Schenkung von vornherein bestimmt",<br />

sagt Rüdiger Fromm, Steuerberater in Koblenz. Wurden beide Schenkungen in einem Vertrag<br />

vereinbart, geht die Rechtsprechung stets davon aus, dass der Erstbeschenkte nur Durchlaufstation<br />

ist, durch die der Fiskus um seine Einnahmen gebracht werden soll.<br />

Die Familie, über die nun der BFH urteilen wird, war vorsichtig. Sie hatte zwei gesonderte notarielle<br />

Verträge aufgesetzt. Und die Eltern hatten in ihren auch nicht geschrieben, dass der Sohn das<br />

Grundstück auf seine Gattin überschreiben muss. "Die Eltern hatten rechtlich gesehen keine<br />

Einflussmöglichkeit mehr, ob der Sohn das Grundstück weitergibt oder nicht", sagt Anwalt Messner.<br />

Da sei es völlig gleich, ob der Sohn erst nach einem Jahr über sein Geschenk verfügt - oder noch am<br />

selben Tag.<br />

Prozess um exklusiven Teppich: Der Fluch des verkannten<br />

Persers<br />

Weil ein Auktionator den inzwischen teuersten Teppich der Welt wie<br />

mittelmäßige Auslageware bewertete, hat ihn die einstige Besitzerin<br />

verklagt. Ein Lehrstück über Preisbildung und Gier auf dem Kunstmarkt.<br />

Da war die Freude groß: 19.000 Euro statt der geschätzten 900 Euro. Soviel war dem Bieter ein alter<br />

Teppich wert, den eine Deutsche im Oktober 2009 durch einen Augsburger Auktionator verkaufen<br />

ließ. Allein, ihre Freude währte nicht lang. Denn wenige Monate nach der Versteigerung kam der<br />

Perser erneut unter den Hammer. Diesmal jedoch nicht in der abgelegenen Provinz, sondern beim<br />

feinen Auktionshaus Christie's in London.<br />

Warum sich die auf exklusive Raritäten und Kunstgüter spezialisierten Engländer des 338 mal 153<br />

Zentimeter großen Vasenteppichs mit dezentem Blumenmuster annahmen, ist schnell erklärt.<br />

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Denn bei der neuerlichen Auktion konnte der im 17. Jahrhundert in der persischen Provinz Kerman<br />

geknüpfte Teppich einen neuerlichen Preissprung verzeichnen. Diesmal erfolgte der Zuschlag<br />

zugunsten eines anonymen Telefonbieters erst bei umgerechnet 7,2 Mio. Euro. Aus dem Augsburger<br />

Schnäppchen war in wenigen Wochen der laut Christie's teuerste Teppich der Welt geworden.<br />

Verständlich, dass die ursprüngliche Eigentümerin sich nun grämte, schließlich übertraf der<br />

Londoner Preis die ihr ursprünglich in Augsburg in Aussicht gestellte Summe um das 8000-fache.<br />

Die tatsächlich bezahlten 19.000 Euro erscheinen dagegen geradezu lächerlich.<br />

Preis ist nicht gleich Wert<br />

Pech gehabt, könnte man sagen, Ungerechtigkeit bejammern - oder klagen. Dafür entschied sich die<br />

einstmalige Besitzerin. Sie sieht sich durch den Augsburger Auktionator um einen hohen Gewinn<br />

gebracht. Der muss sich nun von Mittwoch an vor der 2. Zivilkammer des Landgerichts Augsburg<br />

verantworten. Der Streitwert wurde zunächst auf 350.000 Euro festgelegt - falls die Teilklage Erfolg<br />

hat, ist mit einem weiteren Prozess vor dem Oberlandesgericht München zu rechnen.<br />

Der Anwalt des Beklagten weist jede Verantwortung seines Klienten zurück - und argumentiert mit<br />

Erkenntnissen der klassischen Basar-Ökonomie: "Der erzielte Preis sagt nichts über den Wert des<br />

Teppichs aus", sagt der Anwalt des Auktionators. Bei Auktionen komme es häufig vor, dass ein<br />

Objekt ein Vielfaches des erwarteten Preises bringe. Denn wie Studenten im VWL-Grundkurs<br />

gelernt haben, wird die klassische Preisbildungsmechanik durch besonders rare Güter außer Kraft<br />

gesetzt.<br />

Fraglos hat der Experte bei seiner Bewertung des Persers einen schlechteren Instinkt bewiesen als<br />

der Tippgeber, der gerüchteweise einen Hamburger Händler auf das Augsburger Angebot<br />

aufmerksam gemacht haben soll. Offenbar wusste der Auktionator auch nicht, dass das kostbare<br />

Stück sogar in einem Buch abgebildet und als aus dem Besitz der Comtesse de Béhague stammend<br />

ausgewiesen sei, wie die Klägerin nunmehr anmahnt.<br />

Auch ohne solche Spitzen dürfte das Gezänk um den teuersten Teppich der Welt die Reputation des<br />

Augsburger Auktionators nicht gerade gefördert haben. Für seine aus Sicht der Klägerin - und wohl<br />

auch von Teilen der Fachwelt - fatale Fehleinschätzung haften möchte er gleichwohl nicht.<br />

Infomatec-Prozess: Wettlauf gegen die Zeit<br />

Der Anleger-Musterprozess im Fall von Infomatec zeigt, wie schwer<br />

es geprellte Aktionäre haben, ihren Schaden ersetzt zu bekommen.<br />

Eine Bestandsaufnahme.<br />

Der Zeuge tut sich schwer. Auf Fragen der Richterin im Sitzungssaal E.09 im Oberlandesgericht<br />

München sagt er: "Ich weiß es nicht mehr." Oder: "Daran habe ich keine Erinnerung." Schließlich:<br />

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"Weiß ich nicht, weiß ich nicht, weiß ich nicht." Über zehn Jahre liegt das zurück, wonach er gefragt<br />

wird.<br />

Eine Aktionärin von Infomatec lässt feststellen, ob mehrere Pflichtmitteilungen zwischen 1998 und<br />

