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Wilhelm Jordan: Nibelunge. Erstes Lied - Nibelungenrezeption.de

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[1]<br />

Vorgesang.<br />

——<br />

<strong>Wilhelm</strong> <strong>Jordan</strong><br />

<strong>Nibelunge</strong>.<br />

——<br />

<strong>Erstes</strong> <strong>Lied</strong>: Sigfridsage. I. Teil.<br />

Ich wage zu wan<strong>de</strong>ln verlassene Wege<br />

Zur fernen Vorzeit unseres Volkes.<br />

Erwache <strong>de</strong>nn, Weise voll Kraft und Wohllaut,<br />

Die Mutter Natur germanischem Mun<strong>de</strong><br />

Eingebil<strong>de</strong>t und angeboren,<br />

Wie draußen im Busche Drossel und Buchfink<br />

Lockruf und <strong>Lied</strong> von <strong>de</strong>r Meisterin lernten.<br />

Wie verstummte sie <strong>de</strong>nn? so fraget ihr staunend<br />

Vernehmt, wie sie starb, wie sie nun auferstan<strong>de</strong>n.<br />

———<br />

Als unsere Ahnen <strong>de</strong>n Erdkreis erobert,<br />

Verloren <strong>de</strong>n Himmel die heimischen Götter.<br />

Das Reich war entrissen <strong>de</strong>r ewigen Roma,<br />

Doch zu gelten begann sie als Geisterfürstin.<br />

Es war ihre Sendung, zu sanfterer Sitte<br />

Mit Kreuz und Krummstab die Krieger zu zähmen.<br />

[2] In <strong>de</strong>r Lehre <strong>de</strong>r Liebe vom lei<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Heiland<br />

Fan<strong>de</strong>n die Vorfahrn erfüllt ein Hoffen,<br />

Von welchem die Stimme <strong>de</strong>r Wala gestammelt.<br />

Sie beteten, büßten und – mußten verbannen,<br />

Diesem Befehle <strong>de</strong>r Völkerfürstin<br />

Mit Wehmut nur weichend, die Götter Walhalls.<br />

Da sanken die Säulen <strong>de</strong>s Sonnenlenkers,<br />

Da beugten sich <strong>de</strong>m Beile die heiligen Bäume,<br />

Da wan<strong>de</strong>rte Wodan zur eisigen Wüste<br />

Islands hinauf, wo in endlosen Nächten<br />

Nur das Nordlicht die Dämmerung nachahmt.<br />

Da legte sich schlafen <strong>de</strong>r Donnerkeilschleudrer<br />

Und Geber <strong>de</strong>s Reichtums, <strong>de</strong>r Gott <strong>de</strong>r Garben<br />

Mit <strong>de</strong>m roten Bart, um verborgen im Berge<br />

1


Zu warten, bis wie<strong>de</strong>r einst Walvater weckend<br />

Zum Rat ihn berufe durch seine zwei Raben.<br />

So gingen die Götter und wur<strong>de</strong>n vergessen.<br />

In die Nacht hinunter nahmen sie mit sich<br />

Den schönsten Schatz, <strong>de</strong>n sie schenken <strong>de</strong>n Völkern,<br />

Ihr Lob zu lohnen: die Weihe <strong>de</strong>s <strong>Lied</strong>es.<br />

Die Sage versiegte, die Sänger verstummten,<br />

Ihr lautes Leben verlor die Dichtung,<br />

Und Verse fürs Auge formte die Fe<strong>de</strong>r.<br />

Da wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>m Weibe die Andacht gewidmet,<br />

Da galt es für göttlich Begier<strong>de</strong>n zu frönen,<br />

Und, das Mark <strong>de</strong>r Mannheit in Minne vergeu<strong>de</strong>nd,<br />

Seufzten und sangen in kranker Sehnsucht<br />

Die Ritter <strong>de</strong>s Reichs ihre süßlichen Reime.<br />

So wur<strong>de</strong> geschädigt, verschüttet, geschän<strong>de</strong>t<br />

[3] Die herrliche Halle <strong>de</strong>s Hel<strong>de</strong>nruhmes.<br />

In traurigen Trümmern, kaum noch betretbar,<br />

In wüster Verwirrung, umwuchert von Schlingkraut<br />

Ließ man sie lange lieblos liegen.<br />

Man wollt’ es nicht wagen, die Wän<strong>de</strong> zu säubern,<br />

Denn <strong>de</strong>n üppigen Efeu a<strong>de</strong>lte sein Alter.<br />

Da riß ich herunter die <strong>de</strong>cken<strong>de</strong>n Ranken,<br />

Folgte <strong>de</strong>r Forschung führen<strong>de</strong>m Fa<strong>de</strong>n<br />

In die lichtlosen Räume <strong>de</strong>s Labyrinthes,<br />

Durchschürfte nach Schätzen die Haufen Schuttes<br />

Und säuberte sorgsam die Bö<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Säle.<br />

Nach längerem Graben beim Grubenlämpchen<br />

Entfacht’ ich an ihm die größere Fackel<br />

Des Dichterschauens: in das dämmrige Dunkel<br />

Strömte <strong>de</strong>s Lichtes beleben<strong>de</strong>r Strahl.<br />

Bald stand ich erstaunt und stumm vor Entzücken.<br />

Da bil<strong>de</strong>te die Bö<strong>de</strong>n buntes Getäfel,<br />

Da waren sichtbar die Sockel <strong>de</strong>r Säulen,<br />

Da lagen die Stämme von Stein, die einst stehend<br />

Die weite Wölbung als Wipfel getragen,<br />

Und wenig verwun<strong>de</strong>t prangt’ auf <strong>de</strong>n Wän<strong>de</strong>n<br />

Manches Gemäl<strong>de</strong> voll Schönheit und Maß.<br />

In<strong>de</strong>m ich die Trümmer träumend betrachte,<br />

Steigt eine stolze Gestalt aus <strong>de</strong>r Tiefe,<br />

Ein wun<strong>de</strong>rbar Weib in wallen<strong>de</strong>m Gewan<strong>de</strong>,<br />

Eichenlaub im Haar, im Arm eine Harfe,<br />

Und reicht mir mit <strong>de</strong>r Rechten ein run<strong>de</strong>s Stäbchen,<br />

Auf <strong>de</strong>m ich die Rin<strong>de</strong> geritzt sah mit Runen.<br />

[4]<br />

Ein Zauber durchzuckt mich vom Wirbel zur Zehe,<br />

In<strong>de</strong>m ich es fasse. Was alles Forschen<br />

Der Hoffnung versagt, nun hielt ich’s in Hän<strong>de</strong>n,<br />

Nun verriet es mir rasch ein Blick auf die Runen.<br />

Kaum reck’ ich <strong>de</strong>n Arm und berühre die Reste<br />

2


Des verstümmelten Baus mit <strong>de</strong>m Buchenstäbchen,<br />

So steigen alle Steine an die rechten Stellen,<br />

So regen sich die Säulen und richten sich gera<strong>de</strong>,<br />

Und schwungvoll schwibbt sich in schwin<strong>de</strong>ln<strong>de</strong>r Höhe,<br />

Wie sie weiland gewesen, die Wölbung <strong>de</strong>r Kuppel.<br />

„Nun zeige dich würdig <strong>de</strong>s Zauberstabes!“<br />

Hört’ ich die Hüterin hoheitsvoll sagen.<br />

„Was du geschaut hast, sollst du nun schaffend<br />

Nochmals erneuen. Was einst graniten<br />

Formte <strong>de</strong>r Väter vollere Re<strong>de</strong>,<br />

Das versuche zu mo<strong>de</strong>ln vom weicheren Marmor<br />

Der leben<strong>de</strong>n Sprache. Noch spru<strong>de</strong>lt ihr Springquell<br />

Unerschöpflich schäumend aus tiefen Schachten<br />

Eignen Erinnerns und bil<strong>de</strong>n<strong>de</strong>r Urkraft<br />

Und bedarf nur <strong>de</strong>r Leitung, um lauter und lieblich<br />

Mit rauschen<strong>de</strong>m Re<strong>de</strong>strom bis zum Ran<strong>de</strong><br />

Der Vorzeit Gefäße wie<strong>de</strong>r zu füllen<br />

Und neu zu verjüngen nach tausend Jahren<br />

Die wun<strong>de</strong>rgewaltige uralte Weise<br />

Der <strong>de</strong>utschen Dichtkunst.“<br />

Zu riesig dünkte<br />

Mir dieses Erkühnen, <strong>de</strong>n Kunstgenossen<br />

Den Rücken zu kehren, <strong>de</strong>n Reim zu mei<strong>de</strong>n,<br />

Und ich zögerte zaghaft, ihr zuzusagen.<br />

[5]<br />

„So teile <strong>de</strong>nn“, sprach sie, „<strong>de</strong>n Irrtum <strong>de</strong>s Tages<br />

Erfin<strong>de</strong> dir Fabeln statt fertiger Sagen,<br />

Ersinne dir selbst <strong>de</strong>n Stoff zu Gesängen;<br />

Man lauscht nicht länger leibeigenen <strong>Lied</strong>ern.<br />

Heize <strong>de</strong>in Hirn mit <strong>de</strong>m hohlen Hochmut,<br />

Zu wähnen, mit <strong>de</strong>iner winzigen Weisheit<br />

Könnest du erkünsteln, was Völker nur erkämpfen,<br />

Die Gesamtheit nur ersinnt mit ewiger Seele,<br />

Und Jahrhun<strong>de</strong>rte erst häufen zum Hort <strong>de</strong>s Gesanges.<br />

Was du münzest aus Masse, die du selber gemischt hast,<br />

Mag gelb sein, doch gilt’s nicht, es ist nicht gol<strong>de</strong>n.<br />

Aus <strong>de</strong>m e<strong>de</strong>lsten Erze <strong>de</strong>s uralten Erbes<br />

Von Er<strong>de</strong>n und Rost das reine Rotgold<br />

In leuchten<strong>de</strong>r Schönheit lauter zu schei<strong>de</strong>n,<br />

Mit <strong>de</strong>m Zeichen <strong>de</strong>r Zeit es preiswert zu prägen,<br />

Das nur, be<strong>de</strong>nk’ es und laß <strong>de</strong>n Dünkel,<br />

Ist <strong>de</strong>r Dienst <strong>de</strong>s Dichters, <strong>de</strong>s Gedankenwar<strong>de</strong>ines.“<br />

„Von ganzem Herzen und gern gehorch’ ich<br />

Deinem Wink; doch das Werk ist gewaltig,<br />

Für sich allein verlangt es ein Leben.<br />

Ich, wenn es hochkommt, habe noch ein halbes,<br />

Und die heitere Hälfte versang ich suchend.<br />

Mit Deiner Weihe wag’ ich es <strong>de</strong>nnoch,<br />

Aus <strong>de</strong>r längst schon leblos gewor<strong>de</strong>nen Larve<br />

Das <strong>Lied</strong> zu erlösen zu lautem Dasein<br />

Und nach <strong>de</strong>inem Befehl als fahren<strong>de</strong>r Sänger<br />

Lauscher zu werben in <strong>de</strong>utschen Lan<strong>de</strong>n.<br />

So erhalte mir, Herrin, die heilige Wärme<br />

3


Und das Jünglingsherz, ob mein Jahr auch herbste.<br />

[6] Nicht welken laß mir die Wurzel <strong>de</strong>r Dichtkunst,<br />

Bevor ich vollen<strong>de</strong>t, was du verlangt hast,<br />

Und <strong>de</strong>in Offenbaren in Bil<strong>de</strong>rn dasteht,<br />

Die zu leben vermögen, solang ein Mund noch<br />

In <strong>de</strong>utschen Worten das Weltall <strong>de</strong>utet.<br />

Doch sorge du jetzt, o göttliche Sage,<br />

Du, <strong>de</strong>s <strong>de</strong>utschen Stammes unsterblich Gedächtnis,<br />

Daß endlich entfesselt das erste <strong>de</strong>r Völker<br />

Vom tiefen Schlummer, zur Schlachtentatkraft<br />

Vereinigt, aufsteht, auch gegen <strong>de</strong>n Erdkreis<br />

Sich <strong>de</strong>n Thron zu ertrotzen, um <strong>de</strong>n es betrogen ward;<br />

Denn Ge<strong>de</strong>ihen verleiht zu dauern<strong>de</strong>m Leben<br />

Dem Hel<strong>de</strong>ngesang nur die Sonne <strong>de</strong>s Sieges.“<br />

„Singe getrost und sei voll Vertrauen“,<br />

Versetzte die Göttin, wie<strong>de</strong>r versinkend<br />

Und wie zukunftwärts schauend in ernstem Entzücken,<br />

„Bevor du <strong>de</strong>in <strong>Lied</strong> noch völlig vollen<strong>de</strong>t,<br />

Wer<strong>de</strong>n geworfen die eisernen Würfel.<br />

Die stärken<strong>de</strong> Not <strong>de</strong>s Sturmes naht schon:<br />

Wann Heil und Hülfe nur Hel<strong>de</strong>n verheißen,<br />

Erweck’ ich aus uns <strong>de</strong>n Weltüberwin<strong>de</strong>r*).“<br />

————<br />

*) Zum ersten Male öffentlich vorgetragen im Winter 1863/64.<br />

Siehe Didaskalia vom 30. Januar 1864 und 19. Oktober 1867.<br />

[7]<br />

Erster Gesang.<br />

——<br />

Zu süßem Gesang, unsterbliche Sage,<br />

Laß mich nun <strong>de</strong>in Mund sein voll uralter Mären,<br />

Und leg’ auf die Lippen das <strong>Lied</strong> von Sigfrid,<br />

Dem herrlichen Hel<strong>de</strong>n mit furchtlosem Herzen,<br />

Der <strong>de</strong>n Hüter <strong>de</strong>s Hortes, <strong>de</strong>n Lintwurm erlegte,<br />

Durch die flammen<strong>de</strong> Flur auf flüchtigem Rosse<br />

Den Brautritt vollbrachte und Brunhild erweckte,<br />

Die <strong>de</strong>r zürnen<strong>de</strong> Gott im Zaubergarten<br />

Zu schlafen verdammt und mit Dornen umschlossen.<br />

Auch mel<strong>de</strong> die Mär von <strong>de</strong>n Mächten <strong>de</strong>s Unheils,<br />

Vom schädlichen Schatze, vom Walten <strong>de</strong>s Schicksals,<br />

Das die sonnige Seele <strong>de</strong>s Hel<strong>de</strong>n versuchte,<br />

4


Bis er als Niblung <strong>de</strong>m Nei<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Nornen<br />

Fehlend verfiel; <strong>de</strong>nn die heilige Fessel<br />

Gelobter Treue löst’ er betrüglich.<br />

Von <strong>de</strong>r mutigen Minne, <strong>de</strong>r Meerfahrt Gunthers<br />

Vom kühnen Kampfspiel hilft mir verkün<strong>de</strong>n,<br />

Von <strong>de</strong>r runischen Rätsel richtiger Lösung,<br />

[8] Von <strong>de</strong>n Freu<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Hochzeit, vom Hasse <strong>de</strong>r Frauen<br />

Um die Macht, um <strong>de</strong>n Reichtum, von Mord und Rache,<br />

Von <strong>de</strong>r Satzung <strong>de</strong>r Sühne durch selbstlose Liebe,<br />

Die aus Helas Behausung <strong>de</strong>r Seele <strong>de</strong>s Hel<strong>de</strong>n<br />

Den Lichtweg nach Walhall zu wan<strong>de</strong>ln erlaubt.<br />

Du hast mich erhört, erhabene Göttin,<br />

Und öffnest mir gastlich das gol<strong>de</strong>ne Gitter<br />

Zu <strong>de</strong>inen Gärten, drin längst schon Vergangnes<br />

Dein Zauber entzieht <strong>de</strong>m Raube <strong>de</strong>r Zeiten,<br />

Auf daß es bleibe und ewig blühe.<br />

Ich spüre <strong>de</strong>n Hauch, mit <strong>de</strong>m du mich heiligst,<br />

Dämmern<strong>de</strong>n Schatten <strong>de</strong>utliche Schönheit<br />

Und <strong>de</strong>n hehren Gestalten unsterblicher Hel<strong>de</strong>n<br />

Das leuchten<strong>de</strong> Leben <strong>de</strong>s <strong>Lied</strong>es zu leihn.<br />

Ihr E<strong>de</strong>ln alle, in <strong>de</strong>nen die Ehrfurcht<br />

Vor unserer Urzeit noch nicht veraltet,<br />

Für <strong>de</strong>ren Seelen die sinnige Sage<br />

Ewige Wahrheit und echte Weisheit<br />

Schimmernd verwoben in Wun<strong>de</strong>rgeschichten,<br />

Ihr merket nun auf in gemütvoller Andacht,<br />

Wei<strong>de</strong>t euch wohlig an solchen Wun<strong>de</strong>rn<br />

Und leiht meinem <strong>Lied</strong>e lauschen<strong>de</strong>s Ohr. –<br />

Die Elbe hinab und hinaus in die Nordsee<br />

Nur wenige Stun<strong>de</strong>n gen Westen steuernd,<br />

Erblickst du vom Schiff einen bläulichen Schatten,<br />

Am Saume <strong>de</strong>r Salzflut nur eben sichtbar.<br />

Du fährst ihm näher, – er formt, er färbt sich;<br />

Bald ragt nun vor dir ein roter Felsen,<br />

Ein laut umbran<strong>de</strong>tes letztes Bruchstück,<br />

[9] Das Wind und Wetter und stürmen<strong>de</strong> Wogen,<br />

Jahrtausen<strong>de</strong> tobend, für unsere Tage<br />

Sich noch versparten. Deutliche Spuren,<br />

Ein Ring von Riffen, die Insel umrahmend<br />

In weitem Zirkel, zeigt, wo vor Zeiten<br />

Einst das Ufer <strong>de</strong>s Eilands aufstieg,<br />

Als es Meilen noch maß vom Meer bis zur Mitte.<br />

Am abgedachten östlichen En<strong>de</strong>,<br />

Wo jetzt nur ein Damm liegt von weißen Dünen,<br />

Die längst schon ein Sund vom Felsen son<strong>de</strong>rt’,<br />

Da stund eine Stadt am flachen Gesta<strong>de</strong><br />

Mit festen Toren, mit hohen Türmen<br />

Und zackigen Zinnen, im Westen <strong>de</strong>r Zunge<br />

Den qua<strong>de</strong>rumrahmten ruhigen Hafen,<br />

Gen Morgen und Mittag <strong>de</strong>n Fuß <strong>de</strong>r Mauern<br />

Von <strong>de</strong>r Brandung umbraust; die nannte sich Bralund.<br />

Dies Eiland beherrschte vor Zeiten Helgi,<br />

Der Hundingstöter. Ein hoher Hügel,<br />

5


Errichtet am Ran<strong>de</strong> <strong>de</strong>s rauschen<strong>de</strong>n Meeres<br />

Und fernhin sichtbar <strong>de</strong>m fahren<strong>de</strong>n Seemann,<br />

Verbarg die Gebeine <strong>de</strong>s Männergebieters<br />

Schon seit etlichen Altern im Aschenkruge.<br />

Jetzt herrschte zu Bralund die stolze Brunhild,<br />

Die sich wie<strong>de</strong>rerobert ihr Ahnenerbe,<br />

Das Eiland Helgis, vermöge <strong>de</strong>r Hülfe<br />

Des Drachenbesiegers, <strong>de</strong>s starken Sigfrid.<br />

Ein Gelüb<strong>de</strong> band sie, zu folgen in Liebe<br />

Dem, <strong>de</strong>r sie bestän<strong>de</strong> in siegen<strong>de</strong>r Stärke<br />

Und durch Gaben <strong>de</strong>s Geistes zur Gattin verdiene.<br />

[10] So schoß sie <strong>de</strong>n Schaft, so warf sie die Scheibe<br />

Und wagte <strong>de</strong>n Weitsprung in voller Bewaffnung<br />

Mit manchem Kühnen königlichen Stammes;<br />

Denn weit war erschollen <strong>de</strong>r Ruhm ihrer Schönheit,<br />

Und viele kamen das Kampfspiel versuchen.<br />

Doch keiner noch bracht’s bis zur Probe <strong>de</strong>s Kopfes,<br />

Mit Schimpf und Schan<strong>de</strong> noch vor <strong>de</strong>m Schildkampf<br />

In die Heimat zurück, überholt um die Hälfte,<br />

Männer vom Mädchen, bereits im Malwurf.<br />

Den wenigen aber, die weiter geworfen,<br />

Hatte zerspalten die Wucht ihres Speeres<br />

Schild, Harnisch, Helm und Schä<strong>de</strong>l.<br />

Doch ein schaukeln<strong>de</strong>s Schiff, das von fünfzig Schil<strong>de</strong>n<br />

Funkelnd zurückwarf <strong>de</strong>n feurigen Randstrahl<br />

Der <strong>de</strong>m Tore <strong>de</strong>s Tages enttauchen<strong>de</strong>n Sonne,<br />

Kam eben in Sicht mit schwellen<strong>de</strong>n Segeln.<br />

Das führte <strong>de</strong>n Sigfrid nach mehreren Sommern<br />

Und vielen Fahrten in ferne Lan<strong>de</strong><br />

Zurück nach Bralund. Ein Brautgelöbnis<br />

Hatte <strong>de</strong>r Held mit Brunhil<strong>de</strong>n geschlossen,<br />

Als er sie erlöset vom langen Schlafe.<br />

Nun gedacht’ er zu halten das damals Verheißne:<br />

Zu wagen mit ihr <strong>de</strong>n dreifachen Wettkampf<br />

Und die runischen Rätsel richtig zu lösen.<br />

Mit seiner Stärke, mit seinem Verstan<strong>de</strong><br />

Hätte <strong>de</strong>r Held nun die hehre Fürstin<br />

Unfraglich gewonnen; <strong>de</strong>nn Brunhild wünschte<br />

Selbst ihm <strong>de</strong>n Sieg von ganzer Seele<br />

[11] Und harrte schon längst mit verlangen<strong>de</strong>r Liebe,<br />

Dem Saume <strong>de</strong>r See das weiße Segel<br />

Des tapferen Sigfrid enttauchen zu sehen.<br />

Doch an<strong>de</strong>rs dachte <strong>de</strong>r König <strong>de</strong>s Dunkels,<br />

Der Feind <strong>de</strong>r Menschen, <strong>de</strong>r mächtige Volant.<br />

Ein zum Rosse gestaltetes Sturmgewölk reitend,<br />

Mit Fle<strong>de</strong>rmausflügeln und flammen<strong>de</strong>n Nüstern<br />

Kam er gefahren von Islands Firnen,<br />

Wo <strong>de</strong>r lo<strong>de</strong>rn<strong>de</strong> Nordschein, die leuchten<strong>de</strong> Lava,<br />

Das Höllengeheul aus <strong>de</strong>m Schlun<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Hekla<br />

Und <strong>de</strong>r Gischt <strong>de</strong>r Geyser ihn baß ergötzen.<br />

Er wollt’ einmal wie<strong>de</strong>r hinunter nach Welschland,<br />

Um <strong>de</strong>n rauchen<strong>de</strong>n Schlot <strong>de</strong>s Aetna zu schließen,<br />

Daß die Feuer <strong>de</strong>r Tiefe, gesangen tobend,<br />

6


Sich neue Wege gewaltsam bahnten<br />

Und <strong>de</strong>r Bo<strong>de</strong>n erbebend die Bauten <strong>de</strong>r Menschen<br />

In Scherben zerschüttle. Da schaut’ er ein Schifflein<br />

Voll funkeln<strong>de</strong>r Schil<strong>de</strong>, die Nordsee durchschaukelnd,<br />

Erkannte <strong>de</strong>n Sigfrid und sah ihn segeln,<br />

Richt’ auf Bralund. Rasch nach <strong>de</strong>m Brocken<br />

Lenkt’ er <strong>de</strong>n Lauf seines luftigen Rosses,<br />

Erreichte <strong>de</strong>n Bo<strong>de</strong>n am Fuße <strong>de</strong>s Berges<br />

Und schwang sich geschwind empor auf die Schwelle<br />

Zum Garten <strong>de</strong>r Götter, <strong>de</strong>n Gipfel <strong>de</strong>s Brockens.<br />

In <strong>de</strong>n heitersten Höhn liegt dies Gartengehege,<br />

Wo nichts als Bläue die blö<strong>de</strong>n Blicke<br />

Des Menschen bemerken. Da stehen inmitten<br />

Lachen<strong>de</strong>n Laubgrüns die lichten Paläste,<br />

Die herrlichen Häuser <strong>de</strong>r Himmlischen alle.<br />

[12] Da erhebt sich auch Walhall, die Hofburg Wodans,<br />

Wo in siebenzig Sälen unabsehbar<br />

Die Tapfern tafeln, die rühmlichen To<strong>de</strong>s<br />

Auf <strong>de</strong>m Schlachtfeld erkor <strong>de</strong>r Kuß <strong>de</strong>r Walküre<br />

Zu einherischen Hel<strong>de</strong>n, um Wodne zu helfen<br />

Beim künftigen Kampf mit <strong>de</strong>m König <strong>de</strong>s Unheils.<br />

Für diese Tapfern stehen die Tische<br />

Und silbernen Stühle im unteren Stockwerk.<br />

Hoch darüber liegen im lautersten Lichte<br />

Der vollen Erkenntnis die Kammern <strong>de</strong>s Königs,<br />

Aus <strong>de</strong>nen er weise die Welt verwaltet.<br />

Da steht auch <strong>de</strong>r Stuhl auf krystallenen Stufen,<br />

Von welchem er wahrnimmt in allen Weiten,<br />

Was irgend auf Er<strong>de</strong>n aufhört und anfängt,<br />

Verblüht o<strong>de</strong>r bleibt, mit einem Blicke<br />

Das Größeste begreifend, das Kleinste ergrün<strong>de</strong>nd,<br />

Ob ein Berg sich bil<strong>de</strong>, ob unten im Bache<br />

Ein ferneres Schüppchen schimmernd umwachse<br />

Den fleckigen Rücken <strong>de</strong>r flinken Forelle;<br />

Ob ein stürmen<strong>de</strong>s Heer eine Stadt zerstöre,<br />

Ob ein spielen<strong>de</strong>s Kind einen Käfer spieße;<br />

Ob ein Herrscher voll Hochmut nach Län<strong>de</strong>rn hungre,<br />

Ob mil<strong>de</strong>s Mitleid ein Herz ermahne,<br />

Dem bitten<strong>de</strong>n Bettler ein Brot zu bieten.<br />

Auf diesem Stuhl im obersten Stockwerk<br />

Im sonnigen Saal zur Götterversammlung<br />

Saß <strong>de</strong>r Beherrscher <strong>de</strong>s hohen Himmels,<br />

Und rings um ihn her, zum Rate berufen,<br />

Die Seeligen sämtlichen auf gol<strong>de</strong>nen Sesseln.<br />

[13]<br />

Als <strong>de</strong>r König <strong>de</strong>r Tiefe mit Katzentritten<br />

In <strong>de</strong>n Saal <strong>de</strong>s Rates geräuschlos eintrat,<br />

Daß <strong>de</strong>r Weltenwalter allein ihn wahrnahm,<br />

Sprach eben Wodan:<br />

„Ihr walten<strong>de</strong>n Götter,<br />

So wäre verteilt das Werk <strong>de</strong>r Tage.<br />

Nun wisset ihr alles, was wer<strong>de</strong>n und wachsen,<br />

Siegen und sein solle, erliegen und sinken.<br />

7


Gestellt und bestimmt sind die Schranken <strong>de</strong>r Stürme,<br />

Der wil<strong>de</strong>n Gewässer und aller Gewalten,<br />

Die stets bemüht sind, <strong>de</strong>n Garten <strong>de</strong>r Mitte<br />

In maßlosem Haß durchaus zu verheeren.<br />

Beschlossen auch ist <strong>de</strong>r Ausgang <strong>de</strong>r Schlachten,<br />

In <strong>de</strong>nen die Menschen sich mor<strong>de</strong>n wollen.<br />

Nun verabre<strong>de</strong>t ist die ernste Arbeit,<br />

Nun sei es erlaubt, auch verlauten zu lassen,<br />

Was je<strong>de</strong>r verlangt aus Lust und Laune.<br />

Erwägen wir dann, ob <strong>de</strong>s Wunsches Gewährung<br />

Die bestimmte Ordnung nicht störend verändre.“<br />

„Beherrscher <strong>de</strong>r Welt, erhabenster Wodan“,<br />

Begann jetzt Freya, „so will ich <strong>de</strong>nn fragen:<br />

Wie lang erlaubst du’s, dass lieblos und grausam<br />

Die bräunliche Brunhild noch Herzen breche?<br />

Die Dir, o König, vor<strong>de</strong>m als Walküre<br />

Betrüglich Trotz bot, sie thront nun sicher<br />

In einsamen Hochmut auf Helgis Eiland<br />

Und lässt sich umwerben im Waffenwettspiel.<br />

Sie will nur berühmt sein. Es rührt sie wenig,<br />

Daß Mißmut mir bleich macht die blühen<strong>de</strong>n Männer,<br />

[14] Die mit Schimpf und Schan<strong>de</strong> sie heimgeschickt hat,<br />

Die nun, mein vergessen, nach keiner Gattin<br />

Als ihr begehrend, die Gabe vergeu<strong>de</strong>n,<br />

In <strong>de</strong>n Jahren <strong>de</strong>r Jugend ihr Bild zu verjüngen.<br />

Schon hängt an <strong>de</strong>n Pfosten <strong>de</strong>r Eingangspforten<br />

Des Ringes zu Bralund, zerbrochen und rostig,<br />

Der dritte Harnisch, <strong>de</strong>n diese Brunhil<strong>de</strong>,<br />

Das grimmige Mannweib, in grausamer Mordlust<br />

Bis zum Herzen durchschoß und nun höhnisch zur Schau stellt<br />

Als leere Hülse verliebter Hel<strong>de</strong>n.<br />

So wird mir verwüstet von diesem Weibe<br />

Mein Reich <strong>de</strong>r Liebe. Rache verlang’ ich<br />

Und strenge Bestrafung.“<br />

„So wi<strong>de</strong>rstrebe“,<br />

Erwi<strong>de</strong>rte Frô, <strong>de</strong>r Bru<strong>de</strong>r Freyas,<br />

Der Spen<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s Lichts und Lenker <strong>de</strong>r Sonne,<br />

„Nicht länger launisch <strong>de</strong>m Glück meines Lieblings,<br />

Des Hel<strong>de</strong>n Sigfrid, <strong>de</strong>s Sigmundsohnes,<br />

Der selber nicht weiß, von wannen er herstammt.<br />

Wenig geziemend find’ ich <strong>de</strong>in Zürnen,<br />

Daß ich vor Jahren die reizen<strong>de</strong> Jördis,<br />

Ein sterbliches Weib, ein wenig bewun<strong>de</strong>rt<br />

Und zu wirksamer Weihe von meinem Wesen<br />

Die lautersten Strahlen hinunter streute,<br />

In jener Stun<strong>de</strong>, da Sigfrid entstand.<br />

Ihm hast du bisher sein Herz verschlossen<br />

Für die lauterste Lust, die das flüchtige Leben<br />

Unten im Staube <strong>de</strong>n Sterblichen bietet.<br />

Es kennt so wenig die süßeste Wonne<br />

[15] Des Menschengemütes, die wahre Minne,<br />

Daß er gewähnt hat, ein Weib zu bewun<strong>de</strong>rn<br />

Um hohen Verstand und seltene Stärke,<br />

8


Das sei die Liebe. Wohlan, erlös’ ihn<br />

Von diesem Wahne, erweck’ ihn zur Wahrheit;<br />

Auch ihn entzün<strong>de</strong> mit <strong>de</strong>inem Zauber<br />

Und laß ihn fin<strong>de</strong>n die rechte Gefährtin.<br />

Wie könntest du strenger Brunhil<strong>de</strong>n strafen,<br />

Die Sigfri<strong>de</strong>n liebt von ganzer Seele?“<br />

„So recht wie gerufen nach diesen Re<strong>de</strong>n<br />

Der Götter <strong>de</strong>r Lust und <strong>de</strong>s leidigen Lichtes<br />

Führt mich mein Weg her, Herr Bru<strong>de</strong>r in Walhall,“<br />

So begann jetzt Volant. „Ich komme gefahren<br />

In meinen Geschäften vom Scheitel <strong>de</strong>s Hekla<br />

Und wollte nach Welschland; doch da gewahrt’ ich,<br />

Auf <strong>de</strong>n Wellen <strong>de</strong>r Nordsee hinunter schauend,<br />

Das Schifflein Sigfrids. Er segelt eben<br />

In <strong>de</strong>n Hafen von Bralund, sein Bräutchen Brunhild<br />

Endlich zu lösen von ihrem Gelüb<strong>de</strong><br />

Und die Hochzeit zu feiern. Zwar fühlt er im Herzen<br />

Für das hünische Mannweib nicht hitzige Minne;<br />

Doch sagt sich <strong>de</strong>r Tropf: ich muß ihr doch treu sein!<br />

Es kommt zur Hochzeit, wenn wir es nicht hin<strong>de</strong>rn.<br />

Verbin<strong>de</strong>t die bei<strong>de</strong>n zum Bau eines Nestes,<br />

So verhelft ihr <strong>de</strong>m Hochmut zur fruchtbarsten Hecke,<br />

So hört ihr noch ächzen die alte Er<strong>de</strong>,<br />

Wann sie kaum einst erträgt die wuchtigen Tritte<br />

Achtelliger Enkel aus dieser Ehe.<br />

Schleunigst entreißt ein Geschlecht von Riesen,<br />

[16] So reich an Gehirn als hoch in <strong>de</strong>n Hüften,<br />

Uns dort unten und Euch hier oben<br />

Die Lenkung <strong>de</strong>r Welt, und, Wun<strong>de</strong>r bewirkend,<br />

Gehorchen <strong>de</strong>m Menschen die Elemente.<br />

Ich mel<strong>de</strong> kein Märchen. Aus Brunhilds Mun<strong>de</strong><br />

Hört’ ich <strong>de</strong>n Hochmut auf <strong>de</strong>m Hin<strong>de</strong>rberge,<br />

Da Sigfrid sie weckte vom Wun<strong>de</strong>rschlafe.<br />

Zugegen war Freya; frage die Göttin,<br />

Sie kann bezeugen, was ich erzähle.“<br />

„Er spricht die Wahrheit,“ erwi<strong>de</strong>rte Freya.<br />

„Ich mochte nicht senken in Sigfrids Gemüte<br />

Den Funken <strong>de</strong>r Liebe; <strong>de</strong>nn als ich lauschte<br />

Hinter <strong>de</strong>r Laube von Jelängerjelieber<br />

Und dornigen Rosen, darinnen sie ruhte,<br />

Da hört’ ich Brunhil<strong>de</strong>n zum starken Hel<strong>de</strong>n,<br />

Der sie geweckt, die vermessenen Worte<br />

Deutlich sagen: „Wir bei<strong>de</strong>, Sigfrid,<br />

Erzeugen in Züchten die Erben <strong>de</strong>r Zukunft;<br />

Das Maß <strong>de</strong>r Menschlichkeit soll unsere Minne<br />

Steigern und stärken, daß <strong>de</strong>mutsvoll staunend<br />

Vor unseren Enkeln sich beuge <strong>de</strong>r Erdkreis.<br />

Sie sollen noch herrschen in wachsen<strong>de</strong>r Hoheit<br />

Und edler Güte, wann die Götter vergangen.“<br />

So hat sie gefrevelt, die frechste <strong>de</strong>r Frauen,<br />

Mit gottloser Zunge, ich muß es bezeugen.“<br />

Das wußte schon alles <strong>de</strong>r Weltenwalter,<br />

Und mil<strong>de</strong> sprach er:<br />

9


„Nach Walhall zu s p r i n g e n ,<br />

Ist keine Sün<strong>de</strong>; doch die es versuchen,<br />

[17] Mögen sich hüten, <strong>de</strong>n Hals zu brechen.<br />

Noch vor <strong>de</strong>m Frühling die Frucht zu pflanzen,<br />

Das ist kein Frevel; – <strong>de</strong>r Frost hat freilich<br />

Noch die Macht und das Recht in <strong>de</strong>r Reihe <strong>de</strong>r Mon<strong>de</strong>,<br />

Und vor Kälte verkümmert <strong>de</strong>r erste Keim.<br />

Allmählich zu mo<strong>de</strong>ln ein höheres Muster<br />

Des Menschengebil<strong>de</strong>s – das ist nicht verboten,<br />

Es gläubig zu pflegen ist heiligste Pflicht.<br />

Nur die E<strong>de</strong>lsten ahnen’s, nur endlose Arbeit<br />

Von Geschlecht zu Geschlecht vermag sie zu schlagen,<br />

Die Brücke zum Ziel durch die Brandung <strong>de</strong>r Zeiten,<br />

Im Sturme, <strong>de</strong>r stärkt, in<strong>de</strong>m er zerstört.<br />

Doch wer ihn erkannt, <strong>de</strong>n köstlichsten Kampfpreis,<br />

Das künftige Heil <strong>de</strong>r Kin<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong>,<br />

Der dien’ ihm in Demut und frommer Geduld.<br />

Denn <strong>de</strong>r Weg und das Wan<strong>de</strong>rn zum Ziel ist Wonne,<br />

Das Erwerben, das Wachen zur höheren Wür<strong>de</strong>,<br />

Nicht das hastige Haben erfüllt die Herzen,<br />

Die sich formen aus Staub mit stolzem Gefühl.<br />

Würd’ es erlaubt, daß in wenigen Leben<br />

Die Sterblichen stiegen zur obersten Stufe,<br />

Die <strong>de</strong>r Geist <strong>de</strong>r Begabtesten schaut und begehrt:<br />

So hätten wir Götter aus Güte vergeu<strong>de</strong>t<br />

Im Jahre <strong>de</strong>r Welt die Mon<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Jugend,<br />

Durch Garben im März <strong>de</strong>r Menschheit vergiftet<br />

Die Sehnsucht <strong>de</strong>s Frühlings, die Freu<strong>de</strong>n <strong>de</strong>s Sommers<br />

Und töricht in Tagen das Glück und die Tatlust<br />

Vieler Jahrtausen<strong>de</strong> schwelgend vertan.<br />

Dort unten auf Er<strong>de</strong>n ist es <strong>de</strong>m E<strong>de</strong>ln<br />

[18] Im Dunkel <strong>de</strong>s Daseins von flüchtiger Dauer<br />

Der süßeste Trost in Sorgen und Trübsal,<br />

Seinem Stamm zu vertrauen und stolz zu träumen<br />

Vom künftigen Heil. Doch wähnet Brunhil<strong>de</strong><br />

Zu erhasten schon heut, wo blind noch und hülflos<br />

Des Menschen Bemühn <strong>de</strong>n Elementen<br />

In darben<strong>de</strong>m Dasein zu dienen verdammt ist,<br />

Was im Zirkel <strong>de</strong>r Zeiten in ferner Zukunft<br />

Den Meistern <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong> <strong>de</strong>reinst zu ernten<br />

Vielleicht erlaubt wird nach tausend Leben:<br />

Dann wird <strong>de</strong>r Wahn ihr Leben verwüsten,<br />

Der tröstliche Traum ihr Glück zertrümmern,<br />

Und <strong>de</strong>m Quell <strong>de</strong>r Erquickung entspru<strong>de</strong>lt nur Qual.<br />

Denn ihre Neigung vernahmen die Nornen,<br />

Die da walten <strong>de</strong>s Wer<strong>de</strong>ns und Wachsens <strong>de</strong>r Menschen,<br />

Die Töchter <strong>de</strong>s Nei<strong>de</strong>s, <strong>de</strong>r Nacht und <strong>de</strong>r Not.<br />

Sie gaben <strong>de</strong>r Schönheit zum Schatten <strong>de</strong>n Leichtsinn,<br />

Der Stärke die Sicherheit, welche sie stürzt,<br />

Den törichten Stolz <strong>de</strong>m tiefen Verstan<strong>de</strong>,<br />

Dem Sieger <strong>de</strong>n Glauben an Treue <strong>de</strong>s Glücks.<br />

So spinnen sie Fehler aus Fä<strong>de</strong>n <strong>de</strong>s Vorzugs,<br />

Aus Verdiensten und Tugend ver<strong>de</strong>rblichen Ta<strong>de</strong>l<br />

10


Und weben im Schicksal vom Werte die Schuld.<br />

Du, Lenker <strong>de</strong>s Lichtes, du, Herrin <strong>de</strong>r Liebe,<br />

Du, Volant, als dritter, auf dreifaches dringt ihr<br />

Zur nämlichen Stun<strong>de</strong>: – doch aus <strong>de</strong>r Bestimmung<br />

Und ewigen Ordnung empfingt ihr <strong>de</strong>n Antrieb,<br />

Verschie<strong>de</strong>nes wollend, e i n Schicksal zu wirken: –<br />

So darf ich erlauben, was ihr verlangt.<br />

[19] So han<strong>de</strong>lt verbun<strong>de</strong>n. Brunhil<strong>de</strong>n zur Buße<br />

Besel’ge <strong>de</strong>n Sigfrid <strong>de</strong>r süßesten Minne<br />

Volles Gefühl – doch die Folgen sind sein.<br />

Du, Fürst <strong>de</strong>r Finsternis, hilf das erfüllen,<br />

Verhindre die Heirat <strong>de</strong>s hünischen Paares<br />

Doch nur durch die Mittel in ihrem Gemüt.<br />

Im Genuß <strong>de</strong>s Verzichtens, ewiger Neidhart,<br />

Dem Mütchen kühlend, erkenne gemartert<br />

Auch diesmal dich <strong>de</strong>nnoch zu dienen verdammt. –<br />

Auch Du, mein Iring, enteile zur Er<strong>de</strong>;<br />

Wölbe <strong>de</strong>n Weg, auf welchem du wan<strong>de</strong>rst,<br />

Wann du bei Tage zur Tiefe gesandt wirst,<br />

Den farbigen Bogen aus feuchten Perlen,<br />

Von <strong>de</strong>r Höhe <strong>de</strong>s Harzes hinunter nach Holmgart<br />

Zur Höhle <strong>de</strong>r Mutter im heiligen Hain.<br />

Da fin<strong>de</strong>st du Volkern, <strong>de</strong>n Hel<strong>de</strong>n und Fiedler<br />

Gibichson Gunthers, <strong>de</strong>s Herrn <strong>de</strong>r Burgun<strong>de</strong>n.<br />

Ihm legt die Lose für seinen Lehnsherrn<br />

Die uralte Oda. Unsichtbar ordne<br />

Die runengeritzten Reiser <strong>de</strong>r Buche,<br />

Die sie entwirft auf <strong>de</strong>m weißen Teppich:<br />

Nach <strong>de</strong>m Willen <strong>de</strong>s Schicksals und unsrer Entscheidung<br />

Lenke <strong>de</strong>n Losfall und leite die Wahl.“<br />

So re<strong>de</strong>te Wodan. Die winken<strong>de</strong> Rechte<br />

Gab <strong>de</strong>n Abschied, und alle Götter<br />

Verließen zusammen <strong>de</strong>n sonnigen Saal.<br />

Vom Gipfel <strong>de</strong>s Brockens zur Burg in Bralund<br />

Fuhr nun Volant als Feuerkugel.<br />

Durch <strong>de</strong>n Schlot in das Schlafgemach Brunhilds schlüpfend,<br />

[20] Trat er alsbald an das Bette <strong>de</strong>r Fürstin<br />

Als betrüglicher Traum. Von <strong>de</strong>r Friesin Ortru<strong>de</strong>,<br />

Der Zofe Brunhilds, die harten Züge,<br />

Tracht und Gestalt und Stimme borgend,<br />

Sprach er hastig:<br />

„Erhebe dich, Herrin!<br />

Schon hält im Hafen das Schiff <strong>de</strong>s Hel<strong>de</strong>n,<br />

Des ersehnten Sigfrid. Ich hab’ ihn gesehen;<br />

Er kommt als König. Deutlich erkennbar,<br />

Noch bevor er <strong>de</strong>n Felsen am Eingang umfahren,<br />

War inmitten <strong>de</strong>s Meeres im Lichte <strong>de</strong>s Morgens<br />

Auf <strong>de</strong>m Haupte <strong>de</strong>s Kriegers die gol<strong>de</strong>ne Krone,<br />

Die schon aus <strong>de</strong>r Ferne wie Feuer funkelt.<br />

Nun, da er naht, vermag es niemand,<br />

Ihn anzublicken, so blen<strong>de</strong>nd blinkt sie<br />

Von grünen Smarag<strong>de</strong>n, von roten Rubinen<br />

Und strahlen<strong>de</strong>n Massen von Diamanten.<br />

11


Es ist kein Zweifel, <strong>de</strong>r Niebezwungne<br />

Errang dir als Malschatz ein mächtiges Reich.<br />

Dich heimzuholen als Herrscher kommt er;<br />

Bald wirst du Brunhil<strong>de</strong>, mit ihm auf <strong>de</strong>m Hochsitz<br />

Als Königin thronen.“<br />

So wob er als Traumbild<br />

Lange Lei<strong>de</strong>n mit e i n e r Lüge.<br />

Denn <strong>de</strong>m Lintwurmerleger war’s nicht gelungen,<br />

Was die stolze Fürsten von ihm gefor<strong>de</strong>rt,<br />

Bisher zu erfüllen: entwe<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Vater<br />

Zuvor zu erforschen und fürstliche Herkunft<br />

Festzustellen für sich, <strong>de</strong>n Findling,<br />

[21] O<strong>de</strong>r sich Reich und Thron zu erringen<br />

Und so zu be<strong>de</strong>cken <strong>de</strong>n Makel <strong>de</strong>s Daseins<br />

Mit einer Krone. – So säte Kränkung<br />

Der Fürst <strong>de</strong>s Dunkels und fuhr von dannen,<br />

Als wirbeln<strong>de</strong> Windsbraut nach Welschland sausend.<br />

Bestiegen hatte zur nämlichen Stun<strong>de</strong><br />

Des frühen Morgens die minnige Freya<br />

Ihr Wolkenwäglein, das zwei schneeweiße<br />

An silberner Leine gelenkte Luchse<br />

In leichtem Lauf durch die Lüfte ziehen.<br />

Sie trug auf <strong>de</strong>r Brust <strong>de</strong>n leuchten<strong>de</strong>n Brising,<br />

Das schöne Geschmei<strong>de</strong>, mit <strong>de</strong>m sie geschmückt geht,<br />

Bis <strong>de</strong>r Tag <strong>de</strong>n Tau trinkt. So fuhr sie zur Tiefe,<br />

Nach <strong>de</strong>m Lan<strong>de</strong> lenkend zur Linken <strong>de</strong>s Rheins.<br />

Im Lan<strong>de</strong> zur Linken <strong>de</strong>s Rheines lebte<br />

Gibichson Gunther, burgundischer König,<br />

Und mit ihm wohnten zu Worms am Wasser<br />

Die kluge Guta, die Witwe Gibichs,<br />

Gernot und Gisler, die Brü<strong>de</strong>r Gunthers,<br />

Und Gibichs Tochter, die tugendreiche<br />

Schwester <strong>de</strong>r Herrschers, die hol<strong>de</strong> Krimhil<strong>de</strong>.<br />

Ihr anmutreiches, rosiges Antlitz,<br />

Ihr feuriger Blick, die blühen<strong>de</strong> Fülle<br />

Des lieblichen Leibes, ihr leuchten<strong>de</strong>s Goldhaar<br />

Zogen viele Gäste zum Hofe Gunthers,<br />

Und wer sie schaute, vergaß das Schei<strong>de</strong>n.<br />

An diese nun dachte die Göttin damals.<br />

Nicht weit von Worms, verborgen im Wal<strong>de</strong>,<br />

Von Quellen durchwässert, lag eine Wiese:<br />

[22] Da sank das Gefährte <strong>de</strong>r himmlischen Fürstin<br />

Zur Er<strong>de</strong> hinab. Der reizen<strong>de</strong>n Nacken<br />

Beugte sie nie<strong>de</strong>r, um Wuchergebil<strong>de</strong><br />

Sorgsam zu pflücken von einer Pflanze,<br />

An <strong>de</strong>r sich das Kraut wie kränkelnd verkrauste:<br />

Blaßgelbe Bläschen, auf ihren Blättern<br />

Entstan<strong>de</strong>n vom Stich eines Wespenstachels.<br />

Nach<strong>de</strong>m sie gesammelt sechs o<strong>de</strong>r sieben,<br />

Brach sie vom Brising ein funkeln<strong>de</strong>s Bröckchen –<br />

Denn so viel sie auch fortnimmt, die Lücke füllt sich<br />

Mit gleichem Gestein in wenigen Stun<strong>de</strong>n –;<br />

Das ließ sie zertauen und tat es verteilend<br />

12


Zu <strong>de</strong>n gelblichen Gallen. Als diese nun goren<br />

Mit leisem Gebrösel, sich dunkel bräunten<br />

Und Sprünge bekamen, da sprach sie dies Sprüchlein:<br />

Ich streue zum Staube<br />

Strahlen <strong>de</strong>r Sterne<br />

Und göttliche Gaben<br />

Zum galligen Gift.<br />

Erreget im Blute<br />

Rausch und Verblendung,<br />

In <strong>de</strong>r Seele Verheißung<br />

Unsäglichen Heils.<br />

Denn erquickend und qualvoll<br />

Aus Staub und aus Sternlicht,<br />

Aus Himmel und Hölle<br />

Ist Minne gemischt.<br />

[23]<br />

In ein runzliges Weib alsbald sich verwan<strong>de</strong>lnd,<br />

Am Stabe gebückt, die Gestalt erborgend<br />

Der alten Ilsa, die dort als Ärztin<br />

Für manche Krankheit ein Kräutchen wußte,<br />

Begab sich die Göttin zur Stadt <strong>de</strong>r Burgun<strong>de</strong>n<br />

Und zur Königin Guta, <strong>de</strong>r Gibichswitwe.<br />

„Hier, hohe Herrin,“ so sprach sie hüstelnd,<br />

„Hier ist das Begehrte: Gallen <strong>de</strong>s Geisbarts,<br />

Um die Neige <strong>de</strong>r Nacht <strong>de</strong>s Neumonds gelesen,<br />

Am Feuer aus Farrnkraut und Veilchenwurzel,<br />

Mangold, Märzheu und Mistelzweigen<br />

Sorgsam getrocknet. Wem du ins Trinkhorn<br />

Von <strong>de</strong>r kräftigen Würze das winzigste Krümchen<br />

Zum Methe gemischt hast, <strong>de</strong>m wird sich die Minne<br />

Seines Gemüthes allmächtig bemeistern,<br />

Bevor er getrunken <strong>de</strong>n letzten Tropfen,<br />

Und lebenslänglich kann <strong>de</strong>r nicht lassen<br />

Von <strong>de</strong>r schönen Jungfrau, die schüchtern und schamrot<br />

Dem Gaste geboten <strong>de</strong>n gol<strong>de</strong>nen Becher.“<br />

So sprach die Göttin zur Gibichswitwe<br />

Und war verschwun<strong>de</strong>n. Leicht entschweben<br />

Sah die Fürstin durchs offene Fenster<br />

Einen rötlichen Rauch, und Rosendüfte<br />

Füllten das Zimmer. Die Zeichen erkennend<br />

Der göttlichen Freya, verbarg sie freudig<br />

Die ohne Hoffnung, doch allzu heiß nur<br />

Weiland gewünschte berühmte Würze<br />

Zum Zaubergetränk in <strong>de</strong>r zierlichen Truhe.<br />

[24]<br />

Doch freudig sah sie dabei sich selber<br />

Im silbernen Spiegel und dachte: zu spät kommt’s<br />

Ein halbes Leben; <strong>de</strong>nn meine Locken<br />

Sind ergraut, und <strong>de</strong>r Gram hat Furchen gegraben<br />

13


In meine Stirn, und das Herz ist erstorben.<br />

O hätt’ ich’s besessen, da Sigmund lebte!<br />

So geizen die Götter mit ihren Gaben<br />

Und versagen <strong>de</strong>r Sehnsucht die Seligkeitsfülle.<br />

Wer sein Glück verspielt hat, <strong>de</strong>m werfen sie spöttisch<br />

In <strong>de</strong>n Schoß das Geschenk aus Scha<strong>de</strong>nfreu<strong>de</strong><br />

Und gewähren <strong>de</strong>n Wunsch, wann er wertlos gewor<strong>de</strong>n!<br />

[25]<br />

————<br />

Zweiter Gesang.<br />

——<br />

Der halben Länge <strong>de</strong>s hohen Palastes<br />

Zu Worms am Wasser, wo Gunther wohnte,<br />

Entragte rheinwärts, breit und geräumig,<br />

Auf steinernen Säulen ein stattlicher Söller.<br />

Der war überwölbt zum Schutz vor <strong>de</strong>m Wetter,<br />

Doch bot er Ausblick durch offene Bögen<br />

Nach bei<strong>de</strong>n Flanken und nach <strong>de</strong>m Flusse.<br />

Um die Zeit <strong>de</strong>s Verschwin<strong>de</strong>ns <strong>de</strong>r Schwalben und Störche<br />

Saßen einst sorglos auf diesem Söller<br />

In gemächlicher Muße nach reicher Mahlzeit<br />

Der König Gunther, Gernot und Gisler,<br />

Hagen und Dankwart, die Hel<strong>de</strong>nbrü<strong>de</strong>r,<br />

Der edle Ortwin und an<strong>de</strong>re Degen,<br />

Mit ihnen auch Horand, <strong>de</strong>r friesische Harfner;<br />

Nur Volker fehlte, <strong>de</strong>r Fiedler von Alzey.<br />

Die Schwester <strong>de</strong>s Königs stickte schweigsam<br />

In ihrer Kammer ein schönes Kunstwerk,<br />

Ein Band für Horand, die Harfe zu halten,<br />

Und erlauschte zuweilen die lauteren Worte<br />

[26] Durchs offene Fenster. – Es füllte <strong>de</strong>n Fürsten<br />

Und ihren Gesellen <strong>de</strong>r sorgsame Mundschenk<br />

Aus <strong>de</strong>r silbernen Kanne die goldnen Pokale<br />

Mit würzigem Wein. Sie sah’n auf <strong>de</strong>m Wege<br />

Am Rhein die Reisen<strong>de</strong>n wan<strong>de</strong>rn und reiten,<br />

Langsame Flöße <strong>de</strong>m Flusse folgen<br />

Und Kähne mit Segeln rascheren Kieles<br />

Im glänzen<strong>de</strong>n Gleise hinunter gleiten<br />

Und schwatzten leichthin o<strong>de</strong>r tranken schweigsam.<br />

Mü<strong>de</strong>, zu merken auf müßiges Plau<strong>de</strong>rn,<br />

Begann jetzt Hagen vom Lan<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Hunnen,<br />

Das er als Geisel zu Gibichs Zeiten<br />

Selber gesehen, besorgliche Dinge<br />

Dem Ortwin von Metz mit ernster Miene<br />

Und laut zu erzählen: schon zögen sie näher<br />

Und drängten bedrohlich von Drau und Donau.<br />

14


Doch plötzlich schwieg er; <strong>de</strong>nn <strong>de</strong>utlich schwebte<br />

Ein Schatten <strong>de</strong>s Mißmuts durch Gunthers Mienen,<br />

In<strong>de</strong>m er winkte nach frischem Weine.<br />

Als nun <strong>de</strong>r Mundschenk, es schnell bemerkend,<br />

Den Becher <strong>de</strong>s Königs aus bauchiger Kanne<br />

Gefüllt mit Firnem voll e<strong>de</strong>ln Feuers,<br />

Da sprach <strong>de</strong>r Herrscher, <strong>de</strong>n Trunk erhebend:<br />

„Laß ruhen die Hunnen, mein Oheim Hagen!<br />

Noch liegen ja Län<strong>de</strong>r voll tapferer Leute,<br />

Weglose Wäl<strong>de</strong>r und tiefe Gewässer<br />

Zwischen ihnen und uns. Noch hat es nicht Eile<br />

Mit Angst vor Etzel. Allzuviel Vorsicht<br />

Verbittert das Dasein mit bangen Gedanken<br />

[27] Und verdirbt uns durch Mißmut Verdauung und Mahl.<br />

Wann die Not sich nähert, wird’s Zeit genug sein,<br />

Uns abzuplagen mit allerlei Plänen<br />

Und um künftige Tage tapfer zu kämpfen.<br />

Das Heute gehört uns: so sei es behaglich.<br />

Es trinkt sich hier köstlich in traulicher Kühle<br />

Der offenen Halle, wann wolkenlos heiter<br />

Der Himmel im Herbst <strong>de</strong>n Hügel voll Reben<br />

Noch Sonnenschein sen<strong>de</strong>t, die Traube zu süßen.<br />

Die Sorge versinkt; besänftigt wan<strong>de</strong>rt<br />

Ins Weite <strong>de</strong>r Wunsch zum Lan<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Wun<strong>de</strong>r.<br />

Da füllt <strong>de</strong>r Gedanke die duftige Ferne<br />

Mit göttlichem Glanz, und nichts ist unglaublich.<br />

Das ist die Stun<strong>de</strong>, das ist die Stimmung,<br />

Wo siegreich <strong>de</strong>r Sänger die Seelen bezaubert.<br />

So würze <strong>de</strong>n Wein uns mit Worten voll Wohllaut<br />

Und mindre die Muße mit spannen<strong>de</strong>n Märchen<br />

Voll bunter Bil<strong>de</strong>r und etwas bänglich.“<br />

Dies sprach <strong>de</strong>r Herrscher zu Horand <strong>de</strong>m Harfner,<br />

Dem Sohne Frodos, <strong>de</strong>s friesischen E<strong>de</strong>ln,<br />

Der nach vielen Fahrten in ferne Lan<strong>de</strong><br />

Schon manchen Monat in würdiger Muße<br />

Zu Worms verweilte und, gastlich bewirtet<br />

Von Gibichs Söhnen, gern mit Gesängen<br />

Ihre Güte vergalt. Denn günstiger schien ihm<br />

Zu seinem Beruf als das rauhe Reifland<br />

Der nordischen Nebel und sternlosen Nächte<br />

Der Sitz am Rhein, wo die Sonne, gera<strong>de</strong>r,<br />

Die Rebenfrucht reift, wo sich leichter und rascher<br />

[28] Im Herzen das Blut regt, im Haupte die Blüten<br />

Der Dichtergedanken duftiger aufgehn.<br />

Dem Wunsche <strong>de</strong>s Königs bewies er sich willig.<br />

Das Saitenspiel holen entsandt’ er <strong>de</strong>n Sindolt,<br />

Den Herold <strong>de</strong>s Hofes. Der bracht’ es ihm hurtig,<br />

Setzte <strong>de</strong>m Sänger zurecht einen Sessel,<br />

Gunther entgegen, stellt’ ihm <strong>de</strong>n Goldkelch<br />

Tönend aufs Tischchen mit marmorner Tafel<br />

Und reicht’ ihm höflich die helle Harfe.<br />

Mit kundiger Hand versuchte Horand<br />

Die Saiten <strong>de</strong>r Harfe und stimmte sie sorgsam.<br />

15


Dann griff er Weisen von mächtiger Wirkung,<br />

Daß die Herzen <strong>de</strong>r Hörer, <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong> enthoben,<br />

In staunen<strong>de</strong>r Andacht Stimmen <strong>de</strong>r Urwelt<br />

Und himmlische Worte zu hören wähnten.<br />

Jetzt ließ er <strong>de</strong>n Sturm in <strong>de</strong>n Saiten ersterben,<br />

Und mit führen<strong>de</strong>m Ton in festen Takten<br />

Einzig die Staben <strong>de</strong>r Verse stützend,<br />

Begann er singend und sagend also:<br />

„So vernehmet die Mär vom Niblungenhorte,<br />

Vom schuldvollen Ursprung <strong>de</strong>s Unheilschatzes.<br />

Wo rauschend <strong>de</strong>r Rhein <strong>de</strong>m nördlichen Ran<strong>de</strong><br />

Der Alpen enteilt, da herrschte einstmals<br />

Ein mächtiger König. Die Sage verkün<strong>de</strong>t,<br />

Er habe Aldrian anfangs geheißen.<br />

Kaum trug er die Krone, so ward seine Kriegslust,<br />

Gezügelt durch nichts, zur verzehren<strong>de</strong>n Krankheit.<br />

Nur im Waffengewühl empfand er noch Wohlsein<br />

Und Lust allein im Lan<strong>de</strong>robern.<br />

[29] Alle Reiche weit in die Run<strong>de</strong><br />

Wur<strong>de</strong>n ihm zinsbar. Eins nur entzog sich<br />

Unbesiegbar seinem Besitze:<br />

Das kleine Bergland, in <strong>de</strong>m als Gebieter<br />

Sein Bru<strong>de</strong>r schaltete, namens Schilbung.<br />

Ein einziger Engpaß gewährte <strong>de</strong>n Eingang,<br />

Und diesen sperrte, von hun<strong>de</strong>rt Speeren<br />

Auch gegen tausen<strong>de</strong> leicht verteidigt,<br />

Ein Schloß mit Türmen. – Im oberen Tale<br />

Sandten die Tiefen empor zu Tage<br />

Die reichsten A<strong>de</strong>rn edler Erze.<br />

Da zwang nun Schilbung, nach Schätzen gierig,<br />

Sein freudloses Volk zum härtesten Frondienst;<br />

Da mußten sie schürfen in tiefen Schächten<br />

Nach begehrtem Silber und sonnigem Gold.<br />

Aldrian brannte vor Gier, seinem Bru<strong>de</strong>r<br />

Dies Land zu rauben und seinen Reichtum,<br />

Vor allem eines: <strong>de</strong>r E<strong>de</strong>lsteine<br />

Größesten, schönsten, <strong>de</strong>n König Schilbung<br />

Im Stirnblatt <strong>de</strong>r Krone stolz zur Schau trug.<br />

Es war ein Karfunkel, mehr <strong>de</strong>nn faustgroß,<br />

Sonnenhaft schimmernd und ganz unschätzbar. –<br />

So lag er einst wie<strong>de</strong>r seit mehreren Wochen<br />

Vor Schilbungs Feste und schickt’ erfolglos<br />

In <strong>de</strong>n Tod seine Tapfern, <strong>de</strong>s Tales Eingang<br />

Endlich zu erzwingen. – Im Zwielicht saß er<br />

Eines Abends voll grimmigen Unmuts<br />

In seinem Zelte. Da hört’ er ein Zischen<br />

Und erblickte <strong>de</strong>n Bo<strong>de</strong>n tief geborsten.<br />

[30] Der Oeffnung entschlüpft eine riesige Schlange,<br />

Richtet sich auf und re<strong>de</strong>t also:<br />

,Du gewinnst, was du willst, du bewältigst die Feste,<br />

Wenn du mir zur Gattin bewilligest Götlind,<br />

Deine älteste Tochter. Zu tauschen vermag ich<br />

Den Tierleib mühlos mit menschlicher Bildung,<br />

16


Denn ein Götterkind bin ich und heiße Gunthwurm.’<br />

,Laß mich sehen dies Kunststück,’ versetzte <strong>de</strong>r König,<br />

,So werd’ ich glauben, es könne dir glücken,<br />

Auch die Burg zu bezwingen, an <strong>de</strong>r ich verzweifle.’<br />

Da versetzte <strong>de</strong>r Wurm: ,Ich will’s dir beweisen’<br />

Und zeigte <strong>de</strong>m König <strong>de</strong>n Zipfel <strong>de</strong>s Leibes:<br />

,Betrachte <strong>de</strong>n Ring von rotem Gol<strong>de</strong>,<br />

Ein blinken<strong>de</strong>s Schlänglein, <strong>de</strong>n Schweif im Schlun<strong>de</strong>,<br />

Die Augen gebil<strong>de</strong>t von e<strong>de</strong>ln Rubinen.<br />

Streif’ ihn herab. Du erreichst das Erstrebte,<br />

Sobald du mir Götlind zur Gattin gegeben.<br />

Trägst du am Finger dies funkeln<strong>de</strong> Kleinod,<br />

So fallen die Türme am folgen<strong>de</strong>n Tage,<br />

Und die Mauern zerschellen, von unten erschüttert.<br />

Doch hüte die Hand; <strong>de</strong>nn hülflos erlägst du<br />

Mit schwin<strong>de</strong>n<strong>de</strong>r Kraft <strong>de</strong>m Schwert auch <strong>de</strong>s Schwächsten,<br />

Wenn <strong>de</strong>r gol<strong>de</strong>ne Ring dir entrissen wäre.<br />

Sodann ge<strong>de</strong>nke noch dieser Bedingung<br />

Unseres Bun<strong>de</strong>s: Soweit du gebietest,<br />

Heiße hinfort <strong>de</strong>n Fürsten und Völkern<br />

Mit neuem Namen König Niblung.’<br />

Nach kurzem Schwanken beschwor <strong>de</strong>r König,<br />

Was <strong>de</strong>r Wurm sich bedungen für seine Dienste.<br />

[31] Den Zauberring zog er vom Zipfel <strong>de</strong>s Schweifes<br />

Und steckt’ ihn sofort an <strong>de</strong>n eigenen Finger.<br />

Da sah er <strong>de</strong>n Wurm alsbald verwan<strong>de</strong>lt<br />

In <strong>de</strong>n stattlichen Mann. Sie bestiegen gemeinsam<br />

Zwei rasche Rosse und ritten eiligs<br />

Zurück in die Hauptstadt, die Hochzeit zu rüsten.<br />

Nur zu gern ergab sich Götlin<strong>de</strong> als Gattin<br />

Dem stattlichen Ritter, <strong>de</strong>r äußerst reich schien,<br />

Obwohl seine Schönheit ihr heimliche Schauer<br />

Im Herzen erweckte. Sein Haupt umwallten<br />

Rabenschwarze Locken, und rastlos rollten<br />

Die funkeln<strong>de</strong>n Augen voll wil<strong>de</strong>n Feuers.<br />

Doch vor wem sich die Weiber, in<strong>de</strong>m sie bewun<strong>de</strong>rn,<br />

Im stillen fürchten, <strong>de</strong>r fesselt sie stärker<br />

Als jemals ein Mann von mil<strong>de</strong>r Gemütsart.<br />

Nach <strong>de</strong>r Feier <strong>de</strong>r Hochzeit, bevor er fortzog,<br />

Rief Gunthwurm seine Schwäger und jüngeren Schwestern,<br />

Seine Gattin Götlind und schenkte schei<strong>de</strong>nd<br />

Den Männern Ringe, <strong>de</strong>n Mädchen Spangen.<br />

Da war es <strong>de</strong>nn seltsam, daß je<strong>de</strong>m das Seine,<br />

Solang er’s allein sah, wertvoll und leuchtend<br />

Und dankenswert dünkte, doch schlecht und dürftig<br />

Und glanzlos sogleich, mit <strong>de</strong>m an<strong>de</strong>rn verglichen.<br />

,Ich rat euch’, rief er, sein Roß besteigend,<br />

,Daß je<strong>de</strong>s getreulich das Seinige trage;<br />

Denn es wür<strong>de</strong> die Kraft, vor Krankheit zu wahren,<br />

Alsbald verwan<strong>de</strong>lt in böse Wirkung,<br />

Schlimmer <strong>de</strong>nn Tod, wofern ihr tauschtet.’<br />

So sprach er wie warnend und sprengte seines Weges.<br />

[32]<br />

17


Noch am nämlichen Tage führte seine Tapfern<br />

König Niblung, wie nun er sich nannte,<br />

Mit wehen<strong>de</strong>n Fahnen vor Schilbungs Feste.<br />

Da bebte <strong>de</strong>r Bo<strong>de</strong>n, da barsten die Mauern,<br />

Und bald war die Burg erstürmt und erstiegen,<br />

Ohne Mitleid gemor<strong>de</strong>t die Mannen Schilbungs.<br />

Nur Schilbung selber schien unbesiegbar<br />

Und verteidigte tapfer das Tor <strong>de</strong>r Höhle<br />

Im lebendigen Felsen hinter <strong>de</strong>r Feste.<br />

Schon lag um ihn her ein Haufen von Leichen,<br />

Und niemand mehr wagt’ es, sich ihm zu nähern;<br />

Da kam <strong>de</strong>r König <strong>de</strong>n Bru<strong>de</strong>r bekämpfen,<br />

Vertrauend <strong>de</strong>m Ring, <strong>de</strong>n er trug an <strong>de</strong>r Rechten.<br />

Ihre Schwerter klirrten, und bald schon klaffte<br />

Trotz <strong>de</strong>m schützen<strong>de</strong>n Helm im Schä<strong>de</strong>l Schilbungs<br />

Eine tiefe Wun<strong>de</strong>. Im Taumel <strong>de</strong>s To<strong>de</strong>s<br />

Haut er nach <strong>de</strong>r Hand <strong>de</strong>s heillosen Bru<strong>de</strong>rs;<br />

Der Faust entfällt mit <strong>de</strong>m Schwertgefäße<br />

Der Finger zugleich, an welchem funkelnd<br />

Das Ringlein steckte. Da stürzt röchelnd<br />

Wie vernichtet Niblung nie<strong>de</strong>r.<br />

Stärkere Laute ersticken sein Stöhnen:<br />

Ein dumpfes Rauschen, ein Donnern und Rasseln<br />

Erschallt in <strong>de</strong>r Tiefe; erschüttert taumeln<br />

Die Felswän<strong>de</strong>; in Wellen bewegt sich,<br />

Gebogen und berstend, <strong>de</strong>r feste Bo<strong>de</strong>n.<br />

Nun senkt er sich seetief. In riesigen Sätzen<br />

Kommen Kaska<strong>de</strong>n von Schaum geschossen;<br />

[33] Durch die Spalten <strong>de</strong>r Berge, ein Bette sich spülend,<br />

Rauschen <strong>de</strong> Rheines rasen<strong>de</strong> Wogen<br />

Herein in die Schlucht, die das Schloß verschlungen,<br />

Und erfüllen rasch bis zum Ran<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Felsen<br />

Den bro<strong>de</strong>ln<strong>de</strong>n Schlund mit brauner Schlammflut.<br />

In <strong>de</strong>r Aldriansstadt, am untern Gesta<strong>de</strong>,<br />

Zankten verstört um die nämliche Stun<strong>de</strong><br />

Die Kin<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s Königs. Kurz nach <strong>de</strong>r Abfahrt<br />

Des jungen Paares peinigte alle<br />

Neid aufeinan<strong>de</strong>r, weil nichtig und wertlos<br />

Je<strong>de</strong>m erschien, was ihm geschenkt war,<br />

Überschwänglich schön <strong>de</strong>r Schatz <strong>de</strong>r Geschwister.<br />

Die Betörten begannen alsbald zu tauschen;<br />

Doch immer, wann eines das Kleinod <strong>de</strong>s an<strong>de</strong>rn,<br />

Das heiß begehrte, kaum hielt in Hän<strong>de</strong>n,<br />

So dünkt’ ihm dieses nicht einen Deut wert<br />

Und sein erstes Eigentum in <strong>de</strong>r Erinn’rung<br />

Ganz unschätzbar. Sie schalten einan<strong>de</strong>r<br />

Betrügerisch, treulos und for<strong>de</strong>rten trotzig<br />

Zurück ihre rechten Spangen und Ringe.<br />

Doch konnte nun keiner sein <strong>Erstes</strong> erkennen;<br />

Das Verlorene zeigte sich zehnmal so leuchtend,<br />

Als es wirklich geglänzt, im Glauben <strong>de</strong>s Eigners,<br />

Und je<strong>de</strong>r dachte, dass diebisch <strong>de</strong>r andre<br />

Das Seine beseitigt und nun versuche,<br />

18


Unechten Ausputz unterzuschieben.<br />

In<strong>de</strong>m sie so streiten, ertönt auf <strong>de</strong>r Straße<br />

Lautes Geschrei <strong>de</strong>r Angst und <strong>de</strong>s Schreckens.<br />

Das Rennen und Rufen erstickt ein Rauschen<br />

[34] Wie von wil<strong>de</strong>n Gewässern. Schlammige Wogen<br />

Schwellen durchs Fenster, füllen <strong>de</strong>n Saal.<br />

Aus <strong>de</strong>n Wellen erhebt ein häßlicher Wurm<br />

Den riesigen Kopf; in die Kammer hinein<br />

Den Rachen reckend, beginnt er zu re<strong>de</strong>n<br />

Mit donnern<strong>de</strong>r Stimme:<br />

,Verstandlose Dirnen,<br />

Betörte Buben, verbot ich <strong>de</strong>n Tausch nicht?<br />

So seid nun verdammt in <strong>de</strong>r dämmrigen Feuchte,<br />

Verflucht, zu fahren mit Flossen statt Füßen,<br />

Bis die späteste Zeit euch die Zauberspangen,<br />

Die rechten Ringe von Rheingold zurückgibt,<br />

Die ich euch geschenkt. So will es das Schicksal.<br />

Jetzt hebt euch von hinnen.’<br />

In gefräßige Hechte<br />

Und bärtige Welse alsbald verwan<strong>de</strong>lt,<br />

Mußten die Brü<strong>de</strong>r im brausen<strong>de</strong>n Schwalle<br />

Von dannen schwimmen, in<strong>de</strong>s ihre Schwestern,<br />

Die Töchter Niblungs, als Nixen <strong>de</strong>r Tiefe<br />

Der stru<strong>de</strong>ln<strong>de</strong> Strom vom Stran<strong>de</strong> spülte.“ –<br />

Hier griff <strong>de</strong>r Sänger mit Macht in die Saiten.<br />

Eine wimmern<strong>de</strong> Weise verschwand fast im Wirrwarr,<br />

Im wüten<strong>de</strong>n Kampfe <strong>de</strong>r kühnen Akkor<strong>de</strong>.<br />

Es klang wie ein Sturm, <strong>de</strong>r stöhnen<strong>de</strong> Klagen,<br />

Wie rauschen<strong>de</strong> Flut, die Flehen um Rettung<br />

Herzlos erstickt. – Nun verstummte die Harfe.<br />

Die lauschen<strong>de</strong>n Höflinge suchten schon lange<br />

In <strong>de</strong>n Zügen <strong>de</strong>s Königs ein Zeichen zu lesen,<br />

Ob die Mär ihm genehm o<strong>de</strong>r mißfällig wäre,<br />

[35] Um je nach <strong>de</strong>s Fürsten Vorgang und Laune<br />

Bittersten Hohn o<strong>de</strong>r Beifall zu lächeln.<br />

Sein Antlitz war ernst, doch frei von Unmut.<br />

Wie ziellos schien in <strong>de</strong>r Zeitenferne<br />

Zu haften das Absehn <strong>de</strong>r hellgrauen Augen.<br />

Des riesigen Mannes nervige Rechte,<br />

Auf <strong>de</strong>n Armgriff <strong>de</strong>s Stuhls <strong>de</strong>n Ellbogen stützend,<br />

Spreizte kammgleich die Finger durchs Kopfhaar,<br />

Das ihm flachsig und dünn nur <strong>de</strong>n Scheitel noch <strong>de</strong>ckte,<br />

und stützte selber die sinnen<strong>de</strong> Stirne,<br />

Die, faltenlos glänzend, erhöht von <strong>de</strong>r Glatze,<br />

Sein langes Gesicht noch länger machte.<br />

So schien er gefesselt <strong>de</strong>r Mär zu folgen,<br />

Als vernehm’ er durchaus ohne Nebengedanken,<br />

Wie Nibelungs Geschlecht die Schlange beschlichen;<br />

Nur die Finger <strong>de</strong>r Linken <strong>de</strong>s lauschen<strong>de</strong>n Fürsten<br />

Zwirnten dabei die mächtigen Zwickel<br />

Des rötlichen Schnurrbarts ein wenig schneller,<br />

Als in warten<strong>de</strong>r Spannung er sonst dies Spiel trieb.<br />

Da nun Horand, <strong>de</strong>r Harfner, bei diesem Halte<br />

19


Nach <strong>de</strong>m Becher langte, sprach bittersüß lächelnd<br />

Hagen von Tronje:<br />

„Vertraue mir’s, Horand,<br />

Von wannen und wem du die Wun<strong>de</strong>rgeschichte<br />

Vom Nei<strong>de</strong> Niblungs auf Schilbung vernahmest?“<br />

„Des muß ich mich weigern,“ erwi<strong>de</strong>rte Horand.<br />

„Ein Ehrengesetz im Or<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Sänger<br />

Verbeut es <strong>de</strong>m Bar<strong>de</strong>n, das bunte Gewebe<br />

Des <strong>Lied</strong>es gelockert in Fä<strong>de</strong>n zu lösen,<br />

[36] Ja rückwärts zum Rocken, zu Flachs zu zerrupfen,<br />

Um von Zettel und Zuschlag <strong>de</strong>n Ursprung zu zeigen.<br />

Es muß <strong>de</strong>r Sänger als Mund <strong>de</strong>r Sage<br />

Alles und nichts sein eigen benennen.<br />

Wem bei <strong>de</strong>r Geburt ein Gott sie gebil<strong>de</strong>t,<br />

Bei <strong>de</strong>m sind Gedächtnis und Dichtungsgabe<br />

Gleich ungeschie<strong>de</strong>n wie Schaffen und Schauen;<br />

Der mischt, um die Mären <strong>de</strong>r Vorzeit zu malen,<br />

Ermerkte Farben aus eignem Gemüte<br />

Und nimmt für Gemäl<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Götter und Menschen<br />

Zu Mustern lebendige Männer und Frauen.<br />

Was er kün<strong>de</strong>t von Kämpfen und kühnem Wagnis,<br />

Von Lei<strong>de</strong>n und Lust, von Haß und Liebe,<br />

Von hehren Hel<strong>de</strong>n und Höllensklaven, –<br />

Nicht er selbst ersann’s: die unsterbliche Sage<br />

Sagt es ihm ein. Doch die Seele <strong>de</strong>r Göttin<br />

War niemals leiblos. Ihr lichtes Wesen<br />

Formt sich beständig aus irdischem Staube<br />

Die Gestalt und die Stimme sterblicher Menschen.<br />

Mehrend und min<strong>de</strong>rnd im echten Meister<br />

Schaltet drum frei mit <strong>de</strong>r früheren Kun<strong>de</strong><br />