2000 falsch waren oder unterlassen wurden. Seit 10. Oktober <strong>2011</strong> läuft das Kapitalanleger-<br />

Musterverfahren gegen die beiden Ex-Infomatec-Vorstände Gerhard Harlos und Alexander Häfele.<br />

Die Aktie der Augsburger Gesellschaft galt als besonders heiß am überhitzten Börsensegment Neuer<br />

Markt. Die Surfstations von Infomatec sollten Fernseher internetfähig machen. Das klang sexy, doch<br />

die Geschäfte liefen nicht wie geplant. Die Aktie stürzte im Jahr 2000 ab. Viele Aktionäre von<br />

Skandalbuden wie Infomatec zogen vor Gericht.<br />

Für solche Massenfälle verabschiedete die Bundesregierung 2005 extra das Kapitalanleger-<br />

Musterverfahrensgesetz. Ein Musterkläger sollte demnach stellvertretend für alle anderen Sachund<br />

Rechtsfragen klären. Das bot sich auch für den Fall Infomatec an, schließlich gibt es rund 70<br />

weitere Kläger.<br />

Doch ihre Kanzlei Rotter Rechtsanwälte aus Grünwald bei München kämpfte fünfeinhalb Jahre, bis<br />

das Gericht ihren Antrag endgültig annahm. Zeit hat das neue Verfahren damit nicht gespart.<br />

Rotter-Rechtsanwalt Felix Weigend begrüßt die grundsätzliche Idee dennoch: "Was bringt es, wenn<br />

Zeugen 70 Mal in jedem einzelnen Verfahren aussagen müssen?"<br />

Ob es irgendetwas bringt, ist in diesem Fall ohnehin die Frage. Der nächste Verhandlungstag ist im<br />

Februar. Fällt dann 2012 ein Urteil, können die Beteiligten Rechtsmittel einlegen. Selbst wenn das<br />

nicht passiert und die Musterklägerin Recht bekommt, müssen alle Kläger dann noch separat vor<br />

Gericht nachweisen, dass sie die Aktien genau wegen der fehlerhaften Informationen gekauft<br />

haben. Das kann sich noch Jahre hinziehen - und dann müssen sie ihre Forderungen auch noch<br />

durchsetzen.<br />

Davon kann der hagere Mann in schwarzem Pullover und Jeans im Zuschauerraum ein Klagelied<br />

singen. Frank Planeck hat Rechtsgeschichte geschrieben. Als erster Kleinaktionär erstritt er am 19.<br />

Juli 2004 beim Bundesgerichtshof wegen falscher Pflichtmitteilungen Schadensersatz von den<br />

Vorständen einer Aktiengesellschaft. Sein Geld hat er bis heute nicht. "Auch kein anderer der<br />

Infomatec-Aktionäre, die vor Gericht gewonnen haben", erzählt er. Denn das Vermögen der<br />

Vorstände ist an den Staat verfallen. Das findet Planeck ungerecht, er ist daher sogar vor den<br />

Europäischen Gerichtshof gezogen und sucht dafür noch Mitstreiter.<br />

Was also haben die Anleger überhaupt noch von dem Musterverfahren? "Einen Titel", sagt Anwalt<br />

Weigend. Man könne versuchen, Vermögen aufzuspüren, etwa über Wirtschaftsdetektive. Einfach<br />

wird auch das nicht. Alexander Häfele ist im Moment gar nicht zu fassen, weder er noch ein Anwalt<br />

ist da. Harlos hat Prozesskostenhilfe beantragt. Das freilich lehnt das Gericht ab. Begründung: Er<br />

habe nicht dargelegt, was denn eigentlich aus den 18 Mio. Euro geworden ist, welche die Vorstände<br />

einst mit Aktienverkäufen erlöst haben sollen.<br />

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Steuerrechtsexperte Jörg Schauf im Interview: "Die<br />

Schweigepflicht bleibt trotzdem"<br />

Der Bundestag hat schärfere Regeln zur Bekämpfung der Geldwäsche<br />

beschlossen. Auch Steuerberater und Anwälte werden stärker in die Pflicht<br />

genommen. Jörg Schauf, Partner bei Flick Gocke Schaumburg, erläutert, ob<br />

die Verschwiegenheitspflicht darunter leidet.<br />

Anwälte und Steuerberater müssen ohnehin schon melden, wenn sie den Verdacht haben, dass sich<br />

ihr Mandant an einer Geldwäsche beteiligt. Warum reicht das dem Gesetzgeber nicht?<br />

Bislang galt das nur bei einem begründeten Verdacht. Die Berater mussten also Tatsachen kennen,<br />

die auf eine Geldwäschestraftat schließen ließen. Künftig reicht es für eine Verdachtsmeldung aus,<br />

wenn kriminalistische Erfahrungswerte darauf hindeuten, dass etwas faul ist. Etwa wenn hohe<br />

Bargeldbeträge fließen oder die Hintergründe bei einem Geschäft ganz verborgen bleiben.<br />

Wird sich ein Täter künftig überhaupt noch zum Anwalt oder Steuerberater trauen?<br />

Natürlich. Anwälte und Steuerberater haben eine berufliche Verschwiegenheitspflicht. Das<br />

Verhältnis zum Mandanten wird durch das Geldwäschegesetz und die aktuellen Änderungen nicht<br />

berührt. Anwälte und Steuerberater müssen Verdachtsfälle oder Straftaten, die unter das<br />

Geldwäschegesetz fallen, nicht anzeigen, wenn sie davon erst im Zuge ihrer Beratung erfahren.<br />

Was bleibt dann für die Meldepflicht übrig?<br />

Das ist ein wirklich enges Fenster. Die Meldepflicht betrifft Missbrauchsfälle, wenn also die<br />

Beratung selbst für Zwecke der Geldwäsche in Anspruch genommen wird. Etwa wenn der Berater<br />

als Treuhänder für irgendwelche dubiosen Beteiligungen oder Stiftungen auftreten soll. Das sind<br />

also Fälle, in denen der Berater Gefahr läuft, sich selbst schuldig zu machen. Nach der bisherigen<br />