Unfraglich sie selbst und nicht ein Frem<strong>de</strong>s.<br />

Er fühlt <strong>de</strong>r Göttin befehlen<strong>de</strong> Allmacht<br />

Als erbauliche Bildkraft in sich lebendig.<br />

Wen Sie so gewürdigt, in ihm zu wohnen,<br />

Dem ist es verpönt, <strong>de</strong>r erpichten Frage:<br />

Wer d i e s e s erzählte, wer d a s hinzutat,<br />

Was alt sei, was neu, Genüge zu leisten.<br />

Das ist fruchtlose Mühe.“<br />

[37]<br />

„Ich frag nicht müßig!“<br />

Sprach mit stechen<strong>de</strong>m Blick und heiserer Stimme<br />

Der Tronjer dagegen. „Mein Vater hieß Gunthwurm,<br />

Meine Mutter Götlind, und du bist zu Gast hier<br />

Bei <strong>de</strong>m Enkelinsohn eines Aldrianes.<br />

Wußtest du das?“<br />

„Nicht weiter, Oheim!“<br />

Rief <strong>de</strong>r König, so kurz befehlend,<br />

Wie ihn bisher die Höflige niemals<br />

Zu <strong>de</strong>m allmächtigen Mutterbru<strong>de</strong>r<br />

Re<strong>de</strong>n gehört. „Laß <strong>de</strong>n Harfner in Ruhe!<br />

Willst du mir heute mein schönes Behagen<br />

Durchaus ver<strong>de</strong>rben? Erst von <strong>de</strong>r Donau<br />

Fernen Gesta<strong>de</strong>n holst du die Störung,<br />

20


Als wären die Hunnen Heuschreckenschwärme<br />

Und flögen heran zu <strong>de</strong>n Fluren am Rhein;<br />

Nun verstimmst du <strong>de</strong>n Sänger durch Stammbaumeifer.<br />

Ich selber bat ihn um bängliche Mären,<br />

Und nicht e r trägt die Schuld, daß kein an<strong>de</strong>res Schicksal<br />

So schauerlich groß die Gemüter durchschüttert,<br />

Als das rasche Gericht, das rächend ereilte<br />

Die gol<strong>de</strong>ne Brunst <strong>de</strong>s gottlosen Bru<strong>de</strong>rs,<br />

Als <strong>de</strong>r Niblunge Neidlohn, die jähe Vernichtung<br />

Des üppigen Reiches am oberen Rhein.<br />

Nur weiter, Horand. Nicht ich verwehre<br />

Den Sängern Erwähnung verwandter Geschlechter.<br />

Wie ziemte das mir? Mich zeugte Gibich,<br />

Den Gibich Dankrat; diesen ins Dasein<br />

Setzte Hamund, <strong>de</strong>r erste Beherrscher<br />

[38] Sämtlicher Gaue <strong>de</strong>r Rheinburgun<strong>de</strong>n.<br />

Er war aus <strong>de</strong>r Nordsee hinaufgefahren<br />

Mit tausend Recken bis Worms am Rheine<br />

Und hatte die Stadt im Sturm genommen.<br />

Ihn hatte zum Sohne Sinfiötli,<br />

Der sagenberühmte, diesen Sigmund,<br />

Der gewaltigste Sprößling <strong>de</strong>s Königs Wolse.<br />

So bin ich ein Wölsung und würd’ in Wahrheit<br />

Singen und Sagen samt und son<strong>de</strong>rs<br />

Vom Hofe bannen, wofern ich’s verböte,<br />

Unsere Ahnen anzurühren.<br />

Stolz darauf bin ich, daß unserem Stamme<br />

Die erbaulichsten <strong>Lied</strong>er <strong>de</strong>r Bar<strong>de</strong>n gelten.<br />

Sie berichten so ruhmvoll von langen Reihen<br />

Gewaltiger Hel<strong>de</strong>n und hehrer Weiber,<br />

Daß ein Körnchen Mißruhm schon mit in <strong>de</strong>n Kauf geht<br />

Und die Ehre nicht schädigt. Warum also scheu tun<br />

Und schamvoll verschweigen, daß wir uns verschwägert<br />

Mit einem Geschlecht von schlimmerem Leumund?<br />

Auch <strong>de</strong>r Niblunge Blut wird, erneut und geläutert,<br />

Nicht stören das Wachstum <strong>de</strong>s Wölsungenstammes.<br />

Aus <strong>de</strong>r Seele zu tilgen <strong>de</strong>n Samen <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong>,<br />

Die <strong>de</strong>r Ahnherr vielleicht auch auf uns noch vererbte,<br />

Dazu dünkt mir’s gar dienlich, von seinem Ver<strong>de</strong>rben<br />

Den Herzenskeim verkün<strong>de</strong>n zu hören.<br />

So dank’ ich dir, Horand, und <strong>de</strong>sto wärmer,<br />

Als du wahrlich gewußt, daß ich Niblung verwandt bin,<br />

Doch kühn vertraut, daß ich königlich <strong>de</strong>nke. –<br />

Doch merke dir eins: im Gemache <strong>de</strong>r Frauen<br />

[39] Wird man gewiß von eurem Wortstreit<br />

Bald Nachricht haben und brennen vor Neugier,<br />

Die Mär zu vernehmen von König Niblung.<br />

Vermei<strong>de</strong> sie dort, zumal vor <strong>de</strong>r Mutter;<br />

Schon allzu erregt und kränklich reizbar<br />

Ist ihr Gemüt seit mehreren Wochen. –<br />

So fahr jetzt fort. – Ich, <strong>de</strong>r König, befehl’ es.“<br />

So sprach <strong>de</strong>r König. Er konnte nicht wissen,<br />

Daß Adrians Enkelin alles vernommen.<br />

21


Denn als Horand begann, war die Königin Guta<br />

Eingetreten zu traulichem Plau<strong>de</strong>rn<br />

In Krimhil<strong>de</strong>ns Gemach. Die Hand an die Muschel<br />

Des Ohres legend und eifrig lauschend,<br />

Hatten dann beid’, in <strong>de</strong>s Fensterbogens<br />

Nischen sitzend, fast nichts verloren<br />

Von <strong>de</strong>s Harfners Erzählung, <strong>de</strong>s zürnen<strong>de</strong>n Hagen<br />

Versuchtem Einspruch und Gunthers Antwort;<br />

Und jetzt erst rannte, mit rotem Gesichte,<br />

In <strong>de</strong>n Augen ein Feuer mit Irrlichtgefunkel,<br />

Doch schweigend hinaus die Schwester Hagens.<br />

Eine schreckliche Furcht erfaßte die Fürstin:<br />

Sie mußte nachsehn im eignen Gemache,<br />

In <strong>de</strong>r zierlichen Truhe, ob nur ein Traumbild<br />

Sie tückisch betört mit so täuschen<strong>de</strong>m Wahne,<br />

Daß ihr Geisbartgallen die Göttin gegeben.<br />

Auf <strong>de</strong>m Söller in<strong>de</strong>s begann <strong>de</strong>r Sänger,<br />

Vom Fürsten ermutigt, die Folge <strong>de</strong>r Mär.<br />

„Vernehmt jetzt, wie nachmals von Niblungs Schätzen<br />

Ein Teil aus <strong>de</strong>r Tiefe zutage gekommen.<br />

[40]<br />

Ich hörte sagen, zuweilen besuche<br />

Der Herr <strong>de</strong>s Himmels die Häuser <strong>de</strong>r Menschen,<br />

Belohne die Frommen, bestrafe die Frevler.<br />

So durchwan<strong>de</strong>rt’ einst Wodan wie<strong>de</strong>r die Lan<strong>de</strong><br />

Und mit ihm Volant, <strong>de</strong>r Fürst <strong>de</strong>r Nachtwelt,<br />

Loki genannt in nordischen Lan<strong>de</strong>n.<br />

Denn ein hohes Geheimnis, das ganz erst enthüllt wird,<br />

Wann die Dinge ver<strong>de</strong>rben in <strong>de</strong>r letzten Dämmrung,<br />

Gebot <strong>de</strong>n bei<strong>de</strong>n, ein Bündnis zu schließen,<br />

Als Mittgard gemacht ward für die Menschenkin<strong>de</strong>r.<br />

Sie ritzten die Rechten, bis rotes Blut quoll,<br />

Und einer vom an<strong>de</strong>rn, die Arme kreuzend,<br />

Trank einen Tropfen zum Zeichen <strong>de</strong>r Treue.<br />

Schon weite Wege waren sie gewan<strong>de</strong>rt<br />

Und fühlten sich matt und mü<strong>de</strong> wie Menschen<br />

Und merkten nicht min<strong>de</strong>r das Mahnen <strong>de</strong>s Hungers.<br />

Denn bei solchen Besuchen ist es die Satzung,<br />

Daß gern die Götter als Gäste <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong><br />

Mit <strong>de</strong>r sterblichen Gestalt auch die Schwäche <strong>de</strong>s Staubes<br />

Und nie<strong>de</strong>ren Nöte auf sich nehmen.<br />

So gelangten sie lechzend nach laben<strong>de</strong>r Speise<br />

Ans Ufer eines Stromes, wo mächtig stru<strong>de</strong>lnd<br />

Ueber ein Wehr das Wasser sich wälzte.<br />

Unterhalb <strong>de</strong>s Sturzes am flachen Gesta<strong>de</strong><br />

Saß eine Otter, welche sich eben<br />

Einen Lachs gefangen und lüstern fauchend<br />

Die blanke Beute blinzend beschaute.<br />

Da bückte sich Volant, nahm einen Feldstein<br />

Und traf so geschickt ihren platten Schä<strong>de</strong>l,<br />

[41] Daß er zersprang und das Hirn verspritzte.<br />

Sich rühmend rief er: ,Ich treffe richtig;<br />

Ein Wurf erwirbt mir zwei Stücke Wildbret<br />

22


Und mehr noch, mein’ ich, in künftigen Mon<strong>de</strong>n.’<br />

Er lud sich die Otter, Wodan <strong>de</strong>n Lachs auf;<br />

Dann gingen sie weiter, kamen zur Wohnung<br />

Eines ruchlosen Räubers namens Reidmar<br />

Und begehrten Gastrecht. Als nun die Götter<br />

Am Herd auf <strong>de</strong>n Bo<strong>de</strong>n die Beute warfen,<br />

Betrachtet’ er staunend die hohen Gestalten<br />

In weichen Gewän<strong>de</strong>rn aus feinster Wolle,<br />

Und während die bei<strong>de</strong>n die Otter entbalgten<br />

Und <strong>de</strong>n Lachs in die Lohe <strong>de</strong>s Her<strong>de</strong>s legten,<br />

Ging Reidmar suchen nach seinen Söhnen,<br />

Dem ränkevollen Regin, <strong>de</strong>m falschen Fafner.<br />

Mit ihnen beriet er <strong>de</strong>r Gäste Beraubung,<br />

Und ein nichtiger Vorwand war bald gefun<strong>de</strong>n.<br />

Das wußte Wodan. ,Füge dich wehrlos,’<br />

Sprach er zu Volant, ,wenn sie dich fassen;<br />

Sie wer<strong>de</strong>n uns fangen, um dir zu verfallen.’<br />

Schon lagen auf <strong>de</strong>r Lauer die listigen Räuber,<br />

Und als nun die Götter ans Essen gingen,<br />

Stürmten sie mit Stangen herein in die Stube,<br />

Warfen sie zu Bo<strong>de</strong>n und ban<strong>de</strong>n <strong>de</strong>n bei<strong>de</strong>n<br />

Mit Riemen von Rindshaut die Hän<strong>de</strong> rückwärts.<br />

Nun re<strong>de</strong>te Reidmar: ,Mich dürstet nach Rache;<br />

Ihr habt mir entseelt mein jüngstes Söhnchen,<br />

Den e<strong>de</strong>ln Othar, in dieser Otter.<br />

Ihr nahmet hier Zuflucht bei einem Zaubrer.<br />

[42] Ich kann meine Kin<strong>de</strong>r durch Künste, die erblich<br />

In meinem Stamm sind, in Tiergestalten<br />

Beliebig verlarven. Nach diesem Lachse –<br />

Er zeigt noch die Spur seiner spitzen Zähne –<br />

Durchtauchte die Tiefe mein teurer Othar,<br />

Also vermummt; ihr habt ihn ermor<strong>de</strong>t<br />

Durch einen Steinwurf und müsset nun sterben.’<br />

,Ein seltsam Söhnchen, das muß ich sagen!’<br />

Entgegnete Volant. ,Du wur<strong>de</strong>st sein Vater<br />

Durch Zauberzeugung vermittels <strong>de</strong>r Zunge.’<br />

,Dein Wunsch ist nur Wergeld,‘ sprach ruhevoll Wodan;<br />

,Wie viel verlangst du? Wir wollen uns lösen;<br />

Wir sind begürtet und geben es gern.’<br />

Da versetzte Reidmar: ,So füllt mir mit Rheingold<br />

Dies Fell, bis es feststeht auf allen Vieren.<br />

Das sei mein Bangeld und eure Buße.<br />

Sodann belegt mir, um euch zu lösen<br />

Mit passen<strong>de</strong>r Pön, auch <strong>de</strong>n Pelz <strong>de</strong>r Otter<br />

Mit gelbem Gol<strong>de</strong>; doch alles gilt nichts,<br />

So lange noch ein Härchen nicht ganz verhüllt ist.’<br />

,Wir wollen es gewähren,‘entgegnete Wodan.<br />

,Geh’, schaffe nun <strong>de</strong>n Schatz her, mein Schuldgenosse;<br />

Ich bleibe hier gefangen, bis alles erfüllt ist.’<br />

Der Fessel entledigt, entfernte sich Volant.<br />

Außen am Eingang lehnte eine Angel;<br />

Die Rute, gebun<strong>de</strong>n aus biegsamen Haseln,<br />

Umlief die lange, gedrillte Leine<br />

23


Vom Schweif eines Schimmels. Die schwang er auf die Schulter<br />

Und trat aus <strong>de</strong>m Tor. Hier zog er aus <strong>de</strong>r Tasche<br />

[43] Die Sandalen hervor, die <strong>de</strong>n Fürsten <strong>de</strong>s Dunkels<br />

Über die Er<strong>de</strong> in Eile tragen.<br />

Sie sind verfertigt aus Fellen <strong>de</strong>s Maulwurfs<br />

Und Fle<strong>de</strong>rmausflügeln, zierlich umflochten<br />

Mit seinen Fe<strong>de</strong>rn vom Fittich <strong>de</strong>s Uhus<br />

Und am Saume besetzt mit Sehnen <strong>de</strong>s Renntiers,<br />

Um die Füße damit festzuschnüren.<br />

Die band er sich unter, streckte die Beine<br />

Und rannte gen Sü<strong>de</strong>n in riesigen Sätzen,<br />

Die sieben Meilen ein je<strong>de</strong>r maßen.<br />

Bald sah er glänzen die Gletscher <strong>de</strong>r Alpen<br />

Und erreichte rasch <strong>de</strong>s jungen Rheines<br />

Obere Fälle, wo er, <strong>de</strong>n Firnen<br />

Milchweiß entspru<strong>de</strong>lnd, in mächtigen Sätzen<br />

In tiefe Tobel turmhoch hinabstürzt.<br />

Unterhalb weitet das wirbeln<strong>de</strong> Wasser<br />

Die zwängen<strong>de</strong> Bergschlucht und bil<strong>de</strong>t ein Becken.<br />

Hier war’s, wo vor Zeiten die zürnen<strong>de</strong> Er<strong>de</strong><br />

Verschlungen das Schloß und die Schätze Schilbungs.<br />

Hier wußt’ er die Wohnung eines Wichtelmannes<br />

Namens Antwar, <strong>de</strong>r sich zur Arbeit<br />

Mit Zauberkünsten die Ameisen zähmte<br />

Und sie leuchten<strong>de</strong>n Goldstaub sammeln lehrte.<br />

Doch durchsuchte <strong>de</strong>r Kleine auch selbst die Klüfte<br />

Des Er<strong>de</strong>nschoßes nach blinken<strong>de</strong>n Schätzen.<br />

So fand er die Reifen und Spangen von Rheingold<br />

Der in Hechte und Welse verwan<strong>de</strong>lten Söhne<br />

Und <strong>de</strong>r Töchter Niblungs, <strong>de</strong>r Nixen <strong>de</strong>r Tiefe.<br />

Er trug an <strong>de</strong>r Rechten auch jenes Ringlein,<br />

[44] Das Aldrian einst <strong>de</strong>m Gunthwurm abzog.<br />

Nibelnaut war <strong>de</strong>r Name <strong>de</strong>s Kleinods<br />

Weiland gewesen, dieweil es herkam<br />

Vom Neidwurm <strong>de</strong>r Nachtwelt, <strong>de</strong>n giftigen Nibel,<br />

Der ewig wühlt an <strong>de</strong>n Wurzeln <strong>de</strong>s Weltbaums;<br />

Nun aber hieß es Antwaranaut.<br />

Den Zwerg nun beglückt’ es, glänzen<strong>de</strong> Sachen<br />

Nur eben zu mehren mit endloser Mühe,<br />

In seinem Versteck die glitzern<strong>de</strong>n Steine,<br />

Den gol<strong>de</strong>nen Tand zu Häufchen zu türmen<br />

Und klimpernd zu prüfen <strong>de</strong>r Kleino<strong>de</strong> Preis.<br />

Doch <strong>de</strong>r Neid <strong>de</strong>r Nornen erweckt, wer nutzlos<br />

Zu bloßer Schaulust mit Schätzen schaltet.<br />

Als aus Goldbegier<strong>de</strong> <strong>de</strong>r kleine Geizhals<br />

Nichts Gutes mehr gönnte <strong>de</strong>m eigenen Gaumen<br />

Und einstmals hungrig von seinen Gehülfen,<br />

Den Ameisen, etliche undankbar aufaß,<br />

Da ward er verwunschen, sechs Wochen von sieben<br />

Zu schwimmen im Rhein als rasche Forelle<br />

Mit <strong>de</strong>m Zeichen seines Fluches, goldroten Flecken.<br />

Seine Kammern kannte <strong>de</strong>r König <strong>de</strong>r Tiefe<br />

Und wußt’ auch im Wasser zu seiner Wohnung<br />

24


Den unteren Eingang, an <strong>de</strong>m er sich aufhielt<br />

Während <strong>de</strong>r Wochen seiner Verwandlung.<br />

Am Bo<strong>de</strong>n <strong>de</strong>s Flusses, <strong>de</strong>n Schweif und die Flossen<br />

Nur wenig bewegend, stützt’ er auf ein Steinchen<br />

Den unteren Kiefer, spielte mit <strong>de</strong>n Kiemen<br />

Und lag auf <strong>de</strong>r Lauer, nach oben lugend,<br />

Um schnell zu erschnappen die fallen<strong>de</strong>n Schnaken.<br />

[45] Die Wurfschnur entwickelnd winkt nun Volant,<br />

In<strong>de</strong>m er die Zehen zuckend krümmte,<br />

Den Dysen <strong>de</strong>s Dunkels, die dienstbeflissen<br />

Ihm unter <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong> allhin folgen,<br />

Wo sie fühlen <strong>de</strong>n Fußtritt <strong>de</strong>s Fürsten <strong>de</strong>r Teufe.<br />

Sie durchheizten <strong>de</strong>n Rasen mit einem Hauche<br />

Vom Her<strong>de</strong> Helas; da kam eine Hummel,<br />

Rettung suchend und zornig summend,<br />

In eiligster Angst aus ihrem Erdloch,<br />

Am Hinterteil hochgelb, wächserne Höschen<br />

An ihren Füßen. Die fing sich Volant<br />

Und spießte sie behutsam auf <strong>de</strong>n spitzen Haken.<br />

Dann hob er mit <strong>de</strong>m Handgelenk die Haselrute<br />

Zu leichtem Schwunge. Langsam schwebend<br />

Kam <strong>de</strong>r Kö<strong>de</strong>r über <strong>de</strong>m Kopfe<br />

Der flinken Forelle zur Fläche <strong>de</strong>s Rheins.<br />

Die Beute erblickend, ein lebendiger Blitzstrahl,<br />

Kommt sie geschossen. Da sieht sie ein Scheusal<br />

Stehen am Gesta<strong>de</strong>. Sie will sich verstecken<br />

Vor <strong>de</strong>m schrecklichen Zweibein unten im Zwielicht, –<br />

Da fühlt sie sich schau<strong>de</strong>rnd von etwas Scharfem<br />

Schmerzlich gestochen. Sie <strong>de</strong>nkt, <strong>de</strong>r Stachel<br />

Der dicken Biene durchbohre ihre Backe,<br />

Doch kann sie nicht sinken. Umsonst versucht sie<br />

Die spießen<strong>de</strong> Speise heraus zu speien,<br />

Es zieht, es zerrt sie ein unsichtbarer Zügel<br />

Immer nach oben. Mit offenem Maule<br />

Hebt sie’s in die Höhe, hinauf in die Hitze;<br />

Dörrend ins Gedärm wie feurige Dämpfe<br />

[46] Würgt sich ein Luftschwall und lähmt ihr Leben.<br />

Stromaufwärts, stromabwärts eilt sie verängstigt<br />

In ratlosem Rasen und kann nicht entrinnen;<br />

Denn zurück ohne Rettung wird sie gerissen<br />

Und zappelt nun im San<strong>de</strong> in <strong>de</strong>r sengen<strong>de</strong>n Sonne.<br />

,Mein gefangenes Fischlein,’ sagte Volant,<br />

,Wer<strong>de</strong> nun wie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Zwerg Antwari;<br />

Denn so will es Wodan’. – Da hing verwan<strong>de</strong>lt<br />

Mit einem Male ein kniehoch Männchen<br />

In goldbesticktem Röcklein anstatt <strong>de</strong>r Forelle<br />

Am Haken <strong>de</strong>r Angel. Es hielt sich mit <strong>de</strong>m Hän<strong>de</strong>n<br />

Zitternd und bebend die durchbohrte Backe<br />

Und suchte sich zu lösen von <strong>de</strong>r leidigen Leine,<br />

Bis Volant ihm zurief: ,Laß <strong>de</strong>in Gezappel,<br />

Du winziger Wicht, und sei mir zu Willen.<br />

Hole <strong>de</strong>n Hort her, <strong>de</strong>n du behütest<br />

In <strong>de</strong>inem Versteck; doch stiehl mir kein Stäubchen.<br />

25


Erfüllst du das folgsam, so bist du ferner<br />

Nicht mehr verwunschen, sechs Wochen von sieben<br />

Als rasche Forelle im Rhein zu schwimmen.<br />

Doch verhehlst du mir die Halbscheid eines Hirsekornes,<br />

So werf’ ich dich wie<strong>de</strong>r als Fisch ins Wasser,<br />

So läufst du schon morgen <strong>de</strong>n Menschen in die Maschen<br />

Und wirst wie gebräuchlich in <strong>de</strong>r Pfanne gebraten.’<br />

Er löste die Leine von Antwars Lippen.<br />

Da schlüpfte hinab in die felsigen Schluchten<br />

Der zittern<strong>de</strong> Zwerg und holte gezwungen,<br />

Traurig seufzend und Tränen vergießend,<br />

Den schimmern<strong>de</strong>n Schatz in einem Schubkarrn,<br />

[47] An welchem die Mul<strong>de</strong> gar zierlich gemacht war<br />

Von mächtigen Muscheln <strong>de</strong>s Meeres <strong>de</strong>r Urzeit<br />

Und das Rad vom Ringhaus <strong>de</strong>r Riesenschnecke.<br />

Doch musste <strong>de</strong>r Zwerg zum min<strong>de</strong>sten zwölfmal<br />

Kommen und gehn, um die gol<strong>de</strong>nen Körner,<br />

Echten Stufen, e<strong>de</strong>ln Steine,<br />

Bän<strong>de</strong>r und Plättchen zum gebotenen Platze<br />

Her zu holen, bevor er <strong>de</strong>n Haufen<br />

Des Hortes geschüttet zur Höhe seines Scheitels.<br />

Sieh, da reckt sich heraus aus <strong>de</strong>m rauschen<strong>de</strong>n Rheine<br />

Ein schimmern<strong>de</strong>r Nacken. Die Nixe schaute<br />

Voll Neugier, <strong>de</strong>r Flut bis zum Nabel enttauchend,<br />

Mit neidischen Augen auf Niblungs Schätze<br />

Und, ein ihr einst eigenes Armband erkennend,<br />

Schwamm sie begehrlich <strong>de</strong>m Gol<strong>de</strong> näher.<br />

Doch Volant erhob <strong>de</strong>n Finger drohend,<br />

Und sehnsuchtsvoll seufzend versank sie wie<strong>de</strong>r.<br />

,All meinen Reichtum’. so rief nun Antwar,<br />

,Hab’ ich folgsam hieher gefahren.<br />

Nun gib mir das Zeugnis <strong>de</strong>r Götterverzeihung,<br />

Daß ich entzaubert für alle Zeit sei.’<br />

,Du re<strong>de</strong>st fälschlich!’ entgegnete Volant.<br />

,Dein Bestes fehlt noch. Da funkelt am Finger<br />

Deiner Rechten ein rotes Ringlein,<br />

Eine gol<strong>de</strong>ne Schlange, <strong>de</strong>n Schweif im Schlun<strong>de</strong>,<br />

Die Augen gebil<strong>de</strong>t von e<strong>de</strong>ln Rubinen:<br />

Das lege zum Bußgold, sonst bleibst Du gebannt.’<br />

Da warf Antwari das Kleinod wütend<br />

Hin auf <strong>de</strong>n Haufen und kreischte heftig:<br />

[48] ,Mit Hülfe <strong>de</strong>s Ringes hofft’ ich meinen Reichtum<br />

Wie<strong>de</strong>r zu gewinnen; doch jetzt verweigern<br />

Meine Gehülfen mir allen Gehorsam.<br />

Jetzt bin ich elend; <strong>de</strong>nn einzig <strong>de</strong>r Anblick<br />

Leuchten<strong>de</strong>n Gol<strong>de</strong>s labt und ergötzt mich.<br />

Der gänzlich Beraubte begehrte nun Rache.<br />

Nun vererbe sich ewig auf je<strong>de</strong>n Eigner<br />

Des roten Ringes, <strong>de</strong>n du mir entrissen,<br />

Die vernichten<strong>de</strong> Neigung <strong>de</strong>s Neidwurms <strong>de</strong>r Nachtwelt.<br />

Wer oben an <strong>de</strong>r Sonne jemals in Besitz kommt<br />

Des Antwaranautes, <strong>de</strong>r wer<strong>de</strong> zum Niblung,<br />

Der trage, betrogen von Träumen <strong>de</strong>s Glückes,<br />

26


Bis zur Neige <strong>de</strong>s Lebens <strong>de</strong>n Neid <strong>de</strong>r Nornen.<br />

So wirke nur Weh, du ver<strong>de</strong>rbliches Wunschgold;<br />

Wann die Klagen erklingen bis in meine Klüfte<br />

Um die Leichen Geliebter, dann will ichlachen,<br />

Will jubeln und jauchzen, wann tausen<strong>de</strong> jammern<br />

Und Enkel noch schluchzen um erschlagene Geschlechter.’<br />

So sprach Antwari und sprang entweichend<br />

In eine Spalte, in<strong>de</strong>s ihm spöttisch<br />

Volant nachrief: ,Mir soll’s genehm sein,<br />

Wenn du Rache gesät hast mit <strong>de</strong>inem Reichtum.’<br />

Nicht weit vom Wasser auf grüner Wiese<br />

Lag wie<strong>de</strong>rkäuend eine jährige Kalbe.<br />

Die tötete Volant, zog ihr das Fell ab,<br />

Band es als Schurz vor, schüttete die Schätze<br />

Alle hinein, eilte nach Nor<strong>de</strong>n<br />

Und erreichte rasch die Wohnung Reidmars.<br />

[49]<br />

Den Schatz beschauend, sah Wodan schimmern<br />

Auf <strong>de</strong>m glänzen<strong>de</strong>n Rheingold die glühen<strong>de</strong> Röte<br />

Der funkeln<strong>de</strong>n Rubine. Ihr Feuer mißfiel ihm;<br />

Er ahnte Arglist und künftiges Unheil<br />

Und wollte warten, bis unabwendbar<br />

Die Bosheit verböte sein letztes Erbarmen.<br />

Im Busen verbarg er Antwaris Rubinring;<br />

Dann gab er vom Gol<strong>de</strong> <strong>de</strong>m gierigen Reidmar<br />

Mit vollen Hän<strong>de</strong>n, das Fell zu füllen.<br />

Der stopfte stampfend mit <strong>de</strong>m blinken<strong>de</strong>n Staube,<br />

Stufen und Stänglein und edlem Gesteine<br />

Bis zum Bersten <strong>de</strong>n Balg <strong>de</strong>r Otter.<br />

Als dann das Fell auf <strong>de</strong>n Füßen feststand,<br />

Hauchte <strong>de</strong>r Beherrscher <strong>de</strong>s weiten Himmels<br />

Heiß auf <strong>de</strong>n Haufen, <strong>de</strong>n Rest <strong>de</strong>s Hortes,<br />

Und das Gold begann geschmeidig zu schmelzen.<br />

Zierlich umzog er je<strong>de</strong> Zottel<br />

Und je<strong>de</strong>s Pünktchen <strong>de</strong>s Pelzes <strong>de</strong>r Otter<br />

Mit <strong>de</strong>m teuern Metall. Als dies getan war<br />

Und nicht ein Körnchen mehr lag im Kalbfell,<br />

Da rief er <strong>de</strong>n Reidmar. ,Ist es recht so?’<br />

Frug er ihn freundlich, ,bist du zufrie<strong>de</strong>n?’<br />

Schon regte sich Reue, nicht größeren Reichtum<br />

Gefor<strong>de</strong>rt zu haben, im falschen Herzen<br />

Des gierigen Reidmar. Er ging in die Run<strong>de</strong><br />

Und sah und suchte von allen Seiten.<br />

,Im gelben Gol<strong>de</strong>’, begann er endlich,<br />

,Ist ganz, wie geboten, <strong>de</strong>r Pelz verborgen;<br />

Nur hier noch erhebt sich von einem Haare<br />

[50] Des Bartes <strong>de</strong>r Otter aus <strong>de</strong>inem Bußgold<br />

Die oberste Spitze. Hier fehlt noch ein Spänchen<br />

Des teuren Metalles; auch hieher taue<br />

Ein Tröpfchen Gol<strong>de</strong>s, sonst gilt <strong>de</strong>r Vertrag nicht.’<br />

Da schüttelte sein Haupt <strong>de</strong>r Herr <strong>de</strong>s Himmels<br />

Und fragte zürnend, daß Zittern und Zagen<br />

Und wil<strong>de</strong>s Grauen Reidmar ergriffen:<br />

27


,Dein Herz ist verhärtet! habe <strong>de</strong>in Verhängnis!’<br />

Und legt’ auf das Barthaar Antwaris Rubinring.<br />

Es stand ein Stecken im Winkel <strong>de</strong>r Stube;<br />

Den hatte kommend <strong>de</strong>r König <strong>de</strong>s Himmels<br />

Beiseite gesetzt. Nun faßt’ er selben, –<br />

Da tat sich die Tür auf mit lautem Getöse,<br />

Und sie schritten hinaus in Nacht und Nebel.<br />

Gewaltig wuchs nun das Weißdornstäbchen<br />

Zum langen Speere mit leuchten<strong>de</strong>r Spitze,<br />

Mehr <strong>de</strong>nn mannsdick und hoch wie ein Mastbaum; –<br />

Der Gungner war es, es Gottes Wurfspieß.<br />

Versen<strong>de</strong>t ihn sausend <strong>de</strong>r Siegverleiher,<br />

So zeichnen seine Fährte verzagen<strong>de</strong> Fein<strong>de</strong>.<br />

Auch Heere von Hel<strong>de</strong>n, ob <strong>de</strong>ren Häuptern<br />

Er flammend geflogen kommt, wen<strong>de</strong>n sich und flüchten.<br />

Den mächtigen Speer mit leuchten<strong>de</strong>r Spitze<br />

Wen<strong>de</strong>te Wodan winkend gen Himmel;<br />

Da kam eine Windsbraut. Des Königs Gewan<strong>de</strong><br />

Umwehten ihn erweitert als graue Wolke,<br />

Dem Fittichpaar gleich eines riesigen Falken.<br />

Wie Fahrwind ein Segel, so faßte sie sausend<br />

Der steigen<strong>de</strong> Sturmhauch, und rascher, als <strong>de</strong>n Stegreif<br />

[51] Vom Bo<strong>de</strong>n erreicht die Sohle <strong>de</strong>s Reiters,<br />

War Wodan wie<strong>de</strong>r daheim in Walhall.<br />

Der Fürst <strong>de</strong>r Finsternis fuhr unter<strong>de</strong>ssen<br />

Nach Gnitahei<strong>de</strong>. Dort lag eine Höhle;<br />

An ihrer Oeffnung, unten am Abhang<br />

Der Seite <strong>de</strong>s Berges, wo basaltische Säulen<br />

Aus feuchtem Getrümmer zu Tage traten,<br />

Wuchs ein Kräutchen voll wil<strong>de</strong>r Kräfte.<br />

Er hieß <strong>de</strong>n Hügel von unten heizen,<br />

Beträufte <strong>de</strong>n Bo<strong>de</strong>n mit einigen Tropfen<br />

Vom giftigen Schleim aus <strong>de</strong>m Gaum einer Schlange,<br />

Doch honigvermischt, um <strong>de</strong>n herben Milchsaft<br />

Des üppigen Tollkrauts täuschend zu süßen,<br />

Düngte sodann mit Geilen <strong>de</strong>s Dachses<br />

Und bewirkte das Wachstum von vielen Wochen,<br />

Bevor noch die Nacht sich zur Dämmerung neigte.<br />

So pflegt’ er die Pflanzen, die pflaumenfarbig<br />

Und kugelrund ihre Kirschen reiften;<br />

Dann wan<strong>de</strong>rt’ er weiter zu an<strong>de</strong>ren Werken.<br />

Der ränkevolle Regin, <strong>de</strong>r falsche Fafner<br />

Begehrten vom Gol<strong>de</strong> Vergütung <strong>de</strong>r Hülfe,<br />

Je<strong>de</strong>r ein Drittel. Da drohte voll Jähzorn<br />

Reidmar mit <strong>de</strong>m Schwert und riet ihnen Schweigen.<br />

Nun verban<strong>de</strong>n sich bei<strong>de</strong> in ruchloser Bosheit<br />

Mit leisen Worten und lautlosen Winken<br />

Zu scheußlicher Schandtat. – Versunken in Schaulust<br />

Beim schimmern<strong>de</strong>n Schatze saß Reidmar und schob sich<br />

Den Ring Antwaris an seine Rechte.<br />

Kaum funkelt ihm <strong>de</strong>r am kleinen Finger,<br />

[52] Da reißt ihn Regin plötzlich auf <strong>de</strong>n Rücken,<br />

Und Fafner haut ihn das Haupt vom Halse,<br />

28


Leicht an <strong>de</strong>r Linken auch Regin verletzend.<br />

,Ruchloser Bube! Wir wollen ihn bin<strong>de</strong>n,’<br />

So rief nun Regin, ränkevoll lügend;<br />

,Du hast ihn enthauptet und mich an <strong>de</strong>r Hand hier<br />

Mit Willen verwun<strong>de</strong>t. Ich fordre nun Wergeld<br />

Und mehr als die Hälfte <strong>de</strong>s gol<strong>de</strong>nen Hortes.’<br />

,Du for<strong>de</strong>rst noch Vorteil, erbärmlicher Feigling?’<br />

Erwi<strong>de</strong>rte Fafner; ,du brachtest <strong>de</strong>n Vater<br />

Doch nur zum Liegen – ich macht’ ihn zur Leiche.<br />

Da sagtest mir selbst, ich sollt’ ihn entseelen.<br />

Schamloser Lügner! – Doch schenk ich dir das Leben<br />

Für <strong>de</strong>ine Hülfe, – <strong>de</strong>n Hort behalt’ ich.<br />

Ich führe <strong>de</strong>n Stahl und bin <strong>de</strong>r Stärkre;<br />

Drum hebe dich von hinnen, sonst fährst du zur Hölle.’<br />

Das blinken<strong>de</strong> Schwert, das blutige, schwenkend,<br />

Droht’ er und drängt’ ihn, bis daß er draußen,<br />

Vor Wut von Sinnen, das Weite suchte.<br />

Doch nun fürchtete Fafner <strong>de</strong>s Bru<strong>de</strong>rs Feindschaft<br />

Und wußt’ es, er wür<strong>de</strong> sich Helfer werben.<br />

Drum tat er <strong>de</strong>n Schatz in einen Schubkarrn<br />

Und fuhr ihn hurtig nach Gnitahei<strong>de</strong>.<br />

Senkrecht stan<strong>de</strong>n die Deichselsterne<br />

Des himmlischen Wagens zur Er<strong>de</strong> gewen<strong>de</strong>t;<br />

Da kam er keuchend zur Felsenkammer,<br />

Schob das Schatzgold in ihren Schatten,<br />

Holte sich Hei<strong>de</strong>kraut, trug’s in die Höhle<br />

Und legte sich nie<strong>de</strong>r, das leuchten<strong>de</strong> Nahen<br />

[53] Des Morgens erwartend. In Martern durchwacht’ er<br />

Die Neige <strong>de</strong>r Nacht. Er hörte ganz nahe<br />

Das Rieseln und Rauschen <strong>de</strong>r Fluten <strong>de</strong>s Rheines<br />

Und fühlte sich <strong>de</strong>nnoch vor Durst verdorren.<br />

Wie darf ich es wagen, zum Wasser zu gehen?<br />

Ein diebischer Wandrer, so dacht’ er, entwen<strong>de</strong>t<br />

Gar leicht mir <strong>de</strong>n Hort in<strong>de</strong>s aus <strong>de</strong>r Höhle,<br />

Und lösch’ ich im Rheine die lechzen<strong>de</strong>n Lippen,<br />

So kann Regin im Rücken mich überraschen<br />

Und mich durchbohren, in<strong>de</strong>m ich mich bücke.<br />

So grübelt’ er gemartert. Da graute <strong>de</strong>r Morgen<br />

Und verscheute mit <strong>de</strong>n Schatten sein banges Schau<strong>de</strong>rn.<br />

In die hinterste Höhle schob er <strong>de</strong>n Hort nun<br />

Und barg ihn in <strong>de</strong>s Berges innerstem Bauche.<br />

Dann wollt’ er zum Wasser. – Sieh’, da gewahrt’ er<br />

Willkommene Früchte, köstliche Kirschen.<br />

Sie schmeckten ihm wonnig, da schmeicheln<strong>de</strong> Würzen<br />

Das gallige Bitter <strong>de</strong>r Beeren verbargen.<br />

So verschlang er in Gier von <strong>de</strong>r schleimigen Giftfrucht<br />

Mehrere Hän<strong>de</strong> voll, bis er im Mun<strong>de</strong>,<br />

Magen und Milz ein Brennen merkte.<br />

Da schüttelt er sich schau<strong>de</strong>rnd. Er fühlt sich wie geschun<strong>de</strong>n;<br />

Innere Schärfe umschorft ihm mit Schuppen<br />

Die Haut an <strong>de</strong>n Hän<strong>de</strong>n; die Haare <strong>de</strong>s Hauptes<br />

Steigen als Stacheln empor von <strong>de</strong>r Stirne;<br />

Schon wird sein Nacken zum Natterhalse,<br />

29


Die Finger zu Fängen eines riesigen Falken;<br />

Die Nägel krümmen sich über zu Krallen,<br />

Aus <strong>de</strong>n Armen bil<strong>de</strong>n sich Ei<strong>de</strong>chsbeine,<br />

[54] Zum Kriechfuß <strong>de</strong>r Kröte verkrummen die Beine,<br />

Zu Horn erharten und zum Habichtschnabel<br />

Verlängern sich die Lippen; verkohlt vom Leibe<br />

Fallen die Klei<strong>de</strong>r; statt ihrer umklappern<br />

Schildkrotschuppen ein widriges Scheusal;<br />

Mit schrecklichem Reißen reckt sich <strong>de</strong>r Rückgrat<br />

Zu sechsfacher Länge und sen<strong>de</strong>t zuletzt noch<br />

Rückwärts geschwungen <strong>de</strong>n ringeln<strong>de</strong>n Schweif aus.<br />

Vor Schmerzen brüllt er und will sich erbrechen<br />

Des inneren Bran<strong>de</strong>s, doch nur ein Bro<strong>de</strong>m<br />

Von dichtem Dampf und stinken<strong>de</strong>m Dunste<br />

Wirbelt wie Rauch aus <strong>de</strong>m Rachen <strong>de</strong>s Untiers. –<br />

So vergalten die Götter die ruchlose Goldgier,<br />

So lag unerlöslich als scheußlicher Lintwurm,<br />

Den Hort behütend und grimmig hausend,<br />

Zum Schrecken <strong>de</strong>r Her<strong>de</strong>n und ihrer Hirten,<br />

In seiner Höhle auf Gnitahei<strong>de</strong><br />

Der falsche Fafner, <strong>de</strong>r Vatermör<strong>de</strong>r.<br />

Es ist wohl die Sage durch fahren<strong>de</strong> Sänger<br />

Auch zu euch hier gedrungen, daß dieser Drache<br />

Derselben gewesen, <strong>de</strong>n Sigfid bewältigt,<br />

Der herrliche Held mit <strong>de</strong>m furchtlosen Herzen,<br />

Der die weite Welt mit Wun<strong>de</strong>rn erfüllt hat<br />

Und das Seltenste ersiegt, was unter <strong>de</strong>r Sonne<br />

Jemals erreicht ward: in rüstiger Jugend<br />

Sein Lob in <strong>Lied</strong>ern selbst zu erleben.<br />

Er schalte nun, sagt man, mit jenem Schatze,<br />

Er soll besitzen die seltnen Gesteine<br />

Des Königs Niblung. Die Nixen <strong>de</strong>s Rheines<br />

[55] Harren wohl vergebens, daß <strong>de</strong>r Held ihre goldnen<br />

Spangen zurückgibt, um sie zu erretten,<br />

Und bleiben verzaubert für ewige Zeit.“ –<br />

So erzählte Horand das Märchen vom Horte,<br />

Und Gunther, <strong>de</strong>r König, und sämtliche Gäste<br />

Außer <strong>de</strong>m hämisch grollen<strong>de</strong>n Hagen<br />

Waren erbaut und zollten ihm Beifall.<br />

„Ja, du kennst <strong>de</strong>ine Kunst!“ so lobt’ ihn <strong>de</strong>r König;<br />

„Du selbst bist ein Zaubrer; <strong>de</strong>nn weil du erzähltest,<br />

Hast du’s verstan<strong>de</strong>n, mit <strong>de</strong>iner Stimme<br />

Leuchten<strong>de</strong> Farben, leibhafte Formen,<br />

Verbun<strong>de</strong>n zu Bil<strong>de</strong>rn, lebendigen Gestalten,<br />

Uns vorzutäuschen. So hast du durch Töne<br />

Unsere Ohren in Augen verwan<strong>de</strong>lt.“<br />

[56]<br />

————<br />

30


Dritter Gesang.<br />

——<br />

Als, vom König gelobt, mit befriedigtem Lächeln<br />

Dem entbehrten Becher <strong>de</strong>r Bar<strong>de</strong> zusprach<br />

Und in Sinnen versunken die an<strong>de</strong>ren saßen,<br />

Daß niemand geneigt schien, was Neues zu sagen,<br />

Nahm Hagen das Wort; <strong>de</strong>nn es wurmt’ ihn heimlich,<br />

Daß <strong>de</strong>r Sänger <strong>de</strong>n Sigfrid so sehr gepriesen.<br />

„Ja, das hört ich häufig, auf Gnitahei<strong>de</strong><br />

Lag <strong>de</strong>r Lintwurm, <strong>de</strong>n Sigfrid listig<br />

Mit <strong>de</strong>m Spaten weit mehr als <strong>de</strong>m Speere besiegte;<br />

Denn er grub ihm ein Sturzloch nicht weit vom Gesta<strong>de</strong><br />

Auf <strong>de</strong>s Wurmes gewöhnlichem Wege zum Wasser<br />

Und erstach ihn gefahrlos, versteckt in <strong>de</strong>r Falle.<br />

Auch das ist verbürgt, daß beson<strong>de</strong>rs die Beute<br />

Dem herrlichen Hel<strong>de</strong>n am Herzen gelegen.<br />

Ein Habenichts war er von dunkelster Herkunft<br />

Und schien dann zu schalten mit Scheffeln Gol<strong>de</strong>s;<br />

Denn er, <strong>de</strong>r Findling, <strong>de</strong>n einst beim Fischen<br />

Ein buckliger Schmied aus <strong>de</strong>m Wasser geborgen,<br />

[57] Er fuhr bald fürstlich mit reicher Gefolgschaft<br />

Durch Meer’ und Lan<strong>de</strong>. Längst schon entlaufen<br />

Aus Eid und Gehorsam Isungs, <strong>de</strong>s Herrschers<br />

Der östlichen Falen, – so hab ich erfahren –<br />

Suche nun Sigfrid für sich selber<br />

Land und Leute mit einem Lohnheer.<br />

Auch sagen die Sänger, noch an<strong>de</strong>re Sachen<br />

Hab’ er gefun<strong>de</strong>n beim Drachen Fafner:<br />

Hil<strong>de</strong>grim, <strong>de</strong>n Helm, vor welchem selbst Hel<strong>de</strong>n,<br />

Sobald nur sein Busch nickt, erbeben sollen,<br />

Dazu die Tarnhaut, tauglich zur Täuschung<br />

Und hiebfester noch als <strong>de</strong>r härteste Harnisch.<br />

Wer selbige trage, verschwin<strong>de</strong> traumgleich,<br />

Sobald er wolle, und keine Waffe<br />

Könne <strong>de</strong>n Körper versehren, <strong>de</strong>n sichernd<br />

Dies dünne, <strong>de</strong>hnbare Häutchen umhülle;<br />

Einzig nach hinten öffne sich’s handgroß,<br />

Wo es genäht sei, doch wisse niemand<br />

Diese <strong>de</strong>m Stahl durchdringliche Stelle.<br />

Wenn er solche Sachen wirklich besäße,<br />

Dann schiene mir wahrlich sein tollkühnes Wagen<br />

Der Bewundrung nicht wert. Wem unverwundbar<br />

Der Körper gefeit ist, was kann <strong>de</strong>r noch fürchten?<br />

Wo nur Schein <strong>de</strong>r Gefahr ist, da mag auch <strong>de</strong>r Feigling,<br />

Da mag auch die Memme <strong>de</strong>m Mutigen gleichen,<br />

Der im innersten Mark nicht min<strong>de</strong>r als andre<br />

Ein Mahnen empfin<strong>de</strong>t <strong>de</strong>r menschlichen Schwäche,<br />

Der Natur <strong>de</strong>s Geschöpfs, vor <strong>de</strong>m To<strong>de</strong> zu schau<strong>de</strong>rn,<br />

[58] Doch dies angeborene Beben bändigt<br />

Und mit mannhafter Stärke bemeistert aus Stolz.“<br />

„Weißt du noch mehr“, erwi<strong>de</strong>rt’ ihm Gunther,<br />

31


„Seltsame Dinge von Sigfrid zu sagen,<br />

Oheim Hagen, so laß dich hören.<br />

Die meisten Sprachen <strong>de</strong>r Menschen verstehst du;<br />

Dein Ohr ist offen für je<strong>de</strong>s Ereignis;<br />

Du liebst es, zu lauschen <strong>de</strong>n Re<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Leute,<br />

Du sichtest besonnen aus ihrem Gesage<br />

Den lichteren Kern verläßlicher Kun<strong>de</strong>,<br />

Und nimmer verdunkelt in <strong>de</strong>inem Gedächtnis<br />

Ruht das Geringste: kannst du berichten,<br />

Wo Sigfrid hinzog von Gnitahei<strong>de</strong>?<br />

In welchen Lan<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Lintwurmerleger<br />

Sich eben aufhält? Voll ist <strong>de</strong>r Erdkreis<br />

Von seinen Taten; doch seit er getötet<br />

Das Scheusal Fafner, ist er verschollen.“<br />

„Nur weniges weiß ich,“ erwi<strong>de</strong>rte Hagen.<br />

„Das scheint mir sicher, daß Sigfrid in See ging,<br />

Hinaus in das Nordmeer. Die letzte Nachricht<br />

War über die Maßen vermischt mit Märchen,<br />

Und kaum erkennbar ihr Kern von Wahrheit.<br />

Doch möcht’ ich vermuten aus mancher Meldung,<br />

Er sei gesegelt vom Hafen Seegarts,<br />

Mit eigenem Heere das Eiland Helgis<br />

Als Reich und Raubnest für sich zu erringen;<br />

Nur eitel Ausputz dünkt mir das andre.“<br />

„Und was ist dies andre?“ frug Gunther eifrig. –<br />

Nach einigem Schweigen, als ob er schwanke,<br />

[59] Wieviel er <strong>de</strong>m König von seiner Kun<strong>de</strong><br />

Mel<strong>de</strong>n müsse, wieviel bemänteln,<br />

Entgegnete Hagen: „Ich hört’ erzählen,<br />

Eine Tochter Helgis, <strong>de</strong>s Hundingtöters, –<br />

Von welchem die Gruft schon <strong>de</strong>in Großvater schaute,<br />

Hamundson Dankrat, im Dänenkriege –<br />

Hab’ ein halbes Jahrhun<strong>de</strong>rt auf einem Hügel,<br />

Von Flammen umflackert, umflochten von Dornen<br />

Und zauberumschlossen die Zeit verschlafen,<br />

Ohne zu altern, bis Sigfrid ankam.<br />

Sie habe dann, erwacht, <strong>de</strong>n Hel<strong>de</strong>n bewogen,<br />

Ihr Ahnenerbe für sie zu erobern. –<br />

Seit etlichen Sommern wirds stiller von Sigfrid;<br />

Zwar, wie jährlich <strong>de</strong>m Lintwurm sechs Ellen an Länge<br />

Erzählend hinzutun die Zungendrescher,<br />

So mehrt sich sein Lob, so wächst im <strong>Lied</strong>e<br />

Sein stolzer Name; doch was er Neues<br />

Seit<strong>de</strong>m unternommen, vernahm ich nirgend.<br />

Vielleicht gescheitert sind seine Schiffe,<br />

Und die Wogen wälzen die weißen Gebeine<br />

Des Drachentöters drunten in <strong>de</strong>r Tiefe.“<br />

So hielt er geheim <strong>de</strong>n Namen Brunhil<strong>de</strong>ns,<br />

Obwohl er ihn wußte. Er kannte die Wünsche,<br />

Die vor kurzem erregt ein Runenratschlag<br />

Im Herzen <strong>de</strong>s Fürsten; es schien ihm gefährlich,<br />

Ihnen zum Ziele <strong>de</strong>n Weg zu zeigen.<br />

Doch Horand, <strong>de</strong>r Harfner, entgegnete Hagen:<br />

32


„Zieh durch die Zähne, was ich erzählte,<br />

Und schilt mich im Zorn einen Zungendrescher;<br />

[60] So lange <strong>de</strong>in König die gol<strong>de</strong>nen Körner<br />

Gern von mir nimmt zu geistiger Nahrung,<br />

Die <strong>de</strong>m Sänger die Sage sichten geholfen<br />

Aus <strong>de</strong>r Begebenheit krautvoller Garbe,<br />

Bleib’ ich so dreist, so noch ferner zu dreschen.<br />

Dir gönn’ ich es gern, dann Vergeltung zu üben<br />

Und, mit ta<strong>de</strong>ln<strong>de</strong>m Wort auf <strong>de</strong>r Tenne wühlend,<br />

Mit <strong>de</strong>m leeren Stroh mich lügezustrafen. –<br />

Ich sing nicht gern, o König Gunther,<br />

Unvorbereitet; sonst fänd’ ich gera<strong>de</strong><br />

Durch Hagens Bericht eine Mär wie gerufen,<br />

Die dir schwerlich mißfiele. – Jüngst, schweifend in Falen,<br />

Hört’ ich dort sagen von sächsischen Sängern<br />

Verschie<strong>de</strong>ne Male, mannigfach gemo<strong>de</strong>lt,<br />

Ein <strong>Lied</strong>, <strong>de</strong>m die Leute begierig lauschten,<br />

Von Sigfrids Brautritt zur stolzen Brunhild.“<br />

„Wie nennst du sie? Brunhild?“ – unterbrach ihn<br />

Mit lautem Ruf und hoch errötend<br />

König Gunther. „So gäb es eine Brunhild,<br />

Und wirklich führte <strong>de</strong>n Namen eine Fürstin,<br />

Die ein König könnte zur Gattin erkiesen?<br />

Neulich nannte <strong>de</strong>nselben Namen<br />

Dem forschen<strong>de</strong>n Volker, <strong>de</strong>m Fiedler von Alzey,<br />

Als er um Rat frug, die runenberühmte<br />

Seherin Oda mit einer Antwort,<br />

Deren Be<strong>de</strong>utung noch niemand ent<strong>de</strong>ckt hat.“<br />

Ob Hagen auch winkte, <strong>de</strong>r Herrscher sprach weiter:<br />

„Weshalb es verhehlen? Es ist kein Geheimnis.<br />

Nach einer Gattin steht mein Begehren<br />

[61] Schon seit Jahren. Ich bin kein Jüngling,<br />

Und hohe Zeit ist’s, daß ich erzeuge<br />

Enkel <strong>de</strong>m Gibich, meinen Burgun<strong>de</strong>n<br />

Den künftigen König. Auf Kundschaft sandt’ ich<br />

Rings in die Reiche so manchen Recken;<br />

Doch so viel sie forschten, so weit sie fuhren,<br />

Ungefun<strong>de</strong>n ist heut noch die Fürstin,<br />

Die, meinem Bette ebenbürtig,<br />

Alles vereinigt, was unsere Ahnen<br />

Zu heischen gepflegt, bis es heilige Pflicht ward,<br />

Der die Herrscher gehorchen bei je<strong>de</strong>r Heirat.<br />

Die beson<strong>de</strong>re Satzung <strong>de</strong>r Söhne Dankrats<br />

Bestimmt auch die Stärke, das Maß <strong>de</strong>r Gestaltung<br />

Der künftigen Mütter königlicher Männer.<br />

Ein zierlich geputztes, zaghaftes Püppchen<br />

Mit sanftem Gesicht und schwächlichen Sehnen<br />

Ist mir verboten zur Bettgenossin.<br />

Denn Zuwachs durch Zuchtwahl für alle Zeiten<br />

Lautet die Losung, nach <strong>de</strong>r wir leben.<br />

Seit mir zuvorkam <strong>de</strong>r Fürst <strong>de</strong>r Falen,<br />

Der alte Isung, in raschem Einfall<br />

Dem Herbartson Hartnit, König von Holmgart,<br />

33


Das Reich entriß und das Leben raubte<br />

Und mit seiner Tochter, <strong>de</strong>r tugendreichen<br />

Hehren Hulda heimzog nach Sufat,<br />

Suchten umsonst meine Gesandten.<br />

Da gelangte mein Volker, <strong>de</strong>r eben so fertig<br />

Die Fie<strong>de</strong>l streicht als fechtend das Schwert führt<br />

Und alle Gaue geigend durchwan<strong>de</strong>rt,<br />

[62] Jüngst nach Holmgart. Im heiligen Haine<br />

Gol<strong>de</strong>ne Gaben <strong>de</strong>r Göttin opfernd,<br />

Frug er Oda, die Greisin, die alles ergrün<strong>de</strong>t,<br />

Wo Gibichson Gunther, burgundischer König,<br />

Wohl fän<strong>de</strong> die Gattin nach seinem Begehren.<br />

Sie ritzte mit Runen das Reis <strong>de</strong>r Buche,<br />

Zerstückelt’ es zu Stäbchen an heiliger Stätte,<br />

Entwarf sie, wie gewöhnlich rückwärts gewen<strong>de</strong>t,<br />

Auf <strong>de</strong>m weißen Teppich, band sich das Tuch vor,<br />

Aus ungeborener, schwarzer Böcklein<br />

Wolle gewoben, bückte sich, wählte,<br />

Blindlings greifend, ging in die Grotte,<br />

Stellte <strong>de</strong>n Stuhl auf die hohle Stufe,<br />

Wo mit heißem Hauch <strong>de</strong>r O<strong>de</strong>m <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong><br />

Dem Bo<strong>de</strong>n entwirbelt und Wölkchen Weihrauchs<br />

Ihm sich vermischen, nahm <strong>de</strong>r Mistel<br />

Gegabelten Zweig mit gol<strong>de</strong>nem Griffe,<br />

Reih’te die Runen mit dieser Rute<br />

Auf <strong>de</strong>m heiligen Tisch vom Holz einer Tanne,<br />

Die <strong>de</strong>r Wetterstrahl einst bis zur Wurzel gespalten,<br />

Und las dann die Losung nach ihrer Lage.<br />

,Brautschaft – brechen – Brandung – Brunhild’<br />

Sagten verständlich die Zeichen <strong>de</strong>r Stäbe.<br />

Was sie geweissagt aus diesen Worten,<br />

Von dichten Dämpfen die Stirn umdunkelt,<br />

Kann ich nicht entwirren, doch weiß ich es wörtlich:<br />

Die Brautschaft ist gebrochen.<br />

Durch die brausen<strong>de</strong> Brandung<br />

Bringt <strong>de</strong>r Bravste<br />

[63] Den Bru<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Braut<br />

Zur stolzen Brunhild.<br />

Noch hat mir <strong>de</strong>n Runenspruch niemand enträtselt,<br />

Doch sandt’ ich Volkern, <strong>de</strong>n e<strong>de</strong>ln Fiedler,<br />

Wie<strong>de</strong>rum forschen nach einer Fürstin<br />

Mit jenem nirgend bekannten Namen.<br />

Fast befürcht ich, es wi<strong>de</strong>rfuhr ihm<br />

Irgend ein Unfall, welcher ihn aufhält;<br />

Denn bald einen Monat ohne Meldung<br />

Durch fahren<strong>de</strong> Sänger läßt er mich sorgen. –<br />

Jetzt, Horand, verstehst du mein helles Erstaunen<br />

Bei Nennung <strong>de</strong>s Namens. Jetzt bin ich voll Neugier,<br />

Zu vernehmen die Sage <strong>de</strong>r sächsischen Sänger<br />

Von Sigfrids Brautritt zur schönen Brunhild.“<br />

Der Sänger besann sich. Zu suchen schien er<br />

In seinem Gedächtnis, doch tat er be<strong>de</strong>nklich,<br />

Als fürcht’ er, <strong>de</strong>n Fa<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Mär nicht zu fin<strong>de</strong>n.<br />

34


Auch hätt’ er schwerlich sein Schweigen gebrochen, –<br />

Da besiegte sein Schwanken die Schwester <strong>de</strong>s Königs.<br />

Das Band für Horand, die Harfe zu halten,<br />

Mit emsigen Stichen aus Perlen stickend<br />

Und silbernen Fä<strong>de</strong>n, saß sie am Fenster.<br />

Dies lag <strong>de</strong>m Söller zur linken Seite,<br />

Durch <strong>de</strong>ssen Öffnung am oberen En<strong>de</strong><br />

Vom Sitze <strong>de</strong>s Sängers gera<strong>de</strong> sichtbar,<br />

Doch nicht bemerkbar <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren Männern,<br />

Die noch zugekehrt <strong>de</strong>m Erzähler saßen.<br />

Da hatte Krimhil<strong>de</strong> das Märchen vom Horte<br />

Verstohlen belauscht, auch verstan<strong>de</strong>n die lauten<br />

[64] Neben ihres Bru<strong>de</strong>rs von <strong>de</strong>r rätselhaften Brunhild.<br />

Nun war sie voll Neugier, die Mär zu vernehmen<br />

Von Sigfrids Brautritt zu dieser Brunhild.<br />

Sie beugte sich wie bittend aus <strong>de</strong>m Bogenfenster,<br />

Und wie sich <strong>de</strong>m Dunkel dornigen Dickichts<br />

Am Ran<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Wal<strong>de</strong>s ein Röslein entwin<strong>de</strong>t,<br />

Um die Himmel zu sehn und die Sonne zu suchen,<br />

So kam aus <strong>de</strong>r Kammer hervor ihr Köpfchen,<br />

Ihr edles Antlitz voll zarter Anmut<br />

Und lieblich umlockt vom leuchten<strong>de</strong>n Goldhaar.<br />

Sie hielt in <strong>de</strong>r Hand <strong>de</strong>n Schmuck für die Harfe,<br />

Und wie <strong>de</strong>r Wimpel im leisen Windhauch<br />

In Muße spielt von <strong>de</strong>r Spitze <strong>de</strong>s Mastes,<br />

So ließ sie entwickelt das Harfenband wallen,<br />

In purpurner Bläue von Perlen blinkend.<br />

Alsbald verstand er <strong>de</strong>s Ban<strong>de</strong>s Bestimmung<br />

Aus ihren Blicken. Sein langes Bleiben<br />

Zu Worms bewirkte das hol<strong>de</strong> Wun<strong>de</strong>r<br />

Der Schönheit Krimhil<strong>de</strong>ns, und <strong>de</strong>r Scharfblick <strong>de</strong>s Herzens<br />

Ließ die minnige Maid es bald bemerken;<br />

Denn ein Wunsch war gewährt, wenn sie nur winkte.<br />

Nun wich sein Zögern. Als ob ein Zauber<br />

Die Falten eines Vorhangs plötzlich entferne<br />

Von einer Bühne voll bunter Bil<strong>de</strong>r,<br />

So sah nun <strong>de</strong>r Sänger als hell besonnte<br />

Landschaft liegen und leuchtend von Leben<br />

Die Hel<strong>de</strong>ngestalten wie harrend stehen,<br />

Damit er sie male als Musterbil<strong>de</strong>r.<br />

[65] Und unbefohlen aus unerforschten<br />

Tiefen tauchten himmlische Töne<br />

Und wur<strong>de</strong>n zu Worten. Rasch verwob sich<br />

Gehörtes und Geschautes, Geschöpftes und Geschaffnes<br />

Zum schönen Ganzen, wie Goldstaub in <strong>de</strong>r Gussform.<br />

„Burgun<strong>de</strong>nbeherrscher,“ begann <strong>de</strong>r Harfner,<br />

„Sehr lang war das <strong>Lied</strong>; zum Lernen und Lehren<br />

Mangelte mir wie <strong>de</strong>n Meistern die Muße;<br />

Auch mitnichten genau das Nämliche hört ich<br />

Zweimal erzählen. Das ließ mich zau<strong>de</strong>rn.<br />

Doch begehrst du zu hören, soviel ich behalten<br />

Und, mich entsinnend, zusammensetze<br />

Mit eigenem Kitt aus frem<strong>de</strong>r Kun<strong>de</strong>,<br />

35


So gönn’ ich dir’s gern. Nur e i n e s vergeßt nicht:<br />

Wie gemehrt und vermin<strong>de</strong>rt im Mun<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Menschen<br />

Die Sage sich sammelt und wie<strong>de</strong>r versiegt.<br />

Sie gleichet <strong>de</strong>m Rhein. Dem Gletscher entrieselt<br />

Ein schmales Bächlein; doch bald verbin<strong>de</strong>n<br />

Sich viele Bäche zum reißen<strong>de</strong>n Bergstrom.<br />

Das weite Gewässer, das Worms vorbeifließt,<br />

Es nimmt seinen Anfang oben in <strong>de</strong>n Alpen;<br />

Droben das Rinnsal, hunten <strong>de</strong>r Riese<br />

Sind bei<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Rhein mit bestem Rechte.<br />

Böge das Bächlein um an<strong>de</strong>re Berge,<br />

Etwa nach Sü<strong>de</strong>n die Felsen durchsägend,<br />

Wer kann es noch sagen, ob so versammelt<br />

Strandwärts dann strichen die <strong>de</strong>utschen Ströme?<br />

Ob ein einziges Tröpfchen unaufgetrunken<br />

Von <strong>de</strong>n Strahlen <strong>de</strong>r Sonne die Seen entsändten,<br />

[66] Das schmelzend entglitt <strong>de</strong>m höchsten Gletscher;<br />

Ob uns vorbeiränn’ vom obersten Bächlein,<br />

Was noch genügte, die Hand zu netzen, –<br />

Wer kann es wissen? – So wachsen verwan<strong>de</strong>lt<br />

Im Mun<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Menschen die Taten <strong>de</strong>r Tapfern<br />

Zum Strom <strong>de</strong>r Sage. Wer kann sie sichten<br />

Und wie<strong>de</strong>r schei<strong>de</strong>n? Drum lasset uns schöpfen<br />

Und reichlich trinken; doch je<strong>de</strong>n Tropfen<br />

Zu fragen nach <strong>de</strong>r Quelle, ist fruchtlos und qualvoll.“<br />

So re<strong>de</strong>te Horand, nahm die Harfe,<br />

Griff in die Saiten und sang und sagte:<br />

„Erlegt war <strong>de</strong>r Lintwurm, <strong>de</strong>r Hengst bela<strong>de</strong>n<br />

Mit <strong>de</strong>m schimmern<strong>de</strong>n Hort, vom Haupte <strong>de</strong>s Scheusals<br />

Die stachlichte Stirnhaut in einem Stücke<br />

Herunter gezogen, als Zierat und Zauber<br />

Am Helm zu dienen. Hil<strong>de</strong>grim hieß er<br />

Von diesem Tag; ein Taumel <strong>de</strong>r Sinne<br />

Überfiel im Gefechte fassungraubend<br />

Auch erfahrene Krieger, sobald sie von ferne<br />

Die Schuppen schauten vom Schä<strong>de</strong>l <strong>de</strong>s Drachen<br />

Und im Feind’ erkannten <strong>de</strong>n Fafnerstöter.<br />

Nun schien ihm erreichbar <strong>de</strong>r Gipfel <strong>de</strong>s Ruhmes,<br />

Nun gedacht er zu werben und wohl zu bewaffnen<br />

Zu hohen Taten ein Heer von Tapfern,<br />

Um sich also gerüstet ein Reich zu erobern.<br />

Er leitete langsam sein schwer beladnes,<br />

Mü<strong>de</strong>s Streitroß durch Moos und Strauchwerk<br />

Über die Hei<strong>de</strong> und sann im Herzen,<br />

Wen er wähle zum Wächter <strong>de</strong>s Hortes.<br />

[67] Dann schlug er entschlossen <strong>de</strong>n schlängeln<strong>de</strong>n Pfad ein,<br />

Der, lange verö<strong>de</strong>t, ins Oberland östlich<br />

Durch Felsen führte. Den schritt er fürbaß<br />

Zwischen <strong>de</strong>n Bergen, bis er zur Burg kam,<br />

Wo Helferich hauste, <strong>de</strong>r ihn beherbergt,<br />

Als er gekommen, <strong>de</strong>n Wurm zu bekämpfen.<br />

Von sieben Söhnen hatte <strong>de</strong>m sechse<br />

Das Scheusal erwürgt. Flehend und warnend<br />

36


Hatt’ er <strong>de</strong>n Hel<strong>de</strong>n zurückzuhalten<br />

Lange versucht. Nun wußte Sigfrid,<br />

Diesem getrost vertrauen zu dürfen.<br />

Mit freudigem Staunen, als ob er erstan<strong>de</strong>n<br />

Vom Reiche <strong>de</strong>r Toten, hieß am Tore<br />

Helfrich willkommen <strong>de</strong>n siegreichen Kämpfer.<br />

Nach<strong>de</strong>m sie in Truhen <strong>de</strong>n Schatz getragen<br />

Und wohl geborgen im Burgverließe,<br />

Sagte Sigfrid: ,Nun laß uns suchen<br />

Nach einem Hengst mit hurtigen Hufen<br />

Und von standhafter Stärke; ich muß ihn besteigen<br />

In voller Rüstung zu weitem Ritte<br />

In Isungs Lan<strong>de</strong> nach Leuten zum Lehndienst.<br />

Meiner ist mü<strong>de</strong>; auch wirst du bemerken,<br />

Daß er hinten lahmt, sein linkes Hüftbein<br />

Ist ihm geschwollen vom Schweifschlag <strong>de</strong>s Drachen.’<br />

Sie gingen durch Tannen zum tiefen Talgrund<br />

Zur grünen Wei<strong>de</strong>, das Roß zu wählen.<br />

Da scholl ein Wiehern herunter zur Wiese,<br />

Und aus <strong>de</strong>n Dornen am Ran<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Dickichts<br />

Kam zu Sigfrid in weiten Sätzen<br />

[68] Ein herrlicher Hengst und hielt dicht vor ihm.<br />

Bügel von Silber hingen vom Sattel,<br />

Rot war das Riemzeug <strong>de</strong>s edlen Rappen,<br />

Die Schnüre <strong>de</strong>s Gurts und die Schnallen vergol<strong>de</strong>t.<br />

Doch die seltsamste Sache dünkte <strong>de</strong>m Sigfrid<br />

Ein weiches Gewebsel, zusammengewickelt<br />

Und eben nur armdick, doch an<strong>de</strong>rthalb Ellen<br />

Vom Sattel hängend auf bei<strong>de</strong>n Seiten.<br />

Das rollt er aus Neugier rasch auseinan<strong>de</strong>r:<br />

Es war ein Gewand wie von Spinnengewebe,<br />

Kaum fühlbar <strong>de</strong>m Finger, doch fest wie Stahldraht.<br />

Vielfach gestaltet bekam es die Farbe<br />

Maschigen Siebtuchs von mattem Silber;<br />

Auseinan<strong>de</strong>rgenommen glich es <strong>de</strong>m Nebel,<br />

Der abends einhüllt die feuchten Auen.<br />

Bemessen war <strong>de</strong>r Mantel für <strong>de</strong>n längsten <strong>de</strong>r Männer<br />

Und bot auch <strong>de</strong>m Kopf eine passen<strong>de</strong> Kappe.<br />

Als nun Sigfrid ihn anversuchend<br />

Um die Schultern warf und nun vom Scheitel<br />

Bis zur Ferse <strong>de</strong>s Fußes umfaltet dastand<br />

Und, so bezogen, bereits die Zügel<br />

Des Rappen faßte, da rief sein Gefährte<br />

Mit bänglicher Stimme: ,Gebieter, wo bist du?’<br />

In<strong>de</strong>ssen saß schon Sigfrid im Sattel<br />

Und hatte Mühe, <strong>de</strong>n Hengst zu meistern,<br />

Der sich bäumend erhob auf die Hinterbeine<br />

Und zu laufen verlangte. ,Du machst mich lachen!’<br />

Sagte <strong>de</strong>r Held zum suchen<strong>de</strong>n Helfrich;<br />

,Du starrst ja wie blind mit irren<strong>de</strong>n Blicken<br />

[69] Rings in die Run<strong>de</strong>, in<strong>de</strong>s ich, erreichbar<br />

Deinen Hän<strong>de</strong>n, dicht vor dir halte.’<br />

,So gewahr’ ich ein Wun<strong>de</strong>r!’ erwi<strong>de</strong>rte Helfrich.<br />

37


,Ich höre dich re<strong>de</strong>n, ich merk’s, daß ein Reiter<br />

Im Sattel sitzt, an <strong>de</strong>r Senkung <strong>de</strong>s Rückens,<br />

Am straffen Zuge <strong>de</strong>r bei<strong>de</strong>n Zügel,<br />

Doch bist du selber durchaus nicht sichtbar.<br />

Nur wo ich vermutend von einem Manne<br />

Den Körper erwarte, erkenn’ ich nun mühsam<br />

Den Hauch eines Schattens: <strong>de</strong>n hellen Scharlach<br />

Der Decke <strong>de</strong>s Sattels umdämmert da etwas<br />

Wie <strong>de</strong>r dünne Dampf, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>m Wasser entwirbelt,<br />

Bevor es im Kessel zu kochen anfängt.’<br />

Da zog sich die Kappe <strong>de</strong>r Held vom Kopfe,<br />

Und Helferich sagte: ,Jetzt bist du sichtbar.’<br />

Nun wußte Sigfrid, was er besäße,<br />

Reichte <strong>de</strong>m Helferich schei<strong>de</strong>nd die Rechte<br />

Und ließ mit <strong>de</strong>r Linken die Zügel locker.<br />

Kaum fühlte die Fersen <strong>de</strong>r feurige Rappe,<br />

So schoß er von dannen ins schattige Dickicht.<br />

Da war ein Saumpfad, nach Susat führend;<br />

Hier wollt’ ihn Sigfrid nach Sü<strong>de</strong>n wen<strong>de</strong>n,<br />

Doch er bäumte sich störrisch, biß in die Stange,<br />

Wieherte wild und sprengt waldwärts,<br />

Der vom Reiter begehrten Richtung entgegen.<br />

Der Held sprach gewährend: ,Habe <strong>de</strong>inen Willen!<br />

Wahrlich, mir scheint, ein walten<strong>de</strong>s Schicksal<br />

Sandte dich her <strong>de</strong>m Besieger <strong>de</strong>s Drachen.<br />

Kein Wissen ergrün<strong>de</strong>t <strong>de</strong>n Weg zur Größe<br />

[70] Dem Hel<strong>de</strong>n vorher. Beständig hoffend,<br />

Höher zu steigen, mit standhaftem Herzen<br />

Sich selbst vertrauend, läßt er sich tragen<br />

Von wil<strong>de</strong>r Gewalten, scheinbarer Willkür.<br />

Er weiß es gewiß, die Lenkung gewinnt er;<br />

Denn seinen Gedanken dienen die dunkel<br />

Streben<strong>de</strong>n Mächte <strong>de</strong>r Elemente,<br />

Und günstig begegnet, in ihm erst vergeistigt,<br />

Seinem Wollen <strong>de</strong>r Wille <strong>de</strong>r Welt.<br />

So lenke dich selbst nach Lust und Laune;<br />

Ob die Dornen ihn ritzen, <strong>de</strong>in Reiter ist ruhig<br />

Und läßt dich rennen: wohin auch du rasest,<br />

Dennoch erreicht er <strong>de</strong>n Gipfel <strong>de</strong>s Ruhms.’<br />

Durch Bäume, Gebüsche, durch manche Bergschlucht<br />

Rannte <strong>de</strong>r Rappe, und rasch vorüber<br />

Flogen die Fluren. Hinter ihm flammend,<br />

Versank die Sonne; <strong>de</strong>n Osten umsäumend,<br />

Mel<strong>de</strong>ten Nebel die nahen<strong>de</strong> Nacht.<br />

Am Himmel stan<strong>de</strong>n die helleren Sterne, –<br />

Da kam er gen Franken. Und siehe, wie Frührot<br />

Lag ein Leuchten, ein zucken<strong>de</strong>s Lo<strong>de</strong>rn,<br />

Das Baumgrün vergol<strong>de</strong>nd, auf <strong>de</strong>m Bergesgipfel<br />

Mit rötlichem Felshaupt gera<strong>de</strong> vor ihm.<br />

Was seh’ ich? Seltsam! dachte Sigfrid;<br />

Das ist doch unmöglich die Morgenröte;<br />

Denn kaum erst enttauchte <strong>de</strong>r Tiefe <strong>de</strong>s Himmels<br />

Der schüchtern versteckte Schimmer <strong>de</strong>r Sterne.<br />

38


Brennt dort <strong>de</strong>r Bo<strong>de</strong>n auf <strong>de</strong>m breiten Berghaupt?<br />

[71]<br />

Nun erhoben sich steiler die Stufen <strong>de</strong>s Berges,<br />

Und immer dunkler wur<strong>de</strong> das Dickicht.<br />

Langsam klimmend in Gießbachklüften<br />

Trug ihn <strong>de</strong>r Rappe zum oberen Ran<strong>de</strong><br />

Des hohen Gehölzes. Von Hei<strong>de</strong>kräutern<br />

Und nie<strong>de</strong>rem Strauchwerk en breiter Streifen<br />

Umkränzte im Kreise die Krone <strong>de</strong>s Berges.<br />

Als er dies Ringfeld rasch durchschritten,<br />

Hemmte <strong>de</strong>n Hengst plötzlich eine Hecke<br />

Dichtester Dornen ohne Durchlaß.<br />

Um sich Zugang zu bahnen, zog er <strong>de</strong>n Balmung<br />

Und schlug in die Schlehen, die <strong>de</strong>n Weg ihm verschlossen,<br />

Daß sie sanken wie Saat vor <strong>de</strong>r Sense <strong>de</strong>s Schnitters.<br />

Da weckte <strong>de</strong>r Wind ein Winseln und Wimmern,<br />

Da trieften die Blätter von Tropfen Blutes,<br />

Da schwebten und schwirrten, vor seinem Schwerte<br />

Dem Dunkel entflatternd, Fle<strong>de</strong>rmäuse,<br />

Da krochen Kröten aus geilen Kräutern<br />

Und mückengemästete, schlüpfrige Molche,<br />

Da zeigten zischend gespaltene Zungen<br />

Gelbliche Vipern mit giftigen Zähnen,<br />

Da entstand ein Gestöhn von ersticken<strong>de</strong>n Stimmen,<br />

Und Sigfrid wähnte im Wutgewinsel<br />

Des ekeln Gewürmes die Worte zu hören:<br />

,Was hast du zu holen vom Hin<strong>de</strong>rberge?<br />

Wir hassen <strong>de</strong>n Starken. Gen Himmel zu stinken<br />

Ist unser Amt und einziges Erbteil,<br />

Und er trocknet <strong>de</strong>n Sumpf, seine Sohle zertritt uns.<br />

Wir fluchen <strong>de</strong>m Schönen, <strong>de</strong>nn fleckig und scheußlich<br />

[72] Ist unser Aussehn, uns ärgert sein Anblick.<br />

Wir begeifern <strong>de</strong>n Guten, <strong>de</strong>nn wir sind giftig;<br />

Wir beißen erbost nach allem Besten<br />

Und lassen es büßen <strong>de</strong>n lauten Beifall.<br />

Wir verwünschen <strong>de</strong>n Weisen, <strong>de</strong>nn wir sind Wichte,<br />

Und lautere Wahrheit erwürgt uns wie Wurmtrank;<br />

Wir bedürsten zum Ge<strong>de</strong>ihen <strong>de</strong>s lichtlosen Dunkels;<br />

Drum ziehe von dannen, du störst unser Dasein,<br />

Du hast nichts zu holen vom Hin<strong>de</strong>rberge.’<br />

Ohne Antwort ließ er ächzen<br />

Dies Ungeziefer. In e<strong>de</strong>lm Zorne<br />

Schwang er schweigend die Schärfe <strong>de</strong>s Schwertes<br />

Und erzwang sich Durchlaß zwischen <strong>de</strong>n Dornen.<br />

Schon ließen die Lücken <strong>de</strong>r letzten Strauchwand<br />

Ein rotes Leuchten herein in die Lichtung;<br />

Da mußt’ er haltend <strong>de</strong>n Blick erheben<br />

Zum sternigen Himmel. Ihm stand zu Häupten<br />

Ein weißes Wölkchen. In Nebelgewan<strong>de</strong>n<br />

Sanft verschwimmend sah er schweben<br />

Eine blasse Frau. Sie blickte freundlich<br />

Durch sanfte Trauer. In seinen Träumen<br />

Erschien ihm nicht selten in ähnlicher Schönheit<br />

39


Die niemals Geschaute, namenlose schmerzlich<br />

Von ihm Vermisste: Seine Mutter.<br />

Wie beim Schei<strong>de</strong>n <strong>de</strong>s Tages im Schilfrohr <strong>de</strong>s Teiches<br />

Der warme Wind aus <strong>de</strong>r Waldung am Ufer<br />

Ein Wörtchen wispert zur Wasserlilie,<br />

Ihr zuraunt und erzählt ein Zaubermärchen<br />

Von <strong>de</strong>n duften<strong>de</strong>n Dol<strong>de</strong>n im heimlichen Dickicht,<br />

[73] Wo im mil<strong>de</strong>n Mondschein die Wichtelmännchen<br />

Anmutsvoll tanzen mit Elfentöchtern<br />

Und Nektar nippen aus Nachtviolen:<br />

Wie solches Geflüster, doch bange flehend<br />

Erklangen jetzt leise die Klagen <strong>de</strong>r Liebe:<br />

,Was hoffst du zu holen vom Hin<strong>de</strong>rberge?<br />

Nur Glanz ist oben, das Glück ist unten.<br />

Wen<strong>de</strong> dich und kehre, von wannen du kommen.<br />

Wer ihn erstiegen, <strong>de</strong>m wird es nicht gestattet,<br />

Beruhigt zu rasten beim Safte <strong>de</strong>r Reben,<br />

Noch daheim in <strong>de</strong>r Halle wohlig am Her<strong>de</strong><br />

Mit <strong>de</strong>n Blicken zu folgen <strong>de</strong>m Blinken <strong>de</strong>s Feuers,<br />

Bis spurlos flüchten beim Spiele <strong>de</strong>r Flämmchen<br />

Aus <strong>de</strong>r sinnen<strong>de</strong>n Seele Sorgen und Sehnsucht<br />

Und ihr genußreich das Nächste genugtut;<br />

Der kann sich nicht freuen außer im Frondienst,<br />

Zu <strong>de</strong>m er verdungen sein Dichten und Trachten.<br />

Der kann seine Kin<strong>de</strong>r nicht küssen und herzen,<br />

Ohne zu sorgen, ob seine Söhne<br />

Auch wachsen wer<strong>de</strong>n zum rechten Werte,<br />

Um einst als Erben die endlose Arbeit<br />

Weiter zu führen, sobald er fort muß.<br />

Den weckt in <strong>de</strong>n weichen Armen <strong>de</strong>s Weibes<br />

Mit zürnen<strong>de</strong>n Zügen die Göttin <strong>de</strong>r Zukunft<br />

Und sagt ihm: ,Was säumst du, mein Vorgesandter?<br />

Du hast die Bestallung, Altes zu stürzen<br />

Und mich zu gestalten. Vielleicht nur noch Stun<strong>de</strong>n<br />

Beschei<strong>de</strong>t’s dir das Schicksal, die Sonne zu schauen.<br />

Dein Werk ist unmeßbar; so wirke mannhaft,<br />

[74] Mei<strong>de</strong> die Minne, entsage <strong>de</strong>r Muße,<br />

Dir darf nicht wohl sein als <strong>de</strong>nkend und wirkend,<br />

Dir versagen die Götter das süße Vergessen.<br />

Was hoffst du zu holen vom Hin<strong>de</strong>rberge?<br />

Von seinen Gütern ist unvergänglich<br />

Und echt nur e i n e s ; doch erst in Asche<br />

Zerfallen im Feuer muß <strong>de</strong>in Festes<br />

Und mit Flamme <strong>de</strong>in Geist entflattern<br />

Zu <strong>de</strong>n weit gewölbten Sälen in Walhall,<br />

Ehe du dieses e i n e n Eigentum antrittst.<br />

Doch daß staunend aus <strong>de</strong>m Staube zu <strong>de</strong>iner Gestalt jetzt<br />

Die Ameisen aufschaun, das ist dir auf Er<strong>de</strong>n<br />

Noch min<strong>de</strong>r nichtig als die Meinung hienie<strong>de</strong>n,<br />

Während du wan<strong>de</strong>lst mit Wodans Erwählten.<br />

Das Zirpen <strong>de</strong>s Zeisigs, <strong>de</strong>n Zuruf <strong>de</strong>s Kuckucks<br />

Hörst du heute bewegteren Herzens,<br />

Als künftig die Kun<strong>de</strong>, was du gekonnt hast,<br />

40


Und die lauten <strong>Lied</strong>er zu <strong>de</strong>inem Lobe<br />

Im Mun<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Menschen. O glaub’s <strong>de</strong>iner Mutter!’<br />

In unsäglicher Sehnsucht breitete Sigfrid<br />

Seine Arme nach oben, in<strong>de</strong>m er ausrief:<br />

,O Mutter, Mutter, meine Mutter!<br />

So dürfen nun doch nach ewigem Darben<br />

In leidvoller Lust <strong>de</strong>n lieben Namen<br />

Nicht in leere Luft nur die Lippen entlassen!<br />

Ohr und Auge darf einmal endlich<br />

Hören und schauen <strong>de</strong>n hol<strong>de</strong>n Schatten!<br />

O segne <strong>de</strong>n Sohn, mit sanftem Berühren<br />

Die lichten Hän<strong>de</strong> aufs Haupt ihm legend!<br />

[75] Laß es einmal mich bergen an <strong>de</strong>inem Busen!<br />

Komm, schwebe herab! – Du schüttelst schweigend<br />

Dein heiliges Haupt – <strong>de</strong>r Himmel versagt es!<br />

Und kannst du <strong>de</strong>in Kind nicht küssen und herzen<br />

Mit <strong>de</strong>m Leibe, von Luft und Licht gewoben,<br />

Wie verlangend es lechzt, dich liebend zu fühlen,<br />

So laß für verlorene <strong>Lied</strong>er beim Wiegen<br />

Mich noch länger belauschen <strong>de</strong>in leises Gelispel.<br />

Ach, öffne <strong>de</strong>n Mund nur noch einmal, o Mutter!<br />

Und lehre mich suchen, geläuterte Seele,<br />

Deinen sterblichen Staub. Wo liegst du bestattet?<br />

Da will ich dir häufen <strong>de</strong>n höchsten Hügel,<br />

Den Menschen geschüttet, und schön gemeißelt<br />

Soll <strong>de</strong>in göttliches Bild auf <strong>de</strong>m Gipfel <strong>de</strong>s Berges<br />

Noch die fernste Zeit mit Entzücken erfüllen.<br />

O laß es mich wissen, wo stand meine Wiege?<br />

Wo ward ich geschaukelt auf <strong>de</strong>inem Schoße?<br />

Du leite mein Forschen, <strong>de</strong>n Vater zu fin<strong>de</strong>n,<br />

Den tugendlich tapfern, wenn er nicht tot ist.<br />

Dies laß mich wissen, so werd’ ich mich willig<br />

Vom Berg hier verbannen, und würd’ ich zum Bettler.’<br />

,Mein Sohn, das versagt mir die Satzung <strong>de</strong>r Toten,<br />

Dir zu ent<strong>de</strong>cken; wir dürfen nur raten.<br />

O laß dich leiten von meiner Liebe,<br />

So winkt dir zum Lohn ein langes Leben.<br />

Vom schönen Scheine <strong>de</strong>r Sonne zu schei<strong>de</strong>n<br />

In das farbenlos Finstre, – ich hab’ es erfahren! –<br />

Dieweil noch im Herzen Wunsch und Hoffnung<br />

Das Leben schmücken, ist leidvoll und schmerzhaft.<br />

[76] Drum wen<strong>de</strong> dich und kehre, von wannen du kommen<br />

Nur Glanz ist oben, das Glück ist unten.’<br />

,Und kannst du mir nicht kundtun das Rätsel meiner Kindheit,<br />

So muß ich mannhaft <strong>de</strong>r Schicksalsmächte<br />

Befehlen folgen, wohin sie auch führen.<br />

Was ich hoffe zu h o l e n vom Hin<strong>de</strong>rberge?<br />

Nichts.<br />

Nur zum Nehmen und Genießen lebe <strong>de</strong>r Riding.<br />

Nicht das Werk, das Wirken ist meine Wollust.<br />

Nicht oben zu stehen, damit man staune,<br />

Nein, stolz und still von Stufe zu Stufe<br />

Zu steigen und zu steigern die eigene Stärke,<br />

41


Das ist volles Empfin<strong>de</strong>n, ist göttliches Fühlen.<br />

Den Göttern dienstbar, im Garten Idunas<br />

Erhebt sich ein Haselbaum. Gol<strong>de</strong>ne Hülsen<br />

Umglänzen die Nüsse; <strong>de</strong>m Näscher unnahbar,<br />

Holt sie <strong>de</strong>r Held nur mit härtester Arbeit,<br />

Welchem huldvoll <strong>de</strong>r Herr <strong>de</strong>s Himmels<br />

Den Gang vergönnte durchs Gitter <strong>de</strong>s Gartens.<br />

Aber zum Zeichen, daß ihm geziemte,<br />

Sich zu erfreuen <strong>de</strong>r göttlichen Früchte,<br />

Wirft er als wertlos auf seinen Weg hin<br />

Die schimmern<strong>de</strong>n Schalen. Ob Enkel sie schauen,<br />

Sein Wagen bewun<strong>de</strong>rn – er mag es wissen,<br />

Doch wiegt es ihm wenig. Die höchste Wonne,<br />

Die das Nagen <strong>de</strong>r Nei<strong>de</strong>r nur würzt, die genoß er:<br />

Unbekümmert um künftige Kun<strong>de</strong>,<br />

Hat er gekostet die süßen Kerne. –<br />

[77] So will ich erreichen <strong>de</strong>n Gipfel <strong>de</strong>s Ruhmes,<br />

Ob mir auch eiliger nahe mein En<strong>de</strong>.<br />

Stets besser gerüstet, ratlos zu ringen,<br />

Ist das ganze Glücke, das ich glühend begehre.’<br />

So sprach er mannhaft. – Da winkt’ ihm die Mutter,<br />

Verstummend in Wehmut, ein Lebewohl zu;<br />

Der Schatten entwich und die Wolke verwehte.“<br />

[78]<br />

————<br />

Vierter Gesang.<br />

——<br />

„Vergönne mir’s, Horand,“ rief König Gunther,<br />

„Bevor du fortfährst, ein wenig zu feiern.<br />

Ich weiß nicht, was folgt; doch die wehmutvolle,<br />

Eben erregte, heilige Rührung<br />

Dul<strong>de</strong>t es nicht, zu <strong>de</strong>utlichem Schauen<br />

Den Geist zu klären, bevor sie verklungen.<br />

Scha<strong>de</strong>, daß Volker heute fern ist!<br />

Der wüßte so gut auf seiner Geige<br />

Nachzuflüstern das leise Flehen,<br />

Das mil<strong>de</strong> Mahnen <strong>de</strong>s Geistes <strong>de</strong>r Mutter,<br />

Die unsägliche Sehnsucht ihres Sohnes. –<br />

Nein – antworte nicht; doch nimm die Harfe,<br />

Das Gemüte zu tauchen ins Meer <strong>de</strong>r Töne,<br />

Wo das Auge sich schließt und im wachen Schlafe<br />

Ein sonst pfadloses All <strong>de</strong>r Empfindung sich auftut;<br />

Denn ein wollen<strong>de</strong>s Wesen ist je<strong>de</strong> Welle,<br />

42


Und wir wissen, verwan<strong>de</strong>lt in diese Wesen,<br />

Was jegliches will. So wirke dies Wun<strong>de</strong>r<br />

[79] Der trösten<strong>de</strong>n Trauer, <strong>de</strong>r laben<strong>de</strong>n Träne,<br />

Des süßen Lei<strong>de</strong>s, sich selbst zu verlieren<br />

Und das Wehen, das die Welt belebt, zu gewinnen.<br />

Gestärkt und besänftigt laß dann die Seele<br />

Aus diesem Ba<strong>de</strong> durstig nach Bil<strong>de</strong>rn<br />

Ans Gesta<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Welt voll Gestalten steigen.“<br />

Als nun Horand <strong>de</strong>m Herrscher dankbar gehorchte<br />

Und, leise Hauche <strong>de</strong>r Harfe entlockend,<br />

Mit <strong>de</strong>m Saitenklang malte, wie Sohn und Mutter<br />

In leidvoller Lust ein Liebeswort tauschten, –<br />

Was erregte <strong>de</strong>rweil zu rascheren Schlägen,<br />

Während sie horchte, das Herz Krimhil<strong>de</strong>ns?<br />

War es <strong>de</strong>r Wunsch, daß <strong>de</strong>n würdigen Gatten,<br />

Dem einst sie sich vermähle, bei mutiger Mannheit,<br />

Wie Sigfrids <strong>de</strong>s Hel<strong>de</strong>n, gleich fromme Gesinnung<br />

Und sanfte Mil<strong>de</strong> beseelen möchte,<br />

Wie Sigfrid, <strong>de</strong>n Sohn, im <strong>Lied</strong>e <strong>de</strong>s Sängers?<br />

O<strong>de</strong>r war es ein Kummer <strong>de</strong>r Königstochter,<br />

Daß hoffnungslos breit und unüberbrückbar<br />

Die Kluft zwischen ihr und <strong>de</strong>m Sänger klaffte,<br />

Der diese Gestalt zu dichten verstan<strong>de</strong>n<br />

Und in ihr doch gewiß nur vom eigenen Wesen<br />

Als Bild offenbart das Höchste und Beste?<br />

Was es auch war, sie wählte nun plötzlich<br />

Für <strong>de</strong>s Harfenbands Mitte ein an<strong>de</strong>res Muster –<br />

Bisher war’s ein Kranz, – nun ward’s eine Krone,<br />

Eine Harfe darunter, doch ruhte geringelt<br />

Ein furchtbar drohen<strong>de</strong>r, feuriger Drache<br />

Unbezwingbar trennend im Zwischenraume.<br />

[80]<br />

Vom Söller in<strong>de</strong>s erklangen die Saiten<br />

Nach ersterben<strong>de</strong>r Klage stolzer und stärker,<br />

Und ihr letzter Akkord war kühner Entschluß;<br />

Denn also begann <strong>de</strong>r göttliche Sänger<br />

Mit markiger Stimme die Folge <strong>de</strong>r Mär:<br />

„Rüstig durchhieb er <strong>de</strong>n Rest <strong>de</strong>r Hecke,<br />

Spornte <strong>de</strong>n Rappen über das Reisig<br />

Und hielt im Gehege <strong>de</strong>s Hin<strong>de</strong>rberges,<br />

Das in weitem Zirkel die Dornen umzäunten.<br />

So weit, als ein Bogen <strong>de</strong>n Bolzenpfeil sen<strong>de</strong>t,<br />

In solcher Breite lag nun brennend<br />

Vor ihm ein Feld und inmitten eine Feste.<br />

Lo<strong>de</strong>rn<strong>de</strong> Lohe entleckte <strong>de</strong>m Rasen,<br />

Und blitzend schossen zum Scheitel <strong>de</strong>s Himmels<br />

Dem Bo<strong>de</strong>n entströmen<strong>de</strong> Bün<strong>de</strong>l von Strahlen.<br />

Dem nie<strong>de</strong>ren Kraut im flammen<strong>de</strong>n Kreise<br />

Schien unschädlich dies schimmern<strong>de</strong> Feuer;<br />

Doch <strong>de</strong>m alten Eichbaum, <strong>de</strong>r einsam hier oben<br />

Dem Zwergkraut entragte, verkohlt’ es die Zweige.<br />

Als Zierat trugen die zackigen Zinnen<br />

Der mächtigen Feste inmitten <strong>de</strong>s Feuers<br />

43


Funkeln<strong>de</strong> Schil<strong>de</strong> auf ragen<strong>de</strong>n Schäften.<br />

Auf <strong>de</strong>n Schil<strong>de</strong>n gemalt war manches Scheusal<br />

Neben <strong>de</strong>m Tapfern, <strong>de</strong>r es getötet,<br />

O<strong>de</strong>r lebend gebändigt, Löwen und Bären,<br />

Wütige Wölfe, schuppige Würmer;<br />

Doch auch Nachtgestalten, die nirgend <strong>de</strong>n Staubweg<br />

In geson<strong>de</strong>rtem Selbstschein wan<strong>de</strong>ln<br />

Und doch grausamer würgen, grimmiger wüten<br />

[81] Als tückische Tiger, tödliche Vipern,<br />

Rasen<strong>de</strong> Flut und entfesselte Flammen.<br />

Die Räuber umrahmten gol<strong>de</strong>ne Runen,<br />

Im Scheine <strong>de</strong>s Feuers aus weiter Entfernung<br />

Für kundige Augen wohl erkennbar,<br />

Und nannte die Namen <strong>de</strong>r Nei<strong>de</strong>nswerten.<br />

Er zau<strong>de</strong>rte zagend; doch fast schon die Zügel<br />

Zerreißt sein Rappe. Rasch um die Rüstung<br />

Wirft er <strong>de</strong>n Mantel, sich völlig vermummend,<br />

Und schiebt sich zum Schutz vor schädlichen Gluten<br />

Über <strong>de</strong>n Kegel <strong>de</strong>s Helmes die Kappe.<br />

Die Fersen jetzt fühlend, setzt in das Feuer<br />

Der herrliche Hengst, mit <strong>de</strong>n hurtigen Hufen<br />

Von Spur zu Spur drei Klafter spannend.<br />

Fast läßt vor Hitze die Hand das Heft los<br />

Der glühen<strong>de</strong>n Klinge. Wo die Rüstung umklebend<br />

Der Mantel beschirmt, da meint er, es schiene<br />

Ein wenig wärmer als für gewöhnlich<br />

Auf sein Maschenhem<strong>de</strong> die Mittagssonne;<br />

Doch vernichtend heiß in <strong>de</strong>n Hals durch die Nase<br />

Lo<strong>de</strong>rt die Luft und brät ihm die Lunge,<br />

Als zerfiele sie in Asche beim folgen<strong>de</strong>n Atem.<br />

Schon faßt er nach <strong>de</strong>r Stirn, schon fühlt er sich ersticken<br />

Und taumelt betäubt – da hält er im Torweg<br />

In köstlicher Kühle. Das edle Kampfroß,<br />

Das wun<strong>de</strong>rbar schnelle, schnaubt und wiehert,<br />

Daß es wie Donner in <strong>de</strong>r Wölbung <strong>de</strong>r Durchfahrt<br />

Den Wie<strong>de</strong>rhall weckt. Die weiten Höfe<br />

Der Burg erbeben, es wankt <strong>de</strong>r Bo<strong>de</strong>n, –<br />

[82] Wie wann <strong>de</strong>m Winter sein En<strong>de</strong> weissagt,<br />

Die Er<strong>de</strong> entsargend, von Sü<strong>de</strong>n her sausend,<br />

Der feurige Föhn: da zittern die Firnen,<br />

Die Gletscher zertauen und gleiten zu Tale,<br />

Die Berge beben, <strong>de</strong>nn riesige Ballen<br />

Donnern von <strong>de</strong>n Wän<strong>de</strong>n als wil<strong>de</strong> Lawinen;<br />

Knirschend und stru<strong>de</strong>lnd zerknicken die Ströme<br />

Ihr Joch in Schollen und schieben zerschellend<br />

Und allmählich zermalmend die Massen meerwärts;<br />

Aus dichten Decken enthüllt sich dampfend<br />

Das braune Brachland und schmückt sich bräutlich<br />

Zur freu<strong>de</strong>nvollen Hochzeit mit <strong>de</strong>m hol<strong>de</strong>n Frühling.<br />

Wie <strong>de</strong>r Matrose, <strong>de</strong>m eben in Trümmer<br />

Sein Schiff zerscheitert, vom Steingesta<strong>de</strong><br />

Zurückblickt ins Meer, <strong>de</strong>m er mühsam entronnen,<br />

Und dann erst <strong>de</strong>utlich Sinn und Gedanken<br />

44


Dem Lan<strong>de</strong> widmet und Leute wahrnimmt:<br />

So mußte <strong>de</strong>r Held jetzt hinter sich schauen<br />

Zurück auf <strong>de</strong>n Weg, <strong>de</strong>n er wagend geritten.<br />

Da grünte die Flur von saftigen Gräsern,<br />

Und gol<strong>de</strong>n gelbe, reizvoll rote<br />

Und blaue Blumen blühten dazwischen.<br />

Und wie seltsam! Die Sonne stand hoch am Himmel,<br />

Wo doch kurz zuvor, als am Ran<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Feuers<br />

Seine zagen<strong>de</strong> Hand <strong>de</strong>n Rappen gezügelt,<br />

Noch dichteste Dunkelheit alles be<strong>de</strong>ckte,<br />

Was nicht im Gleische <strong>de</strong>r Glut gelegen.<br />

Erst jetzt entwirrte sein Blick auch die Wun<strong>de</strong>r,<br />

Die schon im Burgtor <strong>de</strong>m Auge sich boten.<br />

[83] Ein greiser Burgwart mit weißem Barte,<br />

Der ihm bis zum Nabel hinunterreichte,<br />

Saß da seitwärts in gläsernem Sessel,<br />

In <strong>de</strong>r Hand einen Schlüssel, die Augen geschlossen;<br />

Doch zuckten die Wimpern, als wollt’ er erwachen.<br />

Zwei weiße Welfe von riesigem Wuchse<br />

Mit Köpfen wie Löwen lagen gekauert<br />

Vor seinen Knieen. Nun hoben sie knurrend,<br />

Dann bellend und schnaufend die bissigen Schnauzen.<br />

Da sprang erstaunend <strong>de</strong>r Greis vom Stuhle,<br />

Als wollt’ er schelten; doch als er nun schaute,<br />

Daß die lo<strong>de</strong>rn<strong>de</strong> Lohe draußen erloschen<br />

Und grünen<strong>de</strong> Grasflur die Burg umgrenzte,<br />

Da rief er: ,Heil dir, du Held <strong>de</strong>r Hel<strong>de</strong>n!<br />

Durch Grauen <strong>de</strong>s To<strong>de</strong>s trug dich Grani<br />

Vom Schicksal gelenkt hieher zur Schildburg<br />

Auf <strong>de</strong>r heiteren Höhe <strong>de</strong>s Hin<strong>de</strong>rberges.<br />

Verkündigter König, willkommen, willkommen!’<br />

Während die Welfe, freundlich we<strong>de</strong>lnd,<br />

Den Rappen berochen und seinen Reiter,<br />

Reicht’ ihm <strong>de</strong>n Schlüssel <strong>de</strong>r greise Schloßvogt,<br />

Und kaum berührte <strong>de</strong>r Held die Riegel,<br />

Da tat sich mit Getöse das innere Tor auf.<br />

So ritt er in <strong>de</strong>n Hof. Den umringten im Halbkreis<br />

Die Burggebäu<strong>de</strong>. Die Sehne <strong>de</strong>s Bogens,<br />

Ihm entgegen, zog ein Gitter<br />

Von eisernen Speeren. Auf ihren Spitzen<br />

Glänzten flimmernd künstliche Flämmchen,<br />

Gegossen von Gold. Ein weiter Garten<br />

[84] Mit schönen Bäumen und schattigen Büschen<br />

Zeigte sich dahinter; <strong>de</strong>r Zaun aber hatte<br />

Nirgend ein Tor, noch schien es tunlich,<br />

Hinüber zu steigen: unnahbare Stacheln<br />

Starrten überall aus <strong>de</strong>n eisernen Stäben.<br />

Ratlos rückwärts schaute <strong>de</strong>r Reiter,<br />

Doch we<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Wächter noch seine Welfe<br />

Waren mehr sichtbar. Schon wollte Sigfrid<br />

Vom Sattel springen und <strong>de</strong>nnoch versuchen,<br />

Trotz <strong>de</strong>r Stacheln hinüber zu steigen,<br />

Als gewaltig wiehernd sein Roß es wehrte<br />

45


Und die Hufe von selber hinter sich setzend<br />

Wie zum Anlauf zur Einfahrt auswich.<br />

Du willst es wagen? Nun, meinetwegen!<br />

Dachte Sigfrid, schob sich von <strong>de</strong>n Sohlen<br />

Die bei<strong>de</strong>n Bö<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r silbernen Zügel<br />

Bis an die Zehen, faßte die Zügel,<br />

Um die heben<strong>de</strong> Hilfe <strong>de</strong>m Hengst zu geben,<br />

Beugte sich vor und bohrt’ ihn mit <strong>de</strong>r Ferse<br />

Stechen<strong>de</strong>m Sternrad. Da schoß er steigend<br />

Gegen das Gitter, und leicht, wie die Gemse,<br />

Von Fein<strong>de</strong>n verfolgt, an steiler Felswand<br />

Hinauf und hinabspringt, so flog er hinüber.<br />

Geschwind vom Sattel schwang sich nun Sigfrid<br />

Und ließ ihn laufen, wohin ihn verlangte.<br />

Lautlos gelegen hatte so lange<br />

Der weite Garten. Kein Wind bewegte<br />

Die blinken<strong>de</strong>n Blätter, die starren Blumen.<br />

Anstatt <strong>de</strong>s Taues hingen Kristalle<br />

[85] In flimmern<strong>de</strong>n Flocken um alle Pflanzen.<br />

Kein Vogelsittich durchfuhr die Lüfte,<br />

Und keine Biene durchsummte die Büsche.<br />

Da hing ein Heimchen auf einem Halme,<br />

Die Beinchen gespreizt, als wollt es springen,<br />

Allein es sprang nicht; da war im Spru<strong>de</strong>ln<br />

Erfroren ein Quell, ein Frosch im Quaken<br />

Mit geblähten Blasen stecken geblieben;<br />

Da hielt eine Ameis ihr gelbliches Eichen<br />

Zärtlich am Zipfel mit sanften Zänglein<br />

Und wollt’ entlaufen <strong>de</strong>m lauern<strong>de</strong>n Laubmolch,<br />

Allein sie lief nicht; lüstern lugten<br />

Nach ihr die Augen <strong>de</strong>s flinken Erbfeinds,<br />

Doch mitten im Fangsprung stand er gefesselt.<br />

Da hockte wie zwitschernd auf einem Zweige<br />

Ein zierlicher Zeisig; man sah sein Zünglein<br />

Empor geschnörkelt im offenen Schnabel,<br />

Doch vom Schlafe betroffen im Schlagen eines Trillers.<br />

Doch kaum berührte <strong>de</strong>n bereiften Rasen<br />

Die Sohle Sigfrids – da zog ein Säuseln<br />

Durch alle Bäume; da beugten sich die Büsche,<br />

Da nickten die Blumen, und nie<strong>de</strong>r von <strong>de</strong>n Blättern<br />

Tauten zur Tiefe die harten Kristalle.<br />

Da rauschten die Vögel auf raschem Fittich<br />

Mit fröhlichem Laut durch lauere Lüfte,<br />

Da suchte summend nach süßen Säften<br />

Nach langem Darben um die duftigen Dol<strong>de</strong>n<br />

Der Flie<strong>de</strong>rgebüsche die fleißige Biene;<br />

Da hüpfte das Heimchen von seinem Halme,<br />

[86] Da quoll die Quelle, die Frösche quakten,<br />

Da ereilte das Ämschen, wie rasch es auch ausriß,<br />

Der lauern<strong>de</strong> Laubmolch und schmatzte lüstern,<br />

Da zwitschert’ auf <strong>de</strong>m Zweige <strong>de</strong>r zierliche Zeisig,<br />

Erwachend vom Traum, seinen Triller weiter,<br />

Und alle Wesen erwachten – zur Wonne, –<br />

46


Zu Gefahr und Verfolgung, Furcht und Feindschaft;<br />

Denn es wehrhaft erlisten ist die Würze <strong>de</strong>s Lebens.<br />

Den Hel<strong>de</strong>n aber zog es mit heimlichem Zauber<br />

Durch moosige Gänge zur Mitte <strong>de</strong>s Gartens,<br />

Wo grauer Schiefer, turmhoch geschichtet,<br />

Als Kulm <strong>de</strong>s Berges <strong>de</strong>m Bo<strong>de</strong>n entragte.<br />

Dicht vor <strong>de</strong>m Fuße <strong>de</strong>r steilen Felswand<br />

Lag eine Laube, von Jelängerjelieber<br />

In Bögen gebil<strong>de</strong>t und bunt durchwachsen<br />

In dichtem Gerank von dornigen Rosen.<br />

Sie wucherten üppig und wehrten <strong>de</strong>n Eingang,<br />

So daß erst sein Eisen ihn öffnen mußte.<br />

Nun schien in <strong>de</strong>n Schatten ein Schimmer <strong>de</strong>s Tages.<br />

Wie staunte da Sigfrid! Ein Stein von Sargform,<br />

Rings an <strong>de</strong>n Rän<strong>de</strong>rn be<strong>de</strong>ckt mit Runen,<br />

Lag in <strong>de</strong>r Mitte, und auf <strong>de</strong>m Marmor<br />

Ruhte ein Ritter in voller Rüstung.<br />

Durch die Lücken <strong>de</strong>r Laube lauschte die Sonne;<br />

Ein Strom von Strahlen streifte <strong>de</strong>m Schläfer<br />

Die Senke <strong>de</strong>s Helms und fiel in <strong>de</strong>n Sehspalt.<br />

Da regt sich <strong>de</strong>r Ritter; es klirren die Ringe<br />

Und Schuppen <strong>de</strong>r Brünne, es hebt sich das Bruststück<br />

Mit <strong>de</strong>m bei<strong>de</strong>n gebauchten, stählernen Buckeln;<br />

[87] Dem Helm entwallt ein Hauch als Wölkchen;<br />

Er hört, wie <strong>de</strong>r Atem aus und ein geht<br />

In tiefen Zügen. Nun taut auch die Zunge<br />

Aus ihrer Erstarrung: eine hohe Stimme<br />

Fragt lallend:<br />

,Wer lichtet die Laube?<br />

Ist die Nacht verlaufen? Naht mein Erlöser?<br />

Ist die lo<strong>de</strong>rn<strong>de</strong> Lohe endlich erloschen?<br />

Durchritt sie auf Grani <strong>de</strong>r Held ohne Grauen?<br />

So hilf mir aus <strong>de</strong>r Hülse; <strong>de</strong>nn hinten am Steine<br />

Ist <strong>de</strong>r stählerne Harnisch festgeheftet.’<br />

Da suchte Sigfrid nach <strong>de</strong>n Häkchen <strong>de</strong>r Senke.<br />

Und nach <strong>de</strong>n Schnallen, um aufzuschnüren<br />

Die Schulterplatten, die Schienen um die Schenkel.<br />

Doch angeschmie<strong>de</strong>t und angeschmolzen<br />

Schien die Rüstung. Rasch in die Rechte<br />

Nahm er vom Bo<strong>de</strong>n wie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Balmung<br />

Und legte sanft, um <strong>de</strong>n Leib nicht zu verletzen,<br />

Die Schärfe <strong>de</strong>r Klinge an die Schuppenumkleidung.<br />

Wie, wann <strong>de</strong>r Hummer <strong>de</strong>n braunen Harnisch,<br />

Den ausgewachsnen, im Sommer wechselt<br />

Und nun sänftlich gelöst vom noch weichen Leibe<br />

Die Schei<strong>de</strong> sich schält in muschligen Schil<strong>de</strong>n:<br />

So sanken auf die Seite vom unversehrten<br />

Leibe <strong>de</strong>s Schläfers. schlaglos durchschnitten,<br />

Die eisernen Schalen <strong>de</strong>r schönen Schultern;<br />

Und wie, alljährlich ihr Aussehn verjüngend<br />

Und befreiend von Rissen und Altersrunzeln,<br />

Die stolze Platane in breiten Tafeln<br />

[88] Die rauh gewor<strong>de</strong>ne Rin<strong>de</strong> wegstößt:<br />

47


So schälten sich die Schenkel frei von <strong>de</strong>n Schienen;<br />

Und wie im Lenze, <strong>de</strong>n Bo<strong>de</strong>n lockernd<br />

Und ein Schöllchen Er<strong>de</strong> vom Scheitel schiebend,<br />

Wann es warm ist und naß, die welsche Nuß springt, –<br />

Die hohle Hülse fällt in zwei Hälften<br />

Zurück zum Verwesen, weißlich entwin<strong>de</strong>t<br />

Der Kern sich <strong>de</strong>r Kapsel, spaltet sich zum Keimblatt<br />

Und färbt sich saftgrün am Feuer <strong>de</strong>r Sonne –:<br />

So sank vor <strong>de</strong>m Balmung nach bei<strong>de</strong>n Seiten<br />

Geräuschlos <strong>de</strong>r Helm, in zwei Hälften geson<strong>de</strong>rt.<br />

Doch siehe! Das Haar <strong>de</strong>s stolzen Hauptes,<br />

Das als Blume steigt aus <strong>de</strong>r stählernen Knospe,<br />

Entrollt seinen Knäuel und knietief reichen<br />

Die gelösten Ringel rabenschwarzer Locken;<br />

Denn in wun<strong>de</strong>rbarer Schönheit, umwoben von Schamrot,<br />

Doch in seligem Sinnen die Blicke versenkend<br />

In die sonnenhaft leuchten<strong>de</strong>n Augen Sigfrids,<br />

Erhebt sich voll Wür<strong>de</strong> das herrlichste Weib.<br />

,Wer bist du, Starker, <strong>de</strong>r alles bestan<strong>de</strong>n,<br />

Mich heimzuholen vom Hin<strong>de</strong>rberge?<br />

Wer lehrte dich brechen <strong>de</strong>n Zauberschlaf Brunhilds?’<br />

,Ich heiße Sigfrid und höre sagen,<br />

Ich sei <strong>de</strong>r stärkste <strong>de</strong>r sterblichen Menschen.<br />

Einen garstigen Lintwurm erlegt’ ich erst gestern, –<br />

Wofern mir die Zeit nicht ein Zauber verwirrt hat –<br />

Auch fand ich im Kampf mir noch keinen gewachsen;<br />

Doch acht’ ich das wenig. Die Welt ist weichlich<br />

Und von Feiglingen voll, die schwach aus Furcht sind.<br />

[89] Du weißt nun alles; <strong>de</strong>nn A<strong>de</strong>l und Ahnen<br />

Hab ich mitnichten, nur meinen Namen<br />

Und, was ich an Schätzen mir gestern verschaffte.<br />

Was mir fehlt, ist ein Vater, ich bin ein Findling.<br />

Laß du mich nun wissen, durch welches Wun<strong>de</strong>r<br />

Du, schöne Brunhild, in dieser Brünne<br />

Auf diesem Berge in Schlaf gebannt warst?<br />

Wie lange schliefst du? Wie kam ein Schlachtkleid,<br />

Wie’s nur Männer sonst schirmt, auf Mädchenschultern?<br />

Aus welchem Stan<strong>de</strong> und wem entstammst du?<br />

Denn hehrem Hel<strong>de</strong>n von hoher Tugend<br />

Verdankst du <strong>de</strong>in Dasein, man sieht es <strong>de</strong>utlich<br />

Am stetigen Blick, an <strong>de</strong>r stolzen Gestalt.<br />

Dies alles erwidre mir jetzt nach <strong>de</strong>r Wahrheit.’<br />

,So setze dich, Sigfrid, auf diesen Sargstein,<br />

Ich will dir verkün<strong>de</strong>n, was mir bekannt ist,<br />

Deine Fragen erwi<strong>de</strong>rn ganz nach <strong>de</strong>r Wahrheit.<br />

Doch trink’ erst die Minne in süßem Mete<br />

Und iß einen Imbiß nach all <strong>de</strong>iner Arbeit.’<br />

Sie schob vom Felsen <strong>de</strong>n grünen Vorhang<br />

Be<strong>de</strong>cken<strong>de</strong>n Laubes. Da zeigte sich dunkel<br />

Ein Grotteneingang. In diesen griff sie<br />

Und reichte <strong>de</strong>m Gast, mit gütigem Lächeln<br />

So karge Speise zum Kosten bietend,<br />

Auf einer Scheibe von grauem Schiefer<br />

48


Getrocknete Frucht und <strong>de</strong>n Trunk zur Erfrischung.<br />

Doch diesen kre<strong>de</strong>nzte sie tief be<strong>de</strong>utsam<br />

In einem Kelche von kältestem Eise.<br />

Es funkelte feurig in diesem Gefäße<br />

[90] Der süße Saft im Sonnenscheine,<br />

Und Lichter durchtanzten <strong>de</strong>n lautern Kristall.<br />

,Dein Heil, du Held mit <strong>de</strong>m furchtlosen Herzen!’<br />

Sagte Brunhil<strong>de</strong>, <strong>de</strong>n Kelch erhebend<br />

Und etwas nippend, ,nun trink’ ihn zur Neige.<br />

Wie kalt auch <strong>de</strong>r Kelch ist, <strong>de</strong>r Inhalt ist köstlich;<br />

Das Eis ist gefüllt mit firnem Feuer,<br />

Von <strong>de</strong>r Sonne gesüßt in vergangenen Sommern.<br />

So scheint wohl verhärtet ein Herz voll Hoheit,<br />

Und <strong>de</strong>r Niding nennt es zur Neigung zu frostig;<br />

Da kommt ein Kühner, ein geborener König,<br />

Und rasch erkennt er, wie die raue Kälte<br />

Die heißeste Glut <strong>de</strong>s höchsten Glückes,<br />

Die wärmste Wonne für ihn bewahrt hat.’<br />

,Dein Heil, Brunhil<strong>de</strong>! Ich trink’ es in Hoffnung,’<br />

Versetzte Sigfrid; ,zu sehen glaub’ ich<br />

Mein an<strong>de</strong>r Selbst, von <strong>de</strong>n Göttern gesen<strong>de</strong>t.<br />

Mir dünkte die Minne bisher ein Märchen<br />

Für müßige Weiber und marklose Wichte;<br />

Doch dich betrachtend, kommen mir Träume,<br />

Gänzlich entgegen <strong>de</strong>r Art meines Geistes,<br />

Von <strong>de</strong>r folgen<strong>de</strong>n Zeit, von <strong>de</strong>r fernen Zukunft.<br />

Ich sehe die Söhne <strong>de</strong>s starken Sigfrid<br />

Aus Brunhilds Schoß an kräftiger Schönheit<br />

Und stolzer Stärke noch höher steigen<br />

Als ihre Eltern und herrschen auf Er<strong>de</strong>n.<br />

Nie wird’ ich seufzen in siecher Sehnsucht,<br />

Wie die Kläglinge tun mit kleinen Seelen;<br />

Mein Herz ist heiter; – doch jetzt, o Brunhil<strong>de</strong>,<br />

[91] In<strong>de</strong>m ich dich schaue in dunkler Schönheit,<br />

Die bräunliche Stirn, die starken Brauen,<br />

Das schwärmen<strong>de</strong> Antlitz, die schwarzen Augen,<br />

Die Rabenlocken, regt sich lo<strong>de</strong>rnd<br />

In diesem Herzen, das heftig und heiß ist,<br />

Ein lautes Gebieten, dir einzubil<strong>de</strong>n<br />

Mein eigenes Wesen zum ewigen Wachstum,<br />

Und wenn du meinest, das sei die Minne, –<br />

Nun gut, so begehr’ ich Brunhil<strong>de</strong>n zur Gattin.’<br />

,Ich wür<strong>de</strong> dir jubelnd mein Jawort geben,’<br />

Versetzte Brunhil<strong>de</strong> und hielt ihm die Hand hin;<br />

,Die gera<strong>de</strong> Rebe zeigt mir <strong>de</strong>n Rechten,<br />

Den wir die Götter zum Gatten bestimmten;<br />

Doch bin ich noch gebun<strong>de</strong>n an hohe Gebote<br />

Und eigne Gelüb<strong>de</strong>: die hilf mir lösen,<br />

So bin ich <strong>de</strong>in eigen bis an mein En<strong>de</strong>.<br />

Drum eh wir jetzt schei<strong>de</strong>n, höre mein Schicksal.<br />

Du vernahmst wohl von Helgi, <strong>de</strong>m Hundigstöter,<br />

Den eine Walküre zum Gatten erkoren,<br />

Die hehre Sigrun. Sie sollte seine Seele<br />

49


Mit tötlichem Kuß vom Körper lösen,<br />

Im Getümmel <strong>de</strong>r Schlacht ihn weihen <strong>de</strong>m To<strong>de</strong>.<br />

Doch im Busen erwachten Erbarmen und Liebe;<br />

Sie ließ ihn an <strong>de</strong>r Sonne, sie half ihm zum Siege,<br />

Naht’ ihm als Maid und gewann seine Minne.<br />

Dafür ward sie verwiesen aus Wodans Diensten.<br />

Ihr Vater Högni haßte <strong>de</strong>n Helgi<br />

Und sen<strong>de</strong>te Sigrun, so sehr sie sich sträubte,<br />

Dem häßlichen Hödbrod. Doch am Tag vor <strong>de</strong>r Hochzeit<br />

[92] Nahte schon Helgi mit zahlreichem Heere,<br />

Erschlug <strong>de</strong>n Hödbrod und seine Helfer,<br />

Bragi, <strong>de</strong>n Bru<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Braut wi<strong>de</strong>r Willen,<br />

Und fällt’ im Gefecht auch <strong>de</strong>n Vater Sigruns.<br />

Wohl weinte nun Sigrun in wil<strong>de</strong>m Wehe<br />

Und schlug sich die Schläfen mit lautem Schluchzen;<br />

Doch die Trauertränen kindlicher Treue<br />

Konnten nicht löschen die lo<strong>de</strong>rn<strong>de</strong> Liebe.<br />

Als mancher Monat <strong>de</strong>n Schmerz gemil<strong>de</strong>rt,<br />

Feierten Hochzeit Sigrun und Helgi.<br />

Doch er brütete Rache <strong>de</strong>r zweite Bru<strong>de</strong>r<br />

Der schönen Sigrun, <strong>de</strong>r schändliche Dagi.<br />

Kaum einen Monat nach <strong>de</strong>r Vermählung<br />

Jagte <strong>de</strong>r Fürst, vorauf seinen Jarlen<br />

Im Forste folgend <strong>de</strong>r Fährte <strong>de</strong>s Ures;<br />

Da taucht’ aus <strong>de</strong>m Tann <strong>de</strong>r tückische Dagi<br />

Und stieß ihm <strong>de</strong>n Stahl ins starke Herz.<br />

Wie aus Helas Behausung <strong>de</strong>r Schatten Helgis<br />

In <strong>de</strong>r Abenddämmrung auf Urlaub ankam;<br />

Wie son<strong>de</strong>r Grauen im Grabgemache<br />

An seiner Seite die edle Sigrun<br />

In Liebe gelegen, <strong>de</strong>n Leichnam küssend,<br />

Dem die Götter gestattet, als Gaste noch einmal<br />

Dem geschie<strong>de</strong>nen Geiste Wohnung zu gönnen<br />

Bis zur Neige <strong>de</strong>r Nacht; wie Sigrun die Nornen<br />

Dadurch besänftigt; wie dann zu <strong>de</strong>n Sälen<br />

Wodans in Walhall Einlaß gewährt ward<br />

Der Seele Helgis, weil Hela verheißen<br />

Ihn loszulassen, wenn selbstlos liebend<br />

[93] Sigrun sich entschlösse, beim Toten zu schlafen:<br />

Das wirst du schon wissen; <strong>de</strong>nn vielbewun<strong>de</strong>rt<br />

Lebt es im <strong>Lied</strong>e in allen Lan<strong>de</strong>n.<br />

Du siehst, o Sigfrid, an <strong>de</strong>iner Seite<br />

Die Tochter Helgis, <strong>de</strong>s Hundingtöters.<br />

Geflüchtet nach Seegart gebar mich Sigrun;<br />

Denn Helgis Reiche entriß ihr Dagi,<br />

Sowohl das Festland, das jener erfochten,<br />

Als auch sein Erbe, die felsige Insel<br />

Inmitten <strong>de</strong>s Meeres, wo fern <strong>de</strong>r Mündung<br />

Weser und Elbe ihr Wasser vereinen.<br />

Da nun <strong>de</strong>r Sigrun ein Sohn versagt war,<br />

Erzog sie die Tochter zu männlicher Tatkraft,<br />

Zum Dienste <strong>de</strong>r Rache an Dagi, <strong>de</strong>m Verruchten.<br />

Anstatt zu spielen, warf ich mit Speeren,<br />

50


Satt Putzes und Puppen erhielt ich Panzer,<br />

Stets wuchtiger wechselnd nach Kraft und Wachstum,<br />

Und statt zu spinnen und Garn zu spulen,<br />

Lernt’ ich schwingen Lanzen und Schwerter<br />

Und gerüstet reiten auf mutigen Rossen.<br />

Ich erreichte die Kraft <strong>de</strong>r stärksten Krieger,<br />

Folgte <strong>de</strong>n Vettern <strong>de</strong>r Mutter in Feh<strong>de</strong>n<br />

Und gab <strong>de</strong>m To<strong>de</strong> so manchen Tapfern.<br />

Jeglicher Kampfart war ich kundig<br />

Mit siebzehn Sommern. Bald konnte Sigrun<br />

Nach gestillter Rache in Ruhe sterben;<br />

Denn mit eigenen Hän<strong>de</strong>n hieb ich das Haupt ab,<br />

Am Haar ihn haltend, <strong>de</strong>m Mör<strong>de</strong>r Helgis<br />

Und warf das Geschenk, noch schäumend vom Blute,<br />

[94] In <strong>de</strong>n Schoß <strong>de</strong>r Mutter. Da ging sie mel<strong>de</strong>n<br />

Meinem Erzeuger die laben<strong>de</strong> Zeitung,<br />

Wie hart sie Brunhil<strong>de</strong>n <strong>de</strong>m Vater Helgi<br />

Erzogen zum Rüstzeug geziemen<strong>de</strong>r Rache,<br />

Wie diese <strong>de</strong>m Dagi verdientes Schicksal<br />

Endlich bereitet. – Da re<strong>de</strong>ten rühmend<br />

Die einherischen Hel<strong>de</strong>n in Wodans Halle<br />

Über <strong>de</strong>r Mahlzeit von Helgis Mädchen<br />

Und baten <strong>de</strong>n Gebieter, was einst büßend<br />

Sigrun verloren, <strong>de</strong>r Brunhild zu verleihen.<br />

So wählt mich Wodan zu seiner Wunschmaid;<br />

Ich wur<strong>de</strong> Walküre, <strong>de</strong>n Wal zu kiesen,<br />

Und fuhr in Wolken über die Walstatt,<br />

Die Kämpfer küssend, die Wodan erkoren,<br />

Beim Wanken <strong>de</strong>r Welt <strong>de</strong>m Wolfe zu wehren.<br />

Nun herrschte zu Seegart ein Vetter Sigruns,<br />

Der edle Agnar, <strong>de</strong>r Bru<strong>de</strong>r Odas,<br />

Der göttlich begabten, in <strong>de</strong>ren Geiste<br />

Reiches Wissen und Weisheit wohnten.<br />

Sie war mir befreun<strong>de</strong>t und hatte mich früh schon<br />

Alles gelehrt, was Edle lernen:<br />

Der Dinge Be<strong>de</strong>utung an hohen Gedanken;<br />

Wie die Welt sich entwun<strong>de</strong>n <strong>de</strong>m Wirrwarr <strong>de</strong>r Urzeit,<br />

Wie die gütigen Götter <strong>de</strong>n Garten <strong>de</strong>r Mitte<br />

Den Riesen entrissen, mit Reichtum gesegnet,<br />

Wie sie walten und wehren, und wie in Walhall<br />

Wodan die Wackersten herrlich bewirtet . . .’<br />

Sigfrid unterbrach sie: .Sage mir, Brunhild,<br />

Trug nicht ein Zeichen, die dich erzogen,<br />

[95] Die uralte Oda? am linken Auge<br />

Neben <strong>de</strong>r Nase ein weißes Närbchen?’<br />

,Du re<strong>de</strong>st seltsam!’ versetzte Brunhild.<br />

,Nicht alt war Oda; sie mochte eben<br />

Das dritte Jahrzehnt ihres Lebens zählen.<br />

Doch das weiße Närbchen neben <strong>de</strong>r Nase,<br />

Das trug sie freilich. Weswegen fragst du?’<br />

Finster sinnend versetzte Sigfrid:<br />

,Von <strong>de</strong>rselben lernt’ ich dieselben Lehren<br />

In meiner Jugend; doch siebenzig Jahre<br />

51


Hatte zum min<strong>de</strong>sten Oda durchmessen,<br />

Und nun muß sie nahezu neunzig zählen.’<br />

,In diesem Garten’, entgegnete Brunhild,<br />

,Hab ich dann ein halbes Jahrhun<strong>de</strong>rt verschlafen,<br />

Ohne zu altern, und unter <strong>de</strong>n Enkeln<br />

Meiner Gespielen leb’ ich verspätet.’<br />

Das Herz <strong>de</strong>s Hel<strong>de</strong>n, in<strong>de</strong>m er das hörte,<br />

Ergriff ein Graun vor <strong>de</strong>r jungen Greisin,<br />

Die sein werben<strong>de</strong>s Wort mit Gewährung besiegelt.<br />

Ihn, <strong>de</strong>n Kämpfer, <strong>de</strong>r manchen Kopf schon<br />

Im wil<strong>de</strong>n Gewühl auf blutiger Walstatt<br />

Bis mitten ins Mark zermalmt und gespalten,<br />

Ihn, <strong>de</strong>r furchtlos Festen, durchzuckt’ es fiebernd,<br />

Da sie geschil<strong>de</strong>rt, wie sie beim Schopfe<br />

Mit <strong>de</strong>n Mädchenhän<strong>de</strong>n gehalten <strong>de</strong>n Mör<strong>de</strong>r<br />

Ihres Vaters Helgi und ihm vom Halse<br />

Das Haupt gehauen, es an <strong>de</strong>n Haaren,<br />

Vom Blute triefend, zur Mutter getragen,<br />

Ihr das Schauergeschenk in <strong>de</strong>n Schoß zu werfen.<br />

[96]<br />

Da sagte Brunhil<strong>de</strong> zum sinnen<strong>de</strong>n Hel<strong>de</strong>n:<br />

,In wenigen Worten höre nun weiter,<br />

Was mir beschie<strong>de</strong>n dies eigne Schicksal.<br />

Den e<strong>de</strong>ln Agnar, <strong>de</strong>n Bru<strong>de</strong>r Odas,<br />

Kam bekämpfen ein greiser König,<br />

Ein Göttergünstling namens Gunthelm.<br />

Aus <strong>de</strong>m Rufe <strong>de</strong>r Raben, <strong>de</strong>m Falle <strong>de</strong>r Runen<br />

Ahnete Odan Unheil für Agnar,<br />

Verbannung aber in ferne Gebiete<br />

Für sich selber. Was du gesagt hast,<br />

Ist mir ein Zeichen, daß sie die Zukunft<br />

Richtig schaute, daß alles geschehen ist,<br />

Wie sie geweissagt. Ein Weilchen verzögern,<br />

Doch nimmer wen<strong>de</strong>n läßt sich <strong>de</strong>r Wille<br />

Der starken Götter. – Diese nun gaben<br />

Auch mir die Weisung, daß Sieg gewährt sei<br />

Dem König Gunthelm. Doch konnt’ ich vergessen<br />

Der e<strong>de</strong>ln Freundin? Ohne zu fragen,<br />

Was mich beträfe, wenn ich mutig trotzte<br />

Dem Willen Wodans, eilt’ ich auf die Walstatt<br />

Und beschirmte vor Geschossen, vor scharfen Schwertern<br />

Den e<strong>de</strong>ln Agnar. Den alten Gunthelm<br />

Legte meine Lanze entseelt zu <strong>de</strong>n Leichen.<br />

Da kam geflogen sausend und flammend<br />

Der furchtbare Gungner, <strong>de</strong>s Gottes Wurfspeer.<br />

Eine wirbeln<strong>de</strong> Windsbraut umgab mich mit Wolken<br />

Und hob mich in die Höhe; von hinnen ward ich<br />

Auf Grani, meinem Roß, durch die Lüfte gerissen.<br />

Erst hier auf <strong>de</strong>r Höhe <strong>de</strong>s Hin<strong>de</strong>rberges<br />

[97] Sank ich nie<strong>de</strong>r und sah mir nahen<br />

Einen greisen Mann in grauem Mantel.<br />

Ein Hut verhüllt sein Antlitz zur Hälfte;<br />

Doch das eine Auge, mit <strong>de</strong>m er mich ansah,<br />

52


War furchtbar feurig. ,Erbebe, du Falsche,’<br />

Rief er entrüstet, ,vor Wodans Gericht!’<br />

‚Ich bin die Tochter <strong>de</strong>s tapfern Helgi,<br />

So kennt mein Busen kein Beben und Bangen;<br />

Du kannst mich vernichten, doch niemals erschrecken.<br />

,Vermähle dich <strong>de</strong>nn einem sterblichen Manne;<br />

Denn mit <strong>de</strong>iner Denkart zu dienen in Demut,<br />

In Treuen zu tragen mit <strong>de</strong>inem Trotze<br />

Das Joch <strong>de</strong>s Gebieters, ist bitterste Buße.’<br />

,Und wärest du selbst <strong>de</strong>r Siegverleiher,<br />

Von <strong>de</strong>ssen Winken die Welt bewegt wird,<br />

Es gibt einen Punkt, so fest wie <strong>de</strong>r Polstern,<br />

Der niemals wanket, das ist mein Wille.<br />

Ihn än<strong>de</strong>rt in Ewigkeit nichts von außen;<br />

Doch in eigensten Innern dieses Urquells<br />

Meiner Seele beruht ein Sehnen,<br />

Auch unbefohlen und gern zu erfüllen,<br />

Was du mir gebietest als bittere Buße.<br />

Wie die Mutter mied’ ich auch ohne Machtwort<br />

Des Gottes Maidschaft für echte Minne.<br />

Gehorsam ist fremd <strong>de</strong>m Herzen Brunhil<strong>de</strong>ns;<br />

Doch willst du es fassen und scheinbar führen,<br />

Wohlan, so genüge nur seiner Neigung.<br />

Beim hohen Himmel, bei Helas Behausung,<br />

Eher aufgehen in Asche will ich,<br />

[98] Als mich vermählen mit einem Manne,<br />

In <strong>de</strong>m noch ein Fünkchen von feiger Furcht ist,<br />

Und <strong>de</strong>n ich an Klugheit zu klein befän<strong>de</strong>.<br />

Doch in Liebe gelob’ ich mein Leben zu widmen<br />

Dem kühnen Kämpfer königlichen Stammes,<br />

Der im Wettkampf <strong>de</strong>r Waffen mich überwältigt<br />

Und mit Gaben <strong>de</strong>s Geistes so gut bedacht ist,<br />

Drei runische Rätsel richtig zu lösen.’<br />

Da sagte <strong>de</strong>r Mann im grauen Mantel:<br />

,So walte das Schicksal, <strong>de</strong>in Wille geschehe.<br />

Du bist nun gebun<strong>de</strong>n; doch ungeboren<br />

Ist noch <strong>de</strong>r Gatte nach <strong>de</strong>inem Begehren;<br />

So warte bewußtlos, bis er dich erweckt.’<br />

Da sah ich lo<strong>de</strong>rn die feurige Lohe,<br />

Da ward ich umwachsen in raschem Gewucher<br />

Von Jelängerjelieber in dieser Laube<br />

Und dichtem Geranke von dornigen Rosen.<br />

In meine Schläfe stach er <strong>de</strong>n Schlafdorn,<br />

Ich sank auf <strong>de</strong>n Sargstein, mir schwand die Besinnung.<br />

Du wecktest mich, Sigfrid, von Wodne gesen<strong>de</strong>t,<br />

Und dir gehör’ ich von ganzem Herzen.<br />

Nun mußt du mich lösen von meinem Gelüb<strong>de</strong>,<br />

Im Wettkampf <strong>de</strong>r Waffen mich überwin<strong>de</strong>n<br />

Und richtig lösen die runischen Rätsel.<br />

Wen Oda gelehrt hat, <strong>de</strong>m ist das ein Leichtes,<br />

53


Und von selber versteht sich <strong>de</strong>in Sieg in <strong>de</strong>r Stärke.<br />

Doch ein fürstliches Festspiel vor allem Volke<br />

Muß unser Kampf sein. Was keiner gekonnt hat<br />

[99] Von vielen Bewerbern, die vor dir das Wagnis<br />

Mit <strong>de</strong>m Leben bezahlt, muß dir gelingen.<br />

So laß uns <strong>de</strong>nn erstlich mein Erbland erobern,<br />

Das sich einsam erheben<strong>de</strong> Eiland Helgis<br />

Inmitten <strong>de</strong>s Meeres, wo fern <strong>de</strong>r Mündung<br />

Weser und Elbe ihr Wasser vereinen.<br />

Von dort aus, als Fürstin, vom Hochsitz <strong>de</strong>s Vaters,<br />

Versend’ ich mein Bildnis durch Sänger und Boten<br />

In die weiten Lan<strong>de</strong>, Bewerber zu locken,<br />

In<strong>de</strong>ssen du mit dienen<strong>de</strong>n Mannen<br />

Ein Reich dir erringst am Ran<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Festlands.<br />

Denn will sich <strong>de</strong>r Findling <strong>de</strong>r Fürstin vermählen,<br />

So erwerb’ er als Krieger sich erst eine Krone.<br />

Dann kommst du; wir kämpfen; Sigfrid, <strong>de</strong>r König,<br />

Wird Brunhilds Gatte; von <strong>de</strong>utschen Gauen,<br />

So viel uns gefällt, erobern wir ferner<br />

Und erzeugen in Züchten die Erben <strong>de</strong>r Zukunft,<br />

Das Maß <strong>de</strong>r Menschheit mit unserer Minne<br />

Steigernd und stärkend, daß <strong>de</strong>mutsvoll staunend<br />

Vor unseren Enkeln sich beuge <strong>de</strong>r Erdkreis.<br />

Sie sollen noch herrschen in wachsen<strong>de</strong>r Hoheit<br />

Und edler Güte, wann die Götter vergangen.’<br />

,Es sei, wie du sagst’, entgegnete Sigfrid;<br />

,Ich warb um dich, und mein Wort ist mir heilig.’<br />

Und er streifte <strong>de</strong>r Brundhild das Zeichen <strong>de</strong>r Brautschaft<br />

An ihren Finger: ein goldgeformtes,<br />

Blinken<strong>de</strong>s Schlänglein, <strong>de</strong>n Schweif im Schlun<strong>de</strong>,<br />

Die Augen gebil<strong>de</strong>t von e<strong>de</strong>ln Rubinen.<br />

Der Antwaranaut war’s, <strong>de</strong>r Unheilring Niblungs.“<br />

[100]<br />

„Horand, sei still und hemme <strong>de</strong>in Harfen!“<br />

Rief plötzlich Gunther, und alle gafften.<br />

„Dein <strong>Lied</strong> ist herrlich – doch laß mich horchen. –<br />

Lange schon lausch’ ich leisen Tönen, –<br />

Vernehmt ihr sie nicht? jetzt klingen sie näher, –<br />

Vom Weg her am Wasser – die Weise kenn ich:<br />

So mel<strong>de</strong>t sich Volker von fern auf <strong>de</strong>r Fie<strong>de</strong>l.<br />

Hört ihr ihn geigen? – Er bringt mir Gutes! –<br />

Geh, Sindolt, sag’ ihm, ich harrte seiner<br />

Hier auf <strong>de</strong>m Söller.“<br />

Ohne Säumen<br />

Gehorchte <strong>de</strong>r Herold und holte Volkern<br />

Die Stiege herauf. Be<strong>de</strong>ckt mit <strong>de</strong>m Staube<br />

Des weiten Wegs, <strong>de</strong>n er heut schon gewan<strong>de</strong>rt,<br />

Trat vor <strong>de</strong>n König <strong>de</strong>r treue Künstler.<br />

„Heil dir, o Herrscher, ich bringe dir Hoffnung!“<br />

Begann er die Re<strong>de</strong>. „Ich reiste geigend<br />

Bis an die Küste. Dort wur<strong>de</strong> mir Kun<strong>de</strong><br />

Von <strong>de</strong>r stolzen Brunhil<strong>de</strong> vom Stamm <strong>de</strong>s Helgi.<br />

Seltsame Mären im Mun<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Menschen<br />

54


Nennen sie täuschend <strong>de</strong>s Hel<strong>de</strong>n Tochter,<br />

Von <strong>de</strong>m schon im Dänenkrieg Hamundson Dankrat,<br />

Dessen Großsohn du bist, die Gruft gesehn hat,<br />

Auch als trauern<strong>de</strong>r Mage mit Met beträufelt<br />

Nach heiligem Brauch; <strong>de</strong>nn ein Bru<strong>de</strong>r war Helgi<br />

Von Hamunds Vater, <strong>de</strong>m feurigen Hel<strong>de</strong>n<br />

Sinfiötli, <strong>de</strong>m Sigmundsohne.<br />

Doch als ihr Erbe hat sie erobert<br />

Das sich einsam erheben<strong>de</strong> Eiland Helgis<br />

[101] Inmitten <strong>de</strong>s Meeres, wo fern <strong>de</strong>r Mündung<br />

Weser und Elbe ihr Wasser mischen.<br />

Da herrscht sie als Fürstin und hält manch Festspiel;<br />

Denn rings ist erschollen <strong>de</strong>r Ruf ihrer Schönheit<br />

Und Herzenshärte und lockt die Hel<strong>de</strong>n,<br />

Mit Wettspiel und Witz um sie zu werben.<br />

In Liebe gelobt sie ihr Leben zu widmen<br />

Dem, <strong>de</strong>r sie besiege in dreien Sachen:<br />

Erst muß er im Malwurf mit ihr sich messen<br />

Mit <strong>de</strong>r ehernen Scheibe; sodann mit <strong>de</strong>m Schafte,<br />

Der nicht geschärft ist, schießen nach <strong>de</strong>m Schil<strong>de</strong><br />

Und wehren ohne Wanken <strong>de</strong>s Wurfs Erwidrung,<br />

Dann behelmt und geharnischt in eisernen Hosen<br />

Drittens im Weitsprung <strong>de</strong>n Sieg gewinnen.<br />

Hat er das alles in Ehren been<strong>de</strong>t,<br />

Dann muß er drei Rätsel noch richtig lösen.<br />

Schon mancher Kühne versuchte das Kampfspiel,<br />

Doch kam noch keiner zu Probe <strong>de</strong>s Kopfes,<br />

Zum Rätselerraten. Die Mehrzahl reiste<br />

Noch vor <strong>de</strong>m Schildkampf mit Schimpf und Schan<strong>de</strong><br />

In die Heimat zurück, überholt um die Hälfte,<br />

Männer vom Mädchen, bereits im Malwurf;<br />

Den wenigen aber, die weiter geworfen,<br />

Zerschoß ihr Schaft so Schild als Schä<strong>de</strong>l.<br />

Das sagte mir ein Sänger im fernen Seegart<br />

Und zeigte mir als Zeugnis die Züge Brunhilds<br />

Untadlich gebil<strong>de</strong>t auf beinernem Täflein.<br />

Da leert’ ich meine Taschen und bot ihm zum Tausche,<br />

[102] Was ich mir ergeigt an gol<strong>de</strong>nen Gaben.<br />

So bring ich dir Brunhild. Erwäge die Brautfahrt!“<br />

So re<strong>de</strong>te Volker und reichte <strong>de</strong>m Fürsten<br />

Das beinerne Täflein, das Bildnis <strong>de</strong>r Tochter<br />

Des tapfern Helgi, <strong>de</strong>s Hundingtöters.<br />

[103]<br />

————<br />

55


Fünfter Gesang.<br />

——<br />

Alle schwiegen. Der König schwelgte,<br />

Das Bild betrachtend, in stolzen Träumen.<br />

Die glänzen<strong>de</strong>n Augen, die glühen<strong>de</strong>n Wangen<br />

Verrieten <strong>de</strong>n Rausch, <strong>de</strong>n die Reize Brunhilds<br />

Mit raschem Zauber in ihm entzün<strong>de</strong>t,<br />

Und während die Linke das Bildchen ans Licht hielt,<br />

Ballte die Rechte, beredt erhoben,<br />

Die Finger zur Faust, wie beim Fassen <strong>de</strong>r Scheibe,<br />

Als wag’ er bereits <strong>de</strong>n verwegenen Wettkampf.<br />

Dann verbarg er im Busen das beinerne Täflein,<br />

Atmete tief, erhob vom Tische<br />

Den schweren Pokal, ein kostbares Kunstwerk<br />

Von feinstem Gol<strong>de</strong>, und sage gütig:<br />

„Trinke dies Labsal, mein treuer Volker,<br />

Und wann du getrunken, dann trage <strong>de</strong>r Truchses<br />

Den Pokal zu Kunrad, unserem Kämmrer.<br />

Sein volles Maß an gol<strong>de</strong>nen Münzen<br />

Soll er dir schöpfen aus unserem Schatze.<br />

[104] Das Gold vergüte dir, was du ergeiget<br />

Und für mich <strong>de</strong>m Sänger in Seegart bezahlt hast,<br />

Und <strong>de</strong>r Becher selbst <strong>de</strong>ine gute Botschaft.“<br />

So sprach <strong>de</strong>r Herrscher und fand Gehorsam.<br />

Be<strong>de</strong>utend wehrt er <strong>de</strong>n Dankesworten,<br />

Die schon auf <strong>de</strong>r Lippe Volkers lagen,<br />

Mit winken<strong>de</strong>r Hand; dann wandt’ er sich zu Horand<br />

Mit <strong>de</strong>n Mienen eines Mannes, <strong>de</strong>r eifrig bemüht ist,<br />

Was er sinnt, zu bemänteln, sein Herz zu bemeistern<br />

Und auf an<strong>de</strong>re Dinge die Gedanken zu richten.<br />

„Dich brachte die Botschaft um unseren Beifall;<br />

Dein <strong>Lied</strong> war prachtvoll und preisenswürdig,<br />

Und reichlichen Goldlohn gäb’ ich dir gerne,<br />

Wüßt’ ich’s nicht schon, daß du hier dich weigerst<br />

Solcher Vergütung <strong>de</strong>r göttlichen Gabe.<br />

Ich verstehe zwar nicht, was in Worms dich so stolz macht,<br />

Nach<strong>de</strong>m ich vernommen, daß du sonst nirgend<br />

Den Ehrensold ausschlägst; doch muß ich wohl achten,<br />

Was dich bewegt, auch ohn’ es zu wissen.“<br />

„Erhabener Fürst,“ sprach Horand errötend,<br />

Doch auch seitwärts blinzend zum Sitze Hagens,<br />

„Mein Grund ist zwiefach. Mich zwingt kein Bedürfnis,<br />

Mit <strong>de</strong>r Zunge zu dreschen, – das zeig’ ich, wo’s not tut.<br />

Ein mäßiges Freigut in Frislands Marschen<br />

Genügt mir zum Leben. Die Lust mehr am <strong>Lied</strong>e<br />

Als <strong>de</strong>r Trieb <strong>de</strong>s Erwerbs bewog mich zum Wan<strong>de</strong>rn.<br />

Doch auch ich bin bemüht, mein Besitztum zu mehren<br />

An Weidland und Wiesen und Weizenäckern,<br />

An Rossen und Rin<strong>de</strong>rn. Nur <strong>de</strong>rlei Reichtum<br />

[105] Fruchtet Ehren im frisischen Lan<strong>de</strong>,<br />

56


Das <strong>de</strong>n Ernst noch nicht kennt <strong>de</strong>r heiteren Kunst.<br />

Man spottete mein, man hieß mich <strong>de</strong>n Spielmann,<br />

Den Lustigmacher <strong>de</strong>r lockeren Leute,<br />

Der das Landstreicherleben lieb gewonnen,<br />

Statt auf eigenem Erbe ehrbar zu sitzen.<br />

Daß man Horand, <strong>de</strong>n Harfner, an je<strong>de</strong>m Hofe<br />

Als erwünschten Gast zu würdigen wisse;<br />

Daß seinen <strong>Lied</strong>ern in allen Lan<strong>de</strong>n<br />

Der <strong>de</strong>utschen Zunge, erbaut und bezaubert,<br />

Die Besten lauschten und Beifall zollten;<br />

Daß <strong>de</strong>r Sängerberuf, <strong>de</strong>n er selbst sich geschaffen,<br />

Ein ehrenvoll hohes und heiliges Amt sei:<br />

Das glaubt man ihm erst, seit die glättesten Kühe,<br />

Die stattlichen Rosse <strong>de</strong>n Stall ihm füllen,<br />

Seit ersungenes Gold sein Gut verdoppelt.<br />

Und wer, o König, ist unbekümmert,<br />

Wie hoch o<strong>de</strong>r niedrig die Heimatgenossen<br />

Ihn selber schätzen und was ihn beschäftigt?<br />

Drum bin ich kein Tor, <strong>de</strong>r mit täppischen Re<strong>de</strong>n<br />

Sich täuschend bläht und blinken<strong>de</strong>n Tand schilt,<br />

Worin sich als Lohn mein <strong>Lied</strong> verleiblicht,<br />

Was gestempeltes Recht ist, für Stärkung zum Leben,<br />

Die mir an<strong>de</strong>re danken, zu meinem Bedarfe<br />

Ein gebühren<strong>de</strong>s Maß vom Marke er Er<strong>de</strong>,<br />

Von <strong>de</strong>r Arbeit aller mir anzueignen.<br />

Wenn ich <strong>de</strong>nnoch <strong>de</strong>s Goldlohns, o Gibichson Gunther,<br />

Erlauchter Wölsung, bei dir mich erwehre,<br />

So geschieht es aus Stolz, – das verstan<strong>de</strong>st du richtig, –<br />

[106] Doch wahrlich aus <strong>de</strong>m nur, <strong>de</strong>n du mit <strong>de</strong>n Deinen<br />

Im Gaste geweckt durch wertere Gabe.<br />

Du bietest <strong>de</strong>m Sänger das Seltenste, Beste,<br />

Was ihn stärkt und gewiß macht, die obersten Stufen<br />

Der Kunst ersteigend, unsterblich zu wer<strong>de</strong>n:<br />

Du zahlst mir im voraus ein Stück <strong>de</strong>r Zukunft,<br />

Die weit hinter <strong>de</strong>r Grenze von Horands Gruft liegt.<br />

Wenn ich mit Eifer aus innerstem Triebe<br />

Sorgsam bedacht bin, nach Satzung und Sitte<br />

Und Herkunft <strong>de</strong>s Hofes <strong>de</strong>n Herrscher zu ehren,<br />

Mich <strong>de</strong>mutsvoll beuge vor Dankrats Enkel<br />

Und heilige Scheu zu schul<strong>de</strong>n beweise<br />

Dem leben<strong>de</strong>n Wipfel <strong>de</strong>s Wölsungenstammes,<br />

Ehrst du <strong>de</strong>n Dichter vor allem dadurch,<br />

Daß du glaubst und <strong>de</strong>n Glauben beglückend <strong>de</strong>utlich<br />

Auch zeigst, o König: daß kommen<strong>de</strong> Zeiten<br />

Die Kluft einst verkleinern, die undurchklimmbar<br />

Den Harfner jetzt trennt vom erhabenen Thronherrn;<br />

Daß, wann längst <strong>de</strong>in Palast hier zum Rebengelän<strong>de</strong><br />

Seine Trümmerstatt hergab, um Trauben zu tragen,<br />

Das Geschlecht, das sie keltert, <strong>de</strong>iner, o König,<br />

Nur dann noch ge<strong>de</strong>nkt, wann die Worte <strong>de</strong>s Dichters<br />

Dir verleihen <strong>de</strong>s <strong>Lied</strong>es ewiges Leben,<br />

Und so nur ge<strong>de</strong>nkt, wie, erzürnt o<strong>de</strong>r dankbar,<br />

Der Bar<strong>de</strong> <strong>de</strong>in Bild lebendig erhalten.<br />

57


Das weißt du, o Herr, und würdigst in Horand<br />

Mit zartester Huld <strong>de</strong>n Zukunftbeherrscher.<br />

Drum ziemt es mir nicht, auch noch Zahlung zu nehmen,<br />

Wo die Schuld schon getilgt ist; <strong>de</strong>nn gleichauf tauschten<br />

[107] Aus ihren traumweit getrennten Reichen<br />

Den feinsten Besitz <strong>de</strong>r Fürst und <strong>de</strong>r Sänger.“<br />

So re<strong>de</strong>te Horand und hoffte heimlich,<br />

Daß die stolze Antwort verstan<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong><br />

Auch in <strong>de</strong>r Kammer <strong>de</strong>r Königstochter.<br />

„Wohl dir, Horand,“ erwi<strong>de</strong>rte Gunther,<br />

„Daß dich die Götter mit Gut gesegnet;<br />

Denn süßen Gesang gibt nur sichere Muße.<br />

Wem die stechen<strong>de</strong> Fliege die Stirn umflattert<br />

Mit beständigem Summen, die schwarze Sorge,<br />

Der verlernt’s, zu erlauschen die leise Stimme<br />

Des himmlischen Hauches, die Heiligung eingibt<br />

Und allein euch lehrt, im ergötzlichen <strong>Lied</strong>e<br />

Die stolzen Gestalten <strong>de</strong>r stärksten Hel<strong>de</strong>n<br />

Auch erbaulich zu bil<strong>de</strong>n zu spornen<strong>de</strong>m Beispiel<br />

Und zu malen als Muster <strong>de</strong>n Menschengeschlechtern.<br />

Vergönne mir’s <strong>de</strong>nnoch, ein gol<strong>de</strong>nes Denkmal<br />

Der heutigen Stun<strong>de</strong> zu stiften, Horand.<br />

Das zeige <strong>de</strong>n Frisen als Freu<strong>de</strong>sgabe<br />

Gibichson Gunthers, burgundischen Königs.“<br />

Er trat zu Horand, nahm sich vom Halse<br />

Die gol<strong>de</strong>ne Kette mit Gibichs Bildnis,<br />

Hakte dies ab und schmückte <strong>de</strong>n Harfner.<br />

„Mein Bild sollst du tragen an diesem Ban<strong>de</strong>;<br />

Wir fin<strong>de</strong>n im Schatz wohl noch eines in Vorrat. –<br />

Nein, erwidre jetzt nichts! Doch weißt du wohl, Horand“ –<br />

– So schnitt er gewandt mit schneller Frage<br />

Dem Gerührten das Wort ab, in<strong>de</strong>m er zurücktrat<br />

Zu seinem Stuhle, – „was unwi<strong>de</strong>rstehlich<br />

[108] Dein <strong>Lied</strong> mich verlockt hat, fortan zu verlangen?<br />

Den Sigfrid zu sehn. Ich höre sagen,<br />

Er sei noch höher ein halbe Hand breit<br />

Als ich, <strong>de</strong>r Längste in meinen Lan<strong>de</strong>n.<br />

Auch möcht’ ich mich messen mit ihm im Malwurf,<br />

Im Schießen <strong>de</strong>s Schaftes. Es ist nur scha<strong>de</strong>,<br />

Daß <strong>de</strong>m vaterlosen Findling mit mir, <strong>de</strong>m Fürsten,<br />

Das Wettspiel <strong>de</strong>r Waffen Gewohnheit und Sitte<br />

Des Hofes verbeut; sonst schickt’ ich wohl Boten,<br />

Ihn aufzusuchen und ohne Säumen<br />

Einzula<strong>de</strong>n in unsere Lan<strong>de</strong>.“<br />

So sprach <strong>de</strong>r Herrscher. Brunhil<strong>de</strong>ns gedacht er<br />

Und hoffte schon heimlich auf Rat und Hilfe<br />

Zum ersehnten Besitz vom starken Sigfrid.<br />

„O wolle nicht wünschen,“ sprach Hagen dawi<strong>de</strong>r,<br />

„Den hünischen Hel<strong>de</strong>n bei Hofe zu sehen.<br />

Ich fürchte nach vielem, was ich erfahren<br />

Von Sigfrids Gesinnung, dies Pflegesöhnchen<br />

Des buckligen Schmie<strong>de</strong>s beugt sich nicht schmiegsam<br />

Der geheiligten Hoheit <strong>de</strong>s Län<strong>de</strong>rbeherrschers;<br />

58


Denn solch einem Glückspilz pflegt unglaublich<br />

Von schwin<strong>de</strong>ln<strong>de</strong>r Keckheit <strong>de</strong>r Kamm zu schwellen.“<br />

So sprach <strong>de</strong>r Tronjer und griff nach <strong>de</strong>m Trinkhorn;<br />

Doch halbwegs zur Lippe hemmte <strong>de</strong>n Labtrunk<br />

Die heben<strong>de</strong> Hand: er mußte horchen.<br />

Es drang von draußen ein fernes Dröhnen,<br />

Erst leise, dann lauter ins Ohr <strong>de</strong>s Lauschers.<br />

Jetzt hörten es alle, erhoben sich eiligs<br />

Von ihren Sitzen und sahen vom Söller,<br />

[109] Aus <strong>de</strong>m nördlichen Bogen sich neugierig beugend,<br />

Hinaus in die Landschaft, woher <strong>de</strong>r Lärm kam.<br />

Die hinteren Höhen <strong>de</strong>r Ufer umhüllte<br />

Eine steigen<strong>de</strong> Wolke von wirbeln<strong>de</strong>m Staub.<br />

Schon liefen die Leute lärmend zusammen,<br />

Wo hinunter zum Wasser <strong>de</strong>r Weg sich wen<strong>de</strong>t;<br />

Schon hörte man Hufschlag und Harnischgerassel<br />

Und erblickte das Blinken von blanken Waffen.<br />

Herauf am Rhein kam ein Fähnlein Reiter,<br />

Von <strong>de</strong>r Stirn bis zum Stegreif im Stahl geklei<strong>de</strong>t,<br />

An <strong>de</strong>r linken Schulter leuchten<strong>de</strong> Schil<strong>de</strong><br />

Und Barten wie Beile an eschenen Bäumen<br />

Im Riemen am Fuß emporgerichtet.<br />

Aller Augen hingen am einen,<br />

Der als Vor<strong>de</strong>rster ritt und die an<strong>de</strong>ren führte.<br />

Die breite Brust in vergol<strong>de</strong>ter Brünne,<br />

Die Höhe <strong>de</strong>s Hauptes im strahlen<strong>de</strong>n Helme,<br />

Von welchem <strong>de</strong>r Schirm zum Schutze <strong>de</strong>s Nackens<br />

Die Roßhaarbüsche <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren Reiter<br />

Noch überragte; das Schwert <strong>de</strong>s Recken<br />

Mit klafterlanger und handbreiter Klinge,<br />

Doch wie fe<strong>de</strong>rleicht folgend <strong>de</strong>m Spiel seiner Finger,<br />

Um <strong>de</strong>n Weg zu weisen, Befehle zu winken:<br />

Das alles verriet, daß <strong>de</strong>r hohe Reiter<br />

Des riesigen Rappen erstaunlich stark sei.<br />

Dicht hinter <strong>de</strong>m Hünen auf haarigem Gaule<br />

Saß ein Geselle gar seltsamen Aussehns.<br />

Der hatte hinten einen mächtigen Höcker:<br />

Die Brust war so breit und selbst noch breiter<br />

[110] Als die von Männern gemeinen Maßes,<br />

Doch die Länge vom Scheitel bis an die Schuhe<br />

War zwerghaft verkürzt und aufs Zweifache höchstens<br />

Des Abstands zu schätzen von Schulter zu Schulter.<br />

Er trug einen Hut von <strong>de</strong>r Haut eines Igels<br />

Mit starren<strong>de</strong>n Stacheln; es stak auf <strong>de</strong>r Spitze<br />