Meldepflicht hat es kaum solche Fälle gegeben. Die meisten Berater werden das Mandat ablehnen,<br />

wenn ihnen etwas merkwürdig vorkommt. Insgesamt hat es, seit die Meldepflicht eingeführt<br />

wurde, nur rund 70 Anzeigen von Rechtsanwälten gegeben.<br />

Das soll sich nun ändern. Der Gesetzgeber will Verstöße gegen Meldepflichten härter bestrafen.<br />

Bislang wurde der vorsätzliche Verstoß mit bis zu 100.000 Euro, der fahrlässige mit bis zu 50.000<br />

Euro geahndet. Diese Unterteilung soll entfallen. Bei allen Verstößen, auch aus Leichtfertigkeit,<br />

kann ein Bußgeld bis zu 100.000 Euro festgesetzt werden.<br />

Was bedeutet es für den Mandanten, wenn der Berater ihn zu Unrecht verdächtigt?<br />

Der bekommt in der Regel davon nichts mit. Denn der Berater informiert nur seine Kammer über die<br />

Bedenken. Damit hat er seine Pflicht nach dem Gesetz erfüllt. Erst die Anwalts- oder<br />

Steuerberaterkammer leitet die Meldung an die Kriminalämter weiter. Wenn nichts dran ist,<br />

verpufft die ganze Angelegenheit.<br />

Also viel Aufwand, aber wenig Ergebnis?<br />

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Die Gefahr besteht. Wir werden es jedenfalls künftig mit einer Reihe von Proforma-Anzeigen zu tun<br />

haben. Die Geldwäsche bekämpfen wir damit nicht. Dazu bedarf es weiterer, effektiver<br />

Maßnahmen durch den Gesetzgeber.<br />

Gastronomie: Hotelier zieht in den Kampf gegen<br />

Bewertungsforen<br />

Ein Hotelbetreiber will, dass seine Häuser nicht mehr im Internet beurteilt<br />

werden. Sollte das Gericht zustimmen, hätte das Folgen für alle<br />

gewerblichen Bewertungsforen.<br />

Die Cimex lectularius misst nur wenige Millimeter, ist aber äußerst lästig - die blutrünstigen<br />

Bettwanzen sorgen für Hautausschläge. Durch den Reiseverkehr sind die Biester längst in Europas<br />

Betten herumgekommen. Für Hotelbetreiber sind sie ein Gräuel. Birgit K. zum Beispiel, Gast in<br />

einem Berliner A&O Hostel, behauptete nach der Übernachtung, sich das Bett mit solchen Parasiten<br />

geteilt zu haben. "Für 37,50 Euro die Nacht gab's Bettwanzen frei Haus dazu", schrieb sie zornig in<br />

das Onlineforum Holidaycheck. "Wer möchte schon in einem Hotel übernachten, in dem der Gast<br />

nicht nur Bettwanzen vorfindet, sondern sich auch noch an der Rezeption anhören muss, das<br />

komme eben vor?"<br />

Natürlich niemand. Deshalb ist der Betreiber von A&O Hostels, Oliver Winter, umgehend gegen die<br />

geschäftsschädigende Bewertung zu Felde gezogen. Holidaycheck hat die inzwischen gelöscht, doch<br />

das reicht Winter noch nicht. Er will seine Häuser auf dem Portal gar nicht mehr gelistet sehen.<br />

Kommende Woche wird das Oberlandesgericht Hamburg darüber entscheiden, ob Holidaycheck die<br />

A&O Hostels grundsätzlich von seinem Portal streichen muss (Az.: 5 U 51/11). Sollte das Gericht das<br />

tatsächlich verlangen, hätte das weitreichende Auswirkungen auf alle gewerblichen<br />

Bewertungsportale. "Dann stehen Geschäftsmodelle wie das von Holidaycheck grundsätzlich<br />

infrage", sagt Alexander Freiherr Knigge, Anwalt bei Harms Ziegler in Berlin.<br />

In der Vorinstanz ist Hostelchef Winter mit seinem Anliegen zwar gescheitert. Auch das<br />

Kammergericht Berlin entschied im Sommer in einem vergleichbaren Fall, dass Kritiken nicht<br />

generell verboten werden dürften (Az.: 5 U 193/10). In einem weiteren Prozess vor dem Hamburger<br />

Landgericht erzielte der Kläger aber im September einen Teilerfolg. Die Richter sind erstmals der<br />

Argumentation des Hoteliers gefolgt, dass Holidaycheck kein reines Meinungsportal ist, sondern ein<br />

professioneller Reisevermittler (Az.: 327 O 607/10). Deshalb betreibe es sein Forum nicht aus dem<br />

uneigennützigen Motiv zu informieren, sondern um den Verkauf von Reisen und die Attraktivität<br />

des gewerblichen Onlineangebots zu steigern.<br />

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Blogs nach fragwürdigen Kommentaren scannen<br />

Dieser Unterschied ist von entscheidender Bedeutung. Im Ergebnis hat das Gericht Hotelbetreiber<br />

und Reiseportal als Mitbewerber eingestuft, da gelten die Fairnessregeln des Wettbewerbsrechts.<br />

"Ein gewerbliches Unternehmen muss sich im Internet an die gleichen Regeln halten wie im<br />

normalen Geschäftsleben", sagt Knigge. Dazu gehört, dass man Konkurrenten nicht mit anonymen<br />

Behauptungen schädigen darf.<br />

Bislang hatten die Gerichte stets geurteilt, ein Portalbetreiber stehe erst dann in der Verantwortung,<br />

wenn er trotz Kenntnis von rechtswidrigen Inhalten nicht einschreite. Das LG Hamburg aber<br />

verlangt nun, dass ein gewerbliches Forum die herabsetzenden Tatsachen, die es über einen<br />

anderen verbreitet, auch zu beweisen hat. Es muss sämtliche Nutzerkommentare gegenchecken - sei<br />

es mit technischen Wortfiltern oder gleich mittels eines vorformulierten Bewertungs- oder<br />

Punktesystems.<br />

"Gewerbliche Portalbetreiber begeben sich mit solch einem Forum, in dem es auch mächtig unter<br />

die Gürtellinie gehen kann, freiwillig in Gefahr", sagt Amina Merkel, Anwältin in Hamburg. "Sie<br />

benutzen das zur Marketingakquise. Sich auf der anderen Seite auf überspannte Prüfpflichten zu<br />

berufen kann dann nicht sein." Ein Portalbetreiber müsse erkennen, welche Kommentare sich noch<br />

im rechtlichen Rahmen bewegen. "Wenn ich mich solcher Mittel bediene, muss ich auch in den<br />

sauren Apfel beißen und ein Team aufbieten, das das Blog nach fragwürdigen Kommentaren<br />

scannt."<br />

Andere Portale wie HRS schränken den Kreis der Forumsautoren bereits ein, indem sie die<br />

Möglichkeit, eine Bewertung abzugeben, an eine Buchung koppeln. Ein Portalbetreiber könne seiner<br />

Haftung aber auch entgehen, indem er das Meinungsforum vom Buchungsportal räumlich trennt,<br />

sagt Kathrin Schürmann, Anwältin bei Schürmann Wolschendorf Dreyer. "So setzt er sich nicht dem<br />

Vorwurf aus, dass er das Meinungsforum nur dazu nutzt, sein eigenes gewerbliches Angebot<br />

aufzuhübschen."<br />

Im Falle der Bettwanzen hatte übrigens A&O Hostels selbst den Beweis erbracht, dass das Haus frei<br />

von Parasiten ist. Winter hatte einen Kammerjäger bestellt, nachdem der schmähende Kommentar<br />

auf Holidaycheck aufgetaucht war - und der hat keine einzige Wanze entdeckt.<br />

Mein Steuertipp: Arbeitnehmer müssen ihre Lohnsteuerdaten<br />

penibel prüfen<br />

Die groß angekündigte elektronische Lohnsteuerkarte kommt nun doch<br />

nicht zum Jahreswechsel. Zudem sind beim Fiskus bundesweit fehlerhafte<br />

Lohnsteuerdaten entdeckt worden. Was Arbeitnehmer bei diesem Wirrwarr<br />

jetzt beachten müssen.<br />

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In vielen Fällen können Steuerzahler ihre Krankheitskosten absetzen. So können die Ausgaben<br />

unter Umständen als außergewöhnliche Belastungen oder aber auch als Werbungskosten steuerlich<br />

geltend gemacDie Finanzverwaltung vermeldete die Nachricht lediglich in zwei verschämten<br />

Absätzen: In einem Schreiben teilte das Bundesfinanzministerium (BMF) im Spätherbst mit, dass<br />

der 1.1.2012 als Starttermin für die Einführung der elektronischen Lohnsteuerkarte nicht länger<br />

gehalten werden kann. Grund seien Verzögerungen bei der Erprobung des Abrechnungsverfahrens.<br />

Ein neuer Starttermin könne noch nicht festgelegt werden, werde aber für das zweite Quartal 2012<br />

erwartet, hieß es zunächst. Mittlerweile wurde die Einführung der elektronischen Lohnsteuerkarte<br />

für 2012 nun endgültig abgesagt. Der Start wird jetzt für 2013 angepeilt. Eigentlich sollte ELStAM, so<br />

die Abkürzung für "Elektronische Lohnsteuerabzugsmerkmale", bereits ab nächstem Jahr die seit<br />

Jahrzehnten verwendeten Lohnsteuerkarten aus Papier endgültig ersetzen.<br />

Doch Steuerzahler hatten im ELStAM-Verfahren Fehler festgestellt, die Auswirkungen auf die<br />

Nettolohnauszahlung haben. Bundesweit wurden sogenannte Lohnsteuermerkmale, zum Beispiel<br />

die Lohnsteuerklasse, die Religionszugehörigkeit oder die Anzahl der Kinderfreibeträge, falsch von<br />

den Computern des Fiskus ausgegeben. Solche Fehler muss die Finanzverwaltung nun auf<br />

formlosen Antrag hin korrigieren- ein enormer Aufwand für die Finanzämter.<br />

Was ist zu tun? Die für 2010 ausgestellten Lohnsteuerkarten gelten bis zum ELStAM-Start weiter.<br />

Was aber nicht übernommen wird, sind die (meisten) Freibeträge aus dem Jahr <strong>2011</strong>. Dies ist anders<br />

als im Jahreswechsel 2010/<strong>2011</strong>: Hier mussten die Freibeträge nicht neu beantragt werden.<br />

Freibeträge senken das zu versteuernde Einkommen, führen bereits im Lohnsteuerverfahren zu<br />

einer niedrigeren Steuerlast und somit höherem Nettolohn. Wer also hohe Werbungskosten<br />

beispielsweise wegen weiten Fahrten zur Arbeit hat, der muss seinen Freibetrag aus <strong>2011</strong> neu<br />

beantragen - und sollte bei dieser Gelegenheit auch die weiterhin gültigen Lohnsteuermerkmale in<br />

der Datenbank des Finanzamts auf Richtigkeit überprüfen lassen.<br />

Denn möglicherweise besteht hier durch die ELStAM-Probleme Korrekturbedarf: Die<br />

Finanzbehörden hatten ab Sommer <strong>2011</strong> Schreiben versendet, in denen Angestellte über die in der<br />

behördlichen Datenbank gespeicherten elektronischen Lohnsteuerabzugsmerkmale informiert<br />

wurden. Die mitgeteilten Daten sind die Grundlage der Lohnabrechnung ab dem Zeitpunkt der<br />

Umstellung auf das elektronische Verfahren. Sind sie fehlerhaft, wird der Nettolohn falsch<br />

berechnet. Ein Beispiel: Hat ein verheirateter Mann bei einem Bruttolohn von 3500 Euro bisher<br />

Lohnsteuerklasse III, und würde er wegen eines Datenübertragungsfehlers im elektronischen<br />

Verfahren nach Lohnsteuerklasse I abgerechnet, erhielte er von seinem Arbeitgeber rund 280 Euro<br />

weniger ausgezahlt.<br />

Wichtig: Im Gegensatz zu früheren Jahren - in denen die Städte und Gemeinden die<br />