Als zieren<strong>de</strong>r Busch <strong>de</strong>r Bart eines Bockes;<br />

Bis auf die Brust fiel, ebenso brandrot<br />

Als die Wolle <strong>de</strong>s Kopfes, sein buschiger Kinnbart.<br />

Am Schildplatz zur Linken hing eine Laute;<br />

Die Rechte hielt einen riesigen Hammer<br />

Von glänzen<strong>de</strong>m Stahl an kurzem Stiele.<br />

„Erwähne <strong>de</strong>n Wolf, und du wirst ihn gewahren!“<br />

Sprach finster Hagen.<br />

„Den herrlichen Hünen“,<br />

59


Rief jubelnd Gisler, <strong>de</strong>r blühen<strong>de</strong> Jüngling,<br />

„Wer kann ihn verkennen, mein König und Bru<strong>de</strong>r,<br />

Auch wenn er ihn selber noch niemals gesehn hat!<br />

O sieh, wie die Glut <strong>de</strong>r versinken<strong>de</strong>n Sonne<br />

Erfüllt mit Feuer <strong>de</strong>n Riesenkarfunkel,<br />

Im Schil<strong>de</strong> befestigt und mehr <strong>de</strong>nn faustgroß!<br />

Das ist sicher <strong>de</strong>r Stein, <strong>de</strong>r einst gestan<strong>de</strong>n<br />

In Schilbungs Krone, und <strong>de</strong>ssen Schimmer<br />

Den Neid erweckt hat <strong>de</strong>s Königs Niblung.<br />

Und siehst du nicht hornig am Helme <strong>de</strong>s Hünen<br />

Befestigt als Stirnblatt voll starren<strong>de</strong>r Stacheln<br />

Die Scheitelhautschuppen von jenem Scheusal,<br />

Das wir schil<strong>de</strong>rn gehört von Horand, <strong>de</strong>m Harfner?“<br />

„Ja, Gisler hat recht!“ rief Gibichson Gernot;<br />

[111] „Wer schwänge so leicht ein Schwert, das so schwer ist?<br />

Wer darf sich erdreisten, das Bild <strong>de</strong>s Drachen<br />

Als Zeichen und Zier<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Schil<strong>de</strong>s zu zeigen?<br />

Sigfrid allein, <strong>de</strong>r Lintwurmerleger.“<br />

„Er und kein an<strong>de</strong>rer ist es!“ rief Hagen<br />

Voll Wißmut und laut; dann murmelt’ er leise:<br />

„Du verlangtest nach ihm – ihn los zu wer<strong>de</strong>n<br />

Ist nun die Sorge.“<br />

„Wer sagt uns <strong>de</strong>n Namen<br />

Des seltsamen Krüppels, <strong>de</strong>s roten Krauskopfs<br />

Auf <strong>de</strong>m häßlichen Gaul?“ frug König Gunther.<br />

„Ich, gnädiger Herr,“ sprach Horand, <strong>de</strong>r Harfner;<br />

Unzweifelhaft macht mich <strong>de</strong>s Zwerges Aussehn.<br />

Oft hört’ ich erzählen von Sigfrids Erzieher,<br />

Und <strong>de</strong>r Mund <strong>de</strong>r Menschen malt genau so<br />

Der Meister <strong>de</strong>r Schmie<strong>de</strong>, <strong>de</strong>n klugen Mime,<br />

Der, Harnische hämmernd und Schwerter schweißend,<br />

Auch als Lautner berühmt ist und <strong>Lied</strong>ersänger.“<br />

Nach kurzem Sinnen sagte <strong>de</strong>r König:<br />

„Sonst biet ich <strong>de</strong>n Willkomm durch einen Verwandten<br />

Nur e<strong>de</strong>ln Fürsten; fahren<strong>de</strong>m Volke<br />

Send’ ich <strong>de</strong>n Herold, <strong>de</strong>n Marschalk höchstens;<br />

Doch <strong>de</strong>n Lintwurmerleger beliebt’s mir zu ehren,<br />

Wiewohl ich erfahren, er sei nur ein Findling.<br />

Ich will ihn begrüßen im großen Saale<br />

Von Gibichs Hochsitz. So geh <strong>de</strong>nn, Hagen,<br />

Ihn einzuholen mit höflichem Wort.“<br />

Da winkte Hagen, bevor er sich wandte,<br />

Zum Gaste zu gehn, seinem Neffen Gernot,<br />

[112] Und während <strong>de</strong>s Weges mit leisen Worten<br />

Macht’ er ihm Furcht vor ernsten Gefahren<br />

Und lehrt’ ihn ein Mittel, vielleicht sie zu mei<strong>de</strong>n.<br />

Nur die Schwester <strong>de</strong>s Königs in ihrer Kammer<br />

War ohne Kun<strong>de</strong> vom Kommen Sigfrids.<br />

Lange noch stickend mit emsigen Stichen,<br />

Bis das Zwielicht sie zwang, <strong>de</strong>n Zwirn voll Perlen<br />

Und die flinke Na<strong>de</strong>l nie<strong>de</strong>rzulegen,<br />

War sie dann sinnend, erfüllt von Sigfrid,<br />

Zurück gesunken in ihren Sessel,<br />

60


Und als eben am Rhein <strong>de</strong>r Berühmte heranzog,<br />

Sanft beschlichen von süßem Schlummer.<br />

Im Traume betraf nun die erste Betrübnis<br />

Die minnige Maid. Sie war mit <strong>de</strong>n Männern<br />

Geritten, <strong>de</strong>n Reiher im Röhricht zu beizen,<br />

Auf beschuhter Faust einen folgsamen Falken,<br />

Den sie selber gezähmt und sorgsam erzogen,<br />

Bis er gänzlich entwöhnt war <strong>de</strong>r vorigen Wildheit.<br />

Den ließ sie steigen. Da stießen plötzlich<br />

Aus <strong>de</strong>n Wolken herab zween riesige Adler,<br />

Erfaßten <strong>de</strong>n Falken mit scharfen Fängen,<br />

Daß die Fe<strong>de</strong>rn stäubten, und zerfetzten ihn in Stücke.<br />

Da flossen ihre Tränen, als trüge sie Trauer<br />

Um ein Weh, wie die Welt kein größeres wisse.<br />

Darauf ging sie zu Guta, begehrend, die Mutter,<br />

Die Zeichenkundige, Zaubergewandte,<br />

Solle ihr sagen <strong>de</strong>n Sinn <strong>de</strong>s Gesichtes.<br />

Und so sprach die Mutter zur minnigen Tochter:<br />

„Dein Falk, o Krimhild, ist ein fahren<strong>de</strong>r Kriegsheld;<br />

[113] Du wirst ihn bezaubern, du wirst ihn zähmen.<br />

Ihr haltet Hochzeit. Doch ihn behüten,<br />

Bitte seine Gönner unter <strong>de</strong>n Göttern;<br />

Denn ihm wob einen Fa<strong>de</strong>n von blutroter Farbe<br />

Die Norne hinein ins benei<strong>de</strong>te Loos.“<br />

Und Guta erwi<strong>de</strong>rnd sprach Krimhild dagegen:<br />

„Ach sprich mir nicht, Mutter, von Männern und Minne;<br />

Mein eigen sein immer will ich bis ans En<strong>de</strong>.<br />

Wann das Mädchen erst Weib ist, dann welken die Wangen,<br />

Und müßt’ ich schei<strong>de</strong>n von meiner Schönheit, –<br />

Mir wäre mein Leben verlei<strong>de</strong>t und leer.“<br />

„Das meinte schon manche,“ versetzte die Mutter;<br />

„Nicht so rasch verred’ es, du nimmst schon noch Rat an;<br />

Denn froh <strong>de</strong>r Welt macht das Weib in Wahrheit<br />

Nur Mannes Minne, das wirst du schon merken.“<br />

Doch Krimhild versetzte nach kurzem Sinnen:<br />

„Ach, Mutter, ich sehe, daß sie selten beseligt:<br />

Zuletzt sind Lei<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Lohn <strong>de</strong>r Liebe.“<br />

So sprachen sie vertraulich von <strong>de</strong>r Deutung <strong>de</strong>s Traumes,<br />

Da tönten Tritte draußen von <strong>de</strong>r Treppe;<br />

Herein schritt Gernot und sagte zu Guta:<br />

„Hohe Frau Mutter, ich soll dir mel<strong>de</strong>n,<br />

Daß ein reicher Fremdling hierher geritten<br />

Mit vielem Gefolge, wie mächtige Fürsten.<br />

Es harrt im Hauptsaal auf Gibichs Hochsitz<br />

Dein Sohn, <strong>de</strong>r Herrscher, daß du mit Krimhil<strong>de</strong>n<br />

Und <strong>de</strong>n dienen<strong>de</strong>n Frauen <strong>de</strong>n Fremdling begrüßest<br />

Und <strong>de</strong>n Becher mit Bestwein ihm huldvoll bietest.“<br />

So sprach er vernehmlich: darauf neigt’ er sich näher<br />

[114] Und flüsterte leise zur lauschen<strong>de</strong>n Mutter:<br />

„Schmücke die Schwester mit schönem Geschmei<strong>de</strong><br />

Und bewege sie klüglich, ein Kleid zu wählen<br />

Von blen<strong>de</strong>n<strong>de</strong>r Pracht – das blaue, meint Hagen,<br />

Das mit Gold gestickt ist und leuchten<strong>de</strong>n Steinen,<br />

61


In welchem sie neulich die Nanna spielte<br />

Am Bal<strong>de</strong>rstage, das wäre das beste;<br />

Er fürchte Gefahr, sie müsse gefallen.“ –<br />

Schon harrte <strong>de</strong>s Gastes <strong>de</strong>r König Gunther<br />

Im weiten Prunksaal, auf prachtvollem Hochsitz,<br />

Den ein Himmel umschirmte von Scharlachsammet,<br />

Reichlich gestickt mit gol<strong>de</strong>nen Sternen.<br />

Den hielten als Stän<strong>de</strong>r zwei Göttergestalten,<br />

Vom kundigen Künstler gekerbt aus Eiche.<br />

Der eine war Wodan. Die bei<strong>de</strong>n Wölfe<br />

Kauerten zu Füßen <strong>de</strong>m König <strong>de</strong>r Götter.<br />

Auf <strong>de</strong>n Achseln saßen ihm seine Gesandten,<br />

Die bei<strong>de</strong>n Raben, die, das Rund <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong><br />

Täglich umreisend, ihm alles berichten.<br />

Der andre war Donar, <strong>de</strong>r Dysenver<strong>de</strong>rber;<br />

Er hielt in <strong>de</strong>r Hand <strong>de</strong>n furchtbaren Hammer,<br />

Der die Felsen zermalmt und die Riesen ermor<strong>de</strong>t,<br />

Doch unter <strong>de</strong>m Arme von vollen Ähren<br />

Eine gol<strong>de</strong>ne Garbe; neben <strong>de</strong>m Gotte<br />

Waren zu sehen Sicheln und Sensen,<br />

Rechen und Flegel, Karst und Pflugschar.<br />

Mit reichen Geweben waren die Wän<strong>de</strong><br />

Des Saales verhangen. Darauf sah man Hel<strong>de</strong>n<br />

In wüten<strong>de</strong>m Kampf; da küßten Walküren,<br />

[115] Reitend auf raschen Wolkenrossen,<br />

Der Tapfersten Haupt zur Weihe <strong>de</strong>s To<strong>de</strong>s;<br />

Da sah man in Walhall an Wodans Tischen<br />

Einherische Hel<strong>de</strong>n bei heitern Gesprächen<br />

Als Gäste <strong>de</strong>s Gottes von Gol<strong>de</strong> schmausen;<br />

Da sah man <strong>de</strong>n Donar, dürstend nach Rache,<br />

In Freyas Frauenkleid, freudig ergreifen<br />

Den vermißten Malmer, <strong>de</strong>n Drym zu mor<strong>de</strong>n;<br />

Da harrte <strong>de</strong>s Frô zum Frühlingsfeste<br />

In <strong>de</strong>r Lin<strong>de</strong>nlaube die liebliche Gerda;<br />

Da lo<strong>de</strong>rte die Lohe um Bal<strong>de</strong>rs Leichnam,<br />

Und es neigte <strong>de</strong>n Nacken die trauern<strong>de</strong> Nanna<br />

In die Flammen hinein und schien zu zerflattern,<br />

Der vom Glutwind entblätterten Blume vergleichbar.<br />

Neben <strong>de</strong>m Hochsitz, noch unter <strong>de</strong>m Himmel,<br />

Doch auf tiefer gestellten, vergol<strong>de</strong>ten Stühlen<br />

Saßen Gernot und Gisler, die Brü<strong>de</strong>r Gunthers;<br />

Dann die Vettern <strong>de</strong>s Fürsten, die Bannerführer<br />

Und die Recken, gereiht nach ihrem Range<br />

Auf Sitzen, entlang <strong>de</strong>s Saales Wän<strong>de</strong>n,<br />

Vor sich die Metbank und harrend <strong>de</strong>s Mahls.<br />

Geöffnet endlich ward nun <strong>de</strong>r Eingang;<br />

Sporen klirrten, dröhnend erklangen<br />

Tritte, so wuchtig, als wankten die Wän<strong>de</strong>.<br />

Hagen erschien, <strong>de</strong>n Hel<strong>de</strong>n führend;<br />

Dem folgten Mime und Sigfrids Mannen.<br />

Ein staunen<strong>de</strong>r Fremdling bleibt stehn an <strong>de</strong>r Schwelle<br />

Und schaut, überrascht von so schimmern<strong>de</strong>m Reichtum,<br />

Verlegen umher und harrt auf Erlaubnis,<br />

62


[116] Näher zu treten <strong>de</strong>m strahlen<strong>de</strong>n Thron.<br />

Doch ohne Verweilen und nichts bewun<strong>de</strong>rnd,<br />

Das Gesicht noch be<strong>de</strong>ckt von <strong>de</strong>r Senke <strong>de</strong>s Helmes,<br />

Durchwan<strong>de</strong>lte Sigfrid voll Selbstbewußtsein<br />

Und raschen Schrittes die Reihen <strong>de</strong>r Männer,<br />

Trat vor <strong>de</strong>n Thron in trotziger Haltung,<br />

Verneigte nur mäßig <strong>de</strong>n stolzen Nacken<br />

Vor König Gunther und wollte beginnen, –<br />

Als <strong>de</strong>r Fürst ihm zuvorkam. Denn daß ein Findling<br />

Wie zu Hause tat am Hofe <strong>de</strong>s Herrschers,<br />

Ja, nicht einen Blick auf <strong>de</strong>n blen<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Reichtum<br />

Des berühmtesten Saales zu richten wert hielt,<br />

Das schwellte die Galle <strong>de</strong>m Herrn <strong>de</strong>r Burgun<strong>de</strong>n.<br />

„Von wannen kommst du?“ fragte <strong>de</strong>r König;<br />

„In welcher Sache? Von wem gesen<strong>de</strong>t?<br />

Mit welchem Namen soll ich dich nennen?<br />

Als wessen Sohn in unserem Saale,<br />

An unserem Hofe willkommen heißen?“<br />

So sprach <strong>de</strong>r Herrscher in grollen<strong>de</strong>m Hochmut<br />

Mit starker Stimme, mit stolzem Tone<br />

Und gemächlich sitzend. – Doch vom gol<strong>de</strong>nen Sessel<br />

Sprang er nun auf, in sprachlosem Staunen,<br />

Da Sigfrid die Senke <strong>de</strong>s Helms vom Gesichte<br />

Nach oben schob und ins Antlitz ihm schaute;<br />

Denn blen<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Blitze waren die Blicke<br />

Der blauen Augen; entflammt vom Unmut<br />

Erschien ihr Leuchten so wun<strong>de</strong>rbar lo<strong>de</strong>rnd,<br />

So seelenversengend, als habe die Sonne<br />

Von sich einen Teil in Sigfrid versenkt.<br />

[117]<br />

Und stolz und sicher sagte nun Sigfrid:<br />

„Meinen Namen zu nennen ist nicht vonnöten;<br />

Denn es weiß ihn die Welt in allen Weiten.<br />

Auch forsche nicht ferner nach meinem Vater;<br />

Du tust es aus Torheit o<strong>de</strong>r aus Tücke,<br />

Um <strong>de</strong>m Findling <strong>de</strong>n Fürsten zu fühlen zu geben.<br />

Wenn du, <strong>de</strong>r Erbe von e<strong>de</strong>ln Ahnen,<br />

Stolz auf <strong>de</strong>m Stamm bist, <strong>de</strong>m du entstiegen,<br />

So muß es <strong>de</strong>r meine weit mehr auf mich sein.<br />

Und könntest du, König, <strong>de</strong>m Kin<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Glückes<br />

Nicht, ohne zu schau<strong>de</strong>rn, die Hän<strong>de</strong> schütteln,<br />

So sucht’ auch Sigfrid in <strong>de</strong>inem Saale<br />

So wenig <strong>de</strong>inen Willkomm als <strong>de</strong>ine Bewirtung.<br />

In eigener Sache, gesen<strong>de</strong>t von niemand,<br />

Ritt ich zum Rhein und in <strong>de</strong>ine Reiche.<br />

Ich habe gehört, daß Hel<strong>de</strong>n dir dienen<br />

Von tapferer Stärke und standhaft bis zum To<strong>de</strong>.<br />

Und es treibt mich <strong>de</strong>r Mut, mich mit ihnen zu messen.<br />

Denn aufzusuchen und nie<strong>de</strong>rzusiegen,<br />

Was <strong>de</strong>n Feigling fern hält als gar zu gefährlich,<br />

Ist die Lust <strong>de</strong>s Lebens, nach <strong>de</strong>r ich lechze.<br />

Auch sollst du ja selbst, wie die Leute sagen,<br />

Ein feh<strong>de</strong>gewaltiger, tapferer Fürst sein.<br />

63


Doch <strong>de</strong>in Saal ist zu prunkvoll; vermutlich prahlt nur<br />

Die dich preisen<strong>de</strong> Sage; so will ich sie prüfen:<br />

Dein Königreich gefällt mir; ich fordre zum Kampfe<br />

Dich heraus um dies Reich. Sei <strong>de</strong>nn morgen gerüstet,<br />

Zu bestehen <strong>de</strong>n Sigfrid mit siegen<strong>de</strong>r Stärke,<br />

O<strong>de</strong>r steige herab vom gol<strong>de</strong>nen Stuhl.“<br />

[118]<br />

So re<strong>de</strong>te Sigfrid, in<strong>de</strong>m er zurücktrat<br />

Zu seinen Gesellen. Alles im Saale<br />

War stumm und starr vor bangem Erstaunen<br />

Ob solcher Kühnheit, <strong>de</strong>n mächtigen König<br />

Inmitten seiner Mannen um seine Marken<br />

Zu rascher Feh<strong>de</strong> herauszufor<strong>de</strong>rn.<br />

Erblaßt war <strong>de</strong>r König. Doch Hagen blinzte<br />

Mit begegnen<strong>de</strong>m Blick <strong>de</strong>m Gibichson Gernot.<br />

Der verstand ihn sogleich, erhob sich vom Stuhle<br />

Und sprach, so gewandt las wür<strong>de</strong>voll ruhig:<br />

„Berühmter Sigfrid, <strong>de</strong>in kriegerisch Sehnen<br />

Wären wir imstan<strong>de</strong> sofort zu stillen;<br />

Denn auch wir sind gewiegt im Werke <strong>de</strong>r Waffen.<br />

Doch hier bei Hofe bleibt man gehorsam<br />

Der sanfteren Satzung gastlicher Sitte<br />

Auch gegen <strong>de</strong>n Feind, <strong>de</strong>r uns for<strong>de</strong>rt zur Feh<strong>de</strong>.<br />

Wir bieten <strong>de</strong>n Becher sogar <strong>de</strong>m Boten,<br />

Der uns Orlog ansagt von seinem Erbherrn,<br />

Und er mag unser Mahl an <strong>de</strong>r Metbank teilen.<br />

Du, hochgemuter Held, betratest die Hofburg<br />

Als <strong>de</strong>in eigener Herold an unseren Herrscher;<br />

Dir dünkte für diesen ein Dienstmann zu niedrig.<br />

So möge beruhn <strong>de</strong>ine raue Re<strong>de</strong>;<br />

Doch die würdige Wahl <strong>de</strong>ines Boten erwi<strong>de</strong>rn<br />

Wir gern mit <strong>de</strong>s Gastrechts oberster Gunst.<br />

Die weise Guta, die Witwe Gibichs<br />

Und Mutter <strong>de</strong>s Königs, hat Kun<strong>de</strong> bekommen<br />

Von Sigfrids Besuch bei ihrem Sohne.<br />

Zu bieten ge<strong>de</strong>nkt sie <strong>de</strong>n Becher zum Willkomm<br />

[119] So hehrem Hel<strong>de</strong>n mit eigenen Hän<strong>de</strong>n,<br />

Und – wenig wert ist <strong>de</strong>r wackerste Streiter,<br />

Der nicht Achtung erwiese <strong>de</strong>r Wür<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Weibes.<br />

Schon hör’ ich sie kommen aus ihren Kammern; –<br />

So wolle <strong>de</strong>nn zeigen, du wissest, was zieme<br />

Im Reiche <strong>de</strong>s Frie<strong>de</strong>ns vor edlen Frauen;<br />

Dann mögen wir morgen auch messen die Schwerter.“<br />

Die innere Pforte ward eben geöffnet.<br />

Im reichsten Festschmuck, mit vielem Gefolge<br />

Von dienen<strong>de</strong>n Mädchen erschien die Mutter<br />

Gibichson Gunthers, die stattliche Guta,<br />

Und führt’ an <strong>de</strong>r Rechten die reizen<strong>de</strong> Krimhild.<br />

Der war mit Rubinen das Goldhaar durchbun<strong>de</strong>n;<br />

Diamanten schmückten die Mitte <strong>de</strong>s Mie<strong>de</strong>rs;<br />

Das blaue Gewand auch umblitzten Juwele<br />

Von viererlei Farben und funkeln<strong>de</strong>m Feuer.<br />

Wie am Himmel die Sterne, so strahlten die Steine,<br />

64


Daß <strong>de</strong>r Blick wie geblen<strong>de</strong>t sich lieber zur Blüte<br />

Der hol<strong>de</strong>n Erscheinung erhob, um schauend<br />

Zu ruhn auf <strong>de</strong>n reizen<strong>de</strong>n, rosigen Wangen,<br />

Dem e<strong>de</strong>ln Antlitz, im blauen Auge.<br />

Die minnige Maid erschien <strong>de</strong>n Männern,<br />

Wie wann aus Wolken <strong>de</strong>r Wächter <strong>de</strong>s Himmels,<br />

Der mil<strong>de</strong> Mond, sich leuchtend entmäntelt;<br />

Und wie sich die Sterne schüchtern verstecken<br />

Und fast verglimmen vor seinem Glanze,<br />

So wur<strong>de</strong> die Mutter, so wur<strong>de</strong>n die Mädchen<br />

Des Dienstgefolges von ihr verdunkelt.<br />

Jetzt nahte <strong>de</strong>r Mundschenk <strong>de</strong>r Königin Mutter,<br />

[120] Ihr auf silbernem Trägel das gol<strong>de</strong>ne Trinkhorn,<br />

Gefüllt mit funkeln<strong>de</strong>m, feurigem Weine<br />

Aus rheinischen Reben, knieend zu reichen.<br />

Sie nahm es und nippte, ihr Antlitz neigend,<br />

Bewegte die Lippen unmerklich und lautlos<br />

Und sprach sich ein Sprüchlein. Da schien zu spru<strong>de</strong>ln<br />

Und wallen <strong>de</strong>r Wein; <strong>de</strong>nn die Würze Freyas<br />

Fiel ins Gefäß von ihren Fingern.<br />

Doch wahrgenommen ward es von niemand<br />

Außer vom König; <strong>de</strong>r kannt’ ihre Künste.<br />

Dann reichte sie <strong>de</strong>n Teller winkend ihrer Tochter.<br />

Zuvör<strong>de</strong>rst zum Hochsitz trug ihn Krimhil<strong>de</strong>;<br />

Verneigte sich, nippte, die Lippen benetzend,<br />

Bot <strong>de</strong>n Becher <strong>de</strong>m Volksgebieter<br />

Und rief, ihn erhebend: „Dein Heil, o Herrscher!<br />

Zum Willkomm weihe <strong>de</strong>n Wein <strong>de</strong>in Vortrunk;<br />

Dann will ich ihn tragen in treuer Erfüllung<br />

Des uralten Brauchs zum Gast meines Bru<strong>de</strong>rs.“<br />

Der Thronherr tat nur, als ob er tränke;<br />

Dann reicht er <strong>de</strong>n Becher zurück und sagte:<br />

„Die Gunst <strong>de</strong>r Götter <strong>de</strong>m e<strong>de</strong>ln Gaste,<br />

So weit seine Wünsche nicht unsere Wege<br />

Zur Kränkung <strong>de</strong>r Krone feindlich kreuzen.“<br />

Durch die Reihen <strong>de</strong>r Männer schritt nun errötend<br />

Hin zum Hel<strong>de</strong>n die schöne Krimhil<strong>de</strong>.<br />

Sie scheute sich schüchtern, ihn anzuschauen<br />

Und sagte sanft mit gesenkten Li<strong>de</strong>rn:<br />

„So sei <strong>de</strong>nn gesegnet, o Sigfrid, <strong>de</strong>in Kommen<br />

Nach <strong>de</strong>r Ewigen Absicht für dich und uns alle.“<br />

[121]<br />

Dem Wan<strong>de</strong>rsmann ähnlich, <strong>de</strong>r träumend gewähnt hat,<br />

Er schlafe daheim, und, in frem<strong>de</strong>r Behausung<br />

Plötzlich erwachend, die wirklichen Wän<strong>de</strong><br />

Wie ein Trugbild betrachtet, so schien halb im Traume<br />

Sigfrid zu suchen nach voller Besinnung.<br />

Er stand eine zeitlang verstummt vor Entzücken<br />

Und gebannt wie ein Bildnis; dann nahm er <strong>de</strong>n Becher<br />

Mit hastigem Griff und leert’ ihn bis zum Grun<strong>de</strong>,<br />

Doch langsamen Zuges, absichtlich zögernd<br />

Bis zum letzten Tropfen; <strong>de</strong>nn während <strong>de</strong>s Trinkens<br />

Ließ er die Augen auf ihrem Antlitz<br />

65


Regungslos ruhn. Herüber vom Ran<strong>de</strong><br />

Des goldnen Gefäßes lugten sie forschend<br />

Und mit lo<strong>de</strong>rn<strong>de</strong>m Leuchten auf Krimhilds Liebreiz.<br />

Ein wenig wagte Krimhil<strong>de</strong> die Wimpern<br />

In die Höhe zu heben zum Antlitz <strong>de</strong>s Hel<strong>de</strong>n.<br />

Da fuhr ihr das Feuer <strong>de</strong>r forschen<strong>de</strong>n Augen<br />

So besiegend und versengend in die innerste Seele,<br />

Daß ihre Wangen in raschem Wechsel<br />

Zu Lilien erblassten, zu Rosen erblühten.<br />

Nun sagte Sigfrid, <strong>de</strong>n Becher senkend:<br />

„O Gibichstochter, die Gunst <strong>de</strong>r Götter<br />

Ist Gunthre gesichert, – er besitzt sie ja sichtbar.<br />

Ich kam gefahren zu feindlicher Feh<strong>de</strong>,<br />

Um Land und Leute kämpfend zu losen; –<br />

Doch die Waffen entwin<strong>de</strong>n mir nun die Wünsche,<br />

Die <strong>de</strong>in Zauber in mir entzün<strong>de</strong>t.<br />

Was wünschest du Wertes? Wenn’s in <strong>de</strong>r Welt ist<br />

[122] Und Menschen erreichbar, – ich will es erringen,<br />

Um <strong>de</strong>inen Dank zu verdienen, o Krimhild.“<br />

Mit lieblichem Lächeln und leise sprach sie:<br />

„Willst du mir wirklich dies Wort erfüllen,<br />

So bin ich beglückt, – und du kannst es sogleich.<br />

Nicht ferne Fahrten, kein fährliches Kleinod<br />

Begehr’ ich als Gunst vom berühmtesten Gaste,<br />

Den die Götter geführt ins burgundische Reich;<br />

Nein, das Nächste genügt mir. Es ist die Neigung,<br />

Die Freu<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Frauen, <strong>de</strong>n Frie<strong>de</strong>n zu weben.<br />

Doch was ich bemerkt in <strong>de</strong>n Mienen <strong>de</strong>r Männer,<br />

Was ich halb nur gehört vor <strong>de</strong>r Tür in <strong>de</strong>r Halle,<br />

Der verhaltene Groll im Gruße <strong>de</strong>s Königs,<br />

Das erfüllt mich mit Furcht wie glimmen<strong>de</strong> Funken;<br />

Zu leicht nur entfacht sie <strong>de</strong>r leiseste Lufthauch<br />

Zu lichter Lohe. Drum bitt’ ich dich: Lösche!“<br />

„Ich gehorche dir gern!“ entgegnete Sigfrid,<br />

Beugte zu Bo<strong>de</strong>n <strong>de</strong>s Bechers Mündung,<br />

Netzte seinen Nagel mit <strong>de</strong>m Tropfen <strong>de</strong>r Neige,<br />

Und die mächtige Stimme vom Groll <strong>de</strong>s Stolzes<br />

Spurlos klärend, sprach er klangvoll<br />

Und begütigend also zum König Gunther:<br />

„Mit Recht berühmt sind die rheinischen Reben!<br />

Ihr süßer Saft besänftigt die Seele<br />

Und stillt selbst <strong>de</strong>n Sturm <strong>de</strong>s empörten Stolzes,<br />

Zumal – kre<strong>de</strong>nzet mit Lippen, wie diese.<br />

Gar wil<strong>de</strong> Wogen – wohl ohne <strong>de</strong>in Wissen –<br />

Hast du erregt in <strong>de</strong>m rasch gereizten<br />

Herzen <strong>de</strong>ines Gastes, o Gibichson Gunther.<br />

[123] Du stachst mir <strong>de</strong>n Stachel in die weichste Stelle,<br />

Du fragtest <strong>de</strong>n Findling nach seinem Vater.<br />

Mir sandten an Segen und Siegen die Götter<br />

Mehr, als ich suchte, – mir eines versagend,<br />

Wonach meine Seele vor allem sich sehnt.<br />

Du kennst <strong>de</strong>n Winkel, in <strong>de</strong>m <strong>de</strong>ine Wiege<br />

Die Mutter geschaukelt: – Mir hat’s das Schicksal<br />

66


Verneint, sie zu schauen, die mich im Schoße<br />

Als noch traumlosen Keim ins Dasein getragen;<br />

Mich lullte sie niemals mit leisem <strong>Lied</strong>e<br />

Als knospen<strong>de</strong>n Knaben auf ihren Knieen.<br />

In süßen Schlummer; ich wur<strong>de</strong> verschlagen<br />

In die weite Welt als bewußtloser Säugling.<br />

O könnt’ ich erkun<strong>de</strong>n und küssen voll Inbrunst<br />

Ihre heiligen Hän<strong>de</strong>! – Sie schied wohl von hinnen,<br />

Wofern mich ein Traumbild nicht völlig betrog.<br />

O fänd’ ich <strong>de</strong>n Vater, <strong>de</strong>n furchtlos festen,<br />

Der mich ausgestattet mit stählerner Stärke,<br />

Ihm in Demut zu danken für alle Be<strong>de</strong>utung,<br />

Mit <strong>de</strong>r mich die Götter durch ihn begabten!<br />

Das weiß ich gewiß, er ist würdig und wacker,<br />

Und wäre sein Haus die ärmlichste Hütte.<br />

Überschütten mit Schätzend <strong>de</strong>n Schoß <strong>de</strong>r Mutter,<br />

In ein Fürstentum führen <strong>de</strong>n staunen<strong>de</strong>n Vater<br />

Die Stufen empor zum gol<strong>de</strong>nen Stuhle,<br />

Das wäre meine Wonne, – die ward mir verweigert.<br />

Was hilft mir nun mein Hel<strong>de</strong>nruhm, was hätt’ ich von <strong>de</strong>r Herrschaft,<br />

Erräng’ ich alle Reiche <strong>de</strong>s Er<strong>de</strong>nrun<strong>de</strong>s?<br />

[124] Ich frage mich fruchtlos: Wen würd’ es erfreuen? –<br />

Du wecktest dies Weh, du berührtest diese Wun<strong>de</strong>;<br />

Drum zuckte so zornig vorhin meine Zunge. –<br />

Nun gönnt ihr <strong>de</strong>s Gastrechts oberste Gunst mir;<br />

Zum Sohne <strong>de</strong>s Glücks wie zu Seinesgleichen<br />

Trug das Trinkhorn die Schwester <strong>de</strong>s Thronherrn, –<br />

Und Wohlwollen, Wein – und Wun<strong>de</strong>rgewalten<br />

Von an<strong>de</strong>rer Art – eroberten eiligst<br />

Dies mein heißes Herze, das heftig aufbraust,<br />

Doch auch rasch sich beruhigt zu redlichem Frie<strong>de</strong>n,<br />

Wo redlichen Herzens <strong>de</strong>r andre die Hand beut.<br />

So möge <strong>de</strong>r Wind die Worte verwehen,<br />

Die vorhin gere<strong>de</strong>t in rascher Entrüstung.<br />

Traun, wie <strong>de</strong>r Tropfen, <strong>de</strong>n ich träufle auf <strong>de</strong>n Nagel<br />

Als allerletzten, <strong>de</strong>n Becher leer macht,<br />

Daß <strong>de</strong>r goldige Glanz <strong>de</strong>r inneren Glocke<br />

Spurlos wie<strong>de</strong>r die Lichter spiegelt,<br />

So verbann’ ich aus <strong>de</strong>m Busen hinfort alles Bittre.“<br />

Der Wendung zum Frie<strong>de</strong>n sich herzlich freuend,<br />

Entgegnete Gunther <strong>de</strong>m Gaste also:<br />

„Es war nicht Hohn noch <strong>de</strong>r heimliche Hochmut<br />

Des Fürsten, daß ich forschte nach <strong>de</strong>inem Vater.<br />

Ich hielt für ein Märchen die Re<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Menschen,<br />

Daß du nicht wissest, von wannen du stammest.<br />

Was du sinnig gesagt hast von <strong>de</strong>iner Sehnsucht<br />

Nach Vater und Mutter, ich fühlt’ es mit dir,<br />

Es trieb mir traun die Tränen ins Auge,<br />

Und mich reut nun die Re<strong>de</strong>, mit <strong>de</strong>r ich dich reizte.<br />

Laß uns gegenseitig vergeben, vergessen.<br />

[125] Das erfuhren schon viele, die zuvor sich befein<strong>de</strong>t,<br />

Daß begrabener Groll ein vortrefflicher Grund sei,<br />

Den Bau <strong>de</strong>s Vertrauens, <strong>de</strong>r Treue zu tragen. –<br />

67


Dem fänd’ ich noch vieles hinzuzufügen<br />

Zu Frie<strong>de</strong>n und Freundschaft, und mehr noch zu fragen;<br />

Doch längst schon lechzen wir alle nach Labung;<br />

Der Mund ermü<strong>de</strong>t bei leerem Magen,<br />

Und <strong>de</strong>r Hungrige hört nur mit halbem Ohr.<br />

So ruhe <strong>de</strong>nn die Re<strong>de</strong>, und es rüste Rumolt,<br />

Mein Küchenkönig, was Bratspieß und Kessel,<br />

Was Tiegel und Töpfe zur Tafel bereitet,<br />

Eiligs in Ordnung für unseren Angriff. –<br />

Setzet <strong>de</strong>n Stuhl auf die Ehrenstelle<br />

Unserem Gaste, mir entgegen. –<br />

Zur Mahlzeit, Frau Mutter, bis man <strong>de</strong>n Met bringt,<br />

Nimm <strong>de</strong>inen Sitz an unserer Seite<br />

Zur rechten Hand: – Dich, Krimhil<strong>de</strong>,“ –<br />

Flüstert er leise – „dich muß ich belohnen<br />

Für gute Dienste. – Komm, hilf mir er<strong>de</strong>nken,<br />

Was ich dir Bestes wohl bieten könnte,<br />

Und laß dich nie<strong>de</strong>r zunächst meiner Linken.“<br />

Rasch befolgt ward <strong>de</strong>s Königs Befehl.<br />

Aus <strong>de</strong>r Küche kamen die Diener und Köche,<br />

Von Rumolt geführt, und reichten die Schüsseln<br />

Den Truchsessen zu, die zur Tafel sie trugen.<br />

Da dampften feiste, gefüllte Ferkel,<br />

Da sah man Salme von seltener Größe<br />

Und geröstete Rücken von mehreren Rehen;<br />

Dann kuglichte Käse, zierliche Kuchen,<br />

[126] Süße Sachen, gedickte Seime,<br />

Wie die Frauen sie lieben, und allerlei Früchte<br />

Doch erst als das Mahl bis zur Mitte gediehen,<br />

Kam das Hauptstück: von einem Hirsche,<br />

Den <strong>de</strong>r König erlegt beim letzten Jagen,<br />

Der riesige Rücken. Derselbe ruhte,<br />

Stattlich verziert mit <strong>de</strong>n zackigen Stangen<br />

Von sechzehn En<strong>de</strong>n, in silbernem Aufsatz.<br />

Wie ein Schifflein zu schaun war die mächtige Schüssel<br />

Und so lang, daß ein Mann drin zu liegen vermochte.<br />

Je zu Häupten und hinten mußten die Henkel<br />

Zwei Bursche halten mit bei<strong>de</strong>n Hän<strong>de</strong>n.<br />

Die brachten, wie gebräuchlich, <strong>de</strong>n Ehrenbraten<br />

Zum Platze <strong>de</strong>s Gastes, daß <strong>de</strong>r nach Gunsten<br />

Den ihm liebsten böte die leckersten Bissen.<br />

Da waren <strong>de</strong>nn alle nicht wenig verwun<strong>de</strong>rt,<br />

Wie Sigfrid <strong>de</strong>n Zemer so zierlich zerlegte,<br />

Sodann mit <strong>de</strong>m Daumen und Deutefinger<br />

An einem En<strong>de</strong> die Schüssel angriff<br />

Und so das Wildbret in <strong>de</strong>r wuchtigen Wanne<br />

Mit <strong>de</strong>r einen Hand erhob zum Hochsitz,<br />

Bis Gunther, Guta und Gibichs Tochter<br />

Sich selber versorgt mit saftigen Stücken.<br />

Da meinte so mancher, es wäre doch mißlich,<br />

Um das Reich zu ringen mit solch’ einem Recken.<br />

Drauf, ein Mittelstück wählend, sandt’ er es Mimen;<br />

Er selber jedoch versuchte durchaus nicht<br />

68


Vom Ehrenbraten, was allen auffiel.<br />

„Einen Bissen nur!“ bat man; da ward er fast böse<br />

[127] Und sagte heftig, er äße kein Hirschwild;<br />

Doch nahm er sich reichlich von an<strong>de</strong>rn Gerichten.<br />

Nicht müßig beim Male war <strong>de</strong>r Mundschenk.<br />

Ein stattliches Faß mit duftigem Firnwein<br />

Lag angestochen auf seinem Gestühle;<br />

Kaum schloß er <strong>de</strong>n Krahnen; es kreisten die Krüge,<br />

Am Henkel erhoben, und füllten die Humpen.<br />

Als man sattsam gespeiset und nachgespület<br />

Des würzigen Weines und nun, in Erwartung<br />

Des stärkeren Metes, nicht mehr davon mochte,<br />

Da begann zum Gaste <strong>de</strong>r König Gunther:<br />

„Nun ziemt mir wohl Zuversicht, daß du nicht zürnest,<br />

Wenn ich nochmals erneue die nämliche Frage,<br />

Welche dir weh tat, als du noch wähntest,<br />

Ich wolle dich höhnen in hartem Hochmut.<br />

Du bist geboren zum Männergebieter.<br />

An Stolz und Stärke, Gestalt und Stimme,<br />

In je<strong>de</strong>r Faser find’ ich dich fürstlich.<br />

Das alles bezeugt mir, du zogst nur durch Zufall<br />

Und feindliche Fügung das Los eines Findlings.<br />

Nie fällt aus <strong>de</strong>n Wolken durch irgend ein Wun<strong>de</strong>r<br />

Die Tugend und Tatkraft, <strong>de</strong>m nächtlichen Tau gleich,<br />

Der wahllos benetzt die Wiesenkräuter,<br />

Ja, nähren<strong>de</strong>r fließt in das niedrige, flache,<br />

Wie bänglich am Bo<strong>de</strong>n klammern<strong>de</strong> Becken<br />

Des Wegerichblatts als auf Eichen <strong>de</strong>s Wal<strong>de</strong>s.<br />

Der fleißigsten Pflege bedarf ein Pflänzling,<br />

Dauern<strong>de</strong>r Zucht, geraumer Zeiten<br />

Und <strong>de</strong>s besten Bo<strong>de</strong>ns, um ein Baum zu wer<strong>de</strong>n,<br />

[128] Der schirmend und schattend die Welt beschenke<br />

Mit erfreulichen Blüten, erfrischen<strong>de</strong>r Frucht.<br />

Wie <strong>de</strong>r edle Apfel nicht auf <strong>de</strong>m Aste<br />

Der wil<strong>de</strong>n Wei<strong>de</strong> zu wachsen vermochte,<br />

Vielmehr die Mühe so mancher Menschen<br />

In seiner Säfte lauterer Süße<br />

Für uns vereinigt als Erbteil <strong>de</strong>r Ahnen,<br />

Die vor uns gelebt und langsam läuternd<br />

Mit <strong>de</strong>m Messer vermählt die markigsten Reiser:<br />

So kann auch <strong>de</strong>n Keim <strong>de</strong>s E<strong>de</strong>ln kein Köhler,<br />

Kein frönen<strong>de</strong>r Ziegler noch wan<strong>de</strong>rn<strong>de</strong>r Zeidler,<br />

Wie sie <strong>de</strong>n Hochwald nach Honig durchsuchen,<br />

Jemals zeugen, noch ohne Zauber<br />

Jemals gebären <strong>de</strong>r Schoß einer Bäurin,<br />

Und nicht eine Hütte umhegt seine Herkunft.<br />

So schließ’ ich, du schlagest aus e<strong>de</strong>lm Geschlechte,<br />

Das <strong>de</strong>n Zauber <strong>de</strong>r Zucht übt seit uralten Zeiten,<br />

Die Weiber sich wählt nach hohem Weistum<br />

Und das Mark seiner Männer mit allen Mitteln<br />

Stärket und stählt von <strong>de</strong>r ersten Stun<strong>de</strong>.<br />

So hab ich <strong>de</strong>n Glauben, du seist Meinesgleichen,<br />

Und wer<strong>de</strong> dies Wort beweisen durch Taten.<br />

69


Hab ich ein Rätselwort richtig verstan<strong>de</strong>n,<br />

Das du flüchtig berührt im Fluß <strong>de</strong>iner Re<strong>de</strong>,<br />

So sollst du nicht umsonst ein Fürstentum suchen,<br />

Nach<strong>de</strong>m du Burgund nicht weiter begehrst.<br />

Schon längst sind mir lästig Leu<strong>de</strong>ger und Leu<strong>de</strong>gast,<br />

Die in Sachsen sitzen, am dänischen Sun<strong>de</strong>,<br />

Und meine gen Mitternacht liegen<strong>de</strong>n Marken<br />

[129] Gar dreist oft bedrohn und raubend bedrängen.<br />

Wir entreißen <strong>de</strong>n Räubern, gemeinsam gerüstet,<br />

Am nie<strong>de</strong>ren Rhein, wo mein Reich sich berühret<br />

Mit <strong>de</strong>n sächsischen Gaun, die Gegend um Santen:<br />

Da herrsche dann als Herzog mit voller Hoheit,<br />

Auch wenn <strong>de</strong>in Gebet um das bitter Entbehrte<br />

Die Hohen im Himmel nicht sollten erhören, -<br />

Sie sen<strong>de</strong>n Ersatz, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Kummer besänftigt:<br />

Denn über <strong>de</strong>m Anblick edler Erben<br />

Entweicht wohl <strong>de</strong>in Unmut wegen <strong>de</strong>r Ahnen.<br />

Ich <strong>de</strong>nke jedoch, du dürfest noch hoffen,<br />

Die Fährte zu fin<strong>de</strong>n zum Vaterhause.<br />

Ich leiste dir Beistand, so weit ich gebiete.<br />

Nur ein Fingerzeig fehlt mir, die Forschung zu leiten.<br />

So laß mich <strong>de</strong>nn wissen, wo du erwachsend<br />

Die Kindheit verspielt. Erspähest du nicht Spuren<br />

Von <strong>de</strong>iner Herkunft und wahren Heimat?<br />

Von <strong>de</strong>r Wiege bis Worms, wo <strong>de</strong>in Schicksalsgewebe,<br />

Wenn ich recht vernehme, die Nornen geneigt sind,<br />

Mit festem Fa<strong>de</strong>n zu fügen ins unsre,<br />

Laß uns <strong>de</strong>in Leben jetzt kennen lernen.<br />

Was Gesang und Sage von Sigfrids Zügen<br />

Mit tausend Zungen <strong>de</strong>r Welt erzählen,<br />

Das mög’ uns nun mel<strong>de</strong>n mit eigenem Mun<strong>de</strong>,<br />

Wirklich und wahrhaft, <strong>de</strong>r diese Wun<strong>de</strong>r<br />

Mit stetiger Stärke selber bestand.“<br />

„O Gibichson Gunther,“ entgegnete Sigfrid,<br />

„Nun muß ich’s wohl merken, daß höhere Mächte<br />

Gen Worms mich wiesen, mein Schicksal zu wen<strong>de</strong>n.<br />

[130] Nie sollst du bereuen die rasche Regung,<br />

Die <strong>de</strong>n starren Stolz dir in dieser Stun<strong>de</strong><br />

Erwärmt und erweicht hat zu williger Neigung.<br />

Nun sollen die Sachsen mit Sorge bemerken,<br />

Wer <strong>de</strong>inem Thron sich widmet in Treue;<br />

Nun ge<strong>de</strong>nk’ ich die Dänen Demut zu lehren.<br />

Daß sie baldigst bitten, in ihren Belten<br />

Auch fernerhin Fische fangen zu dürfen.<br />

Für <strong>de</strong>inen Glauben, ich sei Deinesgleichen,<br />

Und für <strong>de</strong>n Willen, dies Wort zu bewähren, –<br />

Auch wenn mir’s die Götter wohl kaum vergönnen,<br />

Wirklich zu werben um Höchsterwünschtes –<br />

Dürstet mich zu danken mit reichlichen Diensten<br />

Und tapferen Taten. – Doch min<strong>de</strong>r taug’ ich,<br />

Re<strong>de</strong>nd zu rühmen, was ich selbst verrichtet.<br />

Zu verweilen bei Gewesnem ist mir zuwi<strong>de</strong>r.<br />

Das Gelingen allein ist die Lust <strong>de</strong>s Lebens,<br />

70


Gelungenes liebelnd betrachten – leidig.<br />

Sorgend und sehnend sucht sich die Seele<br />

Des Kühnen ihre Kost in künftigen Kämpfen; –<br />

Die durchzogene Zeit ist verzehrter Zun<strong>de</strong>r.<br />

Die flackern<strong>de</strong> Flamme will fliegen nach oben,<br />

Nicht wühlend verweilen beim fertigen Werke<br />

In <strong>de</strong>r ausgebrannten eigenen Asche.<br />

Darum scheltet mich nicht, wenn ich meine Geschichte<br />

Nicht zu mel<strong>de</strong>n vermag mit eigenem Mun<strong>de</strong>. –<br />

Gleichwohl gewillfahrt sei <strong>de</strong>inem Wunsche:<br />

Zuhan<strong>de</strong>n hab ich einen Gehülfen,<br />

Der die meisten Mühen mit mir gemeinsam<br />

[131] Erlebt und erlitten in treuer Liebe.<br />

Von meiner Kindheit weiß keiner die Kun<strong>de</strong><br />

Besser als dieser. Ich danke mein Dasein<br />

Ihm als Erhalter und, daß ich ein Held ward,<br />

Dem Schatze von schönen Geschichten und Mären<br />

Aus uralter Zeit, die er mir erzählte,<br />

In <strong>de</strong>r sinnen<strong>de</strong>n Seele <strong>de</strong>s Knaben die Sehnsucht<br />

Nach rühmlicher Tat und tollkühnem Wagnis<br />

Mit <strong>de</strong>m Funken <strong>de</strong>s Beispiels als Feuer bergend.<br />

Ich meine <strong>de</strong>n Mime, dies kleine Männlein.<br />

Er ist voll Stärke wie <strong>de</strong>r Nacken <strong>de</strong>s Stieres,<br />

Nur nicht stattlich gestaltet; <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong> Stiefkind,<br />

Erhielt er vom Himmel die höchsten Gaben.<br />

Der bedacht ihn doppelt mit klugen Gedanken,<br />

Dauern<strong>de</strong>m Gedächtnis, das niemals dunkelt,<br />

Und einer Seele, die sammelnd und sichtend<br />

Zu süßem Gesange die Sage mo<strong>de</strong>lt.<br />

Stellt ihm <strong>de</strong>n Stuhl auf erhöhte Stufen<br />

Und gebt ihm im Goldkelch burgundischen Ausbruch,<br />

Die Lippen zu lösen, so wer<strong>de</strong>t ihr lauschen<br />

Der Mär, daß die Männer <strong>de</strong>s Metes vergessen<br />

Und die Frauen zufrie<strong>de</strong>n bis in die Frühe<br />

Ihres Besten, <strong>de</strong>s Bettes, entbehren.<br />

Ich ge<strong>de</strong>nk’ in<strong>de</strong>ssen zu meinen Degen<br />

Hinaus zu reiten, damit in Ruhe<br />

Die Leute sich lagern und nicht im Lan<strong>de</strong><br />

Aus falscher Befürchtung feindlich hausen.<br />

Dann, werteste Wirte, kehr’ ich wie<strong>de</strong>r<br />

Und schlafe die Nacht in eurem Schloß.“<br />

[132] So re<strong>de</strong>te Sigfrid und schritt aus <strong>de</strong>m Saale<br />

Mit dröhnen<strong>de</strong>n Tritten. –<br />

Von dannen getragen<br />

Fühlte Krimhil<strong>de</strong> ihr Herz vom Hel<strong>de</strong>n<br />

Und <strong>de</strong>r Wonne vermählt ein stechen<strong>de</strong>s Weh.<br />

Sie gedachte betroffen <strong>de</strong>s bangen Traumes<br />

Vom wil<strong>de</strong>n Falken: jetzt war er gefun<strong>de</strong>n,<br />

Seine Wildheit gezähmt von ihrem Zauber;<br />

Jetzt schien ihr kein Märchen die Mahnung <strong>de</strong>r Mutter,<br />

Jetzt konnte sie’s merken, nur Mannes Minne<br />

Mache die Welt <strong>de</strong>m Weibe wertvoll.<br />

In angstvoller Ahnung <strong>de</strong>r bei<strong>de</strong>n Adler<br />

71


Sah sie im Saal nach allen Seiten<br />

Und erblaßte plötzlich; <strong>de</strong>nn ihre Blicke<br />

Hafteten auf Hagens ergrautem Haupte.<br />

Die fahle Farbe <strong>de</strong>s tief gefurchten,<br />

Von sinnen<strong>de</strong>r Sorge geprägten Gesichtes;<br />

Die Stirn voll Stolzes, doch starr und steinern,<br />

Die nicht unterbrochenen, buschigen Brauen;<br />

Die scharf geschnittene, schnabelähnlich<br />

Zum borstigen Bart hin sich beugen<strong>de</strong> Nase;<br />

Der stechen<strong>de</strong> Brand, das innere Brüten<br />

In <strong>de</strong>m einen Auge – das an<strong>de</strong>re hatt’ er<br />

Im Kampfe mit Walter im Wasgau verloren –:<br />

Das alles ergriff sie mit Grabesgrauen,<br />

Und seufzend sagte sie zu sich selber:<br />

„Zuletzt sind Lei<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Lohn <strong>de</strong>r Liebe.“<br />

[133]<br />

————<br />

Sechster Gesang.<br />

——<br />

Während Sigfrid <strong>de</strong>m Saal entschritten,<br />

Hatte Mime mit zweien <strong>de</strong>r Männer<br />

Vom Heere <strong>de</strong>s Hel<strong>de</strong>n heimlich geflüstert,<br />

Mit Orm und Eyolf, die bei<strong>de</strong> von Island<br />

In die Ferne gefolgt <strong>de</strong>m Fafnerstöter.<br />

Nordisch re<strong>de</strong>nd, um nichts zu verraten,<br />

Falls jemand lauschte, sprach er leise:<br />

„Jetzt haltet Wache bei meinen Worten,<br />

Orm und Eyolf; mit offenen Augen<br />

Merkt auf die Mienen <strong>de</strong>r Männer und Frauen,<br />

Ob sie nicht zucken bei meiner Erzählung.<br />

Denn mo<strong>de</strong>ln werd’ ich die Mär von Sigfrid,<br />

Um nach Fährten zu fühlen und Fallen zu stellen.<br />

Ist mein Ahnen nicht eitel Irrtum,<br />

So hoff’ ich hier am burgundischen Hofe<br />

Das Geheimnis <strong>de</strong>r Herkunft Sigfrids zu enthüllen.<br />

Im Fall, ich winke nach frischem Weine,<br />

Dann, Eyolf, eile, bevor man hier aufbricht,<br />

[134] Ins Lager hinaus und laß meinen Nachen<br />

Am Ran<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Rheines für mich bereit sein.“<br />

So hatte <strong>de</strong>r Zwerg mit <strong>de</strong>n zweien gesprochen.<br />

Jetzt saß er am Platz, <strong>de</strong>n Sigfrid verlassen,<br />

Auf rasch errichtetem Untergerüste,<br />

72


Neben sich ein Tischchen, auf silbernem Teller<br />

Den goldnen Pokal mit kühlem Burgun<strong>de</strong>r.<br />

Der seltsame Sänger versuchte die Saiten<br />

Auf seiner Laute, leicht mit <strong>de</strong>r Linken<br />

Die Wirbelwälzchen ein wenig drehend.<br />

Da sie nun stimmten, spielt’ er ein Stücklein,<br />

Eine Weise, so wild als reich an Wohllaut:<br />

Nun Jubeln und Jauchzen, nun Schmerz und Jammer,<br />

Nun Siegesgesang, nun Sehnsucht <strong>de</strong>r Liebe,<br />

Nun wil<strong>de</strong>s Gemo<strong>de</strong>l, wie wann eine Mutter<br />

Mit lullen<strong>de</strong>m <strong>Lied</strong>chen <strong>de</strong>n Liebling schaukelt,<br />

Dann stolz und stürmisch, dann bange stöhnend<br />

Und endlich verklingend in tiefer Klage.<br />

Lautlose Stille war entstan<strong>de</strong>n;<br />

Aller Augen hingen in Andacht,<br />

Die Mär erwartend, an Mimes Mun<strong>de</strong>.<br />

Und nun ertönte mit solcher Tiefe,<br />

So klangvoll rauschend die Re<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Kleinen,<br />

Wie es niemand erwartet nach seinem Wuchse.<br />

Nur dann und wann die gewichtigen Worte<br />

Mit kurzen Akkor<strong>de</strong>n kunstvoll hebend,<br />

Halb singend, halb sagend, begann er von Sigfrids<br />

Frühester Kindheit also die Kun<strong>de</strong>:<br />

„Wie<strong>de</strong>rum hielten herzerfreuend<br />

[135] Lustige Hochzeit Himmel und Er<strong>de</strong>.<br />

Der liebliche Lenz verweilte nicht länger<br />

Im sonnigen Sü<strong>de</strong>n; er kam zum Besuche<br />

Nach Nor<strong>de</strong>n hinauf in die Nie<strong>de</strong>rlan<strong>de</strong>,<br />

Wo ruhiger meerwärts die Rheinflut gleitet.<br />

Es grünten die Gräser in allen Grün<strong>de</strong>n,<br />

Der Himmel blaute, die Blumen blühten,<br />

Es wehte Wonne durch Wald und Wiesen,<br />

Es schlugen die Finken und fütterten mit Fe<strong>de</strong>rn<br />

Haargewobene, moosumwirkte<br />

Niedliche Nester. Hinaus ins Freie<br />

Aus <strong>de</strong>r stolzen Stadt am Gesta<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Rheines,<br />

Namens Holmgart, beherrscht von Hartnit,<br />

Strömten die Menschen in bunter Menge<br />

Und festlicher Muße zum weiten Maifeld,<br />

Wo man heilige Mären als Mummenspiel schaute;<br />

Die Nie<strong>de</strong>rfahrt Frôs in das freudlose Nachtreich,<br />

Wie er heimgeholt aus <strong>de</strong>r Flammenburg Helas,<br />

Aus <strong>de</strong>n Tiefen <strong>de</strong>s To<strong>de</strong>s die jüngste Tochter<br />

Der gütigsten Göttin, die hol<strong>de</strong> Gerda.<br />

Nur eine Wohnung, im fernsten Weichbild,<br />

Vereinsamt stehend am Flußgesta<strong>de</strong><br />

Und hart am Gehölz, ein niedriges Häuschen<br />

Mit Schmie<strong>de</strong>vordach, war heute schmucklos<br />

Und ohne Maien; doch hatten Muße<br />

Herd und Hufstahl, Hammer und Ambos.<br />

Noch wuchs kein Gräschen auf <strong>de</strong>m frischen Grabe<br />

Des teuern Weibes, das Mimen gewählet<br />

Und getreulich geliebt, <strong>de</strong>n Spöttern zum Trotze.<br />

73


[136] Die hol<strong>de</strong> Hoffnung unter ihrem Herzen<br />

War im Wer<strong>de</strong>n mit ihr verwelkt.<br />

So mied ich die Menschen betrübten Gemütes.<br />

Weit vom Gewühl, am waldigen Ufer<br />

Des rauschen<strong>de</strong>n Rheines schwang ich die Rute,<br />

Einen Fisch mir zu fangen nach langem Fasten.<br />

Sieh, da kommt’s wie ein kurzes, seltsames Kähnchen<br />

Herunter geschwommen, wun<strong>de</strong>rlich schwankend<br />

Und oben wie Silber im Sonnenschein blinkend,<br />

An <strong>de</strong>n Bor<strong>de</strong>n umschimmert von buntem Schildkrot.<br />

Im raschen Stru<strong>de</strong>l <strong>de</strong>r tiefsten Strömung<br />

Treibt es herunter, mir nicht erreichbar.<br />

Da lös’ ich die Leine zu ganzer Länge,<br />

Werfe <strong>de</strong>n Haken, <strong>de</strong>r glücklich haftet,<br />

Und lenk’ es geschickt, bis die Landung gelingt.<br />

In<strong>de</strong>m es stößt an das schräge Gesta<strong>de</strong>,<br />

Hör’ ich verwun<strong>de</strong>rt ein leises Wimmern,<br />

Und durch <strong>de</strong>n Deckel von glitzern<strong>de</strong>m Glase<br />

Erkenn’ ich als Ladung <strong>de</strong>s Kähnchens ein Kindlein,<br />

Dessen erst neulich die Mutter genesen.<br />

Es lag statt in Win<strong>de</strong>ln in weichem Waldmoos,<br />

Zappelte wie zornig in <strong>de</strong>r engen Zelle<br />

Und hielt vor Hunger sein Händchen im Mun<strong>de</strong>.<br />

Selig, daß ein Söhnchen ein Gott mir gesen<strong>de</strong>t<br />

Zum Trost in <strong>de</strong>r Trübsal, trug ich das Kästlein<br />

Hinauf in <strong>de</strong>n Wald. Ich mocht’ es nicht wagen,<br />

Es schon unten zu öffnen, weil hart am Ufer<br />

Bei fallen<strong>de</strong>m Wasser Fieberluft wehte.<br />

Nun sann ich nach, wo gesun<strong>de</strong> Nahrung<br />

[137] Zu suchen sei für <strong>de</strong>n hungrigen Säugling.<br />

In<strong>de</strong>m ich so dachte, sah ich <strong>de</strong>m Dickicht<br />

Eine Rüster entragen, und trockenes Reisig<br />

Nahm ich wahr im obersten Wipfel.<br />

Es war <strong>de</strong>r Horst eines Habichtpaares.<br />

Vielleicht gelang’s mir in dieser Legzeit,<br />

Nahrhafte Eier <strong>de</strong>m Nest zu entnehmen.<br />

In einem Winkel zwischen zwei Wurzeln<br />

Bestreut’ ich mit Strauchwerk mein köstliches Strandgut,<br />

Die Kiste mit <strong>de</strong>m Kleinen, und kletterte hurtig<br />

Hinauf zum Neste. Da war ich genötigt,<br />

Mit <strong>de</strong>n furchtlosen Vögeln zuvor zu kämpfen.<br />

Mit wil<strong>de</strong>m Geschrei, das <strong>de</strong>n Wald durchschrillte,<br />

Das Nest umflatternd und mit <strong>de</strong>r Flügel<br />

Betäuben<strong>de</strong>m Schlag die Schläfen mir treffend,<br />

Gebrauchten sie kräftig die krummen Krallen,<br />

Schnappten nach mir mit <strong>de</strong>n scharfen Schnäbeln,<br />

Zerhackten mir häßlich die tasten<strong>de</strong>n Hän<strong>de</strong><br />

Und wichen mir nicht, bis ich einen erwischte<br />

Und, tüchtig gedrückt, doch schwerlich erdrosselt,<br />

In weitem Bogen auf <strong>de</strong>n nächsten Baum warf.<br />

So verging bis zum Rückzug geraume Weile.<br />

Zwischen <strong>de</strong>n Zähnen die Zipfelmütze,<br />

Und sicher gebettet in ihrem Beutel<br />

74


Den Raub, zwei rundliche, rotbraune Eier,<br />

Kam ich endlich an auf <strong>de</strong>m untersten Aste<br />

Und konnte schaun nach <strong>de</strong>m Schildkrotkästchen.<br />

Da wähnt’ ich zu träumen ein trautes Wun<strong>de</strong>r:<br />

Auf <strong>de</strong>m Bo<strong>de</strong>n herum lag das bergen<strong>de</strong> Reisig;<br />

[138] Der gläserne Deckel, <strong>de</strong>n ich bedachtsam<br />

Der Lüftung wegen ein wenig gelockert<br />

Aus Falz und Fuge, war fortgeschoben:<br />

Mich wohl gewahrend, doch unbeweglich<br />

Und ohne Furcht ins Auge fassend,<br />

Hielt eine Hirschkuh mit schneeweißen Haaren<br />

Dem hungrigen Knäblein, behutsam knieend,<br />

Über sein Antlitz ihr strotzen<strong>de</strong>s Euter,<br />

Und es zog an <strong>de</strong>r Zitze mit durstigen Zügen.<br />

Mir aber dünkte im Dunkel <strong>de</strong>s Dickichts<br />

Auf glänzen<strong>de</strong>n Schwingen von dannen zu schweben<br />

Eine gütige Gottheit. Gleich gol<strong>de</strong>nem Regen<br />

Streute die Sonne Strahlen herunter<br />

Durch die leise bewegten Wipfel <strong>de</strong>s Wal<strong>de</strong>s<br />

Auf die knorrigen Wurzeln, die Wiege <strong>de</strong>s Knäbleins,<br />

Um lieblich zu beleuchten in grüner Laubnacht<br />

Das freundliche Nachspiel verlorenen Frie<strong>de</strong>ns,<br />

Das hol<strong>de</strong>, heilige Bild, wie die Hin<strong>de</strong><br />

Das verstoßene Menschenkind mütterlich stillte.<br />

Als es satt getrunken, trug ich im Kästchen<br />

Das Kind nach Hause. Die hilfreiche Hirschkuh<br />

Folgte mir furchtlos dicht auf <strong>de</strong>r Ferse,<br />

Bald meine Bür<strong>de</strong>, bald wie bittend<br />

Die halten<strong>de</strong>n Hän<strong>de</strong> behauchend und leckend;<br />

Und leicht verstand ich ihr stummes Verlangen.<br />

Den betretenen Pfad zur Pforte hin mei<strong>de</strong>nd,<br />

Ging ich von hinten an meine Hütte,<br />

Wo sie <strong>de</strong>n Rand <strong>de</strong>s Wal<strong>de</strong>s berührte.<br />

Da hieb ich sogleich mit meinem Hammer<br />

[139] Ein breites Loch in die äußere Lehmwand<br />

Zum Einlaß <strong>de</strong>r Amme und machte dann innen,<br />

Hart an <strong>de</strong>r Öffnung, vor Augen <strong>de</strong>r Hirschkuh,<br />

Ein Lager zurecht für <strong>de</strong>n lieben Findling.<br />

Darauf band ich zu Bögen die biegsamen Äste<br />

Des wil<strong>de</strong>n Flie<strong>de</strong>rs und durchflocht sie mit Efeu<br />

Zu dichtem Dach, das <strong>de</strong>n Regen nicht durchließ.<br />

Die Seiten versetzt’ ich sorgsam mit Holzwerk;<br />

Doch unumfrie<strong>de</strong>te, volle Freiheit<br />

Ließ ich waldwärts nach ihrer Wei<strong>de</strong><br />

Der Pflegemutter, die meinem Bemühen<br />

Geduldig zusah und <strong>de</strong>utlich zeigte,<br />

Wie gut sie von allem die Absicht merke.<br />

Denn da sie zum Wal<strong>de</strong> sich zögernd wandte,<br />

Da blickten so klar die klugen Augen,<br />

So mild, ja menschlich, zurück in die meinen,<br />

Als wolle sie sagen: ,Sei ohne Sorgen,<br />

Ich weiß, was du willst, und komme schon wie<strong>de</strong>r.’<br />

Und stetig hielt sie die stumme Verheißung;<br />

75


Als ob sie verstän<strong>de</strong>, die Stun<strong>de</strong>n zu messen,<br />

Kam sie getrabt, <strong>de</strong>n Kleinen zu tränken,<br />

Bis wie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Lenz die Lin<strong>de</strong>n belaubte<br />

Mit jungem Grün und mein jähriger Junker<br />

Laufen gelernt, auch, wann er lachte,<br />

Ein Mäulchen zeigte voll zierlicher Zähne.<br />

Die wollten gebraucht sein an Brot und Braten,<br />

Und da mocht’ ihm die Milch nicht länger mun<strong>de</strong>n.<br />

Doch oft noch kam sie, das Kind liebkosen,<br />

Und behütet von <strong>de</strong>r Hin<strong>de</strong> lief nun häufig<br />

[140] Weit in <strong>de</strong>n Wald <strong>de</strong>r wil<strong>de</strong> Knabe,<br />

Um sich blühen<strong>de</strong> Pflanzen und Beeren zu pflücken.<br />

Nicht gänzlich ersonnen ist <strong>de</strong>r Name Sigfrid.<br />

Am Bo<strong>de</strong>n <strong>de</strong>s Kästchens, kaum erkennbar,<br />

Fand ich Runen in roter Farbe,<br />

Doch schwer zu enträtseln; <strong>de</strong>nn statt eines Rohres<br />

Hatte sie gezeichnet in zittern<strong>de</strong>m Zuge<br />

Ein matter Finger, welcher die Farbe<br />

Vielleicht entliehen <strong>de</strong>m eigenen Leibe.<br />

Nur <strong>de</strong>r Anfang Sig war sicher lesbar,<br />

Halb Ahnung, halb Einfall ist frid, <strong>de</strong>r Ausgang.“<br />

Sein breites Gesicht, bis fast an die Brauen<br />

Mit <strong>de</strong>r gol<strong>de</strong>nen Schale <strong>de</strong>s Kelches beschirmend,<br />

Doch mit scharfen Augen hinüber schielend<br />

Nach Hagen zuerst und dann nach <strong>de</strong>m Hochsitz,<br />

Trank jetzt Mime vom Traubensafte<br />

Einen mächtigen Zug.<br />

„Was zitterst du, Mutter?<br />

Fühlst du dich krank?“ – frug Krimhild flüsternd,<br />

Doch bevor ihr Guta entgegnen konnte,<br />

Erklang schon wie<strong>de</strong>r die Stimme <strong>de</strong>s Kleinen:<br />

„Wun<strong>de</strong>rbar schnell war Sigfrids Wachstum,<br />

Erstaunlich das Steigen seiner Stärke.<br />

Im siebenten Sommer war er zu sehen,<br />

Als zählt er zwölf schon; im zwölften bezwang er<br />

Meine Gesellen samt und son<strong>de</strong>rs<br />

Im Ringen und Raufen; mit fünfzehn erreicht’ er<br />

Das Maß <strong>de</strong>r Mannheit. – Nicht länger müßig<br />

Sollt’ er nun spielen mit Schwertern und Speeren,<br />

[141] Pfer<strong>de</strong>geschirr und Bogen und Pfeilen.<br />

Denn was er an Mären aus meinem Mun<strong>de</strong><br />

Abends am Her<strong>de</strong> vernahm von Hel<strong>de</strong>n,<br />

Die mit Raubgewürm und Riesen gerungen,<br />

Frauen befreit von frechen Räubern<br />

Und, reich an Ruhm und rotem Gol<strong>de</strong>,<br />

Ein Königreich endlich gewonnen als Kampfpreis,<br />

Das entzün<strong>de</strong>te zeitig in meinem Zögling,<br />

Bevor ich es wollte, glühen<strong>de</strong> Wünsche,<br />

Hinaus zu ziehen zu gleichen Zielen.<br />

Immer aus ähnlichen Abenteuern<br />

Spann er die Fabeln zu seinen Spielen.<br />

Da ward eine Wurzel zum giftigen Wurme,<br />

Dem er <strong>de</strong>n Schweif mit <strong>de</strong>m Schwerte wegschlug,<br />

76


Ein alter Eichbaum zum riesigen Unhold,<br />

Den er durchbohrte mit Bolzenpfeilen<br />

Und mit langer Lanze gänzlich erlegte.<br />

Doch eines Tages erteilt’ er tapfre<br />

Hiebe <strong>de</strong>m Helm und vergol<strong>de</strong>ten Harnisch,<br />

Die mir Hartnit gesandt, <strong>de</strong>r König von Holmgart,<br />

Mit <strong>de</strong>m Gebote, die Beulen zu bessern.<br />

Die hatte <strong>de</strong>r Nichtsnutz hinausgenommen,<br />

Auf Stangen gesteckt, auf einem Gestelle<br />

Zum Pochen und Putzen <strong>de</strong>r Pfer<strong>de</strong>panzer<br />

Rittlings errichtet und hieb nun auf die Rüstung,<br />

Daß die Stücke stoben <strong>de</strong>s e<strong>de</strong>ln Stahles<br />

Und garstige Scharten die Schärfe <strong>de</strong>r Klinge<br />

Sündhaft versehrten zur zahnigen Säge.<br />

Als ich das gewahrte, da ward ich wütend,<br />

[142] Erhob mich auf die Zehen und zerrt’ ihn am Zipflein<br />

Des Ohrs, das ich eben noch erreichte, zur Arbeit;<br />

Denn lammfromm ließ er von mir sich leiten.<br />

In Rotglut gera<strong>de</strong> lag eine Rolle<br />

Armdicken Eisens in meiner Esse,<br />

Bestimmt, an <strong>de</strong>r Welle einer Wassermühle<br />

Die Zapfen zu bil<strong>de</strong>n. Ich gab meinem Zögling<br />

In die Hand die Habe <strong>de</strong>s schwersten Hammers,<br />

Zeigt’ ihm <strong>de</strong>n Ambos, zog mit <strong>de</strong>r Zange<br />

Die wuchtige Walze heraus und winkte.<br />

Da bebten die Balken <strong>de</strong>s ganzen Gebäu<strong>de</strong>s,<br />

Die Funken erfüllten die Schmie<strong>de</strong> mit Feuer,<br />

Mir däuchte mein Dach vom Donner getroffen.<br />

In Fä<strong>de</strong>n zerfasert fand ich das Eisen;<br />

Von <strong>de</strong>m Hammer war wie ein hohles Hälmchen<br />

Der Stiel zerbrochen, <strong>de</strong>r Stahlkopf steckte<br />

Fest im Gebälk wie ein spitzer Bolzen,<br />

Und bis an <strong>de</strong>n Spiegel war <strong>de</strong>r Ambos<br />

Geklemmt in die Spalte <strong>de</strong>s klaffen<strong>de</strong>n Klotzes.<br />

Nun sah ich wohl ein, daß Sigfrid niemals<br />

Die stäuben<strong>de</strong> Sturzflut solcher Stärke<br />

Zu dämmen vermöchte zum dienstbaren Mühlbach.<br />

Nicht Harnische hämmern und Hufeisen schmie<strong>de</strong>n,<br />

Nein, Helme zerhauen, das war sein Handwerk.<br />

Auch mir allmählich war die Vermutung,<br />

Die du, o König, als Kenner kundgabst:<br />

Daß Sigfrid stamme von hoher Stätte,<br />

Durch <strong>de</strong>s Findlings Wesen Gewißheit gewor<strong>de</strong>n.<br />

So faßt’ ich <strong>de</strong>n Vorsatz, ihn heim zu führen<br />

[143] Zu <strong>de</strong>m Lebenslose, das er verloren,<br />

Und, fän<strong>de</strong>n wir nicht seine fürstlichen Eltern,<br />

Den Weg ihm zu weisen, durch Waffentaten<br />

Sich Ruhm und Reichtum und Rang zu gewinnen.<br />

Ich nahm in <strong>de</strong>r Nacht, wann <strong>de</strong>r nei<strong>de</strong>nswerte<br />

Jugendschlaf <strong>de</strong>n Jüngling umschlossen,<br />

Daß er nichts merkte, sorgsam Maße<br />

Der breiten Brust für die maschige Brünne,<br />

Des hohen Hauptes für Helm und Halsring,<br />

77


Der Armesellen für eiserne Ärmel<br />

Und <strong>de</strong>r mächtigen Schenkel für schirmen<strong>de</strong> Schienen.<br />

Dann sucht’ ich, sorgsam wählend und sichtend,<br />

Das Festeste, Feinste aus meinem Vorrat<br />

Von Eisenstangen, von stählernen Stufen,<br />

Von bräunlichem Messing, die Maschen <strong>de</strong>r Brünne<br />

Erst licht zu belegen, daß die gelbe Vergoldung<br />

Sich im Regen nicht röte vom Roste <strong>de</strong>s Eisens.<br />

Das begann ich zu schmelzen, zu gießen und schmie<strong>de</strong>n,<br />

Um die reichste Rüstung, die gewaltigsten Waffen,<br />

Die jemals gemacht ein menschlicher Meister,<br />

Kunstvoll zu schaffen für meinen Schützling.<br />

Ihr sahet sie selbst an Sigfrids Leibe,<br />

Noch wie nagelneu im neunten Jahre,<br />

Nach<strong>de</strong>m sie bestan<strong>de</strong>n die härtesten Stürme;<br />

Darum scheint es mir nutzlos, sie nochmals zu schil<strong>de</strong>rn,<br />

Doch erwähnen will ich, wie ich <strong>de</strong>r Waffen<br />

Beste gebil<strong>de</strong>t, sein Schlachtschwert Balmung.<br />

Zu lang ist die Mär, um heute zu mel<strong>de</strong>n,<br />

Wie <strong>de</strong>n Wölsungen weiland von Wodne selber<br />

[144] Ein Schwert verliehn ward; auch davon schweig’ ich,<br />

Wie <strong>de</strong>sselben Besitz gar seltsam gewechselt<br />

Geschlechter hindurch, bis ein Dieb es zerschlagen,<br />

Weil er zu dumm war, die hohe Be<strong>de</strong>utung<br />

Der Zeichen zu merken; wie dann durch Zufall<br />

Unter altem Stahl ich die Stücke erworben.<br />

Sie zu haltbarem Schwerte wie<strong>de</strong>r zu schweißen,<br />

Das war unmöglich. So schlug ich die Masse<br />

Zu Stangen zuerst, die ich stetig verdünnte<br />

Und endlich im Örstahl na<strong>de</strong>lfein auszog.<br />

Wie Ruten zum Besen, so band ich zum Bün<strong>de</strong>l,<br />

Vier Finger dick diese seinen Fä<strong>de</strong>n<br />

Stählernen Drahtes, zwirnte sie drehend<br />

Und streckte <strong>de</strong>n Strang dann zur streifigen Klinge.<br />

Da sie geformt, gefeilt und gefegt war,<br />

Geglüht und geglättet und glänzend geschliffen,<br />

Stieß ich <strong>de</strong>n Stahl nicht weit vom Gesta<strong>de</strong><br />

Fest im Flusse und ließ eine Flocke<br />

Weicher Wolle in sanfter Bewegung<br />

Schwimmen gegen die Schnei<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Schwertes.<br />

Sauber geson<strong>de</strong>rt zu bei<strong>de</strong>n Seiten<br />

In scharfe Hälften sah ich die Härchen;<br />

Doch eines umklebte die Klinge lei<strong>de</strong>r<br />

Noch unzerteilt, und nicht ganz untadlich<br />

War sie erprobt in dieser Prüfung.<br />

Drum zerfeilt’ ich <strong>de</strong>n Vorstahl zu feinem Staube,<br />

Buk ihn mit Kleien in kleine Klötzchen,<br />

Um so mit <strong>de</strong>m Feilstaub Vögel zu füttern.<br />

Ihr Eingewei<strong>de</strong> wusch ich in Wein aus<br />

[145] Und sammelte sorgsam <strong>de</strong>n Stahl im Siebe,<br />

Um ihn zu schmelzen und nochmals zu schmie<strong>de</strong>n<br />

Zu scharfer Kante mit kornloser Kimme.<br />

Untadlich glatt wie Tau zerteilte<br />

78


Die ruhen<strong>de</strong> Klinge nun die kleinste<br />

Langsam fallen<strong>de</strong> Finkenfe<strong>de</strong>r;<br />

Ich spaltete spielend <strong>de</strong>n Ambosspiegel<br />

Und schaute doch kein Schärtchen in <strong>de</strong>r feinen Schärfe.<br />

Wem die Rüstung bestimmt sei, verriet ich niemand;<br />

Doch schaute mir Sigfrid so seltsam lächelnd<br />

Und mit leuchten<strong>de</strong>n Augen zu bei <strong>de</strong>r Arbeit,<br />

Als merk’ er’s an <strong>de</strong>n Maßen, für wen sie gemeint ei.<br />

Der kindische Kampf mit <strong>de</strong>r Rüstung <strong>de</strong>s Königs<br />