Ansprechpartner für die Lohnsteuerkarte waren - sind mittlerweile die Wohnsitzfinanzämter<br />

zuständig.<br />

Mein Steuertipp<br />

Arbeitnehmer sollten bei fehlerhaften ELStAM-Daten und Freibeträgen unbedingt selbst tätig<br />

werden. Das ist auch nötig, wenn sich für das Steuerjahr 2012 wichtige Lohnsteuermerkmale wie<br />

Kinderzahl, Religionszugehörigkeit oder die Steuerklasse verändert haben. Wer es hier versäumt,<br />

sich um Korrekturen beim Fiskus und beim Arbeitgeber zu kümmern, riskiert eine fehlerhafte<br />

Lohnsteuerabführung und somit Auswirkungen auf den Nettolohn. Diese Fehler können im<br />

Nachhinein allerdings mit der Einkommensteuerjahreserklärung noch korrigiert werden. Waren<br />

falsche Daten die Grundlage für den Lohnsteuerabzug, wird die Abgabe einer Steuererklärung<br />

jedoch zur Pflicht - und ist damit also nicht mehr wie ansonsten bei vielen Arbeitnehmer freiwillig.<br />

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Benjamin J. Feindt ist Steuerberater und Gruppenleiter bei DanRevision in Flensburg-Handewitt.<br />

Urteil der Woche: Banken haften verschärft bei Kartenverlust<br />

Wenn ein Dieb mit einer fremden Kreditkarte am Automaten Geld abhebt,<br />

hat die Bank bisher einfach unterstellt, dass der Kunde Karte und<br />

Geheimzahl fahrlässig aufbewahrt hat. Das ist unzulässig.<br />

Oliver Oliver Thiemann<br />

Thiemann ist Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht bei Brinkmann Dewert Anwälte<br />

in Essen.<br />

BGH vom 29.11.<strong>2011</strong><br />

AZ: XI ZR 370/10<br />

Der Fall<br />

Der Beklagte war Inhaber einer Kreditkarte, die auch zur Abhebung von Bargeld an Geldautomaten<br />

zugelassen war. Nach den AGB war täglich eine Barabhebung von maximal 1000 Euro zulässig. Die<br />

AGB sahen auch vor, dass der Beklagte den Verlust oder den Missbrauch der Karte unverzüglich<br />

anzuzeigen hatte.<br />

In der Nacht vom 12. auf den 13. August 2009 wurden mit der Karte insgesamt sechsmal 500 Euro an<br />

Geldautomaten abgehoben, wobei die PIN des Beklagten verwendet wurde. Der Belastung seines<br />

Kontos widersprach der Beklagte, da er die Abhebungen nicht vorgenommen habe. Die klagende<br />

Bank aber verlangt die abgehobene Summe von ihm. Sie meint, er habe seine PIN nicht sorgfältig<br />

getrennt von der Kreditkarte verwahrt.<br />

Das Amtsgericht und auch das Landgericht sprachen der Bank den Schadensersatz zu. Die stützten<br />

sich auf die ständige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH), wonach bei Nutzung der Karte<br />

mit der zugewiesenen PIN der Beweis des ersten Anscheins dafür spreche, dass der Karteninhaber<br />

seine Sorgfaltspflichten verletzt habe.<br />

Das Urteil<br />

Der Bundesgerichtshof hat seine bisherige Rechtsprechung zum Beweis des ersten Anscheins für<br />

eine Sorgfaltspflichtverletzung von Karteninhabern präzisiert. Er stellt klar, dass diese Vermutung<br />

nur dann gelte, wenn bei den Barabhebungen die Originalkarte eingesetzt wird. Werde etwa durch<br />

das sogenannte Skimming eine Kartendublette erstellt, greife die Vermutung nicht. Beim Skimming<br />

werden die Daten illegal ausgelesen und damit eine Kartenkopie erstellt, die Barabhebungen<br />

ermöglicht. Die Beweislast dafür, dass die Originalkarte verwandt wurde, treffe die Bank.<br />

Daneben sei hinsichtlich der Höhe des Schadensersatzes zu berücksichtigen, dass die in den AGB<br />

vorgesehene Begrenzung auf 50 Euro bis zum Eingang der Verlustmeldung auch eine<br />

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Haftungsbegrenzung bei schuldhafter Verletzung der Sorgfaltspflichten durch den Kunden<br />

begründe. Der sei auch durch die Begrenzung auf 1000 Euro pro Tag geschützt. Wird diese<br />

Höchstgrenze seitens der Bank nicht eingehalten, begeht sie eine Pflichtverletzung, die eigenen<br />

Schadensersatzansprüchen entgegengehalten werden kann. Im konkreten Fall hat der BGH das<br />

Urteil des Landgerichts aufgehoben und zur weiteren Sachaufklärung zurückverwiesen.<br />

Die Folgen<br />

Die Einschränkung des Beweises des ersten Anscheins durch den Bundesgerichtshof hat in der<br />

Praxis erhebliche Auswirkungen. Sie schiebt den Schwarzen Peter bei Kartenverlust nunmehr auf<br />

die Seite der Banken. Bisher standen Karteninhaber häufig vor dem Problem, dass sie zwar das<br />

Abhandenkommen ihrer Karte und damit auch belegen konnten, dass sie selbst keine Abhebung<br />

vorgenommen hatten. Dies reichte aber meist nicht aus, um die Bank zur Rückbuchung der Beträge<br />

zu bewegen. Die wandte standardmäßig ein, der Kunde habe seine Pflichten aus dem Kartenvertrag<br />

verletzt und dadurch die Abhebungen in dieser Höhe verursacht. Dem Einwand der Kunden, die<br />

Verschlüsselung der Karten sei unzureichend und ein Auslesen der PIN möglich, widersprachen die<br />

gerichtlich bestellten Sachverständigen stets. Zudem schreckten die Kosten eines solchen<br />

Gutachtens die Kunden vor einem Rechtsstreit ab.<br />

Nunmehr werden Kunden, die ihre Originalkarte noch in den Händen haben, Banken unverzüglich<br />

zur Zahlung bewegen können. Kunden, denen die Karte entwendet wurde, werden jedenfalls<br />

einwenden, sie sei nur ausgelesen, nicht aber verwandt worden. Ob dies so ist, muss nunmehr die<br />

Bank beweisen. Die wird anhand der Daten des jeweiligen Geldausgabeautomaten kaum feststellen<br />

können, ob die Originalkarte eingesetzt wurde.<br />

Die Ausführungen des BGH zur Begrenzung der Haftung geben Banken Anlass, ihre Allgemeinen<br />

Geschäftsbedingungen auf hinreichende Klarheit zu überprüfen und ihren Geschäftsbetrieb auch<br />

im Interbankenverkehr so einzurichten, dass Höchstgrenzen berücksichtigt werden.<br />

Es geht um: Ihr Geld<br />

Fahrtenbuch<br />

Im Capital-Überblick über Entwicklungen bei der Geldanlage geht es<br />

diesmal um Fahrtenbuch, Ruhestörung, Steuervorteil sowie Unfallfolgen.<br />

Wenn Autofahrer aus steuerlichen Gründen einzelne Autofahrten dokumentieren müssen, dürfen<br />

sie ihr Fahrtenbuch nicht mit einer Tabellenverwaltungssoftware, wie sie etwa Microsoft Excel<br />

anbietet, führen.<br />

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Das hat der Bundesfinanzhof entschieden (Az.: VI B 12/11). Ein Mann hatte am Computer eine Liste<br />

geführt, um für das Finanzamt festzuhalten, wie oft er seinen Wagen für berufliche<br />

beziehungsweise private Fahrten nutzt.<br />

Dieses Vorgehen genüge nicht den Anforderungen an ein ordnungsgemäßes Fahrtenbuch,<br />

entschieden die Richter. Der Grund: Es sei möglich, die Einträge im Nachhinein zu manipulieren,<br />

ohne dass dies später zu erkennen ist.<br />

Steuervorteil<br />

Wer sich vom Anbieter eines geschlossenen Fonds getäuscht fühlt, braucht nicht aus steuerlichen<br />

Gründen davor zurückzuschrecken, Schadensersatz oder gar die Rückabwicklung des Investments<br />

zu verlangen.<br />

Entgegen der weitverbreiteten Meinung gehen bereits realisierte Steuervorteile nämlich<br />

keineswegs verloren, wenn Anleger ein Fondsinvestment rückabwickeln lassen. Darauf weist die<br />

Bremer Anwaltskanzlei KWAG hin.<br />

Anleger, die sich fehlerhaft beraten fühlen oder deren Fonds deutlich höhere Risiken aufweist als<br />

ursprünglich versprochen, sollten sich deshalb nicht scheuen, gegen den Anbieter vorzugehen,<br />

raten die Juristen.<br />

Unfallfolgen<br />

Wer Ladung auf einem Anhänger unzureichend sichert oder falsch verlädt, verliert bei einem Unfall<br />

einen Teil des Versicherungsschutzes.<br />

Auf dieses Urteil des Oberlandesgerichts Saarbrücken (Az.: 5 U 395/09) weist der Deutsche<br />

Anwaltverein hin. Ein Mann hatte seinen Porsche-Sportwagen auf einem Anhänger transportiert.<br />

Weil der Schwerpunkt zu hoch lag, geriet das Gespann ins Schleudern und kam von der Straße ab.<br />

Die Assekuranz, bei der das Auto per Vollkaskopolice versichert war, beglich nur 75 Prozent des<br />

Schadens, weil der Kunde den Wagen falsch verladen habe. Dagegen wehrte sich der Versicherte.<br />

Die Richter wiesen die Klage ab. Der Mann habe seine Sorgfaltspflicht verletzt, deshalb dürfe die<br />

Versicherung ihre Leistung reduzieren.<br />

Ruhestörung<br />

Wenn Wohnungsmieter ihre Mietzahlungen kürzen, weil ein anderer Mieter regelmäßig lärmt, darf<br />

der Vermieter sich den finanziellen Schaden vom Lärmverursacher ersetzen lassen.<br />

Das hat das Amtsgericht Bremen entschieden (Az.: 17 C 105/10). Die Bewohner eines Mietshauses<br />

fühlten sich durch den Lärm eines Hausbewohners massiv gestört. Er hörte auch während der<br />

Ruhezeiten laut Musik, knallte Türen und schrie des Öfteren in seiner Wohnung. Daraufhin<br />

minderten andere Mieter die Mietzahlungen um 20 Prozent.<br />

Der Vermieter verlangte von dem lärmenden Mieter, diese Summe zu ersetzen. Zu Recht, entschied<br />

das Gericht. Der Mann habe durch sein ungebührliches Verhalten gegen die Pflicht verstoßen, den<br />

Hausfrieden zu wahren. Dazu hatte er sich aber durch seine Unterschrift unter den Mietvertrag<br />

verpflichtet.<br />

Servicetools für den Finanzcheck<br />

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Mysteriöse Erfindung: Signor Rossi und die unglaubliche<br />

Energiemaschine<br />

Exit<br />

Ein italienischer Unternehmer hat ein Gerät entwickelt, das alle<br />

Energieprobleme der Menschheit lösen könnte - wenn es funktioniert. Was<br />

kaum einer glaubt. Kaufen kann man es trotzdem.<br />

Vielleicht wird Mario Monti ihm eines Tages noch dankbar sein. Dafür, dass Andrea Rossi das<br />

Schuldenproblem gelöst hat. Ohne Eurobonds, ohne IWF. Einfach mit einer Erfindung. Denn Rossi,<br />

ein italienischer Geschäftsmann, verspricht nichts Geringeres als die Lösung der Energie- und<br />

Klimaprobleme der Menschheit. Da sollte also für Italien gut was bei rumkommen in Sachen<br />

Steuereinnahmen.<br />

Andrea Rossi sagt nämlich, er könne Energie aus Nickel und Wasserstoff herstellen. Das Verfahren,<br />

das er benutzt, nennt sich kalte Fusion - und damit fangen die Probleme an. Denn kalte Fusion, das<br />