War die letzte Regung solcher Gelüste.<br />

Er war nun seit Wochen wie völlig verwan<strong>de</strong>lt;<br />

In <strong>de</strong>r Folge erfuhr ich’s, durch welchen Vorfall.<br />

Im geweihten Hain, im Gehege <strong>de</strong>r Göttin,<br />

Am heiligen Weiher unter <strong>de</strong>n Wipfeln<br />

Uralter Eichen erhob sich einsam<br />

Die beschei<strong>de</strong>ne Klause <strong>de</strong>r klugen Oda,<br />

Der weithin gefeierten, greisen Prophetin.<br />

Um die Neige <strong>de</strong>r Nacht, die <strong>de</strong>m Neumond folgte,<br />

Als eben die Dunkelheit wich vor <strong>de</strong>r Dämmrung,<br />

Als Freyas Stern, <strong>de</strong>n Himmel ersteigend,<br />

Schon bleicher blinkte und min<strong>de</strong>r blen<strong>de</strong>nd,<br />

Und die Tränen <strong>de</strong>r Göttin, reichlich träufelnd,<br />

Die Täler betauten, war Oda tätig<br />

Auf <strong>de</strong>n Wiesen im Wal<strong>de</strong>, fern ihrer Wohnung,<br />

Heilsame Kräuter für Kranke zu suchen.<br />

[146]<br />

Da hört sie im Hain von einem Hirsche<br />

Das ängstliche Rören, als rief’ er nach Rettung,<br />

Und es schien ihr, als käm’s aus bekannter Kehle.<br />

Bei <strong>de</strong>r feierlichen Fahrt am höchsten Feste<br />

Der mächtigen Mutter <strong>de</strong>r Menschen und Götter,<br />

Wann man ihr Bildnis zum Ba<strong>de</strong> führte<br />

Im heiligen Weiher, dann wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Wagen,<br />

Auf <strong>de</strong>m es verhüllt stand, gezogen von Hirschen<br />

In heiliger Zwölfzahl, von zwiefacher Farbe,<br />

Je sechs schwarzen, sechs schwanenweißen.<br />

Die wur<strong>de</strong>n gezüchtet, gezähmt und erzogen<br />

Im Gehege <strong>de</strong>s Hains, wo niemals ein Hifthorn<br />

Noch <strong>de</strong>s Bogens Geklirr noch das Kläffen ertönte<br />

Von rastlosen Rü<strong>de</strong>n. Sie ästen ruhig<br />

Und folgten furchtlos <strong>de</strong>m Rufe <strong>de</strong>r Pfeife<br />

Zur Hütte Odas, aus ihren Hän<strong>de</strong>n<br />

Ihr liebstes Labsal, Salz zu lecken.<br />

Nun dachte sie, von diesen wolle im Dickicht<br />

Eben ein Raubtier einen zerreißen,<br />

Und folgt’ in <strong>de</strong>n Forst <strong>de</strong>r Führung <strong>de</strong>s Tons.<br />

Mit erhobenem Stecken kam sie zur Stelle.<br />

Da stand eine Hirschkuh mit schneeweißen Haaren,<br />

Mit hangen<strong>de</strong>r Zunge und heftig zitternd.<br />

Eine mächtige Schlange hielt sie umschlungen:<br />

Doch die zuckte nun selbst in <strong>de</strong>n letzten Zügen.<br />

Denn im Nacken und nie<strong>de</strong>rwärts war die Natter<br />

Erfaßt von zwei Fäusten, welche so furchtbar<br />

79


Das widrige Wurmtier zusammenwürgten,<br />

Daß ihm gebläht wie blutige Blasen<br />

[147] Aus <strong>de</strong>m Kopfe kamen die Kugeln <strong>de</strong>r Augen<br />

Und Geifer mit Galle aus <strong>de</strong>m gähnen<strong>de</strong>n Rachen.<br />

Schon ließ sie nun los <strong>de</strong>n Leib <strong>de</strong>r Hin<strong>de</strong><br />

Und sank ins Gras, wo Sigfrids Messer<br />

Mitten durchschnitt das noch schnappen<strong>de</strong> Scheusal,<br />

Das die alte Amme ihm angetastet.<br />

Da wähnte <strong>de</strong>nn Oda ein Wun<strong>de</strong>r zu schauen<br />

Und mehr als menschliche Muskelstärke.<br />

,Bestimmten die Götter mir diese Stun<strong>de</strong><br />

Zum Sterben?’ begann sie, ‚daß mir vergönnt wird<br />

Der Ewigen einem ins Antlitz zu schauen?<br />

Edler Beschirmer voll Jugend und Schönheit,<br />

Du bist wohl Bal<strong>de</strong>r? Entließ dich zum Beistand<br />

Der heiligen Hirschkuh aus ihren Hallen,<br />

Die zum Lichte so leicht sonst keinen entlassen,<br />

Die schwarzgelockte, schweigsame Schwester<br />

Der mächtigen Mutter <strong>de</strong>r Menschen und Götter?’<br />

Doch liebreich lächelnd belehrt sie <strong>de</strong>r Jüngling:<br />

,Mütterchen, mäßige <strong>de</strong>ine Meinung;<br />

Nicht Bal<strong>de</strong>r bin ich, noch Bote <strong>de</strong>r Götter<br />

Zur To<strong>de</strong>smahnung; du magst noch manchen<br />

Lenz erleben, bevor dir <strong>de</strong>in Los fällt.<br />

Im geweihten Wal<strong>de</strong> die springen<strong>de</strong> Wurzel<br />

Voll seltenen Segens gedacht’ ich zu suchen.<br />

Mit ihr gerüstet, entreißt man das Rotgold,<br />

Das die Riesen verbergen, <strong>de</strong>m Bauch <strong>de</strong>r Gebirge.<br />

Wer stark ist und reich, <strong>de</strong>r wirbt sich Reiter<br />

Und kann sich ein Königreich flugs erkämpfen.<br />

So hab’ ich vernommen. Die Nacht ist’s <strong>de</strong>s Neumonds,<br />

[148] Drum späht’ ich <strong>de</strong>m Specht nach, welcher die Spur zeigt<br />

Zur springen<strong>de</strong>n Wurzel. Da hört’ ich von weitem<br />

Die Hirschkuh mich rufen und kam ihr zur Hilfe,<br />

Denn Bekannte sind wir seit meiner Kindheit.<br />

Du kennst ja wohl <strong>de</strong>n Mime, <strong>de</strong>n Schmie<strong>de</strong>meister?<br />

Mich langen Gesellen hat zum Sohne<br />

Der kleine Vater. Hinunter gefahren<br />

In das Reich <strong>de</strong>r Mü<strong>de</strong>n war meine Mutter,<br />

Als meine Geburt <strong>de</strong>s Vaters Gebete<br />

Eben erfüllt. Da fügten es die Feeen –<br />

So erzählt mir mein Vater – daß mich erzöge<br />

Die heilige Hin<strong>de</strong> mit weißen Haaren.<br />

Nur die mastige Milch <strong>de</strong>r Pflegemutter<br />

Verlieh mir die Stärke, die lange Gestalt; –<br />

Sonst wär’ ich so gewaltig nimmer gewachsen.<br />

Doch was stehst du verstummt, was starrst du so seltsam?<br />

Du siehst, wie gesagt, in mir nur <strong>de</strong>n Sigfrid,<br />

Ein Menschenkind, <strong>de</strong>n Sohn <strong>de</strong>s Mime.<br />

Was tat ich <strong>de</strong>nn groß? Daß ich zugegriffen,<br />

Bis dies Ungeziefer sich tot gezappelt?<br />

Nur Schuldigkeit war’s, meine Amme zu schützen,<br />

Die so mütterlich treu mich getränkt und behütet.’<br />

80


Doch Oda schaut, mit <strong>de</strong>m Kopfe schüttelnd,<br />

Die Augen funkelnd von innerem Feuer,<br />

Jetzt auf <strong>de</strong>n Jüngling, <strong>de</strong>m die bejahrte<br />

Hirschkuh leckt die hilfreichen Hän<strong>de</strong>,<br />

Jetzt in die Ferne, wo purpurn gefärbte<br />

Morgenwolken die grünen Wipfel<br />

Hell umgrenzen mit gol<strong>de</strong>nem Grun<strong>de</strong>,<br />

[149] Als lasse sich lesen am leuchten<strong>de</strong>n Himmel<br />

Das Lebensgeheimnis <strong>de</strong>s jungen Hel<strong>de</strong>n.<br />

‚Ihr Weltenwalter, ihr winket mir <strong>de</strong>utlich!’<br />

So rief sie begeistert. ‚Sandte die Göttin<br />

Ihre heilige Hin<strong>de</strong>, <strong>de</strong>n Hel<strong>de</strong>nknaben<br />

Aufzunähren, dann war von <strong>de</strong>n Nornen<br />

Dies Kind erkoren zu künftiger Größe.’<br />

Dann fuhr sie fort, zum Findling gewen<strong>de</strong>t:<br />

‚Nicht Mimes Gemahlin war <strong>de</strong>ine Mutter.<br />

Ich bot ihr <strong>de</strong>n Beistand, da sie gebärend<br />

Das Lebe verließ; auch ihr Kind war erkaltet.<br />

Ha, wie flutet <strong>de</strong>r Rhein! mit rötlichen Flossen<br />

Verfolgen <strong>de</strong> Fische das kleine Fahrzeug,<br />

Das Schifflein von Schildkrot mit gläsernem Schirmdach;<br />

Doch mit ihm ziehen, zärtlich wie Mütter,<br />

Die Nixen <strong>de</strong>r Tiefe, die Töchter Niblungs.<br />

Was mögen sie hoffen vom Hel<strong>de</strong>nkin<strong>de</strong>?<br />

Was plätschern wie froh die gefräßigen Hechte?<br />

Was wittern die Welse? Ich weiß es, ich weiß es!<br />

Kein Fischer noch fing eine bessere Beute.<br />

Doch von wannen, ihr Gewässer, trugt ihr die Wiege,<br />

Drinn die Welle geschaukelt das größeste Schicksal?<br />

Es rauschet <strong>de</strong>r Rhein durch reiche Lan<strong>de</strong><br />

Gar vieler Fürsten aus weiter Ferne.<br />

Herrlich erhebt sich auf Uferhöhen<br />

Die Wohnung <strong>de</strong>s Königs. Wegloser Wäl<strong>de</strong>r<br />

Dämmern<strong>de</strong>s Dunkel <strong>de</strong>ckt das Gebirge,<br />

Wei<strong>de</strong>ngestrüpp <strong>de</strong>n Wer<strong>de</strong>r im Strom.<br />

Da schlüpfen die Schlangen, da schleichen Mör<strong>de</strong>r,<br />

[150] Ohrenvergifter, gottlos begehrlich;<br />

Da hör’ ich ein Schluchzen in einer <strong>de</strong>r Schluchten,<br />

Da wimmert ein Weib, als läg’ es in Wehen.<br />

Nicht fehlt es an Farbe <strong>de</strong>m zittern<strong>de</strong>n Finger . . .<br />

Rote Runen . . . grausiges Rätsel! . . .<br />

Nein, – ich darf nicht ent<strong>de</strong>cken, was dunkel verschleiert<br />

Der weise Wille <strong>de</strong>r Weltenwalter.<br />

Rastlos zu ringen bist du berufen.<br />

In leichtem Leben erlahmen die Kräfte,<br />

Und wem in die weiche, gol<strong>de</strong>ne Wiege<br />

Zu glühend geglänzt hat die Sonne <strong>de</strong>s Glückes,<br />

Dem welken die Wurzeln seines Wachstums.<br />

Dich haben die Himmlischen von <strong>de</strong>r Höhe<br />

Der Stolzen gestoßen, dich steigen zu lehren.<br />

Geneigte Norne – es nennen sie neidisch<br />

Nur die tatlosen Toren und Tagediebe –<br />

Entrissen dich <strong>de</strong>m Reichtum, um so nach Ruhme<br />

81


Den dienstbar Darben<strong>de</strong>n durstig zu machen.<br />

Doch nicht ganz vergebens wirst du begehren.<br />

Ich schaue die Schatten von <strong>de</strong>m, was geschehn wird,<br />

Entworfen in <strong>de</strong>n Wolken; dies eine wisse:<br />

Ein Königskind erkämpfst du zur Gattin.“<br />

Mime schwieg und winkte <strong>de</strong>m Mundschenk<br />

Nach frischem Weine. Als Eyolf das wahrnahm,<br />

Erhob er sich heimlich und schritt aus <strong>de</strong>r Hofburg.<br />

Denn als Mime, merklich die Stimme steigernd,<br />

Angekommen beim Ausspruch Odas:<br />

„Es rauschet <strong>de</strong>r Rhein durch reiche Lan<strong>de</strong>,<br />

Herrlich erhebt sich auf Uferhöhen<br />

[151] Die Wohnung <strong>de</strong>s Königs“ und so weiter,<br />

Hatt’ er re<strong>de</strong>nd <strong>de</strong>n Blick in die Run<strong>de</strong> gerichtet<br />

Und sorgsam gesucht auf allen Gesichtern.<br />

In <strong>de</strong>n Mienen <strong>de</strong>r Männer war nichts zu bemerken,<br />

Als rege Neugier, mehr zu vernehmen;<br />

Doch erblaßt war Guta, und ihre Blicke<br />

Suchten entsetzt das Gesicht ihres Bru<strong>de</strong>rs,<br />

Hagens von Tronje. Mit eisernem Trotze<br />

Versagt’ es die Seele diesem Gesichte,<br />

Ihr Meinen bemerkbar durch eines Muskels<br />

Bewegung zu malen. Doch Mimen entging nicht<br />

Ein zeitloses Zucken verächtlichen Zornes<br />

Über die Schwäche seiner Schwester,<br />

Das aufgesprüht in <strong>de</strong>m einen Auge<br />

Wie Wetterleuchten, alsbald auch erlöschend,<br />

Wann aus formloser Finsternis kaum <strong>de</strong>r Funke<br />

Den Umriß <strong>de</strong>r Wolken <strong>de</strong>m Auge geweckt.<br />

Es ist kein Zweifel, er tut sich Zwang an;<br />

Es gibt ein Geheimnis für Hagen und Guta, –<br />

So meinte Mime – das min<strong>de</strong>stens ähnelt<br />

Dem Verhängnis, das die Herkunft Sigfrids verhüllt hat.<br />

[152]<br />

————<br />

Siebenter Gesang.<br />

——<br />

Als Mime bemerkte jenen Blitz von Mißmut<br />

Im Auge Hagens und Raum gab <strong>de</strong>r Hoffnung,<br />

Das Vaterhaus Sigfrids gefun<strong>de</strong>n zu haben,<br />

Da griffen zu fünft und fest seine Finger<br />

Wie zu Siegesgesang in die Saiten <strong>de</strong>r Laute,<br />

82


Und als alle die Häupter horchend erhoben,<br />

Erzählt’ er weiter von seinem Zögling:<br />

,Nun folge mir, Findling,’ sprach die Prophetin;<br />

,Die richtige Fährte, zwar nicht zum Vater,<br />

Doch zur Weltberühmtheit will ich dir weisen.<br />

Aber zügle die Zunge und, bis die Zeit kommt,<br />

Auch Mimen zu mel<strong>de</strong>n, was euch gemeinsam<br />

Zu bestehen bestimmt ist mit List und Stärke,<br />

Sprich keiner Seele von <strong>de</strong>inen Besuchen.’<br />

Und so wan<strong>de</strong>rte Sigfrid mit Oda zusammen<br />

Nach ihrer Wohnung am heiligen Weiher;<br />

Und Monate lang durch mancherlei Vorwand,<br />

Wie Weidwerk, Fischfang und Vogelstellen,<br />

[153] Mich glücklich täuschend, war er nun täglich<br />

Ihr lernbegieriger, heimlicher Gast.<br />

Sie lehrt’ ihn die Lage <strong>de</strong>r Län<strong>de</strong>r und Meere,<br />

Sie nannt’ ihm die Völker und ihre Fechtart<br />

Und die Fahrten <strong>de</strong>r Väter seit ältester Vorzeit,<br />

Bis sie Roma berannt, ihr Reich zertrümmert,<br />

Welschland besiegt und <strong>de</strong>n Weltkreis erobert.<br />

Nicht weit von ihr wohnte ein alter Weidmann<br />

Als Hüter <strong>de</strong>s Haines, namens Hettel.<br />

Nach vielen Fahrten und heißen Feh<strong>de</strong>n<br />

Ergab er sich gern <strong>de</strong>m Dienste <strong>de</strong>r Göttin,<br />

Im gefehmten Forste als Vogt zu walten.<br />

Zu diesem sandte Oda <strong>de</strong>n Sigfrid.<br />

Zur Unterweisung im Waffenwerke.<br />

Der lehrt’ ihn reiten auf raschem Rosse,<br />

Die eschene Lanze einzulegen,<br />

Vom Schil<strong>de</strong> ge<strong>de</strong>ckt, <strong>de</strong>s feindlichen Schaftes<br />

Stöße standhaft und fest im Stegreif<br />

Auszuhalten, in Helm und Harnisch<br />

Gewandt sich bewegen, zu fernem Wurfe<br />

Die schwere Scheibe von Erz zu schwingen,<br />

Und was ihm bekannt war von Künsten <strong>de</strong>s Kampfes.<br />

Doch weit überboten sah sich in Bäl<strong>de</strong><br />

Der alte Erzieher vom eifrigen Zögling.<br />

Dann weckt’ auch Andacht die alte Oda<br />

Und hohe Gedanken vom Wesen <strong>de</strong>r Dinge,<br />

Vom Hel<strong>de</strong>nberuf im Herze Sigfrids.<br />

Sie enthüllte vor ihm das hohe Geheimnis<br />

Vom Wer<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Welt aus <strong>de</strong>m Wirrwarr <strong>de</strong>r Urzeit,<br />

[154] Wie die gütigen Götter <strong>de</strong>n Garten <strong>de</strong>r Mitte<br />

Den Riesen entrissen und reich gesegnet,<br />

Wie sie walten und wehren, wie in Walhall<br />

Wodan die Wackersten herrlich bewirtet,<br />

Die <strong>de</strong>r Kuß <strong>de</strong>r Walküre tötend erkoren<br />

Zu einherischen Hel<strong>de</strong>n, Wodne zu helfen<br />

Beim künftigen Kampf mit <strong>de</strong>m König <strong>de</strong>s Unheils,<br />

Wann die Er<strong>de</strong> wankt von <strong>de</strong>n Schlägen <strong>de</strong>s Wurmes,<br />

Wann <strong>de</strong>r wüten<strong>de</strong> Würger, <strong>de</strong>r Wolf, sich losreißt,<br />

Wann Surtur sengend von Sü<strong>de</strong>n heranstürmt<br />

Und das En<strong>de</strong> dämmert <strong>de</strong>r Götter und Dinge.<br />

83


Wie nach heißem Tage vom Tau <strong>de</strong>s Himmels<br />

Blätter und Blumen sich wohlig blähen,<br />

So sog nun Sigfrid die Hel<strong>de</strong>nlehre.<br />

Ich, ohne zu wissen, was ihn bewegte,<br />

Merkte, wie die Mannheit in seinem Gemüte<br />

Rasch nun erreichte die volle Reife.<br />

Es lagen jetzt längst in <strong>de</strong>r La<strong>de</strong> vollen<strong>de</strong>t<br />

Und wohlgeraten Waffen und Rüstung.<br />

Da wur<strong>de</strong> verkün<strong>de</strong>t, daß König Hartnit<br />

In Bäl<strong>de</strong> zur Kurzweil ein Kampfspiel gebe.<br />

Sei Herold ritt auf die Herrenhöfe,<br />

Die Lehensleute zum Feste zu la<strong>de</strong>n,<br />

Auch zu <strong>de</strong>n Fürsten benachbarter Völker,<br />

Mit <strong>de</strong>nen er Frie<strong>de</strong>n und Freundschaft hatte;<br />

Nur nach Susat ward nicht gesen<strong>de</strong>t,<br />

Zum König Isung, <strong>de</strong>r eben eifrig<br />

Seine Völker alle zu feindlicher Feh<strong>de</strong><br />

[155] Berief und rüstete, um sich zu rächen<br />

Am Beherrscher Holmgarts, <strong>de</strong>m greisen Hartnit.<br />

Denn sie hatten nach mancher um streitige Marken<br />

Geschlagenen Schlacht zwar Frie<strong>de</strong>n geschlossen,<br />

Doch dann um Hulda, die Tochter Hartnits,<br />

Des Herbartsohnes, durch seinen Herold<br />

Isung geworben. Sie war ihm verweigert<br />

Mit Worten <strong>de</strong>s Hohnes. Zu heißem Hasse<br />

Entbrannt’ er aufs neue wi<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Nachbarn<br />

Und gedacht’ ihm <strong>de</strong>n Dünkel in Demut zu wan<strong>de</strong>ln.<br />

Dem Isung zum Spotte sollte die Spiele<br />

Schließen die Hochzeit <strong>de</strong>r schönen Hulda.<br />

Drei volle Tage wollte man turnen,<br />

Mit <strong>de</strong>m Bogen schießen, die Scheibe werfen,<br />

Rennen und ringen in voller Rüstung,<br />

Um gol<strong>de</strong>ne Gaben mit Geren zielen,<br />

In <strong>de</strong>n Sand aus <strong>de</strong>m Sattel einan<strong>de</strong>r setzen<br />

Und in glimpflichem Scherz mit unschädlichen Waffen<br />

Um <strong>de</strong>n Preis <strong>de</strong>r Gewandtheit im Wettspiel werben.<br />

Dann aber sollten die glücklichen Sieger<br />

Am vierten Tage um Hartnits Tochter,<br />

Dafern sie wollten, ihr Leben wagen<br />

Und fechten, bis einer alle gefällt.<br />

Hartnit hegte die feste Hoffnung,<br />

Es wer<strong>de</strong> niemand von allen geneigt sein,<br />

Es aufzunehmen mit seinem Neffen,<br />

Studfus, <strong>de</strong>m stärksten, stolzesten Hel<strong>de</strong>n<br />

In seinem Reich und weit in die Run<strong>de</strong>.<br />

Ihn wollt’ er zum Eidam und einstigen Erben,<br />

[156] Doch Hulda haßte von ganzem Herzen<br />

Den gefürchteten Vetter ob seiner Falschheit.<br />

Ich konnte nicht selbst die Spiele sehen<br />

Aus Mangel an Muße; <strong>de</strong>nn Waffen in Menge<br />

Mußt’ ich schmie<strong>de</strong>n, bessern und schmücken;<br />

Doch am letzten Tage <strong>de</strong>s glimpflichen Turnens,<br />

Als ich am Abend die Arbeit ruhn ließ,<br />

84


Bekam ich Kun<strong>de</strong> vom Gange <strong>de</strong>r Kämpfe<br />

Von <strong>de</strong>m Gesellen, durch <strong>de</strong>n ich sie sandte.<br />

Der war erst vor kurzem nach Holmgart gekommen<br />

Aus nordischen Reichen und nannte sich Regin.<br />

Den Stahl zu gestalten verstund er trefflich,<br />

Doch sein Herz war zerfressen von heilloser Habsucht<br />

Und so feil als falsch, so feig als grausam;<br />

Auch schien er verlogen, – wiewohl er vom Lintwurm,<br />

Wie sich nachmals erwies, die Wahrheit berichtet.<br />

Nichts tat er lieber, als meinen Leuten<br />

Abends am Ältisch von Ungetümen<br />

Und verborgenen Schätzen Schauergeschichten<br />

Vorerzählen und sie entzün<strong>de</strong>n<br />

Mit wil<strong>de</strong>r Begier<strong>de</strong> nach gelbem Gol<strong>de</strong>.<br />

Da saß <strong>de</strong>nn auch Sigfrid bei <strong>de</strong>n Gesellen<br />

Und lauschte lüstern <strong>de</strong>n Lippen Regins.<br />

Von diesem erfuhr ich <strong>de</strong>n Lauf <strong>de</strong>s Festspiels.<br />

Bis zur Stun<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Mittags hatte sich Studfus<br />

Bei weitem die meisten Gewinne erworben.<br />

Dann kam ein Kämpfer, <strong>de</strong>r keinem bekannt war,<br />

In <strong>de</strong>n Ring geritten zum Lanzenrennen,<br />

So hoch von Gestalt, daß alle staunten,<br />

[157] In vergol<strong>de</strong>tem Helm und prächtigem Harnisch.<br />

Die Herol<strong>de</strong> heischten, er solle Herkunft,<br />

Namen und Stand und Stammesgenossen<br />

Dem Marschalk mel<strong>de</strong>n. Doch Mutter Oda<br />

Erhob sich plötzlich vom Ehrenplatze.<br />

,Besser geboren, die Göttin verbürgt es,<br />

Als diesen Degen,’ so rief sie <strong>de</strong>utlich,<br />

,Kennet ihr keinen. Laßt ihn kämpfen.’<br />

Er stieg vom Rosse. Da lag noch im Ringe<br />

Die eherne Scheibe. Die nahm er wie scherzend,<br />

Wiegte sie ein wenig und warf sie so gewaltig,<br />

Daß sie summend entsauste und fern im San<strong>de</strong><br />

Sich tief begrub, an <strong>de</strong>r Grenze <strong>de</strong>s Ringes,<br />

Doppelt so weit als <strong>de</strong>r Wurf <strong>de</strong>s Gewinners.<br />

Dann legt’ er die Hän<strong>de</strong> hinten seinem Hengst auf<br />

Und saß im Sattel mit einem Satze.<br />

Auf das Zeichen <strong>de</strong>r Zinken sicher zielend<br />

Mit <strong>de</strong>m langen Turnschaft von Tannenholze,<br />

Spornt’ er seinen Renner zum Gegenritte.<br />

Unwi<strong>de</strong>rstehlich war die Stärke<br />

Seines Stoßes auf <strong>de</strong>n Stahlschild<br />

Des stolzen Studfus; von <strong>de</strong>ssen Stegreif<br />

Zerrissen die Riemen; – mit krachen<strong>de</strong>n Rippen<br />

Lag im San<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Siegverwöhnte.<br />

Unermeßlich jauchzte die Menge,<br />

Die mitnichten geneigt war <strong>de</strong>m Neffen Hartnits. –<br />

Nun sollten morgen die bei<strong>de</strong>n Männer<br />

Mit scharfen Waffen um Hulda wetten.<br />

Erschrocken vernahm ich Regins Beschreibung<br />

[158] Des Geräts und <strong>de</strong>r Rüstung <strong>de</strong>s frem<strong>de</strong>n Reiters;<br />

Ich lief an die La<strong>de</strong> und fand sie geleert.<br />

85


Ich hatte <strong>de</strong>n Sigfrid nur selten gesehen<br />

Die letzten Wochen; er pflag <strong>de</strong>s Weidwerks<br />

In entfernten Forsten; – das war sein Vorwand –<br />

Auch kam er heute zur Nacht nicht nach Hause.<br />

Was ich vermutet, bemerkte lei<strong>de</strong>r<br />

Auch jener Gesell, <strong>de</strong>n ich gar zu sorgsam<br />

Befragt nach <strong>de</strong>n Waffen <strong>de</strong>s frem<strong>de</strong>n Reiters.<br />

Nun schlich, da wir schliefen, Regin zum Schlosse,<br />

Und gerne gaben ihm reichlichen Goldlohn<br />

Für seine Kun<strong>de</strong> <strong>de</strong>r König und Studfus.<br />

Am an<strong>de</strong>rn Morgen stand ich inmitten<br />

Des schauen<strong>de</strong>n Volks auf meinem Schemel<br />

Und harrte <strong>de</strong>s Kampfspiels mit klopfen<strong>de</strong>m Herzen.<br />

Endlich nahte <strong>de</strong>r Neffe <strong>de</strong>s Königs,<br />

In glänzen<strong>de</strong>m Harnisch, auf <strong>de</strong>m e<strong>de</strong>lsten Hengste<br />

Aus Hartnits Marstall; die Mär war verbreitet,<br />

Derselbe stamme von jener Stute,<br />

Die Wodane weiland sein sturmgeschwin<strong>de</strong>s<br />

Grauroß geworfen, und Greipner hieß er.<br />

Auf <strong>de</strong>m Wege vom Wal<strong>de</strong> sah man ein Wölkchen<br />

Staubes nun steigen, und bald zur Stelle<br />

War <strong>de</strong>r riesige Gast, gerüstet wie gestern, –<br />

Und gehämmert von mir waren Harnisch und Helm!<br />

Da bemerkt’ ich, daß mehre von Hartnits Mannen<br />

Durch das Gedränge sich heimlich drücken<br />

In meine Nähe. In die Mitte nehmen<br />

Sie bald <strong>de</strong>n Schemel, von welchem ich schaue.<br />

[159] Unheil ahnt mir, doch eingeschlossen<br />

Darf ich’s nicht wagen, warnend zu winken<br />

Und halte mich ruhig, um nichts zu verraten.<br />

Vor Harnits Hochsitz stehen die Hel<strong>de</strong>n,<br />

Von <strong>de</strong>n Rossen gestiegen, Sigfrid und Studfus,<br />

Um <strong>de</strong>n Schwerteid zu schwören, daß keine Schwarzkunst<br />

Ihre Waffen geweiht mit Wun<strong>de</strong>rkräften.<br />

Von hinten hält sie umgeben ein Halbkreis<br />

Gerüsteter Recken in dichter Reihe.<br />

Da Sigfrid sorglos <strong>de</strong>n Eidschwur sagte,<br />

Die rechte Hand zum Himmel erhoben,<br />

Umschlangen die Schleifen von zwanzig Schlingen<br />

Plötzlich von hinten <strong>de</strong>n Hel<strong>de</strong>njüngling.<br />

Bevor er sich regen kann, ist er umringelt<br />

Mit fesseln<strong>de</strong>n Riemen und nie<strong>de</strong>rgerissen.<br />

Auch ich ward gefaßt und gefangen genommen.<br />

Man band uns bei<strong>de</strong> inmitten <strong>de</strong>s Bahnrings,<br />

Rücken an Rücken, auf hohem Gerüste,<br />

Das man hastig gehäuft aus gespaltenem Holze,<br />

An einem Stän<strong>de</strong>r. Mir aber stülpte,<br />

Um die Laune <strong>de</strong>r Leute zum Lachen zu wen<strong>de</strong>n,<br />

Auf <strong>de</strong>n Kopf seine Kappe <strong>de</strong>r Narr <strong>de</strong>s Königs,<br />

Die Stachelhaube von Igelhäuten<br />

Mit <strong>de</strong>m Bart eines Bockes zum zieren<strong>de</strong>n Busche.<br />

Mir dünkte schon längst unser Leben verloren;<br />

Doch da jetzt niemand <strong>de</strong>n Streich <strong>de</strong>s Narren<br />

86


Belacht’ außer Studfus, da stieg mir ein Lichtschein<br />

Von Hoffnung auf Hilfe empor aus <strong>de</strong>m Herzen,<br />

Und ein retten<strong>de</strong>s Wun<strong>de</strong>r beruhigt erwartend,<br />

[160] Gelobt’ ich mir leise, <strong>de</strong>s Laffen Schimpfzier<br />

Zu treuem Ge<strong>de</strong>nken beständig zu tragen,<br />

Bis ich gefun<strong>de</strong>n das Vaterhaus Sigfrids.<br />

So stan<strong>de</strong>n wir bei<strong>de</strong>. Dem bangen Staunen<br />

Der Menschenmenge folgte ein Murmeln<br />

Wie fernes Brausen <strong>de</strong>r Meeresbrandung.<br />

Doch schon war Studfus hinaufgestiegen<br />

An unsere Seite und riß <strong>de</strong>m Sigfrid<br />

Den verhüllen<strong>de</strong>n Helm vom Haupte herunter.<br />

An <strong>de</strong>n lichtbraunen Locken, <strong>de</strong>n leuchten<strong>de</strong>n Augen<br />

Erkannte nun je<strong>de</strong>r sogleich <strong>de</strong>n Jüngling,<br />

Den, wie man meinte, Mimes Gemahlin<br />

Sterbend geboren von einem Buhlen.<br />

Nur die tugendliche Hulda, die Tochter Hartnits,<br />

Hatte <strong>de</strong>n Sigfrid noch niemals gesehen<br />

Und wähnte, im Wirrwarr nicht achtend <strong>de</strong>r Worte<br />

Ihrer Vertrauten, es tret’ ihr ein Traumbild<br />

Inneren Ahnens lebend vor Augen.<br />

,Männer von Holmgart,’ rief Hartnits Neffe,<br />

,Ins Garn gegangen ist uns ein Gimpel<br />

Mit <strong>de</strong>m feinen Vogel, <strong>de</strong>n er gefüttert,<br />

Doch nicht aus eigenem Ei gebrütet.<br />

Zum kecken Kampfhahn hat er <strong>de</strong>n Kuckuck<br />

Meisterlich vermummt, mit Zaubermitteln<br />

Dem langen Lümmel auch Stärke verliehen,<br />

Die Besten zu bestehn, <strong>de</strong>n Sieg mir zu stehlen.<br />

Unter <strong>de</strong>n A<strong>de</strong>l sich einzuschleichen,<br />

Zu kommen zum Kampfspiel, zu welchem <strong>de</strong>r König<br />

Nur die Großen <strong>de</strong>s Reiches und die Grafen einlud,<br />

[161] Zu fechten mit Fürsten, zu tödlicher Feh<strong>de</strong><br />

Nun mir zu nahen, <strong>de</strong>m Neffen <strong>de</strong>s Königs,<br />

Und damit, o Wahnsinn! zu wagen die Werbung<br />

Um die Tochter <strong>de</strong>s Herrschers, die göttliche Hulda:<br />

Des hat sich erdreistet <strong>de</strong>r hirnverdrehte,<br />

Bartlose Bastart <strong>de</strong>s buckligen Schmie<strong>de</strong>s!<br />

Euch frag’ ich, ihr Freien, was diese Frechheit<br />

Sattsam sühne? Lebendig zersägen,<br />

Festgebun<strong>de</strong>n zwischen zwei Balken,<br />

Das wäre die Strafe für solche Strolche.<br />

Doch heut’ ist huldvoll <strong>de</strong>r König Hartnit<br />

Und mäßigt aus Mitleid für diesen Milchbart<br />

Ihr verdientes Schicksal: <strong>de</strong>r Scheiterhaufen<br />

Genügt seiner Nachsicht, er soll sie vernichten.<br />

Herbei mit <strong>de</strong>n Fackeln, damit nun das Feuer<br />

Die Argen eiligs in Asche verwandle,<br />

Die dann ins Weite <strong>de</strong>r Wind verwehe.’<br />

Umsonst versuchte <strong>de</strong>n Sinn <strong>de</strong>s Königs<br />

Flehentlich bittend Hulda zu beugen.<br />

Sie fiel ihm zu Füßen, sein Knie umfassend;<br />

Doch mit häßlichem Grinsen schüttelte grimmig<br />

87


Der Verstockte sein Haupt, daß <strong>de</strong>r gol<strong>de</strong>ne Stirnreif<br />

Wun<strong>de</strong>rlich wankte im weißen Haare.<br />

Mit stampfen<strong>de</strong>m Fuß die Flehen<strong>de</strong> stoßend,<br />

Ließ er sie liegen und winkte <strong>de</strong>n Leuten<br />

Mit <strong>de</strong>m gol<strong>de</strong>nen Zepter, das Holz zu entzün<strong>de</strong>n.<br />

Schon flammten knisternd in <strong>de</strong>n Hän<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Knechte<br />

Die Fackeln vom Kienholz <strong>de</strong>r harzigen Kiefer; –<br />

Da erhebt sich weit hinten ob Holmgarts Häusern<br />

[162] Ein Wulst von Wolken zur Wölbung <strong>de</strong>s Himmels,<br />

Riesig schwellend in rauchiger Schwärze,<br />

Und dazwischen zucken die roten Zungen<br />

Der lo<strong>de</strong>rn<strong>de</strong>n Lohe mit grausigem Leuchten.<br />

Schrillend ertönt ein Schrei <strong>de</strong>s Schreckens;<br />

Man wen<strong>de</strong>t die Köpfe; zehntausend Kehlen<br />

Verschmelzen die Stimmen zu schmettern<strong>de</strong>r Stärke,<br />

Als rief’ ein bergehoch ragen<strong>de</strong>r Riese:<br />

‚Feuer in Holmgart, zu Hilfe, zu Hilfe!’<br />

Und wogend wälzt sich in wil<strong>de</strong>m Wirrwarr<br />

Vom Ringe rückwärts die rasen<strong>de</strong> Menge,<br />

Ohne Mitleid so manchen zermalmend.<br />

Ratlos rennt man vom Schaugerüste<br />

In hastigen Haufen ohne Gehorsam.<br />

Die Bretter <strong>de</strong>r Brüstung wer<strong>de</strong>n durchbrochen,<br />

Bohlen, Balken biegen sich, bersten<br />

Laut krachend, die Leute kreischen,<br />

Einan<strong>de</strong>r zertretend, zwischen <strong>de</strong>n Trümmern<br />

Zusammengeklettet in einen Klumpen,<br />

Wie Würmer zum Angeln sich wickeln und win<strong>de</strong>n<br />

In <strong>de</strong>r Schachtel <strong>de</strong>s Fischers, doch <strong>de</strong>sto fester<br />

Zum unlöslichen Knäuel sich nur verknoten.<br />

Gewandt entwichen aus diesem Wirrwarr,<br />

Kam uns zu Hilfe <strong>de</strong>r wackere Hettel.<br />

Schnell mit <strong>de</strong>m Saustahl zerschnitt er die Seile,<br />

Die Riemen von Rindshaut. Dicht am Gerüste<br />

Stan<strong>de</strong>n verstört <strong>de</strong>s Sigfrid und Studfus<br />

Zween Rosse. ‚Rettet und rächt euch!’<br />

[163] Sagte Hettel, ,wir reiten nach Holmgart;<br />

Es ahnt mir, daß Isung es eingenommen.’<br />

Wie<strong>de</strong>r behelmt und <strong>de</strong>n Balmung erhebend, –<br />

Denn mit ihm umschnürt war die edle Schnei<strong>de</strong> –<br />

Saß schon Sigfrid im Sattel Greipners,<br />

Ich hinter Hettel auf <strong>de</strong>m an<strong>de</strong>ren Hengste.<br />

Da sahn wir <strong>de</strong>n Studfus, <strong>de</strong>n Trümmern entsteigend,<br />

In <strong>de</strong>n Ring sich retten; mit sich riß er,<br />

Wie <strong>de</strong>r Habicht die Taube, die Tochter Hartnits.<br />

,Falscher Feigling, ich will dir nicht folgen!’<br />

Rief sie entrüstet und sträubte sich rückwärts.<br />

,Laß mich <strong>de</strong>n Vater zu fin<strong>de</strong>n versuchen;<br />

Ich läge weit lieber bei jenen Leichen,<br />

Als dir, du Ver<strong>de</strong>rbter, ins Dasein zu folgen!’<br />

,Sei doch nicht sinnlos!’ versetzte Studfus;<br />

,Hartnit ist hin; das Hirn zerschmettert<br />

Hat ihm ein Balken. Ich gebiete<br />

88


Jetzt in Holmgart; drum gehorche.’<br />

,Mitnichten, du Schurke, <strong>de</strong>r du mich beschimpft hast!’<br />

Rief Sigfrid ihm zu und führte sicher<br />

Einen Hieb nach <strong>de</strong>r Hand, die Huldan festhielt.<br />

Sie fiel ihm vor die Füße mit gekrallten Fingern,<br />

Und alsbald gesellte sich ihr im San<strong>de</strong>,<br />

Vom Rumpfe gehau’n, auch das Haupt <strong>de</strong>s Recken.<br />

Wun<strong>de</strong>rsam willig gewähren ließ nun<br />

Den jungen Hel<strong>de</strong>n die edle Hulda.<br />

Die schlanke Gestalt umschlang <strong>de</strong>r Starke,<br />

Vom Sattel sich neigend; um seinen Nacken<br />

Wand sie die weißen, weichen Arme,<br />

[164] Getrost ihm vertrauend, wohin er sie trüge.<br />

Rasch entritten wir nun <strong>de</strong>m Ringe.<br />

Da hörte Sigfrid Huldan sagen:<br />

,Wer du seiest in Wahrheit, wähn’ ich zu wissen.’<br />

,Was meinst du, Mädchen?’<br />

,Was Studfus aus Mordlust<br />

Den Leuten erzählt, sind lauter Lügen.<br />

Du kamest zum Kampfspiel als Unbekannter<br />

Wegen <strong>de</strong>r Feh<strong>de</strong> mit meinem Vater.<br />

Isung bist du, Susats Gebieter.<br />

Sie logen dich alt, um dich mir zu verlei<strong>de</strong>n,<br />

Als du durch Boten beim Frie<strong>de</strong>nsbündnis<br />

Um mich geworben. Ich wäre wahrlich<br />

Auch zum völlig Frem<strong>de</strong>n gegangen mit Freu<strong>de</strong>n,<br />

Denn unausstehlich war mir Studfus.<br />

Nun ich dich kenne, du kühner Kämpfer,<br />

Und, umsonst meinem Vater zu Füßen gefallen,<br />

Zu <strong>de</strong>n gütigen Göttern nicht vergebens<br />

Mein Flehen erhob, dich zu retten aus Flammen,<br />

Nun trocknen meine Tränen, und die Trauer <strong>de</strong>s Kin<strong>de</strong>s,<br />

Sie weicht, seit ich weiß, daß die weben<strong>de</strong> Norne<br />

Nur die Wahl mir gewährt, als Weib entwe<strong>de</strong>r<br />

O<strong>de</strong>r als Tochter um Tote zu klagen.’<br />

Er war betroffen, Huldas Vertrauen<br />

Zu danken <strong>de</strong>m Irrtum, er sei Isung,<br />

Und wußte nicht, was er am besten erwidre.<br />

In<strong>de</strong>m er noch sann, was er sagen solle,<br />

Kamen die Flüchten<strong>de</strong>n rückwärts geflutet<br />

[165] Und wehrten <strong>de</strong>n Weg. Sie riefen warnend,<br />

In<strong>de</strong>m sie dachten, wir dienten Hartnit:<br />

,Rettet euch rückwärts! Isungs Reiter<br />

Sind uns dicht auf <strong>de</strong>r Ferse. Holmgarts Veste<br />

Ist verloren. Die lichte Lohe<br />

Schlägt aus <strong>de</strong>m Schlosse. Die Wächter schliefen,<br />

Von Oda bezaubert. Sie hat es entzün<strong>de</strong>t.<br />

Holmgart verlor die Huld <strong>de</strong>r Göttin,<br />

Ins Gefängnis geführt war ihre Prophetin.’<br />

So riefen die Leute vorüber laufend.<br />

Doch Sigfrid und Hettel setzten in die Haufen,<br />

In<strong>de</strong>m sie die Schwerter drohend schwangen,<br />

Und gaffend gab man uns freie Gasse.<br />

89


Als wir durchmessen die fliehen<strong>de</strong> Menge,<br />

Da rasselten uns geharnischte Reiter<br />

In geschlossenem Geschwa<strong>de</strong>r geschwind entgegen,<br />

Voran ihr Führer in prächtiger Rüstung,<br />

Zu seiner Rechten, ebenfalls reitend,<br />

Die greise Oda. Unserer Ankunft<br />

Ward sie gewahr; wir sahen sie winken,<br />

Und unser harrend machte man Halt.<br />

Auf ihr Zeichen, daß es gezieme,<br />

Saßen wir ab, und die Seherin sagte:<br />

,König von Susat, das ist Sigfrid,<br />

Welcher <strong>de</strong>n Studfus vom Sattel gestoßen.<br />

Doppelt verdient er <strong>de</strong>inen Dank nun;<br />

Denn hier bringt er dir auch die gerettete Braut.’<br />

,O bebe nicht bange!’ begann <strong>de</strong>r Gebieter,<br />

Zur heftig zittern<strong>de</strong>n Hulda sich wen<strong>de</strong>nd;<br />

[166] ,Glückliche Tage, o Königstochter,<br />

Sollst du verleben in meinen Lan<strong>de</strong>n.<br />

Hartnit behalte, was ihm gehörig,<br />

Den Groll begrabe <strong>de</strong>s Siegers Großmut;<br />

Nur Studfus sterbe, dann folgen <strong>de</strong>r Feh<strong>de</strong><br />

Frie<strong>de</strong>, Freundschaft und fröhliche Hochzeit.’<br />

,In Helas Behausung ist König Hartnit,’<br />

Versetzte sie seufzend, ,und meine Seele<br />

Wünscht nichts weiter, als auch zu wohnen<br />

Ohne Gedächtnis in ewigen Dunkel.’<br />

Nun sagte Sigfrid, was er gesehen<br />

Und zu Rettung und Rache selbst verrichtet.<br />

Nicht ahnte Isung, was Huldan anfocht.<br />

Das Schicksal <strong>de</strong>r Zerschellten, das gräßliche Schauspiel,<br />

Wie Studfus verstümmelt so jäh gestorben,<br />

Und <strong>de</strong>r Schmerz <strong>de</strong>s Kin<strong>de</strong>s, wähnte <strong>de</strong>r König,<br />

Habe bewältigt die Sinne <strong>de</strong>s Weibes;<br />

Bald fän<strong>de</strong> wohl Fassung die Fürstentochter.<br />

Odan zur Tröstung sie anvertrauend,<br />

Hieß er <strong>de</strong>n Sigfrid aufs Knie sich senken,<br />

Gab ihm <strong>de</strong>n Schwertschlag und ließ ihn schwören,<br />

Seinem Thron in Treuen zu dienen.<br />

Wie Hartnits Gesin<strong>de</strong> bald besiegt war;<br />

Wie Holmgart gehuldigt <strong>de</strong>m neuen Herrscher;<br />

Wie die Werbung Isungs die alte Oda<br />

Huldan doch zu erhören bewogen;<br />

Wie sie Hochzeit hielten, in prunken<strong>de</strong>r Heerfahrt<br />

Gen Susat zogen: das will ich nicht sagen;<br />

Denn Merkenswerteres hab’ ich zu mel<strong>de</strong>n<br />

[167] Und muß mich eilen, daß eure Augen<br />

Nicht Schlaf beschleiche, bevor ich schließe.<br />

Regin, <strong>de</strong>r Verräter, war nicht entronnen.<br />

Beim kurzen Kampfe mit König Hartnits<br />

Leibgesin<strong>de</strong> suchte <strong>de</strong>r Geselle<br />

Zu entwischen ins Weite; doch ich gewahrt’ ihn,<br />

Und Sigfri<strong>de</strong> sagt’ ich, was er gesündigt.<br />

Der folgt ihm auf <strong>de</strong>n Fersen, nahm ihn gefangen<br />

90


Und wollt’ ihn erschlagen. Aber <strong>de</strong>r Schlaukopf<br />

War nicht ratlos. ,Ruhm und Reichtum,<br />

O Sigfrid, verschmähst du,’ sprach <strong>de</strong>r Verschmitzte;<br />

,Dich mag einst schmücken ein Fürstengeschmei<strong>de</strong>:<br />

Das wärfest du weg, wenn du mich erwürgtest.<br />

Es kann dir keiner als ich verkün<strong>de</strong>n<br />

Den Ort eines Schatzes, so unerschöpflich,<br />

Um Königreiche damit zu kaufen.<br />

Wer <strong>de</strong>n besäße! Son<strong>de</strong>r Besinnen<br />

Gäben ihm gern eine Tochter zur Gattin<br />

Die vornehmsten Fürsten.’ – Das war ein Funke,<br />

Der zün<strong>de</strong>n musste in meinem Zögling.<br />

Dem listigen Schurken das Leben schenkend,<br />

Ließ er ihn in Fesseln nach Susat folgen,<br />

Um dort zu warten in festem Gewahrsam,<br />

Bis <strong>de</strong>r König Isung ihn selbst beurlaubt<br />

Zur eigenen Ausfahrt auf Abenteuer.<br />

Doch manchen Monat gebrach’s nun an Muße,<br />

Es nährte <strong>de</strong>n Neid <strong>de</strong>r benachbarten Fürsten,<br />

Daß jetzt auch Holmgart <strong>de</strong>m Isung gehörte.<br />

Gemeinsame Furcht verband sie zur Feh<strong>de</strong>,<br />

[168] Um sein Reich zu zerstückeln, bevor es erstarke.<br />

Doch wo Sigfrids Balmung vor Isungs Bannern<br />

Furchtbar flammte, da flohen die Fein<strong>de</strong>.<br />

Sie schlugen die Schlachten mit schlechtem Glücke<br />

Und wur<strong>de</strong>n Vasallen ihres Besiegers.<br />

So mehrten sich Macht und Marken Isungs;<br />

Doch weit gewaltiger war gewachsen<br />

Des Feldherrn Ruhm als <strong>de</strong>r <strong>de</strong>s Fürsten,<br />

Und dieser dünkte sich bald verdunkelt.<br />

Auch wuchsen aufs neue mit Sigfrids Namen<br />

Aus ihren Wurzeln die alten Wünsche<br />

Im heißen Herzen <strong>de</strong>r Hartnitstochter.<br />

Allmählich mußt’ es <strong>de</strong>r König merken,<br />

Daß sie lau nur verlange nach seiner Liebe.<br />

Doch ihr Auge blitzte, sie errötet’ und erblaßte,<br />

Wenn abends im Saale Sigfrid sich sehn ließ.<br />

Eifersucht, Argwohn betörten <strong>de</strong>n Isung,<br />

Zu versuchen <strong>de</strong>r Königin kämpfen<strong>de</strong> Seele.<br />

Mit vielem Gefolge, als ging’s in die Ferne<br />

Auf Monate fort nach <strong>de</strong>n sächsischen Marken,<br />

Ritt er von hinnen und kehrte heimlich<br />

Mit <strong>de</strong>r siebenten Sonne zurück nach Susat,<br />

Künstlich verkappt und nieman<strong>de</strong>n kennbar,<br />

Mit nur einem Gefährten. Das war ein Förster,<br />

Der in fernem Wal<strong>de</strong> als Wildwart wohnte<br />

Auf Isungs Jagdschloß, <strong>de</strong>n lange Jahre<br />

Kein Mensch gesehn in <strong>de</strong>n Mauern Susats.<br />

Der mußte sich hüllen in <strong>de</strong>n Mantel eines Herolds<br />

Und laut vor <strong>de</strong>n Leuten die Lüge verkün<strong>de</strong>n:<br />

[169] Der Fürst sei gefallen, <strong>de</strong>r siegreiche Feldherr<br />

Von <strong>de</strong>r Schar seiner Hel<strong>de</strong>n auf <strong>de</strong>n Schild gehoben<br />

Und kehre nun heim als erkorener König.<br />

91


Sie trugen Sorge, daß dieses Gesage<br />

Auch Hulda hörte. Dann gingen sie zu Hofe,<br />

Mit eigenem Mun<strong>de</strong> die Mär zu mel<strong>de</strong>n.<br />

Die Königin kam aus ihrer Kammer<br />

Den Schlauen entgegen, verschleierten Hauptes<br />

Und in Trauer gehüllt. Betrüglich sprach nun<br />

Der falsche Herold:<br />

,O Fürstin, <strong>de</strong>r Herrscher,<br />

Der edle Isung, fand sein En<strong>de</strong>;<br />

Er sank entseelt vom Schwert eines Sachsen.<br />

Sigfrid, <strong>de</strong>n Feldherrn, ersah zum Fürsten<br />

Das tapfere Kriegsheer: doch will er die Krone<br />

Einzig erhalten aus <strong>de</strong>inen Hän<strong>de</strong>n,<br />

Wenn du geneigt seist, ihn anzunehmen<br />

In williger Minne zum werten Gemahl.<br />

Den Ring hier entriß er, <strong>de</strong>n König rächend,<br />

Dem Finger <strong>de</strong>s Fein<strong>de</strong>s, <strong>de</strong>r Isungen fällte,<br />

Nach<strong>de</strong>m er das Haupt ihm vom Halse gehauen.<br />

Bist du nun gesonnen nach Sigfrids Sehnsucht,<br />

So gib mir zurück ihn dies Ringlein,<br />

Das Isung getragen als Pfand <strong>de</strong>r Treue,<br />

Seit dich die Götter ihm gaben zur Gattin.<br />

Doch vermagst du sein Hoffen nicht zu erhören,<br />

So behalt’ es, und Sigfrid entsagt <strong>de</strong>r Krone.’<br />

Das hörte Hulda mit beben<strong>de</strong>m Herzen.<br />

Ihr Glutblick lag auf <strong>de</strong>s Herolds Begleiter,<br />

[170] Der völlig stumm blieb. Gestalt und Stellung<br />

Ähnelten Isungs; ihr ahnte Arglist.<br />

,Kannst du die Zeitung <strong>de</strong>s Herolds bezeugen?’<br />

Frug ihn Hulda. – Er nickte mit <strong>de</strong>m Haupte.<br />

,Mitnichten genügt mir <strong>de</strong>in bloßes Nicken,’<br />

Rief die Fürstin und rang nach Fassung.<br />

,Kannst du die Kun<strong>de</strong> nicht mit <strong>de</strong>r Kehle<br />

Bestätigen auf <strong>de</strong>r Stelle, du Bote, <strong>de</strong>r stumm tut,<br />

So muß ich meinen, die Mär sei erlogen.’<br />

Es war kein Ausweg, und Isung gab Antwort,<br />

Seine Stimme verstellend: ,Er ist gestorben.’<br />

,Ich hab’ es gehört!’ schrie Hulda zornig;<br />

,Es ist kein Märchen: für mich, ihr Memmen,<br />

Ist er gestorben, ist er bestattet<br />

In dieser Stun<strong>de</strong>, ist er zerstoben<br />

Zu nichts, <strong>de</strong>r Niding, <strong>de</strong>r Isung genannt war.’<br />

So rufend riß sie mit raschem Griffe<br />

Vom Kopfe <strong>de</strong>s Königs die eiserne Kappe<br />

Mit tiefer Senke, die täuschen<strong>de</strong>n Sachen,<br />

Die faltigen Bin<strong>de</strong>n, das falsche Barthaar,<br />

Dazu <strong>de</strong>n Mantel, <strong>de</strong>r ihn vermummte,<br />

Und er ließ es geschehn in Bestürzung <strong>de</strong>r Scham.<br />

Mit funkeln<strong>de</strong>n Augen rief die Fürstin:<br />

,Du wolltest beschleichen mit Schlangentücke,<br />

Was ohne Hoffnung mein Herz geheim hielt<br />

Und, traurig bekümmert, doch treu bekämpfte.<br />

Nun aber hör’ es unverhohlen<br />

92


Vor allen Leuten: ja, lange schon lieb’ ich<br />

Von ganzer Seele <strong>de</strong>n göttlichen Sigfrid.<br />

[171] An seiner Seite ertrüg’ ich selig<br />

Und ohne Bangen die bitterste Buße.<br />

Mir wäre besser, mit ihm verbun<strong>de</strong>n<br />

Mein Brot zu erbetteln, als weit zu gebieten<br />

Und dir vermählt sein, du wühlen<strong>de</strong>r Maulwurf,<br />

Du geborene Memme, Vermummt nur in Mannheit,<br />

Die <strong>de</strong>m arglosen Fein<strong>de</strong> die Feh<strong>de</strong> nicht ansagt,<br />

Ihn falsch überfällt beim geheiligten Festspiel,<br />

Mor<strong>de</strong>nd und brennend die Mauern zu brechen.<br />

O daß die Fabel, die du erfun<strong>de</strong>n,<br />

Dein Weib zu täuschen, zur Wahrheit wür<strong>de</strong>!’<br />

Sie ließ wie versteinert <strong>de</strong>n König stehen<br />

Und durcheilte die Pfalz, sich zu Pfer<strong>de</strong> zu werfen<br />

Und rasch zu entweichen, entwe<strong>de</strong>r nach Holmgart<br />

O<strong>de</strong>r nach Sachsen zum Hel<strong>de</strong>n Sigfrid.<br />

Doch Bewaffnete wehrten’s; in festen Gewahrsam<br />

Ward sie geführt auf <strong>de</strong>s Königs Befehl.<br />

Er hätte sie treulos weit lieber betroffen,<br />

Um sie dann auf <strong>de</strong>r Stelle nie<strong>de</strong>rzustoßen<br />

Vor aller Augen. Nun ihre Unschuld<br />

Das stolze Geständnis <strong>de</strong>r starken Seele<br />

Nur <strong>de</strong>sto <strong>de</strong>utlicher je<strong>de</strong>m dartat,<br />

Nun war er beschimpft und scheute sich <strong>de</strong>nnoch<br />

Die edle Gemahlin offen zu mor<strong>de</strong>n;<br />

Nun sollte sie sterben in aller Stille.<br />

So begab er sich heimlich zum Arzte <strong>de</strong>s Hofes<br />

Und for<strong>de</strong>rte Gift um reichen Goldlohn.<br />

Doch <strong>de</strong>r kannte <strong>de</strong>n König, hatt’ auch erkun<strong>de</strong>t,<br />

Was sich begeben, und scheute die Götter.<br />

[172] Zwar nahm er <strong>de</strong>n Mordlohn, doch Isunge mischt’ er<br />

Statt Giftes verschlagen <strong>de</strong>n kräftigsten Schlaftrunk;<br />

Dann eilt’ er gen Sachsen und suchte <strong>de</strong>n Sigfrid. –<br />

Was versammelt bei Susat am Saume <strong>de</strong>s Wal<strong>de</strong>s<br />

Die müßige Menge? In ihrer Mitte<br />

Erhebt sich ein Holzstoß aus breitem Haufen<br />

Von dürrem Gesträuch und dornigem Reisig,<br />

Durch die Scheite geflochten zur Leitung <strong>de</strong>r Flammen.<br />

Vergol<strong>de</strong>te Stangen entsteigen <strong>de</strong>n Ecken,<br />

Dran hängen an Haken manch gol<strong>de</strong>nes Halsband<br />

Und rote Ringe, doch auch eine Rüstung,<br />

Für Männer zu knapp, zu groß für Knaben,<br />

Die Brünne mit Brüsten, wie sie Gebrauch ist<br />

Für Königstöchter, die kampfestüchtig<br />

Erzogen wer<strong>de</strong>n, das Zepter zu führen,<br />

Weil an<strong>de</strong>re Erben <strong>de</strong>m Herrscher abgehn.<br />

Die Stangen tragen ein blaues Throndach<br />

Von Sei<strong>de</strong>, besät mit silbernen Sternen;<br />

Darunter entragt <strong>de</strong>m breiten Gerüste<br />

Ein Stuhl, aus Stämmen harzigen Holzes<br />

Massig gezimmert, umzogen mit Zun<strong>de</strong>r.<br />

Drauf lehnt in leinenem Leichengewan<strong>de</strong><br />

93


Die Tochter Hartnits, die Königin Hulda.<br />

Die fünfte Fahrt schon vollführte die Sonne,<br />

Seit sie verstummt und kalt erstarrt ist;<br />

Doch nicht weiß noch verwelkt sind ihre Wangen,<br />

Ihnen fehlt nicht Fülle noch rosige Farbe.<br />

Zum Schlummer nur scheinen die Augen geschlossen;<br />

[173] Noch steht auf <strong>de</strong>r Stirn ein stolzer Gedanke,<br />

Auf <strong>de</strong>n Lippen die Spur eines Lächelns voll Spott.<br />

Die Mienen <strong>de</strong>r Menge sind mürrisch und finster,<br />

Und geneigt zum Nachbar, doch kaum vernehmlich,<br />

Flüstert wohl mancher: ,Fluch <strong>de</strong>m Mör<strong>de</strong>r<br />

Der schuldlosen Herrin, <strong>de</strong>r schönen Hulda!’<br />

Doch sie beugen sich bange vor ihrem Gebieter,<br />

Der mit hun<strong>de</strong>rt Reitern in voller Rüstung<br />

In weitem Halbkreis <strong>de</strong>n Holzstoß umflügelt.<br />

Schon tritt <strong>de</strong>r Priester in prunken<strong>de</strong>r Trauer<br />

Heraus in die Mitte, das blinken<strong>de</strong> Messer<br />

In seiner Rechten. Im Rasen ritzt er<br />

Ein run<strong>de</strong>s Zeichen und läßt im Zirkel<br />

Eine knietiefe Grube die Knechte graben.<br />

Dann führt man gefesselt eine schwarze Färse,<br />

Welche <strong>de</strong>r Stier noch niemals bestiegen,<br />

Mit versilberten Hörnern zur Seite <strong>de</strong>r Grube.<br />

Er schert ihr vom Schopfe die Scheitelhaare<br />

Und zwängt ihr in <strong>de</strong>n Gaumen geweihte Gerste.<br />

Man beugt sie zu Bo<strong>de</strong>n; ein rascher Beilhieb<br />

Eines Gehilfen trifft sie am Haupte;<br />

Mit dumpfem Brüllen bricht sie zusammen<br />

Über <strong>de</strong>r Grube; das Messer <strong>de</strong>s Greises<br />

Durchritzt ihr <strong>de</strong>n Hals, und rot entrieselt<br />

Der Tau für die Toten, das Blut, zur Tiefe.<br />

Aus <strong>de</strong>m dampfen<strong>de</strong>n Spru<strong>de</strong>l die Dornen besprengend<br />

Mit <strong>de</strong>m Mistelstrauchwe<strong>de</strong>l, murmelt sein Mund nun<br />

Die lautlose Bitte <strong>de</strong>s Leichengebetes,<br />

Die <strong>de</strong>nnoch <strong>de</strong>utlich im Dunkel <strong>de</strong>s Abgrunds<br />

[174] Hela vernimmt, die Herrin <strong>de</strong>r Nachtwelt,<br />

Die schwarzgelockte, schweigsame Schwester<br />

Der mil<strong>de</strong>n Mutter <strong>de</strong>r Menschen und Götter.<br />

Als nun alles vollbracht war nach altem Gebrauche,<br />

Entwich er und winkte. Gehorsam warfen<br />

Die Knechte <strong>de</strong>s Fürsten knistern<strong>de</strong> Fackeln<br />

In die dürren Dornen. Dichte Dämpfe<br />

Umwirbeln alsbald in raschem Wachstum<br />

Den trockenen Holzstoß, <strong>de</strong>n Thronsitz Huldas;<br />

Dazwischen lecken, begierig lo<strong>de</strong>rnd,<br />

Die flackern<strong>de</strong>n Flammen. Schon fliegt ein Funke<br />

Auf die Hand <strong>de</strong>r Herrin, – und plötzlich erhebt sich<br />

Ein lautes Rufen. Den Rauch zerreißend,<br />

Weht ein Windstoß, und alle gewahren,<br />

Wie Hulda heftig die Hän<strong>de</strong> bewegt.<br />

Aus tausend Kehlen ertönt <strong>de</strong>r Angstruf:<br />

,Sie lebt. sie lebt! Löscht, löscht!’<br />

Doch die das versuchen, weichen zur Seite<br />

94


Mit taumeln<strong>de</strong>n Sinnen, versengtem Gesicht.<br />

Der Kreis wird weiter – Wirrwarr – Kreischen –<br />

Die Flamme wächst, alles flüchtet.<br />

Doch horch! man hört eiligen Hufschlag;<br />

Die Reihe <strong>de</strong>r Reiter vom Rücken durchbrechend,<br />

Sprengt ein Hüne auf schwarzem Hengste<br />

Mitten durch die Menge, mächtigen Satzes<br />

In <strong>de</strong>n dichten Dampf über die Dornen<br />

Hinüber, hinein in die Glut und hinauf<br />

Zu Huldas Thron, als trügen nicht Hufe,<br />

Nein, Flügel sein Roß durch Rauch und Flammen.<br />

[175] Wie schnell ich’s auch erzähle, noch schneller vollzog er’s:<br />

Er blieb im Sattel, beugte sich seitwärts,<br />

Umfaßte die Fürstin, gab die Fersen<br />

Dem Rappen zu fühlen, – <strong>de</strong>m Feuer entronnen,<br />

Die Königin tragend, rasch wie ein Traumbild,<br />

Sah man <strong>de</strong>n Sigfrid gen Susat jagen.<br />

Dort warteten wir mit fünfzig Wackern,<br />

Ich und <strong>de</strong>r Arzt. Um die Augen Huldas<br />

Strich dieser ein Sälbchen; sie kam zur Besinnung<br />

Und vollen Kräften. Die fünfzig Krieger<br />

Vertraute nun eiligs <strong>de</strong>m treuen Eckart<br />

Sigfrid zur Führung und sandte die Fürstin<br />

Zurück nach Homgart in ihre Heimat.<br />

Dort herrscht sie noch heute im Erbe Hartnits,<br />

Unangefochten vom falschen Isung,<br />

Der jetzt Not genug hat durch neidische Nachbarn.<br />

Doch Sigfrid selber nahm <strong>de</strong>n Gesellen,<br />

Der ihn in Holmgart <strong>de</strong>m König Hartnit<br />

Damals verraten, <strong>de</strong>n Rotkopf Regin,<br />

Aus seinem Kerker. Er zwang ihn zu bekennen<br />

Den Ort jenes Schatzes und gab <strong>de</strong>m Schufte<br />

Einen alten Gaul von gemächlicher Gangart,<br />

Uns vorauf zu reiten, doch nicht zu entrinnen.<br />

So zogen wir drei, <strong>de</strong>n Drachen zu suchen<br />

In seiner Höhle auf Gnitahei<strong>de</strong>.<br />

So weit als die Welt bewohnt ist von Menschen,<br />

Ist die Kun<strong>de</strong> gedrungen vom kühnsten <strong>de</strong>r Kämpfe,<br />

Den jemals bestan<strong>de</strong>n ein Staubgeborner.<br />

Ihr wisset sie sicher von an<strong>de</strong>ren Sängern;<br />

[176] Denn längst schon lauschen die Leute am liebsten<br />

Dem <strong>Lied</strong>e vom Lintwurm, <strong>de</strong>n Sigfrid erlegte.<br />

Das Nämliche nochmals von mir zu vernehmen,<br />

Ermü<strong>de</strong>te nur, und Mime mag nicht<br />

Worte verschwen<strong>de</strong>n; drum will ich nun schweigen.<br />

Erteilt ihr mir Beifall, und billigt es Sigfrid,<br />

So kann ich als Zeuge noch vieles erzählen<br />

Von seinen Fahrten in weite Fernen:<br />

Durch das neblige Nordmeer ins eisige Nachtland,<br />

Wo kochen<strong>de</strong> Spru<strong>de</strong>l <strong>de</strong>m Bo<strong>de</strong>n entspringen<br />

Und aus glänzen<strong>de</strong>n Gletschern die inneren Gluten<br />

Des düstern Hekla <strong>de</strong>n Himmel donnern;<br />

Von dort nach Winland im fernsten Westen<br />

95


Hinter mehrere Monate breitem Meere,<br />

Wo seltsam re<strong>de</strong>n<strong>de</strong>, rotbraune Menschen,<br />

Mit Büscheln am Kopf und bartlosem Kinne,<br />

In unwegsamen Wäl<strong>de</strong>rn vom Weidwerk leben;<br />

Nach <strong>de</strong>m sonnigen Sü<strong>de</strong>n, durch Herkels Säulen<br />

Ins Meer <strong>de</strong>r Mitte, zum Morgenlan<strong>de</strong>,<br />

Wo mit reicheren Gaben die gütigen Götter<br />

Die Menschen ernähren und an<strong>de</strong>rs genannt sind.<br />

Doch ein an<strong>de</strong>rer Abend ist auch geeignet,<br />

Den Met nach <strong>de</strong>r Mahlzeit mit Mären zu würzen.<br />

Heut vernahmt ihr genug. Schon tief in <strong>de</strong>r Nacht ist’s;<br />

So wünsch’ ich <strong>de</strong>nn <strong>de</strong>nen mit reinem Gewissen<br />

Zum Schlusse <strong>de</strong>s <strong>Lied</strong>es laben<strong>de</strong>n Schlaf.“<br />

[177]<br />

————<br />

Achter Gesang.<br />

——<br />

Im Saal entstand verlegene Stille,<br />

Als Mime nun schwieg. Die Männer schwankten<br />

Zwischen Aufbruch und Bleiben, fragen<strong>de</strong> Blicke<br />

Umsonst nach <strong>de</strong>m Sitze <strong>de</strong>s Fürsten sen<strong>de</strong>nd,<br />

Der we<strong>de</strong>r zum Beifall, noch auch zur Bettzeit,<br />

Wie er sonst gewohnt war, das Zeichen winkte.<br />

Der König lauschte schon längst nur lässig<br />

Auf Mimes Mär: seiner Mutter Antlitz<br />

Nahm ihn gefangen. Was fehlte nur Gutan?<br />

Ihre Wange war blaß, ihre Lippen wie blutlos,<br />

Ihre Augen ruhten, groß aufgerissen,<br />

Wo kein Gegenstand war, als schaue sie Geister,<br />

Als grüble sie nach über gramvolle Dinge;<br />

Und was machte sie zucken beim Schluß <strong>de</strong>s Erzählers?<br />

Mit solchen Fragen fruchtlos beschäftigt,<br />

Vergaß er sich selbst und seine Umgebung<br />

Und schien kaum zu merken, daß Mime geen<strong>de</strong>t.<br />

[178]<br />

Da regte sich Hagen mit Absicht geräuschvoll;<br />

Gunther ward wach; ein Wink seines Auges,<br />

Von leichter Bewegung <strong>de</strong>r Linken begleitet,<br />

Be<strong>de</strong>utete Aufbruch, und alles erhob sich,<br />

Was unten im Saal um die Tische gesessen.<br />

Erst jetzt begegnet’ auch Gutas Auge<br />

Aus tiefer Zerstreuung <strong>de</strong>m strafen<strong>de</strong>n Blicke<br />

96


Des Sohns, <strong>de</strong>r die Mutter verständlich mahnte,<br />

Nicht ganz zu vergessen, daß vor <strong>de</strong>n Gästen<br />

Aus <strong>de</strong>m Saale zu gehn ihr die Sitte geböte.<br />

So ging sie nun hastig. Ihr folgte Krimhil<strong>de</strong><br />

Mit <strong>de</strong>n dienen<strong>de</strong>n Frau’n. Ach, dahin war <strong>de</strong>r Frie<strong>de</strong><br />

Im Herzen Krimhil<strong>de</strong>ns! Nach seligem Hoffen<br />

Zweifelt’ es bang, seit <strong>de</strong>r zwerghafte Bar<strong>de</strong><br />

Voll Absicht erzählt von <strong>de</strong>r zärtlichen Neigung<br />

Der Tochter Hartnits zum tapferen Hel<strong>de</strong>n,<br />

Der die Fürstin gerettet vom Feuerto<strong>de</strong><br />

Und <strong>de</strong>s Vaters Reich ihr zurückgegeben.<br />

Auch was Horand, <strong>de</strong>r Harfner, zuvor von Brunhil<strong>de</strong>n<br />

Und Sigfrid gesungen, befiel ihre Seele<br />

Jetzt wie Reif die Rose nach lauem Regen<br />

Und störte neidisch mit nüchternen Fragen<br />

Den süßen Rausch nach Sigfrids Re<strong>de</strong>n.<br />

Wie durfte sie hoffen auf diesen Hel<strong>de</strong>n,<br />

Dies Wun<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Welt, umworben in Minne<br />

Von zweien Weibern, so mächtig, so weise?<br />

Sie boten ihm Kronen, – Was bot ihm Krimhild?<br />

Höchstens ein Lehn und ihr lieben<strong>de</strong>s Herz.<br />

So ging sie betrübt, um getröstet zu träumen.<br />

[179]<br />

Den frem<strong>de</strong>n Gästen wies durch die Gänge<br />

Zu <strong>de</strong>s hinteren Hofbaus geräumigen Hallen<br />

Den Weg <strong>de</strong>r Marschalk. Doch weigert’ es Mime,<br />

Im Schlosse zu schlafen; er müsse schleunigs<br />

Hinaus noch ins Lager zu Sigfrids Leuten.<br />

Dann, entledigt <strong>de</strong>r Laute, im le<strong>de</strong>rnen Gürtel<br />

Über die Hüfte <strong>de</strong>n schweren Hammer,<br />

Ging er aus <strong>de</strong>m Burgtor die Böschung hinunter<br />

Zum Weg am Wasser und eilte <strong>de</strong>n weiter.<br />

Als er geschritten so weit, als ein Schrei klingt,<br />

Da saß am Gesta<strong>de</strong>, ein Stückchen pfeifend,<br />

Der Islän<strong>de</strong>r Eyolf, und vor ihm am Ufer<br />

Lag, halb schon im Wasser, winzig wie ein Waschtrog,<br />

Ein schmales Kähnchen. Das war gar kunstvoll<br />

Gebil<strong>de</strong>t aus Borke nur eines Baumstamms.<br />

Unter <strong>de</strong>m Arme trug es einer<br />

Auf das bequemste; wie ein Quersack<br />

Auf Rossesrücken mit Riemen befestigt,<br />

Ward es beför<strong>de</strong>rt auf weiteren Fahrten.<br />

Mime bestieg es, stieß vom Gesta<strong>de</strong><br />

Das schaukeln<strong>de</strong> Schifflein, schob’s in die Tiefe,<br />

Ergriff dann das Ru<strong>de</strong>r und fuhr im Rheine<br />

Gegen <strong>de</strong>n Strom auf ein fernes Gesträuch zu,<br />

Wo beim Reiten heraufzu am Ran<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Wassers<br />

Sein Auge bemerkt ein altes Gemäuer<br />

Auf buschiger Insel, von Birken und Ulmen<br />

Dicht umschattet. Das wollt’ er beschauen;<br />

Denn ein dunkler Verdacht war aufgedämmert<br />

In seiner Seele beim ersten Sehn.<br />

[180]<br />

97


Zugleich mit <strong>de</strong>n Gästen, auf Gunthers Zeichen,<br />

Waren auch Gernot und Gisler gegangen.<br />

Doch Gunther blieb sitzen und winkte <strong>de</strong>m Sindolt,<br />

Dem Herold <strong>de</strong>s Hofes, <strong>de</strong>r seiner harrte.<br />

„Nimm ein Gefolge von Knechten mit Fackeln<br />

Und begib dich entgegen, Sindold, <strong>de</strong>m Gaste,<br />

Den zur Nacht wir erwarten. Sag’ ihm, ich wachte<br />

In meinem Gemach und möchte noch manches<br />

Mit ihm bere<strong>de</strong>n. Befiehl auch <strong>de</strong>m Rumolt,<br />

Etwas zum Imbiß und e<strong>de</strong>lsten Ausbruchs<br />

Aus unserem Keller zwei Kannen zu sen<strong>de</strong>n.“<br />

Als nun <strong>de</strong>r Herold, rasch gehorchend,<br />

Den Saal verlassen, da sagte zu Hagen,<br />

Der immer noch dasaß in düstern Gedanken,<br />

Der Männergebieter: „Magst du dabei sein,<br />

Wann ich mit Sigfrid zu re<strong>de</strong>n versuche<br />

Von Volkers Botschaft, vom Bil<strong>de</strong> Brunhilds,<br />

Von meinen Wünschen, vom kühnen Wagnis,<br />

An das ich <strong>de</strong>nke?“<br />

„Ich halt’ es für dienlich,“<br />

Entgegnete Hagen, „<strong>de</strong>r Gäste wegen<br />

Durchs Weichbild zu wan<strong>de</strong>rn, damit die Wachen<br />

Meinen Befehl gehorsam befolgen.<br />

Du sahst nur die Vorhut vom Heere <strong>de</strong>s Findlings;<br />

Noch an tausend Recken, und alle beritten,<br />

Lagen draußen in drohen<strong>de</strong>r Nähe.<br />

Ich fürchte zwar nichts mehr, doch immer ist Vorsicht<br />

Ein besserer Trost als blin<strong>de</strong>s Vertrauen.<br />

Doch ich spute mich schon und komme später.<br />

[181] Verschiebe daher die feste Entscheidung.<br />

Suche <strong>de</strong>n Sigfrid nach <strong>de</strong>inem Sinne<br />

Zu locken und lenken, und wirb ihn zum Lehnsmann,<br />

Nur bin<strong>de</strong> dich nicht, bis ich dabei bin.“<br />

„Das versteht sich von selbst, die Sorge verbanne<br />

Und komm, wie du kannst.“ Dies versetzte <strong>de</strong>r König<br />

Und schritt aus <strong>de</strong>m Saal. Ihm traten zur Seite,<br />

Draußen schon harrend, zwei Diener <strong>de</strong>s Hofes<br />

Mit wächsernen Fackeln. Sie führten <strong>de</strong>n Fürsten<br />

Durch Türen und Gitter und tönen<strong>de</strong> Gänge<br />

Nach seinen Stuben die Stiegen empor.<br />

Nun blieb im Hauptsaal <strong>de</strong>r einzige Hagen.<br />

Sein Haupt gestützt auf die starke Rechte,<br />

Brütet’ er sorgend, bis das Gesin<strong>de</strong><br />

Aus <strong>de</strong>n Kammern kam <strong>de</strong>s Kellergeschosses,<br />

Mit Besen und Bürsten die Bänke zu säubern,<br />

Mit Bütten voll Wasser die Becher zu waschen<br />

Und das schöne Geschirr, auch <strong>de</strong>n Bo<strong>de</strong>n zu scheuern,<br />

In <strong>de</strong>n Feuergefäßen die glimmen<strong>de</strong>n Funken<br />

Und sodann zuletzt auch die Lampen zu löschen.<br />

Kurz bevor sie geräuschvoll <strong>de</strong>n Eingang erreichten,<br />

Nahm er ein Lämpchen in seine Linke,<br />

Zog einen Schlüssel und schlüpfte behän<strong>de</strong><br />

Durch die Wand <strong>de</strong>s Saals, wo ein seitliches Pförtchen<br />

98


Die gewebten Bil<strong>de</strong>r <strong>de</strong>m Auge verbargen.<br />

Ein mannsbreites Treppchen ging in <strong>de</strong>r Mauer<br />

Rechts in die Tiefe zum Rhein hinunter,<br />

Links nach oben. Am oberen Ausgang<br />

Schloß er die Tür auf und trat in <strong>de</strong>n Turm ein,<br />

[182] Der über <strong>de</strong>m Osttor <strong>de</strong>r Hofburg aufstieg,<br />

Das Land überschauend, aus je<strong>de</strong>m Geschosse<br />

Der geräumigen Pfalz durch ein Pförtchen erreichbar.<br />

Im Inneren umrankte die run<strong>de</strong> Mauer<br />

Eine breite Stiege von bretternen Stufen<br />

Bis zur Falltür im Balkengefuge,<br />

Das <strong>de</strong>n oberen Teil <strong>de</strong>s Turmes abschloß.<br />

Diese Falltür nun fand er – worauf er gefaßt war –<br />

Offen lehnend und lichtdurchschimmert.<br />

Und wartend blieb er stehn auf <strong>de</strong>n mittleren Stufen.<br />

Auch währt’ es nicht lange, so sah er ein Lämpchen<br />

Die Falltür durchblinken, das bleiche Antlitz<br />

Gutas beleuchtend. Langsam kam sie<br />

Herunter geschritten, gewahrte, erschreckend,<br />

Doch rasch ihn erkennend und wie<strong>de</strong>r beruhigt,<br />

Den harren<strong>de</strong>n Bru<strong>de</strong>r, stieg hastig hernie<strong>de</strong>r<br />