Verschmelzen von Atomkernen bei sehr niedrigen Temperaturen, ist zwar sehr praktisch: viel<br />

Energie, wenig Aufwand. Nach den Regeln der Physik aber eigentlich nicht möglich. Bislang<br />

jedenfalls sind alle Versuche von namhaften Wissenschaftlern und Universitäten gescheitert. Und<br />

jetzt ist da dieser Rossi, ein Biodieselunternehmer, der von sich behauptet, die eierlegende<br />

Wollmilchsau der Physik gefunden zu haben.<br />

Gemeinsam mit seinem Mentor, dem emeritierten Physikprofessor Sergio Focardi von der<br />

Universität Bologna, hat er den "Energiekatalysator" entwickelt, den E-Cat: ein Reaktor, der bei einer<br />

Kernfusion große Menge Energie liefern soll, aber kaum Hitze erzeugt. Schon im Januar führten die<br />

beiden an der Uni Bologna einen Prototyp ihrer Wundermaschine vor. Damals versprachen sie: Bis<br />

Oktober bauen wir ein marktreifes Modell.<br />

Und tatsächlich lieferten sie pünktlich: Ein Megawatt soll ihr Reaktor erzeugen - und so genug<br />

Energie für annähernd 1000 Einfamilienhäuser erzeugen. "Denken sie an die Hunderte Millionen<br />

Dollar, die in der Kernfusionsforschung ausgegeben worden sind", sagte Rossi bei der Vorstellung.<br />

"Ich denke, das ist ein Durchbruch."<br />

Durchbruch oder Täuschungsmanöver<br />

Mit dieser Einschätzung ist er freilich weitgehend allein. Die Arbeit von Herrn Rossi sei "nicht<br />

seriös", teilt etwa die Deutsche Physikalische Gesellschaft mit. Er hätte seine Forschungen in einem<br />

wissenschaftlichen Fachmagazin publizieren sollen, wie es üblich sei. So müsse der Erfinder eben<br />

damit leben, "dass die Fachwelt ihm nicht glaubt".<br />

In der Tat tut Rossi nicht besonders viel, um die Menschheit von der Energierevolution zu<br />

überzeugen. Zwar durften bereits zwei Physiker aus Schweden die Einzelteile des Aufbaus<br />

besichtigen, die Reaktorkammer aber blieb ihnen verborgen. Auch einen ersten Käufer des E-Cats<br />

soll es schon geben, allerdings verschweigt Rossi Namen und Preis.<br />

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Immerhin existiert ein Protokoll von der Abnahme des Geräts durch den Käufer. Fünfeinhalb<br />

Stunden lang, ist dort zu lesen, habe der Reaktor sogar ganz ohne externe Energiezufuhr Strom<br />

geliefert. Nur 470 Kilowatt, aber besser als nichts. Allerdings trägt das Dokument weder Stempel<br />

noch Unterschrift - es ist eine einfache Word-Datei. Jed Rothwell, ein in der Physikerszene bekannter<br />

Blogger, schreibt dazu auf seiner Website: "Ich glaube es, aber ich muss auch zugeben, dass es sich<br />

um ein gigantisches und teures Betrugsmanöver handeln könnte."<br />

Rossi selbst ist das alles egal. Am Sonntag gab er bekannt, dass es keine weiteren Vorführungen<br />

geben werde: aus Angst vor Industriespionage. Denn tatsächlich wollte er 100 E-Cats im nächsten<br />

Jahr ausliefern, zusammen mit dem griechischen Unternehmen Defkalion Green Technologies. Die<br />

aber haben mittlerweile angekündigt, einen eigenen Megawatt-Reaktor zu bauen, ohne Rossi.<br />

Anfang 2012 soll er in Produktion gehen.<br />

Sieht also so aus, als müsste Italien ein paar Monate mehr einplanen für die Schuldentilgung. Aber<br />

Griechenland kann das Geld ja auch ganz gut gebrauchen.<br />

"The Muppets": Comandante Kermit - der kommunistische<br />

Kinderschreck<br />

Kinderschreck Waldorf und Statler - oder doch Marx und Engels? Der neue Muppets-Film<br />

steht unter einem gar schrecklichen Verdacht: Ein Moderator des TV-<br />

Senders Fox Business Network will in dem Hollywood-Streifen einen<br />

Aufruf zum Klassenkampf erkannt haben.<br />

Dass Statler und Waldorf trotz ihres kultivierten Auftritts einen gewissen Hang zur Anarchie<br />

verkörpern, ist wohl jedem Muppets-Zuschauer klar. Doch die kauzigen Kommentatoren aus dem<br />

Oberrang sind offensichtlich nur die Spitze des Eisbergs.<br />

Eric Bolling, Moderator von "Follow the Money" ist in höchster Aufregung. In seiner Sendung, die<br />

vergangene Woche beim konservativen US-Sender Fox Business Network ausgestrahlt wurde,<br />

enthüllte Bolling, was sich hinter der plüschigen Fassade verbirgt: Nichts als "linke Gehirnwäsche"<br />

sei der neueste Puppentrickfilm "The Muppets ", der gerade in die US-Kinos gekommen ist.<br />

Das liberale Hollywood stelle einen erfolgreichen Geschäftsmann als Bösewicht dar, ereiferte sich<br />

der Moderator vor laufenden Kameras. "Wir bringen unseren Kindern den Klassenkampf bei", rief<br />

Bolling erstaunt. "Wo leben wir, in China?"<br />

Zugegeben, das Skript des Films würde so manchem Propagandaschreiber aus dem Reich der Mitte<br />

zur Ehre gereichen: Auf der Leinwand kämpfen Kermit und Miss Piggy gegen einen Ölunternehmer,<br />

der unter ihrem Theater nach dem schwarzen Gold bohren will. Damit gar keine Zweifel an<br />

Herkunft und Status des Geschäftsmanns aufkommen, haben ihn die Autoren Tex Richman getauft.<br />