An seine Seite und sagte flüsternd:<br />

„Von <strong>de</strong>r Truhe <strong>de</strong>r Sachsin hab’ ich <strong>de</strong>in Siegel<br />

Nun <strong>de</strong>nnoch gelöst. Die Locke Sigmunds,<br />

Der welke Kranz, das gol<strong>de</strong>ne Krönchen,<br />

Das liegt alles darin . . .“<br />

„Auch eines Ringes<br />

Gebrochene Hälfte?“ frug rasch ihr Bru<strong>de</strong>r,<br />

„In gol<strong>de</strong>ner Kapsel, an gleichem Kettlein?<br />

Die trug sie am Halse, das hab ich von Holmgart<br />

Durch Volker von Alzey, <strong>de</strong>n e<strong>de</strong>ln Fidler,<br />

Erst kürzlich erfahren.“<br />

„Nicht Kapsel noch Kettlein“<br />

Entgegnete Guta.<br />

[183] „So hat uns <strong>de</strong>r Gaudieb,<br />

Der Schurke Sibich, <strong>de</strong>n Schatz entwen<strong>de</strong>t;<br />

Denn Wen<strong>de</strong>l ist wahrhaft. So wenig das Wasser<br />

Des Baches zum Berg hin rückwärts die Bahn wählt<br />

Aus <strong>de</strong>r Tiefe <strong>de</strong>s Tales, so wenig ist Täuschung<br />

Und Lüge möglich im Mun<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Alten,<br />

Der in ehrlicher Einfalt nimmer was andres<br />

Zu sagen wüßte, als was er gesehn hat.<br />

Hieher zu tragen die Truhe <strong>de</strong>r Sachsin<br />

War Gibichs Befehl; ich folgte nur murrend;<br />

Sie im Rhein zu versenken dünkte mir rätlich.<br />

Doch Gibich meinte, noch manches Kleinod<br />

Drin vorzufin<strong>de</strong>n, das nach <strong>de</strong>r Feh<strong>de</strong><br />

Mit Wittkinn, <strong>de</strong>m Sachsen, verwendbar wäre,<br />

Um <strong>de</strong>n Alten zu kö<strong>de</strong>rn zum Kauf <strong>de</strong>s Frie<strong>de</strong>ns.<br />

Doch harrte ja Gibich <strong>de</strong>s Frie<strong>de</strong>ns vergeblich,<br />

Und heute noch wütet mit Wittkins Erbsohn<br />

Leu<strong>de</strong>ger fort die lange Feh<strong>de</strong>.“<br />

„Du sahst,“ unterbrach hier Guta <strong>de</strong>n Bru<strong>de</strong>r,<br />

99


„Du sahst nicht beim Siegeln in sämtliche La<strong>de</strong>n?“<br />

„Ich dachte damals an größere Dinge,“<br />

Entgegnete Hagen auf Gutas Frage.<br />

„Was lag mir an Lappen, an Liebeszeichen?<br />

Was konnte mich kümmern <strong>de</strong>in schmuckes Kästchen,<br />

Wie genau es mir nun auch auf Mimes Nachricht<br />

Erinnerlich auftaucht, als hätt’ ich’s vor Augen.<br />

Den Tand in <strong>de</strong>r Truhe nur flüchtig betrachtend,<br />

Setzt’ ich darauf alsbald die Siegel<br />

Mit meinem Schwertknopf, als Wen<strong>de</strong>l geschworen,<br />

[184] Drin lägen beisammen die Sächlein alle,<br />

Die das sächsische Weib in seiner Wohnung,<br />

Da sie starb, hinterlassen.“<br />

„So war’s we<strong>de</strong>r Lüge<br />

Noch die ganze Wahrheit,“ entgegnete Guta.<br />

„Was uns bei<strong>de</strong>, Hagen, hieher entboten,<br />

War kein falsches Ahnen. Das Unheil erfüllt sich.<br />

Er ist es, er ist es, er mor<strong>de</strong>t uns alle!<br />

Mein schrecklicher Traum ist eingetroffen,<br />

Unser ganzes Geschlecht wird die Schlange verschlingen.<br />

Ja, das Schifflein mit Schildkrot, das ich ihr einst schenkte,<br />

Es fehlt, es ist fort, und <strong>de</strong>n Bastart fischte<br />

In ihm <strong>de</strong>r Zwerg auf, es ist kein Zweifel.“<br />

„Sei ruhig, Guta, noch schaff’ ich Rettung,“<br />

Erwi<strong>de</strong>rte Hagen, „nur hindre nicht länger,<br />

Was ich schon damals zu tun gedachte<br />

Und aus Schwäche verschwor, weil dir schwindlig wur<strong>de</strong>.<br />

So löse mich nun von meinem Gelöbnis.“<br />

„Geschehe, was muß, nur kein Mord mehr!“<br />

Entgegnete Guta. „Bei allen Göttern<br />

Fleh’ ich dich an! Der Fluch <strong>de</strong>s Geschlechtes<br />

Wür<strong>de</strong> sich furchtbar an mir sonst erfüllen.<br />

Die Welt ist ja groß. Verweise <strong>de</strong>n Graukopf<br />

An ihr äußerstes En<strong>de</strong>, verwehr’ ihm die Umkehr,<br />

Nur entreiß’ ihm nicht sein Restchen Leben,<br />

Sonst, ich weiß es gewiß, verfall’ ich <strong>de</strong>m Wahnsinn.“ –<br />

So sprachen die Niblunge dort mit einan<strong>de</strong>r.<br />

Dann betrat <strong>de</strong>r Tronjer das heimliche Treppchen,<br />

Ging vorüber am Saal, entriegelte leise<br />

[185] Im Grundbau <strong>de</strong>r Pfalz das Pförtchen und schlüpfte<br />

Hinaus in die Nacht. Da lag ein Nachen<br />

Nicht unter <strong>de</strong>m Pförtchen am Uferpfa<strong>de</strong>;<br />

Den löst’ er kundig von seiner Kette,<br />

Nahm aus <strong>de</strong>m Kasten am Kiele <strong>de</strong>s Fahrzeugs<br />

Das Ru<strong>de</strong>r heraus und die Stange zum Stoßen,<br />

Stieß ab vom Ufer und setzte sich über<br />

Nach <strong>de</strong>m dicht bewal<strong>de</strong>ten Wer<strong>de</strong>r jenseits.<br />

So finster es war, er fand <strong>de</strong>n Fußsteig<br />

Zur Lichtung im Innern <strong>de</strong>r länglichen Insel.<br />

Versteckt in <strong>de</strong>r Mitte stund ein Gemäuer<br />

Auf lebendigem Quarz, von grauen Qua<strong>de</strong>rn,<br />

Rauh gemeißelt und ohne Bemörtlung<br />

Emporgeschichtet, ge<strong>de</strong>ckt mit Schiefer<br />

100


Und geformt wie ein Turm auf befestigtem Tore.<br />

Eine steinerne Stiege von fünfzehn Stufen<br />

Führte von außen zum engen Eingang<br />

Mit eichenem Pförtchen in Pfosten von Sandstein.<br />

Am Ringe darunter hing verrostet<br />

Eine lange Kette, an welcher ein Kahn lag<br />

Unten im Trocknen neben <strong>de</strong>r Treppe;<br />

Denn zur obersten Schwelle stieg überschwemmend<br />

Zuweilen das Wasser nach harten Wintern.<br />

Hier paßte zum Schloß <strong>de</strong>r nämliche Schlüssel,<br />

Der im Saale <strong>de</strong>r Pfalz das seitliche Pförtchen<br />

Drüben ihm auftat. Den dreht’ er, und ächzend<br />

Ruckten die Riegel im steinernen Rahmen.<br />

Nun betrat er im Innern die Wen<strong>de</strong>ltreppe,<br />

Gelangte zur Tür <strong>de</strong>s Turmgemaches<br />

[186] Und hörte drin Hun<strong>de</strong> knurren und heulen.<br />

Er klopfte gebietend. Ein Schlüsselbund klirrte, –<br />

Dann schleifen<strong>de</strong> Tritte wie schlaftrunken<br />

Und ein Ruf, <strong>de</strong>r die Hun<strong>de</strong> zur Ruhe brachte.<br />

„Wer ist auf <strong>de</strong>r Treppe?“<br />

„Hagen von Tronje;<br />

Du weißt es ja, Wen<strong>de</strong>l, zu <strong>de</strong>iner Wohnung<br />

Öffnet sich selbst kein andrer <strong>de</strong>n Eingang.“<br />

Da knackte <strong>de</strong>r Riegel, die Angeln knarrten,<br />

Und es tat sich die Tür auf zum Turmgemache.<br />

Der fahle Schimmer <strong>de</strong>r Fensterscharten<br />

Durchdämmerte schwach nur die dunkle Stube.<br />

So wollte nun Wen<strong>de</strong>l, die Wangen füllend,<br />

Am Herd ein Fünkchen zu hellem Feuer<br />

Lebendig blasen; doch schon durchblinkten<br />

Die Blitze <strong>de</strong>s Stahles und Steines die Stube<br />

Und zeigten verzuckend <strong>de</strong>r Wän<strong>de</strong> Zierrat:<br />

Den Kopf eines Bären, <strong>de</strong>r grimmig und boshaft<br />

Aus gläsernen Augen vom Simse glotzte,<br />

Gerät und Waffen zum rüstigen Weidwerk,<br />

Geweihe von Hirschen, Häupter <strong>de</strong>s Wildschweins<br />

Mit weißen Hauern, Hörner <strong>de</strong>s Wisent,<br />

Des Ures und Elches, auch Armbrüste, Angeln,<br />

Reusen zum Fischfang und Raubtierfallen.<br />

Mit kantigem Kiesel schlug Hagen die Kimme<br />

Seines kurzen Schwerts; ein geschwefeltes Schwämmchen<br />

Faßte <strong>de</strong>n Funken, welcher gefangen<br />

Geschlagen im Stahl und von Schlage <strong>de</strong>s Steines<br />

Wie<strong>de</strong>r erwacht war. Sein ewiger Wunsch ist,<br />

[187] Zu wachsen zum Weltbrand. Mit hungriger Wollust<br />

Verzehrt er <strong>de</strong>n Zun<strong>de</strong>r; doch, rasch gezügelt,<br />

Muß er in Demut <strong>de</strong>m Menschen dienen,<br />

Als schwelen<strong>de</strong>s Flämmchen <strong>de</strong>n Schwefel verflüchten<br />

Und als mäßiges Licht, in <strong>de</strong>r ir<strong>de</strong>nen Lampe<br />

Maulkorb gebun<strong>de</strong>n, das Mark einer Binse<br />

Und das Fett eines Farren als spärliches Futter<br />

Naschend zernagen und langsam nippen,<br />

Anstatt zu steigen empor zu <strong>de</strong>n Sternen<br />

101


Und wie<strong>de</strong>r, wie weiland im Wirrwarr <strong>de</strong>s Wer<strong>de</strong>ns,<br />

Die sterben<strong>de</strong> Er<strong>de</strong> am letzten Sturztag<br />

Als lo<strong>de</strong>rn<strong>de</strong> Sonne leuchten zu lassen.<br />

Nun warf sich <strong>de</strong>r Weidmann von siebenzig Wintern<br />

Um das wollene Wams noch <strong>de</strong>n wärmen<strong>de</strong>n Mantel,<br />

Gefüttert mit Fuchspelz, dabei in Vorsicht<br />

Am <strong>de</strong>rben Horngriff <strong>de</strong>n Hirschfänger haltend,<br />

Und bewacht lauernd beim Wachsen <strong>de</strong>s Lichtes<br />

Mit <strong>de</strong>n Falkenaugen das finstere Antlitz<br />

Des späten Gastes. Er spürte vergebens<br />

Nach irgend einem Zeichen in <strong>de</strong>ssen Zügen,<br />

Was er wohl göre in seinem Geiste;<br />

Denn starr und steinern blieb Hagens Stirn.<br />

Und Hagen begann: „Du mußt noch heute<br />

In <strong>de</strong>n O<strong>de</strong>nwald mit eiliger Botschaft.<br />

Mel<strong>de</strong> <strong>de</strong>m Markwart, <strong>de</strong>m Jägermeister,<br />

Der König komme schon binnen kurzem,<br />

Mit vielem Gefolge im Forste zu jagen.<br />

Dort lugt aus <strong>de</strong>n Föhren das letzte Viertel;<br />

Am Tage <strong>de</strong>s Neumonds muß Obdach und Nahrung,<br />

[188] Wein und Bewirtung für eine Woche<br />

Für die Herren sowohl als ihre Gehülfen<br />

Aufs beste bereit sein, auch alles gerüstet<br />

Zur Jagd auf das Wildschwein, Schelch und Wisent.<br />

Jetzt eile dich, Alter; ans rechte Ufer<br />

Setz’ ich dich selbst. In<strong>de</strong>s um die Sohle<br />

Du bin<strong>de</strong>st <strong>de</strong>n Bastschuh und um die Beine<br />

Die schützen<strong>de</strong>n Schäfte von weichem Schafsfell,<br />

Nehm’ ich <strong>de</strong>n Stab hier, um <strong>de</strong>ine Bestellung<br />

Mit Runen zu ritzen in seine Rin<strong>de</strong>;<br />

Den gib nur <strong>de</strong>m Markwart zum Zeugnis <strong>de</strong>r Meldung.“<br />

Daß man i h n just ersehen zu solchem Auftrag,<br />

Den doch rascher bestellt ein reiten<strong>de</strong>r Bote,<br />

Schien Wendle seltsam; doch sinnend und suchend<br />

Nach <strong>de</strong>r Fürsten Absicht im Finstern zu tappen,<br />

Des entschlug er sich ganz, <strong>de</strong>nn zu schlecht verstand er’s.<br />

Im Forste fand er die feinste Fährte;<br />

Den verschlagenen Fuchs beschlich er und fing ihn;<br />

Auf dreifachen Pfeilschuß im pfadlosen Dickicht<br />

Erkannt’ er im Laube zwei lauern<strong>de</strong> Lichter<br />

Und ent<strong>de</strong>ckte <strong>de</strong>n Luchs; doch sein Denken war langsam<br />

Und weit und gewun<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r ungewohnte<br />

Weg vom Verwun<strong>de</strong>rn zum <strong>de</strong>utlichen Worte.<br />

Nicht alles sei richtig, das ahnt’ und erriet er;<br />

Doch er mußte gehorchen. So macht’ er sich hurtig<br />

Und, ohne zu re<strong>de</strong>n, reisefertig.<br />

Bald sprangen voran die gesprenkelten Rü<strong>de</strong>n,<br />

Zum Ärger Hagens, <strong>de</strong>r’s Kin<strong>de</strong>rn und Hun<strong>de</strong>n<br />

Von Herzen vergalt, daß sie alle ihn haßten.<br />

[189] Die Treppe hinunter <strong>de</strong>m Tronjer folgend,<br />

Schloß Wen<strong>de</strong>l die Pforte. Doch rückwärts vom Pfa<strong>de</strong><br />

Sprangen die Doggen, spürten im Dickicht,<br />

Hoben dann schnuppernd empor die Schnauzen<br />

102


Und stan<strong>de</strong>n bellend am Stamm <strong>de</strong>r Birke,<br />

Die hinter <strong>de</strong>m Turm, halb herum von <strong>de</strong>r Türe,<br />

Bis dicht an das Dach ihr Astwerk <strong>de</strong>hnte.<br />

„Sie wittern ein Wiesel im Wipfel oben“,<br />

Meinte Hagen. „Hat nicht ein Häher<br />

Dort oben sein Nest? Dem nascht es die Eier.“<br />

„Vorüber ist längst auch die zweite Legzeit“,<br />

Erwi<strong>de</strong>rte Wen<strong>de</strong>l. „Das ist kein Wiesel!“<br />

Er lauschte staunend. „Ich verstehe die Stimmen<br />

Des Munter und Rüstig wie Menschenre<strong>de</strong>.<br />

So geben sie Laut vor einem Luchse,<br />

Vor wil<strong>de</strong>n Katzen, – noch kam <strong>de</strong>ren keines,<br />

Daß ich es wüßte, auf diesen Wer<strong>de</strong>r.<br />

So haben sie zornig vor kleinem Geziefer<br />

Nur einmal gestan<strong>de</strong>n: einem stachlichten Igel,<br />

Der ihnen mit Na<strong>de</strong>ln die Nasen zerstochen.<br />

Ja, so klingt ihr Gekläff, nur klettert ein Igel<br />

Niemals auf Bäume, und hoch in <strong>de</strong>r Birke<br />

Ist auch was verborgen, weswegen sie bellen.“<br />

„Ich will <strong>de</strong>r Deutung und <strong>de</strong>iner ge<strong>de</strong>nken,“<br />

Sprach höhnisch Hagen, „sobald man bei Hofe<br />

Der Dienste bedarf von einem Dolmetsch<br />

Der Hun<strong>de</strong>sprache, in <strong>de</strong>r du ein Held scheinst.<br />

Doch wir haben Eile, und ist es ein Igel, –<br />

Schenk’ ihm das Leben und laß ihn laufen.<br />

[190] So rufe zur Ruhe die rasen<strong>de</strong>n Köter,<br />

Kopple sie fest und komm in <strong>de</strong>n Kahn.“<br />

Nicht gar willig gehorchte Wen<strong>de</strong>l Hagne,<br />

Doch zog er <strong>de</strong>n Riem durch die Halsbandringe,<br />

Bemeisterte mühsam die mürrischen Tiere<br />

Und folgt’ in <strong>de</strong>n Nachen. Sie fuhren hinunter<br />

In mäßiger Strömung die weite Strecke<br />

Bis zur Spitze <strong>de</strong>s Wörths, wo Hagen wandte,<br />

Um ru<strong>de</strong>rnd zu erreichen das rechte Ufer.<br />

Als <strong>de</strong>r Kahn sich raschelnd vom Kiesel <strong>de</strong>s Ran<strong>de</strong>s<br />

Durch das Weidig <strong>de</strong>s Wer<strong>de</strong>rs hinunter bewegte,<br />

Da ward es lebendig im Wipfel <strong>de</strong>r Birke.<br />

Geschwin<strong>de</strong> klomm es, ein schwärzlicher Klumpen,<br />

An <strong>de</strong>r weißen Rin<strong>de</strong> geräuschlos herunter.<br />

Nun schien es tappend umher zu tasten<br />

Und bald am Bo<strong>de</strong>n im nie<strong>de</strong>ren Buschwerk<br />

Die Sache zu fin<strong>de</strong>n, nach welcher es suchte.<br />

Und jetzt erhob sich, auf <strong>de</strong>m wolligen Haupte<br />

Die verlorene Mütze, <strong>de</strong>r listige Mime.<br />

Er rannte zum Rhein auf die rechte Seite<br />

Des langen Wer<strong>de</strong>rs, schob ins Wasser<br />

Den schmalen Nachen und war schon hinüber,<br />

Als die an<strong>de</strong>ren eben die Ecke <strong>de</strong>r Insel<br />

Rechts umbogen. In die Binsen am Ran<strong>de</strong><br />

Schob er sein Boot und verbarg sich im Schilf.<br />

Schon klangen durch die Stille die Stöße <strong>de</strong>r Stange;<br />

Das Plätschern um die Planken <strong>de</strong>s Nachens ward vernehmlich.<br />

Jetzt beugte sich raschelnd vor <strong>de</strong>m Buge das Röhricht,<br />

103


Und erreicht war <strong>de</strong>r Rand mit knirschen<strong>de</strong>m Ruck.<br />

[191]<br />

Da hielt sich Mime die Hand an die Muschel<br />

Des Ohres und horchte, <strong>de</strong>nn so sprach Hagen:<br />

„Warte noch, Wen<strong>de</strong>l. Bevor du wan<strong>de</strong>rst,<br />

Gib über eines mir erst noch Auskunft.<br />

Es ist nicht wichtig, doch Gibichs Witwe,<br />

Die Königin Guta, begehrt es zu wissen.<br />

Sie sah im Traum eine große Truhe<br />

Mit La<strong>de</strong>n zum Ziehn, aus Ze<strong>de</strong>rnholz zierlich<br />

Und fest gefertigt, mit vergol<strong>de</strong>ten Füßen<br />

Gleich <strong>de</strong>nen <strong>de</strong>s Dachses, auch glänzten doppelt<br />

An je<strong>de</strong>r La<strong>de</strong> zwei Löwenköpfe,<br />

Gemeißelt von Messing, mit Ringen im Maule.<br />

Es trat an die Truhe – so träumte Gutan, –<br />

Ein bleiches Weib in weißem Gewan<strong>de</strong>,<br />

Mit welken<strong>de</strong>n Wangen und leise wimmernd.<br />

Sie bückte sich zur längsten und tiefsten <strong>de</strong>r La<strong>de</strong>n,<br />

Drehte <strong>de</strong>n Riegel, zog an <strong>de</strong>n Ringen<br />

Und hob aus <strong>de</strong>m Schubfach ein schönes Kästchen,<br />

Das die La<strong>de</strong> gefüllt, wohl viertehalb Faust hoch<br />

Und an<strong>de</strong>rthalb Ellen von En<strong>de</strong> zu En<strong>de</strong>,<br />

Belegt mit Schildkrot, geformt wie ein Schifflein<br />

Und mit glitzern<strong>de</strong>m Deckel von dickem Glase.<br />

Drin lagen die Leichen von Lilien und Rosen,<br />

Eine lange Locke lichtesten Goldhaars,<br />

Ein welker Kranz und ein gül<strong>de</strong>nes Krönchen.<br />

Seufzend verschüttet sie diese Schätze, –<br />

Dann schreit sie und schau<strong>de</strong>rt, – aus ihrem Schoße<br />

Schlüpft eine Schlange. Diese nun schließt sie<br />

Rasch in das Kästchen. Da kommen rauschend<br />

[192] Wil<strong>de</strong> Gewässer. Mit <strong>de</strong>n wachsen<strong>de</strong>n Wogen<br />

Schwimmt es von dannen, das Weib verschwin<strong>de</strong>t.<br />

Jahre rauschen rasch vorüber, –<br />

Denn also treibt’s <strong>de</strong>r betrügliche Traumgott –;<br />

Mit Gunther im Garten lustwan<strong>de</strong>lt Guta,<br />

Da hört sie plötzlich ein lautes Geplätscher,<br />

Und <strong>de</strong>n Rhein herauf mit rasen<strong>de</strong>r Schnelle<br />

Win<strong>de</strong>t und wälzt sich ein gräuliches Wurmtier<br />

In riesigen Ringeln. Schon öffnet’s <strong>de</strong>n Rachen,<br />

Um Guta, Gunthern und alle Burgun<strong>de</strong>n<br />

Hinunter zu schlingen, – da wich ihr Schlummer.<br />

Doch nun war sie erwachend gar sehr verwun<strong>de</strong>rt;<br />

Denn ein solches Kästchen kannte sie wirklich,<br />

Auch solch’ eine Truhe gleich <strong>de</strong>r Traum. –<br />

Auch dir vertraut sein muß diese Truhe;<br />

Dir ist’s kein Geheimnis, dieselbe gehörte<br />

Der, die weiland bewohnt <strong>de</strong>n Turm auf <strong>de</strong>m Wer<strong>de</strong>r.<br />

Und die du zusammen mit Sibich bewachtest.<br />

Als <strong>de</strong>r Tod sie erlöst von längeren Lei<strong>de</strong>n,<br />

Sahst du mich selbst die Truhe versiegeln<br />

Mit meinem Schwertknopf, nach<strong>de</strong>m du geschworen,<br />

Drin lägen <strong>de</strong>r Sachsin sämtliche Sachen.<br />

104


So hat sie gestan<strong>de</strong>n im obersten Stockwerk<br />

Des Turms auf <strong>de</strong>m Tor seit <strong>de</strong>n Tagen Gibichs.<br />

Doch, nach diesem Gesichte die La<strong>de</strong>n entsiegelnd,<br />

Vermißte die Mutter <strong>de</strong>s Königs das Kästchen,<br />

Das geformt wie ein Schiff und mit Schildkrot belegt war.<br />

Dieweil <strong>de</strong>r Sibich südwärts nach Welschland<br />

Schon damals gegangen, begehrt nun Guta<br />

[193] Von dir zu wissen, mein wackerer Wen<strong>de</strong>l,<br />

Wie das kostbare Kästchen abhan<strong>de</strong>n gekommen.“<br />

„Ich kann’s nur erraten,“ entgegnete ruhig<br />

Der alte Weidmann. „Ihr wer<strong>de</strong>t’s ja wissen,<br />

Was ihr damals befohlen, du und die Fürstin,<br />

Meinem Gefährten Sibich, <strong>de</strong>m Falkner.<br />

Wohl kannt’ ich das Kästchen. Die Königin selber,<br />

Schon in banger Erwartung und Wehen empfin<strong>de</strong>nd,<br />

Trug’s aus <strong>de</strong>r La<strong>de</strong> neben ihr Lager,<br />

Zu dienen statt Wiege; ich füllt’ es mit Waldmoos.<br />

Die nächste Nacht verschlief ich benebelt<br />

Und nichts vernehmend von ihren Nöten,<br />

Weil Sibich, <strong>de</strong>r Schuft, mir scharfe Würzen<br />

In <strong>de</strong>n Met gemischt. Am an<strong>de</strong>ren Morgen,<br />

Als ich taumelnd erwacht aus wüster Betäubung,<br />

War aus <strong>de</strong>r Kammer das Kästchen verschwun<strong>de</strong>n<br />

Leer das Lager, das Linnen blutig.<br />

Draußen fand ich die arme Fürstin<br />

Auf <strong>de</strong>r steinernen Stiege unteren Stufen,<br />

Nichts mehr verstehend und eben im Sterben.<br />

Der ganze Wer<strong>de</strong>r stand unter Wasser;<br />

Schlammige Wellen schlugen wachsend<br />

Um ihre Füße und färbten sich rötlich<br />

Am Saum <strong>de</strong>s Gewan<strong>de</strong>s, <strong>de</strong>n sie umwuchsen.<br />

Vom Ringe <strong>de</strong>s Riegels nicht abgerissen,<br />

Son<strong>de</strong>rn enthakt vom geheimen Hemmschloß,<br />

Das nur ich selber und Sibich kannten,<br />

War die Kette, verschwun<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Kahn.<br />

So mußt’ ich vermuten, daß er sich bemächtigt<br />

[194] Des Kästchens und <strong>de</strong>s Kin<strong>de</strong>s. Er kam nicht wie<strong>de</strong>r.<br />

Zum Sarge <strong>de</strong>s Säuglings <strong>de</strong>r Witwe Sigmunds<br />

Ward wohl das Kästchen. Was sucht ihr nach Kun<strong>de</strong>,<br />

Was spähet ihr jetzt erst so spät nach Spuren<br />

In meinem Gedächtnis von dunkeln Dingen,<br />

Von <strong>de</strong>nen ich <strong>de</strong>nke, <strong>de</strong>utlicher weiß wohl<br />

Gibichs Witwe die ganze Wahrheit?“<br />

„Du kannst nun gehen,“ entgegnete Hagen;<br />

„Ich wer<strong>de</strong> mel<strong>de</strong>n, was du vermutest.“<br />

Voran durchs Röhricht sprangen die Rü<strong>de</strong>n,<br />

Noch am Riemen befestigt, und Wen<strong>de</strong>l folgte.<br />

Am Ufer oben stand nun <strong>de</strong>r Alte,<br />

Tief Atem holend, die Hun<strong>de</strong> haltend,<br />

Und gestützt auf <strong>de</strong>n Stock mit Runenstäben.<br />

In <strong>de</strong>r spärlichen Helle <strong>de</strong>r Sichel <strong>de</strong>s Mon<strong>de</strong>s<br />

Sah er <strong>de</strong>n Hagen die Mitte <strong>de</strong>s Sun<strong>de</strong>s<br />

Vom rechten Ufer zur Insel durchru<strong>de</strong>rn<br />

105


Und weiter gleiten durchs glitzern<strong>de</strong> Wasser.<br />

Als er nun ankam zur unteren Ecke<br />

Und wen<strong>de</strong>nd verschwun<strong>de</strong>n war hinter <strong>de</strong>m Wer<strong>de</strong>r,<br />

Da wollte Wen<strong>de</strong>l gen Osten wan<strong>de</strong>rn,<br />

Wo <strong>de</strong>r Morgenstern blinkt’ und allmählich erbleichend<br />

Die an<strong>de</strong>ren Sterne ihr Anlitz [!] versteckten,<br />

Als plötzlich wie rasend an ihren Riemen<br />

Die Rü<strong>de</strong>n rissen und raschelnd aus <strong>de</strong>m Röhricht<br />

Ein Männchen schlüpfte. Mutig entschlossen<br />

Kam es geschritten. Da rief erschrocken<br />

Der alte Weidmann: „Hinweg, du Wuwuz,<br />

Du Kobold <strong>de</strong>r Dämmrung, zum König <strong>de</strong>r Dysen!<br />

[195] Bist du Fleisch und Bein, so flieh und verbirg dich;<br />

Denn sonsten zerreißen dich meine Rü<strong>de</strong>n.“<br />

„Ein Menschenkind bin ich,“ versetzte Mime,<br />

„Und fürchte mich wenig vor <strong>de</strong>inen Welfen;<br />

Doch du ziehst töricht <strong>de</strong>m To<strong>de</strong> entgegen.<br />

Das Herbergsgeheiß für die Wohnungen Helas,<br />

Du selber trägst es, Hagen vertrauend,<br />

Arglos in Hän<strong>de</strong>n. Die Hun<strong>de</strong> behalte<br />

Nur fest an <strong>de</strong>r Koppel, sonst fin<strong>de</strong>n die Köter<br />

Eiligs ihr En<strong>de</strong>.“ – Doch ehe die Antwort<br />

Wen<strong>de</strong>l noch wußte, hatte sein Wolfshund<br />

Namens Rüstig <strong>de</strong>n Riemen zerrissen.<br />

Er stürzt sich auf Mimen. Der steht wie gemauert.<br />

Im ersten Anlauf ihn umzurennen,<br />

Dachte das Tier und prallte nun <strong>de</strong>nnoch<br />

Auf <strong>de</strong>n Rasen zurück; doch rafft es sich hurtig<br />

Wie<strong>de</strong>r empor, um ihn besser zu packen,<br />

Erhebt sich heulend auf die Hinterbeine,<br />

Umfaßt ihn <strong>de</strong>n Hals mit <strong>de</strong>n vor<strong>de</strong>ren Pfoten.<br />

Und gähnt ihn an mit gierigem Rachen<br />

Voll Mordlust und Wut. Doch mitten ins Maul schon<br />

Fährt ihm gelenk und furchtlos die Linke<br />

Des starken Zwergs. Wie die stählerne Zwinge<br />

Im Schraubstock <strong>de</strong>r Feilbank das Eisen festhält,<br />

Also fassen die nervigen Finger<br />

Qualvoll zerquetschend die blutumquollne,<br />

Zucken<strong>de</strong> Zunge. Während die Zähne<br />

Atemlos ächzend <strong>de</strong>r Hund sich ausbeißt<br />

An <strong>de</strong>n Maschen von Eisen unter <strong>de</strong>m Ärmel,<br />

[196] Trifft so zermalmend <strong>de</strong>r Hammer Mimes<br />

Den Schä<strong>de</strong>l <strong>de</strong>s Tiers, daß das Mark ihm entschäumt.<br />

Als nun veren<strong>de</strong>t <strong>de</strong>r arme Jagdhund,<br />

Da sagte Mime voll mil<strong>de</strong>n Mitleids:<br />

„Ich konnte mich wahrlich nicht an<strong>de</strong>rs erwehren;<br />

Doch laß dir’s nicht leid sein; du hast <strong>de</strong>inen Liebling<br />

Gezahlt als Lösegeld <strong>de</strong>s eigenen Lebens,<br />

Wofern mein Argwohn nicht völlig irrgeht.<br />

Ich behorchte Hagen in <strong>de</strong>iner Behausung<br />

Vom Wipfel <strong>de</strong>r Birke; zu Bo<strong>de</strong>n gefallen<br />

War mir dies Hütchen von Igelhäuten;<br />

Das rochen die Hun<strong>de</strong>, du hörtest richtig.“<br />

106


Eine Weile verging, eh Wen<strong>de</strong>l ein Wort fand;<br />

Dann rief er noch bänglich: „Sage, wer bist du,<br />

So klein von Gestalt, so riesig an Stärke?“<br />

„Ich will <strong>de</strong>in Freund sein, doch warte mit Fragen,“<br />

Entgegnete Mime, „jetzt fehlt uns die Muße.<br />

Du weißt es nicht, Wen<strong>de</strong>l, wie wichtig <strong>de</strong>in Leben<br />

Für dieses Land ist, doch an<strong>de</strong>re Leute<br />

Haben’s erkun<strong>de</strong>t, daß Königreiche<br />

Am Zeugnis hängen von <strong>de</strong>iner Zunge:<br />

Damit sie verstumme, solltest du sterben.<br />

Jetzt laß mich lesen beim wachsen<strong>de</strong>n Lichte<br />

Die Staben auf <strong>de</strong>m Stock; mir sind sie verständlich.“<br />

Er setzte sich sorgsam die Zeichen zusammen<br />

Und sagte dann Wendle die einzelnen Worte,<br />

Langsam sprechend; sie lauteten also:<br />

„Die Botschaft ist nichtig, <strong>de</strong>r Bote darf nimmer<br />

Wie<strong>de</strong>r nach Worms; das ist Hagens Wille.“<br />

[197]<br />

„Was macht <strong>de</strong>nn nur mich <strong>de</strong>n mächtigen Herren,<br />

Den hohen Fürsten, jetzt so gefährlich?“<br />

Frug Wen<strong>de</strong>l verwun<strong>de</strong>rt. „Du sollst es wissen,“<br />

Entgegnete Mime mit ernster Miene;<br />

„Doch erst gelobe <strong>de</strong>in übriges Leben<br />

Bei Gefahren und Trübsal in fester Treue<br />

Dem Herrn zu gehören, <strong>de</strong>m ich gehorche,<br />

Auch sorgsam zu tun, was ich dir befehle<br />

In seinem Namen. Bals sollst du vernehmen,<br />

Dir angeboren sei dieser Gebieter.<br />

Auch schwöre mir Schweigen bei <strong>de</strong>inem Schwerte,<br />

Bei Helas Behausung, beim hohen Himmel,<br />

Beim Weltenwalter, <strong>de</strong>r alles wahrnimmt.“<br />

Als nun <strong>de</strong>r Alte <strong>de</strong>n Eid geschworen,<br />

Da hört’ er staunend, <strong>de</strong>r stärkste <strong>de</strong>r Hel<strong>de</strong>n,<br />

Der <strong>de</strong>n weiten Weltkreis erfüllt mit Wun<strong>de</strong>rn,<br />

Sei jenes Söhnchen <strong>de</strong>s Jördis von Sigmund,<br />

Dem weiland er selbst im Wer<strong>de</strong>rturme<br />

Die Wasserwiege mit Waldmoos gebettet.<br />

Doch nicht unbemerkt war Mimes Treiben<br />

Noch die Hin- und Herfahrt Hagens geblieben.<br />

Wo mitten im Strom <strong>de</strong>n kreiseln<strong>de</strong>n Stru<strong>de</strong>l<br />

Der Mond bestrahlte mit zittern<strong>de</strong>n Lichtern,<br />

Da tanzten im Zirkel belebte Wesen,<br />

Da tauchten empor aus <strong>de</strong>r kühlen Tiefe<br />

Die Töchter Niblungs, die Nixen <strong>de</strong>s Rheines,<br />

Auch eine erst neulich herauf aus <strong>de</strong>r Nordsee<br />

Gekommene Meermaid, menschlich gebil<strong>de</strong>t<br />

Vom Nacken und Haupt bis hinab zu <strong>de</strong>n Hüften,<br />

[198] Doch mit schimmern<strong>de</strong>n Schuppen beklei<strong>de</strong>t vom Nabel,<br />

Und die Füße verflochten zu fischiger Flosse.<br />

Mondbeleuchtet sich halben Leibes<br />

In die lin<strong>de</strong> Luft <strong>de</strong>r Herbstnacht erhebend,<br />

Spielten sie Haschens, gaben sich die Hän<strong>de</strong>,<br />

Schwammen im Rhein einen rauschen<strong>de</strong>n Reigen,<br />

107


Plätscherten mit <strong>de</strong>n Schweifen und plau<strong>de</strong>rten geschwätzig.<br />

Und so sprach Woglind, das Wasserweibchen,<br />

Zu <strong>de</strong>n lauschen<strong>de</strong>n Schwestern: „Mir schwant Erlösung;<br />

Nur kurze Zeit, und wir wer<strong>de</strong>n entzaubert;<br />

Denn die Zeichen erkenn’ ich.“ „Erzähl’, erzähle!“<br />

Riefen die Schwestern; dann lauschten sie schweigsam<br />

Und voll Erwartung. Da re<strong>de</strong>te Woglind:<br />

„Behorchtet ihr nicht <strong>de</strong>n grimmen Hagen?<br />

Er verriet sein Geheimnis. Saht ihr im Röhricht<br />

Drüben <strong>de</strong>n Kleinen sich klug verstecken?<br />

Den kenn’ ich, <strong>de</strong>n kenn ich, am breiten Kopfe<br />

Mit brandroter Wolle, an seinem Gebrest.<br />

Er schwang einst die Rute vom Ran<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Rheines,<br />

Er fing sich beim Fischen das winzige Fahrzeug,<br />

Die Kiste von Glas mit <strong>de</strong>m Kin<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Glücks.<br />

Er kam erst gestern ins Land <strong>de</strong>r Burgun<strong>de</strong>n<br />

Heraufzu geritten am Ufer <strong>de</strong>s Rheines,<br />

Ich hab es geschaut, verborgen im Schilf.<br />

Der herrliche Held auf <strong>de</strong>m schwarzen Hengste,<br />

Das war sein Zögling. Den wir einst zärtlich<br />

Im schaukeln<strong>de</strong>n Schifflein beschützten wie Mütter,<br />

Ins Nie<strong>de</strong>rland ihn hinuntergeleitend;<br />

Der hilflose Säugling ist heute Sigfrid,<br />

[199] Der herrliche Held mit furchtlosem Herzen,<br />

Der Schönste, Stärkste <strong>de</strong>r Staubgebornen,<br />

Des Ruhm erreicht hat die Rän<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong>.<br />

Er ist <strong>de</strong>r Erleger <strong>de</strong>s furchtbaren Lintwurms,<br />

Des falschen Fafner, <strong>de</strong>s Vatermör<strong>de</strong>rs.<br />

Die Scheitelhautschuppen <strong>de</strong>s widrigen Scheusals<br />

Trägt er am Helm. Den leuchten<strong>de</strong>n Hauptstein,<br />

Der einst stand im Stirnblatt <strong>de</strong>r stolzen Krone,<br />

Die <strong>de</strong>m König Schilbung sein Schicksal zuzog,<br />

Den Karfunkel, faustgroß, sah ich, befestigt<br />

Im Schil<strong>de</strong> Sigfrids, sonnenhaft schimmern.<br />

Auch hab’ ich gehört, von <strong>de</strong>m heillosen Horte<br />

An Juwelen und Feingold, <strong>de</strong>r unserem Vater,<br />

Den Namen Niblung, <strong>de</strong>n Neid <strong>de</strong>r Nornen<br />

Und <strong>de</strong>n Zorn <strong>de</strong>r Götter uns allen zuzog,<br />

Besitz’ er alles, was Antwars Ämsen<br />

Zutage geschafft aus <strong>de</strong>m Schoß <strong>de</strong>r Tiefe,<br />

Die das prächtige Schloß <strong>de</strong>s Vaters verschlugen,<br />

Auch was Antwar selber zusammengesucht hat<br />

An schmuckem Gestein und stolzem Geschmei<strong>de</strong>,<br />

Darunter die Ringe und Spangen von Rheingold,<br />

Die uns in Weiber zurückverwan<strong>de</strong>ln,<br />

Wenn wir sie wie<strong>de</strong>r zu eigen erwerben.<br />

Ich selber sah sie mit Blicken <strong>de</strong>r Sehnsucht<br />

Beim Schatze, <strong>de</strong>n Volant nach Nor<strong>de</strong>n entführte,<br />

Den dann Fafner behütet in seiner Höhle<br />

Auf Gnitahei<strong>de</strong>. In <strong>de</strong>r Hand <strong>de</strong>s Hel<strong>de</strong>n<br />

Muß nicht min<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Ring <strong>de</strong>s Mordfluchs,<br />

Der Antwaranaut, sein: <strong>de</strong>r weiht ihn zum Niblung.<br />

[200] Nun weiß er in Bäl<strong>de</strong>, wer ihn geboren.<br />

108


Und sahn wir nicht ba<strong>de</strong>n das bildschöne Mädchen,<br />

Das dort im Palast aus <strong>de</strong>m Lenze <strong>de</strong>s Lebens<br />

Schon sehnend verlangt nach <strong>de</strong>m Sommer <strong>de</strong>r Liebe?<br />

Da kann es nicht fehlen, – bald kommt er gefahren,<br />

Entwe<strong>de</strong>r zum Kampf, um König zu wer<strong>de</strong>n,<br />

O<strong>de</strong>r als Freier zur fröhlichen Hochzeit.<br />

Als locken<strong>de</strong> Preise zu fürstlichem Prunke<br />

O<strong>de</strong>r zum Brautschmuck bringt er die Spangen<br />

Gewiß mit nach Worms; er muß übers Wasser,<br />

Dann schüren wir Sturm, zerschellen das Schifflein,<br />

Streifen die Ringe an unsere Rechte<br />

Und erlangen Erlösung vom leidigen Bann.“<br />

Da versetzte sorglich und bange seufzend<br />

Die sanfte Mechthild, die reizen<strong>de</strong> Meermaid,<br />

Die Tochter Wachhilds vom weisen Wielant:<br />

„Den Antwaranaut hat Sigfrid mit nichten<br />

Als <strong>de</strong>r hünische Held auf <strong>de</strong>m Hin<strong>de</strong>rberge<br />

Brunhil<strong>de</strong>n erweckt vom Wun<strong>de</strong>rschlafe<br />

Und sie leichten Mutes begehrt zur Gemahlin,<br />

Da gab er <strong>de</strong>n Goldreif <strong>de</strong>r künftigen Gattin.<br />

Es ist ein Schlänglein, <strong>de</strong>n Schweiß im Schlun<strong>de</strong>,<br />

Die Augen gebil<strong>de</strong>t von e<strong>de</strong>ln Rubinen.<br />

Ich selber sah ihn in diesem Sommer<br />

Funkeln am Finger <strong>de</strong>r Inselfürstin,<br />

Als ich hinter <strong>de</strong>m Damm von weißen Dünen<br />

Dicht vorbeischwamm und eben dort ba<strong>de</strong>nd<br />

Ihren herrlichen Körper Brunhil<strong>de</strong> kühlte. –<br />

Ach, ein edleres Gut als dieser Goldreif<br />

[201] Gehört jetzt Brunhil<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>r Tochter Helgis:<br />

Der Wielantsgürtel! Doch <strong>de</strong>n verwahrt sie<br />

In <strong>de</strong>r Burg auf beste, so oft sie ba<strong>de</strong>t,<br />

Sonst würd’ ich wälzen die Wogen <strong>de</strong>s Meeres<br />

Empor aufs Gesta<strong>de</strong>, um ihr zu stehlen,<br />

Was mir Hunding geraubt mit ruchloser Hand.“<br />

Sie voll Neugier umringend, riefen die Nixen:<br />

„Erzähl’, erzähl’ es, wie wardst du verzaubert?“<br />

Und Mechthild begann: „Als für meine Mutter,<br />

Die reizen<strong>de</strong> Wachhild, die Wasserjungfrau,<br />

Am Schwanenweiher <strong>de</strong>r weise Wielant<br />

In Lieb’ entbrannt war und sie zur Braut nahm,<br />

Da gab sie gern ihr göttliches Erbteil:<br />

Ewig zu leben, ohne zu altern,<br />

Dahin für ein Herz voll Furcht und Hoffnung<br />

Und wur<strong>de</strong> sterblich. Des Weibes Gestaltung<br />

Auch am unteren Körper verschuf ihr ein Kunstwerk<br />

Von wirksamer Kraft, das Wielant gewoben.<br />

Es war ein Gürtel, auf gol<strong>de</strong>nen Fä<strong>de</strong>n<br />

Auf das feinste gestickt mit farbigen Steinchen,<br />

Blauen Saphiren, Blutkarfunkeln,<br />

Grünen Smaradgen, roten Rubinen,<br />

Schillern<strong>de</strong>n Opalen und bleichen Perlen.<br />

Da gewahrte man schimmernd auf schwanken Wellen<br />

Ein minnige Maid zwischen blühen<strong>de</strong>n Mummeln,<br />

109


Oben das Antlitz, Busen und Arme<br />

Und <strong>de</strong>r liebliche Leib bis zum Nabel hinunter<br />

Voll üppiger Anmut; im unteren Fortsatz<br />

Verschmolzen die Schenkel, umschmiegt von Schuppen,<br />

[202] Zum gefühllosen Fischleib. Wielant befahl ihr,<br />

Den Gürtel zu tragen. So lange sie treu sei,<br />

Verbürge dies Band ihr die menschliche Bildung<br />

Und bewahre sie auch vor je<strong>de</strong>r Gewalttat;<br />

Denn jeglichem Weibe, das dieses Gewebe<br />

In Züchten schmücke, verleihe <strong>de</strong>r Zauber<br />

Des kostbaren Kunstwerks Keuschheitsallmacht,<br />

Daß mitten unter Männer von roher Gemütsart<br />

Auch das zarteste Mädchen zuversichtlich<br />

Und ohne Bangen sich betten dürfe.<br />

Wer <strong>de</strong>nnoch Gewalttat zu wagen versuche,<br />

Der wür<strong>de</strong> wie marklos, und sie vermöge,<br />

Rasch ausgestattet mit riesiger Stärke,<br />

Ihm Arm und Bein mit <strong>de</strong>m Gürtel zu bin<strong>de</strong>n<br />

Und <strong>de</strong>n Lüstling kläglich wie leere Klei<strong>de</strong>r<br />

Bis zur Neige <strong>de</strong>r Nacht an <strong>de</strong>n Nagel zu hängen.<br />

,Doch wisse, Wachhild,’ sprach er dann warnend,<br />

,Wie nur lautere Liebe hinauf ins Luftreich<br />

Dich erlöst hat zum Leben im Lichte <strong>de</strong>r Sonne,<br />

So kann einzig dies Zeichen zärtlicher Neigung<br />

Für die Zeit <strong>de</strong>ines Lebens <strong>de</strong>n Zauber verlängern,<br />

Der gebun<strong>de</strong>n in Bann hält <strong>de</strong>n eingebornen<br />

Willen im Stoff zur Wassergestalt.<br />

Ihre Tochter for<strong>de</strong>rt die feuchte Tiefe<br />

Unberuhigt zurück; sie reckt beständig,<br />

Doch unsichtbar aus nach ihr die Arme<br />

Von wässrigem Dunst; in <strong>de</strong>r Dämmrung <strong>de</strong>s Abends<br />

Stricken und flechten in Strömen und Flüssen<br />

Die neidischen Nixen Netze von Nebel;<br />

[203] Denn alle sind sie gar eifersüchtig,<br />

Wann eine von ihnen hier oben atmet.<br />

Drum vergehe kein Tag, o teure Gattin,<br />

An <strong>de</strong>m du nicht tragest dies Pfand <strong>de</strong>r Treue,<br />

Und niemals versäum’ es, beim Sinken <strong>de</strong>r Sonne<br />

Umklei<strong>de</strong>t zu sein mit <strong>de</strong>m sichern<strong>de</strong>n Kleinod.<br />

Denn sänke die Sonne, und hättest du sorglos<br />

Den Gürtel auf Goldgrund daheim vergessen,<br />

Und träfe dich dann ein Tröpfchen Wasser,<br />

So fühltest du fiebernd Fischblut im Herzen,<br />

Die schau<strong>de</strong>rn<strong>de</strong> Haut umschalten dir Schuppen,<br />

Und du wärst, was du warst, bis ich dich erwählt.<br />

Vom To<strong>de</strong>sbann frei verfielst du <strong>de</strong>r Tiefe<br />

Und trügest die Marter, menschlich zu fühlen<br />

Mit tierischem Leibe – ein schreckliches Los!<br />

Dir gelänge nur dann die zweite Erlösung,<br />

Wenn durch seltenen Zufall mein Zauberkleinod<br />

Du wie<strong>de</strong>rgewännst. Auch dies noch wisse:<br />

Noch einmal vererbst du Gefahr <strong>de</strong>r Umkehr<br />

Zur vorigen Form, zu Schuppen und Fischleib,<br />

110


Wiewohl vermin<strong>de</strong>rt und nur auf Mädchen.<br />

Beschert das Geschick <strong>de</strong>inem Schoß eine Tochter,<br />

So kann sie als Kind unbekümmert leben;<br />

Doch reift sie heran im Reigen <strong>de</strong>r Mon<strong>de</strong><br />

Zur mannbaren Jungfrau, so muß sie alljährlich<br />

Zum Ange<strong>de</strong>nken an <strong>de</strong>ine Abkunft<br />

Den Zoll bezahlen für <strong>de</strong>ine Entzaubrung:<br />

Am Tag, da zum Sommer die Sonne sich wen<strong>de</strong>t,<br />

Ba<strong>de</strong> sie schwimmend im Schwanenteiche.<br />

[204] Den Wellen entsteigend zum Waldgesta<strong>de</strong>,<br />

Noch bevor sie sich gürtet mit meiner Gabe,<br />

Soll sie als Lehngeld für die Erlaubnis,<br />

Im Lichte zu leben, die oberste Locke<br />

Vom Scheitel sich scheren und über das Schilf hin<br />

Abgewen<strong>de</strong>t ins Wasser werfen.<br />

Das nehmen die Nixen und Nymphen <strong>de</strong>s Teiches<br />

Und reihen zierlich rote Korallen<br />

Auf je<strong>de</strong>s Härchen; <strong>de</strong>nn solch ein Halsband<br />

Lehrt sie verstehen die Stimmen <strong>de</strong>r Vögel.<br />

Wenn sie dann lauschen <strong>de</strong>m Liebeslie<strong>de</strong>,<br />

Das beim Nahen <strong>de</strong>s Sommers die Nachtigall flötet,<br />

Dann regt sich berauschend die wohlige Wärme<br />

Des höheren Reiches im kühlen Körper<br />

Der Wasserbewohner; dann fühlen sie weiblich,<br />

Erheben gen Himmel die weißen Hän<strong>de</strong><br />

Und möchten steigen empor zu <strong>de</strong>n Sternen;<br />

Dann durchglimmt sie ein Fünkchen <strong>de</strong>s Glückgefühles,<br />

Das unter <strong>de</strong>m Mon<strong>de</strong> nur Menschen vergönnt ist;<br />

Dann verklärt sich ihr Neid bei <strong>de</strong>r Nachtigall Klage<br />

Zur unsäglichen Sehnsucht nach menschlichen Seelen. –<br />

Das tue die Tochter, bis einst <strong>de</strong>r Tag kommt,<br />

Wo liebend ein Mann sie erwählt zur Gemahlin;<br />

Dann ist sie vom Rückfall gerettet für immer.<br />

Dazu gib ihr <strong>de</strong>n Gürtel, wenn’s dir vergönnt ist,<br />

So lange zu leben; doch wenn dir das Los fällt,<br />

Früher zu schei<strong>de</strong>n vom Schein <strong>de</strong>r Sonne,<br />

So gib ihn <strong>de</strong>r Tochter, vom Finger <strong>de</strong>s To<strong>de</strong>s<br />

Mahnend berührt, als Muttervermächtnis;<br />

[205] Enthüll’ ihr dabei die Heilskraft <strong>de</strong>s Gürtels<br />

Und nimm ihr <strong>de</strong>n Schwur ab, am Schwanenteiche<br />

Ihn umzubin<strong>de</strong>n, sobald sie geba<strong>de</strong>t<br />

Und ins Wasser geworfen die Lehngeldlocke.<br />

Versäumte sie das vor Sinken <strong>de</strong>r Sonne,<br />

So wen<strong>de</strong>te selbst ein Gott nicht ihr Weh.’<br />

So sprach <strong>de</strong>r Meister zu meiner Mutter,<br />

Und <strong>de</strong>s Gatten Befehl erfüllte sie treu.<br />

Als sie die Stun<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Sterbens fühlte,<br />

Vermachte sie mir <strong>de</strong>n Meermaidgürtel.<br />

Zum letzten Mal vor meiner Vermählung<br />

Das Gebot erfüllend, ging ich ba<strong>de</strong>n<br />

Im Schwanenteiche, am Abend <strong>de</strong>s Tages<br />

Vor <strong>de</strong>m <strong>de</strong>r Hochzeit mit Gudmund, <strong>de</strong>m Harfner,<br />

Dem Sohne Granmars. Der grausame Hunding<br />

111


Hatte behorcht <strong>de</strong>s Gürtels Geheimnis,<br />

Da die sterben<strong>de</strong> Mutter ihn mir vermachte.<br />

Schon sank die Sonne entgegen <strong>de</strong>m Saume<br />

Des fernen Westens. Ich stieg aus <strong>de</strong>m Wasser<br />

Empor ans Gesta<strong>de</strong>, nahm vom Stumpfe<br />

Der alten Erle dich am Ufer<br />

Die bereite Schere, schnitt mir vom Scheitel<br />

Als letztes Lehngeld die längste Locke,<br />

Warf sie ins Wasser, zum Lan<strong>de</strong> gewen<strong>de</strong>t,<br />

Und lief aus <strong>de</strong>m Binsicht hinauf ins Gebüsche<br />

Zu meinen Klei<strong>de</strong>rn. Fort war das Kleinod!<br />

Ich weint’ und schrie, fast bewußtlos vor Schrecken;<br />

Denn ich sah mit Entsetzen, daß eben die Sonne<br />

Mit <strong>de</strong>m unteren Ran<strong>de</strong> die Er<strong>de</strong> berührte.<br />

[206] Da rauscht es im Strauch, und ruchlos lachend<br />

Erscheint im Zwielicht zwischen <strong>de</strong>n Zweigen<br />

Der häßliche Hunding und zeigt mir höhnisch<br />

Den Wielantsgürtel.<br />

,Ergib dich mir willig<br />

Und sei mein Liebchen,’ so spricht er lüstern,<br />

,Sonst eil’ ich von dannen durchs dornige Dickicht,<br />

Wo du, nackt wie du bist, mir nimmer nach kannst.<br />

Schon erlischt das letzte Leuchten <strong>de</strong>r Sonne,<br />

Schon dämmert es dunkel, schon steigen die Dünste<br />

Und feuchten Nebel, die Netze <strong>de</strong>r Nixen; –<br />

Be<strong>de</strong>nke das, Dirne, sonst wirst du verdammt sein,<br />

Mit schuppigem Schweif in <strong>de</strong>r Tiefe zu schwimmen,<br />

Wo die Fische vielleicht dich lüstern verfolgen.’<br />

Schon fühl’ ich schau<strong>de</strong>rnd auf meinen Schultern<br />

Die harten Hän<strong>de</strong> <strong>de</strong>s häßlichen Hunding.<br />

Da reiß’ ich mich los. Die Berührung <strong>de</strong>s Lüstlings<br />

Durchzuckt mich krampfhaft wie Giftschleim <strong>de</strong>r Kröte.<br />

Mein Schicksal entschied sich: <strong>de</strong>m Schurken entrinnend<br />

Erreicht’ ich <strong>de</strong>n Rand <strong>de</strong>s rauschen<strong>de</strong>n Teiches,<br />

Warf mich ins Wasser und war, was ich bin.<br />

Den Hunding erschlug, wie ich hörte, Helgi<br />

Und entriß ihm <strong>de</strong>n Gürtel nebst an<strong>de</strong>rem Reichtum.<br />

Dann erhielt von Helgi, <strong>de</strong>m Hel<strong>de</strong>n <strong>de</strong>s Nor<strong>de</strong>ns,<br />

Das seltene Kleinod die kluge Sigrun,<br />

Die Mutter Brunhilds, zur Morgengabe;<br />

Nach <strong>de</strong>ren Tod empfing’s ihre Tochter,<br />

Und noch heutigen Tages gehört es Brunhil<strong>de</strong>n.<br />

[207]<br />

Seit<strong>de</strong>m ich vernommen die Nachricht, wie Sigfrid<br />

Sie wie<strong>de</strong>rerweckt vom Wun<strong>de</strong>rschlafe<br />

Und ihr erobert ihr Ahnenerbe,<br />

Die sich einsam erheben<strong>de</strong> Helgisinsel<br />

Inmitten <strong>de</strong>s Meeres, wo fern <strong>de</strong>r Mündung<br />

Weser und Elbe ihr Wasser vereinen,<br />

Schwimm’ ich im Frühling beim Schwin<strong>de</strong>n <strong>de</strong>s Frostes<br />

Hinauf in die Nordsee und halte mich nahe<br />

Den rötlichen Klippen, woselbst mein Kleinod<br />

Brunhild bewahrt im umbran<strong>de</strong>ten Bralund,<br />

112


Um Gelegenheit dort vielleicht zu erlauern,<br />

Den Wielantsgürtel zurück zu gewinnen.<br />

Da kam Sigfrid gesegelt in diesem Sommer.<br />

Im Hafen hört’ ich, daß er und Brunhil<strong>de</strong><br />

Geschie<strong>de</strong>n im Zorn. Da zog ich <strong>de</strong>m Schiffe<br />

Des herrlichen Hel<strong>de</strong>n nach bis Holmgart,<br />

Wo tausend Reiter in strahlen<strong>de</strong>r Rüstung<br />

Seiner schon harrten, von Helfrich gesen<strong>de</strong>t.<br />

Als er heraufritt in diese Reiche<br />

Am Ran<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Rheines, folgt ich ihm rastlos.<br />

Ich hegte die Hoffnung, nach heißer Tagfahrt<br />

Nähm’ er ein Bad in einer <strong>de</strong>r Buchten,<br />

Wo sich Büsche verbergend zum Wasser biegen;<br />

Dann wollt’ ich im Schilf <strong>de</strong>m Hel<strong>de</strong>n erscheinen,<br />

Ihn flehentlich bitten, sich mein zu erbarmen<br />

Und mir wie<strong>de</strong>rzuschaffen <strong>de</strong>n Wielantsgürtel;<br />

Denn es brauche ja Brunhild, die seine Braut sei<br />

Und in sich selber so sieghaft sicher<br />

Durch eigene Kraft vor jeglicher Kränkung,<br />

[208] Nicht Zuflucht zu nehmen zu Zaubermitteln.<br />

Sein mannhaftes Herz ist voll heiligen Mitleids,<br />

Das teilnimmt am Weh selbst <strong>de</strong>r Tiere <strong>de</strong>r Wildnis;<br />

Denn dies Herz versteht es, daß alle Gestalten,<br />

Wie sie entstan<strong>de</strong>n aus gleichen Stoffen,<br />

Auf verschie<strong>de</strong>nen Pfa<strong>de</strong>n e i n Schicksal empfin<strong>de</strong>n;<br />

Und <strong>de</strong>nselben Funken sonnigen Feuers<br />

Fühlt er entfacht zu Furcht und Hoffnung<br />

Vom mächtigen Menschen hinab bis zum Maiwurm,<br />

Vom Vogel <strong>de</strong>r Luft bis zum leuchten<strong>de</strong>n Fa<strong>de</strong>n,<br />

Den das Ru<strong>de</strong>r erregt, mit Reihen von Perlen<br />

Entzün<strong>de</strong>t, die Bahn <strong>de</strong>s Boots zu bezeichnen.<br />

So hätt’ er gewiß meine Bitte bewilligt.<br />

Doch er ba<strong>de</strong>te nicht. – Mit Bangen vernahm ich<br />

Dein Wort, o Woglind. Weissagst’ du richtig,<br />

Ist die Brautschaft mit Brunhild gebrochen für immer,<br />

Und wirbt nun <strong>de</strong>r Held um die hol<strong>de</strong> Krimhil<strong>de</strong>,<br />

So hofft’ ich vergebens, durch Sigfrids Güte<br />

Den Wielantsgürtel zurückzugewinnen,<br />

Und bleibe verzaubert unendliche Zeit.“<br />

So sprach die Meermaid.<br />

„Sei guten Mutes“,<br />

Entgegnete Woglind – und re<strong>de</strong>te weiter,<br />

Was künftig bekannt wird. Die Kun<strong>de</strong> war tröstlich:<br />

Denn bis zum Frührot tanzten fröhlich<br />

Die Töchter Niblungs, die Nixen <strong>de</strong>r Tiefe,<br />

Und mit ihnen Mechthild, die minnige Meermaid,<br />

Im rauschen<strong>de</strong>n Rhein <strong>de</strong>n schwimmen<strong>de</strong>n Reigen,<br />

Plätscherten mit <strong>de</strong>n Schweifen und plau<strong>de</strong>rten geschwätzig,<br />

[209] Bis endlich mit Rosen die Morgenröte<br />

Der strahlen<strong>de</strong>n Sonne <strong>de</strong>n Pfad bestreute.<br />

Da tauchten sie zurück in die Tiefen <strong>de</strong>s Rheines,<br />

In <strong>de</strong>n Grotten am Grun<strong>de</strong> gramlos zu schlafen.<br />

113


[210]<br />

————<br />

Neunter Gesang.<br />

——<br />

Um die Neige <strong>de</strong>r Nacht, da Mime vernommen<br />

Aus Hagens Mun<strong>de</strong>, wie recht sein Vermuten<br />

Das Geheimnis <strong>de</strong>r Herkunft <strong>de</strong>s Hel<strong>de</strong>n entschleiert,<br />

Verweilten bei Gunther als späte Gäste<br />

Sigfrid und Hagen. Aus gol<strong>de</strong>nen Hörnern<br />

Mun<strong>de</strong>te ihnen die Milch für Männer,<br />

Die von selber geträuft aus erlesenen Trauben.<br />

Jetzt schloß eine Re<strong>de</strong>, darin er berichtet,<br />

Was sich zugetragen und was erzählt war<br />

Vor Sigfrids Kommen, <strong>de</strong>r König also:<br />

„Du weißt nun, was ich wünsche, was Oda geweissagt,<br />

Was von Volker, <strong>de</strong>m Fiedler, ich heut erst erfahren,<br />

Auch was Horand, <strong>de</strong>r Harfner, erzählen gehört hat<br />

Von sächsischen Sängern. Nun sage mir, Sigfrid,<br />

Wie weit es wahr ist nach <strong>de</strong>inem Wissen.<br />

Was du heut im Saale Krimhil<strong>de</strong>n sagtest,<br />

Vernahm ich beglückt: es läßt mich nicht glauben,<br />

[211] Daß du mit Brunhild in Brautschaft stehest.<br />

Doch wenn sie dir bekannt ist, so gib mir Kun<strong>de</strong>,<br />

Ob wirklich ihr Antlitz ähnlich aussieht<br />

Diesem Bildnis.“ Er zog aus <strong>de</strong>m Busen<br />

Das beinerne Täflein und legt’ es auf <strong>de</strong>n Tisch.<br />

Versunken in Sinnen beschaute Sigfrid<br />

Das Bildnis <strong>de</strong>r Fürstin. In finstere Falten<br />

Zog ihm die Stirn ein Gedanke <strong>de</strong>s Stolzes;<br />

Dann schob er’s wie sorglos beiseite und sagte:<br />

„Ihr Aussehn ist ähnlich, doch schöner und edler;<br />

Die dunkeln Brauen sind dichter und breiter,<br />

Und keine Farbe vermag das Funkeln<br />

In ihren Augen je nachzuahmen.<br />

In ihnen lo<strong>de</strong>rt mit solchem Leuchten<br />

Der gewaltige Wille, als müsse die Welt ihr<br />

Unfehlbar folgen o<strong>de</strong>r in Feuer<br />

Veren<strong>de</strong>nd aufgehn zu eitel Asche.<br />

114


Ergriff dich zur Minne schon dies Gemäl<strong>de</strong>,<br />

So nähme dir vollends Brunhild gefangen<br />

Die ganze Seele, sähst du sie selbst. –<br />

Du hast vom Volker nichts Falsches erfahren,<br />

Und richtig gehört hat auch Horand, <strong>de</strong>r Harfner,<br />

Daß ich weiland gelobt, Brunhil<strong>de</strong>n zu lösen<br />

Von ihrem Gelüb<strong>de</strong>. Ich glaubte zu lieben.<br />

Ich gab ihr <strong>de</strong>n Goldreif, ich schwur, zur Gattin<br />

Nur sie zu wählen, sobald sie wolle. –<br />

O Gibichson Gunther, <strong>de</strong>s Menschen Begehren,<br />

Heut mächtig und maßlos, ist oft schon morgen<br />

So gänzlich verwan<strong>de</strong>lt, daß nichts erwünschter<br />

[212] Uns dann geschähe, als wenn das Schicksal<br />

Sein Machtgebot spräche: ,Das ist unmöglich,<br />

Ich trete dazwischen, die Trennung erzwingend;<br />

Drum sei getröstet, du kannst nicht treu sein.’<br />

Doch ich bin mitnichten ein solcher Riding,<br />

In bewußter Lüge mir auszulegen<br />

Als Walten <strong>de</strong>s Schicksals mein eigenes Wanken,<br />

Verhöhnen heißt es die himmlischen Götter,<br />

Und ruchlos ist es, im Rausch <strong>de</strong>r Sinne<br />

Sogleich zu re<strong>de</strong>n von ihrem Rate,<br />

Von ihrer Fügung, von ihrem Befehle,<br />

Und einzig zu folgen <strong>de</strong>m eignen Gefühl.<br />

Nein, ich bleibe gebun<strong>de</strong>n; – es müsste <strong>de</strong>nn baldigst<br />

Ein andrer Bewerber <strong>de</strong>n Sieg gewinnen.<br />

Doch ich kenne keinen, <strong>de</strong>r irgend im Kampfe<br />

Gewachsen wäre <strong>de</strong>m stolzen Weibe.<br />

Ich werd’ ihr Gatte, wofern es die Götter<br />

Nicht selbst mir versagen und sichtbar hin<strong>de</strong>rn.<br />

Mein rasches Entweichen bei reicher Bewirtung<br />

Im Hauptsal [!] <strong>de</strong>r Hofburg – nicht höflich war es,<br />

Doch weislich erwogen; <strong>de</strong>nn jene Worte,<br />

Die raschen Verräter, mußt’ ich bereuen.<br />

Sigfrid, <strong>de</strong>r Starke, <strong>de</strong>r bis zur Stun<strong>de</strong><br />

Der Waffengewalt noch niemals gewichen,<br />

Er schwankte wie ein Schwächling vor <strong>de</strong>iner Schwester.<br />

Derselbe Sigfrid, <strong>de</strong>m ohne Versehrung<br />

Durch die lo<strong>de</strong>rn<strong>de</strong> Lohe sein Ritt gelungen,<br />

Hier ergriff er die Flucht vor unsichtbaren Flammen,<br />

Weil er’s <strong>de</strong>utlich spürte, sonst dürft’ es zu spät sein.“<br />

[213]<br />

„Sage doch, Sigfrid,“ versetzte Hagen,<br />

„Was hat dich bis heute verhin<strong>de</strong>rt, Brunhil<strong>de</strong>n<br />

Im Kampfspiel zu lösen von ihrem Gelüb<strong>de</strong>?“<br />

„Das will ich dir sagen,“ entgegnete Sigfrid.<br />

Brunhil<strong>de</strong> hielt sich für heilig verbun<strong>de</strong>n,<br />

Vor aller Welt ihr Wort zu bewähren<br />

Und wirklich als Preis <strong>de</strong>r bestan<strong>de</strong>nen Proben<br />

Sich selber zu setzen. Bis zum dritten Sommer<br />

Begehrte sie Frist und volle Freiheit;<br />

Ich möcht’ in<strong>de</strong>ssen mit meinen Degen<br />

Ein Reich mir erringen am Ran<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Festlands<br />

115


Und dann als König zum Kampfspiel kommen.<br />

Nach vielen Fahrten in ferne Lan<strong>de</strong><br />

Kam ich gesegelt in diesem Sommer<br />

Zur Insel Helgis, und fröhlichen Herzens.<br />

Schimmern<strong>de</strong> Schätze füllten meine Schiffe,<br />

Und es reichte mein Ruhm zu <strong>de</strong>n Rän<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong>;<br />

Doch fehlten mir lei<strong>de</strong>r noch Land und Leute,<br />

Und nur fahren<strong>de</strong>s Volk gehorchte meiner Fahne.<br />

Wohl konnt’ ich nicht selten im sonnigen Sü<strong>de</strong>n,<br />

Am Mittelmeere in Welschlands Marken<br />

Ruchlosen Räubern ein Land entreißen,<br />

Mir ein Fürstentum stiften zum Heile <strong>de</strong>r Völker,<br />

Wie das vor mir erfolgreich getan schon viele<br />

Nordlandshel<strong>de</strong>n. – Was half’s ihrem Nachwuchs?<br />

Der entartete elend in wenigen Altern.<br />

Denn allzu üppig lebt sich’s dort unten.<br />

Der Himmel ist höher, fast ewig heiter,<br />

Die Er<strong>de</strong> laubgrün, wie mitten im Lenze,<br />

[214] Auch während <strong>de</strong>s Winters. Wann Wüstenhauche<br />

Surtur sen<strong>de</strong>t empor von Sü<strong>de</strong>n,<br />

Dann ermatten die Muskeln von kleinster Mühe.<br />

Man weiß nichts und wünscht nichts, man fühlt <strong>de</strong>n Willen,<br />

Vor Hitze verschmachtend, im Herzen zerschmolzen.<br />

Der Tag ist trostlos, ein träges Träumen;<br />

Und wenn dann die Nacht kommt, so schön wie nirgend,<br />

Da dünkt <strong>de</strong>m Entnervten ein großer Name<br />

Und das Los <strong>de</strong>r Nachwelt nutzlos und nichtig;<br />

Da regt sich nur die Neigung, das Leben zu genießen.<br />

Zu schauen, was schön ist, aus kühlem Schatten<br />

Blühen<strong>de</strong>r Myrten: Die Bläue <strong>de</strong>s Meeres,<br />

In weitem Kreise bekränzt mit Inseln,<br />

Am fernen Saume die seltsamen Segel,<br />

Im Dreieck geschnitten, blen<strong>de</strong>nd schneeweiß<br />

Und leicht entschwebend wie schwimmen<strong>de</strong> Schwäne;<br />

Das graue Wölkchen, das immerwährend<br />

Aus <strong>de</strong>s Feuerbergs Krater in leichtem Gekräusel<br />

In <strong>de</strong>n Äther emporsteigt; <strong>de</strong>r Pinien Wipfel,<br />

Die sich regungslos ruhig auf rötlichen Stämmen<br />

In <strong>de</strong>r feurigen Fülle <strong>de</strong>s Lichtes entfalten,<br />

Als fühlten sie wohlig die brüten<strong>de</strong> Wärme;<br />

Die hellen Haine, in <strong>de</strong>nen <strong>de</strong>s Herbstes<br />

Schwellen<strong>de</strong> Früchte neben <strong>de</strong>s Frühlings<br />

Duftigen Blüten goldig blinken: –<br />

Das alles zu sehen mit sorglosen Sinnen<br />

Und ohne Absicht nur eben zu atmen<br />

Die lin<strong>de</strong> Luft, – das ist wonnige Lust schon,<br />

Und süßes Nichtstun genügt dort <strong>de</strong>r Seele.<br />

[215] So erschlafft in Muße das Mark <strong>de</strong>r Mannheit,<br />

Die stärksten Stämme schon stiegen hinunter<br />

Über die Alpen; – nach etlichen Altern<br />

Waren sie weibisch verweichelt in Wollust<br />

Und erlagen zuchtlos <strong>de</strong>m Zauber <strong>de</strong>s Lan<strong>de</strong>s.<br />

Selig zum Besuchen, ver<strong>de</strong>rblich zum Sie<strong>de</strong>ln<br />

116


Ist es <strong>de</strong>m Deutschen. – Dieses bedacht ich<br />

Und wollt’ in Welschland kein Reich erwerben.<br />

Auch Ditrichs gedacht ich, <strong>de</strong>s Sohnes Ditmars.<br />

Sein Vater war alt, und schon führte <strong>de</strong>r Erbe,<br />

Ob auch ungekrönt, die Kraft <strong>de</strong>s Reiches,<br />

Weiter im Nor<strong>de</strong>n und noch in <strong>de</strong>r Nähe<br />

Der schneeigen Berge. Ich hörte, <strong>de</strong>r Berner,<br />

Sobald er <strong>de</strong>n Goten als König geböte;<br />

Wolle erwerben das ganze Welschland.<br />

Es schien mir nicht rätlich, mit ihm zu ringen,<br />

Mit <strong>de</strong>m Deutschen <strong>de</strong>r Deutsche; das hielt ich verdammlich.<br />

Was mich hier in <strong>de</strong>r Heimat daran verhin<strong>de</strong>rt,<br />

Im Krieg zu erkämpfen die Königskrone,<br />

Das erfuhrst du ja selbst. Ich bin eben Sigfrid.<br />

Wohl hätt’ ich die Macht, doch in meinem Gemüte<br />

Trag’ ich <strong>de</strong>n Zügel zaghaften Zau<strong>de</strong>rns,<br />

Ein Reich zu rauben, wo mir das Recht fehlt,<br />

Wo nicht min<strong>de</strong>stens Rachsucht mich mächtig reizte.<br />

Doch wie rasch sich zum Zorn mein Herz entzün<strong>de</strong>t,<br />

So gern vergeb’ ich <strong>de</strong>m fertigen Gegner,<br />

Der mich willig begütigt. Du weißt es, o Gunther. –<br />

Der einzige Isung gab mir wohl Anlaß,<br />

Ihn sogar zu entthronen. Doch ich schwur ihm einst Treue;<br />

[216] Der Fürst soll nicht fallen durch seinen Feldherrn;<br />

Nicht ich will bieten so böses Beispiel;<br />

Just weil er’s gefürchtet, will ich, dass es falsch sei. –<br />

So kam ich zu Brunhild ohne <strong>de</strong>n Brautschmuck,<br />

Nach <strong>de</strong>m sie begehrte. – Mit meinem Gol<strong>de</strong>,<br />

Durch meine Lanzen, von meinen Leuten<br />

War erobert ihr Ahnenerbe,<br />

Das Eiland Helgis, auf <strong>de</strong>m sie nun herrschte.<br />

Durch mich nur Fürstin, wird sie nicht for<strong>de</strong>rn<br />

In danklosem Dünkel, – so durft’ ich wohl <strong>de</strong>nken –<br />

Was einzig mein Herz mich zu halten verhin<strong>de</strong>rt.<br />

Doch so kam es mitnichten. Zwar, als ich nahte,<br />

Glühte sie freudig; – doch die erste Frage schon<br />

Traf mir die Stelle mit brennen<strong>de</strong>m Stiche,<br />

Die mein sterblichstes Stück ist. Sie sagte staunend,<br />

Nach meiner Stirn die Hand erhebend:<br />

,Sprich! wo hast du <strong>de</strong>n Lohn <strong>de</strong>s Hel<strong>de</strong>n,<br />

Den Preis <strong>de</strong>s Krieges, die prachtvolle Krone?<br />

O<strong>de</strong>r fan<strong>de</strong>st du forschend endlich <strong>de</strong>inen Vater?<br />

Denn du wirbst um die Fürstin gewiß nicht als Findling!’<br />

Ich will nicht erwähnen, was ich erwi<strong>de</strong>rt.<br />

Wir schie<strong>de</strong>n in Zorn. Zum Schiff unverzüglich<br />

Kehrt’ ich zurück. Schon regten sich die Ru<strong>de</strong>r; –<br />

Da schickt sie an Bord einen Boten mit Bitten,<br />

Ich möge doch warten und rasche Worte,<br />

Die sie bitter bedaure, nicht böslich <strong>de</strong>uten.<br />

Ich wollt’ auch schon wen<strong>de</strong>n; doch Mime wehrt’ es.<br />

,Sage <strong>de</strong>r Fürstin, erfüllt wird ihr For<strong>de</strong>rn;<br />

Ein König soll kommen, mit ihr zu kämpfen.’<br />

[217] So sprach er zum Boten und winkte gebietend.<br />

117


Da rauschten die Ru<strong>de</strong>r; vom Ran<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Schiffes<br />

Stieß das Fahrzeug <strong>de</strong>s Herolds <strong>de</strong>r Fürstin.<br />

Hurtig in die Höhe hißten wir die Segel,<br />

Die stetig blasend ein Westwind blähte,<br />

Und steuerten südwärts. Rasch versanken<br />

Vor meinen Augen von Helgis Eiland<br />

Die rötlichen Felsen rückwärts in die Ferne<br />

Wie ein bläuliches Wölkchen am Saum <strong>de</strong>r Gewässer.<br />

Bald merkt’ ich’s, daß Mime noch immer meinte,<br />

Ich wür<strong>de</strong> mich wen<strong>de</strong>n zu seinem Wunsche<br />

Und werben um Hulda, die Hartnitstochter,<br />

Nun Herrin von Holmgart durch meine Hilfe.<br />

Dann sollt’ ich als König zum Kampfspiel kommen,<br />

Brunhil<strong>de</strong>n besiegen und höhnisch sagen:<br />

Ihr Gelüb<strong>de</strong> sei gelöst, nun möge sie lieben,<br />

Wen sie wolle, weil ich schon beweibt sei.<br />

Doch min<strong>de</strong>r noch mocht’ ich die geschie<strong>de</strong>ne Gemahlin<br />

Nun wirklich umwerben, wie Isung wähnte,<br />

Daß ich sie gottlos schon früher begehrte,<br />

Als ihm sein Erbland zum Abfall verführen.<br />

So ritten wir zum Rhein, um hier das Rätsel<br />

Meiner Herkunft, wie Mime hoffte,<br />

Vielleicht zu lösen. Das ist die Lage.“<br />

Bei Sigfrids Erzählung trat in die Züge<br />

Des lauschen<strong>de</strong>n Hagen ein Lächeln <strong>de</strong>s Hohns.<br />

„Wie seltsam!“ versetzt’ er, „auf <strong>de</strong>iner Seite<br />

Das treuste Gewissen, – dort Trotz und Willkür!<br />

Wohl noch niemals vernommen und wahrlich nirgend<br />

[218] Bisher gebräuchlich war solche Brautschaft.<br />

Die Braut erfreut sich <strong>de</strong>r vollsten Freiheit,<br />

Und an<strong>de</strong>re Freier müssen ihr frönen.<br />

Sie versen<strong>de</strong>t ihr Bildnis durch fahren<strong>de</strong> Bar<strong>de</strong>n –<br />

,Nur immer herbei! Wer bietet am besten?<br />

So lautet die Losung. Der edle Verlobte<br />

Wartet willigst, ob an<strong>de</strong>re Bewerber<br />

Ihr Herz erweichen, <strong>de</strong>n Sieg zu gewähren.<br />

Wenn ihr keiner genehm ist, dann kommt er genügsam,<br />

Nimmt ihre Neige und wird ihr Notmann.<br />

Inzwischen darf er ja nicht <strong>de</strong>nken,<br />

Er sei noch ledig, er dürfe noch lieben.<br />

Sie ist frei wie ein Vogel, er gefesselt.<br />

Er durchwan<strong>de</strong>t die Welt, er wächst an Ehren;<br />

Im Kampfe <strong>de</strong>s Lebens lernt er kennen<br />

Der Menschen Gesinnung, die eigene Seele,<br />

Lernt unterschei<strong>de</strong>n vom locken<strong>de</strong>n Schimmer<br />

Täuschen<strong>de</strong>r Schalen echte Schönheit,<br />

Von glänzen<strong>de</strong>r Freu<strong>de</strong> <strong>de</strong>n Frie<strong>de</strong>n <strong>de</strong>s Glücks.<br />

Da klärt sich sein Gleichmut, da keimt ein Glaube,<br />

Ein seliges Hoffen in seinem Herzen:<br />

Es geb’ auf Er<strong>de</strong>n auch außer <strong>de</strong>r Arbeit<br />

Ein wünschenswertes und würdiges Wohlsein<br />

Am hellen Her<strong>de</strong> <strong>de</strong>s eigenen Hauses.<br />

Schon sieht er traulich in wachen Träumen<br />

118


Die knistern<strong>de</strong>n Flämmchen lustig flackernd<br />

Seine Lieben beleuchten. Da lauschen voll Neugier<br />

Die knospen<strong>de</strong>n Knaben vor seinen Knieen<br />

Den Worten <strong>de</strong>s Vaters; von seinen Gefahren<br />

[219] Und fernen Zügen erzählt er ihnen;<br />

In die jungen Seelen senkt er <strong>de</strong>n Samen<br />

Zu tapferen Taten mannhafter Tugend.<br />

Mit Spin<strong>de</strong>l und Spule spielen die Mädchen;<br />

Sie gleichen <strong>de</strong>r Mutter; – Die bringt ihm <strong>de</strong>n Metkrug,<br />

Den sie sorgsam gemischt – Wie mild und minnig<br />

Blickt ihr Auge, wie blüht ihr Antlitz<br />

Von reifer Schönheit! – Da rühmt er sein Schicksal<br />

Von ganzem Herzen, schlingt um <strong>de</strong>n Hals ihr<br />

Den Arm und küßt sie mit hol<strong>de</strong>m Gekose.<br />

Dann schiebt er kein Scheit mehr, das Feuer zu schüren<br />

In die Hölle <strong>de</strong>s Her<strong>de</strong>s; dann freut er sich heimlich,<br />

Daß die Nacht sich nähert zu süßem Genusse;<br />

Denn sanft und sicher an ihrer Seite,<br />

Wohlig umwun<strong>de</strong>n von weichen Armen,<br />

Wird er ausruhn von aller Arbeit<br />

Auf <strong>de</strong>m Lager <strong>de</strong>r lautersten Liebe. –<br />

Also träumt er. – Da tritt sein Traumbild<br />

Wahr und wirklich in seinen Weg hin<br />

Als ein minniges Mädchen von weiblicher Mil<strong>de</strong>,<br />

Und walten fühlt er das hol<strong>de</strong> Wun<strong>de</strong>r,<br />

Das Freya wirket: fraglos zu wissen,<br />

Das sei die Hälfte, die seinem Herzen<br />

Der Himmel verheißen in ahnen<strong>de</strong>r Hoffnung,<br />

Was ihm noch fehlte, reich zu erfüllen<br />

Und sein Leben zu ergänzen als lieben<strong>de</strong> Gattin.<br />

So zeigt sich ihm bezaubernd als Bild <strong>de</strong>r Zukunft,<br />

Durch gütige Götter vergegenwärtigt.<br />

Schon will er folgen, – da fühlt er sich gefesselt,<br />

[220] Da scheint es ihm schuldvoll, nach <strong>de</strong>m Göttergeschenke<br />

Die Hand zu erheben, da verbannt er die Hoffnung<br />

Und nennt sich gebun<strong>de</strong>n durch hohe Gebote,<br />

Dieweil er einst wähnte, bewun<strong>de</strong>rn sei lieben,<br />

Und in jugendlicher Torheit sein Jawort tauschte<br />

Nicht nur ohne Neigung, nein, auch für nichts!<br />

Denn was gab sie dagegen? Sag’s, bei <strong>de</strong>n Göttern!<br />

Nur aufs For<strong>de</strong>rn verstand sich die stolze Fürstin:<br />

,Dir fehlt ein Vater, fort mit dir, Findling,’<br />

Ruft sie kränkend; ,erst hol’ eine Krone<br />

Zum Deckel <strong>de</strong>r Schan<strong>de</strong> so schimpflichen Daseins!’<br />

Was nicht bei<strong>de</strong> bin<strong>de</strong>t, das ist kein Bündnis;<br />

Kaum nenn’ ich’s Knechtschaft; <strong>de</strong>r schlechteste Knappe<br />

H a t seinen Herrn, wie er gehabt wird,<br />

Und darf es for<strong>de</strong>rn, dass dieser ihn füttre;<br />

Ein Sklav nur ist dienstbar ohne Bedingung.“<br />

So drehte betrüglich <strong>de</strong>r schlaue Tronjer<br />

Schimmern<strong>de</strong> Worte zum Schein <strong>de</strong>r Wahrheit.<br />

Die Schuld ward zum Wahn, das Gewissen schamrot.<br />

Mit kämpfen<strong>de</strong>r Seele lauschte Sigfrid,<br />

119


Bald erglühend beim Bil<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Glückes,<br />

Das ihm bezaubernd <strong>de</strong>r Listige zeigte,<br />

Bald erblassend und düster blickend,<br />

Wann mit schnei<strong>de</strong>n<strong>de</strong>m Spott als bloßen Spielball<br />

Der stolzen Brunhil<strong>de</strong> Hagen ihn höhnte.<br />

Seine Lippen zuckten, die A<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s Zornes<br />

Schwoll auf <strong>de</strong>r Stirn; ein dumpfes Stöhnen<br />

Kam aus <strong>de</strong>r Kehle. Die silberne Kanne<br />

Faßt’ er und füllte so ganz ohne Vorsicht<br />

[221] Sein gol<strong>de</strong>nes Trinkhorn, daß übertriefend<br />

Das köstliche Naß <strong>de</strong>n Tisch benetzte,<br />

Stürzt’ es hinunter bis auf die Neige<br />

Und wollte nun re<strong>de</strong>n in wil<strong>de</strong>r Erregung,<br />

Als Gunther also begütigend einfiel:<br />

„Weshalb uns erhitzen? Die schönste Hoffnung<br />

Lächelt uns bei<strong>de</strong>n. Noch bist du gebun<strong>de</strong>n,<br />

Mein edler Sigfrid; doch sicher sollst du<br />

Der Freiheit wer<strong>de</strong>n, bevor noch das Frührot<br />

Den Osten umsäumt. – Was sagte <strong>de</strong>nn Oda,<br />

Als Volker sie frug, wen ich freien sollte?<br />

,Die Brautschaft ist gebrochen.<br />

Durch die brausen<strong>de</strong> Brandung<br />

Bringt <strong>de</strong>r Bravste<br />

Den Bru<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Braut<br />

Zur stolzen Brunhild.’<br />

Ist das jetzt noch dunkel? Bedarfs noch <strong>de</strong>r Deutung?<br />

Was <strong>de</strong>m Herold Brunhil<strong>de</strong>ns, um sie zu höhnen,<br />

Und ganz an<strong>de</strong>res meinend <strong>de</strong>in treuer Mime<br />

Damals erwi<strong>de</strong>rt, das wer<strong>de</strong> nun Wahrheit:<br />

,Ein König soll kommen, mit ihr zu kämpfen.’<br />

Ich will es wagen. Die Weisung <strong>de</strong>r Götter<br />

Gebietet es verständlich: sie wer<strong>de</strong>n mich stählen,<br />

Den Kampf zu bestehn.“<br />

„Du kennst nicht ihre Stärke!“<br />

Versetzte Sigfrid. „Ich hab’ es gesehen,<br />

Wie sie gestritten am felsigen Stran<strong>de</strong><br />

Mit <strong>de</strong>m Enkelsohn Dagis, <strong>de</strong>m tapfern Detlev.<br />

Schon wankt’ und wich er vor ihren Waffen;<br />

[222] Da kam ihm zu Hilfe ein frischer Haufe<br />

Seiner mit Lanzen bewaffneten Leute.<br />

In<strong>de</strong>m sie nahten, neigte sich Brunhild<br />

Zur Er<strong>de</strong> und brach einen weidlichen Brocken<br />

Vom rötlichen Felsgrund zu ihren Füßen.<br />

Der wog ungefähr, was auf glattem Wege<br />

Eben noch keuchend ein Kärrner fortschiebt.<br />

Den warf sie im Bogen, als wär’ es ein Ball nur,<br />

In die Mitte <strong>de</strong>r Männer, mehre zermalmend.<br />

Ähnlich wie Stare aus <strong>de</strong>m Weidig am Gesta<strong>de</strong>,<br />

Wo sie <strong>de</strong>s Abends in Unzahl ausruhn,<br />

In schwarzen Schwärmen mit lautem Geschwirre,<br />

Wenn einer sie stört, auseinan<strong>de</strong>r stieben:<br />

Also zerstob vor Brunhilds Steinwurf<br />

Die Krieger Detlevs und flohen von dannen.<br />

120


Da stand <strong>de</strong>r Erstaunte, als faßt ihn ein Starrkrampf,<br />

Regungslos, sprachlos. Mit einem Sprunge<br />

Erreicht’ ihn Brunhil<strong>de</strong>. Rasch um die Hüften<br />

Schlang sie ihm die Arme, erhob ihn von <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong>,<br />

Warf ihn zu Bo<strong>de</strong>n und fing ihn lebendig.<br />

Hast du nun <strong>de</strong>n Glauben, dir werd’ es glücken,<br />

Dies Wun<strong>de</strong>r von Weib im gefährlichen Wettkampf<br />

Doch zu besiegen? Aus <strong>de</strong>inem Sinne<br />

Verbanne die Torheit, sonst bist du <strong>de</strong>s To<strong>de</strong>s.“<br />

„Du machst mich nicht schwankend; ich bin kein Schwächling,“<br />

Entgegnete Gunther. „Von allen Burgun<strong>de</strong>n<br />

Mißt sich keiner mit mir, <strong>de</strong>m König,<br />

We<strong>de</strong>r im Weitsprung in voller Bewaffnung,<br />

Noch im Schwingen und Werfen schwerer Gewichte,<br />

[223] Der ehernen Scheibe, <strong>de</strong>s eschenen Schaftes.<br />

Denn im Wölsungenstamme ringen wir stetig,<br />

Die Stärke zu steigern von Alter zu Alter,<br />

Und wählen die Weiber nicht aus nach Wollust,<br />

Son<strong>de</strong>rn in Sorge für kräftige Söhne,<br />

Hehr und züchtig, um Hel<strong>de</strong>n zu zeugen.<br />

Deswegen auch, mein ich, m u ß ich es wagen,<br />

Die Frau zu gewinnen, von welcher die Welt sagt,<br />

Zum höchsten Gipfel hätten die Götter<br />

Des Weibes Muster in ihr gemo<strong>de</strong>lt<br />

Und in e i n e s geschaffen die Blüte <strong>de</strong>r Schönheit,<br />

Der hünischen Stärke, <strong>de</strong>s hellen Verstan<strong>de</strong>s.<br />

Ich erfülle mein Schicksal. Ich bin es schuldig<br />

Den e<strong>de</strong>ln Ahnen, zu sorgen für Enkel<br />

Aus <strong>de</strong>m Schoße <strong>de</strong>r allerschönsten,<br />

Tapfersten, kundigsten Königstochter,<br />

Die mir irgend bekannt, und wür<strong>de</strong> sie an Ketten<br />

In Helas Behausung in Haft gehalten.<br />

Wenn es mein Los ist, will ich erliegen. –<br />

Alles Edlere, was schon aufstrebt<br />

Und hinwärts zum Menschen gemeinere Mischung<br />

Des irdischen Staubes ahnungsvoll steigert,<br />

Darf sein Dasein nicht weiter <strong>de</strong>hnen<br />

Über <strong>de</strong>n eigenen letzten Atem,<br />

Bevor sein Gepräge in strenger Prüfung<br />

Sich erprobt hat als preislich und wert, zu prangen<br />

In ähnlichen Enkeln künftiger Alter.<br />

Alles Erschaffne wird umgeschüttelt<br />

In sichten<strong>de</strong>m Siebe: da sinkt, was siech ist,<br />

[224] In Mulm und Mo<strong>de</strong>r zurück durch die Maschen;<br />

Blüten und Samen trägt nur Gesun<strong>de</strong>s.<br />

‚Kämpfe tapfer an jeglichem Tage’,<br />

Sagt die Natur, ,mit tausend To<strong>de</strong>n;<br />

Sein heißt Siegen; Sieger nur sollen<br />

Ferner wer<strong>de</strong>n und weiter wachsen<br />

Als dauern<strong>de</strong> Bil<strong>de</strong>r zu meinem Beifall,<br />

Als neue Gestalten, wann die alten zerstäuben;<br />

Unsterblichkeit schenk’ ich nur starker Schönheit.’<br />

Um die schönste Hin<strong>de</strong> kämpfen die Hirsche<br />

121


Auf Leben und Sterben; <strong>de</strong>nn nur <strong>de</strong>r Stärkste<br />

Soll sie gewinnen als Auserwählter;<br />

Denn er ist geeignet, die Art zu vere<strong>de</strong>ln.<br />

Die Liebe <strong>de</strong>s Schwächlings ist eitles Schwärmen;<br />

Doch mit Recht allmächtig wird Mannes Minne<br />

Als Zauberzugkraft zum höchsten <strong>de</strong>r Ziele,<br />

Das <strong>de</strong>m Sterblichen gezeigt ist: Stammeszukunft.<br />

Und ich sollte zau<strong>de</strong>rn und feige zagen,<br />

An solche Liebe mein Leben zu setzen?<br />

Ich will es ohne Wanken. Drum laß <strong>de</strong>in Warnen.<br />

Mir sagt es meine Seele, ich wer<strong>de</strong> siegen;<br />

Mein sein muß sie, das macht mich mutvoll. –<br />

Nur eines von allem gibt mir Anstoß<br />

Und macht mich verlegen, ich will’s nicht leugnen:<br />

Das sind die Rätsel; <strong>de</strong>nn daß ich rasch sei,<br />

Dunkles zu erraten, darf ich nicht rühmen.“<br />

„D i e s e r Sorge“, versetzte Sigfrid,<br />

„Entschlage dich nur; <strong>de</strong>nn wärst du entschlossen,<br />

Den Wettkampf zu wagen, so wüßt’ ich in kurzem<br />

[225] Dich vorzubereiten auf Brunhilds Rätsel.<br />

Sie wird sie wählen aus jenem Weistum,<br />

Das unsere Ahnen, von Asiens Bergen<br />

Gen Westen wan<strong>de</strong>rnd, bewahrt im Gedächtnis<br />

Und weiter vererbt von Alter zu Alter.<br />

Von <strong>de</strong>r Lehrerin Brunhilds lernt’ ich als Jüngling<br />

Den Sinn <strong>de</strong>r Sagen und alten Gesänge<br />

Vom Walten und Wehren <strong>de</strong>r Götter und Wanen<br />

Und ihrem Ringen mit wil<strong>de</strong>n Riesen.<br />

Auf einem einzigen großen Rätsel<br />

Beruht das Gerüste runischer Weisheit,<br />

Und kennst du dies eine, so hast du zu allen<br />

Den Schlüssel bereit und fin<strong>de</strong>st das Schlagwort,<br />

Das in Märchen vermummt ist, mit leichter Mühe.<br />

Das sollst du schon lernen. – Ja, ging’ es zu langsam,<br />

Und machte die Lösung dich <strong>de</strong>nnoch verlegen,<br />

So – hätt’ ich ein Mittel . . . ein Mäntelchen, mein’ ich,<br />

Obschon ich es nimmer zu nutzen geneigt war,<br />

Seit es mir sicher und ohne Versehrung<br />

Durch die lo<strong>de</strong>rn<strong>de</strong> Lohe <strong>de</strong>n Ritt erlaubte –<br />

So hätt’ ich ein Mittel, dir unbemerkbar<br />

Und heimlich zu helfen.“<br />

„Heil dir, o Sigfrid!<br />

Dein Wort ist trostvoll; halt es getreulich!“<br />

Rief <strong>de</strong>r Tronjer, sein Trinkhorn erhebend.<br />

Bei Sigfrids Verheißung erging es Hagne<br />

Gleichwie <strong>de</strong>m Sennen, <strong>de</strong>r mitten im Sommer<br />

Auf <strong>de</strong>r obersten Alp vor Aufgang <strong>de</strong>r Sonne<br />

Nie<strong>de</strong>rwärts nichts als Nebel wahrnimmt:<br />

[226] Endlos <strong>de</strong>hnt sich die dichte Decke,<br />

Die Welt verhüllend. Da regt sich ein Windhauch,<br />

Den die Sonne sen<strong>de</strong>t, um anzusagen,<br />

Sie gehe soeben auf im Osten.<br />

Nun ist es, als faßten riesige Fäuste<br />

122


In seiner Mitte <strong>de</strong>n grauen Mantel<br />

Des Firmamentes, und meilenweit ist er<br />

Im Nu zerrissen: und nun umrahmen<br />

Die langen Lücken die sonnige Landschaft<br />

Unten in <strong>de</strong>r Tiefe: grüne Täler,<br />

Wäl<strong>de</strong>r, Matten und Weiler <strong>de</strong>r Menschen,<br />

Wie Spielzeug liegend am lachen<strong>de</strong>n Landsee.<br />

Vom Kulme <strong>de</strong>s Berges <strong>de</strong>utlich erkennbar<br />

Sind nun <strong>de</strong>m Hirten Hof und Hütte,<br />

Wohin er im Herbste die Her<strong>de</strong> heimtreibt,<br />

Und die Windung <strong>de</strong>s Weges, <strong>de</strong>n er dann wan<strong>de</strong>rt.<br />

So lag nun vor Hagne in <strong>de</strong>utlichster Helle<br />

Bis ins einzelne plötzlich das Ganze <strong>de</strong>s Planes,<br />

Brunhil<strong>de</strong> zu holen für seinen Herrscher.<br />

Mit <strong>de</strong>m Auge maß er die bei<strong>de</strong>n Männer;<br />

Er wußte zwar schon, daß sie wenig verschie<strong>de</strong>n<br />

Seien von Wuchs, doch erst jetzt war das wertvoll.<br />

Auch fand er sie ähnlich, je mehr er sie ansah.<br />

Das war ihm entgangen beim Kommen <strong>de</strong>s Gastes;<br />

Dann bemerkt’ er’s vermutend nach Mimes Erzählung,<br />

Und unzweifelhaft ward’s nach <strong>de</strong>n Zwiegesprächen<br />

Mit Gibichs Witwe und Wen<strong>de</strong>l, <strong>de</strong>m Weidmann.<br />

Denn gar wun<strong>de</strong>rlich woben in ihrer Weisheit<br />

Die Götter <strong>de</strong>n Menschen: oft muß er im Geiste<br />

[227] Erst ahnen und wissen, eh sein Auge wahrnimmt,<br />

Sonst bleibt es, auch erblickend, mit Blindheit geschlagen<br />

Und sieht wohl die Dinge, nicht ihre Be<strong>de</strong>utung.<br />

Du gabst mir zu fassen <strong>de</strong>n kleinen Finger,<br />

So dacht’ er heimlich; bald will ich dich halten,<br />

Du heiliger Held, an bei<strong>de</strong>n Hän<strong>de</strong>n.<br />

Nun gilt’s nur zu beginnen; wer einmal in Gang ist,<br />

Dem wächst unterwegs zu wil<strong>de</strong>r Begier<strong>de</strong><br />

Der Zug nach <strong>de</strong>m Ziel, <strong>de</strong>r zau<strong>de</strong>rt nicht lange,<br />

Hindurch zu schreiten durch alle Schranken.<br />

Du willst ihn unterrichten im Lösen von Rätseln,<br />

Ja, du zeigst dich bereit, ihm ins Ohr sie zu raunen:<br />

So w i l l s t du schon wenig, es wankt <strong>de</strong>in Gewissen.<br />

Bald soll nun <strong>de</strong>in Wollen zum Wirbelsturm wachsen<br />

Und die glimmen<strong>de</strong> Liebe als Lei<strong>de</strong>nschaft lo<strong>de</strong>rn.<br />

Dann erfaßt dich die Furcht, es könnte <strong>de</strong>m Fürsten<br />

Der Kampf mißlingen. Was dir lügenhaft, lieblos<br />

Und höchst verdammlich noch heute dünkte,<br />

Das sollst du dann selber in banger Besorgnis<br />

Als einzige Rettung for<strong>de</strong>rn und raten<br />

Und ungebeten dich anerbieten,<br />

Verkappt zu kämpfen an Stelle <strong>de</strong>s Königs.<br />

So dacht’ er weiter; doch weislich schwieg er;<br />

Denn sichrer zum Ziele ohne sein Zutun<br />

Drängte die Männer die Macht <strong>de</strong>r Minne.<br />

„Gesetzt, du siegtest,“ sprach Sigfrid endlich,<br />

„Und dir geläng’ es durch meine Lehren,<br />

Die Rätsel zu lösen: was wür<strong>de</strong> mein Lohn sein?“<br />

„Er heißt Krimhil<strong>de</strong>,“ war die Antwort <strong>de</strong>s Herrschers.<br />

123


[228] „Weisest du <strong>de</strong>n Weg uns durch die weiten Gewässer<br />

Zur Hofburg <strong>de</strong>r Hünin auf Helgis Eiland,<br />

Und bringen wir Brunhild nach glücklicher Brautfahrt<br />

Ins Land <strong>de</strong>r Burgun<strong>de</strong>n, als meine Gattin<br />

In Worms hier zu wohnen, so geb’ ich dir zum Weibe<br />

Mein teuerstes Gut, die Tochter Gibichs,<br />

Krimhil<strong>de</strong>n, meine Schwester. Mit heiligem Schwure<br />

Will ich’s verheißen. Dann halten wir Hochzeit<br />

Am nämlichen Tage. Zu tapferen Taten<br />

Gemeinsam gerüstet, entreißen wir am Rheine<br />

Den räuberischen Sachsen die Gegend um Santen:<br />

Da herrsche dann als Herzog in voller Hoheit<br />

Und freue dich <strong>de</strong>s Lebens mit <strong>de</strong>r lieblichsten <strong>de</strong>r Frauen.“<br />

„Top!“ sagte Sigfrid; „das sei nun besiegelt<br />

Mit heiligem Handschlag,“ und reichte <strong>de</strong>m Herrscher<br />

In stolzer Erregung die starke Rechte.<br />

Einan<strong>de</strong>r drauf nochmals laut und vernehmlich<br />

Den Lohn und die Leistung vor Hagne gelobend,<br />

Schwuren sich <strong>de</strong>n Schwerteid die künftigen Schwäger,<br />

Berieten die Reise und gingen dann zur Ruhe.<br />

[229]<br />

————<br />

Zehnter Gesang.<br />

——<br />

Als eben im Osten das Auge <strong>de</strong>s Himmels<br />

Die Wimpern aufschlug, die gol<strong>de</strong>nen Wolken,<br />

Da trat, unermüdlich, <strong>de</strong>r treue Mime<br />

In Sigfrids Kammer und wollt’ ihm verkün<strong>de</strong>n,<br />

Was er Wichtiges nächtens von Wen<strong>de</strong>l vernommen,<br />

Und was er beschlossen. Er fand ihn schlafen.<br />

Wie <strong>de</strong>r Mutter Blick an <strong>de</strong>r blühen<strong>de</strong>n Mannheit<br />

Des lieben Sohnes sich nimmer satt schaut: –<br />

Sie entsinnt sich beseligt, wie weiland als Säugling<br />

Die stolze Gestalt mit <strong>de</strong>r hohen Stirne,<br />

Dem e<strong>de</strong>ln Antlitz, <strong>de</strong>n schönen Augen,<br />

Dem gekräuselten Bart, – wie dies Kraftgebil<strong>de</strong>,<br />

So lang und so breit nun, an ihrer Brust lag,<br />

Sie hungrig haltend mit kleinen Händchen<br />

Und lechzen<strong>de</strong>n Lippen, und ihr zum Lohne<br />

Das Herz erfüllt mit <strong>de</strong>m hol<strong>de</strong>sten Fühlen,<br />

Das unter <strong>de</strong>m Mon<strong>de</strong> Menschen vergönnt ist:<br />

[230] So war es für Mime, <strong>de</strong>n mißgestaltnen,<br />

Ein wonniges Glück, die gewaltigen Glie<strong>de</strong>r,<br />

Die mächtigen Schultern, die männliche Schönheit<br />

124


Des Hel<strong>de</strong>n zu schauen. Dann war ihm sein Schicksal<br />

Nicht länger verbittert durch seinen Buckel.<br />

Wohl dacht’ er in Wehmut <strong>de</strong>s treuen Weibes,<br />

Das längst in <strong>de</strong>r Gruft lag, <strong>de</strong>s mit ihm begrabnen<br />

Verkümmerten Keimes; doch tröstlich erkennbar<br />

Ward ihm die Fügung, und Fassung fand er,<br />

Ja, Dank für sein Dasein, <strong>de</strong>ssen Be<strong>de</strong>utung<br />

Unverdunkelt vor ihm dalag:<br />

War nicht er <strong>de</strong>r Bildner <strong>de</strong>s E<strong>de</strong>lsten, Besten?<br />

So wartet’ er gern, bis <strong>de</strong>r Held erwachte.<br />

Kaum sah nun Sigfrid <strong>de</strong>n treu Besorgten,<br />

So hielt er ihm die Hand hin, zog ihn herzlich<br />

Zu seinem Lager, umfaßt’ ihn liebreich<br />

Und küßte liebkosend <strong>de</strong>n Kopf <strong>de</strong>s Zwerges.<br />

Dem trat eine Träne in die treuen Augen,<br />

Und das wollige Haupt an <strong>de</strong>r Wange <strong>de</strong>s Hel<strong>de</strong>n<br />

Umzog ein Zauber; die häßlichen Züge<br />

Erhellte <strong>de</strong>s Herzens heilige Wärme,<br />

Und die Seele durchschien sie mit innerer Schönheit.<br />

„Du kommst zur Freu<strong>de</strong>,“ rief Sigfrid fröhlich,<br />

„Mein kleiner Vater; <strong>de</strong>nn gar nicht fern mehr<br />

Vom ersehnten Ziele ist nun <strong>de</strong>in Zögling.<br />

Bald wird’ ich nun ein Fürst sein und Hochzeit feiern<br />

Mit <strong>de</strong>r Schwester <strong>de</strong>s Herrschers, <strong>de</strong>r schönen Krimhil<strong>de</strong>.“<br />

Nun erzählt’ er ihm alles vom Anfang zum En<strong>de</strong>,<br />

Was er und Gunther am gestrigen Abend<br />

[231] Einan<strong>de</strong>r beschworen mit heiligem Schwerteid.<br />

„So muß nun die Forschung“, sprach er dann ferner,<br />

„Nach meinem Vater ein wenig feiern.<br />

Bei mehrerer Muße mit reicheren Mitteln<br />

Magst du dann später die dunkeln Spuren,<br />

Welche du witterst, zum Wege verbin<strong>de</strong>n.<br />

Nach einem En<strong>de</strong> nur darf <strong>de</strong>r Edle<br />

Sein Auge richten, um rasch und gera<strong>de</strong><br />

Das Ziel zu erreichen; er zieht im Zickzack<br />

Nur hin und her sonst und leistet Halbes;<br />

Nur allein Verlangtes erlangt man sicher.<br />

Genug schon <strong>de</strong>r Sorge bringt diese Seefahrt.<br />

Ich bin voll Hoffnung; doch wird Brunhil<strong>de</strong><br />

Mitnichten geneigt sein, <strong>de</strong>n stolzen Nacken<br />

Leichten Kaufs und gelin<strong>de</strong> kämpfend<br />

Dem König Gunther ins Joch zu gehen.<br />

Auch dies noch erwog ich: Wer gibt mir Gewißheit,<br />

Daß meine Herkunft auch wirklich hoch ist?<br />

Wie müßt’ es kränken die minnige Krimhild,<br />

Vorher zu hören, sie halte Hochzeit<br />

Mit einem Sohne geringer Sassen?<br />

Gar leicht wird lauer und kann erlöschen<br />

Die Liebe <strong>de</strong>s Weibes, wenn sich als Lüge<br />

Die Hoffnung erweist <strong>de</strong>s eigenen Herzens<br />

Und an<strong>de</strong>rer Leute: daß ihr <strong>de</strong>r Geliebte<br />

Ein ebenbürtiges Bündnis bietet.<br />

Doch auch wenn ich’s schon wüßte, ich sei gewachsen<br />

125


Auf königlichem Stamm: die Kun<strong>de</strong> verstummen<br />

Ließ’ ich wahrlich bis nach <strong>de</strong>r Werbung;<br />

[232] Denn ich möchte nur mir die Gemahlin verdanken<br />

Und meinem Namen, statt nur <strong>de</strong>r Norne,<br />

Die <strong>de</strong>n Fa<strong>de</strong>n meines Lebens an ein Fürstenhaus festband,<br />

Drum laß nun <strong>de</strong>in Vermuten. – Sage <strong>de</strong>r Mannschaft,<br />

Es gehe schon morgen nach <strong>de</strong>n nördlichen Marken<br />

Des Reichs <strong>de</strong>r Burgun<strong>de</strong>n. Der König Gunther<br />

Nimmt sie in Sold zum Kampf mit <strong>de</strong>m Sachsen.<br />

Bis zu meiner Ankunft sei Eckart Oberst;<br />

Das Land soll er schützen vor <strong>de</strong>n rauben<strong>de</strong>n Scharen,<br />

Doch <strong>de</strong>r Übermacht weichen hinter die Wälle<br />

Der festen Burgen, bis ich dabei bin.<br />

Doch ich sag’ es ihm selbst noch. – Was sinnst du, Mime?“<br />

In schweren Zweifeln schwankte <strong>de</strong>s Zwerges<br />

Sorgen<strong>de</strong> Seele. Durft’ er noch säumen,<br />

Sein Herkunftsgeheimnis ihm zu enthüllen?<br />

Nun war es kein Raub mehr, nun war er berechtigt,<br />

Gunthre zu entreißen das burgundische Reich.<br />

Sollte <strong>de</strong>nn Sigfrid, <strong>de</strong>r Sohn <strong>de</strong>s Sigmund,<br />

Der geborene Thronherr, nur treuer Vasall sein<br />

Der Söhne <strong>de</strong>s Gibich, <strong>de</strong>r sicher einst gottlos<br />

Dem Kin<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Bru<strong>de</strong>rs die Treue gebrochen<br />

Und vielleicht gar ihn selbst zur Hela gesandt? –<br />

Doch – war <strong>de</strong>nn auch wirklich, wie kecken Wortes<br />

Sein Zögling gerühmt im Rausche <strong>de</strong>s Zornes,<br />

So leicht erlangbar die Herrschaft <strong>de</strong>s Lan<strong>de</strong>s,<br />

So weiter Marken voll mutiger Männer?<br />

Und gesetzt auch, er siegte: Eins schien dann sicher:<br />

Die Krone gewinnend, verlor er Krimhild,<br />

Die sich nimmer als Gattin ergäbe <strong>de</strong>m Gegner<br />

[233] Des teuern Bru<strong>de</strong>rs. Dann blieb an Brunhild<br />

Der Held gebun<strong>de</strong>n – und bitter verhaßt war<br />

Da hünische Mannweib <strong>de</strong>m kleinen Mime.<br />

So dacht’ er weiter in klugem Erwägen:<br />

Sitzt nur erst Sigfrid sicher als Herzog<br />

In seinen Marken, dann ist er mächtig;<br />

Dann darf das Geheimnis auch Krimhild hören.<br />

Dann ist ihr Bru<strong>de</strong>r vermählt mit Brunhild,<br />

Und ihr wird Krimhild die Krone nei<strong>de</strong>n.<br />

Erwacht erst die Herrschsucht in ihrem Herzen,<br />

So werf’ ich <strong>de</strong>n Funken und schüre das Feuer<br />

Das Dia<strong>de</strong>m <strong>de</strong>r so dünkelvollen<br />

Frem<strong>de</strong>n Frau, es ist d e i n unfraglich<br />

Nach heiligem Recht, – dann rät und reizt sie<br />

Den Gatten selber, <strong>de</strong>n Söhnen Gibichs<br />

Das Reich zu entreißen in rascher Feh<strong>de</strong>.<br />

Drum dünkt’ es mir besser, ich halt ihm die Botschaft<br />

Von seinem Geburtsrecht vorerst noch verborgen.<br />

So dachte <strong>de</strong>r Kleine mit schneller Klugheit<br />

Und lächelte fröhlich, in<strong>de</strong>m er <strong>de</strong>r Frage<br />

Mit einer an<strong>de</strong>rn behen<strong>de</strong> auswich:<br />

„Wann tretet ihr die Fahrt an? um <strong>de</strong>r stolzen Fürstin<br />

126


Das Wort jetzt zu bewähren, das ich ihr geweissagt:<br />

Ein König komme, mit ihr zu kämpfen!“<br />

„Wir fahren hinab am nächstfolgen<strong>de</strong>n Neumond,“<br />

Versetzte Sigfrid, „wann alles besorgt ist<br />

Und das Rheinschiff gerüstet zu dieser Reise;<br />

Denn äußerst eilig ist Gunthers Eifer.<br />

Du wirst doch dabei sein?“<br />

[234] „Ich sollte billig“,<br />

Entgegnete Mime, „<strong>de</strong>m stolzen Mannweib<br />

Den Anblick sparen, <strong>de</strong>r, wie wir das spürten,<br />

Ihr äußerst verhaßt ist, <strong>de</strong>n Anblick meines Höckers.<br />

In ihren Augen las ich <strong>de</strong>n Abscheu,<br />

Das eitle Grauen, beim ersten Gruße,<br />

Da wir zur Heerfahrt nach Helgis Eiland<br />

Brunhil<strong>de</strong>n holten vom Hin<strong>de</strong>rberge.<br />

Auf <strong>de</strong>ine Schönheit fiel ihr ein Schatten<br />

Von meinem Buckel, da du sie batest<br />

Mit e<strong>de</strong>lm Eifer, sie möge mich ehren.<br />

Diese Verpflichtung, als Pflegevater<br />

Des schmucken Verlobten <strong>de</strong>n Schmied zu lieben,<br />

Den mißgestalteten, sie war <strong>de</strong>r Stolzen<br />

Wie Wermut im Wein bitterlich zuwi<strong>de</strong>r.<br />

Weswegen Brunhil<strong>de</strong> dich hingehalten,<br />

Das war weit min<strong>de</strong>r, mein’ ich, <strong>de</strong>r Mangel<br />

Der gol<strong>de</strong>nen Krone, als daß <strong>de</strong>r Krüppel<br />

Mit <strong>de</strong>m häßlichen Höcker zu dir gehörte.<br />

Drum wär’ es das beste wohl für uns bei<strong>de</strong>,<br />

Einan<strong>de</strong>r niemals wie<strong>de</strong>r zu nahen.<br />

Doch – ich will mich wei<strong>de</strong>n an ihrer Wildheit,<br />

An ihrem Zone, wann sie gezähmt wird,<br />

Den Zügel zu tragen. Auch ist mein Zutraun<br />

Zu <strong>de</strong>inem Vorsatz kein allzufestes.<br />

Noch willst du nur halb. Ich muß dir helfen<br />

Und, wo du noch weich bist in <strong>de</strong>inem Gewissen,<br />

Dein Herze stählen mit harter Stärke.<br />

Sei ganz für Gunthern o<strong>de</strong>r gar nicht. –<br />

[235] Drum will ich dabei sein, doch nicht im Boote<br />

Den Rhein hinunter. Mit wichtiger Nachricht –<br />

Du willst sie nicht wissen und tust auch wohl daran –<br />

Muß ich eilen zur alten Oda.<br />

Haltet vor Holmgart bei meinem Häuschen:<br />

Da komm’ ich an Bord.“<br />

„Weit besser wär’ es,“<br />

Versetzte Sigfrid, „du sorgtest für ein Seeschiff,<br />

Wie sie ja häufig bis Holmgart kommen.<br />

Die heftigen Stürme <strong>de</strong>s Herbstes zu bestehen,<br />

Sei es gerüstet, auch geräumig für Rosse.<br />

Nicht ausre<strong>de</strong>n kann ich’s <strong>de</strong>m eiteln König,<br />

Die kurze Strecke vom Kai <strong>de</strong>s Hafens<br />

Zur Burg <strong>de</strong>s Helgi hoch zu Hengste<br />

Und aufs reichste gerüstet zurückzulegen.<br />

Was man hier am Platze von plumpen Planken<br />

Der Tanne zimmert, das taugt wohl zur Talfahrt<br />

127


Im ruhigen Rhein; doch die rollen<strong>de</strong>n Wogen<br />

Der stürmischen Nordsee beständ’ es nimmer.<br />

Der Beherrscherin Holmgarts, <strong>de</strong>r e<strong>de</strong>ln Hulda,<br />

Kannst du erzählen von unserem Zuge;<br />

Sie wird uns zur Hülfe von Herzen bereit sein.“<br />

„Es sei, wie du sagst,“ versetzte Mime.<br />

„Gehabe dich wohl. Nach etlichen Wochen<br />

Sehn wir uns wie<strong>de</strong>r.“ Nach diesen Worten<br />

Schie<strong>de</strong>n die bei<strong>de</strong>n.<br />

Im Bogenfenster<br />

Ihres Gemaches in sinnen<strong>de</strong>r Muße<br />

Saß Krimhil<strong>de</strong> und fühlt’ ihr Herze<br />

[236] Leidvoll pochen. Die letzte Perle,<br />

Der letzte Fa<strong>de</strong>n war festgestichelt<br />

Am schönen Haltband für Horands Harfe.<br />

Vollen<strong>de</strong>t lag es in ihrer La<strong>de</strong><br />

Und – gern verlassen. Die Lust am <strong>Lied</strong>e<br />

Wirkt mild bezaubernd ein zartes Neigen<br />

In <strong>de</strong>r Seele <strong>de</strong>r Jungfrau zum sinnigen Sänger,<br />

Ein Erstlingsgefühl, ein ahnen<strong>de</strong>s Vorspiel,<br />

Vor <strong>de</strong>m Mai <strong>de</strong>r Minne <strong>de</strong>n Lenzhauch <strong>de</strong>s Märzes.<br />

Den mil<strong>de</strong>n Strahlen <strong>de</strong>s Morgensternes<br />

Gleicht diese Regung: wann <strong>de</strong>m rosigen Ran<strong>de</strong><br />

Im Osten die Sonne siegreich entstiegen<br />

Mit blen<strong>de</strong>n<strong>de</strong>m Licht, ist er längst schon erloschen.<br />

So war nun <strong>de</strong>r Harfner vom Hel<strong>de</strong>n verdunkelt,<br />

Und gern vergessend ließ sie die Gabe<br />

Ruhn in <strong>de</strong>r La<strong>de</strong>. – Leer noch im Rahmen,<br />

Der frisch beschürzt lag auf ihrem Schoße,<br />

Und ohne Muster waren die Maschen,<br />

Die Viereckfeldchen von hanfenen Fä<strong>de</strong>n.<br />

Sie hielt in <strong>de</strong>n Fingern eine horngefaßte,<br />

Gespitzte Kohle, das gespannte Netztuch<br />

Mit seinen Tupfen zählend zu teilen<br />

Nach gleichem Ausmaß, um dann <strong>de</strong>n Umriß<br />

Mit leichten Linien drauf anzulegen<br />

Zum bunten Bil<strong>de</strong>. Doch unverbannbar<br />

Stand immer eins nur vor ihren Augen,<br />

Und wohl nimmer genügte, dies nachzuahmen,<br />

Die Kunst <strong>de</strong>r Na<strong>de</strong>l: Vom Kelchrand hernie<strong>de</strong>r<br />

Blitzten blen<strong>de</strong>nd die blauen Augen<br />

[237] Des Hel<strong>de</strong>n Sigfrid in ihre Seele. –<br />

Bald war es ein Falke, verfolgt von Adlern,<br />

Bald wie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Lintwurm aus Horands <strong>Lied</strong>e,<br />

Was als Muster auf die Maschen sie malen wollte.<br />

Doch kaum berührte die Kohle <strong>de</strong>n Rahmen,<br />

Um erst am Ran<strong>de</strong> in kleinem Risse<br />

Das Bild zu versuchen, – gleich sah sie <strong>de</strong>n Sigfrid<br />

Leuchtend überlugen die Lippe <strong>de</strong>s Bechers,<br />

Und wie fortgezaubert von seinen Zügen<br />

Waren entschwebt und wie<strong>de</strong>r verschwun<strong>de</strong>n<br />

Unfaßbar luftig so Falk als Lintwurm.<br />

Nicht mehr weichen wollten vier bange Worte<br />

128


Aus ihrer Seele; sie dachte seufzend:<br />

Zuletzt sind Lei<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Lohn <strong>de</strong>r Liebe.<br />

So saß sie in Sorgen und <strong>de</strong>nnoch beseligt.<br />

Da schallten Tritte draußen von <strong>de</strong>r Treppe.<br />

Einlaß begehrend nannte sich Gunther,<br />

In<strong>de</strong>m er klopfte. Sie hob die Klinke<br />

Und hieß ihn willkommen. In ihre Kammer<br />

Trat <strong>de</strong>r König und hielt vertraulich<br />

An <strong>de</strong>r Hand <strong>de</strong>n Sigfrid. Da stellte Krimhil<strong>de</strong><br />

Den stattlichen Hel<strong>de</strong>n höflich die Stühle<br />

Auf <strong>de</strong>n blumigen Teppich, <strong>de</strong>r das Tannengetäfel<br />

Der Diele be<strong>de</strong>ckte, in schüchterner Demut<br />

Die Li<strong>de</strong>r senkend; dann setzt’ auch sie sich,<br />

Gunthre entgegen und seinem Gaste,<br />

Auf das schwellen<strong>de</strong> Polster von purpurner Wolle,<br />

Mit <strong>de</strong>m eine La<strong>de</strong> entlang <strong>de</strong>r Mauer<br />

Des Zimmers belegt war. Mit züchtigem Lächeln<br />

[238] Und lieblich errötend begann sie die Re<strong>de</strong>:<br />

„Sei mir willkommen in meiner Kammer,<br />

Mein Bru<strong>de</strong>r und König; sein hochwillkommen<br />

An seiner Seite auch du mir, o Sigfrid.<br />

Was ich gestern begehrte, das wollen die Götter<br />

Gnädig erhören, ich darf’s nun hoffen,<br />

Denn Hand in Hand zu Krimhil<strong>de</strong>n kommt ihr,<br />

Und solcher Besuch verheißt mir Segen.<br />

Doch sicherlich be<strong>de</strong>utsam, so <strong>de</strong>nk ich in Demut,<br />

Und nicht bloß zur Kurzweil ist euer Kommen,<br />

Ihr ernsthaften Männer, zum einfachen Mädchen.<br />

So lasset mich wissen, was euer Wunsch ist.“<br />

„Vernimm’s, liebe Schwester,“ brach Gunther sein Schweigen.<br />

„Ich hoffe Brunhil<strong>de</strong>n, die hehre Fürstin,<br />

Mit Sigfrids Hilfe nach Worms zu holen;<br />

Denn die Götter bestimmten sie mir zur Gattin.<br />

Du kannst aus <strong>de</strong>m Fenster das Fahrzeug sehen,<br />

Das ich rüsten lasse für unsere Rheinfahrt.<br />

Bald ist alles in Ordnung; nur eines fehlt noch.<br />

Hagen rät mir, am Hof Brunhil<strong>de</strong>ns<br />

In fürstlicher Pracht und Prunkgewan<strong>de</strong>n<br />

Reichtum und Kunst <strong>de</strong>s Rheinlands zu zeigen.<br />

Benei<strong>de</strong>nswert solle <strong>de</strong>n Leuten im Nor<strong>de</strong>n,<br />

Wo man sich darbend ein dürftiges Leben<br />

Mühsam erdiene, das Dasein dünken<br />

Bei <strong>de</strong>n Reben am Rhein. Dann wer<strong>de</strong> rühmend<br />

Ein je<strong>de</strong>r dort sagen: ,O seht, wie beseligt<br />

Ist doch Brunhil<strong>de</strong>! Es holt sie als Herrin<br />

Gibichson Gunther ins Land <strong>de</strong>r Burgun<strong>de</strong>n,<br />

[239] Wo <strong>de</strong>r Sonnenschein Saft wird von köstlicher Süße<br />

Und als Göttergetränk <strong>de</strong>n Trauben enttrieft;<br />

Wo die La<strong>de</strong>n und Truhen zu solchen Trachten<br />

Mit Bandgold und Damast, Rubin und Demant<br />

Und rotem Karfunkel <strong>de</strong>m Fürsten gefüllt stehn!’ –<br />

Willst du nun, frag’ ich, mit <strong>de</strong>inen Frauen<br />

Und Weibern aus Worms, so viele zum Werke<br />

129


Du nötig erachtest, es auf dich nehmen,<br />

Bis zum nächsten Neumond die Klei<strong>de</strong>r zu nähen<br />

Für mich und die Männer, die mit mir fahren?<br />

Ich will sie dir nennen. Behalte <strong>de</strong>r Namen<br />

Folge genau, daß Schmuck und Feinheit<br />

Der Klei<strong>de</strong>r du richtest nach dieser Reihe.<br />

Das kostbarste mache <strong>de</strong>n König kenntlich;<br />

Das für Sigfrid sei ganz dasselbe,<br />

Nur ohne die Zutat <strong>de</strong>s Zeichens <strong>de</strong>r Herrschaft,<br />

Mit <strong>de</strong>m du die Zipfel <strong>de</strong>s Mantels mir zierest,<br />

Die gol<strong>de</strong>ne Krone. Statt ihrer krümme<br />

Sich unten in <strong>de</strong>n Ecken von Sigfrids Umwurf<br />

Von Gol<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Lintwurm, <strong>de</strong>n er erlegt hat; –<br />

Laß es dir schil<strong>de</strong>rn, das schuppige Scheusal,<br />

Von Horand, <strong>de</strong>m Harfner. – Dann folgt mir Hagen.<br />

Echt und e<strong>de</strong>l von Stoff, doch einfach<br />

Und ohne Ausputz, <strong>de</strong>r glänzt und auffällt,<br />

Auch dunkel von Farbe sei <strong>de</strong>ssen Festkleid.<br />

Nimm schweren Sammet von tiefster Schwärze;<br />

Nur das Futter liebt er feuerfarben,<br />

Er weiß zu schätzen <strong>de</strong>n Wert <strong>de</strong>s Schimmers<br />

Als ein mächtiges Mittel, <strong>de</strong>r Menschen Gemüter<br />

[240] Mit Gehorsam und Furcht vor <strong>de</strong>m Herrscher zu füllen<br />

Und seiner Hoheit; er selber haßt es,<br />

Ihn anzulegen am eigenen Leibe,<br />

Und zürnte dir nur, wenn du blanke Zierat<br />

Ihm wirken wolltest in seine Gewan<strong>de</strong>.<br />

Doch <strong>de</strong>sto reicher darfst du <strong>de</strong>m Dankwart,<br />

Dem Bru<strong>de</strong>r Hagens, das Hofkleid schmücken<br />

Mit Gebild von Bandgold und buntem Geschmei<strong>de</strong>.<br />

Nicht min<strong>de</strong>r glänzend (doch ja nicht gleichend<br />

An Feinheit und Wert <strong>de</strong>n Gewan<strong>de</strong> <strong>de</strong>r bei<strong>de</strong>n;<br />

Denn ihre Seelen sind eifersüchtig)<br />

Verfertige <strong>de</strong>n Anzug für Volkern von Alzey,<br />

Den e<strong>de</strong>ln Geiger. Dann gehen im ganzen<br />

Auf diese Reise noch sieben Recken<br />

Von edler Abkunft. Die an<strong>de</strong>ren alle<br />

Sind ihre Knappen und meine Knechte<br />

Und wer<strong>de</strong>n in Worms mit Gewän<strong>de</strong>rn versehn.“<br />

„So wolltest du wirklich“, erwi<strong>de</strong>rte Krimhild,<br />

„Die Brautfahrt wagen, geliebter Bru<strong>de</strong>r?<br />

O, noch ist es Zeit! – Geh nicht! Verzögre<br />

Die böse Meerfahrt – nur einige Mon<strong>de</strong>!<br />

Noch kannst du vielleicht <strong>de</strong>n König erkun<strong>de</strong>n,<br />

Der eine Tochter voll mil<strong>de</strong>r Tugend<br />

Und Schönheit erzogen, die dir gezäme<br />

Zum Ehebündnis, so gut – und besser<br />

Als diese Brunhild. – Ach, Bru<strong>de</strong>r, ich brauche<br />

Ihn nur zu nennen, <strong>de</strong>n düsteren Namen<br />

Der kühnen Walküre voll wil<strong>de</strong>r Kampflust,<br />

Die mit Mädchenhän<strong>de</strong>n <strong>de</strong>n Mör<strong>de</strong>r Helgis,<br />

[241] Am Haar ihn haltend, enthaupten konnte,<br />

Der jungen Greisin – und jähes Grausen<br />

130


Ergreift mir die Seele; was ihr auch saget,<br />

Ich bin verängstigt und ahne Unheil.“<br />

„Ei sieh! Du lauschtest <strong>de</strong>m <strong>Lied</strong>e Horands!“<br />

Sprach Gunther lächelnd; „doch laß, mein Liebchen,<br />

Dein müßiges Warnen; nichts macht mich wankend.<br />

Die Fahrt ist befohlen. – Sprich, bringst du fertig<br />

In einer Woche die zwölf Gewan<strong>de</strong>?<br />

Für je<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Männer einen weiten Mantel<br />

Und darunter ein Wams, je nach Rand und Wür<strong>de</strong><br />

Vom reichsten Sammet, von rauschen<strong>de</strong>r Sei<strong>de</strong>,<br />

Von weicher Wolle mit sei<strong>de</strong>nen Wülsten<br />

Und alles gestickt mit Steinen und Perlen?“<br />

„Sei <strong>de</strong>shalb sorglos,“ versetzte Krimhild.<br />

„Du bist entschlossen; so sen<strong>de</strong> nur schleunigs<br />

Den Sammet und die Sei<strong>de</strong>, die sämtlichen Stoffe,<br />

Die gol<strong>de</strong>nen Borten, die silbernen Bän<strong>de</strong>r,<br />

Das edle Gestein und die Perlen zum Sticken,<br />

Auch von je<strong>de</strong>m <strong>de</strong>r Männer, welche du mitnimmst,<br />

Ein Wams nebst Mantel, die Weite zu messen.<br />

Bis zum nächsten Neumond soll alles genäht sein<br />

Und genau so besorgt, wie du gesagt hast.“<br />

„Ich wer<strong>de</strong> nicht säumen, dir alles zu sen<strong>de</strong>n,“<br />

Entgegnete Gunther. „An unserm Gast hier“ –<br />

Setzt’ er scherzend hinzu und schelmisch lächelnd,<br />

„Wür<strong>de</strong>st du, mein’ ich, zu Wams und Mantel<br />

Dir am sichersten selbst wohl die Maße suchen.<br />

Auch möcht’ ich wetten, er will dir ein Wörtchen<br />

[242] Noch heimlich sagen. – Was hast du, Krimhil<strong>de</strong>?<br />

Was tust du betreten? Ihm darfst du vertraun.“<br />

So sprach <strong>de</strong>r König und verließ die Kammer<br />

Hastigen Schrittes. – Da fuhr sie erschrocken<br />

Vom Sitz in die Höhe, als müsse sie’s hin<strong>de</strong>rn.<br />

Bei<strong>de</strong> Hän<strong>de</strong> am Busen haltend,<br />

Als wolle das Herz aus ihrem Halse<br />

Plötzlich springen, stand sie sprachlos<br />

Und blickte zu Bo<strong>de</strong>n auf die bunten Blumen<br />

Des wollenen Teppichs. – Ein Taumel <strong>de</strong>r Freu<strong>de</strong>,<br />

Scham und Erwartung entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Wortes<br />

Verwirrten Krimhil<strong>de</strong>n. Sie war wie bewußtlos,<br />

Und <strong>de</strong>nnoch erblickte sie <strong>de</strong>utlichst die Blumen<br />

Zu ihren Füßen. – Ein purpurner Fa<strong>de</strong>n,<br />

Ein zerrissenes Restchen <strong>de</strong>r Wolle zum Ranfte<br />

Am nun fertigen Haltband für Horands Harfe,<br />

Lag da, geringelt, wie eine Raupe,<br />

Ein Knötchen statt <strong>de</strong>s Kopfes, mitten auf <strong>de</strong>m Kelche<br />

Der blaßroten Nelke, als ob sie nagend<br />

Die Staubgefäße <strong>de</strong>r Blume zerstöre.<br />

Dies Flöckchen Wolle war ein Fleck im Gewissen:<br />

Es mahnt’ an Gefühle, hinfort ganz unmöglich,<br />

Für immer begraben und jetzt unbegreiflich.<br />

Sie mußt’ es verbergen. Sie bückte sich nie<strong>de</strong>r,<br />

Faßt’ es mit <strong>de</strong>n Fingern und rollte <strong>de</strong>n Fa<strong>de</strong>n<br />

Zum Klümpchen zusammen, als würd’ er sonst klagbar<br />

131


Und sage Sigfri<strong>de</strong>, was ihre Seele<br />

Noch gestern durchdämmert, – jetzt freilich verdunkelt<br />

Wie mil<strong>de</strong>r Mondschein vom strahlen<strong>de</strong>n Morgen.<br />

[243]<br />

Rasch aufgestan<strong>de</strong>n vom zierlichen Stuhle<br />

War auch Sigfrid. Er sah es beseligt,<br />

Wie das minnige Mädchen vergebens bemüht war,<br />

Sich ihm zu verbergen. Wie wogte ihr Busen,<br />

Wie flammte so reizend die fliegen<strong>de</strong> Röte<br />

Aus <strong>de</strong>m pochen<strong>de</strong>n Herzen empor am Halse<br />

Bis unter das Ohr und weiter ins Antlitz.<br />

Auch <strong>de</strong>r herrliche Nacken, in<strong>de</strong>m sie sich neigte,<br />

Schimmerte rosig. – Doch schüchtern und ratlos<br />

Schaute <strong>de</strong>r Held auf die schöne Krimhil<strong>de</strong>,<br />

Im Rausch <strong>de</strong>s Begehrens <strong>de</strong>r Re<strong>de</strong> vergessend.<br />

Er, <strong>de</strong>r Stärkste <strong>de</strong>r Starken, <strong>de</strong>r stolz und ruhig<br />

Den Tod bestan<strong>de</strong>n in tausend Gestalten,<br />

Er, <strong>de</strong>r mutvolle Mann, – vor <strong>de</strong>m zarten Mädchen<br />

Stand er bestürzt, und lange noch stumm blieb<br />

Die gelenkige Zunge, verlegen zau<strong>de</strong>rnd.<br />

Endlich begann er: „Was ist es, das dich ängstigt?<br />

Die weite Meerfahrt? Sei guten Mutes!<br />

Ich kenne die Nordsee, und kann auch niemand<br />

Für Wind und Wetter Gewährschaft leisten,<br />

So <strong>de</strong>nk’ ich <strong>de</strong>nnoch, du dürfest getrost sein,<br />

Und ich bringe dir <strong>de</strong>n Bru<strong>de</strong>r von dieser Brautfahrt<br />

Mit <strong>de</strong>r Himmlischen Hülfe so wohlbehalten<br />

Wie<strong>de</strong>r nach Worms, wie <strong>de</strong>in Herze das wünscht.<br />

Mein Stern ist im Steigen. Von <strong>de</strong>r obersten Stufe<br />

Wun<strong>de</strong>rbar <strong>de</strong>utlich winkt mir <strong>de</strong>s Daseins<br />

Höchste Vollendung, so lieblich, so leibhaft –<br />

So wahr ich lebe, es wird gelingen.“<br />

Sie schaute getröstet, fest vertrauend<br />

[244] Und ohne Angst nun in Sigfrids Augen,<br />

Ergriff seine Rechte und sagte beruhigt:<br />

„So sei <strong>de</strong>nn mein Bru<strong>de</strong>r im Lan<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Brunhild<br />

Und in aller Gefahr dir, Sigfrid, befohlen;<br />

Auf dich vertrau’ ich und <strong>de</strong>ine Treue.<br />

Hältst du <strong>de</strong>r Hoffnung die schöne Verheißung<br />

Und bringst ihn mir heil zurück in die Heimat,<br />

So diene mein Dasein nur dir zu danken,<br />

So will ich dir’s lohnen, so lang ich’ lebe.“<br />

Da hielt nun <strong>de</strong>r Held mit berauschtem Herzen<br />

Am Schei<strong>de</strong>weg <strong>de</strong>r Treue und Schuld!<br />

„Geliebtes Mädchen, es muß nun gelingen!“<br />

Entgegnete Sigfrid, – und in seiner Seele<br />

Lag jetzt beschlossen, was längst <strong>de</strong>r verschlagne<br />

Hagen gehofft: selbst mit Brunhil<strong>de</strong>n<br />

Verkappt zu kämpfen an Stelle <strong>de</strong>s Königs.<br />

Er zog sie sich näher. „Krimhil<strong>de</strong>, vernahmst du,<br />

Frug er sie leise und freundlich lächelnd,<br />

Welche Worte <strong>de</strong>m Volker geweissagt<br />

Die alte Oda?“<br />

132


Ihr flammen<strong>de</strong>s Antlitz<br />

Wandte Krimhil<strong>de</strong> hinweg vom Hel<strong>de</strong>n<br />

Und wollt’ es verbergen mit bei<strong>de</strong>n Hän<strong>de</strong>n,<br />

Als mit sanfter Gewalt zwei sieggewohnte<br />

Offene Arme sich innig schlangen<br />

Um das zittern<strong>de</strong> Mädchen. Sie fühlte <strong>de</strong>s Mun<strong>de</strong>s<br />

Heißen Hauch an <strong>de</strong>r Beuge <strong>de</strong>s Halses<br />

Unter <strong>de</strong>m Ohr; es folgte <strong>de</strong>m Atem<br />

Ein rasches Berühren, daß feurig rieselnd<br />

[245] Durch alle Glie<strong>de</strong>r ein Glutstrom rauschte.<br />

Und Sigfrid sagte: „Der Seherin Ausspruch,<br />

Der Götter Fügung erfülle jetzt folgsam,<br />

Mein trautestes Mädchen! <strong>de</strong>nn, traun, ich vermag ja<br />

Nach Odas Verkündung keinen an<strong>de</strong>rn<br />

Durch die brausen<strong>de</strong> Brandung zu Brunhild zu führen,<br />

Als <strong>de</strong>n, <strong>de</strong>r ein Bru<strong>de</strong>r von meiner Braut ist.“ –<br />

Und es nahten die Nornen, von niemand gesehen,<br />

Zu geräuschlosem Reigen und machten die Run<strong>de</strong><br />

Um diese Verlobten. Ein leiser Lufthauch,<br />

Das war die Meinung <strong>de</strong>r Minneberauschten,<br />

Win<strong>de</strong> sich murmelnd herein zum Kamine;<br />

Doch hinunter zur Nachtwelt, zu Nibelheims Tiefen,<br />

Und hinauf zu <strong>de</strong>n Wolken zu Walhalls Bewohnern<br />

Erklang nun für an<strong>de</strong>re als irdische Ohren<br />

Vernehmlich wie Seesturm <strong>de</strong>r Nornen Gesang:<br />

Dein eigen ist alles,<br />

Dein Heil wie <strong>de</strong>in Unheil,<br />

Dein Wollen und Wähnen,<br />

Dein Sinnen und Sein.<br />

Wohl kommen, gekettet<br />

In ewige Ordnung,<br />

Die Larven <strong>de</strong>s Lebens,<br />

Die Scharen <strong>de</strong>s Scheins;<br />

Sie ziehen die Zirkel,<br />

Sie zeigen die Ziele,<br />

Sie impfen <strong>de</strong>n Abscheu,<br />

Sie wecken <strong>de</strong>n Wunsch;<br />

[246] Doch <strong>de</strong>in ist das Dünken,<br />

Und wie du gewor<strong>de</strong>n,<br />

So wirst du dich wen<strong>de</strong>n,<br />

Wir wissen die Wahl.<br />

Es formt unser Finger<br />

Aus ewigem Vorrat<br />

Den Fa<strong>de</strong>n <strong>de</strong>s Lebens<br />

Das einzelne Los.<br />

Wir spinnen und spulen<br />

Und weisen und weben<br />

Den Teppich <strong>de</strong>r Taten<br />

Am Webstuhl <strong>de</strong>r Welt.<br />

Gezogen vor Zeiten<br />

Von uns ist <strong>de</strong>r Zettel,<br />

133


Dein eigen <strong>de</strong>r Einschlag,<br />

Das Muster, o Mensch;<br />

Doch je schöner <strong>de</strong>in Schiffel<br />

Die mächtigen Maschen<br />

Zum Bil<strong>de</strong> verbun<strong>de</strong>n,<br />

Je näher <strong>de</strong>r Neid.<br />

Wohl gönnen’s die Götter<br />

Des lauteren Lichtes,<br />

Allmählich zu mehren<br />

Das menschliche Maß.<br />

Doch die Nachtwelt benei<strong>de</strong>t<br />

Das Wachstum gen Walhall,<br />

Und Teil hat die Tiefe<br />

[247] Am sterblichen Stoff.<br />

Sie mengt in das Muster<br />

Verbotene Bil<strong>de</strong>r:<br />

Da trübt sich die Treue,<br />

Da schwin<strong>de</strong>t <strong>de</strong>r Schwur;<br />

Da knüpft sich <strong>de</strong>r Knoten,<br />

Verwirrt das Gewebe,<br />

Und schnell dann zerschnei<strong>de</strong>t’s<br />

Die Schere <strong>de</strong>r Schuld.<br />

Der Sonnengott senkte<br />

Zum Schoße <strong>de</strong>r Schönsten<br />

Zu lauterstem Streben<br />

Den leuchtendsten Strahl.<br />

Da sandten Versucher<br />

Die Gol<strong>de</strong>sbegier<strong>de</strong>,<br />

Die trüglichen Träume –<br />

Wir wußten die Wahl!<br />

Dein eigen ist alles,<br />

Dein Heil wie <strong>de</strong>in Unheil,<br />

Es lenken die Lose<br />

Dein Herz und sein Hang.<br />

Dein Stern war im Steigen,<br />

Nun winkt ihm zur Wen<strong>de</strong>,<br />

Benei<strong>de</strong>ter Sigfrid,<br />

Der Nornen Gesang.<br />

So hallte gen Himmel und nie<strong>de</strong>r zu Hela,<br />

Wie, an Felsen gebrochen, das Brausen <strong>de</strong>r Brandung,<br />

[248] Wie Wettergedröhne die Weise <strong>de</strong>r Drei.<br />

Doch bewußtlos umweift und umwoben vom Schicksal,<br />

Hielten sich herzend <strong>de</strong>r Held und Krimhil<strong>de</strong><br />

Und tauschten die Seelen in süßestem Taumel<br />

Mit Lippen, erglühend von Lust und von Glück.<br />

————<br />

134


[248]<br />

Eilfter Gesang.<br />

——<br />

Nun saßen die Frauen vom frühen Morgen,<br />

Bis <strong>de</strong>r Abend anbrach, mit emsigem Fleiße<br />

Beim Nähen und Sticken <strong>de</strong>r Klei<strong>de</strong>r zur Nordfahrt,<br />

Während im Hofe mit Sigfrid und Hagen<br />

Der eifrige König zum Kampfspiel sich übte,<br />

Im Schießen <strong>de</strong>s Schafts, im Ertragen <strong>de</strong>s Schusses<br />

Hinter <strong>de</strong>m Schil<strong>de</strong>, im Werfen <strong>de</strong>r Scheibe,<br />

Im Weitsprung in Waffen und wuchtigem Harnisch.<br />

Da sah <strong>de</strong>nn Sigfrid mit banger Sorge,<br />

Daß die stattliche Stärke <strong>de</strong>s stolzen Königs<br />

Doch nimmer genüge, <strong>de</strong>r nordischen Jungfrau<br />

In zweien <strong>de</strong>r Spiele, im Speerwurf und Weitsprung,<br />

Den Sieg zu entreißen. Nur scheibelnd erreichte<br />

Gunther ein Mal, das mehrere Spannen<br />

Auch <strong>de</strong>m weitesten Fernwurf Brunhil<strong>de</strong>ns vorstand,<br />

Den Sigfrid erfahren. Zwar fehlte <strong>de</strong>m König<br />

Die riesige Kraft, <strong>de</strong>n rauhen Granitblock,<br />

[250] Den Sigfrid erkoren nach seiner Kenntnis<br />

Vom Wurfstein Brunhilds beim Kampf um Bralund,<br />

Wie Buben <strong>de</strong>n Ball, im Bogen zu werfen;<br />

Doch staunenswert gut verstand sich Gunther<br />

Auf die heimlichen Hilfen, auf je<strong>de</strong>n Handgriff<br />

Zum festen Erfassen und Fahrenlassen<br />

Im raschesten Ruck, zur schnei<strong>de</strong>ndsten Richtung<br />

Der ehernen Scheibe. Geschick und Übung<br />

Ergänzten so ergiebig die Muskelkraft Gunthers<br />

In diesem Spiel, daß um etliche Spannen<br />

Ihn darin auch Sigfrid erst dann besiegte,<br />

Als er lauschend erlernt die Listen <strong>de</strong>s Königs.<br />

So maß <strong>de</strong>nn Sigfrid ermutigend, lobend<br />

Und mit fröhlicher Miene die Male <strong>de</strong>s Königs.<br />

Doch sprang dann Gunther kaum halb so viel Gänge<br />

Als Helgis Tochter; vermocht’ er nur taumelnd<br />

Mit <strong>de</strong>m schützen<strong>de</strong>n Schil<strong>de</strong> <strong>de</strong>n Schaft zu fangen,<br />

Ja, knickten zusammen <strong>de</strong>s Königs Kniee,<br />

Sobald er <strong>de</strong>n Schuß gehörig verschärfte,<br />

135


So zog er finster die Stirn in Falten.<br />

Dann lachte sich lautlos <strong>de</strong>r listige Hagen<br />

In <strong>de</strong>n grauen Bart. Den Grund dieses Bangens<br />

Erkannt’ er <strong>de</strong>utlich, und alle Gedanken<br />

In <strong>de</strong>r Seele Sigfrids wur<strong>de</strong>n ihm sichtbar.<br />

Doch getrübt war <strong>de</strong>r Gleichmut auch <strong>de</strong>s Tronjers.<br />

Die Führung <strong>de</strong>s Fürsten entfiel seinen Hän<strong>de</strong>n<br />

Zu Gunsten <strong>de</strong>s Gastes. Die Galle schwoll ihm;<br />

Denn er wußte, weswegen <strong>de</strong>r weiche König<br />

Weit lieber lauschte auf Sigfrids Lehren:<br />

[251] Männlich und stark und doch mild war die Stimme,<br />

Metallen <strong>de</strong>r Ton <strong>de</strong>s jugendlichen Hel<strong>de</strong>n;<br />

Dumpf und rau wie das Rollen <strong>de</strong>s Donners<br />

Und stolz und herrisch <strong>de</strong>r Stimme Hagens<br />

Natürlicher Ton, wiewohl er zur Täuschung<br />

Mit beredter Kunst auch die Kehle zu richten<br />

Und die Worte mit Wohllaut zu setzen wußte.<br />

Voll edler Anmut war Sigfrids Anlitz,<br />

Die hol<strong>de</strong> Mädchen entflammt zur Minne,<br />

Den Mann von Gemüt nicht min<strong>de</strong>r anzieht,<br />

Vor an<strong>de</strong>ren aber im täglichen Umgang<br />

Den Feinsinn fesselt verwöhnter Fürsten;<br />

Und niemals verhehlen mochte sich’s Hagen:<br />

Sein bleiches Gesicht voll Blatternarben<br />

War hart und häßlich. In düsterer Hoheit<br />

Hatt’ er das trotzig bisher ertragen<br />

Und unbekümmert; seit kurzem aber<br />

Bekam er’s zu kosten. Wenn jetzt <strong>de</strong>r König<br />

Von Sigfrids Antlitz und sonnigen Augen<br />

In sein Gesicht sah, dann senkt’ er die Li<strong>de</strong>r,<br />

Dann zuckt’ es wie Unlust durch Gunthers Züge,<br />

Dann war es, als führen die Fühler <strong>de</strong>r Seele<br />

Erschrocken zurück vor <strong>de</strong>r rauhen Berührung<br />

Der gelblichen Haut, die harsch und hornig<br />

Den verstümmelten Stern seines Auges umstarrte,<br />

Wie, schnell in <strong>de</strong>r Angst, die langsame Schnecke<br />

In ihr Gehäuse die Hörner zurückzieht,<br />

Wann die Augenknötchen ein Knabe anrührt.<br />

Dann war ihm, als fühlt’ er <strong>de</strong>n Blick seines Fürsten<br />

[252] Gleich <strong>de</strong>m Stich einer Natter in <strong>de</strong>r Starhaut <strong>de</strong>r Narbe.<br />

So senkte Sigfrid ein Sämchen Abscheu<br />

Vor ihm, <strong>de</strong>m herben, hässlichen Oheim,<br />

In die Seele <strong>de</strong>s Königs; schon trieb es da Keime.<br />

Und wie<strong>de</strong>r wie damals in Dankrats Tagen,<br />

Als im sächsischen Kriege <strong>de</strong>r schöne Sigmund<br />

Ihm Jördis entlockt, die liebliche Jungfrau,<br />

Die doch er sich gefangen, in<strong>de</strong>m er die Feste<br />

Wittkinns erstiegen nach wil<strong>de</strong>m Sturme,<br />

Die doch er begehrt zu seiner Gattin,<br />

So verschärfte <strong>de</strong>r Sohn jetzt von Sigmund und Jördis<br />

Zu widrigem Weh sein gewohntes Bewußtsein<br />

Garstiger Bildung. Gleich beißen<strong>de</strong>m Gifte<br />

Nagte grausam <strong>de</strong>r Grimm <strong>de</strong>s Nei<strong>de</strong>s<br />

136


Am Herzen Hagens, und im Herzen Hagens<br />

Erhob <strong>de</strong>r Haß sein höllisches Haupt.<br />

Und noch an<strong>de</strong>res quält’ ihn: Ein dunkler Querzug<br />

Hatte vereitelt <strong>de</strong>n klugen Anschlag,<br />

Den leben<strong>de</strong>n Zeugen <strong>de</strong>r letzten Zeiten<br />

Der Witwe Sigmunds aus <strong>de</strong>r Welt zu sen<strong>de</strong>n.<br />

Am vierten Morgen nach Mimes Entfernung<br />

Hatte <strong>de</strong>m Sindolt ein junger Hirte<br />

Ein Haselgertchen für Hagen gegeben,<br />

Die bräunliche Rin<strong>de</strong> geritzt mit Runen,<br />

Ihm rasch gemel<strong>de</strong>t, es komme von Markwart,<br />

Um dann ohne Antwort von dannen zu eilen.<br />

Der Hirte war Hunolt, <strong>de</strong>s treuen Helfrich<br />

Siebenter Sohn, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>m Sigfrid gefolgt war.<br />

Nach einer Tagfahrt mit <strong>de</strong>n tausend Recken,<br />

[253] Die Sigfrid entsen<strong>de</strong>t, <strong>de</strong>n Sachsen zu wehren,<br />

War er vermummt nach Mimes Weisung<br />

Wie<strong>de</strong>r nach Worms zurück gewan<strong>de</strong>rt<br />

Und, als er bestellt das Stäbchen mit Runen,<br />

Auf verborgenem Rosse von dannen geritten.<br />

Hagen las; es lautete also:<br />

„Wen<strong>de</strong>l <strong>de</strong>r Weidmann kehrt nimmer wie<strong>de</strong>r;<br />

Verwehrt ist <strong>de</strong>r Rückweg von seiner Reise.“<br />

Die Worte waren nach Hagens Wunsche,<br />

Doch nicht <strong>de</strong>r Zuschnitt und <strong>de</strong>r Zug <strong>de</strong>r Zeichen:<br />

Sie sahen <strong>de</strong>n seinen zu sorgsam ähnlich<br />

Und kamen unmöglich von Markwarts Hän<strong>de</strong>n,<br />

Des ungeübten, <strong>de</strong>r schief und eckig<br />

Und in seltsamen Schnörkeln sie sonst geschnitten.<br />

Drum sandte nun Hagen zwei rasche Hengste<br />

Über <strong>de</strong>n Rhein, auf zwei Rasten<br />

Im O<strong>de</strong>nwal<strong>de</strong> seiner zu warten,<br />

Saß im Sattel vom Sinken <strong>de</strong>r Sonne<br />

Bis zum frühen Morgen, befragte <strong>de</strong>n Markwart<br />

Und war dann wie<strong>de</strong>r zeitig in Worms.<br />

Von allen Burgun<strong>de</strong>n war außer Guta<br />

Und ihm nur Markwart <strong>de</strong>r Runen mächtig,<br />

Den er sie gelehrt, als ferne Lan<strong>de</strong><br />

Zu Wagnis verbun<strong>de</strong>n sie bei<strong>de</strong> durchwan<strong>de</strong>rt.<br />

Wer war nun Wendle begegnet als Warner,<br />

Die Runen zu lesen, sein Leben zu retten<br />

Und ihn zu äffen mit falscher Antwort?<br />

Um <strong>de</strong>n Sigfrid zu versuchen, sprach er abseiten<br />

Mit ihm von Sigmund, erzählte von <strong>de</strong>r Saujagd,<br />

[254] Auf welcher <strong>de</strong>n König ein wüten<strong>de</strong>r Keiler<br />

Zum To<strong>de</strong> verwun<strong>de</strong>t, und tat auch Wen<strong>de</strong>ls<br />

Mit flüchtigen Worten dabei Erwähnung.<br />

Doch Sigfrid hörte vollkommen harmlos,<br />

Was er ihm erzählte; ihm zuckte kein Muskel<br />

Bei Nennung <strong>de</strong>r Namen. Er wußte nichts noch<br />

Von ihrer Be<strong>de</strong>utung in seinem Dasein.<br />

Denn solche Naturen von flackern<strong>de</strong>r Tatkraft<br />

Können nicht täuschen, noch tiefes Empfin<strong>de</strong>n<br />

137


Mit <strong>de</strong>r glatten Miene <strong>de</strong>s Gleichmuts bemänteln.<br />

Sein Feind war <strong>de</strong>r Zwerg, er konnte nicht zweifeln.<br />

Wie <strong>de</strong>r listige Wicht zu Wen<strong>de</strong>l gelangt war,<br />

Gera<strong>de</strong> noch recht, ihm zu raten zur Umkehr,<br />

Schien unbegreiflich. Nach längerem Grübeln<br />

Durchflammt’ es sein Hirn. Mit <strong>de</strong>r Fläche <strong>de</strong>r Hand<br />

Schlug er die Stirn, erstaunt, bestürzt,<br />

Als wollt’ er sie strafen. Dann eilt er zum Strome,<br />

Stieg in <strong>de</strong>n Nachen und setzte hinüber<br />

Zum oberen En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s waldigen Eilands.<br />

Dieses umdoppelnd, glitt er bedächtig<br />

Und sacht hinunter im seichten Kanale,<br />

Der, wenig bewegt und schilfdurchwachsen,<br />

Vom an<strong>de</strong>ren Ufer die Insel trennte.<br />

Auf das schärfste beschaut’ er <strong>de</strong>n Schilfsaum <strong>de</strong>s Wer<strong>de</strong>rs,<br />

Und bald bemerkt’ er unfern <strong>de</strong>r Mitte,<br />

Dem Turm am nächsten, die Spur eines Nachens.<br />

Der schneidige Kalmus, <strong>de</strong>r bis zur Kante<br />

Das flache Gesta<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Wer<strong>de</strong>rs umstarrte,<br />

Die grünen Schwerter im Win<strong>de</strong> schwenkend,<br />

[255] War hier vor kurzem von einem Kähnchen<br />

Auseinan<strong>de</strong>r gebogen. Den Eindruck <strong>de</strong>s Buges<br />

Fand er im San<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Ufersaumes,<br />

Dann auch tiefe Tapfen. Bis hin zum Turme<br />

Konnt’ er die Fährte <strong>de</strong>utlich verfolgen,<br />

Von <strong>de</strong>r steinernen Stiege sodann zum Stamme<br />

Der hohen Birke. Ober verborgen,<br />

Hatt’ ihn <strong>de</strong>r Zwerg im Zwiegespräche<br />

Mit Wendle belauscht, und es war ihm gelungen,<br />

Von <strong>de</strong>n Rü<strong>de</strong>n ent<strong>de</strong>ckt, ihm doch zu entrinnen,<br />

Dieweil er verhöhnt, was die Sprache <strong>de</strong>r Hun<strong>de</strong><br />

Der Weidmann genannt und so richtig vernommen!<br />

Nun ru<strong>de</strong>rt er rasch zum rechten Ufer:<br />

Da lag <strong>de</strong>r Lauschplatz, noch leicht erkennbar,<br />

Wo Mime behorcht das schwere Geheimnis.<br />

Doch was kreisten die Krähen häßlich krächzend<br />

Dort oben am Ufer in engem Zirkel,<br />

Wo, <strong>de</strong>m Nachen entschreitend, so zögernd neulich<br />

Wen<strong>de</strong>l gestan<strong>de</strong>n? Weswegen zerstob nur<br />

Der schwärzliche Schwarm auf eiligen Schwingen,<br />

Sobald er versucht’, sich sammelnd zu setzen?<br />

Die schrillen<strong>de</strong>n Schreie, vor <strong>de</strong>nen sie schraken,<br />