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Die Occupy-Bewegung - eine Marionette Hollywoods?<br />

Doch nicht nur die Muppets rufen zu den Barrikaden. Gleich mehrere Blockbuster wurden als<br />

Propaganda für linke Ideologien geoutet. Darunter auch die Filme der "Matrix"-Saga. Darin würde<br />

der Mensch als eine Art Virus verbrämt, das der "armen, alten Mutter Erde" zusetze, sekundierte Dan<br />

Gainor, der als Gast in Bollings Studio saß. Der Publizist, der für das konservative<br />

Medienbeobachtungsinstitut Media Research Center tätig ist, hatte gleich eine ganze Liste von<br />

Filmen parat, darunter auch bislang harmlos scheinende Kinderunterhaltung wie Disney's "Cars 2".<br />

Das Ergebnis der fortgesetzten Gehirnwäsche sei verheerend, so die beiden Männer<br />

übereinstimmend. "Hollywood hasst die Ölindustrie, Hollywood hasst die amerikanischen<br />

Unternehmer", eiferte Gainor und fand eine Erklärung für den erstaunlichen Zulauf, der Bewegung<br />

Occupy Wall Street: "Sie wurden alle über Jahrzehnte indoktriniert."<br />

"Die Gefahr" kommt übrigens bald nach Deutschland. Der neue Muppets-Film um die Aktivitäten<br />

von Tex Richman läuft am 19. Januar 2012 in den hiesigen Kinos an.<br />

Es ist nicht das erste Mal, dass Kinderserien unter Ideologieverdacht geraten. Seit Jahren sehen sich<br />

Tim und Struppi mit dem Vorwurf konfrontiert, die Ende der 1920er-Jahre eingeführte Comicreihe<br />

sei durchsetzt von rassistischen Klischees. Und vor wenigen Monaten sorgte ein französischer Autor<br />

für Aufregung, als er die gesellschaftliche Organisationsform der Schlümpfe kritisch unter die Lupe<br />

nahm. Demzufolge seinen sie - unter der Führung des autokratischen Papa-Schlumpf - im Grunde<br />

nichts anderes als eine Bande ausgemachter Faschisten. Es scheint ganz so, als verhärteten sich die<br />

Fronten im Kinderzimmer zusehends.<br />

Schlapphut-Test: Was wissen Sie über Geheimagenten?<br />

Spionage gehört seit jeher zum täglichen Geschäft von Geheimdiensten. In<br />

Deutschland wird der neue BND-Chef Gerhard Schindler die Zukunft des<br />

Bundesnachrichtendienstes bestimmen. Testen Sie hier Ihr<br />

Geheimdienstwissen.<br />

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EZB-Filmchen bei Youtube: Friede, Freude, Eurokuchen<br />

Als wäre alles wie am ersten Tag. Mit einem aufwändig produzierten Video<br />

feiert die Europäische Zentralbank den zehnten Geburtstag der<br />

Gemeinschaftswährung. Von Krise keine Spur.<br />

Europa löst ihr Kopftuch, schwebt von der griechischen Amphore herab und verwandelt sich in eine<br />

schöne junge Frau. Lächelnd durchschreitet sie die Torbögen der 10- und 20-Euro-Scheine. Brücken<br />

bauen sich auf, verbinden Italien mit Griechenland, Portugal mit Irland. Und kurz darauf hat Mario<br />

Draghi seinen ersten Auftritt im Euro-Geburtstagsvideo. "Eine beispiellose Herausforderung" sei<br />

die Ausgabe der ersten Euro-Banknoten gewesen, sagt der Chef der Europäischen Zentralbank (EZB).<br />

"Aber es ist reibungslos gelaufen." Von Krise damals keine Spur.<br />

Happy Birthday, Euro! Zehn Jahre ist die Bargeldeinführung am 1. Januar her. Und glaubt man dem<br />

PR-Video, das die EZB gerade auf Youtube verbreitet, kann auch heute von Euro-Krise keine Rede<br />

sein. Da steigen Ballons in den Himmel, Feuerwerkskörper erhellen die Nacht. Da breitet "Onkel<br />

Wim", der frühere EZB-Chef Duisenberg, seine Arme über Kinder, die Geldscheine in die Kamera<br />

halten. Es folgen lange Erklärungen über Umtauschfristen für die letzten Francs und Lire, über<br />

Fälschungssicherheit. Und: "Einer der Vorteile des Euro besteht darin, dass bei Reisen innerhalb des<br />

Euro-Gebiets kein Geld mehr umgetauscht werden muss."<br />

Dem Existenzkampf der Währung widmet das knapp siebenminütige Video nur einen Halbsatz:<br />

"Trotz der Herausforderungen, denen Europa gegenübersteht", hebt Draghi an, um fortzufahren,<br />

"wie auch der Rest der Welt, können die Bürger der Euro-Zone sicher sein, dass die EZB ihrem<br />

Mandat der Preisstabilität treu bleibt." Thema abgehakt.<br />

Eine fünf- bis sechsstellige Summe soll der Film gekostet haben. Was soll so ein Jubelstreifen mitten<br />

im Schlamassel? "Ziel ist, des Geburtstags des Euro zu gedenken", sagt ein EZB-Sprecher. "Das<br />

Geburtstagskind hat nicht dieses Problem. Es geht um die Schuldenkrise einiger Länder."<br />

Das Publikum hört die Botschaft nicht. "EU Comedy Award!", "minderwertige Propaganda" und<br />

"EURO = Enormous Unaccountable Robbery Operation", lauten Urteile der Youtube-Nutzer. Der<br />

Sprecher: "Wir schauen uns die Reaktionen nicht an."<br />

Trotzdem muss die EZB ihr Filmchen wohl bald zurückziehen: weil es veraltet ist. So heißt es,<br />

Italiener könnten alte Lire noch bis Ende Februar umtauschen. Premier Mario Monti will nun aber<br />

nach Medienberichten die alte Währung sofort verfallen lassen - zugunsten der Staatskasse. Da<br />

könnte selbst der Europa das Lächeln gefrieren.<br />

Wenn Autos zu Filmstars werden<br />

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