Er kannte die Kehlen, aus <strong>de</strong>nen sie kamen,<br />

Er hatte sie gehört als Geisel bei <strong>de</strong>n Hunnen<br />

Bei <strong>de</strong>n Leichen Erschlagener auf manchem Schlachtfeld.<br />

Ihm hüpfte das Herz vor grausamer Hoffnung,<br />

Und raschelnd brach er empor durchs Röhricht<br />

Hinaus auf die Wiese. Hier gewahrt’ er<br />

Zween mächtige Geyer beim gierigen Mahle,<br />

[256] Umringt im Kreise von Raben und Krähen,<br />

Die in neidischer Naschsucht näher und näher<br />

Den Zirkel zogen, bis mü<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Zuschauns<br />

Ein gefräßiger Frechling <strong>de</strong>n bärtigen Riesen<br />

138


Einen Bissen <strong>de</strong>r Beute entfrem<strong>de</strong>n wollte<br />

Und von hinten gehüpft kam; dann hieben aber<br />

Die mächtigen Vögel mit fegen<strong>de</strong>m Fittich<br />

Und hakigem Schnabel nach <strong>de</strong>m hungrigen Schnapphahn,<br />

Und mit lautem Lärm empor in die Lüfte<br />

Entflatterte, fliehend und ärgerlich fluchend,<br />

Der feige Pöbel, <strong>de</strong>r fastengepeinigt<br />

Dem Festmahl zusah <strong>de</strong>r schwelgen<strong>de</strong>n Fürsten.<br />

Der Schwarm entschwebte, als auf <strong>de</strong>r Schwelle<br />

Des Ufers oben, das Strauchwerk öffnend,<br />

Der Mann sich zeigte. Doch mutig zögernd<br />

Wollten nicht weichen die Wasenmeister<br />

Der freien Wildnis. Zu gewichtig befrachtet,<br />

Um sich rasch zu erheben, regten sie hüpfend<br />

Die breiten Schwingen, als Hagen das Schwert zog;<br />

Doch nun, als er nahend zum Kampf geneigt schien,<br />

Spieen sie würgend Speis’ und Gewölle<br />

Mit widrigem Krächzen aus vollen Kröpfen,<br />

Faßten die Luft mit entfaltetem Fittich,<br />

Nahmen <strong>de</strong>n Anlauf zu rauschen<strong>de</strong>m Aufschwung,<br />

Stiegen kraftvoll in stolzen Kreisen<br />

Von wachsen<strong>de</strong>r Windung empor zu <strong>de</strong>n Wolken<br />

Und segelten südwärts, im sonnigen Äther<br />

Am blauen Himmel vor Hagens Blicken<br />

Bald verschwin<strong>de</strong>nd als schwarze Strichlein.<br />

[257]<br />

Da dachte <strong>de</strong>r Tronjer: O trüget ihr lieber<br />

Ins Reich <strong>de</strong>r Lüfte zu neuem Leben,<br />

Was als Wen<strong>de</strong>l, <strong>de</strong>r Weidmann, mir diesmal entwischte<br />

Und, menschlich verwoben zu widrigem Wirrwar,<br />

Auf <strong>de</strong>r weiten Er<strong>de</strong> noch irgendwo atmet!<br />

Doch was nun in euch <strong>de</strong>r endlose Umschwung<br />

Verartet und än<strong>de</strong>rt, was bald in <strong>de</strong>n Alpen,<br />

Übergegangen in Geiergestaltung,<br />

Das Zicklein <strong>de</strong>r Ziege vom zackigem Felsen<br />

In <strong>de</strong>n Abgrund stürzt, daß es unten veraase,<br />

Es war jüngst nur sein Rü<strong>de</strong>, <strong>de</strong>r wüten<strong>de</strong> Rüstig,<br />

Und <strong>de</strong>utlich zu schaun an <strong>de</strong>s Schä<strong>de</strong>ls Zerschellung<br />

Mein’ ich die Marke vom Hammer Mimes,<br />

Des listigen Schmie<strong>de</strong>s. – Warte, Verschmitzter!<br />

Auch <strong>de</strong>iner, <strong>de</strong>nk’ ich, ist nicht von Demant<br />

Und soll mir schon brechen! – So voll Ingrimm brütend<br />

Ru<strong>de</strong>rte Hagen zurück nach <strong>de</strong>r Hofburg.<br />

Da gewahrt’ er von fern das fertige Fahrzeug<br />

Mit ragen<strong>de</strong>n Masten, das morgen schon meerwärts<br />

Zu steuern bestimmt war. – Noch war er imstan<strong>de</strong>,<br />

Die Fahrt zu hemmen, vielleicht zu verhin<strong>de</strong>rn.<br />

Ich darf ja nur, dacht’ er, sobald es dunkelt,<br />

In das fichtene Fahrzeug die Fackel werfen.<br />

Verbrennt uns das Schiff, ist die Brautfahrt verschoben<br />

Einen Monat gewiß, bis zum Frühjahr vermutlich.<br />

Mein soll die Macht sein in diesen Marken!<br />

Wenn Sigfrid, <strong>de</strong>r Schöne, <strong>de</strong>m König dies Schätzchen<br />

139


Wirklich erwirbt, Krimhil<strong>de</strong>n zum Weibe<br />

Sich selber ersiegt und das Herzogtum Santen,<br />

[258] Dann, häßlicher Hagen, rückst du nach hinten,<br />

Und ein williges Werkzeug <strong>de</strong>s Wun<strong>de</strong>rhel<strong>de</strong>n<br />

Wird König Gunther und ganz Burgund sein.<br />

Ja, mehr vermutlich will dieser Mime<br />

Als die liebliche Krimhild; ihn lüstet’s, die Krone<br />

Dem Sohne Sigmunds aufs Haupt zu setzen.<br />

Sein Held ist voll Hoffart; – wird er gar Herzog,<br />

So könnt’ er versuchen, mit Hilfe <strong>de</strong>r Sachsen<br />

Burgund zu umgarnen und Gibichs Söhnen<br />

Als berechtigter Erbe das Reich zu entreißen.<br />

Soll ich’s drum wagen nach solcher Wendung,<br />

Was ich listig geleitet zu gutem Gelingen,<br />

Aus freien Stücken jetzt selbst zu zerstören?<br />

Schon wollt’ er wen<strong>de</strong>n, vom Turm <strong>de</strong>s Wer<strong>de</strong>rs<br />

Sich Holz zu holen <strong>de</strong>r harzigen Kiefer,<br />

Werg zum Umwickeln und Fett, es zu wichsen;<br />

Denn alles das wußt’ er dort in Verwahrung.<br />

Da stand urplötzlich an tiefer Stelle<br />

Der Nachen gefesselt. Ein finsterer Nebel<br />

Entwallte wie Rauch <strong>de</strong>m wirbeln<strong>de</strong>n Wasser,<br />

Benahm ihm die Fernsicht, umfing auch sein Fahrzeug,<br />

Daß er kaum noch erkannte die Spitze <strong>de</strong>s Kahnes.<br />

Im Rheine rauscht’ es, und riesig erhob sich<br />

Aus <strong>de</strong>m Schaum vor <strong>de</strong>m Bug ein finsterer Schatte,<br />

Und rauh wie das Rascheln <strong>de</strong>s Rohres im Win<strong>de</strong><br />

Erscholl eine Stimme:<br />

„Schäme dich, Schützling!<br />

Verschattet <strong>de</strong>r Schönheit nichtiger Schimmer<br />

Auch Hagens Scharfblick? Am Netze <strong>de</strong>s Schicksals<br />

[259] Halfest du weben mit feinem Witze;<br />

Um die Maschen von Spinnweb spielen die Mücken<br />

In blin<strong>de</strong>m Zutraun, um bald schon zu zappeln,<br />

Unrettbar verstrickt: jetzt willst du’s zerreißen?<br />

Liebt nicht brünstig die stolze Brunhild<br />

Den Sohn <strong>de</strong>s Sigmund, <strong>de</strong>n schönen Sigfrid?<br />

Blitzt nicht blutrot, verblen<strong>de</strong>nd zum Hochmut<br />

Und vernichten<strong>de</strong> Neigung nährend im Herzen,<br />

Am Finger <strong>de</strong>r Fürstin das Pfand <strong>de</strong>s Falschen,<br />

Der Antwaranaut, <strong>de</strong>r Unheilring Niblungs?<br />

Auf Sigfrid vertraut sie: – er will sie betrügen<br />

Und, die Kränkung zu krönen, für eure Krimhild<br />

Die Verlobte verkaufen <strong>de</strong>m lüsternen König!<br />

Enthüllt sich das einst, dann haßt ihn Brunhil<strong>de</strong><br />

So heiß wie die Gluten am Her<strong>de</strong> Helas.<br />

Vorwärts mit Zutraun, es führt dich zum Ziele!<br />

Statt zu träumen und brüten, betreibe die Brautfahrt.“<br />

Der Nebel entwich. Vom Wasser gen Westen<br />

Sich langsam erhebend, zog er von hinnen,<br />

Und Hagne schien es, als ob ein Schatten,<br />

Menschlich gestaltet, doch riesigen Maßes,<br />

Auf rauchigen Flügeln von dannen flattre<br />

140


Zur sinken<strong>de</strong>n Sonne. –<br />

Nach <strong>de</strong>r sinken<strong>de</strong>n Sonne<br />

Schauten <strong>de</strong>r Held und die schöne Krimhil<strong>de</strong>.<br />

Im Garten <strong>de</strong>r Pfalz auf bekiesten Pfa<strong>de</strong>n<br />

Gingen die bei<strong>de</strong>n zwischen <strong>de</strong>n Beeten,<br />

Auf <strong>de</strong>nen die Blumen <strong>de</strong>s Herbstes blühten,<br />

In hol<strong>de</strong>m Geplau<strong>de</strong>r von Plänen <strong>de</strong>r Zukunft.<br />

[260] Wie ruhig und lieblich im rosigen Lichte<br />

Des Abends die Landschaft, so lächelte lockend<br />

Dem Auge <strong>de</strong>r Liebe die Aussicht ins Leben,<br />

Und wie wolkenlos heiter <strong>de</strong>r Himmel sich wölbte,<br />

So heiter von Hoffnung waren die Herzen.<br />

Da kam ein Schatten von Westen geschossen.<br />

In roter Beleuchtung zur Rechten und Linken<br />

Blieben die Fluren entflammt von <strong>de</strong>r Sonne<br />

Feurigem Strahl, doch ein finsterer Streifen<br />

Reckte sich, rasch vom westlichen Ran<strong>de</strong><br />

Den Osten erreichend, als schwarze Rute<br />

Mitten durchs Rundbild und hüllte gera<strong>de</strong><br />

Den Garten be<strong>de</strong>ckend in dämmern<strong>de</strong>s Dunkel.<br />

Da schmiegte sich schüchtern, wie schutzbedürftig<br />

An die Seite <strong>de</strong>s Hel<strong>de</strong>n Krimhil<strong>de</strong> und sagte:<br />

„O sieh doch, Sigfrid, die seltsame Wolke!<br />

Ein boshafter Nachtgeist nei<strong>de</strong>t uns bei<strong>de</strong>n<br />

Das letzte Licht <strong>de</strong>s erlöschen<strong>de</strong>n Tages<br />

Und nimmt seinen Flug auf Fle<strong>de</strong>rmausschwingen<br />

Zur sinken<strong>de</strong>n Sonne. Ach, meine Seele<br />

Ergreift ein Ahnen grausigen Unheils!<br />

Du brichst <strong>de</strong>r Brunhild versprochene Brautschaft!“<br />

„Ein schattenloses Schicksal ist keinem beschie<strong>de</strong>n!“<br />

Versetzte Sigfrid in ernstem Sinnen;<br />

Denn ihm auch zog nun durchs Bild <strong>de</strong>r Zukunft<br />

Ein finsterer Streifen. Am fernen Stran<strong>de</strong>,<br />

Auf <strong>de</strong>n Zinnen Bralunds zeigten ihm Brunhild<br />

Wun<strong>de</strong>rbar <strong>de</strong>utlich seine Gedanken.<br />

Da stand sie harrend in steter Hoffung,<br />

[261] Bald segle von Sü<strong>de</strong>n heran <strong>de</strong>r Ersehnte,<br />

Und funkeln sah er an ihrem Finger,<br />

Reuig erbebend, <strong>de</strong>n roten Rubinring,<br />

Das Zeichen <strong>de</strong>r Treue. Nun zog er zum Truge<br />

Schon morgen meerwärts, in schnö<strong>de</strong>r Vermummung –<br />

Es ging nicht an<strong>de</strong>rs! – für Gibichson Gunthern<br />

Das Weib zu erkämpfen, das er einst erkoren! –<br />

Doch da wich sein Schwanken; <strong>de</strong>nn die Wolke verschwebt<br />

Zum gol<strong>de</strong>nen Saum um die sinken<strong>de</strong> Sonne.<br />

Der letzte Randstrahl traf nun rosig<br />

Krimhil<strong>de</strong>ns Antlitz; in ihren Augen<br />

Glänzten Tränen.<br />

„Sei mir nicht traurig,“<br />

Sprach er weiter, „die Wolke verweht ja.<br />

Bring’ ich <strong>de</strong>r Brunhild nicht <strong>de</strong>inen Bru<strong>de</strong>r,<br />

Den mächtigen König? Sie muß mir erkenntlich<br />

Für diesen Tausch sein. Mein Tun ist untadlig.<br />

141


Denn, bei <strong>de</strong>n Göttern! sie ganz zu vergessen<br />

War ich berechtigt. Kam ich nicht redlich,<br />

Mein Wort zu halten? Sie wies mich höhnisch<br />

Wie<strong>de</strong>r zurück mit rauhen Re<strong>de</strong>n<br />

Und schwerer Kränkung. Einzig die Krone<br />

Und nicht <strong>de</strong>r Verlobte war ihr Verlangen.<br />

Ich gönn’ ihr die Krone, sie gönne mir Krimhild.“<br />

„Und kannst du <strong>de</strong>nn wirklich,“ sprach, wonnevoll lächelnd<br />

Und zum Hel<strong>de</strong>n die Augen erhebend, Krimhil<strong>de</strong>,<br />

Daß schnell getrocknet die Tränen verschwan<strong>de</strong>n,<br />

„Und kannst du <strong>de</strong>nn wirklich, du Weltüberwin<strong>de</strong>r,<br />

Du mächtiger Mann, mich schwaches Mädchen<br />

[262] Von Herzen lieben? Verlöscht nicht Brunhil<strong>de</strong>ns<br />

Stolze Gestalt und starke Seele<br />

Verdunkelnd wie<strong>de</strong>r das <strong>de</strong>mutvolle<br />

Bild Krimhil<strong>de</strong>ns, wenn bald nun von hinnen<br />

In die Ferne du fährst zur Inselfürstin?“<br />

„Verbanne dies Bangen aus <strong>de</strong>inem Busen,<br />

Du süße Seele!“ entgegnete Sigfrid.<br />

„Vereinsamt war ich, auf <strong>de</strong>r weiten Er<strong>de</strong><br />

Ein friedloser Fremdling, <strong>de</strong>r hol<strong>de</strong> Freu<strong>de</strong><br />

Und sanftes Genüge niemals genossen.<br />

Mir dünkte mein Dasein sich endlos zu <strong>de</strong>hnen<br />

Als weite Wüste, sobald ich ein Weilchen<br />

Nach heißem Ringen verschnaufend Rast hielt.<br />

Nur im ewigen Taumel von Taten zu Taten<br />

Ertrug sich leidlich die trostlose Leere.<br />

Auch Wetten und Wagen gewährte kein Wohlsein,<br />

Doch gab es <strong>de</strong>m Geiste <strong>de</strong>n Trunk <strong>de</strong>s Vergessens<br />

Statt <strong>de</strong>r tödlichen Marter müßiger Tage.<br />

Da fand ich Brunhild. Ich <strong>de</strong>nke, Gebrauch ist’s,<br />

Daß <strong>de</strong>r Mann sich vermähle; ich nehme für Minne<br />

Mein staunend Bewun<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>s starken Weibes;<br />

Sie scheint mir mein Gleichnis; ich Tor, ich glaube,<br />

Einan<strong>de</strong>r gleichen, einan<strong>de</strong>r beglücken<br />

Das sei dasselbe! Und ohne Besinnen<br />

Wird auch mein Wahn zum Worte <strong>de</strong>r Werbung.<br />

Wir tauschten Gelüb<strong>de</strong>. Leidvolle Täuschung;<br />

Zu bald nur spürt’ ich’s – als es zu spät war.<br />

Ich hörte sie schil<strong>de</strong>rn, wie sie beim Schopfe<br />

Mit <strong>de</strong>n Mädchenhän<strong>de</strong>n gehalten <strong>de</strong>n Mör<strong>de</strong>r<br />

[263] Ihres Vaters Helgi und ihm vom Halse<br />

Das Haupt gehauen, es an <strong>de</strong>n Haaren,<br />

Noch triefend vom Blute, zur Mutter getragen,<br />

Ihr das Schauergeschenk in <strong>de</strong>n Schoß zu werfen; –<br />

Und mich, <strong>de</strong>n Kämpfer, <strong>de</strong>r manchen Kopf schon<br />

Im wil<strong>de</strong>n Gewühl auf blutiger Walstatt<br />

Bis mitten ins Mark zermalmt und gespalten,<br />

Mich furchtlos Festen durchfuhr es fiebernd,<br />

Als sie das erzählte, ohne zu zucken.<br />

Ich sah, wie sie schön war, und mußte doch schau<strong>de</strong>rn;<br />

Im tiefsten Grun<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Seele ergriff mich<br />

Ein jähes Grau’n vor <strong>de</strong>r jugendlichen Greisin. –<br />

142


Drum segelt’ ich mit Freu<strong>de</strong>n südwärts in die Frem<strong>de</strong><br />

Und weit nach Westen ins ferne Winland,<br />

Um die Zeit zu betrügen. Dann zog mich nur Treue,<br />

Mitnichten ein Heimweh, zur Insel Helgis<br />

Endlich zurück. Doch in rascher Entrüstung,<br />

Auf Mimes Rat, entrann ich <strong>de</strong>r Männin,<br />

Um hier am Rheine das quälen<strong>de</strong> Rätsel<br />

Meiner Herkunft vielleicht zu enthüllen.<br />

Dich sollt’ ich nun sehn. Brauch’ ich’s zu sagen,<br />

Du mein hol<strong>de</strong>s Wun<strong>de</strong>r, wie die Welt sich verwan<strong>de</strong>lt<br />

Vor meinen Augen bei <strong>de</strong>inem Anblick?<br />

Du weißt es wahrlich auch ohne Worte.<br />

Einst war ich vereinsamt, auf <strong>de</strong>r weiten Er<strong>de</strong><br />

Ein friedloser Fremdling, <strong>de</strong>r Freu<strong>de</strong> verschlossen;<br />

Nun hab’ ich die Heimat: an <strong>de</strong>inem Herzen,<br />

Und mag nicht mehr forschen nach Vater und Mutter,<br />

Nicht weit mehr gewahr’ ich in süßer Gewißheit<br />

[264] Für alle Zeit nun mein Ziel, meine Zuflucht.<br />

Ein kurzer Kampf noch, dann will ich kosten<br />

An <strong>de</strong>iner Seite die Süße <strong>de</strong>s Daseins.<br />

Was könnt’ ich noch vermissen, mein einziges Mädchen?<br />

Ich weiß jetzt, du liebst mich, und weiß jetzt, ich lebe.“<br />

Also kosten einan<strong>de</strong>r küssend,<br />

Im Garten <strong>de</strong>r Hofburg <strong>de</strong>r Held und Krimhil<strong>de</strong>,<br />

Bald eines <strong>de</strong>m an<strong>de</strong>rn ins Auge schauend,<br />

Bald gen Westen die Blicke wen<strong>de</strong>nd<br />

Zur sinken<strong>de</strong>n Sonne. –<br />

Nach <strong>de</strong>r sinken<strong>de</strong>n Sonne,<br />

Nach<strong>de</strong>m sie erklommen die höchste Klippe<br />

Am äußersten En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Insel Helgis,<br />

Schaute Brunhild. Es brach sich die Brandung<br />

Mit Donnergetön in <strong>de</strong>r dunkeln Tiefe<br />

Am rötlichen Felsen vor ihren Füßen,<br />

Wo stetig zerstörend die stürmen<strong>de</strong>n Fluten<br />

Mit gewölbten Grotten die Wän<strong>de</strong> durchgraben.<br />

„Was willst du, was willst du, unendliche Wüste<br />

Bewegter Gewässer? Was bil<strong>de</strong>st du Wellen<br />

Zu flüchtigem Dasein? so dachte sie düster.<br />

Was rollst du sie rastlos, in rasen<strong>de</strong>m Anprall<br />

Zu Schaum zerschellend, bis endlich erschüttert<br />

Vom steilen Gesta<strong>de</strong> ein Steinblock ausbricht,<br />

Der dann allmählich zu Sand zermalmt wird?<br />

Was hoffst du zu haben, wann Helgis Eiland<br />

Bis zum letzten Stumpfe zu Staub zerstört ist?<br />

Der backt sich am Bo<strong>de</strong>n zu Bergen wie<strong>de</strong>r,<br />

Wie höhnend erheben ihn Helas Gluten,<br />

[265] Und <strong>de</strong>s Meeres Bemühn ist müßig gewesen.<br />

Dein Wollen ist Wahn, bewusstlos wogst du.<br />

O sinken<strong>de</strong> Sonne, wozu besäumst du<br />

Den fernen Westen mit Feuerwölkchen?<br />

Weswegen baust du von beben<strong>de</strong>n Lichtern<br />

Zu Brunhilds Stran<strong>de</strong> die Strahlenbrücke,<br />

Als wollest du wen<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Wünsche Richtung,<br />

143


Daß sie westwärts wan<strong>de</strong>rn und dorther erwarten,<br />

Was die sehnen<strong>de</strong> Seele im Sü<strong>de</strong>n weiß?<br />

Ach, Wellen und Wolken sind Wahngebil<strong>de</strong><br />

Und Luft und Licht nur ein Lügenleben,<br />

Ein Schweben und Schwanken und Kraftverschwen<strong>de</strong>n.<br />

Ihr flieget, ihr flutet, ihr flammt vergebens;<br />

Ein ziellos Zerren und Zürnen seid ihr,<br />

Weil immer eines das an<strong>de</strong>re aufhält,<br />

Und nichts erzeugt ihr im Zeitenzirkel,<br />

Als immer und ewig die alte Er<strong>de</strong>.<br />

Nur ich bin ich und eigenes All.<br />

Ich weiß, was ich will. Mein Werkzeug wer<strong>de</strong>t,<br />

Ihr Wahngewalten, und Wun<strong>de</strong>r wirk’ ich.<br />

Gib mir, o Meer, die zermalmen<strong>de</strong>n Kräfte,<br />

Und bald erbau’ ich ein besseres Festland,<br />

Als die geizigen Götter <strong>de</strong>n Menschen gaben.<br />

Besitzen sollten es Sigfrids Kin<strong>de</strong>r,<br />

Die so mächtig als schön aus meinem Schoße,<br />

Selbst die Himmlischen blen<strong>de</strong>nd, <strong>de</strong>m Hel<strong>de</strong>n erblühten.<br />

Ihr Wolken und Win<strong>de</strong>, Brunhil<strong>de</strong>n gewähret<br />

Den leichten Lauf, über Meer und Lan<strong>de</strong><br />

Von dannen zu steuern, und <strong>de</strong>n Donner zur Stimme;<br />

[266] Dann such ich <strong>de</strong>n Sigfrid, dann will ich ihm sagen,<br />

Daß mein Ruf ihn erreicht auch am Ran<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong>:<br />

Nur ein Traumbild betrog mich zu heillosem Trotze,<br />

Mein rastloses Herz ist von Reue zerrissen.<br />

Ich fehlt’ unbegreiflich; – o sei nicht grausam,<br />

Ich büßte genug. Sei von Bettlern geboren,<br />

Doch komme nur bald, mein Gebieter bist du.<br />

Komm, stille, du Starker, mein stürmisch Sehnen,<br />

An dich geschmiegt, mit dir zu verschmelzen<br />

In seligen Flammen. O höre mein Flehen,<br />

Mein grenzenlos Grämen! Lebendig begraben,<br />

Umsargt mich die Welt, wenn Sigfrid nicht Wort hält.<br />

O du lo<strong>de</strong>rn<strong>de</strong> Leuchte <strong>de</strong>s Himmels, verleihe<br />

Von <strong>de</strong>iner Helle <strong>de</strong>m Herzen Brunhil<strong>de</strong>ns,<br />

Um sein liebend Verlangen in Licht zu verwan<strong>de</strong>ln<br />

Und es auszuströmen in blen<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Strahlen.<br />

Dann erheb ich die Hän<strong>de</strong> zum hohen Himmel<br />

Beim Nahen <strong>de</strong>r Nacht, und, als Nordlicht flammend,<br />

Wird Sigfrid sichtbar im fernen Sü<strong>de</strong>n<br />

Die Sehnsucht Brunhilds. – Doch sieh, wie seltsam!<br />

Naht ein Seesturm?“<br />

Von <strong>de</strong>r sinken<strong>de</strong>n Sonne<br />

Kam es geflogen auf nächtlichen Flügeln.<br />

Der Lichtstreif erlosch, die Luft erfüllte<br />

Ein dumpfes Brausen; die Dünung brach sich,<br />

Rascher gedrängt und dröhnen<strong>de</strong>r, drunten.<br />

Bis oben spritzte <strong>de</strong>r feine Sprühschaum,<br />

Ihr Antlitz netzend. Ein dichter Nebel<br />

Umhüllt Brunhil<strong>de</strong>n. Hinter sich hört sie<br />

[267] Nahen<strong>de</strong> Tritte. Dämmernd wie ein Traumbild<br />

Gewahrt sie ein Wesen, von Wolken umschleiert,<br />

144


In Menschengestalt, doch riesigen Maßes.<br />

Als wür<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Sturm re<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Stimme,<br />

Hört sie es sagen:<br />

„Du willst mit Sigfrid<br />

In Züchten erzeugen die Zukunftserben?<br />

Das Maß <strong>de</strong>r Menschheit soll eure Minne<br />

Steigern und stärken, daß, <strong>de</strong>mutsvoll staunend,<br />

Vor euern Enkeln sich beuge <strong>de</strong>r Erdkreis?<br />

Sie sollen noch herrschen in wachsen<strong>de</strong>r Hoheit<br />

Und edler Güte, wann die Götter vergangen?<br />

Die Himmlischen hörten <strong>de</strong>n sträflichen Hochmut,<br />

Und zur neidischen Nachtwelt klang es hinunter;<br />

Auch die Nornen vernahmen, daß du geneigt bist,<br />

Vermessen zu mo<strong>de</strong>ln <strong>de</strong>r Sterblichen Muster,<br />

Zu erhalten schon heut, wo blind noch und hilflos<br />

Des Menschen Bemühen <strong>de</strong>n Elementen<br />

In darben<strong>de</strong>m Dasein zu dienen verdammt ist,<br />

Was im Zirkel <strong>de</strong>r Zeiten in fernster Zukunft<br />

Den Meistern <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong> <strong>de</strong>reinst zu ernten<br />

Vielleicht erlaubt wird nach tausend Leben.<br />

Das vernahmen die Nornen und mischten zur Neigung<br />

Verwirren<strong>de</strong>n Dünkel. Du wiesest von dannen,<br />

Vom Traume betrogen, <strong>de</strong>n treuesten Hel<strong>de</strong>n.<br />

Nun holt er dich nimmer; <strong>de</strong>nn an<strong>de</strong>re Neigung<br />

Beherrscht ihm die Seele. Das wer<strong>de</strong> dir sichtbar.“<br />

Da wur<strong>de</strong> noch finstrer <strong>de</strong>r neblige Vorhang;<br />

Doch siehe, meerwärts, in seiner Mitte,<br />

[268] Läßt er eine Lücke lichtester Bläue.<br />

In schwärzlichem Rahmen erscheint ihr am Rheine,<br />

Umglommen vom Glanz <strong>de</strong>r verglühen<strong>de</strong>n Sonne,<br />

Der Garten Gunthers. Auf kiesigem Gange<br />

Zwischen <strong>de</strong>n Blumen hält ein blon<strong>de</strong>s<br />

Minniges Mädchen in mächtigen Armen<br />

Ein Wohlbekannter und neigt zum Kusse<br />

Liebeverlangend eben die Lippen.<br />

„Betrügliche Träume! Brunhil<strong>de</strong> trotzt euch!“<br />

Rief sie entrüstet, während rauchgleich<br />

Der dunkle Vorhang verwehend fortzog,<br />

Daß sie wie<strong>de</strong>r gewahrte die weiten Gewässer.<br />

„Du täuschest nicht nochmals, tückischer Nachtgeist,<br />

Die vertrauen<strong>de</strong> Seele! Ist Sigfrid treulos,<br />

So wanke die Welt und <strong>de</strong>r Wirrwarr <strong>de</strong>r Urzeit<br />

Kehre wie<strong>de</strong>r.“<br />

Da schlug eine Woge<br />

Wie noch keine zuvor an die Kanten <strong>de</strong>r Felswand,<br />

Und als sie zerschellend in fruchtlosem Schäumen<br />

Rauschend zurücklief im Strandgerölle,<br />

Da hallt’ es wie<strong>de</strong>r, <strong>de</strong>n harten Wän<strong>de</strong>n<br />

Der Insel entlang, wie lautes Gelächter.<br />

————<br />

145


[269]<br />

Zwölfter Gesang.<br />

——<br />

Noch stan<strong>de</strong>n am Himmel die helleren Sterne,<br />

Da klang schon ein Klopfen, ein Klappern und Klirren,<br />

Ein Stimmengewirr, ein Wiehern und Stampfen,<br />

Ein Pochen und Poltern empor zum Fenster<br />

Der wachen<strong>de</strong>n Krimhild. Schon trug man <strong>de</strong>n Kriegern<br />

Die schimmern<strong>de</strong>n Schil<strong>de</strong>, die schuppigen Brünnen,<br />

Die Schenkelschienen, die eschenen Schäfte,<br />

Die hiebfesten Helme, und was zur Heerfahrt<br />

Für Hel<strong>de</strong>n gehört, hinab von <strong>de</strong>r Hofburg,<br />

Und barg es an Bord im Bauche <strong>de</strong>s Schiffes.<br />

Da rückte man rufend zurecht im Raume<br />

Die Kisten und Körbe mit Kost für die Reise,<br />

Die vollen Fäßchen mit feurigem Weine<br />

Und die länglichen La<strong>de</strong>n, in <strong>de</strong>nen, vollen<strong>de</strong>t<br />

Und sauber gestaltet von sorgsamen Fingern,<br />

Jedwe<strong>de</strong>m <strong>de</strong>r Hel<strong>de</strong>n sein Hofkleid bewahrt lag.<br />

Da stellten das Steuer, die Stangen zum Stoßen,<br />

[270] Die langen Ru<strong>de</strong>r mit Riemenschleifen<br />

Die Schiffer zurecht und schoben vom Ran<strong>de</strong><br />

Des fichtenen Fahrzeugs mit schwieligen Fäusten<br />

Hinab zum Gesta<strong>de</strong> beleistete Stege<br />

Von breiten Brettern, zur Brücke sie paarend.<br />

Die dienen<strong>de</strong>n Knappen und Pfer<strong>de</strong>knechte<br />

Zogen am Zügel die zögern<strong>de</strong>n Rosse,<br />

Die mit hartem Huf erst die Haltbarkeit prüften<br />

Der schaukeln<strong>de</strong>n Planken, zu ihrem Platze,<br />

In <strong>de</strong>n Stall mit Gestän<strong>de</strong>n beim vor<strong>de</strong>ren Steven.<br />

Im großen Gemach, wo die Männer speisten,<br />

Saß bei Gernot und Gisler <strong>de</strong>r König Gunther<br />

Mit Sigfrid, Hagen und sämtlichen Hel<strong>de</strong>n,<br />

Die als Reisegefolge mit ihm fuhren,<br />

Auch Horand, <strong>de</strong>m Harfner. Der wollte heimwärts,<br />

Und gerne gewährt’ ihm <strong>de</strong>r Erbe Gibichs<br />

Die Mitfahrt zu Wasser, so weit er wünsche.<br />

Nun hing ihm die Harfe am prächtigen Haltband<br />

146


Von <strong>de</strong>n Hän<strong>de</strong>n Krimhil<strong>de</strong>ns; doch trieb’s ihn von hinnen<br />

Sie hielten ihr Frühmahl ohne die Frauen.<br />

„Zu schwierigem Werk überschreite die Schwelle<br />

Vertrauend, schweigsam und ohne Tränen,<br />

Die <strong>de</strong>n wagen<strong>de</strong>n Willen <strong>de</strong>s Mannes erweichen“ –<br />

Meinte <strong>de</strong>r König. Zumal seine Mutter<br />

Wollt’ er vermei<strong>de</strong>n am heutigen Morgen;<br />

Denn seit etlichen Tagen umwölkten Tiefsinn<br />

Und grübeln<strong>de</strong> Sorgen ihr gramvolles Antlitz.<br />

Stun<strong>de</strong>nlang saß sie still und sinnend,<br />

Wie nichts vernehmend, mit feiern<strong>de</strong>r Na<strong>de</strong>l,<br />

[271] Die Hän<strong>de</strong> im Schoß, als schaue sie Schatten,<br />

Und bewegte zuweilen zu lautlosen Worten<br />

Die bleichen Lippen; doch lo<strong>de</strong>rn<strong>de</strong> Blitze<br />

Funkelten auf im Auge <strong>de</strong>r Fürstin,<br />

Wann <strong>de</strong>n Sigfrid zum Saale <strong>de</strong>r Frauen<br />

Die Sehnsucht trieb und in traulichem Kosen<br />

Der Held Krimhil<strong>de</strong>n, hinter ihr stehend,<br />

Zärtlich zusah beim zierlichen Werke.<br />

Der König wähnte, sein kühnes Wagnis,<br />

Das ferne Mannweib, die Meeresgefahren<br />

Machten die Mutter bang und mutlos,<br />

Und Vorwürfe scheuend, hielt er sie fern.<br />

So harrten <strong>de</strong>nn heute Krimhil<strong>de</strong>, Guta<br />

Mit ihrem Gefolge nach Gunthers Befehlen<br />

Im Saal am Söller <strong>de</strong>s Sonnenaufgangs,<br />

Um die Abfahrt <strong>de</strong>s Schiffes von oben zu schaun.<br />

Nun trat in die Halle <strong>de</strong>r Herold <strong>de</strong>s Hofes,<br />

Sindolt, und sagte, daß segelfertig<br />

Das Rheinschiff harre. Der Herrscher erhob sich,<br />

Reichte die Rechte <strong>de</strong>m Reichsverweser<br />

Gibichson Gernot, sodann auch Gislern,<br />

Der, Hagne gehorchend, ungern daheimblieb,<br />

Goß aus <strong>de</strong>m Goldkelch die Götterspen<strong>de</strong>,<br />

Sprach, sie versprengend, ein kurzes Sprüchlein,<br />

Um <strong>de</strong>r Himmlischen Huld und Hilfe bittend<br />

Zum weiten Wagnis und kühnen Werben,<br />

Und schritt aus <strong>de</strong>r Pfalz durch die offene Pforte,<br />

Hinunter die Tritte <strong>de</strong>r breiten Treppe<br />

Und voran zum Rheine. In paarweiser Reihe<br />

[272] Folgten <strong>de</strong>m Fürsten die Reisegefährten<br />

Hinab zum Gesta<strong>de</strong>. Neugierig staunend<br />

Stan<strong>de</strong>n die Städter neben <strong>de</strong>m Steige<br />

In murmeln<strong>de</strong>r Menge, Männer und Weiber,<br />

Kopf an Kopf, auf <strong>de</strong>n Armen die Kin<strong>de</strong>r<br />

Mit gereckten Hälsen in die Höhe hebend,<br />

Daß in künftiger Zeit sie erzählen könnten<br />

Als Männer und Mütter von Gunthers Meerfahrt.<br />

Auf <strong>de</strong>m hinteren Hoch<strong>de</strong>ck saß nun <strong>de</strong>r Herrscher<br />

Unter <strong>de</strong>m Schirmdach von schimmern<strong>de</strong>m Scharlach.<br />

Auf <strong>de</strong>s O<strong>de</strong>nwalds Anhöhn im fernen Osten<br />

Blitzte steigend <strong>de</strong>r erste Sternpunkt<br />

Des Sonnenran<strong>de</strong>s. Die Segel rauschten<br />

147


An rasseln<strong>de</strong>n Reifen, gespreizt vom Sprießbaum,<br />

Die Maste hinauf; <strong>de</strong>r Atem <strong>de</strong>s Morgens,<br />

Mit sanftem Säuseln seitwärts wehend,<br />

Machte sie schwellen; das Schiff schwankte<br />

Und stieß vom Gesta<strong>de</strong>. Tausendstimmig<br />

Schallte das Rufen: „Glückliche Reise!<br />

Heil <strong>de</strong>m Herrscher! Fröhliche Heimkehr!“<br />

Da sah man vom Söller, sonnenbeschienen,<br />

Mit weißen Tüchlein wehen die Tochter<br />

Und die Witwe Gibichs; da winkte weinend<br />

So manche Maid von <strong>de</strong>n schei<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Männern<br />

Dem Auserwählten ihr Lebewohl zu.<br />

Doch es bog nun bald um die buschige Ecke,<br />

Getrieben vom Wind, von <strong>de</strong>r Strömung getragen,<br />

Das gleiten<strong>de</strong> Fahrzeug. Noch glänzte fernher<br />

Im Strahle <strong>de</strong>s Morgens am oberen Maste<br />

[273] Ein Saum vom Segel. Auch <strong>de</strong>r versank jetzt,<br />

Und Abschied winkte <strong>de</strong>r rote Wimpel,<br />

Im Win<strong>de</strong> wallend ob grünen Wipfeln.<br />

Als am vierten Abend im ersten Achtel<br />

Zum Saume <strong>de</strong>s Wal<strong>de</strong>s die silberne Sichel<br />

Des jungen Mon<strong>de</strong>s sich mü<strong>de</strong> neigte,<br />

Da nahten Holmgart die fahren<strong>de</strong>n Hel<strong>de</strong>n.<br />

Gastlich empfing <strong>de</strong>n Burgun<strong>de</strong>nkönig<br />

Die Herrin von Holmgart, die edle Hulda,<br />

Und heiter lächelnd <strong>de</strong>n einst Geliebten.<br />

Nur kleine Seelen beklagen und schelten<br />

Ihr Dasein als schal, ihr Schicksal als grausam,<br />

Weil ein inniger Wunsch ihnen ungewährt blieb,<br />

Wo die großen Herzen <strong>de</strong>n Gram begraben<br />

In <strong>de</strong>r untersten Tiefe; <strong>de</strong>nn rüstige Tatkraft<br />

Statt verbitterten Zorn gebiert ihr Verzichten.<br />

Sie zeigte nur Freu<strong>de</strong>, in dankbarer Freundschaft<br />

Zur Seefahrt Sigfrids für alles zu sorgen,<br />

Und schenkt’ ihm sinnig am Tage <strong>de</strong>s Schei<strong>de</strong>ns<br />

Ein schönes Halsband, gelb wie Honig<br />

Und gebil<strong>de</strong>t aus Bernstein vom baltischen Stran<strong>de</strong>.<br />

„Sei glücklich, o Sigfrid,“ sprach sie erglühend,<br />

„Und grüße Krimhil<strong>de</strong>n. Am Tage <strong>de</strong>r Hochzeit<br />

Gib ihr dies Halsband von Hartnits Tochter,<br />

Die <strong>de</strong>n Himmel bittet, euch bei<strong>de</strong> zu segnen.“<br />

Mit gol<strong>de</strong>nen Gaben zog König Gunther<br />

In <strong>de</strong>n heiligen Hain; doch trog ihn sein Hoffen,<br />

Nun die alte Oda mit eigenen Augen<br />

Daselbst zu schauen und, was ihm beschie<strong>de</strong>n<br />

[274] Durch diese Fahr sei, von ihr zu erforschen.<br />

Nicht für ihn noch Sigfrid war die Seherin sichtbar,<br />

Und als er eifrig bestand auf Antwort<br />

Und noch höheren Preis bot, da bracht’ ihm ein Priester<br />

Zurück das Geschenk mit diesem Beschei<strong>de</strong>:<br />

„Du hast schon gewählt. Nicht Verheißung noch Warnung<br />

Heische <strong>de</strong>r Wandrer auf halbem Wege.<br />

Wir legen die Lose, so lange noch lenkbar<br />

148


Der gefor<strong>de</strong>rten Lust die Furcht vor Lei<strong>de</strong>n<br />

Das Wi<strong>de</strong>rspiel hält auf <strong>de</strong>r Wage <strong>de</strong>r Wünsche.<br />

Nach gefaßtem Beschluß, im Fallen <strong>de</strong>s Würfels<br />

Die Götter zu fragen, ist Frevel, o Gunther.<br />

Du wähltest frei. Zieh weiter in Frie<strong>de</strong>n.“<br />

Am dritten Morgen bestieg man das Meerschiff<br />

Und fuhr hinunter, hinaus in die Nordsee.<br />

Als die Sonne versank und am Saume <strong>de</strong>s Ostens<br />

Die Küste <strong>de</strong>s Tieflands hinab getaucht war<br />

Und hoch am Himmel in heiterer Bläue<br />

Die Sterne blinkten, da blähte stärker<br />

Ein frischer Südwind die breiten Segel.<br />

Auf Sigfrids Weisung wandte vom Westpunkt<br />

Der Mann am Ru<strong>de</strong>r das Meerschiff zur Rechten<br />

Und stellte stetig die Stenge <strong>de</strong>s Bugspriets,<br />

Nordwärts steuernd, nach jenem Sterne,<br />

Der, einzig von allen ewig ruhend,<br />

Dem Zeitenzirkel <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren zusieht,<br />

Als Angel <strong>de</strong>s Alls nicht unter- noch aufgeht<br />

Und sein leiten<strong>de</strong>s Licht erst löscht, wann <strong>de</strong>r Tag kommt.<br />

Sie sahen sechsmal die Sonne aufgehn<br />

[275] Und wie<strong>de</strong>r im Westen hinunter wan<strong>de</strong>ln.<br />

Zum siebenten Male sank sie meerwärts,<br />

Als <strong>de</strong>m Osten im Abendlichte<br />

Fern entragten die rötlichen Felsen<br />

Der Insel Helgis.<br />

Hoffend und harrend<br />

Schaute Brunhild von Bralunds Zinnen<br />

Hinaus gen Sü<strong>de</strong>n. An ihrer Seite<br />

Befand sich Detlev, <strong>de</strong>r Enkel Dagis,<br />

E<strong>de</strong>l von Aussehn, doch reicher an Anmut<br />

Als an markiger Mannheit. Leicht für ein Mädchen,<br />

Das nur vermummt sei in männliche Kleidung,<br />

Hätt’ ihn gehalten, dicht neben Brunhil<strong>de</strong>n,<br />

Ein flüchtiger Blick, wie umflort und geblen<strong>de</strong>t<br />

Von <strong>de</strong>r stolzen Gestalt <strong>de</strong>r starken Jungfrau.<br />

Doch nicht verdunkelt von dieser, war Detlev<br />

Ein Mann wie die meisten, von mittler Größe,<br />

Auch tüchtig und kraftvoll, ein tapferer Krieger,<br />

Bis ihn Brunhild besiegt, so brav als besonnen.<br />

Doch wie man fast meinte, ein Mädchen zu sehen,<br />

Das gewaltige Weib ihm zur Seite gewahrend,<br />

So hielt nun wirklich, im Wi<strong>de</strong>rspiele<br />

Zur höhnischen Härte <strong>de</strong>r Hel<strong>de</strong>njungfrau,<br />

Ein weibisches Fühlen sein Herz gefangen.<br />

Denn <strong>de</strong>m Weibe nur ziemt’s und verzärtelten Wichten,<br />

Hangend und bangend im Busen zu hegen<br />

Den verweigerten Wunsch und vergeblich zu werben.<br />

Der Stolz versteht es im Herzen <strong>de</strong>s Starken,<br />

Nach flüchtigem Lo<strong>de</strong>rn die Flamme zu löschen,<br />

[276] Der nicht Erwi<strong>de</strong>rung Wachstum gestattet.<br />

„Umsonst gen Sü<strong>de</strong>n nach Sigfrid schaust du,“<br />

Begann jetzt Detlev, <strong>de</strong>r Enkel Dagis.<br />

149


„Die Frage <strong>de</strong>s Hohns nach <strong>de</strong>m gol<strong>de</strong>nen Hauptschmuck<br />

Hat zu bitter gekränkt <strong>de</strong>n Ruhmgekrönten;<br />

Er wähnt sich verwiesen und kehrt nicht wie<strong>de</strong>r.<br />

Wartest du jetzt, bis die Jugend verwelkt ist?<br />

Wer kann dich lösen von <strong>de</strong>inem Gelüb<strong>de</strong>,<br />

So du nicht selber <strong>de</strong>n Sieg ihm gönntest<br />

Und leichtes Gelingen <strong>de</strong>s Kampfes erlaubtest?<br />

Sein ganzes Begehren erfüllen die Götter<br />

Hienie<strong>de</strong>n keinem von allen Kin<strong>de</strong>rn<br />

Der Staubgebornen; sie gestatten nur Stückwerk.<br />

Nicht leicht verzeihn sie, was ausgezeichnet<br />

Sich höher erhebt, als ihre Hän<strong>de</strong><br />

Das mittlere Maß <strong>de</strong>r Menschen setzten.<br />

Drum lerne beizeiten von selbst verzichten<br />

Auf größeren Zuwachs und steigen<strong>de</strong> Zukunft<br />

Der Ungemeine. Es mäht ohne Mitleid<br />

Die sausen<strong>de</strong> Sichel, die suchend besorgt ist,<br />

Die Halme zu halten in gleicher Höhe,<br />

Und oben abschert <strong>de</strong>n üppigsten Aufschlag;<br />

Denn sonst verengt er <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>rn die Er<strong>de</strong>,<br />

Die keinen Raum hat für lauter Riesen.<br />

So beschei<strong>de</strong> dich klug. Ein Wink <strong>de</strong>s Schicksals<br />

Lenkte <strong>de</strong>in Herz, mir das Leben zu lassen,<br />

Und die Himmlischen haben in meinem Herzen<br />

Dir zum Glück entzün<strong>de</strong>t verzehren<strong>de</strong> Gluten<br />

Der lautersten Liebe, <strong>de</strong>s heißen Verlangens<br />

[277] Nach <strong>de</strong>r furchtbaren Feindin, die meiner Väter<br />

Reich mir entrissen. Du fühlst schon ein Regen<br />

Sanfter Mil<strong>de</strong>. Die Mädchenseele,<br />

Lange verleugnet, mel<strong>de</strong>t sich leise<br />

Und will erwachen. Erhöre mein Werben,<br />

O hohe Herrin; laß mich nur hoffen.<br />

Doch ist kein Erbarmen in <strong>de</strong>inem Busen,<br />

Nun wohl, so verweigre, was je<strong>de</strong>m gewährt wird,<br />

Der irgend abstammt von e<strong>de</strong>ln Ahnen,<br />

Nicht länger <strong>de</strong>m Detlev, <strong>de</strong>m Enkel Dagis,<br />

Und komm zum Kampfspiel. Ich kenne mein Schicksal;<br />

Doch dies dunkle Dasein, dies schmachten<strong>de</strong> Dürsten<br />

Nach dir, o Brunhild, verbrennt mich zu qualvoll.<br />

In <strong>de</strong>inen Armen laß mich veratmen;<br />

Ein kurzer Kuß genügt mir als Kaufpreis<br />

Für ein langes Leben. Du musst mich lieben, –<br />

Sonst laß mich sterben von <strong>de</strong>iner Stärke.“<br />

So sprach er flehend. Wie flammten die Augen<br />

Der stolzen Männin, in <strong>de</strong>nen jetzt Mißmut<br />

Doch mild vermischt war mit weiblichem Mitleid!<br />

Wie lagen im Lächeln <strong>de</strong>r herrischen Lippen<br />

Dicht neben einan<strong>de</strong>r die alte Neigung<br />

Zum herbsten Spotte und hol<strong>de</strong> Spuren<br />

Der heimlichen Freu<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Frauenherzens:<br />

Daß doch unleugbar zu lauterer Liebe<br />

Auch sie es vermocht, <strong>de</strong>n Mann hier zu rühren,<br />

Wo die an<strong>de</strong>ren alle nur eitle Ehrfurcht<br />

150


Zu werben verlockt mit Lebenswagnis.<br />

Sie dankte Detlev, das glauben zu dürfen,<br />

[278] Und zürnte Detlev, <strong>de</strong>m zierlich zarten,<br />

Daß die Blume <strong>de</strong>r Neigung ihr nirgends blühte<br />

Als aus <strong>de</strong>r Wurzel so weichen Wesens.<br />

„O daß doch <strong>de</strong>r sich ertauschen dürfte<br />

Zum lieben<strong>de</strong>n Herzen <strong>de</strong>n Leib <strong>de</strong>s Hel<strong>de</strong>n!“<br />

Doch kaum so <strong>de</strong>nkend, verdammt sie’s wie<strong>de</strong>r.<br />

Sie zürnte <strong>de</strong>m Sigfrid, in <strong>de</strong>ssen Seele<br />

Für sie die Saite <strong>de</strong>r sanften Sehnsucht<br />

Noch niemals geklungen, <strong>de</strong>r nur die kluge,<br />

Die starke Heldin mit heiterem Stolze<br />

Zur Gattin begehrt. „O daß die Götter<br />

Doch Detlevs Fühlen in ihm entfachen!“<br />

Kaum begann sie’s zu wünschen, so wußte sie wie<strong>de</strong>r,<br />

Der Wunsch sei Wahnwitz. Denn war nicht die Wurzel<br />

Der Sonnenblume, <strong>de</strong>r Liebe zu Sigfrid,<br />

Nur seine mächtige, kühle Mannheit?<br />

Und wür<strong>de</strong> die Wurzel nicht schnell verwelken,<br />

Wenn müßige Minne <strong>de</strong>n Hel<strong>de</strong>n entmannte?<br />

Also sinnend sagte sie endlich:<br />

„Soll ich dich lieben? Gewiß recht lustig<br />

Wür<strong>de</strong>n wir leben, wenn lachend die Leute<br />

Sagten: ‚O seht doch dies passen<strong>de</strong> Pärchen!’<br />

Doch – wer weiß, was geschieht! Drum bewahre dich, Schätzchen,<br />

Und laß uns <strong>de</strong>n Wettkampf noch weiter verschieben.<br />

Erhalte doch dankbar <strong>de</strong>in Dasein im Dunkeln<br />

Und minne nicht maßlos, sonst gleichst du <strong>de</strong>r Motte<br />

Und umflatterst die Flamme, bis die Flügel versengt sind.<br />

Du möchtest mich küssen? Meinst du’s zu können?<br />

So wart’ ein wenig, erst will ich mich setzen.<br />

[279] Auf meinen Knieen, artiger Knabe,<br />

Laß’ ich dich ruhn, dann erreichst du die Lippen.<br />

Doch nimm dich in acht! Umarm’ ich dich ernstlich –<br />

Und ich will’s nicht verre<strong>de</strong>n, es könnte mich reizen<br />

Zum Naschen aus Neugier <strong>de</strong>in niedliches Aussehn –<br />

Umarm’ ich dich ernstlich, so vergeht dir <strong>de</strong>r Atem<br />

Und es könnte dir scha<strong>de</strong>n, mein schönes Schoßkind.“<br />

„Die Himmlischen hören <strong>de</strong>in herzloses Höhnen,“<br />

Versetzte Detlev, „um <strong>de</strong>inen Dünkel<br />

Noch hart zu strafen. Mit gleicher Strenge,<br />

Mit gleichem Spott möge Sigfrid spielen<br />

Mit <strong>de</strong>inem Herzen, mit <strong>de</strong>inem Heile!<br />

Dann büße bitter, Erbarmungslose,<br />

Was ich heut’ lei<strong>de</strong> für treue Liebe.“<br />

Mit diesen Worten wandt’ er sich zum Weggehn<br />

Und – stand wie gefesselt, bestürzt in die Ferne<br />

Mit erbleichen<strong>de</strong>n Wangen gen Westen blickend.<br />

Denn ein Fahrzeug bog um das Vorgebirge,<br />

Ein stattlich Seeschiff von vollen Segeln.<br />

Bis ans gol<strong>de</strong>ne Bildnis <strong>de</strong>s göttlichen Bal<strong>de</strong>r<br />

Oben am Buge pflügt’ es bahnend<br />

Empor ein Schaumberg. Panzer und Schil<strong>de</strong>,<br />

151


Hel<strong>de</strong>nhäupter in hohen Helmen<br />

Mit nicken<strong>de</strong>n Büschen sah er am Bor<strong>de</strong><br />

Des Schiffes schimmern im Schein <strong>de</strong>r Sonne.<br />

Nun zeigt es die Seite, nun sinken die Segel,<br />

Und langsam lenkt es ein kundiger Lotse<br />

Durch die brausen<strong>de</strong> Brandung in Bralunds Hafen.<br />

„Endlich, endlich! Er ist es, er ist es,<br />

[280] Der heiß Ersehnte! Ich sehe <strong>de</strong>n Sigfrid!<br />

Das ist seine Gestalt! Er steht am Steuer.“<br />

So rief Brunhil<strong>de</strong> und rannte hastig<br />

Hinunter die Stiegen, hinaus ans Gesta<strong>de</strong>,<br />

Mit raschen Befehlen an ihr Gefolge,<br />

In feierlichem Festzeug wie <strong>de</strong>n mächtigsten Fürsten<br />

Den Gast zu empfangen.<br />

Auf starken Pfählen<br />

Ging weit ins Wasser vom Wolme <strong>de</strong>s Ufers<br />

Im Hafen von Bralund eine breite Brücke,<br />

Um leichter zu lan<strong>de</strong>n die Lasten <strong>de</strong>r Schiffe.<br />

Schon lag nun, ankernd, am äußersten En<strong>de</strong><br />

Das räumige Seeschiff, die rechte Seite<br />

An die Balken gebun<strong>de</strong>n mit baumdicken Tauen.<br />

Das ganze Fahrzeug durchstreiften forschend<br />

Die Falkenaugen <strong>de</strong>r Inselfürstin.<br />

„Was hat das zu be<strong>de</strong>uten?“ so dachte sie jetzo?<br />

„Fehlen ihm Knappen und dienen<strong>de</strong> Knechte?“<br />

Denn eben zog nun am zierlichen Zaume<br />

Den herrlichen Hengst <strong>de</strong>s burgundischen Herrschers<br />

Vom Bord <strong>de</strong>s Bal<strong>de</strong>r auf die dröhnen<strong>de</strong>n Bohlen<br />

Der Landungsbrücke, zum Staunen Brunhilds,<br />

Sigfrid selber. – Ha, was sah sie!<br />

Wer war nur <strong>de</strong>r Mann im prachtvollen Mantel<br />

Von purpurnem Sammet, besetzt mit <strong>de</strong>m Pelzwerk<br />

Des Hermelines? Des leuchten<strong>de</strong>n Helmes<br />

Reiche Verzierung, die zackige Krone,<br />

Auf <strong>de</strong>r Diamanten in Menge strahlten,<br />

Gab zu erkennen <strong>de</strong>n mächtigen König.<br />

[281] In diesem Helme erschien er Brunhil<strong>de</strong>n<br />

Kaum weniger hoch in seinem Wuchse<br />

Als ihr Verlobter, <strong>de</strong>r nun wie ein Lehnsmann,<br />

Sittig gebückt, <strong>de</strong>n silbernen Bügel<br />

Dem Fuße <strong>de</strong>s Fürsten dienstbar darbot.<br />

Wie sie da stan<strong>de</strong>n, die zween Gestalten,<br />

Einan<strong>de</strong>r so nah, da verkannte wohl niemand,<br />

Wie an Bau und Bildung <strong>de</strong>r bei<strong>de</strong>n Hünen<br />

Antlitz und Glie<strong>de</strong>r einan<strong>de</strong>r glichen.<br />

Ein banges Beben im Busen Brunhilds<br />

War nun beschwichtet und fast verschwun<strong>de</strong>n.<br />

Das Dunkel ward licht: ja, <strong>de</strong>nnoch gelungen<br />

War ihrem Sigfrid das heiß Ersehnte:<br />

Die Fährte zu fin<strong>de</strong>n zum Vaterhause.<br />

Erkannt war <strong>de</strong>r Findling als Kind eines Fürsten;<br />

Der andre war älter; er trug als Erbherr<br />

Die Krone <strong>de</strong>r Väter; im feierlichsten Festschmuck<br />

152


Kam nun <strong>de</strong>r Herrscher, <strong>de</strong>m kühnsten <strong>de</strong>r Hel<strong>de</strong>n<br />

Die Verwandtschaft bewährend, als würdigster Werber<br />

Und Hochzeitszeuge dahergezogen<br />

Mit <strong>de</strong>m jüngeren Bru<strong>de</strong>r. – So löste sich Brunhild<br />

Rasch beruhigt das quälen<strong>de</strong> Rätsel<br />

Und eilte zurück in seligem Rausche<br />

Nach ihrer Hofburg, von Helgis Hochsitz<br />

Den frem<strong>de</strong>n Herrscher willkommen zu heißen.<br />

Von <strong>de</strong>n Inselbewohnern umdrängt und bewun<strong>de</strong>rt,<br />

Ritten die Recken <strong>de</strong>r fernen Rheinflur<br />

Feierlich langsam ans Land und zur Feste,<br />

Die am äußersten Zipfel <strong>de</strong>r sandigen Zunge<br />

[282] Auf mächtigen Qua<strong>de</strong>rn ins Meer gebaut war.<br />

Sie ritten vorüber <strong>de</strong>m Ring zum Kampfspiel,<br />

Von Schranken umrahmt und hohen Gerüsten<br />

Mit Reihen von Sitzen; da sahen sie ragen<br />

Auf hohen Pfählen über <strong>de</strong>r Pforte<br />

Helme und Harnische mehrerer Hel<strong>de</strong>n,<br />

Zerschrammt und verbogen in schrecklichen Beulen,<br />

Den Spuren <strong>de</strong>s Speers, mit welchem beim Spiele<br />

Brunhild so Brünnen als Herzen gebrochen.<br />

Nun taten sich auf die breiten Tore<br />

Der wogenumbrausten Feste Bralund,<br />

Und es kamen entgegen <strong>de</strong>n rheinischen Gästen<br />

Die Reisigen Brunhilds. Sie hielten die Rosse,<br />

Halfen <strong>de</strong>n Hel<strong>de</strong>n vom Sattel sitzen<br />

Und führten die Tiere fort in die Ställe,<br />

Die nun lange Jahre schon leer gestan<strong>de</strong>n<br />

Seit <strong>de</strong>n Tagen Helgis, <strong>de</strong>s Hundingtöters,<br />

Der Pfer<strong>de</strong> gebraucht und in Bralund gehalten,<br />

Um an feindlichen Küsten zu rascher Kundschaft<br />

Die Späher <strong>de</strong>s Raubzugs beritten zu machen.<br />

Der burgundische Herrscher mit seinen Hel<strong>de</strong>n<br />

Folgte <strong>de</strong>m Marschalk in <strong>de</strong>n Festsaal von Marmor,<br />

So grün geä<strong>de</strong>rt wie Gras <strong>de</strong>r Auen<br />

Und rings um die Fenster in reichen Falten<br />

Herrlich behangen mit hochrotem Zin<strong>de</strong>l.<br />

Mit glänzen<strong>de</strong>n Augen und glühen<strong>de</strong>m Antlitz<br />

Erhob sich Brunhil<strong>de</strong> vom prächtigen Hochsitz.<br />

Doch we<strong>de</strong>r Gunthern noch seine Burgun<strong>de</strong>n,<br />

Nur ihn, <strong>de</strong>n einen, wollte sie ansehn<br />

[283] Mit Blicken <strong>de</strong>s Dankes; <strong>de</strong>nn sie gedachte<br />

Der früheren Kränkung, <strong>de</strong>r Kronenfrage,<br />

Und wollt’ ihm nun zeigen, <strong>de</strong>r gol<strong>de</strong>ne Zierat<br />

Wöge gar wenig in ihren Wünschen.<br />

„Ich danke <strong>de</strong>n Göttern,“ also begann sie,<br />

„Daß du kamest. Sei hochwillkommen,<br />

Mein edler Sigfrid, mit <strong>de</strong>iner Gesellschaft.<br />

Doch nenne mir nun auch Herkunft und Namen<br />

Deiner Gefährten, zumal <strong>de</strong>s Fürsten,<br />

Der dich begleitet. Ich glaube zwar glücklich<br />

Zu erraten sein Recht zu dieser Reise<br />

Und das Band, das euch bei<strong>de</strong> untrennbar verbin<strong>de</strong>t;<br />

153


Doch gönne mir’s, hörend von ganzem Herzen<br />

Dein Glück zu teilen.“<br />

„Dein Glaube täuscht dich!“<br />

Versetzte Sigfrid. „So viel ich auch sinne,<br />

Dein seltsamer Gruß ist mir unbegreiflich.<br />

Ich darf es dir nicht danken, daß du vor diesem,<br />

Dem ich in Demut als Lehnsmann diene<br />

Als meinem Herren, erst mich, o Brunhil<strong>de</strong>,<br />

So warmen Willkomms aus Irrtum gewürdigt.<br />

Du siehst doch die Zier<strong>de</strong>, die dir vor Zeiten<br />

Der schönste schien von <strong>de</strong>n Schätzen <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong>,<br />

Die Krone <strong>de</strong>s Herrschers, <strong>de</strong>n Helm ihm umkränzen?<br />

Er ist mein Gebieter, und gern entbehret<br />

Hätt’ ich, beim Himmel, so hoher Ehre.<br />

Doch jetzo vernimm seinen ruhmvollen Namen,<br />

Der sicher nicht selten von Hörensagen<br />

Schon herüber geklungen zu dieser Klippe:<br />

[284] Dies ist Gibichson Gunther, burgundischer König,<br />

Dir urverwandt, <strong>de</strong>nn auch er ist ein Wölsung.<br />

Sein Reich ist gelegen zur Linken <strong>de</strong>s Rheines,<br />

Durch Reben berühmt und mit jeglichem Reichtum<br />

Von <strong>de</strong>r Sonne gesegnet, ein sanfteres Südland,<br />

Und am Wasser zu Worms ist sein prächtiger Wohnsitz.<br />

Dich will er gewinnen in kühnem Werben<br />

Zu seiner Gattin, mit Hilfe <strong>de</strong>r Götter<br />

Und kundig <strong>de</strong>s Kampfes. Er ist nun mein König;<br />

Er hat es gefor<strong>de</strong>rt, drum kam ich gefahren<br />

Und wies ihm <strong>de</strong>n Weg durch die Wogen <strong>de</strong>r Nordsee.<br />

Wenn es ihm nicht genehm war, kam ich nimmer.“<br />

Wohin, wohin ist nun Brunhil<strong>de</strong>ns<br />

Blick gerichtet? Zerreißt ihm die Rin<strong>de</strong><br />

Der alten Er<strong>de</strong> bis zum untersten Abgrund?<br />

Schaut sie die Scharen <strong>de</strong>r nichtigen Schatten?<br />

Starrt sie hinunter zum Nachtgesta<strong>de</strong>,<br />

Wo, träge stru<strong>de</strong>lnd, <strong>de</strong>r Strom <strong>de</strong>r Strafen,<br />

Wergelmir wälzt seine zähen Wogen,<br />

Den Schlamm von Unrat und ekelm Eiter?<br />

Sieht sie dort wimmernd waten und sich win<strong>de</strong>n,<br />

Verwickelt wie Würmer in grauser Verwirrung,<br />

Ohrenbläser, Herzenverblen<strong>de</strong>r,<br />

Brünstige Buhler, Ehebrecher,<br />

Meineidschwörer und Meuchelmör<strong>de</strong>r?<br />

Wie sie bleich ist, wie das Blut ihr<br />

Stockt im Herzen! – Doch plötzlich steigt es,<br />

Wie wann schäumend und spritzend ein Springquell entspru<strong>de</strong>lt<br />

Dem zerrissenen Rohr, in rasen<strong>de</strong>r Schnelle<br />

[285] Aus <strong>de</strong>m heftigen Herzen ins Haupt, ins Gehirn.<br />

Die Wangen durchwebt es mit purpurnen Wellen,<br />

Hochrot die Stirn bis zum Haare durchsteigt es<br />

Und erfüllt ihre Augen mit furchtbarem Feuer.<br />

Wäre jetzt wirklich <strong>de</strong>r Wille Brunhil<strong>de</strong>ns<br />

Für ein Weilchen <strong>de</strong>r Wille <strong>de</strong>s Weltalls gewesen,<br />

So wäre zu Scherben die Er<strong>de</strong> zerschellt,<br />

154


Die Sterne zerstäubend vom Himmel gestürzt<br />

Hinab in die Nacht eines ewigen Nichts.<br />

Doch es brach sich die Brandung an Bralunds Mauern<br />

Gera<strong>de</strong> so rauschend nach Sigfrids Re<strong>de</strong>,<br />

Wie zuvor sie gerauscht, da so reich noch und rosig<br />

Das Leben im Lichte <strong>de</strong>r hoffen<strong>de</strong>n Liebe<br />

Vor ihr gelegen. In prachtvollem Lo<strong>de</strong>rn,<br />

Die Fenster färbend mit feurigem Scheine,<br />

Sah sie die Sonne im Westen versinken.<br />

Das bläuliche Meer dort streifte die Möve,<br />

Auf schwanigen Schwingen hinunter schwebend<br />

Und ganz wie gewöhnlich <strong>de</strong>n Wasserbewohner,<br />

Den gefangenen Fisch, entführend ins Luftreich.<br />

Elen<strong>de</strong> Ohnmacht! dachte sie ächzend;<br />

Denn dort hinter <strong>de</strong>m Hel<strong>de</strong>n, mit hämischem Lächeln<br />

Nach ihrem Antlitz die Augen richtend,<br />

Stand <strong>de</strong>r Verhaßte, <strong>de</strong>r Zwerg mit <strong>de</strong>m Höcker,<br />

Der häßliche Mime, – und sie war machtlos,<br />

Mit ihrem Fluchwunsch auch nur die Fliege<br />

Hinweg zu scheuen, die dort an <strong>de</strong>n Scheiben<br />

Des Fensters summend <strong>de</strong>n Ausweg suchte,<br />

In sinnlosem Zorn auf <strong>de</strong>n seltsamen Zauber,<br />

[286] Der so hart und hemmend, doch unsichtbar hell sei.<br />

So leer, so läppisch war ihr Verlangen,<br />

Des Himmels Flammen herunter zu flehen<br />

Auf <strong>de</strong>n widrigen Wicht, <strong>de</strong>r all ihr Wehe<br />

Allein verschul<strong>de</strong>t. Ihr Lebensschicksal<br />

An Sigfrids Seite, gesichert war es,<br />

Der Held versöhnt – so sagte <strong>de</strong>r Herold –<br />

Durch ihre Botschaft, durch ihre Bitten,<br />

Und wollte schon wen<strong>de</strong>n, – da winkte Mime,<br />

Da rauschten die Ru<strong>de</strong>r, – er war ihr entrissen<br />

Unwie<strong>de</strong>rbringlich. – Was, frug sich Brunhild,<br />

Was hat uns geschie<strong>de</strong>n? Daß ich einst scheel sah<br />

Auf <strong>de</strong>n garstigen Krauskopf <strong>de</strong>s widrigen Krüppels!<br />

An welcher Klippe scheiterte kläglich<br />

Das Heil Brunhil<strong>de</strong>ns? – An Mimes Höcker.<br />

Als zeitlos, zuckend bei diesem Ziele<br />

Nach dumpfer Erstarrung ihr Denken still stand,<br />

Da wich ihr Brustkrampf, und Brunhild brach nun<br />

Aus in ein lautes, grimmiges Lachen.<br />

In banger Bestürzung und tiefer Stille<br />

Vernahmen es Gunther und seine Burgun<strong>de</strong>n.<br />

Da sucht’ immer einer mit <strong>de</strong>n Augen <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>rn,<br />

Als ob er ihn früge: „Lei<strong>de</strong>t die Frau <strong>de</strong>nn<br />

Zuweilen an Wahn und Verwirrung <strong>de</strong>r Sinne?“<br />

Doch schon Fassung gefun<strong>de</strong>n hatte die Fürstin,<br />

Und klangvoll sprach sie mit rascher Klugheit:<br />

„O, Gibichson Gunther, wolle vergeben<br />

Mein lautes Lachen! Beleidigend war es,<br />

Ich leugne das nicht; – doch so geht es im Leben!<br />

[287] Wer wünschte nicht weislich bei wichtigen Dingen<br />

Anstand zu wahren und würdige Ruhe?<br />

155


Doch allzu oft nur in Ernst und Andacht<br />

Naht uns, o König, ein neckischer Kobold,<br />

Schiebt was dazwischen und erschüttert das Zwerchfell.<br />

So ging es auch mir, und schuld ist nur Mime.<br />

Der starke Sigfrid – so verstand ich, was er sagte –<br />

Hat sich verdungen zu <strong>de</strong>inem Dienstmann;<br />

So muß ich vermuten, du habest Mimen,<br />

Des Hel<strong>de</strong>n Herzblatt und heben<strong>de</strong>s Zierstück,<br />

In <strong>de</strong>n Kauf genommen als Narren zur Kurzweil.<br />

Am unrechten Orte versieht er sein Amt nun,<br />

Mich wi<strong>de</strong>r Willen zum Lachen bewegend.<br />

Ihm flog eine Fliege auf seine flache,<br />

Gestülpte Nase; – das Niesen verhaltend,<br />

Schüttelt’ er so närrisch zugleich mit <strong>de</strong>m Nacken<br />

Seinen Höcker hinten, als schwankte haltlos<br />

Auf <strong>de</strong>m Rücken eines Esels ein reiten<strong>de</strong>r Affe.<br />

Doch höre nun Ernstes. Auf Helgis Eiland<br />

Heiß ich, o König, dich höflich willkommen,<br />

Obwohl ich wünschte, du wärest geblieben<br />

Zu Worms am Rhein, statt hier zu werben<br />

Mit Leib und Leben um meine Liebe.<br />

Kennst du die Kämpfe und Proben <strong>de</strong>s Kopfes,<br />

Die du bestehn musst, stark und verständig,<br />

Mich als Weib zu gewinnen?“<br />

„Ich darf es schon wagen,“<br />

Entgegnete Gunther. „Der Wille <strong>de</strong>r Götter<br />

Beschied mir zur Braut dich, schöne Brunhild.<br />

[288] Sie können nicht täuschen. Sei noch so tapfer,<br />

Es ist kein Zweifel, daß ich dich bezwinge.“<br />

„Du scheinst ja <strong>de</strong>s Sieges gewaltig sicher!<br />

Nun, wir wer<strong>de</strong>n’s ja sehn,“ versetzte die Stolze,<br />

„Ob du so stark bist.“ – Ihr schwoll auf <strong>de</strong>r Stirne<br />

Die A<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s Zornes. – Doch nun erzählte<br />

In Kürze <strong>de</strong>r König, was längst bekannt ist:<br />

Wie er lange vergebens, die passen<strong>de</strong> Gattin<br />

Für ihn zu suchen, Boten gesen<strong>de</strong>t,<br />

Was dann in Holmgart im heiligen Haine<br />

Die alte Oda zur Antwort gegeben<br />

Dem forschen<strong>de</strong>n Volker (wobei er nur fortließ,<br />

Was im Seherspruche von Sigfrid gesagt war,<br />

Auch weislich verschwieg die beschlossene Verschwägrung)<br />

Wie sein Bote ihr Bildnis vom Bar<strong>de</strong>n erhan<strong>de</strong>lt,<br />

Und wie beim Schauen so großer Schönheit<br />

Ihn die Minne bewogen zur weiten Meerfahrt.<br />

„Und jetzt, o Fürstin,“ so sprach er ferner,<br />

„Mit eigenen Augen <strong>de</strong>in Antlitz schauend<br />

Und <strong>de</strong>ine Gestalt, vermag ich für sterblich<br />

Dich kaum zu halten, o Tochter Helgis.<br />

Nun glaub’ ich wahrlich, daß droben in Walhall<br />

Beim Fürsten <strong>de</strong>r Götter mein Vater Gibich<br />

Und <strong>de</strong>r <strong>de</strong>inige, Helgi, <strong>de</strong>r Hundingstöter,<br />

Um unsre Verbindung gebeten haben.<br />

Denn beim Weltenwalter sich treu zu verwen<strong>de</strong>n<br />

156


Für edle Erben unten auf Er<strong>de</strong>n,<br />

Ist ja das Hauptrecht einherischer Hel<strong>de</strong>n.<br />

Drum zürne mir nicht, wenn ich Zuversicht hege,<br />

[289] Es endige gut, was die Götter begonnen.<br />

So bin ich <strong>de</strong>nn furchtlos. Falte nur finster<br />

Die schwarzen Brauen, o schöne Brunhild, –<br />

Ich nenne dich morgen <strong>de</strong>nnoch die Meine.“<br />

„Ich gönn’ es dir, Gunther,“ entgegnete Brunhild,<br />

„Dich heut noch zu wiegen im stolzen Wahne;<br />

Denn morgen, mein’ ich, wirst du vermehren<br />

Mit <strong>de</strong>inem Helme, mit <strong>de</strong>inem Harnisch<br />

Die leeren Hülsen verliebter Hel<strong>de</strong>n,<br />

Die du vermutlich beim Kommen bemerkt hast<br />

An <strong>de</strong>r Pforte <strong>de</strong>s Rings auf ragen<strong>de</strong>n Pfählen.<br />

Falls man dich würdigt, in Walhall zu wohnen,<br />

Und nicht in Haft nimmt in Helas Behausung,<br />

Magst du dann mel<strong>de</strong>n mit eigenem Mun<strong>de</strong><br />

Deinem Vater Gibich, was dir begegnet,<br />

Er wird dich fragen: ‚Was trieb dich so früh schon<br />

In die himmliche Halle noch vor <strong>de</strong>r Hochzeit,<br />

Mein liebes Söhnchen?’ Dann, Gunther, sag’ ihm,<br />

Ich, Brunhil<strong>de</strong>, die Tochter Helgis,<br />

Spielt’ ihm <strong>de</strong>n Possen; zu je<strong>de</strong>m Paare<br />

Gehörten ihrer zwei; Brunhil<strong>de</strong>n zu zwingen,<br />

Der Plan sei gescheitert, weil <strong>de</strong>in Schä<strong>de</strong>l zerplatzt.“<br />

So höhnend erhob sich Brunhil<strong>de</strong> vom Throne<br />

Und winkte <strong>de</strong>m Detlev, <strong>de</strong>m Enkel Dagis.<br />

„Dich wählt’ ich, du weißt es,“ sprach sie gewinnend,<br />

„Zum einstigen Erben <strong>de</strong>r Insel Helgis,<br />

Die ich erst dir entrissen, falls mich im Ringe<br />

Jemand entseelt o<strong>de</strong>r gar als Sieger<br />

Zum Weibe gewinnt und lebend hinwegführt.<br />

[290] Sei du <strong>de</strong>nn zu Bralund für Brunhild heute,<br />

Mein werter Vetter, <strong>de</strong>r Wirt dieses Fürsten<br />

Und seiner Begleiter. Bewirte sie glänzend<br />

Mit allem, was irgend das Eiland bietet<br />

Und seine Schiffe herüberschaffen<br />

In fernen Fahrten aus Festlandshäfen.<br />

Mein Herz ist zu wild, um höfliche Worte<br />

Mit <strong>de</strong>m Manne zu tauschen, <strong>de</strong>r morgen als Todfeind<br />

Im Kampf mich bestehn will. – Zwölf kurze Stun<strong>de</strong>n<br />

Sind in allem, o Gunther, noch ganz <strong>de</strong>in eigen.<br />

Da stärke dich, König; gestatte <strong>de</strong>m Körper<br />

Von <strong>de</strong>r Meerfahrt zu ruhn; dann sei morgen gerüstet,<br />

Im Ring zu erscheinen zur Schicksalsentscheidung.“<br />

So re<strong>de</strong>te Brunhild, nun wür<strong>de</strong>voll ruhig,<br />

Und siegessicher entschritt sie <strong>de</strong>m Saale<br />

Mit ihren Frauen. – Für die frem<strong>de</strong>n Gäst<br />

Und seine Gefährten im Dienste <strong>de</strong>r Fürstin<br />

Befahl nun Detlev, <strong>de</strong>r Enkel Dagis,<br />

Anzurichten das Aben<strong>de</strong>ssen.<br />

Als tüchtig bewährte die volle Tafel<br />

Den Koch wie <strong>de</strong>n Mundschenk; doch blieb die Mahlzeit<br />

157


Bei genügen<strong>de</strong>m Trank gar nüchtern und trocken<br />

Und so sparsam an Re<strong>de</strong>n als reich an Speisen,<br />

Denn Schweigen gebietend lag bange Schwüle<br />

Auf allen Gemütern, und als <strong>de</strong>r Met kam,<br />

War es niemand zu Sinn, Gesang zu vernehmen,<br />

Die Würze <strong>de</strong>s Mahls, die würdig <strong>de</strong>s Menschen<br />

Auch Essen und Trinken mit Andacht vere<strong>de</strong>lt.<br />

[291]<br />

Doch am heutigen Abend waren die Hel<strong>de</strong>n<br />

Allzu ermü<strong>de</strong>t von ihrer Meerfahrt<br />

Und zu bange gespannt, um <strong>de</strong>m Spiele <strong>de</strong>s Bar<strong>de</strong>n<br />

Und seinem <strong>Lied</strong>e in Andacht zu lauschen.<br />

So gelangten sie bald zum letzten Becher,<br />

Vergossen <strong>de</strong>n Göttern die Spen<strong>de</strong> und gingen,<br />

Geleitet vom Marschalk, in die Gastgemächer.<br />

Da hatte <strong>de</strong>nn rasch die Hel<strong>de</strong>n vom Rheine<br />

Die Brandung <strong>de</strong>s Meeres um Bralunds Mauern<br />

Regelvoll rauschend in Ruhe gesungen.<br />

Quelle:<br />

————<br />

W. <strong>Jordan</strong>s <strong>Nibelunge</strong>. <strong>Erstes</strong> <strong>Lied</strong>. Sigfridsage. I. Teil. Sechzehnte Auflage. Neue wohlfeile<br />

Ausgabe. Frankfurt am Main. Verlag von Moritz Diesterweg.<br />

An <strong>de</strong>r Digitalisierung wirkten mit: Ole Duwensee, Katharina Junk, Gunter E. Grimm.<br />

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